Landhausleben

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Die Armen machen willig Platz.

Sie freuen sich, daß Reiche fühlen,

Was in dem Alten für ein Schatz.

Ihr Armen, laßt euch nur nicht stören,

Vorüber ging hier manches schon.

Bald wird die Neugier andre ehren,

Und spricht dann eurem Alten Hohn.

Ich sah vor manchem Gotteshause.

Der Kutschen Reih, als wär' da Schmaus,

Und jetzt, als wär es arm vom Schmause,

Wächst Gras davor, sie bleiben aus.

Nach diesen Versen würde ich dich für einen Anhänger Taulers halten, sagte der Rittmeister, laß mir die Verse ich will noch schlimmere hinzufügen. — Diese, fuhr Eduard fort, waren ihnen schon verdrießlich genug. Ich wurde in aller Form verdammt, Georgine sollte jeden Gedanken an mich unterdrücken und es kostete ihr keine sonderliche Mühe. Das erfuhr ich gestern am Abend, nachdem ich das Schicksal meiner Verse ironisch verspottet hatte, wurde Georgine bitterbös, mein Zahn in ihrem Munde ließ die Worte ruhig über ihre Lippen gehen, ohne sie abzubeißen, da diese förmliche Absagung mir selbst ein Bekenntniß meiner neuen Neigung sparte. Ich wurde von deiner Tochter förmlich entlassen wie ein Hausknecht, der auf unrechten Wegen gefunden. Du bekamst auch dabei deinen Theil als Teufelsbraten, alter Herr, dein Umgang ward mir vorgeworfen. Und doch bist du bei allen deinen Lastern noch ein vollständiger Mensch mit Lunge und Leber. Guten Morgen, ich sehe deine Sündenkameraden ankommen, und da werden alte schlechte Geschichten erzählt, die ich nicht anhören mag. Mit diesen Worten verließ er das Zimmer, und der Rittmeister hetzte vergebens seinen großen Hund nach, daß er ihn am Rocke festhalten sollte, während die alten Militairs, auch in Civilkleidern durch strengen Anzug kenntlich, und einige unter Glückswechseln zusammengefallene Civilisten den Rittmeister mit allerlei Neuigkeit begrüßten. Bald war der grüne Tisch und die Karten in Thätigkeit, nur Arthur setzte sich mit seinen Akten ans Fenster und musterte so nebenher den Sonntagsstaat der Vorübergehenden, während er allerlei Bemerkungen laut vortrug: Die Kirche füllt sich früh, der Tauler muß unter allen Ständen seine Verehrer haben. Ich glaube, die jungen Herren und Damen haben da ihre Zusammenkünfte. — Da kennst du sie nicht, rief der Rittmeister, zum Zanken kommen die wohl zusammen, aber nicht zum Lieben, ein widerhaariges Völkchen. Meine Tochter hat das alles schon in früherer Zeit angenommen, und ich staune oft, wie sie den Leuten in Herz und Magen greift. Grob genug ist das jetzige Mädchengeschlecht, als ob sie sämtlich den Krieg als verkleidete Freiwillige mitgemacht hätten, es giebt endlich noch ein Amazonenreich. Wie quälen sie einander mit Bekrittelung über jeden Scherz, sie sind ein Nachhall der vielen streitbaren Tageblätter, und geben alle Tage neue Religionsedikte aus, theils gegen sich, theils gegen die Geistlichen, theils gegen ihre Eltern, die diesem Geschwätz nicht Folge leisten. Denkt euch nur, meine Georgine wollte mich neulich bekehren, als ich einem hübschen Mädchen lumpige Unterstützung reichte. Sie nannte das Werkheiligkeit, schwor daß sie nie gute Werke thun wolle. — Ei das gestehe ich, rief der eine alte Herr, weißt du noch Herr Bruder, zu unsrer Zeit waren die frommen Seelen so butterweich daß sie gar nicht an die Sonne gebracht werden konnten, du weißt noch die Herzogin mit ihren Liebesthränen, der die Thaler aus allen Taschen fielen und die großmüthigen Lords denen die Westentaschen platzten. — Ja das ist vorüber, fuhr der Rittmeister fort, die Engländer lassen sich lieber frei halten als daß sie zahlen, zanken und knausern mit allen Wirthen und die frommen Weiber beten mit den Armen, und stillen ihren Hunger mit Traktätchen. — Prächtige braune Engländer, rief Arthur, ein hübscher blauer Wagen, ein paar schöne Frauen steigen aus, die eine scheint wohl die Mutter der andern. — Heinrich schrie der Rittmeister: meine Pistolen! das sind sie, Frau und Tochter, und wenn die Mutter auch zu dem Tuckmäuser geht, so hat das Reich des Antichrists wie es mein alter Präceptor nannte, seinen Anfang genommen, nun ist es Zeit, der Erde zu entfliehen, — Heinrich der sehr aufmerksam in der Bedienung war, hatte die beiden Pistolen im Augenblicke aus dem Nebenzimmer geholt. Der Rittmeister meinte: So ernsthaft sei es nicht gemeint. Aber in dem Augenblicke wie er dies sprach, blitzte die eine der Pistolen, an der er etwas Staub abwischte, zur Verwunderung aller auf, und der Neffe bemerkte deutlich, wie die Kugel neben ihm vorbei, über die Straße in das Kirchenfenster gegangen. Dummer Teufel brummte der Rittmeister, dummer Zufall, dumme Pistole! Heinrich du hattest gewiß den Hahn im Herabnehmen gespannt! Kein Wort der Verteidigung, Heinrich sonst schieß' ich dir mit der andern vor den Kopf. Ist ein Unglück geschehen, werde ich es doch vertreten müssen.

