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Isabella von Aegypten

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Auch Bella hatte die Frühlingsstimme gehört und lief unzähligemal von ihrer Arbeit ans Fenster, und so kam es, daß seit ein paar Tagen mit ihr eine so gerechte und natürliche Veränderung vorgegangen war. Sie hatte in der Abwesenheit des Kleinen, der die Zimmer nach der Straße bewohnte, einmal gerade zu der Stunde durch die Teppiche der dichtverhängten Fenster nur mit einem Auge gesehen, als der Erzherzog mit seinem Gefolge vorbeiritt, aber ein Schlag, mächtig wie jener, der sie auf dem Galgenberge betäubte, doch ohne jenes Schrecken, hatte ihre Erinnerung aufgeklärt, und wie das goldne Vlies an einer starken, unauflöslichen Kette um seinen Hals hing, so war sie an seinen Blicken hängen geblieben, das sanfte, liebe Lamm, mit ganzer Seele; und das alles, was sie vor dem Zauberschlage am Galgenberge in ihrer Seele für ihn gefühlt hatte, das war in der Einwirkung seiner hellen Augen ihr wieder ganz gegenwärtig geworden. Ja, als er vorbei war, schlug sie die Hände über den Kopf zusammen und weinte so heftig, weil ihr alles verhaßt war, was sie erlebt, was sie umgab, daß Braka herbeieilte und lange kein Wort ihr entlocken konnte und endlich selbst mit ihrem Troste in ein geselliges Heulen ausartete. Bella mußte sich einem in der Welt vertrauen, sie bekannte ihr endlich, wer ihr wieder erschienen, wie verhaßt ihr nun dieses Lernen im Stadtleben sei, wie froh sie jetzt im kleinen Hause vor der Stadt an den Bodenfenstern Frühling und Sommer in Nähe und Ferne überschauen könne, der jetzt kaum in einzelnen Baumspitzen und abgebrochenen Blumensträußen zu ihnen dringe. "Mutter", seufzte sie, "wie möchte ich still ungestört in einsamen Nächten durch die Fluren schauen und beten."

Als Braka das gehört, schlug sie lustig in beide Hände und sprach: "Sieh, verstehst du nun, was ich dir im Garten sagte, ehe wir nach Buik gingen? Nun, wenn's weiter nichts ist, da will ich dir schon Mittel schaffen, die dir besser helfen als Seufzen und Beten. Du sollst ihn haben, du mußt ihn haben, denn sieh, liebes Kind, das ist schon lange mein versteckter Plan mit dir, den auch die Oberhäupter unsres Volks billigen. Du mußt von diesem künftigen Erben der halben Welt ein Kind bekommen, das durch die Liebe seines mächtigen Vaters den zerstreuten Überbleib deines Volkes in Europa sammelt und in die heiligen Wohnplätze unseres Ägypterlandes zurückführt. Also weine nicht, das macht dir die Augen trübe, ich will ja nichts andres, als was dir lieb ist."

"Aber wie soll ich von ihm ein Kind kriegen?" fragte Bella. "Wird er es mir gleich ohne Umstände aus dem Brunnen holen, von dem mir der Vater erzählte, wo eines immer muß die Leiter halten, während das andre heruntersteigt?"

"Liebes Kind", sagte Braka mit verschmitzter Bosheit, "wenn du mit ihm allein bist, mußt du ihn recht dringend darum bitten; wenn er gerade in recht gnädiger Stimmung, so gewährt er es dir vielleicht im Augenblicke, und du wirst immer stark genug sein, ihm dabei die Leiter zu halten!"

"Ach, mein Karl ist gewiß gut, das sagte mir sein Auge, seine Stirn, als er im Vorbeireiten das Barett vor einem alten einbeinigen Kriegsknecht abnahm, er tut's mir gewiß zu Gefallen", rief Bella, "wir wollen es ihm durch den Kleinen sagen lassen."

"Um unsrer lieben Jungfrau harte Haut am Fuße bitte ich dich", sprach Braka und hielt ihr den Mund, "sage dem kein Wort, denn sieh, der würde es dir in seiner Bosheit nicht vergeben, daß du dich bisher stelltest, als sei er dein Schatz."

"Mein Schatz, nein, das war er nie", sagte Bella, "aber er war mir bis zu dieser Stunde lieb; jetzt wollte ich, wir hätten ihn oben stehen lassen beim Meerrettich, er scheint mir jetzt recht unmenschlich, ich weiß nicht, warum?"

