Die Großmeister des Mordes: Alfred Bekker präsentiert 12 Strand Krimis

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Ich richtete mich auf und drehte mich um. Ich kniff die Augen zusammen. Wo steckte der Killer? Irgendwo in den Büschen? Blätter raschelten. Zweige zitterten. Ich brachte blitzschnell meine SIG Sauer in Anschlag.

»FBI! Kommen Sie unbewaffnet und mit erhobenen Händen heraus!«

Nichts geschah. Ich wiederholte meine Aufforderung lauter und schärfer. Keine Reaktion. Ich setzte mich mit schussbereiter Dienstwaffe in Bewegung. Beim ersten Schuss, der auf mich abgefeuert wurde, würde ich zurückschießen. Ich erreichte die grüne Wand aus Blättern und Zweigen, hörte, dass sich jemand entfernte.

»FBI!«, rief ich. »Bleiben Sie stehen!«

Stille. Urplötzlich. War der Täter tatsächlich stehen geblieben? Oder zog er sich noch immer zurück, nun aber sehr viel leiser und vorsichtiger?

Ich näherte mich zielstrebig der Stelle, wo ich Pinkys Mörder vermutete. Doch da war niemand. Aber ich sah einen abgebrochenen Zweig.

Und nach ein paar Schritten noch einen. Ich hatte mir also nicht nur eingebildet, dass sich hier jemand befunden hatte. Es war tatsächlich jemand da gewesen. Ich ging mit geschärften Sinnen weiter.

Das Jagdfieber machte mich heiß. Ich wollte Pinkys Mörder unbedingt kriegen. Die Situation war für mich nicht ungefährlich. Der Täter konnte hinter jedem Busch oder Baum auf der Lauer liegen, wie ein Kastenteufel hervorflitzen und auf mich schießen, wenn ich nahe genug an ihn herangekommen war. Ich entfernte mich immer weiter vom Parkplatz.

Lief ich noch in die richtige Richtung? Oder hatte der Killer einen Kurswechsel vorgenommen, ohne dass es mir aufgefallen war? Ich blieb stehen.

Nicht das leiseste Geräusch drang an mein Ohr. Und ich entdeckte auch keine verräterischen Spuren mehr. Der Täter schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Ich war gezwungen, die Jagd abzubrechen und umzukehren. Vielleicht hatte Ty »Pinky« Plane irgendetwas bei sich oder im Wagen, das darauf schließen ließ, weshalb er mich hierher bestellt hatte.

Obwohl ich Neely nicht kannte, hatte ich Mitleid mit ihr. Es war ihr nicht lange gegönnt gewesen, mit Pinky zusammen zu sein. Sie hatte das unmöglich Scheinende geschafft – Pinky trockenzulegen.

Ein Verdienst, das man ihr hoch anrechnen musste. Ohne sie hätte sich Pinky niemals aus den Klauen des Dämons Alkohol befreien können.

Diese bemerkenswerte Leistung hätte sich als Belohnung ein längeres Glück verdient als nur die lächerlichen paar Monate mit Ty »Pinky« Plane, dachte ich bitter. Ich kehrte zum Parkplatz zurück.

Als ich aus den Büschen trat, brüllte jemand nervös: »Hände hoch!«

Und jemand anders: »Lassen Sie die Waffe fallen!«

Und der Erste wieder: »Auf die Knie! Auf die Knie! Sofort!«

Kapitel 7

»Ich war bei Nic Orlando.«

»Und?«

»Er will mich für einen Job haben, der sehr viel Geld einbringen wird.«

»Hast du zugesagt?«

»Ja.«

»Das war eine sehr kluge Entscheidung, Jack.«

Corrington rümpfte die Nase, als wäre ein Abwasserrohr geplatzt und Thandie Scotts Dessous-Boutique »Sonata« wäre plötzlich knöcheltief mit Fäkalien überschwemmt. »Es gibt einen Wermutstropfen«, sagte er.

»Welchen?«, wollte Thandie wissen.

Sie hatte ihr Geschäft gleich nach Corringtons Eintreffen wieder vorübergehend geschlossen, um sich ungestört mit ihm unterhalten zu können.

»Ich muss mit Eddie Gallo zusammenarbeiten«, knurrte er. Es war ihm anzusehen, wie sehr ihm das gegen den Strich ging. »Orlando besteht darauf.«

Thandie strich ihm zärtlich das Haar aus der Stirn. »Ist das denn so schlimm für dich?«, fragte sie sanft.

