Die Großmeister des Mordes: Alfred Bekker präsentiert 12 Strand Krimis

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28

Drake wurde ins nächste Krankenhaus gefahren und notoperiert. Es handelte sich um das St. Clares Hospital in der 52. Straße. Natürlich stand er unter strenger Bewachung.

Nicht so sehr, weil wir befürchteten, dass er selbst sich aus dem Staub machen konnte, sondern weil anzunehmen war, dass diejenigen, die den Anschlag auf ihn verübt hatten, es erneut versuchen würden. Sobald es sein Zustand erlaubte, würde er in die besser gesicherte Gefängnisklinik von Riker's Island verlegt werden. Am nächsten Morgen konnten wir mit ihm sprechen. Der behandelnde Arzt, ein gewisser Dr. Sheppard, hatte zwar Einwände, ließ uns dann aber zu ihm. "Der Patient hat ausdrücklich den Wunsch geäußert, so schnell wie möglich mit Ihnen oder jemand anderem vom FBI zu sprechen, Agent Trevellian", berichtete Sheppard mir.

Ich hob erstaunt die Augenbrauen und wechselte einen Blick mit Milo.

"Drake hat uns tatsächlich noch einiges zu erklären!", meinte ich.

"Versprich dir nicht zuviel, Milo!"

Inzwischen hatte der Erkennungsdienst Drakes Wohnung auf den Kopf gestellt. Unsere EDV-Spezialisten hatten sich seinen Computer vorgenommen. Es konnte kein Zweifel mehr bestehen. George Drake war 'The Virus'. Der Mann, der über einen Server in Russland eine kriminelle Organisation aus dem Hintergrund heraus steuerte. Eine seltene Mischung aus Hacker- und Geschäfts-Genie. Aber wie es schien hatte er den Bogen überspannt.

"Freut mich, Sie zu sehen, Agent Trevellian", sagte er leise und mit einem gequälten Lächeln.

"Ganz meinerseits", erwiderte ich. "Der Arzt sagte uns, dass es ziemlich knapp war."

"Ja. Möglicherweise haben Sie beide mir das Leben gerettet. Ist schon seltsam. Zwei G-men retten mich vor ein paar MPi-Schützen und lassen mich anschließend in den Knast wandern... Andererseits wäre ich wahrscheinlich schon auf und davon gewesen, wenn Sie und Agent Tucker mich nicht aufgehalten hätten!"

"Die hätten Sie früher oder später doch gekriegt", war ich überzeugt.

"Ja", murmelte er düster. "Sie haben recht."

"Was waren das für Leute?"

"Der Reihe nach. Ich möchte Garantien."

"Ich bin nicht der Staatsanwalt, sondern nur ein einfacher Special Agent. Ich kann Ihnen rein gar nichts versprechen."

Seine Augen flackerten. Die Nasenflügel bebten. Er atmete schwer. "Hören Sie, Trevellian. Die Männer, die es auf mich abgesehen haben gehören zu Lee Kuan. Sagt Ihnen der Name was?"

"Eine aufstrebende Nummer in Chinatown", stellte ich fest.

"Wir nehmen an, dass er sein Geld mit Schutzgelderpressung macht. Außerdem betreibt er einige Restaurants, Nachtklubs und hat mindestens eine Handvoll Buchmacher unter seinen Fittichen."

"Lee Kuan ist eine Marionette des chinesischen Geheimdienstes. Er war mein Kunde für die Pentagon-Daten."

"Und wieso haben jetzt ein Problem mit ihm?"

"Weil er glaubt, dass ich ihn betrogen habe. Teilweise habe ich das den Ermittlungen Ihrer Behörde zu verdanken, nehme ich an. Jedenfalls hat das Pentagon sein Sicherheitssystem generalüberholt und Lee Kuan hat für nicht mehr aktuelle Daten viel Geld bezahlt."

"Wie wär's, wenn wir der Reihe nach vorgehen", meine ich.

"Ich sage alles, aber ich habe meine Bedingungen!"

"Mir scheint, dass Sie nicht in der Situation sind, Bedingungen stellen zu können, Mister Drake."

"Ich will leben. Das ist alles. Wegen Levonian wird man mir nicht die Giftspritze geben, denn ich hatte keine andere Wahl, als ihn zu töten. Er hätte mich sonst umgebracht..."

"Ich hoffe für Sie, dass Ihnen die Geschworenen das abnehmen", kommentierte Milo.

