Die besten 12 Strand Krimis Juni 2021

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6

Um zweiundzwanzig Uhr an diesem Abend verließ Katharina ihre Wohnung, lief die Treppen hinunter und trat auf die Straße. Man erwartete sie bereits. Am Bordstein parkte ein schwarzer BMW. Der Chauffeur hielt ihr die Tür auf und wartete, bis sie eingestiegen war. Dann schloss er die Tür, setzte sich hinter das Steuer und fuhr los. Außer Katharina gab es noch einen Fahrgast. Neben ihr auf der Rückbank saß ein Mann, dem man den Büromenschen schon von Weitem ansah. Er hieß Rudolf Thielke und arbeitete für die Casibus-Gesellschaft, bei der Brankov seinen Film versichert hatte.

„Endlich mal wieder in Berlin“, sagte Thielke. „Und noch dazu auf Kosten der Firma.“

„Und wo werden Sie wohnen?“

„Man hat mir ein Zimmer im Hilton reserviert. Sie haben doch nichts dagegen?“

„Warum sollte ich?“, fragte Katharina.

Zwanzig Minuten später bog der Wagen in eine geschwungene Einfahrt im Stadtteil Wilmersdorf ein und stoppte unter einem Vordach, das von vier Säulen getragen wurde. Rudolf Thielke und Katharina stiegen aus. Die Haustür wurde geöffnet, und ein hagerer Butler mit gestreifter Weste erschien.

„Herr Brankov und Herr Joswig erwarten Sie bereits“, verkündete er steif. „Sie sind doch von der Versicherung, nicht wahr?“

Katharina nickte, und sie folgten dem Butler in ein gemütlich eingerichtetes Zimmer. Brankov und Joswig erhoben sich, als die beiden den Raum betraten. Thielke stellte Katharina und sich vor.

„Sie sind Privatdetektivin?“, fragte Joswig und hob überrascht die Augenbrauen.

„Stimmt“, bestätigte Katharina. Sie wandte sich an Brankov. „Soviel ich weiß, wurde in Ihrem Kopierwerk die erste Hälfte eines Spielfilms gestohlen. Haben Sie bereits einen Verdacht? Könnte eventuell die Konkurrenz dahinterstecken? Oder möchte Ihnen jemand schaden?“

„Weder das eine, noch das andere“, erwiderte Joswig und berichtete von dem Anruf am Nachmittag. „Es handelt sich um eine verdammte Erpressung.“

„Öfter mal was Neues“, sagte Katharina. „Und was haben Sie dem Anrufer erwidert?“

„Ich habe ihn einen Lügner genannt. Außerdem wollte er noch mal anrufen.“

„Gut, dann warten wir auf seinen Anruf“, entschied die Detektivin. „Haben Sie einen Kassettenrekorder im Haus, damit wir das Gespräch aufnehmen können?“

Joswig lächelte. „Natürlich, er ist bereits angeschlossen. Immerhin produziere ich Kriminalfilme.“

„Dann sollten Sie auch wissen, dass es besser ist, die Polizei einzuschalten.“

„Auf keinen Fall“, wehrte Joswig ab. „Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Medien davon Wind kriegen. Und eine schlechte Presse ist das Letzte, was ich zur Zeit gebrauchen kann.“

„Andererseits wäre es aber auch eine gute Werbung für Ihren Film“, meinte Brankov.

„Genau da liegt das Problem. Die Medien werden behaupten, ich hätte das alles absichtlich inszeniert, um den Film zu promoten.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, die Polizei bleibt vorläufig außen vor.“

„Das wird nicht so einfach sein“, gab Katharina zu bedenken. „Sie sollten wissen, dass die Polizei schon aus Rechtsgründen verpflichtet ist, alle notwendigen Maßnahmen zur Aufklärung der Straftat zu treffen.“

„Darüber bin ich mir im Klaren. Aber mir geht es in erster Linie darum, die Negative unbeschadet zurückzubekommen. Die Ermittlung der Täter ist zweitrangig.“