»Ich kann diesen Scheißkerl nicht ausstehen«, erklärte Corrington. Jeder Muskel in seinem Körper – und noch zwei, die es gar nicht gab – versteiften. »Er ist ein notorischer Besserwisser, und es muss immer alles nach seinem dämlichen Schädel gehen.«

Thandie schmunzelte. Sie schmiegte sich an ihn. »Ich habe gehört, dass er so etwas Ähnliches von dir behauptet.« Sie nahm seine Hand. »Komm mit«, flüsterte sie.

»Wohin?«

»In die Umkleidekabine«, antwortete sie mit einem vielversprechenden, verführerischen Augenaufschlag. »Ich möchte dir was Gutes tun.«

Er folgte ihr grinsend. Die Vorfreude machte ihn kribbelig. Sie öffnete in der Kabine den Reißverschluss seiner Hose. Ihre schmale Hand glitt hinein. Sein Atem ging schneller. Er genoss ihre Berührung.

»Wirst du mir zuliebe alles daransetzen, um mit Eddie gut auszukommen, Jack?«, fragte sie dunkel.

»Dir zuliebe tue ich alles«, gab er mit belegter Stimme zurück.

Thandie Scott sank vor ihm langsam auf die Knie …

Als sie die Kabine wenig später verließen, sagte Jack Corrington überwältigt: »Jetzt weiß ich, wieso Monica Lewinsky bloß Praktikantin war.«

*

»Ich bin FBI-Agent.«

»Und ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Waffe weg! Und auf die Knie, Freundchen! Mach schon!«

Ich war gezwungen, zu gehorchen, hatte zwei junge, offenbar noch reichlich unerfahrene Cops vor mir, die mich hochgradig nervös mit ihren Revolvern bedrohten. Sie schienen mit ihrem Streifenwagen hierher gekommen zu sein, um auf dem Parkplatz routinemäßig nach dem Rechten zu sehen, und hatten dabei den toten Pinky entdeckt. Mit einer Kugel im Kopf. Und wenn dann auch noch jemand mit einer SIG Sauer in der Hand aus den Büschen tritt, ist es nur zu verständlich, dass sie ihm misstrauen, ihn für den mutmaßlichen Mörder halten und ihn unbewaffnet auf den Knien sehen wollen.

Sobald ich kniete und die Pistole auf den Boden gelegt hatte, wagte sich einer der beiden Uniformierten an mich heran. Er schob meine SIG mit dem Fuß so weit von mir weg, dass ich sie nicht mehr erreichen konnte.

»Hast du den Mann erschossen?«, wollte er schneidend wissen.

»Nein.«

»Wie ist dein Name?«

»Jesse Trevellian.«

»Kannst du dich ausweisen?«

Ich nickte. »Kann ich.«

»Gehört dir einer dieser Wagen?« Er deutete mit dem Kopf auf die Fahrzeuge, die sich auf dem Parkplatz befanden.

Ich nickte wieder. »Ja.«

»Welcher?«

»Der Sportwagen.«

»Seit wann können sich G-men solche Autos leisten?«, fragte er.

»Sieh nach, ob er noch weitere Waffen bei sich hat, Andy!«, verlangte der Cop, der beim Streifenwagen geblieben war.

Andy durchsuchte mich. Nachdem er festgestellt hatte, dass ich »sauber« war, forderte er mich auf, mich auszuweisen, und als ich es tat, wurde er blass.

»Heiliges Kanonenrohr, Tim!«, krächzte er. »Er ist tatsächlich ein G-man.« Er leckte sich die Lippen und tänzelte von einem Fuß auf den andern, als müsse er auf einmal ganz dringend aufs Klo. »Entschuldigen Sie, Sir, wir konnten nicht ahnen …«

»Schon gut. Darf ich aufstehen?«

»Selbstverständlich, Sir … äh … Agent Trevellian.«

Andy hob meine Dienstwaffe auf und gab sie mir hastig. Er schien sehr daran interessiert zu sein, wieder gut zu machen, was er verbockt hatte.

