Schuldrecht Allgemeiner Teil II

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Aus der Reihe: JURIQ Erfolgstraining
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a) Bestand des Anspruchs zum Fälligkeitstermin

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Logischerweise setzt die „Fälligkeit“ des Anspruchs voraus, dass der Anspruch zum Leistungstermin besteht und nicht – aus welchem rechtsvernichtenden Einwendungstatbestand auch immer – erloschen ist.

b) Einredefreiheit

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Zur vollständigen Durchsetzbarkeit des Anspruchs gehört auch die Einredefreiheit.[11] Wenn der Schuldner zur Verweigerung der Leistung berechtigt ist, verhält er sich nicht pflichtwidrig und kann nicht in Verzug geraten, wenn er die Leistung nicht erbringt.

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Unterschieden werden dilatorische (aufschiebend hemmende) und peremptorische (dauerhaft hemmende) Einreden.

Beispiele für dilatorische Einreden

Stundung oder §§ 273, 320, 348, 410 Abs. 1 S. 1, 771, 1000, 1382, 2014, 2015

Beispiele für peremptorische Einreden

§§ 214, 821, 853, 1381, 2083, 2345

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Nach herrschender Auffassung führt grundsätzlich allein das objektive Bestehen einer Einredelage dazu, dass eine Leistungsverzögerung ausgeschlossen ist, sofern der Schuldner sich auf die Einrede spätestens im Prozess noch beruft.[12]

Hinweis

Da die Erhebung der Einrede selbst eine neue Tatsache ist, kann sie aus prozessualen Gründen in der Revisionsinstanz nicht mehr erfolgen (vgl. § 559 ZPO).[13] Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Einredelage in den unteren Instanzen noch nicht bestand und unstreitig ist.[14]

Beispiel 1

K hat von V einen Pkw gekauft, der bei Übergabe gewährleistungspflichtige Mängel aufweist. K zahlt den Kaufpreis nicht. K kann sich gleichwohl nicht mit der Kaufpreiszahlung in Verzug befinden, da ihm wegen seines Anspruchs auf Nacherfüllung nach §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 ein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 Abs. 1 S. 1 zusteht.[15] Dies gilt auch dann, wenn sich K zunächst auf diese Einrede nicht berufen hat, sondern „stumm“ keine Zahlung leistet.

Beispiel 2

Der Fahrradhändler A betreibt auch eine Reparaturwerkstatt und soll das Fahrrad des B reparieren. Als Abholtermin ist der 10.5. vereinbart. Am 10.5. ist das Fahrrad noch nicht fertig, da A die Sache vergessen hatte. Einem Verzugseintritt steht nicht entgegen, dass B die gem. §§ 631 Abs. 1, 632 geschuldete (übliche) Vergütung noch nicht gezahlt hatte. Insoweit steht dem A die Einrede aus § 320 nicht zu, da die Vergütung nach § 641 Abs. 1 S. 1 im Zweifel erst bei Abnahme zu zahlen und A deshalb vorzuleisten verpflichtet ist (§ 320 Abs. 1 S. 1 Hs. 2).

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Eine Ausnahme macht die herrschende Meinung allerdings bei der Einrede aus § 273 (bzw. § 369 HGB) und aus § 410 Abs. 1 S. 1.

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Lesen Sie dazu bitte auch die Vorschriften in §§ 232–240, 271 Abs. 3 S. 2 durch.

Bei § 273 erklärt sich dies daraus, dass der Gläubiger nach § 273 Abs. 3 S. 1 die Möglichkeit hat, die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch eine Sicherheitsleistung abzuwenden.

Der Schuldner handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er sich später auf sein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 beruft, ohne dem Gläubiger früher Veranlassung gegeben zu haben, die Wirkung dieser Einrede durch Sicherheitsleistung abzuwehren.[16] Gleiches gilt für das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht aus § 369 HGB wegen § 369 Abs. 4 HGB.

