Killer sind auch nur Mörder: 7 Strand Krimis

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22


Charly Yardson verließ das Haus von Dr. Mason mit der konzentrierten Behutsamkeit eines Mannes, den ein Brustverband und eine gerade überstandene kleine Operation zu äußerster Konzentration zwingt. Er setzte sich in seinen vor dem Haus parkenden Wagen. Der gute, alte Mason. Für ein paar Scheinchen war er wieder einmal bereit gewesen, auf die gesetzlich vorgeschriebene Anzeige bei der Behandlung von Schussverletzungen zu verzichten.

Yardson spürte plötzlich, dass etwas nicht stimmte. Er blickte über die Schulter und sah dort im Wagenfond das Gesicht eines Mannes auftauchen, das ihm fremd war.

„Hallo“, sagte Roberto. „Ich habe mich ein bisschen klein machen müssen, weil ich Sie nicht davon abhalten wollte, einzusteigen.“

„Wer sind Sie, was wollen Sie in meinem Wagen?“

„Ein paar Informationen, King Bull“, sagte Roberto. „Während ich mit Ihnen spreche, bewegen sich zwei Männer aus Masons Wartezimmer in das Sprechzimmer, sie werden den Doktor in die Mangel nehmen und veranlassen, dass er ihnen den kleinen Bleiklumpen aushändigt, der noch vor wenigen Stunden zwischen Ihren Rippen saß.“

Yardson schwieg. Er besaß genügend Fantasie, um sich vorzustellen, was ihn erwartete. Die Ballistiker würden keine Mühe haben, festzustellen, dass der auf ihn abgegebene Schuss aus Moranis Revolver gekommen war.

Das bedeutete, dass man ihn, Charly Yardson, zweifelsfrei als einen Teilnehmer der Schießerei auf dem Werkstattgelände zu identifizieren vermochte. Das bedeutete aber auch, dass eine Mordanklage auf ihn wartete.

„Sie sind kein Bulle“, sagte Yardson.

„Kann schon sein“, meinte Roberto. „Ich sehe Ihnen an, dass Sie begriffen haben, worum es geht.“

„Wenn einer wie Sie auftaucht, ist es nicht schwierig, seine Motive zu erraten“, sagte Yardson grimmig. „Wie viel verlangen Sie?“

„Ich könnte auf die Herausgabe von Aldrichs Koffer mitsamt Inhalt bestehen. Aber erstens bin ich nicht sein Interessenvertreter, und zweitens lassen die Mäuse mich ziemlich kalt. Sie kriegen ein Sonderangebot. Das Ganze kostet Sie keinen Cent. Es genügt, wenn Sie die große Arie anstimmen.“

„Vergessen Sie’s“, sagte Yardson. „Das läuft nicht bei mir.“

„Schade. Wie Sie wollen. Sie oder Gonella. Don Bruno kriegen wir sowieso. Für Sie geht es jetzt darum, den eigenen Hals zu retten.“

„Auf diese Sprüche falle ich nicht rein. Und was Don Bruno betrifft, sollten Sie sich nicht in falschem Optimismus üben. Den wollten schon andere aufs Kreuz legen. Es ist ihnen nicht gelungen.“

„Wir werden erfolgreich sein.“

„Wer, zum Teufel, sind Sie? Wer steht hinter Ihnen?“, fragte Charly Yardson. Er schielte auf das Handschuhfach, hinter dessen Klappe sich ein geladener Revolver befand. Der knapp sitzende Brustverband handikapte Yardson und machte die notwendigen, blitzschnellen Reflexe, die ihn sonst auszuzeichnen pflegte, unmöglich.

„Kein Kommentar“, sagte Roberto.

„Wir sind allein, wir können offen miteinander sprechen“, meinte Yardson. „Ich singe nicht. Das bringe ich nicht fertig. Erstens verstößt es gegen meine Prinzipien, und zweitens wäre es mein sicheres Ende. Wer sagt mir, dass Sie nicht mit dem Boss befreundet sind? Am Ende will er nur prüfen, wie ich auf diesen schmutzigen Trick reagiere.“

„Es ist kein Trick. Das wissen Sie verdammt genau“, sagte Roberto. „Was soll mit Wingate geschehen?“, fragte er. „Wird Gonella versuchen, seinen Schwiegersohn abzuschießen, noch ehe die Polizei ihn auseinandernimmt?“

Yardson schwieg. Er warf sich nach rechts, riss das Handschuhfach auf und ignorierte, als er nach der Waffe fasste, den scharfen, reißenden Schmerz in seiner Wunde.