Arthur erbot sich Auskunft über die Folgen dieses Schusses zu verschaffen, und eilte die Treppe hinunter nach der Kirche. Der Rittmeister beobachtete hinter den Fenstergardinen und glaubte sich bald aus dem ruhig fortschwebendem Gesange, auch aus dem Verweilen Arthurs in der Kirche zu überzeugen, daß seine Besorgniß keinen Grund habe, weswegen er zum Mittelpunkte seines Daseins, zum grünen Tische zurückkehrte.

Anderthalb Stunden vergingen unter wechselndem Spielglück, als ein unerwarteter Besuch ihm ein Ende machte. Ein alter Jugendfreund, der geheime Polizeichef von Krumbiegel, ein Mann vom größten Einflusse, obgleich ohne hohen Titel, trat ohne Anmeldung ein, und erbat sich eine geheime Unterredung. Die Spielfreunde entfernten sich und der Rittmeister erwartete irgend eine Polizeirüge, als Krumbiegel ein Buch aus der Tasche zog, und es ihm stumm darreichte. Was sagte der Rittmeister, ich soll der Herausgeber dieser theologischen Gespräche sein? Das ist eine seltsame Ehre die mir Eduard angethan hat. Ich gab ihm diese Arbeiten des alten Adepten gegen die Mystiker seiner Zeit weil sie ihm wohlgefielen. Um mir die Ehre ihrer Erhaltung ganz zu überlassen hat er meinen Namen als Herausgeber vorgesetzt, ja sieh sogar die gelehrten Anmerkungen von ihm, die er nur mit unsern Familiennamen gezeichnet, wird die Welt auf meine Rechnung schreiben.—Krumbiegel sagte: Freund denk dir, das Buch hat mich und durch mich den Fürsten und seinen ganzen Kreis entzückt, es schien uns der wirksamste Exstirpator gegen die Mystik, die der alte neunzigjährige Minister der Geistlichkeit überall hat Wurzel schlagen lassen. Der Fürst meint du seist der Verfasser, er hält sich in so etwas für Kenner, es wäre vergebens zu widersprechen. Ich räumte es ihm ein, die Achtung gegen dich aus früherer Zeit und weil du ihm wegen deiner vielen Reisen als Fremder gestempelt bist, weckten in ihm den Einfall, dich als Minister der geistlichen Angelegenheiten anzustellen und den alten Minister in Ruhestand zu versetzen. — Mich stellen und er soll sich setzen, denkt doch an mein Podagra? — Du der eifrigste Jäger, der beste Reiter, dir ist das Podagra nur geschenkt, damit du die nöthige Sitzlust als Minister bewährst.