"...und ansonsten habe ich nie eine Waffe abgedrückt oder dergleichen."

"Sie haben nur die Befehle dafür gegeben. Über Mikropunkte auf ziemlich schlechten Foto-Dateien. So haben Sie Ihre Organisation geführt. Sie werden ziemlich lange im Knast sitzen, Drake. Vielleicht sogar für immer..."

Drake schluckte. "Ich bin kein Dummkopf. Das weiß ich, Agent Trevellian. Aber ich weiß auch, dass ich in einem normalen Gefängnis keine zwei Wochen überleben würde. Was glauben Sie, wie weit Lee Kuans Arme reichen! Ich wäre ein toter Mann."

Ich hob die Augenbrauen. "Was wollen Sie?", fragte ich.

"Ich möchte unter neuer Identität in einem Gefängnis außerhalb von New York State inhaftiert werden. Dafür liefere ich Ihnen Lee Kuan. Ich kenne seine Kontaktleute nach China, ich weiß, wie das Geld transferiert wird und so weiter. In einem Bankschließfach lagert einiges an brisantem Material über Lee Kuan." Er versuchte ein Grinsen, aber stattdessen verzerrte er nur den Mund zu einer Grimasse.

Zweifellos hatte er Schmerzen. "Ich bin ein sehr penibler Mensch, müssen Sie wissen. Und das bedeutet, dass ich mich über Geschäftspartner immer genauestens informiere..."

"Ich werde mich dafür einsetzen, dass Ihrem Wunsch entsprochen wird", versprach ich. "Aber dann muss jetzt alles auf den Tisch."

"Gut." Er stöhnte kurz auf.

"Fangen wir mit der Schießerei an der Ecke Bedford/Seventh Avenue an. Sagen Ihnen die Namen Greenhouse, Duncan und Cole etwas?"

"Drei Namen - ein Mann. Desmond Cole war ein Hit-man, der aus dem Geschäft ausgestiegen ist. Er hätte während seiner aktiven Zeit sparsamer sein sollen. Jedenfalls war er in finanziellen Nöten, wollte aber das Risiko nicht eingehen, in sein altes Business zurückzukehren." Die Ahnung eines Lächelns flog über sein Gesicht. "Schließlich habe ich alle Informationen über Cole aus euren Datenbänken! Für mich arbeitete er als Geldbote. Dass er sich zu wehren wusste, empfand ich als Vorteil."

"Wo hat er das Geld abgeliefert?"

"Bei mir. In bar."

"Wusste er, dass Sie 'The Virus' sind?"

"Nein, das wusste niemand. Ich bin als jemand aufgetreten, der selbst in der Organisation von 'The Virus' als kleiner Mittelsmann arbeitete. Ein Finanzmakler eben. Vonda hat das auch gedacht. Ich habe sie für die Organisation gewonnen... Aber das ist ein anderes Kapitel."

"Desmond Cole war mit einem Geldkoffer unterwegs..."

"Er war bei den Jobs dieser Art zuvor sehr zuverlässig gewesen. Dann kam der Deal mit Lee Kuan. Die Summe überstieg alle bisherigen Geschäfte dieser Art. Da ist Cole zu gierig geworden. Er dachte, er könnte mit dem Geld verschwinden und sich notfalls den Weg freischießen."

"Da haben Sie ihm eine Mannschaft von Gorillas auf den Hals geschickt."

"Ja.

"Und was war Vondas Rolle? Wir wissen, dass sie Cole erschossen hat."

"Ich war ihr gegenüber zu vertrauensselig. Wir haben uns kennengelernt und ich dachte... Ich dachte, dass sie mich liebt!" Er zögerte, ehe er weitersprach. "Das war wohl ein ein Irrtum. Vonda hat mitgekriegt, dass Cole der Geldbote bei den Deals war. Und dann muss sie zusammen mit Levonian den Plan gefasst haben, sich einfach an den Geldboten zu heften und zuzufassen, wenn's sich richtig lohnt. Meine Jungs wären ihr beinahe noch rechtzeitig dazwischengefunkt. Naja, ihr Komplize Levonian wollte dann wohl nicht mit ihr teilen..."

"Warum hat Levonian nicht einfach die Stadt verlassen?"

"Weil er wusste, dass 'The Virus' ihn finden würde... Er hat ziemlich lange gebraucht herauszufinden, dass ich hinter diesem Namen steckte..."