Roberto schnellte nach vorn und schlug Yardson die Waffe aus den Fingern. Yardson sackte auf dem Sitz zusammen. Er stöhnte leise. „Bringen Sie mich zum Doktor“, ächzte er. „Die verdammte Wunde ist aufgeplatzt.“

„Werden Sie auspacken?“, fragte Roberto.

„Wir sprechen ein andermal darüber“, presste Yardson hervor.

Roberto stieg aus. „Ein paar Kollegen haben mitgehört“, sagte er. „Sie kümmern sich um Sie.“

Er ging die Straße hinab, stieg in den Monza und fuhr zurück in die Gunderson Street. Sein Job in Chicago hatte sich erledigt. COUNTER CRIME konnte die Aktionsscherben zusammensetzen und als perfektes Mosaik in die Hände der Polizei leiten.

Der Dollar-Hai von Calumet City hatte seine Zähne verloren. Es war nicht sein einziger Verlust. Wingate musste sich damit abfinden, dass auch sein Schwiegervater das Ende seiner schmutzigen Karriere erreicht hatte und nicht länger fähig oder willens war, die Praktiken zu decken, die hinter der buntschillernden Klubfassade des „Top Five“ inszeniert worden waren.

Roberto versuchte, Linda Dorsey telefonisch im Hotel zu erreichen und war überrascht, als sie sich meldete. „Wingate hat das Zimmer für einen Monat im Voraus bezahlt“, meinte sie. „Warum soll ich unter diesen Umständen auf den gebotenen Komfort verzichten? Ich habe mit Kemal gesprochen. Er hat mir verziehen. Mehr war nicht drin. Er will mich nicht wiedersehen.“

„Was ist mit Herb Greene?“

„Den koche ich noch gar. Der wird mir helfen, Wingate an die Wand zu spielen. Ich fühle mich sehr einsam. Warum tun Sie nichts dagegen?“

Roberto blickte auf seine Uhr. „Kein schlechter Gedanke“, meinte er. „Ich fühle mich durchaus in der Stimmung, dem Tag ein paar freundliche Akzente aufzusetzen und zu feiern.“

„Da sind Sie bei mir an der richtigen Adresse. Aber nehmen Sie sich in Acht. Sie kennen meinen Hang zur Ruchlosigkeit“, spottete Linda.

„Das ist einer der Gründe, der mich anspornt, Ihrer Einladung Folge zu leisten“, grinste Roberto. „Bis gleich!“

ENDE




Trick 18


Von Reiner Frank Hornig

Hatte es nicht soeben geläutet? Mit Wangen, die vom Nachmittagsschlaf leicht gerötet waren, erhob sich Amelia aus ihrem bequemen Lehnsessel und ging, auf ihren Stock gestützt, zur Haustür.

Noch war es längst nicht Teezeit, und Amelia hoffte inständig, dass ihre Freundin Maud nicht schon jetzt gekommen war, wo sie noch keinerlei Vorbereitungen getroffen hatte und in der ganzen Wohnung noch Unordnung war. Wer aber konnte es sein, wenn nicht Maud? Sie öffnete zaghaft die Haustür einen Spalt weit.

„Mrs. Friebe?“

„Ja?“ sagte sie fragend.

„Guten Tag“, begann der gediegen aussehende Herr vor der Tür. „Ich heiße Laker und komme von der Firma Alterswohl. Ich möchte Ihnen gerne unsere neue Heizdecke vorführen. Grandios in der Leistung, sensationell in der Wirkung und günstig im Preis.“ Er brachte einen Karton hinter dem Rücken hervor und begann ihn zu öffnen.

„Eine Heizdecke?“

„Ganz recht. Speziell für ältere Leute und deren Beschwerden, nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten konstruiert.“

„Wissenschaftlich?“ staunte Amelia und öffnete die Haustür vollends.

„Bei regelmäßiger Anwendung heilt sie nicht nur Rheumaschmerzen, sondern wirkt auch positiv auf den Kreislauf. Und sie reguliert den Schlaf.“

Amelia rückte ihre Haare unter dem Haarnetz zurecht. „Wissen Sie, meine Heizdecke ist schon eine Ewigkeit kaputt, und eigentlich wollte ich mir schon lange eine zulegen, aber...“

Mister Laker strahlte. „Dann würden Sie mir also eine abkaufen?“ fragte er lauernd.