"Nun, Kind", fuhr Braka fort, "darin kann ich dir nicht unrecht geben; ich hab mich lange gewundert, wie du so schmeichelnd zuweilen den garstigen Kniehoch auf deinen Knien reiten ließest, während er dir alles gebrannte Herzeleid antat, deine Zeichenbücher zu Papierknallen zerriß, Suppe auf deine Kleider schüttete. Aber sei klug, folge mir, laß dir nichts merken, wenn ich ihm die verfluchten Augen hinten einmal packen kann, reiß ich sie ihm aus, daß er das nicht entdeckt. Er muß uns Geld und Gelegenheit schaffen, daß wir den Erzherzog sehen; schmeichle ihm recht, daß du ihn liebst."

"Aber ist das nicht unrecht?" fragte Bella.

"Wie dumm", rief Braka, "wenn es ein Mensch wäre, ei nun, aber eine alte Wurzel, was kann man da für Unrecht tun, eine andre wird mir nichts, dir nichts klein geschnitten und gekocht; Ehre genug für diese, daß wir mit ihr wie mit einer Puppe zuweilen umgehen. Nun weiß ich wohl, es wird uns nicht leicht werden, seiner los zu werden, aber da hab ich mein Plänchen mit dem Bärnhäuter, der ist des Dienens zum Verzweifeln satt und müde und möchte sich gern wieder zu Grabe legen, der mag ihn mit dem Schatze nehmen. Hat dich der Erzherzog lieb, so brauchen wir keine solche Schätze, der wird uns nicht Hungers sterben lassen."

Bella, in ihrer Ungeduld nach dem Erzherzoge, ging alles ein, sie wollte sich gegen den Kleinen zärtlich stellen, und sie hatte in den nächsten Tagen schon Gelegenheit dazu, als er von dem Erzherzoge heimgekehrt war und ihr zum erstenmal von der Zukunft redete, wie sie sich in Gent vermählen und niederlassen wollten. Braka war gegenwärtig und fragte ihn listig, wie es denn mit seinem Kriegshandwerk jetzt stehe, ob er bald General oder Korporal sein würde.

Er lächelte selbstzufrieden und gab zu verstehen: seine Anstellung sei ziemlich unfehlbar, er vermochte alles über den Erzherzog; dann erzählte er ihnen, wie er mit diesem eine Zusammenkunft in Buik zur Kirmes verabredet hätte, sie möchten sich doch bei Frau Nietken einige artige Zimmer bestellen.

Braka war heimlich erfreut, wandte aber scheinbar ein, daß die Frau sie kenne und sie verraten möchte, doch freilich sei dies in Gent ebenso möglich, und mit Geld ließe sie sich leicht in ihr Interesse ziehen. Die Lustfahrt wurde also beschlossen und gleich die Schneiderinnen zu einem rechten Feststaate in Bewegung gesetzt; es entstand ein Geschicke nach allen Seiten, daß selbst der arme Bärnhäuter, trotz seiner kalten Leichennatur, schwitzen mußte. Dieser gute Kerl tat wirklich alles, was man nur von einem lebenden Menschen erwarten konnte, dabei aß er aber so gewaltig, daß seine irdische Natur ein frisches Leben gewann und er sich immer mehr überzeugte, er werde sie nicht mehr so geruhig zu Grabe bringen, wie sie sonst darin gelegen, auch erhob sich zuweilen ein solcher Streit zwischen dem lebenden und verstorbenen Körper in ihm, daß es ihm über der ganzen Haut zuckte und juckte. Ebensolcher Zwiespalt war in seiner Meinung von der Herrschaft: sein verstorbener Leib rechnete sich zu Herren Cornelius, sein neulebender war ganz der Frau Braka und der schönen Bella ergeben und achtete den Herren nicht mehr als einen Glückspilz. Wie nun die eine oder die andre dieser Seiten hervortritt, werden wir ihn bald für den einen, bald für den andern tätig sehen; doch verriet er keinen dem andern.

