HASSO - Legende von Mallorca

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HASSO - Legende von Mallorca
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Wolfgang Fabian

HASSO - Legende von Mallorca

Todeszelle und Luxusvillen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Herkunft

2. Verrat und Folgen

3. Strafeinheiten für die Fronten

4. Fluchtwege

5. Festnahme

6. Erneute Flucht

7. Das Todesurteil

8. Marsch an die Westfront

9. Neues Zuhause

10. Erste Gaunereien

11. Wiedersehen mit der Mutter

12. Der große Schmuggel-Aufbruch

13. Das Geschäft boomt

14. Schweizer Kaffee und Gold

15. Neue Pläne im Gefängnis?

16. Geheime Vorbereitungen

17. Der Schmuggelbetrieb läuft an

18. Bubis Verbindung

19. Verbindungen nach Barcelona

20. Die Kripo der DDR riecht Lunte

21. Die Gang fliegt auf

22. Mallorcas neuer Unternehmer

23. Wildes Leben mit viel Geld

Zweiter Teil

24. Zwei alte Genießer

25. Beginn der Durchleuchtung

26. Des Mietwagenkönigs Biograf

27. Vertrauter und Mitarbeiter

28. Des Imperators Untertanen

29. Erzählpause nicht gewünscht.

30. Andere Verhaltensweisen

31. Intrigen und Verleumdungen alltäglich

32. Das Gedächtnis des Journalisten Steiner

33. Whisky und Unzuverlässigkeit

34. Der angebliche Literaturagent

35. Buchvorstellung und Buchvernichtung

36. Am Ende eines dunklen Weges

Impressum neobooks

1. Herkunft

Hasso Schützendorfs geschäftliche wie auch pri­vate, fast immer gewinnbringende Aktivitäten waren, beruhend auf einem un­beugsamen Willen, Merkmale, die allen Schützendorf-Generationen innewohnten. Offenheit und korrektes Verhalten in allen Bereichen sind bis auf eine lange zurückliegende Ausnahme die Tugenden aller Familienmitglieder gewe­sen. Hasso war mit seinen zwei Gesichtern, seiner seeli­schen Kälte und seinem Drang nach Pu­blizität, die zweite Ausnahme. Seine Vorfahren hatten sich auch nie gescheut, sich vermeintlich hoheitlichen Bevormundungen zu widersetzen, auch Hasso war keine Ausnahme. Und ein wei­teres bedeutendes Merkmal aller Schützendorfs ist nicht zu übergehen: sie alle waren, einschließlich Hasso, hochmusika­lisch.

Die Geschichte seiner Vorfahren – ihre Heimat war seit Anbeginn das Gebiet an Rhein und Ruhr – soll hier nicht chrono­logisch aufgezeichnet werden, es würde zu weit füh­ren. Einige frühe Beispiele schützendorfschen Ei­gensinns sollen jedoch einen gewissen Einblick gewäh­ren:

Hassos Urgroßvater, geboren im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, Erbe einer kleinen, aber sehr bekannten Kräuterschnapsdestille, bezahlte seine Unbeugsamkeit mit dem Tod. Er hatte die Annahme einer behördlichen An­ordnung verweigert, indem er dem höfischen Gesandten, der ihn mit einer Verfügung vertraut machen wollte, nicht nur die kalte Schulter zeigte und ihn be­schimpfte, sondern ihn obendrein verprügelte. Um der zu erwartenden Kerkerstrafe zu entgehen, raffte er in großer Eile bewegliches privates und geschäftliches Hab und Gut zusammen und floh samt Familie bei Nacht und Nebel auf einem Rheinfrachter, dessen Kapitän ihm freund­lich gesonnen war, nach Holland, wo er unbedrängt von jeder Obrigkeit sei­nen Schnapsbetrieb neu aufbaute und das Produkt auch gut verkaufte. Nach über drei Jahren glaubte er an die Verjährung seiner Tat, zog ins heimatli­che Rheinland zurück, wurde prompt verhaftet, verurteilt und in den Kerker geworfen. Nun waren die damaligen Gefängnisse nicht mit den heutigen Knast-Ho­tels zu ver­gleichen, sodass sich der Mann in seiner feuchtkal­ten Zelle eine Lungenentzündung zuzog und daran starb. Bis der Sohn alt genug und in der Lage war, den für eine lange Zeit ruhenden Betrieb neu zu organisieren und gewinn­bringend zu führen, lebte die Witwe, keine Ah­nung von der Schnapsherstellung und vom Geschäftsle­ben, mit Sohn und ei­ner Tochter in Armut. Glücklicherweise entwickelte der Sohn den bekannten schützendorfschen Geschäftssinn, mit dem er einen Neubeginn konse­quent anzugehen wusste und die alte Kundschaft zurück­gewann.

