Färöer ISLAND Grönland

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Färöer ISLAND Grönland
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

IMPRESSUM

Färöer ISLAND Grönland

Inseleinsichten

Wolf Leichsenring

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über portal.dnb.de abrufbar.

© 2020 I 360° medien I Marie-Curie-Straße 31 I 40822 Mettmann

360grad-medien.de

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung sowie Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Der Inhalt des Werkes wurde sorgfältig recherchiert, ist jedoch teilweise der Subjektivität unterworfen und bleibt ohne Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität.

Redaktion und Lektorat: 360° medien

Satz und Layout: 360° medien

Bildnachweis: Alle Bilder von Wolf Leichsenring,

Karten: Maps4News

Gedruckt und gebunden:

STANDARTU SPAUSTUVE Druckerei I Dariaus ir Girėno g. 39 I

LT – 02189 Vilnius I standart.lt

ISBN: 978-3-947944-09-5

Hergestellt in Litauen

www.360grad-medien.de

Wolf Leichsenring

Färöer ISLAND Grönland

Inseleinsichten

Inhalt

Vorwort – Inseleinsichten

Leinen los

Island

Einstimmung

Karte

Im Rhythmus der Fähre – Ankunft in Seyðisfjörður

Um die Nasen herumführen – Ostfjorde

Im grauen Sand am blauen Meer – Südislands Gletscherwelt

Gletscher von innen

Neue Erden betreten – Vulkanisches Island

Geboren im Goldenen Ring

Hauptstadt mit Geopark

Zwischen Höhle und Hölle – Snæfellsnes

Noch Island? – In die Westfjorde

Zwischen Robben, Heringen und Walen – Nordküste

Der Kreis schließt sich

Färöer Inseln

Einstimmung

Karte

Tórshavn – Von Thor zu Tor

Wo der Wildbach rauscht – Insel Streymoy

Das Dach der Färöer – Insel Eysturoy

Inselhopping im Norden

Bei Papageientaucher & Co

Sanfter Ausstieg

Grönland

Einstimmung

Karte

Erstberührung mit der Eisinsel

Arktische Isolation – gen Norden per Schiff

Umringt von Eisbergen

Was bleibt? – Fazit

Danksagung

Autorenporträt

Vorwort

Inseleinsichten

Die größte Gemeinsamkeit aller drei Tourziele dieser Reise besteht wohl darin, dass es sich ausnahmslos um Inseln handelt. Zum einen bereise ich ein ganzes Archipel aus 18 Inseln – die Färöer. Island zum anderen trotzt weit oben im Nordatlantik den Einflüssen von Wind und Wetter. Gut 2000 Kilometer liegt die Insel von Dänemarks Nordspitze Jütland entfernt. Noch weiter gen Norden kommt dann nur noch Europas und der Welt größte Insel Grönland mit ihrer immensen Binnenlandeiskappe, an den Küsten hin und wieder gesäumt von einem schmalen Streifen grüner Natur. In all diese drei Eilande samt ihrer „Nebeninselchen“ darf ich auf meiner knapp dreimonatigen Wohnmobiltour Einsicht nehmen.

Dabei verstehe ich den Begriff „Einsicht“ im doppelten Wortsinn. Zunächst denke ich an die „oberflächlichen, äußeren“ Einsichten, sprich an malerische Aussichten auf und wunderbare Einblicke in die jeweiligen Naturgegebenheiten. Die Vertiefung des Begriffes zeigt sich im lernenden Kontakt mit der Geschichte, der Kultur oder Politik des jeweiligen Insellandes. In frühere Lebensbedingungen gewinne ich ebenso Einsicht wie in aktuelle.


Inseleinsichten

Schon aus diesen wenigen Worten geht sicherlich hervor, dass das Buch kein „Reiseführer“ im herkömmlichen Sinn darstellt. Mein Ziel war und ist es, ein „Reisetagebuch/traveldiary“ zu präsentieren. Somit schreibe ich meine Eindrücke von unterwegs nieder, gebe hier und da auch Tipps, was mir besonders gut oder auch nicht so sehr gefallen hat. Auf die Angabe von Öffnungszeiten, Preisen oder Standorten verzichte ich bewusst. Die entsprechenden Internetauftritte der jeweiligen Einrichtungen geben hier bessere Auskünfte.

