Die Großmeister des Mordes: Alfred Bekker präsentiert 12 Strand Krimis

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12

"Was machen wir mit dem Kerl?", fragte mich Milo, als wir wieder in unserem Sportwagen saßen. "Nimmst du ihm ab, dass er nichts mit der 'großen Sache' zu tun hat?"

"Bis jetzt wissen wir noch nicht einmal, ob überhaupt etwas dran ist", gab ich zu bedenken. "Wir haben nur O'Flahertys Aussage."

"Möglicherweise gibt es unter 'BigBytes' Freunden noch einige, denen er eine Mitarbeit angeboten hat."

"Ja. Allerdings bezweifle ich, ob alle so mutig sind, darüber zu reden."

"Jedenfalls nicht die, die das Angebot angenommen haben!"

"Auf jeden Fall müssen wir uns bei Mister McKee melden. Unser Chef sollte mal festzustellen versuchen, ob man im Pentagon überhaupt etwas von einem 'Einbruchsversuch' ins Datennetz gemerkt hat!"

"Wenn du mich fragst, dann sollten wir die Computer sämtlicher auf unserer Liste stehender Personen beschlagnahmen und untersuchen lassen..."

"Das macht kein Richter mit!"

Milo zuckte die Achseln. "Vermutlich hast du recht, Jesse. Allerdings geht es möglicherweise um einen Fall, der die nationale Sicherheit berührt..."

Milos Handy schrillte. Es steckte in der Freisprechanlage unseres Sportwagens, so konnten wir beide mithören.

Mister McKee war am Apparat.

"Auf einem Parkplatz drüben in New Jersey ist eine Frau tot aufgefunden worden. Vonda McDaniels. Die Kollegen dachten erst, dass es sich um einen Selbstmord handelte, aber jetzt sind Zweifel angebracht. Vonda McDaniels wohnte in der 53.Straße West, Hausnummer 432. Die Durchsuchung ihrer Wohnung hat sich ein interessanter Zusammenhang zu unserem Fall ergeben... Ich möchte, dass Sie diese Hacker-Clique für eine Weile vergessen und sofort dort hin fahren."

"Okay, Sir", sagte Milo.

Und dann berichtete mein Kollege von unseren bisherigen Ermittlungsergebnissen.

Mister McKee hörte aufmerksam zu.

"Ich werde mal im Pentagon und bei den Kollegen der NSA anfragen", kündigte er an. "Ansonsten kann ich nur hoffen, dass Sie beide sich irren und dieser O'Flaherty Ihnen einen Bären aufgebunden hat."

"Wenn doch etwas dran ist, hätten die Kontakte zu dem Server in Russland natürlich eine besondere Brisanz."

"Wenn die Pentagon-Zugangscodes an unsere neuen Freunde in Moskau gelangten, wäre das vermutlich noch die harmloseste Variante. Es könnte im Grunde jeder Geheimdienst der Erde dahinterstecken! Und selbst im eigenen Land gibt es jede Menge Interessenten für derartige Daten..."

"Rüstungskonzerne zum Beispiel, die gerne im Voraus wissen möchten, was der Pentagon so für die Zukunft plant", meinte ich. "Bei Ausschreibungen für Rüstungsprojekte lässt sich die Konkurrenz dann prima ausschalten..."

Zwanzig Minuten später hatten wir die Adresse erreicht, die Mister McKee uns angegeben hatte. Es handelte sich um ein Appartementhaus der Mittelklasse. Vonda McDaniel hatte im dreizehnten Stock gewohnt. Durch die getönten Fensterscheiben hatte man einen freien Blick bis zum Hudson.

Bei gutem Wetter auch darüber hinaus. Fast bis zu der Stelle, an der die junge Frau gestorben war.

In der Wohnung trafen wir auf ein Team der Scientific Research Division sowie Captain Nathan Blake vom 46. Polizeirevier des New York Police Department.