Dieser Sohn war Hassos Großvater. Er sorgte für einen neuen Wohlstand in der Familie. Als der Mann alt gewor­den und gestorben war, musste seine Witwe das Unternehmen in fremde Hände legen, obwohl sie auf sieben er­wachsene Söh­ne hätte zurückgreifen können. Doch jeder von ihnen hatte seinen eige­nen Kopf, seine eigenen beruf­lichen Vorstellun­gen. Immerhin hatte der älteste der Brü­der, als der Verkauf bereits abgemachte Sache war, sich um die abschließenden Geschäfte gekümmert, aber vollkommen interesselos; er verkehrte lieber und häufig in verrufenen Schenken und auch Freudenhäusern im Lande. Unter vorgehaltener Hand hatte es obendrein geheißen, er habe sich mit zweifelhaften Geschäften abgegeben, wo­für er mit Ge­fängnis bestraft worden sei. Dieser Mann war die anfangs an­gesprochene Ausnahme unter den Schützendorfs, nun ja, bis vie­le Jahre später Hasso das Treiben seines aus der Art geschlagenen Onkels weit in den Schatten stellen sollte.

Ein weiteres Beispiel ist eine Komödie und nicht min­der be­zeichnend: Es war im Jahr 1886. Nach der Geburt des Jüngsten der sieben Brüder ließ der eigenwillige Vater auch die letzte kirchliche Aufforderung, den neuen Erdenbürger endlich taufen zu lassen, absichtlich außer Acht. Er hatte dem Säugling den Namen Leo gegeben, worin an sich kein Problem zu erkennen gewesen wäre. Dass er aber öffentlich verlangte, nur den Papst, nämlich den damaligen Papst Leo XIII., als Taufpaten anzuer­kennen, ging dem örtlichen Kle­rus zu weit. Also wurde der Heilige Vater von dem höchst ungebührlichen und verwerfli­chen Verhalten eines seiner Schäfchen unterrichtet, mit der Bit­te, anzuordnen, diesen anmaßenden Menschen aus der Gemein­schaft der Gläubigen auszuschließen, falls er sein unverschäm­tes Verhalten nicht widerrufe und be­reue. Nun, der Heilige Va­ter wohnte der bald anberaum­ten Taufe nicht persönlich bei, ließ aber eine Urkunde prä­sentieren, selbstverständlich mit Sie­gel und Unterschrift, aus der hervorging, dass man ihn, Papst Leo XIII., als Taufpaten des Knaben Leo anzuerkennen und dieses auch zu dokumentieren habe.

Nun endlich konnte der kleine Leo die Taufe über sich erge­hen lassen, und zwar in einem nachempfundenen Papstgewand, was den Pfarrer erneut bedenklich stimm­te. Doch mit einer Bekleidungsvorschrift für Täuflinge konnte er nicht aufwarten.

Sagen wir noch etwas zu den sieben Brüdern Schüt­zendorf. Der ungewisse Verbleib des Ältesten ist ange­sprochen worden. Und auch keiner der anderen Brüder ist, wie gesagt, bereit ge­wesen, den guten Magenbitter weiterhin zu produzieren und zu vertreiben. Dennoch sollte zukünftig der Name Schützen­dorf in vieler Munde und vor allem Ohren sein und blei­ben und für Qualität bürgen. Denn für fünf der Brüder führte ihr ererbtes musikalisches Talent zur Berufung. Al­fons, Gustav, Guido und Leo stiegen als Baritons und Bass-Baritons zu gefragten Opern- und Konzertsängern auf und wirkten in vielen bedeu­tenden Opernhäusern der Welt. Leo erlangte von ihnen den höchsten Ruhm; aber er starb früh, 1931, nicht einmal sechsund­vierzig Jahre alt. Hassos Vater Eugen, gleichfalls gesegnet mit einer entwicklungsfähigen Stimme, gesundheitlich aber oft an­geschlagen, brachte nicht die physische Kraft auf, sich sin­gend sein Brot zu verdienen. Doch die Musik sollte auch für ihn an­sehnlicher Broterwerb werden. Als Klaviervir­tuose und -lehrer begleitete er, wenngleich sehr selten, den einen oder anderen seiner singenden Brüder, wenn Konzertabende angesagt waren. Ein einmaliges Ereignis war es, als die vier Brüder 1915 im Stadttheater Bremen gemeinsam auf der Opernbühne wirkten; einmalig, denn einzuhaltende Verträge gestatteten sehr selten Besonderheiten; familiäre Zusammenkünfte zählten dazu.