Mit geht es eher um „Lebendigkeit“ denn um trockene Informationsvermittlung. So ist dieser Band, wie meine anderen sieben Bücher auch, stets während der aktuellen Tour verfasst worden, nicht im Nachhinein. Das vor Kurzem „unmittelbar Erlebte“ reflektiert sich in der Niederschrift dann eher „warm wie ein Bäckerbrötchen“, präsenter, nicht als Konserve.

Zusätzlich zur eigentlichen Tourbeschreibung findet die Leserschaft eingeschobene Informationskästen über besondere Gelegenheiten für eine Besichtigung, zu Wanderungen oder auch Exkursionen. Alle hier geschilderten Impressionen sind persönlich erlebt.

Jedes Volk hat seine eigenen Legenden hervorgebracht. Oftmals tragen diese kleinen, fiktiven Geschichten zum besseren Verständnis des Landes bei. Ohne sie allzu ernst zu nehmen, führe ich sie zur Auflockerung gern auch in diesem Buch an, sofern ich unterwegs auf sie gestoßen bin.

Über meine früheren Bücher erhalte ich vielfach Rückmeldungen, dass die geschilderten Touren problemlos „nachgefahren“ werden können, je nach zur Verfügung stehender Zeit entweder in Gänze oder in einzelnen Abschnitten.

Ein „traveldiary“ hält sich in der Regel an die Chronologie einer Reise. Im vorliegenden Buch bin ich von dieser Regel abgewichen, denn die drei Inselländer sind nicht nacheinander besucht worden. Für die Färöer als Start der Tour mit anschließender Fährüberfahrt nach Island mag die Reihenfolge wohl noch gelten. Für Grönland trifft sie nicht mehr zu. Der Trip dorthin wurde in die Islandrundtour eingeschoben.

Da Island zeitlich wie thematisch den Schwerpunkt der gesamten Tour ausmacht, habe ich aus Gründen der Übersichtlichkeit diese Tourschilderungen an den Anfang gestellt, gefolgt von denjenigen über die Färöer und Grönland.

Jeder Reisende setzt seine individuellen Schwerpunkte, der Autor natürlich auch. So will und kann auch dieses Buch keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stets währende Richtigkeit der Angaben erheben. Anregungen möchte das Buch liefern, Ideen für eine Reise in diese nordatlantische Inselwelt, „Einsichten“ eben.


Isländische Shrimpstorte

Leinen los …

So heißt es an einem Samstag im Juni um 15:30 Uhr (MEZ). Das wohlbekannte Schiff Norröna der färöischen Reederei Smyril Line verlässt den Hafen vom dänischen Hirtshals. Vorher, von Hamburg kommend, heißt es zunächst gut 500 Kilometer zu bewältigen bis fast in Jütlands Nordspitze, meistens problemlos auf Autobahnen (in Deutschland A7, in Dänemark E45). Völlig stressfrei schaffe ich diese Strecke mit dem Wohnmobil in rund acht Fahrstunden. Zum Abklingen des Alltags und zum Umschalten auf das rund drei Monate währende „Abenteuer Island“ gönne ich mir eine nächtliche Unterbrechung (Freitag auf Samstag) in dem idyllischen dänischen Städtchen Viborg. Geruhsam rolle ich dann am eigentlichen Abfahrtstag die restlichen 150 Kilometer zum Fährterminal.

 

Das Einchecken und Verladen der Fahrzeuge verläuft professionell reibungslos. Keine langen Wartezeiten in den Wartespuren am Kai müssen ertragen werden. Kaum dort angekommen, werde ich auch schon ins Schiff gewunken. Und das bereits ungefähr fünf Stunden vor der eigentlichen Abfahrt. So entzerrt sich die zu verladene Fahrzeugschlange, wie auch die der Ratsuchenden an der Schiffsrezeption. Man könnte es auch nordische Gelassenheit nennen.

Hektisch wird es allerdings, als auf die Minute genau zur Abfahrtszeit ein heftiger Hagelschauer niederprasselt, gefolgt von einem 30-minütigen Sturzregen. Der Durchnässungsgrad sämtlicher Passagiere auf den Außendecks (mich inklusive) ist nahezu lückenlos. Die rettenden schweren Eisenschotten ins Schiffsinnere erscheinen weit weg. Sollte es sich etwa um ein Omen für die zu erwartende nordische Wetterlage handeln?