"Hallo, Jesse, hallo Milo!", begrüßte Blake uns. Wir kannten uns flüchtig. Früher hatte Nat Blake beim Police Department von Yonkers gearbeitet. Aber auf Grund von Meinungsverschiedenheiten mit seinen Vorgesetzten, war er bei Beförderungen übergangen worden. Nachdem er zum NYPD gewechselt war, hatte es dann geklappt. Jetzt war er Captain und Chief eines Reviers.

"Wie geht's, Nat?", fragte ich.

"Ich kann nicht klagen - außer über die schlampige Arbeit der Kollegen in New Jersey. Ich zeige euch mal ein paar Tatortfotos..."

Er holte die Bilder aus der Jackentasche, breitete sie auf dem niedrigen Wohnzimmertisch aus, mit dem die SRD-Kollegen schon fertig waren. "Vonda McDaniel wurde zunächst aus einer Entfernung von ein bis zwei Metern erschossen. Dann hat der Täter dem Opfer die Waffe in die Hand gedrückt, die Mündung auf die Schusswunde gesetzt und nochmal abgedrückt. Das zweite Projektil durchschlug den Schädel und drang in den Boden. Der Täter hat es entfernt, aber der Einschuss ließ sich dennoch nachweisen. Durch die Hitze beim Einschuss geschmolzene Sandkörner, Blutspuren des Opfers, die das Projektil in die Erde transportierte... Ich will da nicht in die Details gehen. Ihr kennt das ja."

"Und in wie fern besteht ein Zusammenhang mit der Schießerei Ecke Bedford Street/Seventh Avenue?", hakte Milo nach.

Nat Blake hob die Augenbrauen. "Schießerei ist gut! Nach allem, was man darüber hört, war es ein regelrechtes Massaker!" Er wies mich und Milo mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen. Wir gingen nacheinander in den Nachbarraum.

Eine SRD-Kollegin mit langen roten Haaren und einem weißen, hauchdünnen Einweg-Schutzoverall war gerade damit beschäftigt, Fingerabdrücke vom Türgriff zu nehmen.

Auf einem gediegen wirkenden Eichenschreibtisch lag ein brauner Umschlag.

"Seid ihr damit schon fertig?", fragte Blake und deutete dabei auf das Kuvert.

"Nein, bitte nur mit Latexhandschuhen anfassen! Ich bin noch nicht dazu gekommen", war die Auskunft der Rothaarigen.

Blake trug ohnehin Latexhandschuhe. Er öffnete das unverschlossene Kuvert. Darin befanden sich Fotos. Sie zeigten eine Person, die auf unserer Fahndungsliste stand.

"Desmond Cole!", stieß ich hervor. Der Mann im Mitsubishi, auf den es die Killer-Truppe an der Ecke Bedford/Seventh Avenue abgesehen gehabt hatte.

Nat Blake nickte. "Ja, genau! Was diese Fotos genau bedeuten, müsst ihr rausfinden."

"Diese Schnappschüsse sehen aus, als ob Cole beschattet worden ist!", stellte Milo fest. Auf einigen der Fotos war das Gesicht in Großaufnahme zu sehen. Andere waren aus größerer Entfernung aufgenommen worden. Sie zeigten Cole mit weiteren Personen in einem der zahllosen Straßencafes im Village. Dann beim Telefonieren an einem öffentlichen Fernsprecher am Madison Square. Wieder ein anderes zeigte ihn vermutlich im Battery Park. Jedenfalls war die Statue of Liberty im Hintergrund sichtbar. Cole sprach mit einem anderen Mann, der leider nur von hinten zu sehen war.

"Was hat diese Vonda McDaniels beruflich gemacht?", fragte ich.

Nat Blake zuckte die Achseln. "Unseren Ermittlungen nach hatte sie Geld genug, aber keinen Job, für den es eine Sozialversicherungsnummer gibt."

Ich deutete auf den Computerschirm auf dem Schreibtisch.

"Aber sie verstand offenbar was von Rechnern.."

"Keine Ahnung..." Bevor ich die Tastatur berühren konnte, reichte Nat Blake mir einen Latex-Handschuh. "Nehmen Sie den hier, sonst kriegen Sie Ärger mit unserer Kollegin..."