„An der Haustür“, antwortete Amelia zögernd, „kaufe ich eigentlich grundsätzlich nichts.“

„Dann bin ich bei Ihnen ja genau an der richtigen Adresse gelandet“, meinte Mr. Laker und nickte vielsagend. „Ihnen kam also der Gedanke, dass es sich bei mir vielleicht um einen raffinierten Betrüger handeln könnte, habe ich recht?“

Erstaunt öffnete sie den Mund und straffte damit ungewollt die vom Alter faltigen Wangen. „Betrüger?! Nun, eigentlich... Sie machen zwar einen guten Eindruck, aber heutzutage kann man wirklich kaum noch jemandem trauen, nicht wahr?“

 

Mr. Laker griff in seine linke Jackentasche und brachte einen Ausweis hervor. „Sie tun wirklich gut daran, Mrs. Friebe, besser nichts an der Haustür zu kaufen, erst recht keine so teuren Waren“, belehrte er sie. „Tatsächlich komme ich von der GBS-Fernsehgesellschaft und bin mit der Produktion der Sendung „Trick 17“ beauftragt, welche vierwöchentlich ausgestrahlt wird und in der die Polizei unsere Zuschauer vor Begegnungen mit Trickbetrügern und Bauernfängern schützen möchte.“

Amelia erinnerte sich strahlend. „Ja, richtig, „Trick 17“, ich habe die Sendung schon ein paarmal gesehen!“

Mr. Laker nickte erfreut. „Dann wissen Sie sicher auch, dass in jeder Folge von „Trick 17“ Begegnungen zwischen Betrügern und ihren Opfern authentisch dargestellt werden?“ Amelia wusste es. „Nun, wie würde es Ihnen gefallen, wenn Sie selbst die Hauptrolle in einem solchen Kurzfilm übernehmen dürften? Es ist doch geradewegs Ihre Pflicht als Bürger. Außerdem würden Sie damit unzählige Menschen in allen Bundesstaaten vor einem möglichen Betrug bewahren, der ja meistens mit einem beträchtlichen finanziellen Verlust Hand in Hand geht. Und besonders Leute in Ihrem Alter sind ja oft gezwungen, den Dollar zweimal umzudrehen, bevor sie ihn ausgeben können!“

Der Mann von „Trick 17“ trat einen Schritt zur Seite, und Amelia sah einen Lieferwagen mit der Aufschrift GBS TELEVISION vor ihrem Haus geparkt. Neben ihrem Frührosenbeet standen zwei Männer, der eine sah aus wie ein Regisseur, mit Lederjacke und Sonnenbrille, der andere hantierte an einer großen Kamera herum.

Stolz bemerkte sie, wie hinter den Fenstern der Nachbarhäuser schon eifrig die Gardinen zur Seite geschoben wurden. Konnte sie da überhaupt noch zurücktreten?

„Nun ja, wenn Sie meinen, dass ich das alles kann, was Sie von mir verlangen, Mr. Laker?“

„Aber Sie sind doch die geborene Schauspielerin, liebe Mrs. Friebe!“ versicherte er ihr galant.

Was würde Maud nur dazu sagen, wenn sie nachher zum Tee kam und erfuhr, dass ihre beste Freundin im Fernsehen auftreten würde! Und all die Nachbarn! Amelia würde wochenlang das Gesprächsthema Nummer eins in ganz Wedgewood sein. Und hatte Henry, ihr verschiedener Mann, nicht schon immer gesagt, an ihr sei eine Schauspielerin verlorengegangen? Mag er es auch ein bisschen anders gemeint haben, und mag es auch nicht gerade eine Glanzrolle sein, die sie spielen durfte (sollte sie doch ahnungslos auf einen billigen Trickdieb hereinfallen!), so war es doch außerordentlich wichtig und auch nützlich, was sie da tun würde.

„Natürlich wird in dem Karton nur eine billige Wolldecke sein, die sie noch nicht einmal behalten dürfen. Und Sie müssen sich betont ahnungslos verhalten.“

Seelig lauschte sie Mr. Lakers Anweisungen, während einer der Männer draußen jetzt ein Mikrofon über dem Hauseingang befestigte.