"Was war mit Mark Sorello und Max O'Flaherty?", fragte ich nach einer Pause.

"BigByte und SmartMax..."

"Ja, genau."

"Zwei kleine Hilfsesel für 'The Virus' - aber nicht ganz unbegabt."

"Wir haben den Killer, der Sorell auf dem Gewissen hat. Wenn er erfährt, dass 'The Virus' verhaftet wurde und ihn nicht bedrohen kann, wird er reden..."

"Schon möglich..." Er atmete tief durch. Seine Augenbrauen zogen sich etwas zusammen. Er wirkte erschöpft. "Lee Kuan hat die beiden auf seine Seite gezogen. Sie sollten wohl herauskriegen, wer 'The Virus' ist. Bei Sorello bin ich mir da jedenfalls sicher."

"O'Flaherty wusste offenbar Bescheid."

"Ja..."

"Wir haben ihn übrigens in Chinatown gefunden."

"Es gibt keinen Zufall, Agent Trevellian. Es gibt ihn einfach nicht..." Er versuchte sich aufzurichten, sank aber wieder zurück in die Kissen, schloss dann für einige Augenblicke die Augen. Er atmete schwer. Dann brachte er schließlich heraus: "Sie schalten Lee Kuan aus, nicht wahr? Sie haben es mir versprochen..."

"Ob ich ihn ausschalten kann, hängt von der Qualität des Materials ab, dass Sie über ihn gesammelt haben."

"Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Trevellian! Ganz bestimmt nicht!"

29

Mit großem Aufgebot wurde Lee Kuans Haus in der Bayard Street umstellt. Kollegen der City Police unterstützten uns dabei.

Mit einer ziemlich großen Übermacht von G-men stürmten wir in das Haus. Etwa ein Dutzend bewaffneter Leibwächter empfing uns. Aber sie waren vernünftig genug, unserer Aufforderung, die Waffen niederzulegen nachzukommen.

Mister Lee Kuan war ziemlich empört, als wir ihm seine Rechte vorlasen und die Handschellen klickten.

"Geheimdienstliche Tätigkeit für eine fremde Macht ist nach wie vor strafbar", sagte ich ihm ruhig ins Gesicht. "Pech für Sie, dass 'The Virus' Ihre Tätigkeit sehr sorgfältig dokumentiert hat. Sie haben Zugangscodes zu den Rechnern des Pentagon an den chinesischen Geheimdienst verkauft..."

"Das dürfte im Einzelnen schwer nachzuweisen sein, G-man!", höhnte Lee Kuan.

"Möglich. Aber es reicht, um Sie erst einmal in Untersuchungshaft zu nehmen. Da macht jeder Richter mit. Und für Ihre Anwälte wird es ein hartes Stück Arbeit, Sie da mit einem blauen Auge davonkommen zu lassen!"

 

Lee Kuan rang nach Luft.

"Sie werden das bereuen, dafür sorge ich... Sie wissen ja gar nicht, wie weit mein Einfluss reicht!"

"Es haben mir schon ganz andere gedroht, Mister Lee Kuan. Das beeindruckt mich wenig", gab ich gelassen zurück. Ich zeigte ihm sowohl den Haft- als auch den Durchsuchungsbefehl.

"Möglicherweise können wir Sie aber auch noch wegen Mordes festnageln, Lee Kuan."

"Wegen Mordes?"

"Ja - beziehungsweise dem Auftrag dazu. Die juristische Wertung ist mir in dem Fall gleich. Es geht um einen Mann namens Max O'Flaherty. Ein junger Kerl. Ich nehme an, dass er hier war."

"Nie gehört."

"Wir haben bei ihm einen falschen australischen Pass auf den originellen Namen John Smith gefunden", mischte sich Milo ein. "Es muss ihn jemand geholfen haben, so ein Ding zu bekommen."

"O'Flaherty hat für Sie als Gegenleistung wohl herausfinden müssen, wer 'The Virus' ist", fuhr ich fort. "Und dann wurde er eiskalt abserviert..."

"Beweise!", knurrte Lee Kuan. "Was Sie haben ist doch nur Gerede!"

Die Beweise kamen bei der Haussuchung zu Tage.