So denken nur Pessimisten! Bald reißen die Wolken wieder auf. Der Wechsel hin zu Sonnenschein über ruhiger See tut gut, trocknet die Kleidung und wärmt die Gedanken. So kann es bleiben auf der ersten Fähretappe von Hirtshals bis nach Tórshavn auf den Färöer-Inseln. Rund 32 Stunden wird sie dauern, um dann in rund weiteren 13 Stunden den Sprung hinüber nach Seyðisfjörður an die Ostküste Islands zu bewältigen.

Was sich wettermäßig am Abfahrtsnachmittag in Hirtshals zum Positiven gewandelt hat, lässt am Folgetag doch sehr zu wünschen übrig. Die See bleibt rau, kein Sonnenstrahl dringt durch die dichte Wolkendecke. Dafür bläst der Sturm umso heftiger. Der Nordatlantik ist halt nichts für zarte Gemüter und empfindliche Mägen, was der aufgelockerten Stimmung an Bord allerdings nur wenig Abbruch tut. Eine bunte Nationalitätenmixtur bevölkert die verschiedenen Decks, meist aus Europas nördlichen Regionen, auffallend viel Färinger und Isländer. Wie sie berichten, haben sie vor der „nordischen Tourismussaison“ noch einmal die Gelegenheit genutzt, um in europäisch südlichen Gefilden „Wärme zu tanken“.

Vorbei an den schottischen Shetland-Inseln, steuert die Norönna in einem weiten Bogen die Inselgruppe der Färöer an. Als Ankunftszeit ist 22:30 Uhr Ortszeit angegeben. Stellen wir die Uhren also rechtzeitig eine Stunde zurück.

Der zweite Teil der Fährfahrt nach Island, für mich rund zehn Tage später, verläuft nicht minder reibungslos und aufregend. Als Unterschied bleibt hängen, dass ich mich wettermäßig schon recht gut akklimatisiert habe. Man kann auch sagen: Die persönliche Erwartungshaltung hat sich reduziert. Auch im Zielhafen rolle ich problemlos und relativ geschwind von der Fähre. Das Abenteuer Island kann beginnen.


Leinen los in HIrtshals

Es wird bis fast Ende August währen. Zum Abschluss, von Donnerstag späten Vormittag bis Samstag gegen Mittag wird es dauern, bis wir wieder in den Hafen von Hirtshals einlaufen. Die Färöer werden als Zwischenstopp natürlich auch ein weiteres Mal angelaufen. Nachts um 3 Uhr sind 30 Minuten für Aus- und Einladen vorgesehen. Sofern das Meer ruhig bleibt, kann man insgesamt eine entspannte, erholsame Seereise in mehreren Teilen genießen.

Per Flugzeug gelange ich zweifelsohne schneller an die Zielorte. Doch zum gemächlichen „Ein- und Ausfädeln“ in die nordatlantische Welt erscheint mir die mehrtägige Schifffahrt geradezu ideal.


ISLAND

Island

Einstimmung

Island – ähnlich groß wie Belgien oder Irland. Einheimische bezeichnen ihre Insel auch als „fast letzten, zivilisatorischen Außenposten“. „Hinter uns kommt nur noch Eis“, wird schnell hinzugefügt. Eis gibt es durch die Gletscher auch bereits auf Island genug – noch(!).

Die Geburtsstunde des Insellandes schlug vor rund 20 Millionen Jahren. Unterwasservulkane schufen durch Jahrhunderte lange Eruptionen das Eiland in etwa so, wie wir es heute kennen. Aber eben doch nicht ganz. Denn der kreative Bildungsprozess des geologischen Teenagers scheint noch lange nicht abgeschlossen zu sein. Wir können ihn miterleben. Denken wir nur an das jüngste „Inselbaby“ Surtsey bei den südlichen Westmännerinseln. Gerade einmal 50 Jahre ist das noch unbewohnte Vulkaninselchen alt. Jeder Vulkanausbruch, jeder kalbende Gletscher schnitzt die Inselform immer ein wenig neu.