„Bitte niemals direkt in die Kamera schauen, Mrs. Friebe, und immer laut und deutlich sprechen! Wir drehen alles vor Ihrer Haustür ab, damit wir Ihre Wohnung nicht betreten brauchen, wo auch die Lichtverhältnisse wesentlich ungünstiger sind.“

Nach ein paar Minuten weiterer Anweisungen seitens des Regisseurs war der große Augenblick endlich gekommen! Die Haustür wurde geschlossen, gleich darauf ertönte die Glocke, und Mr. Laker stand mit seinem Kameramann im Türrahmen.

Beide unterhielten sich wie besprochen, schließlich willigte Amelia zum Kauf ein, holte ihr Portemonnaie, und die Heizdecke wechselte ihren Besitzer.

Nachdem sie die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, legte sie hastig den Karton im Korridor nieder und eilte zum Telefon.

Mr. Laker hatte ihr erklärt, dass die nächste Szene (so wie es in „Trick 17“ üblich war) mit einem Kriminalbeamten vor ihrem Haus „abgedreht“ würde und dass er, wenn sie sie „im Kasten“ hätten, erneut bei ihr klingeln werde, um sich „mit einer kleinen Überraschung“ bei ihr zu bedanken.

„Und stell Dir vor, Maud, in etwa acht Wochen werde ich in „Trick 17“ auf dem Bildschirm zu sehen sein. Was meinst Du? Ob ich auch sicher sei, dass der Herr vom Fernsehen war? Aber er hatte doch einen Ausweis, den ich mir ganz genau angeschaut habe! Und dann der Lieferwagen und die Kamera und dann...“

Typisch Maud. Diese neidische alte Ziege! Natürlich wirkte alles gekünstelt, musste bei einem solchen Film ja auch! Und hatte Mr. Laker ihr nicht erklärt, dass alles gestellt sei und nichts echt? Sogar die „Heizdecke“ war nur ein alter Lappen! Eigentlich war überhaupt nichts echt an der ganzen Sache, wenn man es so recht betrachtete, außer – ihre 150 Dollar! Erschrocken ließ Amelia den Hörer fallen und eilte stolpernd zur Haustür. Mit zitternden Händen öffnete sie langsam.

Die Straße war leer.

ENDE




Undercover Mission


Thriller von Alfred Bekker

––––––––


Ein Ermittler wird in eine Drogengang eingeschleust. Als ultimativen Loyalitätstest fordert man von ihm etwas Ungeheuerliches: Er muss seinen Partner erschießen...

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ALFRED BEKKER ist ein Schriftsteller, der vor allem durch seine Fantasy-Romane und Jugendbücher einem großen Publikum bekannt wurde. Daneben schrieb er Krimis und historische Romane und war Mitautor zahlreicher Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und Kommissar X.




Copyright


Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de




1


"FBI! Special Agent Milo Tucker! Keiner rührt sich! Ihr seid festgenommen!" Milo Tucker hatte die SIG in der Rechten und hielt mit links seine ID-Card hoch. Ich spuckte mein Kaugummi aus, ließ dabei den Motor der getunten Harley aufheulen. Meine SIG trug ich unter der schwarzen Lederjacke mit der Aufschrift "Devvilish Demons". Mit zwei V. Das war angeblich cool. Ich warf einen Blick zu den anderen Bikern.

Meinen Gang-Brüdern. Sie rührten sich nicht. Warteten darauf, dass ich etwas tat. Das Gas der Harley drehte ich voll auf. Das Vorderrad stieg in die Höhe. Ich fuhr auf den einsamen G-man namens Milo Tucker zu, bremste. Das Hinterrad brach aus, ich zog eine dunkle Spur über den Asphalt, bevor die Maschine zum Stillstand kam.

"Ich sag's nicht noch mal!", rief Milo.

Ich verzog das Gesicht. "Schätze, du sagst nie wieder was, G-man!" Ich riss die SIG unter der Lederjacke hervor und drückte ab. Getroffen flog Milo Tucker zu Boden und blieb reglos liegen.




2


Ich stieg von der Harley, ging auf den am Boden liegenden Milo zu. Jetzt erst wagten sich auch die anderen "Devvilish Demons" etwas näher heran. Die Motoren ihrer Maschinen heulten auf.

Augenblicke später bildeten sie eine Art Halbkreis um den auf dem Asphalt liegenden Special Agent des FBI. Er lag auf der Seite. Ein Arm verdeckte sein Gesicht. War auch besser so. Eine ziemlich große Blutlache hatte sich gebildet.