Ich deutete auf den toten V-Mann. »Haben Sie's schon gemeldet?«

»Ja, Agent Trevellian.«

Ich nickte. »Gut.«

Tim begann verlegen: »Es tut uns außerordentlich leid …«

Ich winkte ab. »Vergessen Sie's.«

Auf dem Parkway heulten zwei Patrol Cars. Sie kamen rasch näher. Ich erklärte den Streifenwagenpolizisten die Situation. Sie erfuhren von mir, dass Ty »Pinky« Plane ein V-Mann gewesen war, mit dem ich mich hier treffen wollte, weil er für mich wichtige Informationen gehabt hätte. Sie hatten nichts dagegen, dass ich Pinkys Taschen und das Handschuhfach seines Wagens durchstöberte. Ich tat es sogleich, doch er hatte nichts bei sich, das auch nur im Ansatz darauf hingewiesen hätte, was er mir hatte verraten wollen.

Mir fielen die letzten Worte ein, die ich mit Pinky am Telefon gesprochen hatte: »Mr Jesse!« - »Ja, Pinky?« - »Bring ein bisschen Geld mit. Du wirst sehen, die Sache ist es wert.«

Ich sah den Toten an und dachte: Was wolltest du mir sagen, Pinky?

Ich war dem Killer vor wenigen Minuten – das sagte mir mein Instinkt - sehr nahe gewesen. Bedauerlicherweise war es mir nicht gelungen, ihn dingfest zu machen. Ich hatte ihn nicht einmal gesehen.

Während ich mit den beiden Streifen-Cops Tim und Andy auf das Eintreffen ihrer Kollegen wartete, fiel mir auf, dass jetzt (abgesehen vom Streifenwagen und meinem Sportwagen) nur noch sieben Fahrzeuge auf dem Parkplatz standen.

Vorhin waren es acht gewesen. Eines fehlte. Jemand war eingestiegen und weggefahren, während ich in den Büschen gewesen war.

Der Täter? Irgendjemand sonst? Hatte er die Leiche gesehen? Nicht gesehen? War er abgehauen, weil er keinen Ärger haben, in nichts hineingezogen werden wollte? Weil er befürchtete, dass man versuchen würde, ihm den Mord an Ty »Pinky« Plane in die Schuhe zu schieben? Ich aktivierte die Bilder meiner Erinnerung und versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, welches Auto nicht mehr da stand.

Volkswagen!, blitzte es mit einem Mal in mir auf. Phaeton! Silbergrau!

Aber es wäre unrealistisch gewesen, wenn ich mir auch noch das Kennzeichen des Wagens gemerkt hätte. Mir war das Fahrzeug nur deshalb im Gedächtnis haften geblieben, weil ich erst kürzlich einen sehr positiven Bericht darüber gelesen hatte. Der Wagen wurde größtenteils in Handarbeit in der Gläsernen Manufaktur in Dresden gebaut und war weltweit das erste Auto seiner Gewichtsklasse, das die Euro-5-Abgasnorm erfüllte.

 

Fuhr der Killer einen Phaeton?

*

Neely Brown war wunderschön. Innen drinnen. Doch das hatte nur Pinky gesehen. Für ihn war sie die schönste Frau der Welt gewesen.

Ein leuchtender Engel. Eine strahlende Prinzessin. Die gute Fee aus dem Märchen. Sie hatte ihn verzaubert und vor dem sicheren Trinker-Untergang gerettet.

Denn eines nicht mehr allzu fernen Tages hätte seine Leber gestreikt. Er wäre mit Gelbsucht ins Krankenhaus eingeliefert worden und nicht mehr lebend herausgekommen. Dieses Ende hatte sie ihm ersparen können. Aber leider nicht das, was ihm heute zugestoßen war.

Als ich sie in Pinkys Wohnung aufsuchte und ihr die schreckliche Nachricht überbrachte, wäre sie beinahe zusammengebrochen.

Jetzt saß sie vor mir – stumm, erschüttert, fassungslos, ratlos, mit rotgeweinten Augen hinter dicken Brillengläsern. Ihr schwarzes Kraushaar war schütter.

Ihr Gesicht war breit, und sie hatte ausgeprägte Krähenfüße in den Augenwinkeln. Ich nahm an, dass sie mindestens fünfzehn Jahre älter war als Pinky.

Vielleicht hatte er in ihr eine Art Mutterersatz gesehen. Auf jeden Fall hatte er sie geliebt. Und sie ihn. Neely Brown … Eine Frau, die es im Leben noch nie leicht gehabt hatte. Das hatte sie vorhin angedeutet.

Nun hob sie langsam den Kopf und sah mich an. Ihr Blick tat mir weh. »Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll«, sagte sie verzweifelt. »Ich war schon zu oft und zu lange allein, wurde von Männern immer nur ausgenutzt, belogen und betrogen. Mir Ty war ich zum ersten Mal glücklich.«

Sie nannte ihn Ty, nicht Pinky, wie alle andern. Mich eingeschlossen.