Einfahrt in Seydisfjördur

Erste, zaghafte Besiedlungsversuche begannen erst vor rund 1200 Jahren, in einer Zeit also, als die Regentschaft Karls des Großen mehr oder minder gerade zu Ende gegangen war und das düstere, europäische Mittelalter zur Höchstform auflief. Wirklichen Siedlungsboom brachten eigentlich erst die Wikinger vor rund 1000 Jahren mit sich.

Der Einwohnerboom hielt und hält sich in Grenzen. Rund 350.000 Einwohner wohnen heute (Stand: 2019) stetig auf der Insel, also nicht viel mehr als in einer mittleren Großstadt. Und mit dieser relativ geringen Bevölkerungszahl muss das gesamte „Spektrum des Lebens“ auf allen Ebenen abgedeckt werden, vom Staatspräsidenten bis zur ehrenamtlichen Bürgermeisterin, von der Kulturmanagerin bis zum Baggerfahrer, vom Kioskbesitzer bis zur Kinderärztin. Es klappt offensichtlich gut, von wenigen Beulen abgesehen. Vielleicht liegt hierin auch ein Schlüssel für die überwiegende Zufriedenheit, Aufgeschlossenheit und die dem Menschen (nicht nur den rund 700.000 Schafen) zugewandte innere Haltung der Isländer.

Wer Island bereist, sollte sich darauf einstellen, dass nicht unbedingt Opulenz herrscht, eher Reduktion. Opulent bis zum Überfluss kann man in die teilweise noch unberührte Natur eintauchen. Seit nunmehr 30 Jahren erlebe ich sie auf mehreren Reisen (alle per Wohnmobil). Eher reduktiv empfinde ich die Insel hinsichtlich langanhaltender Schönwetterperioden. Sicherlich, Sonnentage kommen vor. Besonders aber für den touristischen Besucher mit einer begrenzten Aufenthaltsdauer bleibt es eben doch ein wenig Glücksache, in welches Wetterloch er gerade hinein fällt.

Opulent präsentiert sich das kulturelle Angebot auf allen Ebenen. Die Bevölkerungsdichte, abgesehen vom hauptstädtischen Großraum um Reykjavík, zeigt sich eher reduktiv. Das Zugehörigkeitsgefühl vieler Isländer zu Europa, so haben zahlreiche Gespräche erbracht, zeigt sich stärker als reduktiv. Oftmals höre ich das Argument „Wir fliegen nach Europa“, wenn für Einheimische ein Trip auf den Kontinent ansteht. Wir, die Besucher, sind die „Europäer“, Isländer bleibt Isländer.

Wie gesagt, seit nunmehr 30 Jahren darf ich durch meine verschiedenen Reisen die Entwicklung des Landes „vor Ort“ miterleben. Besonders zwei (oberflächliche?) Aspekte fallen mir dabei auf. Zunächst will ich die Beschaffenheit der Straßen nennen, bei meiner Reiseform eine nicht unwichtige Komponente. Waren bei (m) einer ersten Islanderkundung (um 1990) von der Hauptverkehrsader des Landes, dem Hringvegur (Þjóðvegur), lediglich rund zehn Prozent geteert, so verbleiben nunmehr (Stand: 2019) nur noch wenige Straßenabschnitte der Ringstraße als „Gravel Road“. Diese Entwicklung setzt sich fort bei den zweistelligen Überlandstraßen. Auch hier kann man meist ungehindert auf einem Teerband reisen, im Süden fast ausnahmslos, im Norden und den Westfjorden eher weniger. Selbst dreistellige Straßen in entlegene Gegenden, Dörfer oder auch Gehöfte erhalten in zunehmendem Maße „Teeranschluss“. Ausgeschlossen von dieser Entwicklung sind die sogenannten „F-“Straßen, die tief ins gebirgige Hochland führen. Sie sind, und werden es auch wohl bleiben, geländegängigen Allradfahrzeugen vorbehalten.

Der zweite Aspekt könnte mit der Rundumentwicklung der Straßenzustände zusammenhängen – der Trend zum Eigenheim. Sicherlich spielt der wachsende Wohlstand (trotz des seinerzeitigen Börsencrashs) eine gewichtige Rolle beim Wunsch nach Eigentum. Doch „Neubaugebiete“ mit Einzel- oder Reihenhausbebauung entstehen nicht nur in den urbanen Ausprägungen, sondern eben auch weit von ihnen entfernt, manchmal in tiefster Einsamkeit. Ohne mehr oder minder günstige Verkehrsanbindung würde man sich dort wohl nicht niederlassen.