„Wie hoch bemessen Sie den Gesamtschaden?“

„Auf rund drei Millionen D-Mark“, antwortete Joswig. „Und eine Million fordern die Diebe für die Rückgabe der Filme.“

„Das ist zu viel“, schaltete sich Thielke ein. „Ich habe oft ähnlich gelagerte Fälle bearbeitet. Wenn es sich um Werte handelt, die ins Ausland verschoben werden können, gehen wir meistens auf die Zahlung der Hälfte des Marktwertes ein. Damit umgeht meine Firma die Auszahlung des vollen Versicherungsbetrages. Wir erledigen das immer ohne die Einmischung der Polizei und erstatten erst hinterher Anzeige. Damit bringen wir dem Bestohlenen sein Eigentum zurück und müssen nur den halben Verlust tragen. Hier liegt der Fall jedoch anders. Die Diebe können mit den Filmdosen nichts anfangen. Und darin liegt unsere Stärke. Sie werden froh sein, wenn wir ihnen fünfhunderttausend anbieten.“

„Glauben Sie?“, fragte Joswig unsicher.

„Selbstverständlich.“

Der Produzent zeigte sich skeptisch. „Und wenn sie nicht darauf eingehen?“, fragte er. „Dann kann ich das gesamte Team noch einmal zusammentrommeln und die erste Hälfte in Italien drehen. Damit ist der Start des Films gefährdet. Die Werbung muss …“

„Warten wir den Anruf ab“, unterbrach ihn Katharina.

Zweimal klingelte das Telefon vor Mitternacht, aber es waren nur Freunde, die Joswig sprechen wollten. Genau um Mitternacht läutete es abermals. Joswig hob ab und meldete sich mit seinem Namen. Das Telefon war auf laut gestellt, sodass alle im Raum mithören konnten. Katharina schaltete den Kassettenrekorder ein, um das Gespräch aufzunehmen.

„Nun?“, fragte eine männliche Stimme. „Haben Sie sich davon überzeugt, dass die Filme verschwunden sind?“

„Ja“, antwortete Joswig.

„Haben Sie die Polizei informiert?“, lautete die nächste Frage.

„Nein, natürlich nicht.“

„Sehr gut. Und was halten Sie von meinem Vorschlag?“

„Ich werde Ihnen keine Million für die Rückgabe der Filme zahlen. Niemals!“

Der Anrufer lachte. „Sie sind wahnsinnig“, entgegnete er. „Wenn Sie den Rest nachdrehen müssen, kostet es Sie mehr als das Doppelte.“

„Und was machen Sie, wenn ich überhaupt nicht auf Ihren Vorschlag eingehe? Niemand außer mir kauft Ihnen die Filme ab. Ich bin bereit, Ihnen fünfhunderttausend zu zahlen. Und keinen Pfennig mehr.“

Man hörte, wie sich der Anrufer leise mit jemandem unterhielt, dann meldete er sich erneut.

„Sie sind verrückt“, rief er. „Aber gut, einigen wir uns auf die Mitte. Siebenhundertfünfzigtausend!“

„Nichts zu machen“, gab Joswig eiskalt zurück. „Es bleibt bei meinem Angebot.“

„Und was ist mit der Versicherung? Wir wissen genau, dass Brankov versichert ist, und die Firma für den Schaden aufkommen muss.“

„Stimmt“, gab Joswig zu. „Herr Brankov ist versichert. Die volle Summe wird allerdings nur im Brandfall ausgezahlt. Mehr, als ich Ihnen geboten habe, wird Ihnen die Versicherung auch nicht geben. Wollen Sie die halbe Million haben oder nicht?“

Wieder hörte man den Anrufer mit jemandem flüstern.

„Wir sind einverstanden“, sagte er dann. „Legen Sie das Geld in kleinen Scheinen bereit. Keine fortlaufenden Nummern. Gebrauchte Lappen. Ich werde Sie im Laufe des Tages wieder anrufen und Ihnen sagen, wo die Übergabe stattfinden soll.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr. „Aber ich warne Sie. Wenn Sie die Polizei einschalten, sehen Sie Ihren Film nie wieder.“

„Keine Polizei“, versprach Joswig. Er wollte noch etwas sagen, doch der Anrufer hatte bereits aufgelegt.