Insbesondere fanden sich Proben jenes Giftes, dass der Gerichtsmediziner inzwischen in O'Flahertys Blut nachgewiesen hatte. Eine schöne Gespielin des großen Bosses namens Terry brauchten wir nur etwas zusetzen, dann bestätigte sie O'Flahertys Anwesenheit in Lee Kuans Haus. Ein Haus im übrigen, das beinahe vollständig videoüberwacht war. Bis auf die Sanitärräume. Ich stellte mir vor, wie Max O'Flaherty dort die Gelegenheit genutzt und jene paar Wörter auf seine Fußsohlen geschrieben hatte, die uns letztlich auf die Spur seines Mörders gebracht hatten. Er musste geahnt haben, dass Lee Kuan ihn eiskalt über die Klinge springen lassen wollte.

Die Verhaftung Lee Kuans machte einige Schlagzeilen.

Außerdem eine paar kleine diplomatische Verwicklungen, weil Lee Kuans Kontaktleute beim chinesischen Geheimdienst über Diplomatenpässe verfügten und in der Washingtoner Botschaft sowie in der UN-Botschaft in New York beschäftigt waren. Sie wurden ausgewiesen. Es wurmte mich, dass man an diese Leute auf Grund der diplomatischen Immunität nicht heran konnte, aber so waren nun einmal die Gesetze.

George Drake wurde zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Er saß sie unter falscher Identität in einem anderen Bundesstaat ab.

"Möglicherweise ist er im Knast sogar sicherer als draußen", meinte Milo, als wir später noch einmal über den Fall sprachen. "Schließlich dürfte sein Ruf beim chinesischen Geheimdienst noch auf Jahre hinaus nicht der Beste sein..."

"Ich hoffe nur, dass niemand auf die Idee kommt, diesem Kerl etwa die Verwaltung des Bibliothekscomputers seiner Haftanstalt oder etwas ähnliches zu überlassen...", erwiderte ich.

Milo grinste breit. "In dem Fall würden wir sicher davon hören", meinte er und trank seinen Kaffee leer.

ENDE

Ein Meister seines Fachs

Krimi von A. F. Morland

Der Umfang dieses Buchs entspricht 207 Taschenbuchseiten.

Jack Corrington lebt von Einbrüchen, und er ist ein Meister seines Fachs. Als er nach einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren wieder zur Verfügung steht, hat der Gangsterboss Nic Orlando gleich wieder ein großes Ding, das Corrington für ihn durchziehen soll. Doch die Aktion steht unter keinem guten Stern, und so macht Corrington vorab sein Testament …

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

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Kapitel 1

Ein gemeines Feuer flackerte in den Augen des Mannes. Er führte nichts Gutes im Schilde.

Die Angelegenheit muss wie geschmiert ablaufen, sagte er sich. Er redete oft und gern im Geist mit sich selbst. Du musst genau den richtigen Zeitpunkt abwarten. Das Timing ist in solchen Situationen immens wichtig. Schlägst du zu früh zu, geht die Sache schief. Schlägst du zu spät zu, ebenfalls. Es gibt nur einen einzigen richtigen Moment. Und den musst du erwischen.

Ein böses Grinsen kerbte sich um seine Mundwinkel. Wenn die Geschichte erledigt ist, wird jemand ganz schön blöd aus der Wäsche gucken, ging es ihm durch den Kopf. Mit mir kann man so nämlich nicht umspringen. Ich weiß mich zu wehren, weiß mir zu meinem Recht zu verhelfen. Jawohl.

Jemand rempelte ihn an. Nur ganz leicht. Kaum der Rede wert. Dennoch blieb er grimmig stehen, ballte die Hände zu Fäusten und drehte sich feindselig um.

Der junge Mann, dem das Missgeschick passiert war, entschuldigte sich hastig, als er das teuflische Glühen in den Augen seines Gegenübers sah.

»Es - es tut mir leid«, stammelte er.

»Hast du keine Augen im Kopf?«

»Tut mir wirklich sehr leid«, sagte der andere, während er sich - rückwärts gehend - entfernte.

Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich dir jetzt die Fresse polieren, dachte der Mann und hielt nach der Person Ausschau, hinter der er schon seit einer halben Stunde her war.

»Wo ist sie?«, zischte er nervös. Er konnte sie nirgendwo mehr sehen. »Verdammt, wenn ich sie aus den Augen verloren habe …«

Er beschleunigte seinen Schritt, lief fast schon. Wo bist du Luder?, dachte er aufgeregt. Du darfst mir nicht entkommen. Ich brauche dich. Du bist sehr wichtig für mich.

