Die besten 12 Strand Krimis Juni 2021

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19

Feller fuhr den Wagen direkt in die Werkstatthalle seiner Firma, bremste ziemlich abrupt, zog den Schlüssel ab und stieg aus.

Charly Wallmeier näherte sich mit gerunzelter Stirn. Er hatte einen Lappen in den Fingern, mit dem er sich gerade die Hände abwischte.

"Hey, Chef, schon wieder zurück?", meinte er auf seine leuteelige Art, für die sein Chef im Moment allerdings wenig Sinn zu haben schien.

"Ja", knirschte Martin Feller.

"Ich dachte, du wolltest für heute Schluss machen."

Feller ging auf Charly zu und reichte ihm den Schlüssel.

Dann sagte er: "Mach den Wagen wieder fertig, ja?"

"Heute noch?"

"Ja, heute noch!"

Charly deutete auf den Wagen mit seiner zerstörten Frontscheibe und fragte dann: "Wat haste denn mit dem gemacht?"

"Hör zu: Lass die Fragerei und mach ihn einfach fertig, ja?"

"Ja, ja..."

"Ich nehme inzwischen den Passat mit nach Hause."

Martin Feller drehte sich um und ging, ohne noch ein Wort zu sagen.

"Meine Güte, hat der eine Laune heute", murmelte Charly unterdessen vor sich hin.

"Ey, was ist denn mit dem hier?", war die Stimme von Jürgen Rieke, dem Azubi zu hören, der einige Augenblicke lang mit offenem Mund auf den Wagen gestarrt hatte. "Hat der Chef auf seinen Wagen geschossen?"

"Quatsch!", knurrte Charly.

"Ja, guck dir das doch mal an! Dieses Loch hier!"

Charly hörte, wie sein Chef mit dem Passat davonfuhr und versuchte verzweifelt, sich einen Reim auf alles zu machen.

20

Feller fädelte sich grob in den Verkehr der Weststraße ein.

Der Fahrer eines Lieferwagens verlor die Beherrschung zeigte ihm einen Vogel. Feller bemerkte es nicht einmal, so sehr war er in Gedanken.

Bei der Kreuzung hielt er rechtzeitig.

Links ging es in den Rathaustunnel, rechts in die Kölner Straße. Feller fuhr geradeaus und hielt dann am Brighouse-Park. Er stieg aus, sog die stickige Luft ein, die von der vielbefahrenen Sauerfeldstraße herüberwehte und schlenderte ein Stück durch die Grünanlagen.

Er musste einfach abschalten, einen Moment aussteigen aus dem Laufrad, in das er geraten war.

Eine Zigarette!, dachte er. Das wär's jetzt.

Er hatte seit Jahren nicht mehr geraucht. Er hatte sich dieses Laster komplett abgewöhnt. Aber jetzt war das Verlangen danach wieder da.

Es war kein Zufall, der dich an diesen Ort geführt hat!, ging es ihm dann durch den Kopf, als sein Blick über die niedrigen Sträucher, die Rasenflächen und die mit Vogelkot übersäten Bänke glitt. Heißt es nicht, dass Täter immer wieder an den Ort ihrer Tat zurückkehren?, dachte er.

Zwanghaft sozusagen.

Du bist verrückt, Feller!, sagte er zu sich selbst.

Aber die Gedanken ließen sich nicht verscheuchen.

Gedanken, die mit der Vergangenheit zu tun hatten.

Vor seinem inneren Augen erschien das Gesicht eines leichenblassen, hageren Mannes. Das Alter war unbestimmt, hatte aber sicher über vierzig gelegen.

Fellers Lippen murmelten einen Namen.

"Otto."

Wie oft hatten sie sich hier, in der Anonymität dieses Parks getroffen? Er und Norbert Wolf und Otto, der Mann der nur einen Vornamen zu haben schien.

Ein Roller-Skater jagte mit atemberaubender Geschwindigkeit an ihm vorbei, geriet aus dem Gleichgewicht und hielt sich für den Bruchteil einer Sekunde an Fellers Schultern fest, so dass der beinahe in eines der Blumenbeete geschleudert wurde.