„Kennt jemand die Stimme?“, fragte Katharina.

Joswig zuckte mit den Schultern „Wüsste nicht.“

Rudolf Thielke blickte auf seine Armbanduhr und erhob sich. „Offenbar geht alles schneller, als wir erwartet haben“, sagte er. „Ich werde jetzt in mein Hotel fahren. Sieht ganz so aus, als wäre ich morgen Abend wieder zuhause.“

Katharina war anderer Ansicht, doch sie schwieg. Irgendetwas an dieser Geschichte kam ihr merkwürdig vor. Aus Erfahrung wusste sie, dass eine Erpressung aus Sicht von professionell vorgehenden Tätern ein Projekt war, das lange vorbereitet werden musste. Man brauchte außerdem organisatorisches Geschick und Kreativität. Von der Zielauswahl bis zum späteren Geldausgeben durfte nichts dem Zufall überlassen werden, wenn das Geschäft „Ware gegen Geld“ aufgehen sollte. Somit gab die Planungsqualität sofort einen ersten Aufschluss über deren Professionalität.

7

Am nächsten Vormittag meldete sich der Anrufer wieder. Rudolf Thielke hatte auf Anweisung seines Chefs eine halbe Million D-Mark in gemischten Scheinen bereitstellen lassen. Die pralle Tasche hielt er wie ein Baby auf den Knien.

„Eine Frage“, begann der Anrufer. „Wer ist die Frau, die den VW-Golf fährt? Und wer ist der Kleine in dem BMW?“

Katharina nickte anerkennend. Die Männer hatten also die Umgebung von Joswigs Haus beobachtet.

„Das sind die Leute von der Versicherung“, beantwortete Joswig die misstrauische Frage des Anrufers.

„Keine Polizei?“, vergewisserte sich der Mann.

„Ich bin doch nicht verrückt“, erwiderte Joswig. „Kommen wir zur Sache. Wo kann sich die Frau von der Versicherung mit Ihnen treffen?“

„Sie kommen nicht selbst? Haben wohl Angst, was? Sagen Sie ihr, sie soll allein kommen und das Geld in einer Tasche bereithalten. Treffpunkt ist der Rüdersdorfer Kalkberg. Haben Sie das?“

„Ja. Und um welche Zeit soll die Übergabe stattfinden?“

„Gegen zwölf Uhr“, antwortete der Mann. „Wir müssen sichergehen, dass sie nicht verfolgt wird.“

„In Ordnung. Die Frau von der Versicherung wird sich natürlich davon überzeugen, dass die Filmdosen unversehrt sind, bevor sie Ihnen das Geld übergibt.“

„Dagegen haben wir nichts einzuwenden. Die Dosen sind immer noch versiegelt. Aber vergessen Sie eins nicht: Sobald wir nur einen einzigen Bullen sehen, gehen die Filme in Flammen auf.“

„Sie haben mein Wort.“

„Ach ja, noch etwas. Sollten sich in der Tasche alte Zeitungen befinden, wird es mir ein Vergnügen sein, die Filme zu verbrennen. Haben wir uns verstanden?“

 

„Vollkommen.“

Der Anrufer legte auf. Katharina spulte die Kassette zurück und ließ das Band noch einmal ablaufen. Die Anweisungen waren klar und unmissverständlich. Offenbar hatten die Täter viel Zeit mit der Planung verbracht.

„Ich fahre natürlich mit Ihnen“, sagte Thielke. „Ich bin für das Geld verantwortlich und muss mich von der Echtheit der Ware überzeugen.“

„Ich habe nichts dagegen einzuwenden“, entgegnete die Detektivin.

8

Gegen elf Uhr starteten Katharina Ledermacher und Rudolf Thielke in ihrem VW-Golf die Fahrt zum Rüdersdorfer Kalkberg östlich von Berlin.