Ich streifte den Handschuh über und aktivierte den Rechner.

Ich musste ein Passwort eingeben.

"Haben Sie das Geburtsdatum von Vonda McDaniels?", fragte ich an Nat Blake gewandt.

"Wieso?"

"Wenn das nicht passt, brauche ich die Namen und Geburtsdaten von Freunden, Verwandten und Haustieren..."

Nat Blake sah mich etwas erstaunt an.

"Wir haben gerade einen Crash-Kurs in Hacker-Kunde hinter uns!", meinte Milo grinsend.

Mit dem Geburtsdatum kam ich dann tatsächlich in das System.

"Sieh an", stellte ich kurze Zeit später fest. "Vonda McDaniels hat Elektropost bekommen - aus Russland."

Der Absender: 'The Virus'.

Der Inhalt bestand aus ein paar grobkörnigen Bildern in miserabler Qualität, auf denen sich nackte Frauen in einschlägigen Posen räkelten.

"Sag mal, gibt es eigentlich irgendwelche Hinweise, die dafür sprechen, dass Vonda McDaniels Lesbierin war?", fragte ich an Blake gewandt.

"Verheiratet war sie nicht, aber ansonsten..." Er schüttelte den Kopf.

13

Der metallicfarbene Chrysler schoss die mitten durch den Central Park führende Transverse Road No.2 entlang. Der Mann mit der Baseballkappe saß am Steuer.

Der Kahlkopf hatte auf dem Beifahrersitz platzgenommen und kaute auf ein paar Erdnüssen herum.

"Hier ist es gleich!", meinte er kauend.

Der Mann mit der Baseballkappe trat in die Eisen. Der Chrysler kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Dem Kahlkopf fielen zwei Dutzend Erdnüsse aus der Packung, die er mit der Linken hielt.

"Mann, pass doch auf, Joss!", schimpfte der Kahlkopf.

Joss, der Mann mit der Baseballkappe deutete auf einen schmalen Weg, der mitten in den Wald führte. The Rumble hieß dieses Waldstück. Es war mehrere Quadratkilometer groß. Die grüne Lunge des Big Apple. "Hier geht's rein!", meinte er.

Er trat das Gas voll durch. Der Chrysler vollführte eine scharfe Kurve und fuhr dann in einem halsbrecherischen Tempo den schmalen Weg entlang. Den Stoßdämpfern wurde das Letzte abverlangt.

Joss stoppte den Wagen erst, als es einfach nicht mehr weiter ging und sie an einen Hang kamen.

"Aussteigen", sagte Joss. "Die Pflicht ruft."

"Ich hoffe, wir sind weit genug, dass keiner die Schreie hört."

"Und ich hoffe, du hast an einen Spaten gedacht, um die Sauerei zu beseitigen..."

Sie stiegen aus.

Der Kahlkopf öffnete den Kofferraum. Die Uzi trug er dabei lässig an einem Schultergurt.

Bruce Levonian war zu einem regelrechten Bündel verschnürt worden. Der Kahlkopf zerrte ihn aus dem Kofferraum, schleuderte ihn zu Boden.

Ein Ächzen kam aus Levonians blutverschmiertem Mund.

 

Joss zündete sich eine Zigarette an.

Er stand etwas gelangweilt da, steckte den Daumen hinter den Griff der Automatik, die aus seinem Gürtel herausragte.

"Sorg dafür, dass er wieder zu sich kommt, bevor du mit deinem Programm beginnst!", forderte Joss. "Sonst hat er ja gar nichts davon."

Der Kahlkopf lachte dreckig und versetzte Bruce Levonian einen furchtbaren Fußtritt. Bruce stöhnte auf, immer noch benommen. Der Kahlkopf beugte sich zu ihm hinunter, schlug ihm ein paarmal ins Gesicht.

"Hörst du mich, Bruce?", fragte er.

Bruce' Antwort war unverständlich. Ein lallender Laut, sonst nichts. Er spuckte Blut.