"Heh, paß doch auf!", knurrte Feller.

"Keep cool, woll?". rief der Roller-Scater kaugummikauend und jagte weiter.

Immerhin hatte er Feller wieder ins Hier und Jetzt geholt.

Was sage ich Carola?, dachte er.

21

Auf dem Weg nach Hause fuhr Martin Feller noch an einem Supermarkt vorbei, um sich einen Kasten Bier zu kaufen. Als er den dann durch die Haustür wuchtete, kam ihm Carola schon entgegen.

"Martin! Die Polizei..."

Sie schien ziemlich aufgeregt zu sein, und Martin Feller stellte den Bierkasten erst einmal ab.

"Ich hab dir doch gesagt, dass..."

Carola legte ihm eine Hand auf den Mund und flüsterte: "Ein Mann von der Kripo sitzt im Wohnzimmer!"

Er blickte ungläubig drein.

"Was sagst du da?"

"Ich habe nichts damit zu tun."

"Ach, wirklich?"

"Es waren die Nachbarn. Kirchbaums, die beiden Alten von gegenüber, die den ganzen Tag nur am Fenster sitzen und nichts Besseres zu tun haben, als die Straße zu beobachten! Sie haben alles gesehen..."

Feller atmete tief durch. Die Kirchbaums waren ein Kapitel für sich. Seit hier eine verkehrsberuhigte Zone mit Tempo dreißig war, schrieben sie mit Vorliebe Autofahrer auf, die mit sechzig haarscharf an den Blumenkübeln vorbeijagten, die durch ihre Anordnung das Einhalten der Vorschriften erzwingen sollten.

Feller gehörte auch zu dieser Gruppe, da er eigentlich immer in Eile war.

"Verdammt...", knurrte Feller.

"Warum ist das denn so schlimm?"

"Nicht jetzt!"

Aber Carola ließ nicht locker: "Du bist doch das Opfer! Aber du benimmst dich, als wärst DU der Täter, hättest jemanden überfallen und nun ein schlechtes Gewissen!"

Feller ließ sie stehen und ging den Flur entlang ins Wohnzimmer. Carola folgte ihm.

In einem der Sessel saß Kommissar Markus Moeller mit übereinandergeschlagenen Beinen. Er hatte sich bereits an den Erdnüssen vergriffen, die Carola immer auf den Wohnzimmertisch stellte. Viel war davon nicht mehr da.

"Guten Tag", sagte Martin Feller indessen. "Hätte ich mir ja denken können, dass ich wieder an Sie gerate..." Er wandte sich an seine Frau. "Kommissar Moeller bearbeitet Nobbis Fall."

Carola schwieg. Sie setzte sich auf das Sofa. Martin Feller blieb hingegen stehen.

"Man hat auf Sie geschossen?", fragte Moeller.

Feller antwortete erst nach kurzer Pause und einem Blick, den er mit Carola wechselte. "Ja", sagte er.

"Haben Sie vom Täter irgend etwas erkennen können? Ich habe gehört, er fuhr auf einem Motorrad."

Feller vergrub die Hände in den Hosentaschen.

"Ich habe kaum etwas gesehen", behauptete Martin Feller.

Moeller hob die Schultern.

"Schade", meinte er. Ein Fall, in den nur Blinde verwickelt sind!, ging es ihm dabei ärgerlich durch den Kopf. Erst Norbert Wolf - jetzt Feller. Moeller prokelte sich ein verirrtes Stück Erdnuss aus einem Zahnzwischenraum heraus. Als er es dann am Finger hatte, wusste er nicht so recht, was er damit anfangen sollte und ließ es unter Fellers gestrengem Blick in den Aschenbecher fallen.

Feller sagte indessen: "Nach dem ersten Schuss habe ich mich gleich geduckt. Die Scheibe ging zu Bruch, und ich dachte nur daran, dass ich diese Splitter nicht in die Augen kriegen wollte."

"Ich verstehe." Moeller kaute dabei an der nächsten Nuss.