»Aber jemand wie ich darf nicht glücklich sein«, sagte sie bitter. »Das passt dem da oben nicht.« Sie deutete mit dem Daumen zur Decke, meinte aber den Himmel, haderte mit Gott, der nicht ihr Freund war, wie sie offenbar vermutete. »Jemand wie ich wird geboren, um zu leiden«, fuhr sie verzagt fort. »Für jemanden wie mich ist auf der Sonnenseite des Lebens kein Platz. Das war schon so, als ich noch ein Kind war. Mein Stiefvater hat mich jahrelang …« Sie brach ab, schien das Furchtbare, das sie nie vergessen würde, nicht aussprechen zu können. »Meine Mutter wusste es, aber sie hat nichts dagegen unternommen, weil sie diesen gemeinen Dreckskerl nicht verlieren wollte. Mit achtzehn Jahren flüchtete ich in die Ehe. Aber ich habe den falschen Mann geheiratet. Er hat mich wiederholt geschlagen. Auch, als ich schwanger war. Ich habe daraufhin mein Baby verloren, und die Ärzte sagten mir, dass ich nie wieder ein Kind bekommen könne. Mein Mann verließ mich und ich musste sehen, wie ich allein über die Runden kam. Ich brachte viele hässliche, entbehrungsreiche Jahre hinter mich, und als ich endlich Ty begegnete, wagte ich mich nicht zu freuen, weil ich befürchtete, dass dann all das Schöne, das ich mit ihm erlebte, wie eine Seifenblase zerplatzen würde.« Sie seufzte schwer. »Und nun ist meine Befürchtung eingetreten. Die Seifenblase ist geplatzt.«

Sie weinte wieder.

Meine Kehle wurde eng. »Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, Neely …«

Sie schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, dass Ty Sie bewundert, ja geradezu verehrt hat? Er wäre immer gerne so wie Mr Jesse gewesen. Charakterfest. Stark. Selbstbewusst. Mutig. Erfolgreich … Er sagte, Sie hätten all das, was ihm fehle.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, deshalb schwieg ich. Neelys Worte gingen mir unter die Haut. »Darf ich Sie was fragen, Neely?«

Sie nickte.

»Warum hat mich Pin … äh … Ty angerufen?«

Neely Brown zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht.«

Ich sah sie an. »Sie haben keine Ahnung, weshalb er mich treffen wollte?«

»Leider nein.«

»Er hat von etwas Großem gehört«, sagte ich.

»Er hat mir nichts davon erzählt«, erwiderte Neely.

»Der Mörder fährt möglicherweise einen silbergrauen VW Phaeton.«

»Ich kenne mich mit Autos nicht aus«, sagte Neely Brown bedauernd.

Ich zeigte auf einen alten Schreibtisch, der neben dem Fenster stand, und fragte, ob ich mir den näher ansehen dürfe. Neely hatte nichts dagegen.

Ich durchstöberte die neun Laden – vier links, vier rechts und eine in der Mitte - sehr gründlich, fand aber nichts, was für mich von Interesse gewesen wäre.

*

Sie trafen sich auf neutralem Boden. In »Marsha's Bar«. »Marsha« war ein dicker, schwitzender Kerl mit Plattfüßen, Doppelkinn und Brüsten, die in keinen BH passten.

Sein Name war Sonny Cajo. Ihm gehörte die Bar seit drei Monaten. Er hatte Marsha Malin das Lokal abgekauft, den eingeführten Namen jedoch nicht geändert. Marsha war nach Florida gezogen. Wegen des angenehmeren Klimas und wegen eines Schattens auf der Lunge, der in Miami Beach, so hoffte sie, verschwinden würde.

Jack Corrington hatte sicherheitshalber eine Präventiv-Tablette geschluckt. Für den Fall, dass ihn das Treffen zu sehr aufregen sollte.

Anschließend hatte er sich mit sehr gemischten Gefühlen auf den Weg zu »Marsha's Bar« gemacht. Ein blödes Wort von ihm, und ich poliere ihm die verdammte Fresse, dachte er feindselig. Er ärgerte sich nach wie vor über diese Zwangsbeglückung, die sich Nic Orlando hatte einfallen lassen. Warum hatte der Boss ihn nicht mit Johnny Raddley zusammengespannt? Oder mit Jimmy Boswell? Beide waren mindestens genauso gut wie Eddie Gallo. Fand Jack Corrington. Wenn nicht sogar besser. Aber Nic Orlando sah das bedauerlicherweise anders, und Corrington musste sich seinem Diktat wohl oder übel fügen.