Beispiel

Der Automechaniker A hat den Wagen des B zum zweiten Mal zur Reparatur gebracht. Die Abholung ist für den 15.6. vereinbart. Aus der ersten Reparatur ist noch ein Betrag von 400 € offen. Am 15.6. erscheint B vergebens, da das Auto zwar repariert, aber die Werkstatt wegen Kurzurlaubs des A geschlossen ist. Hier kommt ein Verzug des A wegen der gem. § 633 Abs. 1 geschuldeten Herausgabe („Verschaffung“) des reparierten Fahrzeuges in Betracht. Dieser ist hier nicht deswegen ausgeschlossen, weil B die frühere Reparatur nicht bezahlt hatte. Dem A steht zwar insoweit eine Einrede aus § 273 Abs. 2 Hs. 1 Var. 1 zu, aber diese schließt den Verzug nur bei Geltendmachung durch den A aus, an der es hier fehlt. Auch die Einrede aus § 320 steht A nicht zu, da die Vergütung nach § 641 Abs. 1 S. 1 im Zweifel erst bei Abnahme zu zahlen und A deshalb vorzuleisten verpflichtet ist (§ 320 Abs. 1 S. 1 Hs. 2). Auch wegen der Abnahmepflicht des B aus § 640 Abs. 1 S. 1 scheidet ein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 aus, da diese Pflicht eine abnahmefähige Verschaffung des Fahrzeugs voraussetzt.[17]

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Im Fall des § 410 Abs. 1 S. 1 folgt die Ausnahme aus der Regelung in § 410 Abs. 1 S. 2 Var. 2.[18] Nach § 410 Abs. 1 S. 1 ist der Schuldner einer abgetretenen Forderung dem neuen Gläubiger nur gegen Aushändigung einer vom bisherigen Gläubiger über die Abtretung ausgestellten Urkunde zur Leistung verpflichtet. Diese Vorschrift begründet ein Leistungsverweigerungsrecht und damit eine vorübergehend hemmende („dilatorische“) Einrede.[19]

Hinweis

§ 410 Abs. 1 S. 1 begründet keinen Gegenanspruch auf die Aushändigung einer Abtretungsurkunde, so dass nicht auf das allgemeine Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 zurückzugreifen ist. Der Einredecharakter folgt vielmehr direkt aus dem Tatbestand des § 410 Abs. 1 S. 1.[20]

Aus welcher Norm ergibt sich, was der Gesetzgeber unter „unverzüglich“ versteht?

Nach § 410 Abs. 1 S. 2 ist eine Kündigung oder Mahnung dem Schuldner gegenüber unwirksam, wenn der Gläubiger sie ohne Vorlegung der Abtretungsurkunde vornimmt und der Schuldner sie aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist.

Diese Regelung wäre unsinnig, wenn das bereits bloße Bestehen des Einrederechts aus § 410 Abs. 1 den Verzug ausschließen würde. Die Mahnung wäre dann ja mangels „Fälligkeit“ i.S.d. § 286 Abs. 1 stets unwirksam, unabhängig davon, ob der Schuldner die Zurückweisung ausspricht oder nicht.[21]

Das Zurückbehaltungsrecht aus § 410 Abs. 1 S. 1 wirkt damit wie das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 und schließt die Verzögerung nur aus, wenn und sobald es vom Gläubiger geltend gemacht wird. Eine rückwirkende Beseitigung der Verzugsfolgen ist durch Erhebung dieser beiden Zurückbehaltungsrechte nicht möglich.[22] Solange der Schuldner die Einrede nicht erhebt, ist der Gläubiger nicht gehalten, von sich aus tätig zu werden und die Aushändigung der Abtretungsurkunde anzubieten. Anlass hat er dazu erst, wenn der Schuldner zum Ausdruck bringt, nur gegen Vorlage der Abtretungsurkunde leisten zu wollen.