Alles war endlich zur Fahrt bereit. Der Wagen hatte dreifach bezahlt werden müssen, solch eine Menge Leute, die sonst im stillen Gewerbe lebten, hatten diesen Tag zum Auslüften sich erwählt. Da traten so viele verlegne Kleider ans Licht, da lärmten die Kinder so früh im Hause; aber nur die wenigsten konnten sich der Bequemlichkeit eines Wagens erfreuen, die meisten mußten sich in langen Reihen einen Weg durch das Korn drängen, um nicht im Staube des Fuhrweges zu ersticken; doch zogen andre diesen vor, weil viele die reichen, geputzten Kaufleute und den Adel nicht früh genug zu sehen meinten, wenn sie dort alle versammelt wären, sondern sie einzeln auf dem Wege dahin zu mustern wünschten. Insbesondere war aber die Schaulust durch die allgemein verbreitete Nachricht gespannt worden, daß selbst der Erzherzog im großen Staate des Vliesordens mit allen seinen Edelknaben und allen Rittern die Lustbarkeit der Buiker Kirmes mit seiner Gegenwart beehren werde, eine Herablassung, die ohne Beispiel war und die Vorsteher des Orts zu der gewaltigsten Anstrengung an Reden und Ordnungsgesetzen, Ehrenpforten und Blumenopfern begeistert hatte. Von einem sichtbaren Punkte zum andern waren Bauern mit Fahnen ausgestellt, durch deren Wink der Ausritt des Erzherzogs kundgetan werden konnte; bei jeder Fahne hatte sich ein Haufe Wanderer gesammelt. Dieser Prinz, der weniger mit dem Feste als mit seiner Liebe beschäftigt sein wollte, täuschte aber die allgemeine Neugierde, indem er sich ganz einsam mit Cenrio und Adrian in einer bedeckten Gondel einschiffte, um unmittelbar am Hause der Frau Nietken, wo Cenrio ihnen Zimmer bestellt hatte, abzutreten. Unterweges nahm er zum erstenmal einigen willigen Unterricht in der Dialektik bei Adrian, dem es eine Freude war, als der Prinz den Schluß erfunden hatte: Alle junge Männer sind verliebt, Cajus ist ein junger Mann, also ist Cajus verliebt. Der genannte Cajus war aber unser Erzherzog selbst, der dabei heimlich mit Cenrio lachte. Der Erzherzog war in den bloßen Gedanken an die schöne Unbekannte, die er an dem Tage sehen sollte, so verliebt, daß es ihm wie eine Überfahrt auf dem langsamen Styx zu einem neuen Leben schien, wo alles freier, wunderbarer, lieblicher und schrecklicher ihm erscheinen sollte. Adrian dachte heimlich an das Buch des Petrus Lombardus, wovon ihm Cenrio erzählt, daß er es bei einer Trödlerin gesehen, Cenrio an die künftige Gunst, die seiner warte, wenn der Erzherzog zur Regierung gekommen.

In solchen Gedanken landeten sie im Hofe von Frau Nietken, die, ungeachtet sie von Cenrio wohl unterrichtet war, doch sich stellte, als kennte sie ihre hohen Gäste nicht, und es bedauerte, daß ein paar Familien aus Gent ihr Haus in Beschlag genommen hätten. Adrian fragte, ob sie nicht in der Bibliothek unterkommen könnten, aber Frau Nietken lachte, daß ihr der Kader schwoll, sie hätte nur ein paar alte, wurmstichige Schwarten, die lägen in einer Bodenkammer, wo sich knapp ein Mensch umdrehen könnte. Adrian ließ nicht nach, bis sie dahin geführt wurden; erst dort sagte er ihr, daß ihrem Hause die Gnade heut geworden sei, den Erzherzog zu beherbergen, die Familien aus Gent würden wohl aus Achtung gegen ihn ein paar Zimmer nach der Straße frei machen. Das dicke Weib schien beinahe in die Knie zu fallen aus Verwunderung und Demut, küßte die Zipfel der erzherzoglichen Feldbinde und eilte in das Zimmer der Frau von Braka, um ihr anzuzeigen, daß der Erzherzog gekommen, daß sie ihm die benachbarten Zimmer einräumen und die Türen offen lassen wolle.

 