Wenn Eddie Gallo sich darüber lustig macht, dass ich im Knast war, er aber noch nie, kann ich für nichts garantieren, ging es Corrington durch den Sinn. Entsprechend angespannt betrat er »Marsha's Bar«. Gallo erwartete ihn bereits. Modern gekleidet und – wie immer - solariumgebräunt. Mit einer Frisur, die nicht länger als vier Millimeter war. Sein Kopf war so schmal wie der eines Windhunds.

Ich mag ihn nicht, dachte Corrington, während er auf Gallo zuging. Er ist ein arroganter Schnösel. Ein gefühlskaltes Schwein. Ein hinterfotziger Bastard, der skrupellos über Leichen geht. Ein herzloser Drecksack, vor dem man sich höllisch in Acht nehmen muss.

Gallo erhob sich. Er lächelte wölfisch. »Jack.« Er streckte ihm die Hand entgegen.

Corrington ergriff die Hand. Es musste sein. »Hallo, Eddie.«

»Du siehst fantastisch aus«, stellte Gallo fest.

»Heuchlerischer Kretin!«, hätte Corrington am liebsten erwidert. »Du auch«, gab er statt dessen zurück.

»Scheinst in Top-Form zu sein.«

Mit dir nehme ich es jederzeit auf, Scheißkerl, dachte Corrington. Sie setzten sich und Corrington orderte bei Sonny »Marsha« Cajo einen Bourbon.

Auch Gallo hatte einen vor sich stehen. Misstrauen und Kälte ragten wie eine unsichtbare, jedoch deutlich fühlbare Wand zwischen ihnen auf.

»Der Boss möchte also, dass wir miteinander arbeiten«, begann Gallo.

Eine Schnapsidee, dachte Corrington. »Ja«, grummelte er.

»Wie stehst du dazu?«

»Ich bin davon nicht sonderlich begeistert«, gab Corrington ehrlich zur Antwort.

»Ich auch nicht.« Gallos Aufrichtigkeit überraschte Corrington. »Aber ich bin bereit, alles Trennende hintanzustellen und einen guten Job zu machen. Es steht sehr viel auf dem Spiel. Wir müssen uns aufeinander verlassen können.«

Ich verlasse mich nur auf mich selbst, dachte Corrington. Er nickte. »So sehe ich das auch.«

»Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter«, sagte Gallo. »Wir sind bei diesem Coup Partner und du hast das Sagen.«

Jetzt bin ich aber baff, dachte Corrington. »Du bist bereit, dich mir unterzuordnen?«

Gallo nickte. »Dieses eine Mal. Weil Nic es so will. Ich habe kein Problem damit.«

Was immer du sagst, ich traue dir nicht, Kumpel, dachte Corrington. »So könnte unsere Zusammenarbeit funktionieren«, sagte er.

»Und nur darauf kommt es an«, sagte Gallo. Er lächelte. »Nach diesem Coup werden wir reich sein. Wenn wir unser Geld vernünftig anlegen, wird es sich jedes Jahr ganz von selbst vermehren. Dann können wir uns bequem zurücklehnen und zusehen, wie es wächst. Ich freue mich schon darauf.«

Diese erste Runde verlief besser, als Corrington erwartet hatte. Misstraute er Gallo zu sehr? War Eddie Gallo wirklich imstande, sich dieses eine Mal komplett zurückzunehmen, damit eine reibungslose Zusammenarbeit möglich war?

Corrington blieb länger sitzen, als er vorgehabt hatte und als es eigentlich nötig gewesen wäre. Das wunderte ihn selbst am allermeisten.

Hatte Eddie Gallo sich geändert? Konnte man mit ihm endlich auf einer vernünftigen Basis kooperieren? War er offener, ehrlicher und zugänglicher geworden?

»Eddie?«, meldete sich eine Stimme in Jack Corrington. »Sag mal, spinnst du? Wie kommst du denn auf so etwas? Er spielt dir was vor. Fall bloß nicht auf sein mieses Theater herein. Er wird sich dir niemals unterordnen. Das kann er gar nicht. Er wird immer tun, was er will. Und er wird immer ein fieses Charakterschwein bleiben.«

Sie versuchten miteinander ein vernünftiges Gespräch zu führen, und es funktionierte überraschend gut. Irgendwann warf Eddie Gallo einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Ich muss gehen«, stellte er fest. »Hab was Dringendes zu erledigen.« Er nickte. »Es wird mit uns klappen, Jack. Ich bin ganz sicher, dass wir die Sache wie geschmiert über die Bühne bringen werden.« Er erhob sich. »Unser nächstes Treffen findet in Nics Penthouse statt. Da gehen wir dann die Einzelheiten des Coups durch. Okay?«

»Okay.«

»Bis dann«, sagte Gallo.