"Weißt du, womit wir anfangen?", fragte der Kahlkopf und kicherte dabei. "Du kennst doch das Problem. Man darf die Leiche möglichst nicht identifizieren. Anhand der Zähne wird das auch kaum noch möglich sein, wenn ich mit dir fertig bin..." Er kicherte erneut. Dann fuhr er in gedämpftem Tonfall fort: "Bleibt aber immer noch die Sache mit den Fingerprints. Normalerweise tauchen wir die Fingerkuppen immer erst in ein Säurebad, wenn derjenige schon eine Kugel im Kopf hat. Aber auf ausdrücklichen Wunsch von 'The Virus' machen wir das heute mal umgekehrt..."

Das Lachen im kantigen Gesicht das Kahlkopfs gefror.

Bruce ließ blitzartig seine Stirn nach vorn schnellen. Er traf den Kahlköpfigen an der Nase. Das Blut schoss ihm heraus. Er schrie auf.

Es dauerte eine volle Sekunde, ehe er begriff, dass Bruce Levonian während seines Aufenthalts im Kofferraum wohl schon längst zu sich gekommen war. Mochte der Teufel wissen, wie er es geschafft hatte, die Fesseln zu lösen. Seine Hände schnellten vor. Zwei Finger der linken Hand stachen dem Kahlkopf in die Augen. Die Rechte griff nach der Uzi, riss sie dem Kahlkopf von der Schulter.

Joss griff unterdessen zu seiner Waffe.

Er hatte sie kaum zur Hälfte herausgezogen, da ließ Bruce bereits die Uzi losknatttern. Ein halbes Dutzend Projektile zerfetzte Joss' Oberkörper, ließ ihn zuckend tanzen wie eine Marionette und dann blutüberströmt zu Boden gehen.

Langsam erhob sich Bruce.

Er befreite sich dabei von den letzten Fesseln.

Der Kahlkopf kauerte am Boden, zitterte.

Bruce richtete die Waffe auf ihn.

"Vielleicht hast du recht", murmelte er. "Vielleicht kann man deinem Boss wirklich nicht entkommen... Also machen wir's umgekehrt! Du führst mich zu ihm hin!"

"Das... das geht nicht!"

Der Kahlkopf bekam einen Schlag mit dem Lauf der Uzi, dann einen Tritt. Er krümmte sich stöhnend.

"Ich denke, du bist viel zu schmerzempfindlich, um nicht mit mir zusammenzuarbeiten!", stellte Bruce Levonian mit einem kalten Grinsen fest.

14

"Ich habe Kontakt zum Pentagon aufgenommen", erklärte uns Mister McKee später in seinem Dienstzimmer. Unsere Dienstzeit war längst zu Ende. Durch die Scheiben konnte man das blinkende Lichtermeer des nächtlichen New York sehen. Orry unterdrückte ein Gähnen. Clive versuchte sich mit einem Becher Kaffee wieder etwas wacher zu machen.

Wir sahen Mister McKee gespannt an.

"Man weiß dort von keinem erfolgreichen Datenangriff", sagte Mister McKee. "Und eine erste Überprüfung hat ergeben, dass ein solcher Angriff auch nicht stattgefunden hat."

"Das gibt's doch nicht!", entfuhr es Milo.

"Möglicherweise war der Angriff so geschickt, dass er nicht bemerkt wurde!", meinte ich. "Angenommen, diesem mysteriösen Hacker-König mit dem Pseudonym, 'The Virus' ging es nur darum, die Zugangsdaten zu ermitteln, die er dann meistbietend verkauft hat... Dann musste er doch so vorsichtig wie möglich dabei vorgehen! Denn wenn der Pentagon etwas davon bemerkt, sind die Daten doch nichts mehr wert!"

"Ich muss Ihnen recht geben, Jesse. Zur Zeit tippen sich dort die EDV-Spezialisten die Finger wund, um alle möglichen Sicherheitslücken zu schließen, Zugangscodes zu ändern und dergleichen..."