Der Kleine war in der Zwischenzeit mit dem Bärnhäuter schon auf den Jubelplatz in der Mitte des Orts gegangen, um den Erzherzog zu erwarten, von dem er sich recht viel Ehre versprach. Zu seinem Leid mußte er dessen Abwesenheit von Edelknaben des Prinzen erfahren, die vor dem Rathause, dessen prachtvoller alter Bau mit großen Fenstern und Türmen der einzige Rest von der ehemaligen Größe des Ortes war, alle Reden der Gemeindevorsteher, die auf den Prinzen berechnet waren, abhörten. Er wollte gleich nach Hause, um die fehlgeschlagene Erwartung mit dem Prinzen seinen Frauen anzukündigen; aber ein paar Vertraute Cenrios, die ihn auch kannten, nahmen ihn beiseite und sprachen ihm vor, warum er sich jetzt keine ansehnliche Stelle unter dem neuerrichteten Fähnlein vom Prinzen erbitte, den er so gut kenne und der ihm so gewogen. Der Kleine wurde ganz heiß vor eitler Lust bei diesem erwünschten Vortrage, der seinen Lieblingsgedanken zutage förderte, er ließ sich wohlgefällig mit den beiden in ein Gespräch ein, und als sie ihn auf ein Glas Wein in ein nahgelegenes Haus nötigten, schickte er den treuen Bärnhäuter an seine Frauen mit der Nachricht zurück, daß sie den Erzherzog nicht unnütz erwarten möchten, er sei ausgeblieben, einige wichtige Geschäfte hielten ihn mit Edelleuten des Hofes zurück, nachher wollte er ihnen die Zeit vertreiben. Die Zeit verging dem Kleinen sehr schnell, denn außer den schmeichelnden Freunden und dem guten Weine wirkte auf ihn der Rausch einer unendlichen Volksmenge, die sich mit Leib und Seele diesen drei lustigen Tagen aufopfern wollte und deswegen auch nicht die kleinste Zeit in dem angefangenen Werke zu verlieren strebte. Welche Vorräte an Fleisch, Kuchen und Brot wurden da teils von den Ankommenden ausgepackt, teils aus den Wirtshäusern geholt; es war ein Frühstück, wie sonst ein erstes Mittagsbrot nach dem Fasten, und sicher wäre den Heißhungrigen mancher der ungeheuren Bissen im Halse stecken geblieben, wenn sie nicht eine künstliche Schleuseneinrichtung mit Wein und Bier gemacht hätten, wodurch alles glücklich an seinen Ort hinuntergeschwemmt wurde. Die Niederländer verstehen so etwas vortrefflich, und die Städter waren in dieser Zeit so übermächtig reich durch Handel und Wandel mit aller Welt, daß ihnen alles einländische, unmittelbare Landeserzeugnis fast unbedeutend wenig kostete. Einem Reichen war es eine Kleinigkeit, Tausende durch Wohltaten zu sättigen, darum gab es eigentlich keine Notleidende in den Städten und nur Bettler, die in dem müßigen Leben ihre Freude fanden. Aber auch diese entzogen sich zu solchen öffentlichen Festen ihren Lumpen und trieben als Schauspieler in Königstracht ihren Mutwillen vor der Welt, deren Mitleid sie sonst anflehten. Einige Fässer, die mit Brettern überlegt waren, dienten ihnen zum Theater, ein Platzknecht, ein langes, ausgestopftes Kissen an der Peitsche, hieb auf die Kinder, die in ihrer Neugierde an das Theater heranklettern wollten; zugleich hatte er eine Schellenkappe mit Eselsohren auf dem Kopfe, sprach als Narr im Stücke und mit den Zuschauern. Unser Kleiner war ganz entzückt von dem Schauspiele. Die Geschichte des Menschen, der, von seiner Frau in einen Hund verwandelt, soviel vergebliche Versuche macht, sich den Leuten als ein vernünftiger Mensch zu beweisen, zog ihn so an, daß er so nahe kletterte, bis ihm der Platzknecht einen derben Schlag über den Rücken zog. Unser Kleiner glaubte sich vor den Augen aller Welt grimmig beschimpft, er zog seinen Degen und ging gegen den Schalksnarren an, der sich sehr lächerlich mit seiner ausgestopften Wurst gegen ihn verteidigte; alles schrie vor Vergnügen. Viele, weil sie den Spaß zwischen dem kleinen und dem großen Manne für eine verabredete Posse hielten, munterten beide auf; die Kinder kletterten auf die Schultern der Erwachsenen, andre stiegen auf Tische und auf die eisernen Stangen zwischen den Bogen des Rathauses, auf die Bäume, woran sie wie seltsame Früchte hingen. Die beiden Edelleute sahen diesem Ritterzug ihres Schutzempfohlnen eine Zeitlang mit ungemeiner Freude zu, als er aber dem Narren ein kleines Loch in die Wade mit seinem Degen gestochen, da fürchteten sie für ihn, denn die Zuhörer waren mit dieser Störung gar nicht mehr zufrieden, und ein Bauer sprach schon davon, ihm Nase und Ohren abschneiden zu wollen. Sie griffen ihn deswegen, steckten ihn unter ihre Mäntel und trugen ihn, so heftig er sich sträuben mochte, in das erste beste Haus, was sich ihnen öffnete. Der Zufall wollte, daß es das Haus der guten Frau Nietken war, die wegen einer Zahl feiler Stadtjungfern, die ein paar Zimmer gemietet hatten, diese Türe stets offen lassen mußte, damit die Menschen so unbemerkt wie möglich einschlüpfen konnten. Welch eine Freude dieser Jungfern über die beiden schönen Edelleute und über den kleinen Zwerg, denn so nannten sie ihn, bis er grimmig auf sie einging und sich als einen jungen Offizier ihnen kund gab. Es gab tausend Spaß mit ihm, wir wollen ihn nicht wiederholen; aber der Mutwille der Edelleute, die Frechheit der Weiber und der Hochmut des Kleinen trieb sich wie Kreisel und Peitsche, und wurde der Kleine ungeduldig und wollte ausreißen, da schrien ein paar, als stände der Narr mit den Bauern noch vor der Türe und wollte ihm die Ohren abschneiden.