Thielke hatte sich auf dem Rücksitz in eine Ecke gedrückt und presste die Tasche mit dem Geld fest an sich. Ein besorgter Ausdruck lag auf seinem Gesicht.

„Die Sache gefällt mir nicht“, meinte er. „Wir hätten uns auf einen anderen Treffpunkt einigen sollen. Das ist eine ideale Gegend, um uns auszurauben.“

„Dazu gehören immer zwei“, gab Katharina gelassen zurück.

Es herrschte nicht viel Verkehr. An einer Kreuzung fuhr ihr ein anderer Wagen, der die Vorfahrt missachtete, beinahe links in die Seite. Bremsen quietschten. Katharina ließ das Fenster herunter. Der andere Fahrer ebenfalls.

„Tut mir leid“, sagte er. „Ich habe Sie nicht gesehen.“

Zwischen die beiden Fahrzeuge passte kaum noch eine Zeitung.

„Schlafen Sie immer hinterm Lenkrad?“, erkundigte sich Katharina. „Passen Sie nächstes Mal besser auf, verdammt noch mal.“

Er entschuldigte sich wortreich. Katharina ließ den Motor wieder an und fuhr weiter. Glück gehabt, dachte sie. Es gab Zeitgenossen, die bei so einem Vorfall aus dem Wagen sprangen und den anderen Fahrer am Kragen packten; aber zu denen gehörte sie nicht. Trotzdem hatte sie sich ziemlich erschreckt, und sie fuhr langsamer. Immer wieder schaute sie in den Rückspiegel. Einmal glaubte sie, von einem Wagen verfolgt zu werden. Es war ein gelber Mercedes. Nach einigen Minuten merkte Katharina, dass sie sich getäuscht hatte. Der Wagen verschwand in einer Seitenstraße. Sie warf einen Blick in den Innen- und Außenspiegel, warf sogar einen Blick zurück über die Schulter. Thielke blieb das natürlich nicht verborgen.

„Irgendetwas nicht in Ordnung?“, fragte er.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Katharina.

Hinter ihnen fuhr ein dunkelblauer Wagen. Es ließ sich leicht feststellen, ob es der Fahrer auf sie abgesehen hatte. Sie brauchte nur den nächsten Block zu umrunden. Wenn das dunkelblaue Fahrzeug dann immer noch hinter ihnen war, hatte sie Gewissheit. Sie blinkte rechts. Der blaue Wagen ebenfalls. Katharina behielt das Fahrzeug im Auge und bog um die Ecke. Der Wagen folgte ihnen. Sie blinkte abermals rechts. Der Insasse des anderen Wagens tat es nicht. Aber das musste nicht unbedingt bedeuten, dass er geradeaus weiterfahren würde.

Katharina bog ab und verringerte die Geschwindigkeit. Gespannt wartete sie, was der Fahrer im blauen Wagen nun tun würde. Er bog nicht ab. Aber vielleicht fuhr er in die nächste Straße und nahm dann wieder die Verfolgung auf. Katharina kehrte auf die ursprüngliche Route zurück. Den blauen Wagen konnte sie nirgendwo entdecken.

„Und?“, fragte Thielke.

„Nichts. Der Wagen ist verschwunden. Vielleicht sehe ich schon Gespenster.“

„Solange es nur Gespenster bleiben, ist es halb so schlimm“, sagte er.

Kurz vor zwölf Uhr erreichten sie ihr Ziel. Katharina hielt an und stellte den Motor ab. Sie blickte in sämtliche Richtungen, konnte aber niemanden entdecken. Thielke richtete sich auf und sah durch das Fenster.

„Ein merkwürdiger Ort, um ein solches Geschäft abzuwickeln“, flüsterte er.