"Scheiße, bei so einem Anblick verliert man ja sogar noch den Spaß am Koks", knurrte einer der Biker. Ein großer, hagerer Kerl mit breiten Schultern, dessen Helm einem Totenschädel nachempfunden war.

In der Gang war er nur unter dem Namen Skull-Face bekannt.

Er verzog das Gesicht, fingerte aus einer der zahllosen Taschen seiner nietenbesetzten Lederjacke ein Briefchen mit Schnee, riss es auf und schüttete den Inhalt auf den Handrücken. Genau so, dass sich zwei kleine, fast gleich große Häufchen bildeten.

Er sog eines dieser Häufchen ins linke Nasenloch ein. Der Rest war wohl für das andere bestimmt.

Aber irgendetwas schien Skull-Face in der Nase zu jucken.

Er musste niesen und das wertvolle weiße Pulver verflog in alle Winde.

"Fuck!"

Ein Schwall von wüsten Flüchen kam über Skull-Faces aufgesprungene, dünne Lippen.

Ich kniete nieder, beugte mich über Milo, durchsuchte seine Taschen und nahm seine Brieftasche an mich. "Ihr Wichser seid vielleicht mit einem Kopfkissen voller Koks geboren, aber ich komme aus kleinen Verhältnissen", knurrte ich Skull-Face entgegen, als der mich ziemlich erstaunt anstarrte. "Auch hundert Dollar lasse ich nicht auf der Straße liegen!"

"Ist ja schon gut Mann!" Skull-Face machte eine beschwichtigende Handbewegung. "Immer cool bleiben Mann!"

"Jesse ist verdammt cool", meldete sich einer der anderen Biker mit bewunderndem Unterton zu Wort. "Wer einen G-man einfach so umnietet, der muss cool sein."

 

Ich erhob mich wieder, hielt Milos Ausweis hoch.

"Dieser Kerl war wirklich ein G-man", stellte ich fest.

Skull-Face rülpste ungeniert. "So eine Scheiß ID-Card macht dir Lonny Davis in der 42. Straße ab fünf Riesen aufwärts. Je nachdem, was für eine Qualität du brauchst", meinte er abfällig.

Ich warf ihm Milos Ausweis zu.

Er fing ihn auf.

"Der hier ist echt, Bruder! Da kannst du Gift drauf nehmen!"

Er sah ihn sich an, warf ihn verächtlich auf den Asphalt.

"Scheiße, sag bloß, du bist ein Experte, was diese Ausweise angeht!"

Ich verzog das Gesicht.

"Die Dinger hat man mir oft genug unter die Nase gehalten", murmelte ich.

"Ich bin dafür, dass wir jetzt hier aufräumen und uns dann aus dem Staub machen", meldete sich einer mit breitem Gesicht, schwarzem Vollbart und beginnender Stirnglatze zu Wort. Sein Haar hing ihm dafür auf der hinteren Seite des Kopfes umso tiefer hinunter. Beinahe bis zum Gürtel reichte der Zopf, zu dem er sie geflochten hatte. In der Gang hieß er "Lunie", abgeleitet von "lunatic" - "bekloppt".

Die anderen stimmten Lunie jedenfalls zu.

"Unser cooler Freund Jesse könnte uns alle ganz schön in Schwierigkeiten bringen", sagte Skull-Face düster. "Ich hasse solche Hosenscheißer, die meinen, sich mit so etwas in den Vordergrund spielen zu müssen. Am Ende müssen wir alle das ausbaden."

"Keine Sorge, Skull-Face", erwiderte ich.

Er verdrehte die Augen.

"So ein zermatschtes G-man-Hirn kann uns ganz schön in Schwierigkeiten bringen, du Arsch! Ich habe sieben Jahre Rikers Island hinter mir und keine Lust auf eine Verlängerung!"

Ich zuckte lässig die Achseln, zog mir dabei die nietenbesetzten fingerlosen Lederhandschuhe zurecht. Die Nieten hätte ich einem Typen wie Skull-Face gerne ins Gesicht gehämmert, aber dazu war jetzt einfach nicht der passende Moment.

"Ich sagte: Keine Sorge", wiederholte ich mich und deutete auf Milo. "Ich sorge dafür, dass der Dreck hier weggeräumt wird. Ihr könnt euch ruhig schon verziehen. Wir sehen uns später, Amigos!"

Die Biker wechselten etwas irritierte Blicke.