 

Hassos Vater tat sich neben seinen musikalischen Aufgaben auch als Buchautor hervor, womit er den Namen Schüt­zendorf noch bekannter machte. Etwa Mitte des Zweiten Weltkrieges war sogar die Umgebung des Füh­rers auf ihn aufmerksam geworden: Er wurde in die Reichskanzlei berufen, um als Mitverantwortlicher den Führungsstab der Truppenbetreuung zu bereichern. Und was war aus dem Letzten (nicht nach der Ge­burtsfolge) der sieben Brüder geworden? Auch er war bei guter Stim­me, zog es aber vor, als Spirituosenvertreter durch die Lande zu ziehen. Es hieß, auch er hät­te die Magenbittertradition seiner Familie auferstehen und erneut ge­winnbringend sich entwickeln lassen können (alko­holische Getränke wurden und werden schließlich zu allen Zeiten verkauft). Aber auch er war nicht bereit, das Kräuterschnaps-Unternehmen mit frischer Ver­antwortung in die Zukunft zu führen.

Eugen Schützendorf heiratete um die Jahreswende 1923/24 in Düsseldorf die Tochter eines ehemaligen preußischen Generals, mit der er bereits ein Kind gezeugt hatte (Roswitha). Die junge Ehefrau entwickelte eine bemerkens­werte Energie, wenn es ihr darum ging, sich auf Bällen und Empfängen vor den anwesenden Herren in Szene zu setzen, Lebenslust zu ver­sprühen. Doch als sie dann zum zweiten Mal schwanger ging, sah sie ihre Jugend schwinden und unterließ nichts, sich ihrer Lei­besfrucht zu entledigen. Sie mutete sich überhitzte Sei­fenbäder zu, sprang, natürlich immer nur dann, wenn ihr Mann außer Haus war, vom Küchentisch auf den Steinfußboden oder unternahm sonst was, wobei sich das Dienstmädchen als eine heimliche Beobachterin bewies. Das Kind im Bauch Frau Schützendorfs wuchs trotzdem, strotzte jeder Gefahr und wurde im November des Jahres 1924 geboren und auf den Namen Hasso getauft. Der kleine Kerl aber hatte wei­terhin unter dem Hass seiner Mutter zu leiden. So legte sie ihn, zwei Monate nach seiner Geburt, auf den vereisten Balkon ihrer Wohnung, in der Hoffnung, dass seine Lun­ge die Kälte nicht überstehen werde. Doch Vater Eugen war frühzeitiger nach Hause gekom­men und hatte seines kleinen Sohnes Lebensgeister wieder auf Touren ge­bracht. Hassos aber unvermindert lebenshungrige Mutter war weiterhin unterwegs, nahm Einladungen wahr und versäumte keine Lustbarkeit in den Villen der vornehmen Gesellschaft. Bei diesen Gelegenheiten blieb es ihr natür­lich nicht verborgen, dass mancher vorwurfsvolle Blick ihr zu- und nach­geworfen wurde. Sie ließ keine Gelegen­heit aus, mit dem einen oder anderen freien Galan anzu­bandeln. Doch ausgerechnet der Fahrer ihres Mannes stieg auf zu ihrem Favoriten, und der war es dann auch, mit dem sie, ohne lange zu zögern, durchbrannte. Und Eugen – soll man sagen, der Gehörnte? – ist die Zeit hin­durch über das, was sich seine Frau leistete, nicht ahnungslos gewesen. Warum er trotzdem lange an seiner Ehe festhielt? Auch er war – wie alle Schützendorfs zu al­len Zeiten – den heimlichen, intimen Freuden des Lebens nicht abgeneigt und übersah nicht das andere Geschlecht. Erst dann, als ihn die Sa­che seiner Frau mit seinem Chauffeur zutiefst be­leidigte, übergab er seine Ehe dem Scheidungsrichter. Danach blieb er unverheiratet.