Wie benutzten diese Zeit die Verliebten? Der Erzherzog hatte kaum sein Zimmer betreten, so horchte er an der Türe und merkte, daß die beiden Frauen im Nebenzimmer wären; er bat Cenrio, ihm einen Bohrer zu verschaffen. Dieser holte in aller Eile den Anbrechbohrer eines Weinküpers, der im Hofe ein Ohmfaß abgezogen hatte: das ging vortrefflich; ganz leise konnte er durch die Türe dringen, bis der erste feine Punkt der Spitze hindurch sah, während sein Auge sich in die breite Höhlung einlegen konnte. Schade war's, daß die Mühe unnütz, denn die Türe war seinetwegen offen gelassen. Wie pochte sein Herz, und er wußte doch nichts davon, als er nun zum erstenmal hindurchblickte, und wie fuhr er zurück und fühlte sich an den Kopf, als ihm das verschönerte Bild desselben Geistes, der ihn damals im Landhause geneckt hatte, vorüberschwebte. "Cenrio", sagte er, "Wir sind in den Händen von wunderbaren Geistern, wir glaubten mit ihnen zu spielen, und sie spielen mit uns; ich möchte fliehen, aber ich kann nicht, sie ist zu schön!"

Cenrio war verwirrt.

"Es ist derselbe Geist, der mich schon damals im Anfange des Winters im Landhause verjagte, aber er ist menschlich gewachsen, und ich widerstehe ihm nicht mehr; schaff Rat, wie ich sie sprechen kann, ich könnte ihr jetzt alles sagen."

"Ich hab es wohl gedacht ", sprach Cenrio, "zum Glück können wir frei schalten mit der Zeit; Adrian sitzt eben in der hitzigsten Arbeit, um zu beweisen, daß der von mir geschmiedete Anhang zum Lombardus nicht echt sei; zum Überfluß habe ich noch die Türe seines Vorzimmers zugeschlossen, so daß er uns nicht überraschen kann. Nun will ich Euch, mein Prinz, meinen Vorschlag sagen: das junge Mädchen leidet an Kopfweh, Ihr müßt den Arzt vorstellen, so seid Ihr allein bei ihr, und die Worte werden sich im Pulsfühlen schon finden."