Die Digitalisierung des Alltagslebens möchte ich als einen weiteren Entwicklungsprozess anführen. Die isländische Krone ist und bleibt Zahlungsmittel. Der schwedische Zustand in puncto Kartenzahlung ist auch noch nicht erreicht. Doch die Durchdringung des Alltaglebens mit bargeldlosem Zahlungsverkehr ist schon auffällig. Auch in den entlegensten Siedlungen wird der Kartenterminal immer stärker zur Gewohnheit.

Für Autofahrer bringt diese Entwicklung einen großen Vorteil mit sich. Die überregionalen Tankstellenketten bieten auf diesem Weg auch in der verlassensten Gegend eine servicefreie Zapfsäule an. Bezahlt wird am Automaten. EC-Karte genügt meistens.

Island gilt für uns als teuer. Davon ist auch nichts abzulassen. In der Regel bleibt es bei einem fast doppelten Preisgefüge im Vergleich zum unsrigen. Doch gefühlt scheint mir der Preisunterschied nicht mehr so heftig auszufallen wie in früheren Jahren. Sind unsere Waren und Dienstleistungen teurer geworden oder die Isländischen preisgünstiger?

Ein letzter Boomaspekt sei an dieser Stelle noch erwähnt, bevor wir die Rundtour starten. Ich denke an den wachsenden Tourismus. Die Anzahl der Islandtouristen steigt ständig. Waren die Europäer in früheren Jahren noch weitgehend unter sich, treffe ich nun auf Gäste aus aller Welt. Besonders der Süden der Insel profitiert hiervon. Die Ringstraße entlang der Gletscher- und Vulkanwelt entwickelt sich stetig heftiger zur „Avus“ für Mietfahrzeuge, Tourbusse und Wohnmobile. Die touristische Infrastruktur versucht, dem gerecht zu werden. Der südliche Teil der Halbinsel Snæfellsnes erlebt Ähnliches. Ruhiger, noch nicht so stark vom Massentourismus geküsst, verharrt der Norden, die Westfjorde sowieso.

Die Tourismusmanager betrachten diesen Boom überwiegend mit Freuden, Natur- und Tierschützer selbstredend nicht. Je nach gedanklicher Ausrichtung macht der Begriff einer „Mallorcaisierung Islands“ die Runde. Nun, vielleicht stellt sich ja auch auf diesem Feld eines Tages reduktivere statt opulentere Denk- und Handlungsweise ein. Der Bewahrung einer gewissen Ursprünglichkeit der Insel käme es wohl zugute.

Genug der Worte, meine Fähre läuft in wenigen Minuten in den östlichen Hafenort Seyðisfjörður ein. Die Islandrundtour kann beginnen.


Im Rhythmus der Fähre – Ankunft in Seyðisfjörður

Seyðisfjörður, Donnerstagmorgen, 8:30 Uhr (MEZ 10:30 Uhr), seit rund einer Stunde gleitet das Fährschiff Norröna durch den gleichnamigen Fjord bis zum Fährhafen in der kleinen Gemeinde. Willkommen in Island! Diese Autofähre der Smyril Line stellt die einzige Fährverbindung zu Kontinentaleuropa dar. Im Wochenrhythmus transportiert sie Passagiere, Frachtgüter und alle Arten an Fahrzeugen von Hirtshals (Dänemark) über Tórshavn (Färöer) hierher nach Ostisland. Der 650 Einwohner zählende Ort lebt in großem Ausmaß von und in diesem Fährrhythmus, jeden Donnerstag. Kaum sind die Schiffstaue festgezurrt, die Ladeluke heruntergeklappt, ergießt sich die schier unendlich erscheinende Fahrzeugschlange auf die Pier. Schnell muss es gehen, denn bereits zwei Stunden später, also fahrplanmäßig um 10:30 Uhr Ortszeit, soll das Schiff wieder ablegen Richtung Dänemark, mit 30-minütigem Zwischenstopp (nachts um 3 Uhr) in Tórshavn. Auffällig ist beim Ent- und Beladen die hohe Anzahl der Wohnmobile. Spätestens um 11 Uhr neigt sich der ganze Spuk seinem Ende entgegen. Die Fähre verschwindet am Horizont hinter der letzten Fjordbiegung. Anschließend ruht der Ort wieder störungsfrei vor sich hin, eingebettet in auch im Sommer von Schnee bedeckten bis 1000 Meter hohen Berge. So verläuft es Woche für Woche, jahraus, jahrein, seit nunmehr rund 35 Jahren – ein geregeltes Dasein.