 

Beispiel

V hat M ein Haus mit Garten vermietet. Der Mietzins ist nach der vertraglichen Vereinbarung jeweils am 3. Werktag eines Monats im Voraus zu zahlen. M hat die Miete für die Monate Mai und Juni nicht entrichtet. Im Juli veräußert V das vermietete Hausgrundstück an den Z und tritt ihm die Ansprüche auf die ausstehenden Mieten ab. Im August wird Z als neuer Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Z teilt M mit, dass er nun gem. § 566 Abs. 1 als neuer Eigentümer in die Rechte und Pflichten des V eingetreten sei und ihm die Ansprüche auf die rückständigen Mieten abgetreten worden seien. Da M die offenen Mieten immer noch nicht bezahlt hat, spricht Z im September formgerecht die fristlose Kündigung aus.

M bittet Z darauf, ihm noch drei Monate Stundung zu gewähren. Z weist dies zurück und fordert M zur Räumung auf. Im November lässt M dem Z über seinen Anwalt mitteilen, die Kündigung sei unberechtigt, da Z ihm immer noch keine Abtretungsurkunde des V vorgelegt habe und er deshalb die offene Miete an ihn nicht habe zahlen müssen.

Ist die Kündigung wirksam?

Die formgerechte Kündigungserklärung des Z hat das Mietverhältnis dann wirksam beendet, wenn Z zur Kündigung berechtigt war. Das außerordentliche Kündigungsrecht des Z könnte sich hier aus § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3a Var. 1 i.V.m. § 566 Abs. 1 ergeben. Dies setzt voraus, dass M mit der Entrichtung für zwei aufeinander folgende Termine in Verzug war. M hatte die Miete für die Monate Mai und Juni, also für zwei aufeinander folgende Termine, nicht gezahlt. Im Verzug befindet M sich nach § 286 aber nur dann, wenn der Z einen fälligen Anspruch auf die Miete für diese beiden Monate hatte und die weiteren Voraussetzungen des § 286 vorliegen. Nach der vertraglichen Vereinbarung war die Miete jeweils am 3. Werktag eines Monats zu zahlen. Einwendungen gegen den Bestand dieses Anspruchs sind nicht ersichtlich. Möglicherweise steht der Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs und damit seiner „Fälligkeit“ i.S.d. § 286 aber entgegen, dass M nach § 410 Abs. 1 S. 1 nur gegen Vorlage einer Abtretungsurkunde zu leisten verpflichtet ist. Daraus ergibt sich für M ein Zurückbehaltungsrecht, das geeignet ist, den Eintritt der Verzugswirkungen solange zu verhindern, bis der Gläubiger eine Abtretungsurkunde vorlegt. Allerdings hatte M sich bis zum Zeitpunkt der Kündigung auf diese Einrede nicht berufen. Aus § 410 Abs. 1 S. 2 Var. 2 folgt, dass der bloße Bestand der Einrede aus S. 1 den Eintritt des Verzuges nicht verhindern kann, sondern nur die unverzügliche Geltendmachung dieser Einrede. Andernfalls wäre die in § 410 Abs. 1 S. 2 Var. 2 angeordnete Unwirksamkeit der Mahnung bei unverzüglicher Zurückweisung wegen Nichtvorlage der Urkunde sinnlos. Die später erfolgte Geltendmachung wirkt deshalb nicht zurück und kann daher die verzugsbegründende Fälligkeit des Mietzinsanspruches nicht mehr verhindern. Auch die weiteren Verzugsvoraussetzungen liegen hier vor.

Da M sich auch nach Zugang der Kündigung nicht unverzüglich (§ 121 Abs. 1 S. 1) auf seine Einrede aus § 410 Abs. 1 S. 1 berufen hat, ist die Kündigung auch nicht nach § 410 Abs. 1 S. 2 Var. 1 als unwirksam anzusehen. Das Mietverhältnis ist damit wirksam beendet worden.