Wirklich war Bella durch die Vorbereitungen zur Fahrt, durch die schlaflose Nacht und die Hitze unwohl geworden, und Frau Nietken hatte eigentlich diese Erfindung gemacht, die beiden Sehnsüchtigen zusammen zu bringen. Der Erzherzog hatte sehr bald einen großen, schwarzen Doktormantel und darüber Aderlaßkram, Pflasterzeug und Klistierspritze gehängt, so trat er zagend in das Zimmer, von Frau Nietken geführt, die ihn für einen spanischen Doktor ausgab. Bella erkannte ihn beim ersten Blicke, und Neigung und Beschämung drückten sie ebenso nieder, wie Braka die Einwirkung der fürstlichen Gegenwart; jene verbarg ihr Angesicht im Schleier, diese schlüpfte mit einer tiefen Verbeugung in ein Nebenzimmer. Die beiden Liebenden waren nun allein, und alles konnte sich schnell und glücklich erklären und entscheiden; der Erzherzog, welcher aber mit keinem Mädchen vertraulich geworden, brachte kein andres Wort als Pulsfühlen heraus, "Pulsfühlen" wiederholte er, "Pulsfühlen" sagte er zum drittenmal. Bella reichte ihm den weißen, runden Arm, er fühlte an einer Fingerspitze, dann spielte er mit dieser, wollte wieder etwas sagen, wahrscheinlich von der Erscheinung in dem Landhause, brachte aber nichts heraus als: "Geist, Geist gesehen"; dabei schob er ihr einen Ring an den Finger, welches wir als den Triumph seiner Überlegung ansehen müssen. Hier endete sein ruhiges Glück, denn mit großem Gepolter brach der verfluchte kleine Wurzelmann, der sich bei den Mädchen bespitzt hatte und der Aufsicht der Offiziere entflohen war, ins Zimmer, sprach verwirrt von seinem künftigen Regiment und erkannte nicht Bella, die auf dem Sofa lag. Der Erzherzog bekam aber im Augenblicke seine ganze Fassung wieder, er bat ihn, daß er eine Kranke nicht stören möchte, insbesondre da sein Aussehen verriete, er werde nicht lange mehr zu den Lebendigen gehören. Der Kleine stutzte, die Edelleute traten herein und bestätigten ihm, er sei sehr verändert und müsse wohl von der Pest angesteckt sein, weil er sich heute unter so mancherlei Leuten umhergetrieben habe. Bei dieser Vermutung wurde er ganz hinfällig, die Kraft des Weines und seine Beine wollten ihn nicht mehr halten; der Erzherzog warf ihm geschickt ein großes Pflaster, das er in seinem Doktorapparate fand, über das Gesicht; der Kleine behauptete, ihm werde ganz dunkel vor den Augen. Die Edelleute versprachen ihm in geheucheltem Mitleiden, ihn nach Hause zu tragen, denn bis jetzt hatte er weder das Zimmer noch seine Geliebte erkannt, und schleppten ihn wirklich aus dem Zimmer.

Braka war in der Zeit auf der Folter gespannt gewesen. Die Liebe des Erzherzogs hatte sich noch nicht erklärt und seine Freigebigkeit war nicht so weltkundig, im Gegenteil hatte sie von Frau Nietken erfahren, daß er etwas im Rufe der Knauserei stehe; der Alraun dagegen konnte so viel Schätze entdecken, als irgend in der Welt verborgen wären, er kümmerte sich durchaus nicht, wie das Geld verwendet würde, solange es ihm selbst nicht fehlte. Störten die beiden Liebhaber einander gegenseitig, so entgingen ihr vielleicht alle Hoffnungen für die Bequemlichkeit ihres künftigen Lebens, und die großen Absichten für ihr Volk wurden auch nicht erfüllt. Der Erzherzog war jetzt wieder allein mit Bella, er hatte mehr Mut gewonnen, sie aber war besorgt und erzürnt, wie es ihrem Kleinen gehen möchte; sie äußerte das, und er nahm es nicht ohne eine kleine Eifersucht auf. Er fragte mit einem gewissen Stolze, ob es ihr Bräutigam wirklich sei, und verlor in Erwartung ihrer zögernden Antwort so gänzlich alle Haltung, daß er seine vergebliche Doktorrolle aufgab und sich ihr als Erzherzog darstellte. Sie konnte sich zu wenig verstellen, um sich darüber zu verwundern, und so waren sie miteinander in einem Vertrauen, ehe sie einander etwas vertraut hatten. Endlich sagte Bella, daß die Vermählung mit ihrem Vetter nur ihrer Mutter, nicht ihr Wille sei. Der Erzherzog beschwor sie jetzt, dem Willen ihrer Mutter nicht so gänzlich nachzugeben, daß sie Lebensglück und Schönheit der Trauer einer unglücklichen Verbindung hingebe; von seiner Liebe schwieg er. Bella stotterte, wie es ihr vorgeschrieben war, daß ihr Vermögen ganz in der Gewalt dieses reichen Vetters sei, daß sie dem Wunsche ihrer Verwandten sich ergeben müsse, insbesondre da sie niemand in der Welt kenne, der sie gegen den Zwang derselben schützen möchte. Der Erzherzog versicherte ihr jetzt, daß jede Kränkung, die sie erfahren würde, unerbittlich von ihm bestraft und gerächt werden sollte. Diese Worte führten eine Liebeserklärung herbei, die nicht nur die beiden Verklärten, sondern auch die horchende Braka von einer schweren Last befreite. Wie schwer fiel es aber plötzlich auf das Herz der Alten, als Bella, die von der Liebe zum Erzherzog durchdrungen, jede Falschheit verfluchte, ihm zu Füßen fiel und ihn bei seiner Liebe beschwor, sie nicht zu verachten, wenn sie ihn betrogen, sie sei nicht, wofür sie sich ausgegeben, die Tochter ihrer Begleiterin, sie sei die Tochter—hier erstickte die Stimme in einem Tränenstrom. Einer der Edelleute, die den Kleinen begleitet hatten, trat herein und meldete dem Erzherzog, er möchte sich in sein Zimmer zurückziehen, der Kleine lasse sich nicht mehr halten; sie führten ihn durch Umwege in dasselbe Haus zurück, woraus sie ihn fortgeführt, er halte sich für todkrank. Der Erzherzog sprang fort, entrüstet, in seiner ersten Neigung betrogen zu sein. Bella ging in das Nebenzimmer, weil es in ihrem Gemüte noch von den Blättern nachregnete, nachdem der erste Gewitterschauer verzogen.