Es knackte. Jetzt mischte sich Carola ein.

"Ich habe aber alles gesehen. Der Motorradfahrer war maskiert. Er trug einen Helm und von seinem Gesicht konnte man nichts sehen."

Moeller kniff die Augen etwas zusammen und erkundigte sich: "Sind Sie sicher, dass es der Motorradfahrer war, der geschossen hat?"

Carola rieb nervös die Hände aneinander und blickte hilfesuchend zu ihrem Mann.

"Also..."

"Sie vermuten es?", meinte Moeller.

Carola zuckte die Achseln. "Erst kamen die Schüsse, dann brauste das Motorrad davon..."

"...und da hat sie natürlich gleich einen Zusammenhang gesehen!", vollendete Martin Feller, noch immer mit den Händen in den Taschen.

"Ja, ja...", machte Moeller.

"Ist ja auch verständlich, oder?", rief Martin Feller und lief ein paar Schritte hin und her.

Moeller hob die Augenbrauen und fixierte Martin Feller mit seinen aufmerksamen, dunklen Augen. "Sie glauben nicht an diesen Zusammenhang?"

"Ich?", schluckte Feller und blieb stehen.

Moeller nickte heftig.

"Ja, Sie!"

Feller stand einen Augenblick lang unschlüssig da.

"Ich... Ich sagte doch schon, ich habe im Grunde am wenigsten von allen mitbekommen. Was ist denn mit den Kirchbaums von Gegenüber? Können die dazu nichts sagen?"

"Leider nein", sagte Moeller.

"Dann haben Sie sie schon befragt!"

Moeller grinste. "Vielleicht sollten Sie meinen Job machen und den Fall hier klären. Sie machen das genau richtig: permanent Fragen stellen."

Feller verzog das Gesicht. Seine Haut wurde dunkelrot. "Tut mir leid, aber im Moment habe ich einfach keinen Sinn für Ihre Art des Humors, Herr Moeller! Sehen Sie lieber, dass Sie handfeste Indizien in die Finger kriegen!"

Moeller holte etwas aus seiner Jackentasche heraus. Eine Patronenhülse. Sie war sorgfältig in Plastik eingepackt. "Die habe ich auf der Straße gefunden", erklärte er. "Natürlich muss sich erst noch das Labor damit beschäftigen, aber es könnte gut dasselbe Kaliber sein, mit dem Ihr Freund Norbert Wolf erschossen wurde!"

"Martin!", stieß Carola in diesem Moment hervor.

Martin Feller war zu einer Salzsäule erstarrt.

Moeller fragte: "Überlegen Sie jetzt gut! Haben Sie irgendwelche Feinde? Eventuell Feinde, die sowohl Wolf als auch Sie auf dem Kieker haben könnten?"

"Nein, nein..." Feller wischte sich mit einer fahrigen Geste durch das Haar.

 

"Wo ist eigentlich der Wagen?", fragte Moeller.

"Welcher Wagen, ich meine...." Eine Pause. Dann murmelte Martin Feller: "In der Werkstatt."

Moeller sprang auf. "Das ist nicht Ihr Ernst!", rief er.

"Doch, ich habe ihn meinem Kfz-Meister gegeben, er soll ihn wieder klarmachen."

Moeller bedachte Martin Feller mit einem strengen Blick.

"Rufen Sie ihn sofort an! Er soll Schluss machen! Sofort! Ich hoffe, es sind noch ein paar Spuren übriggeblieben!

"Ja, ich...", stammelte Martin Feller, rührte sich aber nicht.

"Ja, nun mach doch endlich, Martin!", rief unterdessen seine Frau ungeduldig.

22

Wenig später stand Martin Feller zusammen mit Moeller vor dem Wagen mit der zerschossenen Frontscheibe. Die passende Ersatzscheibe hatte Charly schon bereitgelegt. Es war zwar kein Colorglas, wie die Alte, aber der Chef hatte ja gesagt, dass es schnell gehen sollte.

Und jetzt war es ohnehin erst einmal egal.