Und dann, sprach der Rittmeister bin ich wirklich ein halber Fremder, alle andre Menschen wissen mehr vom Lande als ich. — Kann sein was kümmern uns die Kleinigkeiten rief Krumbiegel, wenn wir es nur unsern Nachbarn recht machen. Du gewährst dem Fürsten als Fremder die angenehme Täuschung, als ob in dir alles zusammentreffe was er an den wohlbekannten Männern im Lande vermißt. Du hast mein Glück begründet als ich zum Landstreicher reif war, ich bin überzeugt daß ich mit dieser Ernennung dein Glück mache. Deine Lebensweise läßt dich unbefriedigt denn die Jugend ist vorüber, dir fehlt Stoff seit du den Abschied genommen. Das ist wahr, sagte der Rittmeister, seit mich die Liebeleien in Ruhe lassen fehlt mir so ein Geschäft, auch wünschte ich nur eine andre Stellung in der großen Welt. Aber das würde mich nicht ins Joch bringen, — es ist etwas anders, — ich will es dir vertrauen, — ich stottre, — ich glaube gar daß ich roth werde, — ich kann ohne Miranda nicht leben, kurz ich habe erst jetzt angefangen sie zu lieben. Eine Magdalena hat großen Reiz das weißt du aus allen Bildergallerien, — aber das ist es nicht allein; sie hat einen Theil der Welt in den zwanzig Jahren die wir getrennt lebten durchwandert, den ich nie betrat weil mich das Äußere zu sehr beschäftigte, die innern heimlichen geistigen Anregungen. Sie hat viel gesehen, weil sie als Frau zugelassen wurde wo Männer zurückgewiesen werden, denn auch die Frommen sind galant. Zwar gesteht sie daß sie mich jetzt erst kennen gelernt, daß mein Leichtsinn, meine Hitze sie zu falschem Urtheile über mich geleitet, doch um sich fest mit mir zu verbinden fühlt sie den Spielraum nicht geeignet, einen Papst möchte sie heirathen einen Papst dieses frommen Völkchen, durch den sie es dauernd leiten könnte. Als Minister kann ich ihr diesen Anhalt gewähren und zugleich deinem Wunsche genügen alle übermäßigen Schwindeleien abzuhalten. — Du bist unser rief Krumbiegel, schlage ein. Mit den Schattenbildern abgenutzter Geschäftsmänner ist nichts anzufangen. Mit deinem Nebenminister bist du befreundet, Jugendfreunde mit denen du genug dumme Streiche gemacht hattest. Deine Geschäftsblicke hast du bewährt als du interimistisch das Kriegsministerium übernahmst, und in wenigen Monaten mehr schufst als deine Vorgänger in vielen Jahren, so daß deine grandiose Wirksamkeit auch in der Zerstreuung deines Lebens Anerkennung fand. — Aber es muß auch für meine Freunde gesorgt werden sagte der Rittmeister, ich meine für die vier Invaliden die dir eben Platz machten und für Runzel. — Mit jenen hat es keine Noth die sind leicht zu befriedigen, aber Runzel, — der gilt für einen Jakobiner! — Spaß! seine politische Partei gilt nichts mehr, sie treibt sich nur noch auf dem Papier herum wie die Encyclopädie, die niemand mehr liest. Er kennt das Ausland, er kennt Rom, er ist durchaus einer der brauchbarsten Geschäftsleute. — Nun es sei ein Hofrath mehr oder weniger. Für deinen Neffen muß auch etwas geschehen. Der Arthur ist mir als ein höchst verschlagener Finanzier geschildert worden, dabei von den besten Grundsätzen, er kann sich zu den ersten Stellen Hoffnung machen. — Erst muß er sich bewähren. Aber schade darum daß Eduard Kandidat geworden. — Still von ihm, — der ist ein Demagoge, dem nur deinetwegen Nachsicht gewährt wird. — Eduard ein Demagoge der nur aus Griechenland heimkehrte, weil er sonst nicht meiden konnte ein Demagoge zu werden, alle Fremden wollten ihn an die Spitze stellen. Alter Freund, eine so herrliche Natur laß unangetastet, er trägt keine Narbe für seine Eitelkeit, alle seine Wunden schlug ihm Aufopferung für andre. An so einen Menschen müssen wir aufblicken, wenn wir an der Zeit verzweifeln und uns gestärkt fühlen, er ist Bürge einer goldnen Zukunft, ja ich muß meine Liebe zu ihm bändigen, weil er mich für einen sentimentalen Narren halten würde. Aber freilich er hat abgeschlossen mit dem Weltleben, er ist Geistlicher geworden, er verträgt sich nicht mit unsrer Halbheit, aber ich will doch von ihm mehr Rath und Beihülfe erpressen als von allen meinen künftigen Räthen. — Dies Wort ist mir genug rief hier Krumbiegel es ist so gut wie ein Handschlag. Der Fürst wartet auf Nachricht, du kennst seine Ungeduld, deine Ernennung habe ich unterzeichnet in der Tasche. Du nimmst sie an? Noch eins du hast einen Engel von Tochter, ihre Milde wirkt heimlich, aber meiner Polizeiaufsicht entgeht nichts. Sie wird einmal reich. Der Fürst wünscht einen jüngeren Prinzen seines Hauses mit ihr zu vermählen. Wer weiß ob deine Nachkommen nicht dereinst hier herrschen. — Viel Ehre, aber ich darf mich nach dem Testamente des Adepten in keiner Art zwingend für ihre Verheiratung verwenden. — Ich mache alles rief Krumbiegel, um drei Uhr findest du bei mir den Fürsten und kannst dich mit ihm besprechen.