Er verließ das Lokal. Im Vorbeigehen klatschte er Sonny Cajo einen Geldschein für seinen Drink auf den Tresen. Dann trat er aus »Marsha's Bar«.

Corrington sah ihn über die Straße gehen und in einen silbergrauen VW Phaeton steigen.

*

Als ich ins Büro zurückkam, saß Milo an seinem Schreibtisch. »Alles gut gelaufen?«, erkundigte ich mich.

»Ja«, antwortete mein Partner. »Der Zeuge ist jetzt so sicher wie in Abrahams Schoß. Und was hast du inzwischen gemacht? Warst du zum Tauben füttern im Park?«

»Ich war im Park«, gab ich ernst zurück. »Im Alley Pond Park. Aber nicht, um die Tauben zu füttern.«

»Sondern?«

»Um Pinky zu treffen.«

»Pinky.« Milo lächelte. »Der Mann mit dem rosa Schal. Wie geht es ihm?«

»Er ist tot.«

Milo sah mich perplex an. »Was?«

Ich erzählte, was passiert war. Milo hörte mir betroffen zu. Ich sprach auch über Neely Brown, die es geschafft hatte, Ty »Pinky« Plane dazu zu bringen, dass er keinen Alkohol mehr trank. Damit hatte sie ein kleines Wunder vollbracht.

»Der arme Kerl«, sagte mein Partner bewegt. »Da findet er endlich jemanden, der sich seiner annimmt und sich aufopfernd und erfolgreich um ihn kümmert, und dann schlägt das Schicksal auf eine so brutale Weise zu.«

Ich berichtete weiter, dass ich, nachdem ich Neely die erschütternde Nachricht überbracht hatte, mit zwei V-Männern gesprochen hatte, die Pinky sehr gut gekannt hatten.

»Mit wem?«, wollte Milo wissen.

»Mit Cecil Miller und Claudio Argone«, gab ich zur Antwort.

»Und?«, fragte Milo.

»Miller und Argone wissen im Moment von nichts Großem, das irgendwo im Busch wäre«, sagte ich. »Sie haben keine Ahnung, worauf Pinky gestoßen sein könnte. Aber sie werden für uns recherchieren und uns umgehend Bescheid geben, falls ihnen etwas Wissenswertes zu Ohren kommen sollte.«

Milo wollte wissen, welche weitere Schritte mir vorschwebten. »Warten wir auf den Bericht der Mordkommission?«, fragte er.

Ich schlug vor, zu versuchen, den Besitzer des VW Phaeton auszuforschen.

»Er könnte unschuldig sein«, sagte mein Partner.

»Das könnte er«, musste ich zugeben. »Er könnte aber auch der Täter sein. Oder jemand, der etwas gesehen hat, das uns auf die Spur des Mörders bringt.«

*

Die Besprechung fand in Nic Orlandos Penthouse statt. Gewissermaßen unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Anwesend waren nur Nic Orlando und sein Stellvertreter Craig Travis sowie Jack Corrington und Eddie Gallo.

Der Coup wurde von Orlando und seinen Leuten generalstabsmäßig geplant. Nichts durfte dem Zufall überlassen bleiben.

Orlando war im Besitz von kopierten Bauplänen der »Grodin Labs«, von digitalen Fotografien und gestochen scharfen HD-Videoaufzeichnungen.

 

Er zeigte Corrington und Gallo ihr Einsatzgebiet. Sogar eine computeranimierte Exkursion durch den gesamten Gebäudekomplex konnte er ihnen präsentieren.

Sie sahen zum ersten Mal, wie es in Brian Grodins privatem Forschungszentrum aussah. In Grodins »Hexenküche«, wie Orlando es nannte.