"Du brauchst wirklich keine Hilfe, Jesse?", vergewisserte sich Lunie.

Ich schüttelte den Kopf.

"Nein."

"Aber..."

"Besser ihr wisst nicht, wo ich die morschen Knochen dieses G-man verschwinden lasse. Dann kann sich auch keiner von euch verplappern, wenn diese Brüder euch doch mal in die Mangel nehmen und irgendein District Attorney euch das Blaue vom Himmel verspricht, wenn ihr singt!"

Lunie schien mit dieser Erklärung zufrieden zu sein.

"Verziehen wir uns!", meinte er, setzte sich seinen Helm auf und startete seine Maschine. Die anderen folgten seinem Beispiel.

Nur Skull-Face zögerte noch.

Er bedachte mich mit einem schwer deutbaren Blick.

"Irgendetwas stimmt mit dir nicht, Jesse!"

"Ach, ja?"

"Ich habe es im Urin! Du bist nicht echt. Scheiße, ich kann nicht sagen, was es ist, aber irgendetwas stört mich an deiner Visage!"

Er gab mir keine Gelegenheit, ihm zu antworten. Mit seiner Harley legte er einen Blitzstart hin und brauste davon. Es dauerte nur Augenblicke und die ganze Gang hatte das ehemalige Firmengelände der in Konkurs gegangenen Papierfabrik "Sounders & Buchheim Quality Paper Ltd." verlassen.

Ich wartete einige Augenblicke, bis ich sicher war, dass sie wirklich weg waren.

Ich packte Milo an den Armen, zog seinen schlaffen Körper über den Boden in Richtung von einer der großen Lagerhallen. Das große Wellblechtor war dermaßen verrostet, dass wahrscheinlich die Kraft eines Bulldozers vonnöten gewesen wäre, um sie nur ein paar Zentimeter zur Seite zu schieben.

Aber gleich daneben befand sich eine Tür für den Personalzugang. Und die stand halb offen.

Ich zog Milo ins Innere der Halle.

Es roch erbärmlich dort.

Riesige Rollen mit vor sich hin schimmelndem Papier waren hier zu finden. In der Deckenverglasung fehlten einige Scheiben, sodass es munter hereinregnen konnte.

Ich legte Milo ab.

Sah ihm ins blutüberströmte Gesicht.

Tätschelte ihm die Wange und wischte mir die Hand an der Jeans ab.

"Die Show ist vorbei! Du kannst die Augen aufmachen!"

"Wenn ich die Augen aufmache, kriege ich dieses verfluchte Film-Blut hinein, Jesse!"

"Ist doch garantiert unschädlich! Selbst für die Schleimhäute!"

"Du musstest dich mit dem Zeug ja auch nicht einschmieren, Jesse!"

"Nun mach mal halblang, Milo!"

Ich reichte ihm ein Taschentuch. Er begann, sich das Film-Blut aus dem Gesicht zu reiben und grinste. "Hat gut geklappt, was?"

"Wir haben an der Nummer ja auch lange geübt, Milo!"

"Einen so überzeugenden Stunt soll uns erst einmal einer nachmachen!"

Schritte ließen mich aufhorchen.

Unsere FBI-Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina kamen hinter den gewaltigen, zum Teil mehr als mannshohen Papierrollen hervor.

Clive Caravaggio hob den Daumen.

"Alles in Ordnung, Jesse! Die Nummer hat perfekt geklappt."

Ich atmete tief durch, begann damit, die Platzpatronen meiner SIG gegen echte Munition auszutauschen. Denn wenn ich das nächste Mal mit den Devvilish Demons zusammentraf, konnte es gut sein, dass ich die Waffe für etwas anderes als eine Schauspieleinlage brauchte.

Orry Medina, unser indianischer FBI-Kollege, meldete sich zu Wort und nahm dabei sein Headset vom Kopf, über das er mit den anderen Kollegen in Verbindung stand, die sonst noch an diesem Einsatz beteiligt waren. "Glaub mir, Jesse, diese Devvilish Demons machen dich noch zu ihrem Boss! Wer so cool und ohne mit der Wimper zu zucken einen G-man umnietet, der ist doch wie geschaffen für so einen Job..."

Was die Bezahlung anging, konnte man da schon ins Grübeln kommen.

Schließlich war die Harley, auf der ich gesessen hatte, eine Leihgabe unserer Fahrbereitschaft, während die meisten der Devvilish Demons sogar mehrere dieser Feuerstühle ihr Eigen nannten. Alles finanziert aus den Gewinnen, die sie aus dem Handel mit Kokain und Crack zogen.