 

Kaum war er fort so trat Arthur ein, und beruhigte den Rittmeister wegen des Schusses. Niemand ist verletzt, nur die Taube welche über dem Taufbecken schwebte wurde von der Kugel herabgestürzt, und während ein Theil dieses Ereigniß mit Rührung und Erhebung gedeutet, so hatte es ein anderer auf das morsche Holz geschoben, und den Wunderglauben bestritten, ich fand im Fenster den Ausgang der Kugel, ein kleines rundes Loch in der Scheibe. Nach dieser Entdeckung nahte ich mich den Frauen. Niemand würde Miranda für die Mutter von Georgine gehalten haben, sie schienen Schwestern. Ich nahte mich als wär' es zufällig, sie bemerkten mich und die Mutter flüsterte der Tochter etwas zu von der Aehnlichkeit zwischen uns beiden. Ich sah in das Gesangbuch von Miranda und sie bot es mir dar, weil sie alle Lieder auswendig wisse. — Hoho rief der Rittmeister, gerade wie sie den Engländern einbildete sie wisse Milton auswendig. Halt, da steigen sie ein rief Arthur. — Der Rittmeister musterte sie mit dem Glase und sagte dann: Georgine gefällt mir heute nicht, aber doch ist sie herrlich gegen die andern Mädchen, dunklere schwarze Haare habe ich nie gesehen. Sieh dort ihre Freundin die Blondine, wie linkisch, wie mager; welche Unvollendung, wie schnippisch sie den bescheidenen Offizier abweist, weil er etwas superklug über die Predigt gesprochen. Vater Wieland würde gewiß verlangen, daß sie den Grazien opfere, aber was sollen sie opfern? Da kommt noch eine ältere Frau, bei der die Himmelsleiter an ein irdisch Dach angelehnt ist, das nenne ich Lebensröthe auf den Wangen. — Geschminkt, Onkel, das sehe ich ohne Augengläser, wie lieblich dagegen die italienische Blässe der Mädchen. Da sehen sie das große Mädchen, um sich zu überzeugen daß es noch regelmäßige Schönheiten giebt, aber ohne Ausdruck des geistigen Karakters, und dieser gilt jetzt mehr als Schönheit und Eleganz. — Es ist doch nicht die Schönheit, wie ich sie in jungen Jahren sah, unterbrach ihn der Rittmeister. Das wirst du auf meine älteren Augen schieben, aber sieh nur einmal in unsrer Bildergallerie die berühmten Schönheiten an aus früheren Zeitaltern. Auch abgesehen von der fremden Tracht, ist doch keine darunter die ihrem Rufe entspricht. Ich habe oft darüber nachgedacht, warum diese Schönheiten sinnlicher Lust wechseln; warum eine Zeit nur Blondinen, die andre Brünetten rühmt. Noch auffallender ist es daß in monarchischen Staaten so viele Einwohner dem Fürsten ähnlich sehen, ich kann es mir nur aus dem Gelde erklären, das mit seinem Bilde geprägt ist und von allen begierig angeschaut wird, zu denen niemals sein Blick viel weniger seine Begegnung dringen kann. Ähnlich dem Gelde wirkten die alten Bildwerke, und ich könnte mir ein Geschlecht denken, dessen Äußeres nicht mehr Ausdruck seines Innern, sondern eine solche konventionelle Form ist, also in einer angebornen Maske steckt, etwa in der Art wie du Arthur mir ähnlich bist, und doch innerlich dich verschieden fühlst und in dir ausrufst: Wohl mir, daß ich nicht bin wie der! — Das nun gerade nicht, sagte Arthur verlegen, aber ich begreife nicht, wie so viele Menschen in der kleinen Kirche Platz haben, und dabei fällt mir die große Kirche in Zehenburg ein, von der ich in den Akten gelesen habe. Ist sie so groß wie diese? — Zehnmal größer! das alte aufgehobene Kloster hatte alle seine Reichthümer auf den Bau verwendet, so daß die jetzige Gemeine blos eine Seitenkapelle davon brauchte. Weil sie nun Reparaturen bedurfte, kam der Antrag vom Baumeister der Gegend, sie bis auf die Kapelle die von der jetzigen Gemeine benützt wird abzubrechen, während ein junger genialer Architekt einen Plan einreichte, durch Ausschmückung im griechischen Styl diese Kirche zur schönsten der ganzen Gegend zu erheben. Du hast davon gelesen? — Sogar den Plan habe ich zu mir gesteckt, antwortete Arthur, er ist sinnreich und der Neubau so artig mit Bleistift auf den alten getuschten Kirchthurm gezeichnet, daß er recht bequeme Übersicht gewährt. Wenn ich das große Loos gewinne, werde ich ihn ausführen, jetzt aber wird der Landbaumeister Recht behalten, wozu nützt eine ungebrauchte Steinmasse? — Nur nicht übereilt, sagte der Rittmeister, Georgine ist ganz verliebt in den Bauplan und auch in die alte Kirche, die Verwandte mußte sie alle Sonntage dahin zur Kirche fahren, obgleich eine andre Kirche, wozu das Gut gehörte ihnen näher lag, und der alte verstorbene Pfarrer hatte sie schon früh mit den Frommen der Gegend dort bekannt gemacht, unter denen sie hier eine glänzende Rolle spielt. — Bester Onkel, sagte Arthur, ich gebe ihnen mein Wort, die Kirche auszubauen, wenn sie fromm werden wollen, aus Legitimität. — Du stimmst mit Georgine rief der Rittmeister, sie hat mir auch schon die Ehre ihrer Belehrung geschenkt über die geheimen Plane der Weltgeschichte, welche die Legitimität enträthselt. Vielleicht gehört es auch zur Legitimität, daß es jezt Menschen giebt wie die Theile eines Werkes gleich eingebunden sind. Übrigens gehöre ich auch zu den Legitimen, und wenn ich aus dem Bade komme erkundige ich mich erst ganz heimlich, ob das Reiten nicht für revolutionair gehalten wird, ehe ich auszureiten wage. Heirathe Georgine — und das fix. Arthur schwieg und blätterte in einer aufgeschlagnen Übersetzung des Dante. Mit dem Eduard wird es doch nichts fuhr jener fort, seit er sich in das Kurköllnische Fähnrichstöchterlein verliebt hat.— Arthur antwortete endlich bedenklich: erst will ich Georgine und mich auf die Probe stellen, denn auf unbesonnene Ehen läßt sich Dante gut parodiren mit seiner Hölleninschrift, die ich eben aufgeschlagen habe.