„Aus Sicht der Erpresser nicht“, erwiderte Katharina. „Wir sitzen hier auf dem Präsentierteller. Man kann uns von allen Seiten beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Natürlich wollen sie sichergehen, dass sich hier keine Polizisten herumtreiben.“ Sie lehnte sich zurück, blickte abwechselnd nach vorn und in den Rückspiegel. „Warten wir ab.“

„Berlin wird vom Rüdersdorfer Kalk zusammengehalten“, lautete ein alter Spruch. Das gilt sowohl für das Brandenburger Tor als auch für die Mietshäuser in Prenzlauer Berg. Zu DDR-Zeiten gehörte der Kalksteinbruch zum Zementwerk Rüdersdorf. Nach der Wende verkaufte es die Treuhand an die Firma „Readymix“, die das Zementwerk übernommen hatte. An dem stillgelegten Abraumgelände hatte das Unternehmen jedoch kein Interesse und übergab die Grundstücksrechte an die Gemeinde Rüdersdorf.

Immer wieder blickte Katharina auf ihre Armbanduhr. Eine halbe Stunde verging, ohne dass etwas geschah. Die Erpresser ließen sich nicht blicken. Thielke wurde allmählich ungeduldig.

„Die lassen sich aber verdammt viel Zeit“, meinte er.

„Was haben Sie erwartet? Die Lösegeldübergabe ist der heikelste Punkt bei einer Erpressung. Die Täter müssen aus der Unsichtbarkeit auftauchen und ihre Festnahme riskieren. Deshalb werden sie alles unternehmen, um sicherzustellen, dass die Operation nicht unter Polizeibeobachtung steht.“

„Trotzdem geht mir die Warterei auf die Nerven.“

Eine weitere halbe Stunde verging, ohne dass sich etwas ereignete.

„Was hat das nun wieder zu bedeuten?“, fragte Thielke, während Katharina den Wagen wendete. „Vielleicht wollen sie uns auf dem Rückweg abfangen.“

„Unwahrscheinlich“, erwiderte die Detektivin nachdenklich. „Für sie war das Ganze eher eine Art Generalprobe. Sie wollten sich vermutlich davon überzeugen, dass wir Wort halten und ohne Polizei anrücken. Mit Sicherheit werden sie sich morgen wieder melden, um die Premiere ihres Spiels zu starten.“

Thielke sagte nichts. Er drückte sich noch tiefer in die Ecke und senkte den Kopf. Er atmete erst wieder auf, als sie eine bewohnte Gegend erreichten.

„Soll ich Sie zum Hotel bringen?“, fragte Katharina.

„Nicht nötig“, winkte Thielke ab. „Setzen Sie mich am nächsten Taxistand ab.“

„Wollen Sie die halbe Million die ganze Zeit mit sich herumschleppen?“, erkundigte sich die Detektivin besorgt.

„Im Hotel-Safe ist das Geld bestens aufgehoben.“

An der Tauentzienstraße ließ Katharina den Mann hinaus. Sie beobachtete, wie Thielke in ein Taxi stieg, das mit ihm davonfuhr. Dann gab sie wieder Gas und lenkte ihren VW-Golf Richtung Charlottenburg. Wenig später parkte sie den Wagen vor dem Hochhaus in der Krummen Straße. Sie stieg aus und ging auf den Eingang zu. Katharina war so in Gedanken versunken, dass sie den dunkelblauen BMW nicht bemerkte, der ihr folgte. Sie betrat das Gebäude, stieg die Stufen empor und schloss die Wohnungstür auf.

Im selben Moment klingelte das Telefon, das auf einem kleinen Tisch im Flur stand. Katharina hob den Hörer ab und meldete sich. Sie war einigermaßen überrascht, die Stimme des Erpressers zu hören.

„Sie haben sich bestimmt gewundert, weshalb wir nicht am vereinbarten Treffpunkt waren, wie?“, fragte der Mann.

„Vermutlich hatten Sie Angst“, gab Katharina kühl zurück.

„Irrtum, Frau Ledermacher“, sagte der andere gelassen. „Wir wollten feststellen, ob Sie versuchen, uns auszutricksen. Sie sind Privatdetektivin. Aber damit können Sie uns nicht beeindrucken.“

„Das hatte ich auch nicht vor. Wie soll es jetzt weitergehen? Das Angebot steht noch.“

„Wir vertrauen Ihnen nicht“, erwiderte der Mann.