Ein Staatsdiener wie ich konnte von derartigen Reichtümern nur träumen.

Aber dafür befand ich mich auf der richtigen Seite jener Grenze zwischen Recht und Unrecht, von der die Devvilish Demons wohl gar nicht mehr wussten, dass sie überhaupt existierte.

Sie kontrollierten den Drogenhandel in einigen Straßenzügen der South Bronx. Das allein unterschied sie noch nicht von Dutzenden anderer Gangs, die ihr jeweiliges Gebiet als eine Art Königreich betrachteten.

Die Kollegen der DEA und der City Police kämpften so gut es ging gegen dieses Unwesen an.

Aber die meisten dieser Gang-Leute stellten nur die unterste Schicht im organisierten Verbrechen dar.

Handlanger für das Grobe, mehr waren sie meistens nicht.

Sie gingen das größte Risiko ein, gefasst zu werden, während die eigentlichen Hintermänner im Verborgenen blieben. An diese Hintermänner kam die Justiz oft nicht heran. Mir drehte sich jedes mal der Magen um, wenn ich mitbekam, dass solche Leute ihren Reichtum völlig unbehelligt auf Long Island oder den New Yorker Nobel-Clubs genossen. Ein Reichtum, der sich auf dem Elend der Crack-Süchtigen gründete, die wie lebende Leichen in den verfallenden Straßen der South Bronx dahinvegetierten. Ein Leben im Dreck, das ihnen nicht den Hauch einer Hoffnung ließ.

Aber die Weiße-Kragen-Bosse kümmerte das nicht.

Genauso wenig, wie es sie interessierte, dass ihre Laufburschen zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden oder sogar die Todeszellen füllten.

Aber die Devvilish Demons unterschieden sich in ein paar Punkten von den anderen Gangs.

Es gab keine andere vergleichbare Gruppe, die sich derzeit im Dschungel der South Bronx mit ähnlicher Rücksichtslosigkeit durchsetzte.

Leichen pflasterten den Weg dieser Bike-vernarrten Killer.

Innerhalb von wenigen Monaten hatten sie die Ausdehnung ihres Gebietes verfünffacht.

Ihre Gegner hatten sich entweder unterworfen oder man konnte sie in den gerichtsmedizinischen Bulletins des Coroners nachlesen, was mit ihnen geschehen war.

Außerdem hatten wir Grund zu der Annahme, dass die Devvilish Demons eine sehr starke auswärtige Organisation in ihrem Rücken hatte. Ein Syndikat. Irgendjemand, der seinen Einfluss in der New Yorker Unterwelt ausdehnen wollte. Und das mit Methoden, die selbst für die Maßstäbe der Cosa Nostra oder des kolumbianischen Drogenkartells außerordentlich brutal waren.

Unseren Erkenntnissen nach gab es kaum Zweifel daran, dass eine Reihe von Morden unter puertoricanischen und schwarzen Drogendealern auf das Konto dieser Gang zu buchen war.

Das passte zu der Annahme, dass ein großer, mächtiger Unbekannter hinter ihren Aktivitäten stand, sie großzügig mit Drogen, Waffen und Geld versorgte.

Und mit Mordaufträgen.

Deshalb hatte sich das FBI Field Office New York zu dieser riskanten Operation entschlossen. Wir mussten die Hintermänner der Devvilish Demons stoppen.

Und das war auch das Risiko des verdeckten Einsatzes wert, den ich zurzeit gerade durchführte.

Milo erhob sich. "Was wirst du den Kerlen erzählen, wo du meine Leiche gelassen hast?", fragte mein Freund und Kollege.

"Die werden kein Wort von mir hören", erwiderte ich.

"Du willst also als obercooler Typ durchgehen, der ohne Kompromisse sein Ding durchzieht!"

Ich grinste.

"Das habe ich doch gerade unter Beweis gestellt, oder? Ich meine, wer einen G-man tötet, muss in den Augen dieser Kerle doch etwas auf dem Kasten haben!"

Clive Caravaggio meldete sich zu Wort. "Vielleicht schaffst du es ja jetzt, dass man dich in Kontakt mit den Hintermännern bringt!"

"Das muss ich sehr behutsam anstellen", sagte ich. "Sonst werden die Devvilish Demons misstrauisch."