3. Kein Annahmeverzug des Gläubigers

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Annahmeverzug des Gläubigers

I. Nichtannahme der wie geschuldet angebotenen Leistung

1.tatsächliches Angebot der Leistung, § 294

2.keine Annahme der Leistung durch Gläubiger, § 293

3.oder kein Angebot einer fälligen Vorauszahlung, § 298

4.Ausnahme bei ungewissem Leistungstermin, § 299

II. Vorzeitige Ablehnung der Leistung durch Gläubiger

1.Ablehnung der Leistungsannahme, § 295

2.Wörtliches Angebot des Schuldners, § 295

3.Leistungsfähigkeit des Schuldners, § 297

III. Unterbliebene Mitwirkungshandlung des Gläubigers

1.Kalendermäßig bestimmbarer Mitwirkungstermin, § 296

2.oder Aufforderung durch Schuldner, § 295

3.Keine Vornahme der Mitwirkungshandlung

4.Leistungsfähigkeit des Schuldners, § 297

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Eine Leistungsverzögerung kann naturgemäß nur vorliegen, wenn der Schuldner trotz Fälligkeit und Durchsetzbarkeit nicht leistet. Anders als § 362 Abs. 1 sprechen die gesetzlichen Verzögerungstatbestände nicht davon, dass die Leistung bei Fälligkeit „bewirkt“ sein muss. „Bewirken“ meint, dass der geschuldete Leistungserfolg durch Vornahme einer Leistungshandlung herbeigeführt worden sein muss.[23] Vielmehr heißt es in den §§ 281, 286 und 323, dass der Schuldner die fällige Leistung „nicht erbringt“ (§§ 281, 323) oder „nicht leistet“ (§ 286).

Diese Formulierungen zeigen, dass der Gesetzgeber eine Pflichtverletzung im Sinn einer Leistungsverzögerung nur dann bejaht, wenn der Schuldner noch nicht einmal die seinerseits erforderliche Leistungshandlung vorgenommen hat.

Eine Leistungsverzögerung liegt folglich bereits dann nicht vor, wenn der Schuldner die Leistungshandlung in einer den Annahmeverzug (§§ 293 ff.) begründenden Weise vorgenommen hat.[24] Dann hat er das seinerseits zur Leistung erforderliche getan und seine Leistungspflicht nicht verletzt. Annahmeverzug und Leistungsverzögerung schließen sich gegenseitig aus.

Die Voraussetzungen für den Annahmeverzug (= Gläubigerverzug) richten sich nach §§ 293–299.

a) Anbieten der Leistung

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Erforderlich ist nach § 293 zunächst, dass dem Gläubiger die Leistung überhaupt angeboten wird. Unter den Voraussetzungen der §§ 267, 268, 1150, 1249 kann auch ein Dritter die Leistung i.S.d. § 293 anbieten, wenn er die Leistung anstelle des Schuldners bewirken will.

aa) Tatsächliches Angebot, § 294

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Wiederholen Sie an dieser Stelle noch einmal die Regeln zum Leistungsort nach §§ 269, 270.[25]

Die Leistung muss dem Gläubiger nach § 294 grundsätzlich so, wie sie zu bewirken ist, am rechten Ort tatsächlich angeboten werden.

Das Angebot einer anderen, schlechten oder zu geringen Leistung oder das Angebot am falschen Ort genügt nicht. Der Gläubiger ist dann zur Annahme nicht verpflichtet (vgl. § 266). Die Verweigerung der Annahme kann aber ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstoßen, insbesondere wenn eine Teilleistung angeboten wird, die gegenüber dem geschuldeten Umfang nur geringfügig abweicht.[26]

bb) Wörtliches Angebot, § 295 S. 1

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In bestimmten Fällen ist der Schuldner von der Last eines tatsächlichen Angebots befreit und darf sich mit einem wörtlichen Angebot begnügen. Das wörtliche Angebot ist eine empfangsbedürftige geschäftsähnliche Handlung, auf die die Regelungen über Willenserklärungen analog anzuwenden sind.[27] Die Bezeichnung „wörtliches“ Angebot ist als Abgrenzung zum „tatsächlichen“ Angebot und nicht als Formvorschrift gemeint. Das „wörtliche Angebot“ kann daher auch schlüssig ohne Worte erklärt werden.[28]