"Der Wagen ist für's Erste beschlagnahmt", sagte Moeller provozierend ruhig. "Ich werde gleich ein Team vom Erkennungsdienst hier her schicken, das dann die Kiste mal unter die Lupe nimmt..."

Martin Feller seufzte.

"Muss das denn sein?"

"Ja, das muss sein", nickte Moeller.

"Ich meine ja nur...." Feller hatte seine Hände wieder tief in den Hosentaschen vergraben. Und Charly Wallmeier stand etwas abseits und sah sich das ganze mit einer Mischung aus Interesse und Verwunderung an.

Moeller musterte Martin mit einem nachdenklichen Blick.

Schließlich meinte er: "Sie scheinen gar nicht so interessiert zu sein, herauszukriegen, wer da auf Sie gefeuert hat..."

Martin Feller schüttelte den Kopf.

"Nein, das verstehen Sie falsch."

"Naja, irren ist menschlich. Kam mir nur so vor."

Feller fragte nach einer kurzen Pause: "Und was passiert jetzt?"

Moeller hob die Schultern.

"Na, wir machen eine Untersuchung. Das war ein Mordversuch. Und der ist strafbar."

"Könnten Sie die Sache nicht einfach..." Feller stockte und schien nach den richtigen Worten zu suchen. "...einfach auf sich beruhen lassen? Ich meine, dieses ganze Theater und dann kommt am Ende nichts dabei heraus..."

Aber da war Moeller natürlich anderer Meinung. Martin Feller hatte ihn offensichtlich an einem empfindlichen Punkt getroffen: seiner Berufsehre.

"Es kommt schon was dabei heraus, da machen Sie sich mal keine Sorgen, Herr Feller!", versicherte der Mann von der Kripo. Sein Tonfall war eisig geworden. "Die Aufklärungsrate bei solchen Delikten ist recht ansehnlich!

"Naja, es war ja nur eine Frage", gab Martin Feller kleinlaut zurück.

Moeller kratzte sich an der Nase.

"Selbst, wenn ich es wollte - ich dürfte die Sache gar nicht auf sich beruhen lassen. Es ist ein Offizialdelikt. Ich muss die Sache verfolgen, ob Sie nun Anzeige erstatten oder nicht, das spielt dabei keine Rolle."

"Hm..."

"Herr Feller..."

"Ja?"

Moellers Blick war sehr ernst. "Bitte sagen Sie mir die Wahrheit! Kennen Sie den Täter? Ich habe fast den Eindruck..."

"Erlauben Sie mal!"

"Warum versuchen Sie ihm dann zu helfen? Der Kerl wird vielleicht wieder zuschlagen! Sie kennen ihn!"

"Sie irren sich", behauptete Feller, aber es schien ihm selbst schon nicht überzeugend genug zu klingen. Eine Pause entstand.

"Herr Feller", sagte Moeller gedehnt, aber noch bevor er fortfahren konnte, war Martin Feller ihm zuvorgekommen.

"Nein, wirklich nicht!" versicherte er abermals - entschieden zu eilfertig für Moellers geschulte Ohren.

Feller zuckte die Achseln und nahm dann die Hände aus den Hosentaschen, bevor er fortfuhr: "Es ist nur so: Wenn die Sache an die Öffentlichkeit kommt, dann ist das nicht gut für die Firma." Feller lachte heiser und unsicher. Er machte eine weit ausholende Geste, die diesen Eindruck wett-machen sollte, ihn in Wahrheit aber nur noch mehr unterstrich. "Da läuft jemand frei herum, der ausgerechnet mich als seine Zielscheibe ausgewählt hat, das ist ja nun wirklich keine Reklame!"

Moeller machte nur: "Hm." Er glaubte seinem Gegenüber kein einziges Wort. An dem Fall war etwas faul. Von Anfang an hatte er das gedacht. Und dieses Faule hing vor allem mit Feller zusammen.

"Am Ende traut sich niemand mehr in meine Werkstatt", gab Martin zu bedenken.

"Ich verstehe", knurrte der Kriminalbeamte.