Er stürmte an Menschen und Schaufenstern vorbei, stoppte, drehte sich um die eigene Achse, sprang hoch, machte den Hals lang, lief weiter, wurde immer hektischer. Und er beruhigte sich erst, als er die Blondine wieder entdeckte.

»Vaterland gerettet«, grummelte er und atmete erleichtert auf.

*

Wir schwitzten um die Wette. Milo Tucker, mein Freund und Partner, und ich. Wir hatten den ersten dienstfreien Nachmittag seit Monaten zu einem Saunabesuch genutzt, waren allein in der Kammer und genossen die beißende Hitze, nicht ahnend, dass es in Kürze einen hässlichen Paukenschlag geben würde, der uns brutal aus den Schuhen gestoßen hätte, wenn wir welche getragen hätten. Die Luft war nach dem Aufguss so dick, dass man daraus Kugeln formen und sie zur Tür hinausrollen hätte können.

»Hundertzehn Grad«, ächzte Milo. »Warum tut man sich so etwas eigentlich an?«

Ich grinste. Der Schweiß tropfte unaufhörlich von meinem Kinn. »Weil es gesund ist.«

»Wir sind Masochisten.«

Wir »quälten« uns noch zehn Minuten. Dann reichte es. Nach einem Sprung ins eiskalte Wasser kam unser Motor herrlich auf Touren.

»So«, sagte Milo, während er sich ein Handtuch um die Hüften schlang. Seine Sixpacks sahen gut aus. »Und jetzt … Carmen. Sie wird mich mit ihren goldenen Händen kräftig durchkneten.« Er lachte. »Woher die kleine, zarte, glutäugige Fee nur so viel Power hernimmt.«

Ich war bei Marc, einem kraftstrotzenden Riesen mit Muskelpaketen wie Arnold Schwarzenegger in seinen besten Tagen, zur Massage angemeldet.

Doch wir mussten beide unsere Termine sausen lassen, weil plötzlich jemand hinter uns mit dröhnender Stimme rief: »Jesse! Milo!«

Wir drehten uns gleichzeitig um. In der offenen Tür, die zur Saftbar hinausführte, stand Hank Hogan. Ein Herkules wie Marc, der Masseur.

Unser bester V-Mann. Privatdetektiv von Beruf. Und unser Freund seit vielen Jahren. Ich sah dem blonden Hünen ins Gesicht und wusste sofort, noch ehe er den Mund aufmachte, dass etwas Schlimmes passiert war.

»Hank«, sagte ich.

»Belinda«, stieß der große Blonde mit den buschigen Augenbrauen heiser hervor.

Belinda Fox war seine Sekretärin. Seine zuverlässige Assistentin. Und wahrscheinlich noch ein bisschen mehr. Wie viel mehr, entzog sich jedoch unserer Kenntnis. Aber mir war aufgefallen, dass es bisweilen ziemlich vernehmlich zwischen den beiden knisterte.

Kein Wunder. Die Kleine war, neben allen anderen Vorzügen, die sie unbestritten hatte, auch noch verdammt hübsch. Schlank. Wohlgeformt. Langbeinig. Blond und blauäugig. Einfach Barbie und mehr.

»Belinda wurde gekidnappt!«, platzte es aus Hank heraus.

Mir war, als würde jemand mit einer hart gefrorenen Salami über meinen Rücken streichen, und meine Kopfhaut zog sich schmerzhaft zusammen.

*

Belinda Fox hatte sich mit einer Freundin zum Shoppen getroffen.

»Kampf der Inflation«, hatte Kimberley Gish aufgekratzt gesagt, während sie in Queens durch ein neu eröffnetes Einkaufszentrum schlenderten – wachsamen Auges nach lohnenden Schnäppchen Ausschau haltend. »Wir kaufen die Läden leer, bevor unser sauer verdientes Geld nichts mehr wert ist. So macht man das. In Aktien zu investieren ist mir zu unsicher geworden. Die können morgen schon ins Bodenlose fallen.«

Belinda Fox blieb vor einem Schaufenster stehen und nahm einen dicken, farbenfrohen Wollponcho in Augenschein. »So sauer verdiene ich mir mein Geld gar nicht.«