"So lange die das Loch nicht kennen, durch das 'The Virus' hereinkommt, ist das doch mit der Abwehrbewegung eines Blinden zu vergleichen, der sich gegen den Schlag eines Boxers zu wehren versucht!"

Mister McKee seufzte.

"Jesse, Sie gehen davon aus, dass die Story, die Max O'Flaherty Ihnen erzählt hat, der Wahrheit entspricht. Aber was, wenn er sich nur wichtig machen wollte?"

"Uns gegenüber hat er dafür kein Motiv. Er bekommt durch die ganze Sache nur Schwierigkeiten", gab ich zu bedenken.

"Aber ausschließen können Sie es nicht, Jesse, oder?"

Ich zuckte die Achseln. "Wer könnte das schon?"

"Die ganze Sache hat einen negativen Nebeneffekt für uns. Weil das Pentagon einen Datenangriff bestreitet, bekommen wir nur einen Durchsuchungsbefehl für O'Flaherty' Wohnung. Was die anderen Mitglieder von Mark Sorellos ehemaliger Clique angeht, können wir weder ihre Telefone oder Emails abhören noch Durchsuchungen durchführen. Da macht kein Richter mit!" Mister McKee blickte in die Runde. "Ich weiß, wie spät es ist, aber der Durchsuchungsbeschluss traf erst vor kurzem bei mir ein. Ich möchte Sie bitten, sein Computer-Equipment zu konfiszieren und die Wohnung nach verdächtigem Material abzusuchen..."

"Etwas in der Art hatte ich schon befürchtet", meinte Milo.

"Tut mir leid - aber ich brauche jetzt eine ganze Reihe unserer Agenten für die Beschattung von Mitgliedern der ehemaligen Clique um 'BigByte' Sorello. Vielleicht ist die ganze Bande ja jetzt aufgescheucht und irgendeiner aus diesem Hühnerhaufen begeht eine Unvorsichtigkeit..."

Fünf Minuten später saßen wir im Sportwagen und machten uns gemeinsam mit einigen anderen Einsatzwagen des FBI auf den Weg zu O'Flahertys Adresse.

"Wenn es irgendwelches belastendes Material auf seinem Rechner gegeben hat, dann war O'Flaherty mit Sicherheit schlau genug, es zu vernichten!", war Milo überzeugt.

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

"Schließlich nennt er sich ja auch 'SmartMax'!", witzelte ich. "Na, dann wollen wir mal schauen, ob unser 'schlauer Max' wirklich soviel auf dem Kasten hat."

Wir fuhren mit Rotlicht auf dem Dach.

Schließlich wollten wir nicht, dass sich die Aktion bei O'Flaherty länger hinzog als nötig. Die Nacht war schon kurz genug.

In Rekordzeit erreichten wir die Souterrain-Adresse des Ex-Hackers, der sich jetzt angeblich nur noch mit dem Testen von Spielen über Wasser hielt.

"Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Mann wie O'Flaherty Sorellos Angebot einfach so abgelehnt hat..."

"Vielleicht ist O'Flaherty wirklich klug und weiß, dass seit der Geschichte von damals die Behörden ein Auge auf ihn haben..."

"Ach, Milo, glaubst du das wirklich?"

"Wir werden sehen."

Orry und Clive trafen kurze Zeit später mit ihrem Chevy ein, gefolgt von Agent Fred LaRocca, der zusammen mit einer jungen Agentin namens Sabra Davis in einem Lieferwagen fuhr.

Schließlich brauchten wir Platz genug für das zu beschlagnahmende Computer-Equipment des Verdächtigen.

Und genau als das wurde O'Flaherty jetzt behandelt.

Allerdings war das einzige Indiz, das bislang gegen ihn sprach, seine eigene Aussage uns gegenüber. Er hatte von einem Datenangriff berichtet, den es laut offiziellem Pentagon-Bericht nicht gegeben hatte. Oder der nicht bemerkt worden war. Wie auch immer, dass das Pentagon in dieser Sache mauerte verstand ich nur zu gut. Wenn ein derartiger Vorfall an die große Glocke gehängt wurde, machte das die Sache nur schlimmer und ermutigte Nachahmungstäter.