 

Der Kleine ließ sich die Treppe vom Bärnhäuter hinauftragen, der ängstlich nach der gnädigen Frau rief, weil er das Ende seines guten Dienstes fürchtete. Als Braka kam, rief der Kleine ihr mit schwacher Stimme entgegen, er sei von der Pest so schwach, daß er auf seinen Füßen nicht mehr zu stehen vermöge, alles gehe mit ihm herum, er sehe gar nichts mehr, und seinen Gedanken hinke er mit der Zunge so weit nach, daß er es fast aus den Augen verloren, was er eben sagen wolle. Braka stellte sich sehr mitleidig und erschrocken; Bella hatte bei seiner sichtbaren Blässe einiges Bedauern.

"Ach", seufzte der Kleine, "wenn ich nur den Doktor festgehalten hätte, der mir die Pest gleich angesehen, vielleicht weiß er auch ein Mittel dagegen."

"O", sprach Braka, "die Pest habe ich oft schon kuriert, ich lege ein Kraut in lauwarmes Wasser, und davon trinkst du alle fünf Minuten eine Tasse, so wird alles glücklich vorübergehen."

"Schnell, schnell", sprach er und versank in einen dumpfen Rausch, währenddessen ihn der Bärnhäuter auszog und auf den Sofa legte, mit Decken wohl verhüllt. Braka flößte ihm von Zeit zu Zeit eine Tasse heißes Fenchelwasser ein, wie die kleinen Kinder zu bekommen pflegen. Entsetzliche Übelkeiten erweckten ihn, endlich erleichterte sich die Natur von dem Überflusse des Weines, womit die Ehre des Zutrinkens sie überfüllt hatte; schluchzend und stöhnend sprach er: "Wo mag der Doktor jetzt sein, den ich im anderen Hause sah, wäre der Mann nur zu finden, er könnte mir wohl noch helfen, ich habe so ein Zutrauen zu ihm, da er mir die Krankheit gleich angesehen; macht doch die Türe auf", fuhr er fort, "es wird hier so heiß."

"Die Türe ist verschlossen", sagte Bella, "der Erzherzog ist dort eingezogen."

"Der Erzherzog!" Bei diesem Worte sprang der Kleine, wie er war, aus dem Bette, konnte sich aber taumelnd nicht halten, sondern sank in das Waschbecken.

"Der Erzherzog ist hier, und ich kann ihn nicht um meine Hauptmannsstelle ansprechen, ich versäume mein ganzes Glück, wenn ich sterbe."

Der Bärnhäuter rollte ihn wieder ins Bette, aber der Kleine weinte bitterlich und jammerte nach dem Arzte, den er unterwegs gesehen. Braka entschloß sich endlich, indem sie ihm versprach, alle Sorgfalt anzuwenden, den Mann zu entdecken, zu Frau Nietken zu gehen und durch diese den Prinzen noch einmal als Arzt kommen zu lassen. Der Erzherzog zog aber sein Messer gegen diese Frau und befahl ihr mit drohender Stimme, ihm zu sagen, was sie von den Fremden wüßte, die vielleicht von einem Feinde seines Hauses zu seinem Verderben gesendet wären. Frau Nietken ließ ohne Rückhalt alle Geheimnisse von sich gehen; sie sagte, daß Braka eine alte Zigeunerin sei, die sie lange gekannt, daß diese in einer Nacht mit der schönen Bella und dem Kleinen zu ihr gekommen und sich nach Gent habe fahren lassen, wo sie bekanntlich viel Geld ausgegeben. ihr Kind sei Bella gewiß nicht, dafür wolle sie stehen, ob aber das Mädchen aus einem hohen Hause, dafür wolle sie nicht einstehen, doch sei es so ihre Philosophie. Geraubt sei das Mädchen aber nicht, denn sie habe mit der Alten zugleich befehlend und doch mit Liebe gesprochen, unter sich in einer fremden Sprache, die sie für französisch gehalten.