»Arbeitest du noch immer in dieser Detektei?«, fragte Kimberley. Ihr braunes Haar war streichholzlang. Sie sah aus wie ein hübscher Junge, war überschlank und flachbrüstig. Sie hätte Keira Knightleys Schwester sein können. »Gott, wenn ich nur auch so einen blendend aussehenden Chef hätte.« Sie seufzte theatralisch und verdrehte die Augen, als ob sie gleich ohnmächtig würde. »Läuft was zwischen euch?«

»Kein Kommentar.«

»Hey, was soll das?« Kimberley boxte Belinda in die Seite. Sie arbeitete in einer großen Anwaltskanzlei, und ihr Chef war so fett, dass sie ihn sich lieber nicht nackt vorzustellen versuchte. »Ich bin deine Freundin. Komm schon. Mir kannst du es doch verraten. Ich erzähle es auch ganz bestimmt nicht weiter.«

Belinda ging in das Geschäft und kaufte den Poncho. Die Frage der Freundin blieb unbeantwortet.

Eine Stunde später sagte Kimberley – vollbeladen mit Päckchen und Einkaufstüten: »Grundgütiger, ich komme mir vor wie ein tibetanischer Sherpa. Ich schlage vor, wir legen unsere Beute in meinen Wagen und gönnen uns anschließend einen prima Cappuccino.«

»Vorschlag angenommen«, sagte Belinda, die ihren Kaufrausch sehr viel besser unter Kontrolle hatte, als Kimberley. Was sich daran zeigte, dass sie nicht so viel zu tragen hatte.

Sie fuhren mit dem Lift zur Tiefgarage hinunter.

Und dort passierte es …

Kimberley Gish öffnete den Kofferraum ihres dunkelgrünen Hyundai und legte ihre Trophäen hinein. Plötzlich vernahm sie einen dumpfen Schlag, und als sie sich aufrichtete, kippte Belinda Fox bewusstlos neben ihr in den Kofferraum.

Fassungslos drehte sie sich um. Jemand riss ihr die Fahrzeugschlüssel aus der Hand. Sie wollte um Hilfe schreien. Doch da knallte etwas Hartes gegen ihre Schläfe und sie fiel ächzend in ein schwarzes Loch.

Der Täter fesselte Belindas Arme und Beine mit einem extrem reißfesten, weil gewebeverstärkten, silbernen Plastikband und klebte ihr den Mund zu. Dann holte er sein Handy heraus, knipste ein paar Fotos von der Bewusstlosen, klappte den Kofferraumdeckel zu, stieg in den Wagen und fuhr los. Um Kimberley Gish kümmerte er sich nicht.

Der ganze Spuk hatte nur wenige Augenblicke gedauert.

*

Frei. Er war wieder frei. Meine Güte, war das ein gutes Gefühl, nicht mehr eingesperrt zu sein. Jack Corrington genoss es mit geschlossenen Augen.

Er stand mitten im Central Park und pumpte gierig die würzige Luft in seine Lungen, die endlich nicht mehr von Gittern gesiebt wurde.

Sie hatten ihn rausgelassen. Zwar nur auf Bewährung, aber immerhin. Wenn er sich nichts mehr zuschulden kommen ließ, brauchte er nicht mehr in den Knast zurückkehren. Na ja, falls er doch wieder ein Ding drehen sollte, durfte er eben nicht so dämlich sein, sich dabei erwischen zu lassen. Er ging eigentlich davon aus, dass er sich bald wieder an irgendjemandes Eigentum vergreifen würde. Das war sein Job. Er hatte nichts anderes gelernt.

 

Er lebte vom Einbrechen. Wie der Milchmann vom Milch liefern, der Chirurg vom Aufschneiden von Bäuchen oder der Metzger vom Schlachten.

Als er die Augen öffnete, huschten zwei Eichhörnchen mit buschigen Schwänzen an ihm vorbei. Federleicht und lautlos. Sie sausten an einem Baum hoch, als gäbe es keine Schwerkraft und entschwanden in der schier unendlichen Weite der riesigen Baumkrone.

»Ihr habt es gut«, murmelte der Ex-Knacki. Er wackelte mit dem Kopf. »Euch sperrt niemand ein. Die Menschen lieben und füttern euch. Ihr habt keine Sorgen. Ihr könnt anstellen, was ihr wollt. Niemand nimmt euch irgendwas krumm. Wie wär's? Wollen wir tauschen?«

Dreieinhalb Jahre hatte er im Knast verbracht. Eine lange Zeit.