Hier ist das Thor zur Stadt der Qualumstammten;

Hier ist das Thor zu jeder ew'gen Pein,

Hier ist das Thor zum Volke der Verdammten,

Der höchste Meister, der gerecht allein,

Erbaute es für erster Liebe Sünden,

Als himmlische Gewalt bezwungen von dem Schein,

Vergängliches war vorher nicht zu finden,

Hier ist ein ew'ges Lösen in dem Binden,

Laßt, die ihr eingeht, jede Hoffnung schwinden.

Seltsam, sagte der Rittmeister, da macht so ein Schlankel Verse aus dem Stegreife, wobei sich sonst ein ordentlicher gekrönter Poet an seiner Feder die Zähne ausgebissen hätte. Nun es bleibt dabei, du sollst Georginen heirathen, ihr habt beide so etwas von einer Parodie in euch. Also heute Abend kommst du zu meiner Frau.

Was der Rittmeister vorausgesehen, als er die Rolle eines Ministers nicht von sich gewiesen, das ging schon an dem Tage in Erfüllung. Die Aussicht eines schmeichelhaften Einflusses auf die ernsten Angelegenheiten versöhnte Miranda, die bis dahin jede Annäherung des Rittmeisters in Erinnerung an ihre frühere verzweiflungsvolle Zänkerei von sich gewiesen hatte, aber sie machte es zur Bedingung, daß er in ihren prophetischen Kreis keine Störung bringen, vielmehr durch seine Autorität ihn schützen solle. Über Eduard erklärte sie, daß sie seine Heirath mit Georgine gern sehe, obgleich sie seine Meinungen nicht theile und sein Karakter von großem äußerm Widerspruch sei; übrigens wisse er, daß Georgine freie Wahl habe. Von seiner Zuneigung zu Cornelien wußte sie nichts, eben so wenig hatte sie von Arthur etwas vernommen, wollte aber seiner Verbindung mit Georgine nichts entgegensetzen, sein Äußeres hatte ihr in der Kirche gefallen. So finden wir denselben Mann, der Morgens in die Kirche geschossen, Abends in eine jener engern kirchlichen Versammlungen versetzt, die Miranda als Mittelpunkt erkannten, weil ihre Rednergabe als eine besondre Himmelsgnade betrachtet wurde. Auch war eine Zugabe des Höheren nicht zu verkennen, obschon die Eitelkeit ihres frühern Lebens, wenn gleich gedämpft durch das Abbrausen der Leidenschaft, doch auch in diesen Verhältnissen ihr noch immer unangenehme Streiche spielte und fromme, wie sonst elegante Männer sich ganz zuzueignen, andern zu entreißen trachtete. Woraus aber bestanden diese Versammlungen? Zuerst aus einer Zahl Gebürgsenthusiasten, eine eigne Bildung, deren heftiger Ernst und Ausdauer sie eigentlich zum Kern bestimmen, woran die andern geistigen Krystallisationen anschießen; dann aus den Melancholikern des Thales, die gleichsam das Element sind, in denen die Krystalle anschießen, und die selbst wie ein Ausfluß des Höchsten alles Lebendige tragen, fördern und umfassen, ohne selbst dazu zu gehören, und alle Schwächen der guten Frau durchschauten, ohne eine zu verletzen, ihre Richtung ehrend, der sie sich längst vor ihr hingegeben hatten. Daneben mag man sich die gemischten Bildungen unsrer Zeit denken, die entweder selbstthätig ein Zukünftiges zu schaffen suchen aus dem, was sie in sich vermissen, oder sich mit der Ahnung vom gelobten Land wie Moses begnügen müssen. Zwischen diesen Arbeitsbienen, die Überlebendigen, die Störer, die eiligen wandernden Schwalben, die den kurzen Sommer zu einer