(1) Fall des § 295 S. 1 Var. 1

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Ausnahmsweise genügt ein wörtliches Angebot der geschuldeten Leistung durch den Schuldner, wenn der Gläubiger ihm zuvor ausdrücklich oder schlüssig erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde (§ 295 S. 1 Var. 1). Ein wörtliches Angebot vor Ablehnung der Leistung führt den Annahmeverzug hingegen nicht herbei.[29] Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn eine Wiederholung des wörtlichen Angebots keinesfalls Erfolg verspricht und deshalb als von vornherein sinnlose Förmelei anzusehen wäre.[30]

Beispiel

Vermieter V hat die H GmbH als Hausverwalterin für seine Mietwohnungen eingesetzt. Die H erhält hierfür eine monatliche Pauschalvergütung in Höhe von 1000 €. Der entsprechend zwischen den beiden geschlossene Geschäftsbesorgungsvertrag ist zum 31.12.2019 befristet. Im November 2018 kommt es zwischen den Parteien zum Streit, da V der H einige Pflichtverletzungen vorwirft. Der Geschäftsführer der H meint, man werde in Zukunft sicher zur Zufriedenheit des V arbeiten. V weist dies zurück und beharrt auf einer Regelung über die sofortige Aufhebung des Verwaltervertrages. Als der Geschäftsführer von H dazu seine Zustimmung verweigert, erklärt V ihm gegenüber die fristlose Kündigung. H reagiert nicht weiter und stellt ihre Tätigkeit ein. Sie verlangt unter Hinweis auf Annahmeverzug des V am 31.12.2019 die gesamte Restvergütung abzüglich ersparter Aufwendungen aus §§ 675 Abs. 1, 615 S. 1. Ein solcher Anspruch besteht hier nicht, wobei dahingestellt bleiben kann, ob V überhaupt zur Kündigung berechtigt war. Es liegen nämlich die Voraussetzungen des Annahmeverzuges nicht vor. H hatte zwar der V ihre Leistungen im Gesprächstermin angeboten. Zu diesem Zeitpunkt hatte V die Annahme der Leistungen von H aber noch gar nicht verweigert. Dies geschah erst konkludent durch Ausspruch der fristlosen Kündigung. Im Anschluss daran hat H der V ihre Leistungen auch wörtlich nicht mehr angeboten. Ein solches Angebot war hier nicht vornherein sinnlos, da nicht auszuschließen ist, dass V sich bei „Gegenwehr“ der H anders verhalten und den Vertrag „sicherheitshalber“ zumindest vorübergehend durchgeführt hätte.

 

Gibt der Gläubiger seine Haltung später auf, muss der Schuldner nun tatsächlich anbieten[31] – andernfalls endet der Annahmeverzug.

(2) Fall des § 295 S. 1 Var. 2

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Ein wörtliches Angebot genügt ferner, wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist.

Beispiele

Abholung bei Holschuld; Lieferung der zu reparierenden Sache; Bekanntgabe von Maßen bei geschuldeter Maßanfertigung; Erstellung der Rechnung, um den noch unklaren Zahlbetrag festzulegen (z. B. bei Arztrechnung); eigenes Erscheinen beim Theaterbesuch.

Dem wörtlichen Angebot steht die Aufforderung des Schuldners gleich, der Gläubiger, solle die Leistungshandlung vornehmen, § 295 S. 2.