 

Seydisfjördur

Die Fahrzeugschlange mit Ausnahme der Lkw der Reederei ergießt sich ins Dorf, davon 30 gezählte Wohnmobile. Eigentlich müsste der ortseigene Campingplatz doch jetzt recht gefragt sein. Günstig liegt er ohnehin, nur 500 Meter vom Hafen entfernt, gleich hinter der Kirche. Doch keine Spur ist davon zu bemerken. Nach gefühlten 30 Minuten ist der Ort so gut wie „WoMo-frei“. Die Karawane steuert ohne zu zögern die Straße Nr. 93 nach Egilsstaðir (ca. 25 Kilometer) an, um dort auf die Ringstraße 1, den Hringvegur (Þjóðvegur), zu stoßen. Wollte man nur ihr folgen, schlösse sich nach rund 1300 Kilometern der Kreis. „Wir hier in Seyðisfjörður profitieren nur bedingt von dem Wohnmobiltreiben“, wird mir an der Rezeption des akzeptablen Campingplatzes berichtet. „Gut, die Nächte von Mittwoch auf Donnerstag sind in der Hochsaison gut besucht, bis zur völligen Auslastung. Ansonsten bleibt es aber eher ruhig, keine Stellplatzprobleme. Unsere Drei-bis-vier-Wochengäste wollen möglichst die gesamte Insel umrunden. Dabei steuern sie überwiegend die am stärksten beworbenen Sehenswürdigkeiten an. Warum konzentrieren sie sich nicht nur auf bestimmte Regionen für einen intensiveren Einblick?“ Sind wir nunmehr gut eingestimmt auf unsere Rundtour?

Einen intensiveren Einblick von Island wollen wir gewinnen und beginnen dabei gleich im Hafenort selbst. Den gesamten Ankunftstag inklusive Übernachtung lasse ich mir Zeit. Zu Fuß wandere ich am Südufer des Fjords entlang, durch das winzige Zentrum des Künstlerdorfes. Achten Sie nicht nur auf die historischen Fassaden der Holzhäuser, sondern auf die künstlerisch gestalteten Hauswände! Die „bunte Straße“ Richtung Kirche zeigt Farbenvielfalt.

Die „Blaue Kirche“ gilt als eine der schönsten in Ostisland. Ihre wahre Pracht entfaltet sich besonders im Innenraum. Wenn Sie Glück haben, können Sie hier auch an einem der Sommerkonzerte Ostislands teilnehmen.

Die innerörtliche Uferstraße entlang geht es weiter Richtung Technikmuseum. Eifrig wurde gesammelt, sodass sich eine Ausstellung wie aus vergangener Zeit herausgebildet hat, zum Beispiel die originale Telefonvermittlung von 1906, das erste Telefon auf der Insel, aber auch eine originale Heidelberger Druckmaschine.

Von der Technik zur Kunst führt mich eben diese Straße weiter bis zu einem (ausgeschilderten) Kunstwerk, Tvísöngur. Etwa 20 Minuten darf ich zunächst den Berghang hinauf klettern, genieße dabei Ausblicke auf Fjord und Dorf und stehe dann vor Betonhütten, die Bienenkörben ähneln. So auch der Titel der Statue des deutschen Künstlers Lucas Kühne. „Singender Beton“ nennt er sie als Visualisierung der Fünf-Ton-Harmonie isländischer traditioneller Musik. In ihrem Inneren sind bei Wind in der Tat fünf verschiedene Töne vernehmbar. Der auf das Dach prasselnde Regen gibt die Percussionsuntermalung dazu.

Über den zu erblickenden Wasserfall am Wegesrand berichte ich in einem gesonderten Absatz. Der „Umschalttag“ lohnt sich. So eingestimmt, verlasse ich Seyðisfjörður, fahre der „Touristenkarawane“ in gehörigem Abstand gemütlich und genüsslich hinterher.