Grodin selbst bezeichnete der Gangsterboss als gemeingefährlichen »Giftmischer«, dem die Ideen niemals ausgingen, wie man Menschen, Tiere oder Schädlinge aller Art noch schneller und zuverlässiger als bisher um die Ecke bringen konnte. Die Anwesenden sprachen sämtliche Eventualitäten durch, die auftreten und sich zu kritischen Hindernissen beziehungsweise zur ernst zu nehmenden Gefahr für den Coup entwickeln konnten, und bemühten sich sogleich darum, solche möglichen und denkbaren Bedrohungen im Ansatz mit zuverlässigen Gegenmaßnahmen zu entschärfen oder – was noch besser war – außer Kraft zu setzen. Alles wurde minutiös festgelegt.

Jack Corrington legte großen Wert darauf, festzuhalten, dass die Aktion ohne Blutvergießen abgehen solle. Alle waren seiner Meinung. Orlando verlangte von Corrington und Gallo eine Liste all dessen, was sie für den Einbruch benötigten. Sie notierten ihre Wünsche.

Orlando warf einen Blick auf die Blätter und sagte: »Okay. Heute Abend habt ihr den Krempel.« Er sah Craig Travis an. »Du kümmerst dich darum.«

Travis nickte. »Geht klar, Boss.«

Das »Betriebsklima« im Penthouse war gut. Es gab keinerlei Spannungen. Jeder war merklich darum bemüht, mit jedem so gut wie möglich auszukommen.

Corrington hatte nicht das geringste Problem mit Gallo oder Travis. Er fand das sehr erfreulich. Auf einem so guten Nährboden konnte etwas Ordentliches gedeihen.

Das änderte aber nichts an Jack Corringtons Absicht, kein weiteres Mal mit Eddie Gallo zu arbeiten und Craig Travis bei Thandie Scott rücksichtslos auszubooten.

»Pizza?«, fragte Orlando in die Runde. »Möchte jemand eine Pizza?«

»'ne Mafia-Torte«, sagte Eddie Gallo grinsend. »Keine schlechte Idee.«

»Du auch eine, Jack?«, fragte Orlando.

»Mit Knoblauch«, antwortete Corrington.

»Und du, Craig?«, erkundigte sich Orlando.

»Wenn sie schön scharf ist, sage ich nicht nein«, erwiderte Travis.

Orlando rief den Pizza-Service an. Eine halbe Stunde später wurden die heißen Teigräder geliefert. Und ausreichend alkoholfreies Bier zum Nachspülen.

Alkoholfrei deshalb, weil Jack Corrington und Eddie Gallo in der kommenden Nacht den Coup ihres Lebens landen sollten und dafür nüchtern sein mussten.

*

Wir nahmen uns zuerst den Generalimporteur vor und kontaktierten anschließend sämtliche Autohändler im Großraum New York.

Entweder telefonisch, per E-Mail, Fax oder persönlich. Allzu viele silbergraue Phaetons waren nicht im Umlauf. Schließlich hatte dieses Flaggschiff von VW einen Preis, den nicht jeder auszugeben bereit oder in der Lage war. Dennoch waren die Käuferlisten nicht so kurz, dass wir sie im Handumdrehen überfliegen konnten.

Wir riefen einen Phaeton-Besitzer nach dem andern an. Sarah Hunter, Orry Medina, Jay Kronburg und Clive Caravaggio unterstützten uns. Der erste Phaeton-Käufer, den ich an die Strippe bekam, war ein gewisser Norman Zaton, Zahnarzt auf Staten Island.

»FBI?«, fragte er – fast so schrill wie sein Bohrer. »Was hat Glenda angestellt?«

»Glenda?«

»Meine Frau«, erklärte Norman Zaton. »Ist sie ungebremst in einen Supermarkt gerast? Das wäre ihr zuzutrauen. Sie ist eine verdammt schlechte Autofahrerin. Tut mir leid, so über Glenda reden zu müssen, aber es ist bedauerlicherweise die Wahrheit. Sie kann sich einfach nicht konzentrieren. Ich sage Ihnen, meine Frau ist am Lenkrad die reinste Katastrophe. Ich hätte ihr den Phaeton niemals schenken dürfen. Aber sie hatte sich in ihn verliebt und wollte ihn unbedingt haben, und wenn Glenda sich etwas in den Kopf setzt …« Er seufzte geplagt.

Ich nannte Zeit und Ort, wo ich den Phaeton gesehen hatte.

»Wie heißt der Park?«, fragte Norman Zaton.