höheren Liebe noch benutzen wollen und emsig umherstreichen, wo sie ihr Nest anhängen, die thörichten Weisen, die weisen Thoren, verdammte Lieblingskinder des Himmels, von denen gesagt wird, sie hätten zu viel Herz, zu viel Gemüth. Den Schluß endlich macht etwas Meeresschaum, der nach dem Sturme aus dem nassen Sande zurückgeblieben ist und glänzen will, ich meine die Eitlen, welche einem vornehmen Umgange nachtrachten, dann die klagenden Möwen, die hier geduldige Anhörer zu finden hoffen, ferner einige neugierige Nachtigallen, die nicht merken wie sie gefangen werden, endlich auch wohl ein paar Schelme, die nach Strandgütern umherschauen, doch nicht viele, da man an dieser Küste mehr gestrandete Bücher als offene Geldsäcke erblickt. In dem Vorzimmer treiben sich wohl zuweilen Buch- und Systemmacher herum, welche die Zeit von da am besten zu fassen, ihr eine Schlinge wie einem wilden Pferde umzuwerfen meinen und nicht merken, daß ihre Schlinge, aus Papier gedreht, nicht halten kann.

Zuweilen wurde wohl feierlich im Unisono und nicht eben wohlklingend ein Psalmenvers gesungen, doch gemeiniglich eröffnete Miranda ihre feierlichen Reden sehr unerwartet mitten im Gespräch, weswegen jeder beachtete, was sie auch über gleichgültige Lebensverhältnisse sagte, weil es der Übergang zur Begeisterung sein konnte. An dieser Aufmerksamkeit übertraf diesmal niemand unsern Arthur, der, vom Rittmeister vorgestellt, zwar mit Georgine ein lebhaftes Gespräch über die alte Kirche in Zehenburg, dann über Ökonomie durchfocht, doch mit sichtbar getheilter Aufmerksamkeit, indem er stets nach den Äußerungen der nahen Mutter umblickte. Als Miranda über frühere Verwandtschaften ihrer Familien sprach, entwickelte er seine Kenntniß aller adligen Genealogieen, und erklärte auf Befragen es für sein Lieblingsstudium gleich den Arabern, nicht bloß die Ahnentafeln aller Familien, sondern auch aller edlen Pferde genau studirt und berichtigt zu haben. Er zeigte ein paar Stammtafeln, die, glänzend schön gemalt, schon seit der kurzen Zeit seines Aufenthalts eine Berichtigung erhalten hatten. Miranda fühlte wohl das Fremdartige dieser Untersuchung, aber sie wollte alles zum Guten wenden, und sprach von den ausgezeichneten Geschlechtern in der Bibel, suchte sie im Bösen und Guten darzustellen. Die Anstrengung der Rede bewegte ihr Blut, und rückwärts wirkend schien auch die Bewegung des Blutes ihren Geist zu beflügeln, wobei sie als ob es ihr wohlthue, sich einer taktartigen Bewegung überließ und eine goldne Nadel, die sie ihren Haaren entzog wie ein Zauberstäbchen zum Festhalten der einzelnen Hauptmomente brauchte, indem sie so lange dieselbe gegen einen Finger stellte, bis der nächste Hauptmoment sie zum folgenden Finger überführte. Bei dieser Rede war außer ihrer Bibelkenntniß, die selbst Ursprachen mitzubegreifen schien, auch ihre Naturkenntniß bewundernswürdig, indem sie genau zu bezeichnen wußte, was überall schon als Geschlechtseigenschaft bezeichnet war, und wie eng der Kreis individueller Entwicklung sowohl dem Menschen wie dem Thiere gezogen sei. Aber aus dieser Enge zeigte sie nun, wie sich eine unendliche Kraft in der Geschichte des Heils entwickelt habe.