Zu jener Zeit befand sich Hasso im vierten Le­bensjahr. Für den bei seinem Vater heranwachsen­den Jungen war Bodenstän­digkeit nicht die Normalität, denn sein Vater musste berufsbe­dingt einige Male Ortswechsel vornehmen. So verbrachte Hasso Kindheit und frühe Jugend in Weißensee bei Berlin, in Hamburg, auf Rügen und wieder in Hamburg. Er besuchte Schulen, die dem Nachwuchs der gehobenen Gesellschaftsschicht vorbehalten waren. Dennoch landete er einmal für etliche Wochen in einer Schule für Schwererziehbare – ja, er war schwer erziehbar –, in einer Institution, die einer sich entwickelnden Persönlichkeit durchaus auf Dauer negative Impulse für be­denkliche Verhaltensweisen vermitteln und erhalten kann. Besonders diese Zeit verstärkte eine sich in Hasso entwickelnde Introvertiertheit; und er wurde im Älterwerden ein Meister darin, sie mit gegen­teiligem Verhalten zu überspielen – falls er es für notwendig hielt.

Hassos ältere Schwester Roswitha wuchs bei ihrer Mutter auf. Im Gegensatz zu ihr, die in Düsseldorf lebte und in hohem Al­ter dort auch starb, verschrieb sich die erwachsen gewordene Roswitha der noch jungen DDR in Ostberlin, wo sie Pädagogik studierte und danach als Lehrerin tätig war. Sie zeichnete sich als ein besonders wertvolles Mitglied der SED aus. Persönliche Entfaltungsbestrebungen wie in Westdeutschland waren in ih­ren Augen faschistische Verhaltensweisen, abträglich den Ideo­logien ihrer sozialistischen Volksgemeinschaft, eine diktierte und beaufsichtigte Gemeinschaft, die bekanntermaßen aber nie eine Gemeinschaft, wie wir sie verstehen, war. Ihre Einstellung, westlichen Fortschritt und Wohlstand einmal zu überse­hen, änderte sich auch nicht, nachdem ihr von ihrem Bruder (noch in der DDR-Zeit) ein Auto aus westlicher Produktion zur Verfügung gestellt worden war. Geschwisterliebe? Davon konnte nie die Rede sein. Bruder und Schwester hassten sich geradezu, was nicht nur den zwei verschiedenen Systemen, in denen sie lebten und sich somit auch völlig verschieden entwi­ckelten, zuzuschreiben war. Roswitha wurde von einem starken Herzschmerz heimgesucht, als ab November 1989 nacheinan­der Mauer, Tötungsanlagen und lukrative Regimeposten fielen. Und es verging eine lan­ge Zeit, ehe sie der ersten Einladung ihres Bruders nach Mal­lorca nachkam. Zu der Zeit befand sie sich längst im Ruhe­stand, war ungewöhnlich mager, verhärmt und obendrein stark gehbehindert. Zum Verhältnis der Geschwister untereinander, und was sich dadurch ereignete, gehört in den zweiten Teil die­ses Werkes.

Zurück in die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die interessanteste Zeit für den jungen Hasso war zweifellos die auf der Insel Rügen, wo sein Vater beruflich engagiert war. Fast täglich hielt sich der Junge im Schloss des Fürsten von Putbus auf. Franz, des Fürsten Malte jüngster Sohn, zählte zu seinen engsten Freunden. Ein Leben in aristokratischer Umgebung, die freundschaftlichen Bindungen in diesen Kreisen und die von ihr oft ausgehenden, weitreichenden Beziehungen waren seit eh und je eine Garantie für Ansehen und Erfolg.

Verantwortlich für Hassos Weiterbildung war das altehrwür­dige Pädagogium in Putbus. Natürlich ging es in solch einer In­stitution nicht immer zu wie vermutlich in einer Klosterschule. In Hasso, inzwischen im dreizehnten Lebensjahr und seit etwa anderthalb Jahren auf Rügen wohnhaft, rührte sich erstes Geschäftsinteresse. Eines Tages entdeckte er in der Bibliothek sei­nes Vaters explizierte Bücher wie beispielsweise den Band Die perfekte Liebe zwischen Mann und Frau. Überzeugt, mit dieser Art Literatur, noch dazu reichlich bebildert, auch seine Mit­schüler begeistern zu können, zog er die Bücher, es waren deren drei, nach und nach heimlich aus dem Regal und verlieh sie gegen eine Gebühr von zehn bis fünfzehn Pfennig, je nach be­bildertem Inhalt und Umfang. Doch bald bekamen die Lehrer Wind von der Sache, und da Hassos eklatantes Verhalten nicht mit ihren Moralvorstellungen in Einklang zu bringen war, musste er die Schule verlassen.