»Alley Pond Park.«

»Da war Glenda ganz bestimmt nicht«, behauptete der Zahnarzt überzeugt. »Sie ist nämlich schon seit fünf Tagen bei Linda, ihrer Schwester, in Atlantic City. Linda Day. Die Ärmste ist – wie in einem billigen Slapstick-Movie - auf einer Bananenschale ausgerutscht, liegt jetzt im Bett und kann sich kaum rühren. Meine Frau pflegt sie.«

Ich beendete das Gespräch, ohne ihm zu verraten, weshalb ich angerufen hatte. Der nächste Phaeton-Käufer sagte: »Ich besitze den Wagen nicht mehr. Hab ihn zu Schrott gefahren. Das Ding ist mit zehn Airbags ausgerüstet, aber ich hätte mir dennoch fast das Genick gebrochen.«

Er verriet mir, auf welchem Autofriedhof das Wrack zu finden sei. Ich prüfte das sogleich nach. Es stimmte. Die Suche nach der Person, die im Alley Pond Park gewesen war, als Pinky aus nächster Nähe eine Kugel in den Kopf bekommen hatte, gestaltete sich so arbeitsintensiv, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es war schließlich Sarah Hunter, die auf eine Frau namens Faye Lynton stieß, der ihr silberner Phaeton drei Stunden vor Pinkys Hinrichtung gestohlen worden war. War der Killer des V-Manns mit diesem Wagen zum Tatort gefahren? Faye Lynton hatte den Diebstahl selbstverständlich gemeldet, aber man hatte ihren Wagen noch nicht gefunden.

»Da müssen wir Druck machen«, sagte ich zu Milo.

Zehn Minuten später saßen wir Mr McKee gegenüber und informierten ihn ausführlich. Der Assistant Director versprach, unverzüglich alle Hebel in Bewegung zu setzen, die geeignet waren, den gestohlenen Phaeton zu finden.

Theoretisch konnte der Wagen von professionellen Autoschiebern gezielt geklaut, umgebaut, umlackiert und außer Landes geschafft worden sein.

Dann waren alle Bemühungen, ihn in irgendeinem verborgenen Winkel der Stadt aufzustöbern, vergebens. Doch so schwarz wollten wir nicht sehen.

Mit jenem kleinen Quäntchen Glück, ohne das vieles nicht möglich ist, musste es zu schaffen sein, den silbergrauen Phaeton aufzutreiben. Darauf hofften wir. Und wir hofften – als geborene und praktizierende Optimisten - auch, dass wir nicht enttäuscht wurden.

*

Mitternacht. Zwei Tage vor Vollmond. Jack Corrington saß in seinem Wagen und wartete am Rand eines kleinen Modellflugplatzes auf Eddie Gallo.

Zwei streunende Katzen hockten unter einem rostigen Autowrack, das keine Räder hatte, und plärrten sich gegenseitig wie Babys an.

Corrington legte eine Tablette unter seine Zunge und spülte sie mit einer halben Flasche Coke Zero hinunter. Scheinwerferlicht tanzte durch die Dunkelheit.

»Das ist er«, murmelte Corrington. »Da kommt mein Partner. Der Sauhund. Der Mistkerl. Das Arschloch.« Er räusperte sich. »Reiß dich zusammen, Jack«, ermahnte er sich. »Es muss sein. Du musst mit ihm auskommen, musst mit ihm arbeiten. Der Boss will es so, und du hast eingewilligt. Also vergiss für ein paar Stunden, dass du Eddie Gallo eigentlich nicht ausstehen kannst.«

Sie hatten sich hier verabredet, waren aus verschiedenen Richtungen angereist und würden in einen Wagen umsteigen, der von Nic Orlando bereitgestellt worden war, und in dessen Kofferraum sich all das befand, was sie für den Coup benötigten. Gallo stoppte sein Fahrzeug und stieg aus.

Corrington faltete sich ebenfalls aus seinem Wagen. »Wo ist der Phaeton?«

»Phaeton?«

»Nachdem wir uns in ›Marsha’s Bar‹ getroffen hatten, habe ich dich in einen silbergrauen VW Phaeton steigen und wegfahren gesehen.«

»Ach so.« Gallo machte eine wegwerfende Handbewegung. »Den habe ich nicht mehr.«

»Wieso nicht? Warst du damit nicht zufrieden?«

»Er hat mir nicht gehört«, erklärte Gallo.

»War er geliehen?«

Gallo griente. »Geklaut. Ich habe mich von ihm getrennt, bevor er anfing, heiß zu werden.«

Corrington zeigte auf den Wagen, dem sein Komplize soeben entstiegen war. »Ist der da auch gestohlen?«

»Nein. Der nicht.« Gallo rieb sich die Hände. »Kann es losgehen?«