 

Da diese Rede die Gesellschaft ohne Zusammenberufung überraschte, so war es natürlich, daß nicht gleich alle beisammen, daß vielmehr viele, in den Nebenzimmern zerstreut, sich in gleichgültigen Gesprächen über Schnupftücher mit Krucifixen gestickt und Hemden mit Dornen ausgenäht erlustigten, bis die Dornenblüthen aus dem Hauptzimmer sich allmälig alle im Hauptsaale sammelten, und nur etwa Taube oder Verliebte zurückblieben in der Zerstreuung. Zu den Zerstreuten, den Tauben und Verliebten gehörte diesmal auch Eduard, der Cornelien beim Anmachen des Thees behülflich gewesen und dabei ihre Schicksale sich hatte erzählen lassen, als sie nach dem Tode der Mutter kaum den engen, ewiggleichen Kreis des holländischen Theelebens verlassen hatte, auf dem Kaperschiffe ihres Vaters der ersten Seeschlacht beiwohnen und die Ladungen für die Kanonen umhertragen mußte. Es ist keine Prahlerei, sagte sie, aber ich war bei meiner Mutter so gewöhnt an das pünktliche Umhertragen der Theetassen, daß mir in dem Schiffe gar nicht anders zu Muthe war, ja ich hielt die schweren Patronen so sorgfältig im Gleichgewichte als wie Tassen, um nicht überzugießen.

Die Rede Mirandas war eben zur höchsten Erhebung des Geschlechts Davids gelangt, indem sie einige Minuten von der Größe ihres Gegenstands überwältigt schwieg, eigentlich um den Ausdruck zu suchen, der niemand Anstoß gebe. Die Versammlung, bisher zuweilen einredend, um Beweisstellen zu liefern, zuweilen auch dem körperlichen Drange des Hustens und Niesens ungern und gedämpft nachgebend, versank ehrfurchtsvoll in eine Stille der Erwartung, die den nie ruhenden Wurm in den alten Meubeln hörbar machte, dabei aber noch etwas viel zerstörenderes für das Herz, nämlich einen heftigen — Kuß, den Eduard seiner Cornelia in Bewunderung ihres Heldenmuthes gab, und der nur durch ihr bescheidnes Zurückweichen leider so unbescheiden ohrenkündig gerieth. Miranda fuhr auf, wie von kaltem Wasser überschüttet, und die ganze Versammlung wendete die Köpfe nach dem Theezimmer, ach und leider zwei schwächere Abdrücke des ersten Kusses folgten nach, freudige Eilboten; die ein und dieselbe wichtige Siegesbotschaft überbringen von einem Herzen zum andern, und von denen nur darum immer mehr als einer geschickt werden, damit doch unfehlbar der andre das Ziel erreiche, wenn auch der erste verunglücken sollte. Diesmal erreichten sie nun freilich alle drei die Herzen der Liebenden, aber wie plauderhafte Boten hatten sie unterwegs in allen Wirthshäusern ihr Geheimniß zum Verderben jener ausgebreitet, es hatte die Ohren der ganzen Versammlung mit verschiedenartigem Zusatz erfüllt. Der Rittmeister wischte sich den Mund, als ob er es innig bedaure ein solches Glück nicht mitgenossen zu haben, während Arthur den Kopf schüttelte. Georgine that als ob sie husten müsse, weil sie mit ihrem Scharfsinn den Grund ahnte, warum Eduard schon so lange von ihr vermißt worden, doch Miranda wurde nicht irre gemacht. Aus der Fülle ihrer Rede ins Trockne gesetzt ging die Heftigkeit ihrer innern Bewegung zur Neugierde über, auch zur stillen Verwünschung gegen die Störer. Pathetisch ergriff sie den großen zweiarmigen silbernen Leuchter, weil jenes Nebenzimmer nur von einer aussterbenden Astrallampe und von der flackernden Spirituslampe erhellet aus ihrem Standpunkte völlig dunkel schien. Aber jenes mondliche Helldunkel eben hatte die beiden Liebenden so dreist gemacht, unter dessen Schutze sie sich einander mit ernsten Schwüren zueigneten; Gelübde von denen jene Küsse nur das Siegel unter das Blanket waren, worauf sie kreuz und quer die näheren Bedingungen ihres Glückes eintrugen. Eben wollte Eduard mit einem neuen Kusse das Datum unterzeichnen, als jener Lichtschein in der Nähe ihn aufschreckte, den Miranda wie Vestas hohe Priesterin ihm drohend vorhielt. Aber sein Erschrecken lächelte so unschuldig, als Miranda feierlich ausrief: Eduard — bei meiner Kammerjungfer! daß Cornelia, die nur auf ihn blickte, sich nicht stören ließ, seine Hand in der ihrigen zu bewahren und mit ruhiger Fassung ihn fragte Eduard, — Was sagen wir nun? — Das hättest du auch bedenken sollen!— Du — Du — Du! sagte Miranda verwundert. — Eduard aber zog aus seiner Brieftasche eine Karte, schrieb mit Bleistift ein paar Worte darauf und übergab sie dem Rittmeister mit der Bitte, sie laut als fröhliche Botschaft vorzulesen. Dieser stellte sich gegen das Licht der Vesta und las mit lauter Stimme vor: Als Verlobte empfehlen sich der Kandidat Eduard von Sternenwurf und Cornelia von Picten. — Viel Glück dazu, sagte der Rittmeister. Indem er Cornelia nach einem General von Picten fragte, den er einst gekannt, erfuhr er daß dieser ihres Vaters Bruder gewesen und vor einigen Jahren bei der Rückreise aus Indien mit allen seinen Schätzen untergegangen sei und sie durch seinen Tod viel verloren hätten. — Er rettete mir im Kriege das Leben, sagte der Rittmeister, ich werde doch etwas für seine Nichte thun können, für die Tochter eines der ersten Häuser Schottlands, das mit seinen Königsgeschlechtern verflochten ist. — Eduard fügte noch die Nachricht vom Reichsadel hinzu, ja daß der Vater, wie er aus vielen Gründen vermuthe der eigentliche Verfasser jener berühmten Waverley-Novellen sei. Miranda hörte wenig daraus, denn sie mußte in dieser Stunde eine schwere Prüfung bestehen. Georgine, die ihre Heftigkeit wahrnahm, suchte sie zu bereden, sich nach der unangenehmen Störung in ihrem Wohnzimmer auszuruhen. Cornelia wollte vorleuchten, aber sie wies diese zurück und entfernte sich mit der Tochter in ernstem Schweigen.