"Na, sehen Sie!"

Der Blick mit dem Moeller sein Gegenüber nun bedachte war durchdringend. Moeller hatte lange an diesem Blick geübt. Manchmal wirkte diese Art der Amateur-Hypnose.

Aber nicht bei Feller.

"Überlegen Sie, Herr Feller! Überlegen Sie ganz genau, ob Ihnen nicht doch jemand einfällt, der Sie so hasst, dass..."

Martin Feller hob die Hände.

"Tut mir leid."

"Sie sagen das sehr schnell!"

"Ja, es ist nun einmal so. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, welcher Verrückte das gewesen sein könnte."

"Wirklich nicht?"

"Wirklich nicht!"

Moellers Gesicht blieb unbewegt. Es war nicht zu erkennen, ob er Martin Feller glaubte oder nicht. Offenbar traf letzteres zu, denn Moeller ließ noch nicht locker.

"Niemand, dem Sie mal kräftig auf die Füße getreten sind?", hakte er nach.

"Sicher", gab Martin Feller schulterzuckend zu. "Aber niemand, dem ich zutrauen würde, deswegen gleich mit einer Waffe auf mich loszugehen. Ich bin Geschäftsmann und darauf angewiesen, dass mich die Leute mögen. Und ich tue auch einiges dafür. Schützenverein, jährliche Spende für die hiesige Fußballmannschaft und so weiter..."

"Ich verstehe", brummte Moeller.

"Ich glaube, das war nur ein dummer Jungenstreich oder so was."

"Den kriminalistischen Teil überlassen Sie besser mir, Herr Feller. Und ich sage Ihnen, dass es nach was anderem aussieht! Denken Sie also nochmal darüber nach, ob Ihnen nicht ein Name einfällt."

"Sicher, ich..."

"Es könnte Ihr Leben davon abhängen, Herr Feller! Je eher wir den Täter kriegen, desto besser. Vor allem für Sie!"

"Gut."

"Ich meine es ernst!"

"Wenn mir etwas einfällt, werde ich mich melden. Okay?"

"Okay."

Dann kramte Moeller in seinen Taschen und suchte offenbar etwas. Schließlich hatte er es gefunden. Einen Schoko-Riegel. Moeller riss das Papier auf und steckte sich ihn in den Mund. Martin musterte den Polizisten die ganze Zeit über misstrauisch.

Nachdem dieser auch dann noch immer keine Anstalten machte, sich davonzumachen, als er den Riegel bereits heruntergeschluckt hatte, fragte Feller schließlich: "Ist noch irgend etwas?"

"Nein, warum?"

"Bleiben Sie jetzt hier, bis Ihre Kollegen kommen?"

"Ja sicher. Glauben Sie, ich lasse das Auto nochmal aus den Augen?" Moeller schüttelte den Kopf.

"Aber mit mir sind Sie doch jetzt erst mal fertig, oder?", fragte Martin zögernd.

"Ja", sagte Moeller und lächelte breit. "Erst mal." Im Kopf hörte er die melancholische Melodie von BLUE IN GREEN.

Der kühle Ton einer abgedämpften Trompete, der fast so klang, als käme er aus einer anderen Welt. Was hat dieser Kerl für Dreck am Stecken, dass er mich mehr fürchtet als den Mann, der ihn umzubringen versucht?, ging es Moeller durch den Kopf.

"Sie haben also nichts dagegen, wenn ich mich jetzt aus dem Staub mache?", vergewisserte Feller sich. Der Gebrauchtwagenhändler wunderte sich etwas darüber, dass der Kripo-Mann plötzlich damit begonnen hatte, den Kopf rhythmisch hin und her zu bewegen.

In Moellers Kopf entwickelte sich gerade ein Saxophon-Solo über das BLUE IN GREEN-Thema.

"Nein, habe ich nicht", murmelte er dabei. Und dabei zermarterte er sich das Hirn darüber, was dieser biedere Gebrauchtwagenhändler wohl vor ihm verbarg, dessen Stimme Moeller in diesem Moment wie durch Watte hörte.