Beispiel

Annahmeverzug kann also auch schon dadurch eintreten, wenn der Verkäufer den Käufer auffordert, die verkaufte Sache nunmehr bei ihm abzuholen.

b) Entbehrlichkeit des Angebots nach § 296

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Selbst eines wörtlichen Angebots bedarf es nicht, wenn für die Mitwirkungshandlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und die Handlung an diesem Termin nicht vorgenommen wird, § 296. Die Fälle gleichen denen von § 286 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2.

Beispiele

Abholtermin bei vereinbarter Holschuld; persönliches Erscheinen zur Theateraufführung beim Aufführungsvertrag; persönliches Erscheinen zum vereinbarten Arzttermin.

Hinweis

Beim versäumten Arzttermin ist allerdings heftig umstritten, ob der Arzt dann nach § 615 sein Honorar abzüglich ersparter Aufwendungen verlangen kann. § 615 wird von einigen Gerichten für nicht anwendbar gehalten, da der Arzt im Hinblick auf die freie Kündigungsmöglichkeit des Patienten gem. §§ 621 Nr. 5, 627 das Ausfallrisiko zu tragen habe. In Betracht kommt aber ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 bzw. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 282 wegen zu kurzfristiger Absage des Patienten. Hier muss genau untersucht werden, ob dem Arzt dadurch ein Schaden entstanden ist. In der Regel geht es hier darum, ob der Arzt bei rechtzeitiger Absage zusätzlich einen anderen Patienten hätte behandeln können.

Nimmt der Gläubiger die Mitwirkungshandlung später vor, endet sein Annahmeverzug. Der Schuldner muss die Leistung jetzt wieder nach § 294 tatsächlich anbieten.[32]

c) Leistungsfähigkeit des Schuldners (§ 297)

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Aus § 297 folgt, dass Annahmeverzug in den Fällen des §§ 295, 296 nur eintreten kann, wenn der Schuldner zur Leistung im Stande ist. Entscheidend ist, ob der Schuldner die Leistung erbringen kann, wenn der Gläubiger seine Mitwirkungshandlung vornimmt. Diese Fähigkeit muss zum Zeitpunkt des wörtlichen Angebots i.S.d. § 296 noch nicht gegeben sein; es muss zu diesem Zeitpunkt aber schon feststehen, dass sie im Falle nachfolgender Mitwirkung des Gläubigers sicher eingetreten wäre.[33]

Beispiel

K kauft bei V 100 Flaschen Wein einer bestimmten Gattung, die K am 10.5. bei V abholen soll. K erscheint zum Termin nicht. Hier tritt Annahmeverzug gem. §§ 295, 296 auch dann ein, wenn V 100 Flaschen der verkauften Sorte am 10.5. noch nicht ausgesondert, aber in seinem Lager gehabt hätte. Annahmeverzug träte hingegen nicht ein, wenn K am 10.5. ohnehin vergeblich erschienen wäre, da V sich noch nicht genügend mit Weinflaschen eingedeckt hatte.

d) Ausnahme des § 299

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Wie Sie gesehen haben, ist ein Verschulden des Gläubigers für den Eintritt des Annahmeverzuges nicht erforderlich. Bei unbestimmter Fälligkeit bzw. bei vorzeitiger Erfüllbarkeit eines Anspruchs müsste der Gläubiger ständig „auf der Lauer“ liegen, um Annahmeverzug zu verhindern. Dass dies bei aller gebotenen Sorgfalt auch von einem besonnenen Gläubiger nicht verlangt werden kann, liegt auf der Hand. Deshalb schafft das Gesetz für diese Fälle über einen Ausnahmetatbestand eine Art „Entschuldigungsgrund“. Nach § 299 kann Annahmeverzug in diesen Fällen nur eintreten, wenn der Gläubiger nicht nur vorübergehend außerstande ist, die Leistung entgegenzunehmen (z.B. längere Urlaubsreise ohne Vertreter vor Ort) oder die Leistung trotz angemessener Ankündigung des Schuldners im Voraus nicht entgegennimmt.

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