Ich möchte den Hafenort jedoch nicht verlassen, ohne der Leserschaft eine Begebenheit aus der Dorfchronik zu präsentieren:

Dísa þórdis þórgeirsdóttir und ihr Bruder Bjarna

Dísa war eine junge Frau aus der Gegend, die sich im November 1797 zusammen mit ihrem Bruder Bjarna zu Fuß nach Seyðisfjörður aufmachte. Um die kürzeste Route zu wandern, begaben sich die beiden von dem Hof ihrer Eltern ins Gebirge. Also mussten sie das Moor Vestdalsheiði durchqueren. Das Wetter wechselte urplötzlich; kurz darauf befanden sie sich im Zentrum eines Schneesturms. Aus Erschöpfung brach die junge Frau schließlich in einer Gegend in der Nähe des heutigen Gufufoss zusammen. Schnell baute der Bruder für sie eine kleine Schutzunterkunft aus Schnee. Danach machte er sich auf, um im Dorf Hilfe zu holen. Seine Schwester blieb zurück in der provisorischen Schneeunterkunft, zusammen mit ihrem gesamten Gepäck. Dieses enthielt, neben vielen anderen Dingen, auch einen großen Krug mit Branntwein […]

Das Ende der Geschichte wird bei der Rückkehr nach Seyðisfjörður im letzten Islandkapitel verraten.

Die Straße Nr. 93 nach Egilsstaðir schraubt sich schnell auf 600 Meter Höhe. Karstige Mondlandschaft löst grüne Berghänge ab. Von den insgesamt zehn um Seyðisfjörður herum gurgelnden Wasserfällen erblicke ich von der Straße aus die Wasserfälle Gufu-foss und Fardagafoss. Kurz darauf, bereits vom letzten Straßenpass aus, werden tief unten im Tal der See Lagarfljót mitsamt dem Städtchen Egilsstaðir sichtbar.

Welch ein buntes Treiben herrscht hier! Mit seinen zahlreichen Supermärkten, Tankstellen, Hotels und der Touristeninformation gilt der Ort als das zentrale Versorgungszentrum der Region. An den meisten gerade angereisten Wohnmobilisten können die Tankstellen allerdings nicht viel verdienen. Denn Sparfüchse haben auf den Färöer-Inseln noch einmal preiswert den Tank aufgefüllt. Auf der Rückfahrt lässt es sich dann vielleicht ja auch wieder so einteilen, dass man noch auf die Fähre rollt und in Hirtshals tankt.

Nicht nur der Kommerz sollte in Egilsstaðir auf dem Programm stehen. Denn zum einen lohnt der Weg zur modernen Kirche von 1974. Sie befindet sich unübersehbar auf dem Hügel Gálgaklettur, der letzten öffentlichen Hinrichtungsstätte Ostislands. Belegt ist folgende Begebenheit: Um 1770 ereignete sich ein Raubmord an einem Angestellten. Ein Farmer aus der Nachbarschaft wurde wegen dieses Verbrechens vor Gericht gestellt, für schuldig befunden und eben hier hingerichtet. 19 Jahre später jedoch erwies sich seine Unschuld. Der eigentliche Mörder konnte ausfindig gemacht, abgeurteilt und kurzerhand gleichfalls auf dem Gálgaklettur exekutiert werden.

Zum Kennenlernen ostisländischen Lebens, seiner Geschichte und Kultur (Mitte 19. Jahrhundert) begebe ich mich ins Ostisländische Museum. Das ist gut investierte Zeit, finde ich, klein aber fein, optisch ansprechend, informativ. Eine Sonderabteilung berichtet dokumentarisch in Wort und Bild über den eher gescheiterten Versuch, im 18. Jahrhundert Rentiere aus Norwegen in Island anzusiedeln. Mit etwas Glück findet man in Ostisland heute noch Einzeltiere in freier Wildbahn. Die Hinweisschilder sind nicht zu übersehen.