So gab es also offiziell keine Tat.

O'Flahertys Aussage war der einzige Hinweis darauf, den ein Richter gelten lassen konnte. Die Sex-Mails aus Russland ließen sich auch anders erklären...

Wir stiegen die Treppe zu O'Flahertys Wohnungseingang hinab. Ein umgebautes Kellerfenster, so vermutete ich.

Ich klopfte an die Tür.

Eine Klingel gab es bei O'Flaherty nicht.

"Max O'Flaherty, öffnen Sie! Hier ist das FBI!"

Keine Antwort.

Wir versuchten es noch zweimal.

Dann öffneten wir die Tür gewaltsam.

Mit einem Fußtritt ließ ich sie zur Seite fliegen. Die SIG hatte ich in beiden Händen.

Ich ließ den Blick schweifen und steckte die Waffe dann wieder ein. O'Flaherty war nicht da. Es herrschte ein unbeschreibliches Chaos in der Wohnung. Computerschirme waren auf den Boden geworfen, Rechnergehäuse aufgeschraubt und zum Teil auch einfach aufgebrochen worden. Sesselpolster wiesen Schlitze auf und der Inhalt von Regalen und Schubladen lag auf dem Boden. Irgendjemand hatte hier seiner Zerstörungswut freien Lauf gelassen.

Ich machte ein paar Schritte nach vorn.

"Scheint, als wären wir zu spät gekommen", kommentierte Orry.

"Wir müssen O'Flaherty zur Fahndung ausschreiben!", schlug ich vor. Innerlich kochte ich. Dieser Narr! Jetzt konnte er von Glück sagen, wenn wir ihn vor jenen Leuten fanden, die in O'Flahertys Sachen herumgewühlt hatten.

15

Das BUFFALO war eine Nobel-Bar in der Fifth Avenue, kaum zehn Minuten vom Central Park entfernt. Max O'Flaherty blieb vor dem Eingang stehen. Ein grimmig dreinblickender Türsteher sah geringschätzig an ihm herab. O'Flaherty ahnte, dass er in seinen ausgebeulten Cargo-Hose und dem fleckigen T-Shirt nicht den Hauch einer Chance hatte, in ein Etablissement wie das BUFFALO eingelassen zu werden.

O'Flaherty zuckte zusammen als ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte. O'Flaherty wandte sich halb herum, sah einen Mann in dunklem Anzug mit chinesischen Gesichtszügen. Der Chinese war sehr zierlich gebaut, reichte O'Flaherty kaum bis zur Schulter. Er musste in der Nähe auf O'Flaherty gewartet haben.

"Mister Lee Kuan erwartet Sie", sagte der Chinese.

O'Flaherty war einen Augenblick lang unschlüssig. Er deutete zu dem Türsteher.

"Das geht schon in Ordnung", sagte der Chinese.

O'Flaherty ließ sich von dem Chinesen an dem Türsteher vorbeiführen. Der Türsteher verzog das Gesicht. O'Flaherty fragte sich, wie viel der Chinese dem Türsteher wohl dafür bezahlt hatte, über sein Outfit hinwegzublicken.

Der Chinese führte O'Flaherty an einen Tisch im hinteren Teil des BUFFALO. Ein Mann mit dunklen Mandelaugen und dünnem Oberlippenbart saß dort. Er war leicht übergewichtig und etwa vierzig Jahre alt.

"Mister Lee Kuan!", stieß O'Flaherty hervor.

"Setzen Sie sich, O'Flaherty!", forderte ihn Lee Kuan auf.

O'Flaherty gehorchte.

Hinter Lee Kuan stand ein breitschultriger Bodyguard. Ein Chinese mit blondgefärbten Haaren. Die Waffe drückte sich durch das Jackett durch.

"Es war Ihr Wunsch mich zu sprechen, Mister O'Flaherty..."

"Sie müssen mir helfen, Mister Lee Kuan!"

Lee Kuan hob die Augenbrauen. "So, muss ich das?"