Vater Eugen wertete die Maßnahme als eine weit überzogene Reaktion, aber keiner der maßgeblichen Herren ließ sich zu einer Urteilsänderung erweichen. Hasso hatte für eine Situation gesorgt, über die sich heute niemand aufregen würde. Aber da­mals veranlasste sie Vater Eugen, Rügen zu verlassen. Er dach­te auch nicht daran, die Bildung seines Sohnes in der Volks­schule in Putbus fortführen zu lassen. Also reisten Vater und Sohn zurück nach Hamburg.

Für interessierte Leserinnen und Leser ein paar Worte zum Pädagogium in Putbus: Erbauen ließ es in den Jahren 1833/36 Fürst Wilhelm Malte I. zu Putbus, der es nach Fertigstellung dem preußischen Staat übergab. Das somit Königliche Päd­agogium (Name ab 1919: Staatliches Pädagogium) war nach der Universität Greifswald das bedeutendste Bildungsinstitut Vorpommerns, bis die Nazis in den dreißiger Jahren kurzerhand die traditionsreiche Lehran­stalt auflösten und dafür die Parteispezifische Erziehungsanstalt Rü­gen installierten und unterhielten. Die Anstalt war bis Kriegsende in Betrieb. Geraume Zeit später waren die Gebäude ein Ausbildungszentrum für Lehrer und von 1975 an wurden in den Räumen gehörlose Kinder betreut und unterrichtet. Von 2000 bis 2002 stand der Gebäudekomplex teilweise leer und drohte zu verkommen. Doch dann wurde er zu neuem Leben erweckt: Das sogenannte IT-College Putbus begann, dort Fachkräfte für Infor­matik auszubilden, was die ersten Jahre auch ordentlich lief, bis Insolvenz die Sache stoppte.

Ein Wort noch zu Hassos Schulfreund Fürst Franz zu Putbus. Dessen Vater, Fürst Malte, trat 1932 der NSDAP bei. Doch in den Folgejahren machte er, der nicht aus Überzeugung Par­teimitglied geworden war, sondern aus Gründen, die u.a. der Sicherung seiner Familie und seinen Besitztümern dienlich sein soll­ten, gelegentlich mit parteischädigenden Bemerkun­gen auf sich aufmerksam. Genauer besehen passte der Adel nicht in das Konzept der Nationalsozialis­ten. Fürst Malte erfuhr sehr schnell seinen Parteiaus­schluss; doch nicht genug: Im Zuge der Verhaftungswelle nach dem Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 nahm ihn die Gestapo fest und schickte ihn zu­nächst in die Gefängnisse von Stralsund und Greifs­wald und schließlich in das Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er 1945 als Nazi-Gegner ermor­det wurde.

1990 strengte sein Sohn und Erbe Franz (der ältere Bruder Friedrich ist im Zweiten Weltkrieg gefallen) einen der größ­ten Rückgabeprozesse in den neuen Bundesländern an. Dabei ging es um riesige Anlagen auf insgesamt etwa 16.000 Hektar. Die sowjetische Besatzungsmacht hatte noch vor Gründung der DDR die Enteignung der fürstlichen Besitztümer vorgenommen. Es war aber offensichtlich, dass bereits die Nazis die Fürstenfamilie um ihren Besitz gebracht hatten, was angeblich nicht nachzuweisen war. Andernfalls wäre für den Fürsten die Sache sicherlich positiv beschieden wor­den. Das Schicksal sei­nes Vaters werteten die Richter mit der sonderbaren Feststel­lung: Der im KZ Sachsenhausen ermordete Fürst hätte die Möglichkeit wahrnehmen können, sich rechtzeitig vor den Na­zi-Schergen in Sicherheit zu bringen. Nach diesen Rückgabe­ablehnungen der Gerichte rief Fürst Franz 1998 die letztmögli­che Instanz an, die aber die Ablehnung seiner Ansprüche end­gültig festschrieb.