Dies verwandelte die ganze Ansicht des Prinzen, erst glaubte er sich in der Falle einer Buhlerin, jetzt meinte er ernstlich, daß es die französische Prinzeß sein könnte, deren Heirat mit ihm von dem französischen Hofe gegen den Willen seines Großvaters betrieben wurde. Es ist bekannt, daß sein späteres politisches Talent in seinen früheren Jahren, die sich ganz zur körperlichen Ausbildung hinneigten, wenig durchschien, er hielt so manches für möglich, was ein andrer bezweifelt hätte, und Cenrio war eben mit Adrian zu beschäftigt, um ihm zu raten, er nahm also die Bitte, als Arzt wieder zu erscheinen, mit einer gewissen Ehrfurcht an, welche die zitternde Frau Nietken sehr überraschte.

Er machte sich jetzt durch einige Züge mit Kohle in den Augenbrauen und vor der Stirn unkenntlicher und ließ sich in das Krankenzimmer führen. Der Kleine war entzückt, ihn zu hören; der Erzherzog befragte ihn sehr ernstlich nach allen Kennzeichen. Der Kleine erzählte von dem wüsten Kopfschmerz, von der Übligkeit, vom Aufstoßen, von der gänzlichen Dunkelheit seiner Augen und wie er über sein ganzes Gesicht einen Ausschlag spüre (seine Augen im Nacken hervorzubringen schämte er sich vor den Leuten, auch hatte er sich ihrer in der guten Gesellschaft längst entwöhnt; endlich sagte er, daß er sein ganzes Glück versäume, wenn er nicht bald hergestellt wäre, weil der Erzherzog im Nebenzimmer seinetwegen angekommen sei und die Stellen im neuen Fähnlein wahrscheinlich in diesen Tagen vergebe:

"Ach, lieber Herr Doktor", rief er in seiner militärischen Begeisterung, "wenn ich so wegstürbe, hätte mich die Welt nie in dem Glanze und der Herrlichkeit gekannt, wozu meine Abstammung und mein Mut mich berechtigen; oft kommt es mir vor, als wenn böse Zauberer der wahren Verwandlung meines Lebens entgegenstreben."

Der Erzherzog hörte ihn geduldig an und konnte sich das alles wiederum nicht mit der fremden Prinzessin reimen, es sei denn, daß er ein von der alten Fee verzauberter Prinz sei, wie damals die Geschichten in spanischen Romanen häufig umliefen. Dieser Gedanke, zusammengehalten mit der Erscheinung im Landhause, setzte ihn in ein gewisses Staunen, was ihn leicht hätte verraten können, wenn der Kleine nicht allzu berauscht gewesen wäre und seine ahndenden Augen hätte brauchen dürfen. Endlich faßte doch der Erzherzog einen Entschluß, sagte ihm, das Mittel der gnädigen Frau sei wohlerdacht, er müsse sich jetzt ganz mit Decken überspannen und einwickeln lassen, um in einer recht gewaltsamen Dünstung den Kern des Übels auszutreiben. Vergebens seufzte der Kleine, er erschrecke vor sich selbst, als wenn er einen glühenden Ofen anfasse; Braka warf ihm mit beredter Zunge eine Decke nach der andern über, band sie zusammen und entfernte sich mit dem treuen Bärnhäuter unter dem Vorwande, als ob sie dem Kleinen etwas zu seiner Erfrischung schaffen wolle. Der Erzherzog war jetzt wieder mit Bella allein, doch mußten sie aus Rücksicht gegen den eingepackten Kranken jedes laute Wort vermeiden; auch war Bella noch sehr beschämt, als der Erzherzog sich auf ein Knie niederließ und zu ihr sprach: "In welchem schönen Bekenntnisse sind Sie gestört worden, Angebetete, ich ahnde, Sie sind eines edlen Fürsten Tochter, ich ahnde alles, was Sie mir zu sagen haben, aber ich wünschte die Gewißheit aus Ihrem Munde, die Gewißheit Ihrer Liebe, die allen Glanz Ihres Standes aufgegeben hat, um dem verhaßten Zwange der Politik zu entgehen. Nichts soll uns scheiden, ich kenne meine Niederländer, sie kennen ihre Freiheiten und werden auch meine Freiheit schützen, und selbst wenn die Gewalt über uns siegte, trägt uns das Meer zu einer neuentdeckten reicheren Welt!"