Nun konnten sich mehrere Frauen nicht erwehren über den großen Unbekannten nähere Auskunft zu erbitten. Andre freilich thaten als ob sie nichts davon gelesen, aber der Rittmeister behauptete immer einen Band seiner Romane unter ihren erbaulichen Traktätchen versteckt gefunden zu haben, dessen sie sich auch nicht zu schämen brauchten, weil die Neugierde als neues Reizmittel das Vergessene und Abgenutzte wieder in Verbindung bringe mit dem noch ungewußten, und daß auch hier die Bewohner des Festlands auf diesem Wege zu einer Anschauung des Großen, Freien, öffentlichen und Selbstständigen jener brittischen Inseln gelangten und dies allmälig sich aneigneten. Cornelia wurde nun scharf beschaut, ob sie die Züge einer jener Heldinnen trage, die immer zur rechten Zeit aus irgend einer Vorstadt in jenen Büchern auftreten, um große Veränderungen mit kleiner Mühe möglich zu machen. Arthur, der inzwischen zu Miranda eingedrungen war, brachte die Nachricht daß diese sich von ihrem Unwohlsein hergestellt fühle und die Gesellschaft in ihr Wohnzimmer einlade. Sie lag ausgestreckt auf ihrem Ruhebette als die Gesellschaft eintrat und Georgine führte ihr Cornelien zu. Miranda sagte ihr, daß sie alles Drückende vergessen möchte was in dem bisherigen Verhältnisse gelegen. Sie bedaure daß sie ihre Familienverhältnisse und früheren Lebensereignisse nicht gekannt habe, sie würde sonst mit Vergnügen sie in Kreise eingeführt haben, die einer so hoch geachteten Fremden angemessen seien, wogegen sie es sich selbst zum Vorwurf mache, daß sie vielleicht unter den Dienenden manchen Leichtsinn in der Liebe habe anschauen müssen. — Cornelia hätte diesen Stich sehr wohl pariren können, denn sie hatte alle ihre Schicksale in Kürze berichtet als sie das Haus betreten, aber sie schwieg, weil sie Miranda die Rettung aus dem tiefsten Elende dankte. Miranda wünschte sie in ein andres Haus zu bringen, daß sie ihre Dienstzeit gänzlich vergessen möge und der Rittmeister schlug eine angesehene alte Engländerin dazu vor, die eine solche Gefälligkeit einer Landsmännin nicht abschlagen werde. Der Vorschlag wurde gebilligt und von dem Rittmeister sogleich ausgeführt, der Cornelia in seinem Wagen zu der ehrenwerthen Frau brachte.