Hasso realisierte nach der Wende 1989 umgehend die persönlichen Kontakte zu seinen ehemaligen Rügener Klassenkameraden. Für ihn, der der DDR-Grenze bis zur Öffnung fern­bleiben musste, um sich nicht der Gefahr auszusetzen, verhaftet zu werden, wurden seine neu geschaffenen Verbin­dungen mehr eine Demonstra­tion seines Reichtums als ein wahres kameradschaftlich verbunden­es Bedürfnis. So folgte nicht nur hin und wieder Fürst Franz seinen Einladungen, son­dern einmal auch seine sämt­lich reise­fähigen Klassenkamera­den, die er geschlossen im Son Vida, dem Hotel allererster Güte auf Mallorca, wohnen ließ. Er de­monstrierte Reichtum und Macht vor seinen Gästen aus der ehemaligen DDR, intensiv, wie nur er es fertig­brachte. Und er war stolz darauf, nach wie vor den Fürsten zu Putbus, der da­mals auf die Rückgabe seines Erbes hoffte, immer noch zum Freund zu haben. Es bedurfte je­doch nur weniger Folgejahre, und die wiedervereinigte Klas­senkameradschaft war samt Fürs­tenstolz Geschichte. Schützen­dorfs ständig unverkennbare Selbstherr­lichkeit und vage Versprechungen sind von seinen ehemaligen Mitschülern samt Ehefrauen nicht allzu lange zu ertragen gewesen.

Doch erwehren wir uns nun schnell wieder einer sich erneut heimlich ein­stellenden Vorwegnahme und kehren nochmals zurück in das Jahr 1936.

Hasso empfand bereits als Kind jede Bevormundung als eine Unterdrückung. Eine Rüge reichte aus, ihn in stille, manchmal auch ausbrechende Wut zu versetzen. Das konnte dann dazu führen, dass er sich Dinge ausdachte, die seine Umgebung durchaus in Schrecken versetzen konnten. Aber auch ohne einen Anlass ließ er sich die eine oder andre Dummheit einfallen. Während eines der seltenen Familientreffen im Hause eines seiner Onkel in Weißensee zündete er einen der schweren Fenstervorhänge an. Doch glücklicherweise konnte die bereits aufsteigende Flamme schnell erstickt werden. Er habe prüfen wollen, erklärte Hasso seiner fassungslosen Verwandtschaft, ob der Vorhangstoff feuerfest sei. Vater Eugen war, was die Ent­wicklung seines Sprösslings betraf, in ständiger Sorge. Um sei­nen Sohn nicht allzu oft allein gelassen zu wissen, vereinbarte er mit seiner jungen Hausgehilfin, sich auch um Hasso zu küm­mern, ihm das Gefühl zu vermitteln, nicht auf sich allein ge­stellt zu sein und ihn anzuhalten, seine Freizeit nicht mit dum­men Streichen zu vergeuden. Vater Eugen hatte nicht überse­hen, dass das Mädchen, für ihn zufriedenstellend, mit seinem Sohn umzugehen wusste; und Hasso wiederum, gewisserma­ßen ein Feind erzieherisch tätiger Personen, versuchte sich zu bemühen, Vater und Mutterersatz nicht zu enttäuschen, was ihm nicht gerade oft gelang.

 