Und wenn ich denen, auf die es ankommt, die da drinnen etwas zu sagen haben, nicht so eifrig in den Arsch gekrochen wäre, würde ich mit dem Dauerfurzer Fred Toon und dem schwachsinnigen Alec Meeker, der die Finger zu Hilfe nehmen muss, wenn er zwei und zwei addieren möchte, noch immer in derselben Zelle sitzen, dachte er. Man müsste einen Coup landen, der so viel einbringt, dass man danach nie mehr zu arbeiten braucht und ein sorgenfreies Leben führen kann. Welcher Ganove hat noch nie davon geträumt? Ich kenne keinen.

Jack Corrington war groß, dunkelhaarig und schlank. Man sah ihm an, dass er eine Zeitlang geboxt hatte. Das hatte deutliche Spuren in seinem Gesicht hinterlassen.

Dass ihn die Frauen trotzdem attraktiv fanden, konnte er nicht verstehen. Er selbst fand sich hässlich. Fünfzehn Siege hatte er en suite geschafft. Sieben davon mit K. O. Dann hatte er sich beim Training den Mittelhandknochen gebrochen und nach seiner Genesung nicht mehr an seine »durchschlagenden« Erfolge anschließen können.

Deshalb hatte er es bleiben lassen und dem Ring für immer den Rücken gekehrt. Kürzlich, im Gefängnis, hatte Doc Myers bei ihm ein Herzleiden, das er nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte, diagnostiziert.

Bei ihm!

Bei einem Mann, dem man zugetraut hätte, dass er bei einer Reifenpanne seine Karre kurz mal mit bloßen Händen zum Reifen wechseln hochhob, wenn gerade kein Wagenheber greifbar war. Aber er Schein trog – leider.

Corrington verließ den Central Park und suchte seine Stammkneipe am Hudson River auf. Das Lokal war leer. Und hinter dem Tresen stand ein großer, fremder Mann.

»Was darf's sein?«

»Budweiser«, antwortete Corrington. »Wo ist Harry?«

»Welcher Harry? Harry McFay? Harry Spooner? Harry Wylder?«

»Harry Bronco«, sagte Corrington.

»Den gibt es nicht mehr.«

»Was ist passiert?«, wollte Corrington wissen.

»Er hatte Streit mit einem Gast.«

»Und?«

»Der Gast hat ihn erstochen. Gleich draußen vor der Tür.«

Corrington bekam sein Bier. »Wann?«

»Vor drei Jahren.«

»Vor drei Jahren schon?«, staunte Corrington. Er trank einen Schluck. Das Bier schmeckte himmlisch. Das erste Budweiser in der wiedergewonnenen Freiheit. Als ob einem ein Engel auf die Zunge pinkelt, dachte er. »Ich war hier früher mal Stammgast.«

»Hab Sie noch nie gesehen.«

»Ich war verreist«, sagte Corrington.

»Verstehe. Und nun sind Sie wieder zurück.«

Corrington nickte. »So ist es.«

»Wie ist Ihr Name?«

»Corrington«, gab der Ex-Knacki zur Antwort. »Jack Corrington.«

»Den kenne ich. Die Leute reden ab und zu über Sie.«

Corrington grinste. »Schön, dass sie mich noch nicht vergessen haben.«

»War es schlimm da, wo Sie waren?«

Corrington zuckte mit den Achseln. »Ich konnte es mir ein wenig richten.«

Der Wirt streckte die Pranke über den Tresen. »Mein Name ist Seberg. Hal Seberg. Der Laden gehört seit Harrys Tod mir. Ich würde mich freuen, Sie von nun an öfter hier begrüßen zu dürfen, Mr Corrington. Das Bier geht selbstverständlich aufs Haus.«

»Jack. Nenn mich Jack, okay?«, verlangte der entlassene Häftling. »Mr Corrington – das war mein Vater. Ein Ehrenmann. Hat sich nie auch nur das Geringste zuschulden kommen lassen. Dem wäre es zum Beispiel nie im Leben in den Sinn gekommen, seine Versicherung zu bescheißen. Oder sonst was zu drehen, was nicht ganz koscher war. Unrecht Gut gedeiht nicht. Ehrlich währt am längsten. Was du nicht willst, das dir man tu, das füg auch keinem andern zu. Mit solchen frommen Sprüchen bin ich aufgewachsen. Mein alter Herr hatte jeden Tag einen neuen für mich parat. Weiß der Geier, wo er die alle ausgrub. Einige hat er sich wohl auch selbst zusammengekleistert. Und was hat ihm sein lupenreiner Lebenswandel eingebracht? Hoch verschuldet ist er gestorben. In einer billigen Holzkiste hat man ihn beerdigt. Weil kein Geld für was Besseres da war.« Er wackelte mit dem Kopf, als würde ihn etwas mächtig beeindrucken. »Aber – dafür ist er jetzt im Himmel. O ja, das ist er. Auf Augenhöhe mit Gott. Leider ist damit aber auch die Chance vertan, dass wir einander eines Tages wiedersehen werden. Weil Jungs wie ich da oben nämlich nicht reingelassen werden.« Er wies mit dem Zeigefinger zur Decke.