„Sehe ich so aus, als würde ich meinem Auftraggeber in den Rücken fallen? Sie haben sich doch selber davon überzeugt, dass ich allein war. Oder?“

Katharina war auf die Antwort gespannt. Sie fragte sich, ob die Erpresser den Mann von der Versicherung im Wagen bemerkt und gesehen hatten, wie er in ein Taxi umgestiegen war.

„Ja, Sie waren allein. Trotzdem möchte ich Sie noch einmal davor warnen, etwas zu unternehmen, das uns missfallen könnte.“

„Sie haben Angst“, stellte Katharina spöttisch fest. „Wie wäre es, wenn wir das Geschäft in einer halben Stunde abwickeln? Sie haben mein Wort, dass ich die Polizei erst fünf Stunden später informieren werde. Der Vorsprung dürfte Ihnen doch genügen.“

„In Ordnung. Einverstanden. Wir sind in einer halben Stunde bei Ihnen. Halten Sie das Geld bereit.“

„Und Sie die Filme“, entgegnete Katharina, aber der Mann hatte bereits aufgelegt. Deshalb konnte sie ihm auch nicht mehr sagen, dass sie das Geld erst noch beschaffen musste. Sie wählte die Nummer des Hilton-Hotels, ließ sich mit Rudolf Thielke verbinden und erklärte ihm die Situation.

„Wir bringen die Sache noch heute zum Abschluss. Kommen Sie sofort mit dem Geld in meine Wohnung.“ Sie nannte ihm die Hausnummer und das Stockwerk.

„Okay, ich nehme mir ein Taxi.“

Katharina legte auf und traf die nötigen Vorbereitungen. Sie ließ die Wohnungstür angelehnt und schaltete die Deckenlampe im Flur ein. Falls sich die Gelegenheit ergab, wollte sie sich die Gesichter der Erpresser einprägen. Dann ging sie ins Wohnzimmer und setzte sich in einen Sessel.

Zehn Minuten später klopfte es an der Tür.

„Kommen Sie herein“, sagte Katharina. Sie glaubte, Thielke sei mit dem Geld eingetroffen, doch das war ein Irrtum. Ein Mann betrat die Wohnung. Sofort schaltete er die Deckenbeleuchtung im Flur aus. Der Besucher trug einen Hut, den er tief in die Stirn gezogen hatte. Er machte einige Schritte und blieb im Rahmen der Wohnzimmertür stehen. Katharina musterte ihn. Er war breit und schwammig. Seine behandschuhten Finger umklammerten eine braune Ledertasche. Ein breitflächiger Schnurrbart dominierte sein Gesicht und verlieh ihm das Aussehen eines Seehundes. Der Blick seiner hellblauen Augen wirkte starr. Mit einer Handbewegung lud Katharina ihren ungebetenen Besucher ein, Platz zu nehmen.

„Ich stehe lieber.“

„Auch gut.“

„Haben Sie das Geld?“, erkundigte er sich.

„Sie sind ein bisschen zu früh. Ich warte selber noch darauf.“

„Wenn Sie mich aufs Kreuz legen wollen, dann …“

„Das will ich nicht. Wenn ich Ihnen eine Falle stellen wollte, wäre sie längst zugeschnappt. Ich habe einen Auftrag. Und ich stehe zu meinem Wort. Die Versicherung ist daran interessiert, den Fall so schnell wie möglich abzuschließen.“

„Wann ist das Geld hier? Ich habe wenig Zeit.“

Katharina sah auf ihre Armbanduhr. Thielke musste jeden Augenblick eintreffen.

„In ungefähr zehn Minuten“, sagte sie. „Solange müssen Sie sich noch gedulden. Wie wär‘s, wenn Sie mir in der Zwischenzeit die Filmdosen zeigen?“

Der Mann schüttelte den Kopf. „Nicht, bevor Sie das Geld haben. Wer bringt es überhaupt?“

„Ein Mann von der Versicherung.“

„Gut, dann warten wir. Aber ich warne Sie, wenn Sie versuchen, uns auszutricksen, dann werden wir sehr unangenehm.“