"Wissen Sie, meine Frau scheint die Sache ziemlich mitgenommen zu haben..."

"Och, ich fand, dass sie ihre Sinne recht gut beieinander hatte", meinte Moeller und zuckte dann die Schultern. "Aber Sie kennen Ihre Frau sicher besser als ich."

"Wiedersehen", knurrte Feller und ging davon.

Als er an Charly vorbeikam, raunte dieser: "Hey, Chef, vielleicht erklärt mir hier einer mal, worum es eigentlich geht!"

"Später, Charly! Später!"

23

"Ey, Moeller, du hast Feierabend!", meinte Simitsch, während er fassungslos auf seinen Kollegen starrte.

Moeller war kaum ansprechbar.

Immer wieder hackte er auf den Computertasten herum und misshandelte die Maus, wenn es nicht schnell genug klickte.

Und dann machte Moeller irgend etwas falsch. Jedenfalls stürzte das Programm ab. Der Schirm war dunkel. Moeller fluchte.

Er stieß seinen Drehstuhl vom Tisch ab, rollte fast bis zum Heizkörper an der Wand und raufte sich das lange Haar.

"Was suchst du denn eigentlich, Moeller?", fragte Klaus Simitsch, der seinen Regenmantel schon angezogen hatte.

In ungewohnter Lässigkeit setzte er sich mit dem Hintern auf ein freies Stück Schreibtisch, das sich typischerweise natürlich auf seiner Seite befand. Auf Moellers Seite gab es keine freien Stellen, sondern eher so etwas wie eine geologische Ablagerung verschiedener Papierschichten, an der Akten-Paläontologen ihre Freude gehabt hätten.

Moeller atmete tief durch.

"Wenn ich das wüsste, Klaus, dann hätte ich es auch schon so gut wie gefunden!"

Simitsch grinste. "Du bist ja im Moment richtig fanatisch bei der Sache... Meine Güte. Dein Gesichtsausdruck! Erinnert mich an den von Dennis Hopper in EIN BULLE SIEHT ROT."

Moeller verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.

"Mach besser keine Witze, Klaus. Du kannst das einfach nicht."

"Ach, nein?"

"Dir fehlt einfach diese spontane Leichtigkeit des Seins! Dir fehlt die Gabe der Improvisation. Du hast keinen Jazz im Blut..."

"Und kein Stroh im Schädel. Moeller, Moeller... Du findest alles witzig, nur dich selber nicht, woll?"

Moeller erhob sich. "Der Stress setzt dir ganz schön zu, was?"

"Wieso?"

"Naja... Zweimal 'woll' in zwei Tagen. Bei dir ist das ein bedenkliches Zeichen."

"Du bist unverbesserlich."

"Klaus, auf diesen Feller ist geschossen worden, und er will das Ganze auf sich beruhen lassen! Der tickt doch nicht richtig - oder er hat einen ganz bestimmten Grund dafür. Und ich glaube eher an das zweite, denn einer, der es schafft, Gebrauchtwagen zu verkaufen, kann nicht doof sein!"

Simitsch lachte.

"Nee, nur die Kunden", meinte er.

"Es sind halt nicht alle so privilegiert wie du und können sich einen Neuwagen leisten, Klaus!"

"Wir verdienen dasselbe, Moeller. Du bräuchtest keineswegs in einem Stück Schrott herumzufahren!"

Moeller machte eine wegwerfende Handbewegung. Er hatte keine Lust, sich jetzt mit Simitsch herumzustreiten.

Moeller ballte die Faust. Er hatte das Gefühl, ganz nahe dran zu sein.

"Scheiß Computer", brummte er.

Simitsch meinte sachlich: "Am besten, du wartest das ballistische Gutachten ab. Dann wissen wir genau, ob der Kerl, der auf Feller geschossen hat mit Norbert Wolfs Mörder identisch ist!"

"Er ist es!", war Moeller sich sicher.

"Woher willst du das wissen?"

"Instinkt!"

"So etwas gibt es beim Menschen nicht!"

"Hast du eine Ahnung!"