»Alles hat eben seinen Vor- und seinen Nachteil«, philosophierte Hal Seberg.

»Bist du verheiratet, Hal?«, fragte Corrington.

»Nein«, antwortete der Wirt. »Aber ich hab jemand, bei dem ich mein Zeug loswerde.«

Corrington nickte. »Das ist sehr wichtig. Ich musste dreieinhalb Jahre darauf verzichten.«

Seberg sah ihn an, als würde er ihn bemitleiden. »Ist 'ne verdammt lange Zeit.«

Corrington setzte sein breitestes Grinsen auf. »Aber von nun an wird wieder scharf geschossen. Die Hasenjagd ist eröffnet.« Er trank den Rest seines Bieres. »Danke für die Spende. Ich muss weiter. Man sieht sich. Mach's gut, Hal.«

»Du auch, Jack.«

Corrington verließ das Lokal.

*

Kimberley Gish war nach dem brutalen Überfall im Krankenhaus gelandet. Sie hatte eine Platzwunde an der Schläfe abbekommen, die genäht werden musste, und nun lag sie zur Beobachtung allein in einem Krankenzimmer, weil die Ärzte bei ihr eine mittelschwere Gehirnerschütterung festgestellt hatten. Sie bekam Infusionen, und ihre wichtigsten Lebensfunktionen wurden von medizinisch-technischen Geräten überwacht.

Dr. Rob Foster, der Stationsarzt, ein schrumpeliger Dreikäsehoch, wollte uns nicht zu ihr lassen. »Das – das kann ich nicht verantworten«, stieß er - beinahe entrüstet - hervor. »Das ist ganz unmöglich. Kommen Sie morgen wieder. Wenn es der Patientin dann schon besser geht, dürfen Sie mit ihr sprechen. Aber nicht heute. Auf gar keinen Fall heute. FBI hin, FBI her. Das Wohl der Patientin muss an erster Stelle stehen.«

Es wäre für uns eminent wichtig gewesen, jetzt gleich mit Belindas Freundin zu reden. Heute war die Spur noch warm. Morgen vielleicht schon nicht mehr.

Ich versuchte dem Doktor das klar zu machen, und ich versprach ihm auch, mit Kimberley so behutsam wie nur irgend möglich umzugehen.

Dr. Foster blieb bei seinem Nein. Er war ein starrköpfiger alter Mann. Erst als Milo die Idee äußerte, mit Mr McKee, unserem Vorgesetzten, der mit dem Chef der Klinik gut bekannt, wenn nicht gar befreundet war, zu telefonieren, schwenkte Rob Foster mit einem Mal um.

»Also gut«, gab er seufzend nach. Seine Augen funkelten kriegerisch. Er war kein guter Verlierer. »Aber machen Sie es kurz. Ich gebe Ihnen nicht mehr als fünf Minuten. Und wenn die Patientin durch dieses Gespräch, gegen das ich nach wie vor bin, Schaden nimmt, mache ich Sie dafür verantwortlich.«

Hank, Milo und ich gingen zu Kimberley. Wir vereinbarten, dass nur Hank mit ihr sprach. Weil sie ihn kannte. Uns aber nicht. Milo und ich wollten lediglich zuhören.

Während Hank Hogan an das Krankenbett trat, blieben wir im Hintergrund. Kimberley schien zu schlafen. Hank beugte sich über sie.

Sie schien seine Nähe zu spüren. Ihre Lider zuckten kurz. Dann öffnete sie die Augen. »Hank«, hauchte sie. »Es tut mir ja so leid …«

Der blonde Hüne schüttelte langsam den Kopf. »Ihnen braucht nichts leid zu tun, Kimberley. Sie haben nichts getan. Wie geht es Ihnen?«