" Die sind hinter mir her!"

"Was Sie nicht sagen..."

"Ich muss untertauchen!"

"Dann wünsche ich Ihnen viel Glück dabei, Mister O'Flaherty."

"Heißt das...?"

Lee Kuans Gesicht blieb völlig unbewegt. "Sagen Sie mir einen Grund, weshalb ich mich mit Ihnen belasten sollte, Mister O'Flaherty?"

"Dann weiß ich nicht, was dieses Treffen hier soll!"

O'Flaherty wollte aufstehen. Der zierliche Chinese, der sich hinter ihm postiert hatte, drückte ihn wieder auf den Stuhl.

"Bitte verursachen Sie hier kein Aufsehen", forderte Lee Kuan. "Einige Leute dahinten an der Bar schauen schon herüber..."

"Das ist mir egal!"

O'Flaherty sagte das so laut, dass es sogar die Musik übertönte, die im Hintergrund spielte.

Lee Kuan lehnte sich zurück, holte eine Zigarre aus einem silberfarbenen Etui und steckte sie sich in den Mund.

Der Bodyguard mit den blondgefärbten Haaren zündete sie ihm an.

Nach ein paar Zügen meinte Lee Kuan schließlich: "Vielleicht werden wir uns doch noch handelseinig. Sie wissen, dass ich nichts so sehr hasse als meine Zeit zu verschwenden."

"Was Sie nicht sagen!", zischte O'Flaherty hervor. Er hatte das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein.

Der zierlich gebaute Chinese legte jetzt eine Hand flach in seinen Nacken. Er spürte etwas kaltes, metallisches...

Ein Ring! dachte er.

 

"Bewegen Sie sich nicht!", forderte Lee Kuan. "Und beherrschen Sie sich etwas mehr... Sie sind auf Grund Ihrer Kleidung schon auffällig genug. Mein Mitarbeiter Jhao trägt einen ganz besonderen Ring an seiner Hand. Wenn ein bestimmter Druck ausgeübt wird, schießt ein vergifteter Dorn hervor. Ein Stich, den Sie kaum spüren. Die Wirkung ist absolut tödlich, aber sie setzt erst nach mehreren Stunden ein. Vorher sind sie allerdings nicht mehr Herr Ihrer Sinne und Ihrer geistigen Fähigkeiten. Sie werden keinen vernünftigen Satz sagen können und es ist vollkommen sinnlos, irgendwen anzurufen. Sei es die Polizei oder sonst jemand."

Jhao verstärkte den Druck seiner beringten Hand auf O'Flahertys Nacken.

Der Ex-Hacker zitterte leicht. Angstschweiß bildete sich auf seiner Stirn.

"Sie bringen es fertig und lassen mich vor aller Augen ermorden!", zischte O'Flaherty.

"Natürlich", nickte Lee Kuan.

"Sie sagten, es gäbe doch noch eine Möglichkeit, dass wir uns einigen?", flüsterte O'Flaherty.

"Wussten Sie, dass 'The Virus' mit mir Kontakt aufgenommen hat?"

O'Flahertys Kinnladen fiel herunter. "Nein", flüsterte er.

"Er hat mich um einen kleinen Gefallen gebeten. Ich soll Sie für ihn ausschalten, O'Flaherty. Ironie des Schicksals, was? Sie kommen zu mir, damit ich Ihnen helfe, vor 'The Virus' unterzutauchen und ich werde sie einfach ausknipsen. Es gibt nur eine Sache, die mich davon abhalten könnte..."

O'Flaherty schluckte.

"Wollen Sie Geld?"

"Ich will die Identität von 'The Virus'."

"Ich kenne sie nicht!"

"Aber ich bin überzeugt davon, dass ein begabter Hacker wie Sie ihn aufspüren könnte!"

O'Flaherty biss sich auf die Lippe. "Sie besorgen mir Papiere?"

"Ja."

"Okay..."

Lee Kuan lachte kurz auf. "Ich wusste doch, dass Sie kein Dummkopf sind, O'Flaherty!"