Nach der Rückkehr nach Hamburg wurde Hasso wiederum auf eine Oberschule geschickt, wo er bald auch den dortigen Lehrern negativ auffiel. Er benahm sich sehr oft respektlos und aufmüpfig und war selten zur Vernunft zu bringen, sodass seine Lehrer ihm eine düstere Zukunft prophezeiten, ja, irgendwann werde er in einem Gefängnis landen. Schon der Abschlussbericht aus dem Pädagogium in Putbus an die Hamburger Schul­behörde hatte Hasso negativ dargestellt. Seinen neuen Lehrern wurde empfohlen, sich darauf einzustellen, dass die Erziehung ihres neuen Schülers mit Schwierigkeiten verbunden sei. Die­ser vorausgehenden Warnung wurde Hasso dann auch gerecht! So kam es bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit dazu, dass er auch dieses Gymnasium verlassen und mit einer schulischen Einrichtung für schwererziehbare Heranwachsende vorliebnehmen musste. Hassos Wesen, sein ganzes Verhalten, ging über das aller Schützendorf-Generationen beträchtlich hinaus. Deren Unbeugsamkeit trat grundsätzlich nur dann zutage, wenn sie entsprechend ihrer Vorstellung behördliche Ungerechtigkei­ten oder Gängelungen hinnehmen sollten. Nein, hauptsächlich hatte ihn, sein Wesen, ein fragwürdiges, zerrüttetes familiäres Umfeld geprägt. Und nach der Rückkehr nach Hamburg war für ihn der plötzliche Verlust seiner Rügener Freunde in einem gehobenen Umfeld mit ausschlaggebend und von ihm nicht so­fort zu verkraften gewesen. Dazu traf ihn die offensichtliche Überforderung seines Vaters in fast allen Belangen. Sehen wir einmal in unsere heutige Zeit hinein, so ist das, was sich Hasso im Verlauf seiner Schulzeiten, vereinfacht gesagt, an Dumm­heiten geleistet hatte, geradezu lächerlich. Damals waren die Zeiten eben anders. Für eine für Heranwachsende empfindliche Bestrafung reichte es oftmals, einer Unterrichtsstunde unent­schuldigt ferngeblieben zu sein. Ging es um materielle Gewin­ne, dann war in dieser Hinsicht Hassos Erbgut unverkennbar. Denken wir nur an seinen Buchverleih in Putbus. Geschäfts­tüchtiges Handeln, in Verbindung mit einem Versäumnis, brachte ihn dann auch sogar in der Schule für Schwererziehba­re in Schwierigkeiten. Die Angelegenheit wäre im Sande ver­laufen, hätte ihn nicht ein Mitschüler, vor dem er sich mit einer Wochenend-Schwarzfahrt großspurig aufgespielt hatte, an die Lehrerschaft verraten. Hassos Vergehen: Nach einem Verwand­tenbesuch in Berlin hatte er in der Berliner Bahnhofsvorhalle einem jungen Mann, dessen Reiseziel ebenfalls Hamburg war, seine Rückfahrkarte verbilligt angeboten. Der Mann griff zu, und Hasso war im Besitz von Bargeld. Davon löste er sich eine Bahnsteigkarte (noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg für Nichtreisende erforderlich), wartete auf den Zug nach Ham­burg und passte nach dem Einstieg auf, ohne Fahrerlaubnis vom Schaffner erwischt zu werden. Wegen dieser schwerwie­genden Verfehlungen, allein seine Reise nach Berlin war in sei­ner Schule melde- und genehmigungspflichtig, steckte ihn die Schulleitung für sieben Tage in den schuleigenen Karzer, der ihm nur zu den Unterrichtstunden aufgeschlossen wurde. Diese Einrichtung eines Schulgefängnisses für Heranwachsende för­derte in Hasso zusätzlich und nachhaltig die völlige Ablehnung der autoritären, oftmals auch persönlichkeitsverachtenden Ge­sellschaftsform. Die Beziehungen des Vaters und der Name Schützendorf gestatteten es Hasso jedoch bald, weiterhin ein normal bürgerliches Gymnasium in Hamburg besuchen zu dür­fen. Dieses Institut blieb dann bis in sein achtzehntes Lebens­jahr hinein und ohne ernste Zwischenfälle seine schulische Heimat. Doch dann wurde ihm der Weg zum regulären Schulabschluss endgültig versperrt.

Hassos Abneigung gegen das Nazi-Regime, für ihn erstran­gig in Gestalt linientreuer Lehrer, setzte sich mit fortschreiten­den Lebensjahren unaufhaltsam in ihm fest. Aber auch nicht wenige Klassenkameraden empfanden wie er, erst recht nach Kriegsbeginn. Hinausposaunte Erfolge der Wehrmacht ins Großdeutsche Reich waren für sie kein Anlass, in Jubelstürme auszubrechen. Es waren Gleichgesinnte neben Hasso, die es nach Erlangung der Reife nicht freiwillig zum Soldatenberuf ziehen würde. Sie rechneten damit, ohnehin eines Tages zum Kriegsdienst geholt zu werden, erst recht nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion im Juni 1941. Die jungen Menschen, von parteilichen Reglements ganz und gar nicht angetan, durften sich außerhalb ihres Kreises keine Äußerungen gegen die Nazis erlauben. Natürlich gab es auch Schulen oder Klassen mit nazifreundlichen Schülern.