Egilsstaðir bietet sich obendrein als Ausgangsort für eine Erkundung des malerischen Sees Lagarfljót an. Ähnlich wie im schottischen Loch Ness soll in ihm gleichermaßen ein Seeungeheuer leben, der Lagarfljótwurm. Also Augen auf bei Fahrt oder Wanderung am bzw. um den See, dessen Zufluss Jökulsá heißt. Kaum die Brücke überquert (Straße Nr. 931, Südostufer) fangen die Wanderschuhe an, unruhig zu werden. Denn die Wanderung zum Hengifoss gehört sicherlich zu einem der Topziele in Ostisland.

Drei Wasserfallwanderungen

Dass Island ein Paradies für Wanderer darstellt, bleibt kein Geheimnis. Viel spricht man von den „Wanderperlen“ der Insel. Drei kleinere davon präsentiere ich der Leserschaft in diesem kleinen Exkurs:

Beginnen möchte ich mit dem Búdarárfoss in Seyðisfjörður. Zu sehen ist er quasi von jedem Standort im Dorf aus. Auf dem Weg zum bereits erwähnten Technikmuseum bzw. zum Kunstwerk Tvísöngur biegt ein ausgeschilderter Wanderweg ab. Weit ist es nicht bis zum Wasserfall. Eine knappe halbe Stunde bergan auf schmalem Pfad, schon stehe ich vor ihm. Auch ohne besondere Höhe oder Wasserdurchfluss bietet er doch einen wunderbaren Anblick, einem Brautschleier gleich.

Einen ausgedehnteren Anmarschweg von rund 1,5 Kilometern und mehr Fallhöhe zeigt dann bereits der Fardagafoss. Ich finde ihn auf dem Weg von Seyðisfjörður nach Egilsstaðir an der Straße Nr. 93, ca. vier Kilometer vor der Ortseinfahrt. Investieren Sie gern zwei Stunden, um diese Naturschönheit in Ruhe genießen zu können. Unterwegs gibt es einige Aussichtspunkte an dem teils steil ansteigenden Wanderpfad, zum Beispiel auf und in eine Schlucht mit Basaltsäulen. Auch die Aussichtsstelle mit einem Gesamtblick auf den Wasserfall ist eine kurze Ruhepause wert. Für den finalen Aufstieg bis in unmittelbare Nähe des Wasserfalls benutze ich noch einen mit Ketten gesicherten Steig.

Zu guter Letzt wartet der Hengifoss auf seine Erwanderung. Er gilt als der bezauberndste Wasserfall der Gegend. Weithin von der Uferstraße entlang des Lagarfljót sichtbar (Parkplatz gleich hinter der Brücke), findet man Wanderers Einsamkeit meist nur in den frühen Morgenstunden. 128,5 Meter Fallhöhe werden angezeigt. Damit ist er einer der höchsten Islands. Um zu ihm zu gelangen (und wieder zurück), plane man ebenfalls zwei Stunden ein. Auch hier bieten unterwegs Aussichtspunkte immer wieder faszinierende Ein- und Ausblicke. Schwindlig könnte einem werden nach knapp der Hälfte der Wegstrecke bei dem Blick in einen tiefen Basaltgraben. Die Wassermassen am Fuße des Hengifoss stürzen in die wunderschöne Schlucht, deren Gesteinsschichten im Kessel durch ihre schmalen leuchtend roten Tonstreifen schon etwas Besonderes reflektieren. Sollte nach einer regenarmen Zeitspanne einmal wenig Wasser hernieder prasseln, so kann man den Wasserfall umgehen und einen Blick in die dahinter liegende Grotte werfen. Auf dieser Tour habe ich diese Gelegenheit nicht, hatte sie aber auf früheren.

Weiter zieht sich das Teerband der Seeuferstraße (Nr. 934) jetzt auf der nordwestlichen Seeseite entlang. Zwei Hinweisschilder machen aufmerksam: Skriduklaustur bzw. Wilderness Center Óbyggðasetur.

Einem der größten einheimischen Schriftsteller, Gunnar Gunnarsson (1889 bis 1975) hat man in Ersterem, dem Gunnarhús, ein Denkmal gesetzt und ein Museum gewidmet. Hier hat er teilweise gelebt, bevor er nach Reykjavík umsiedelte. Voller Stolz weist die Museumsleiterin darauf hin, dass seine Werke in 20 Sprachen übersetzt wurden. Sind nicht nur das Haus selbst und die Ausstellung besuchenswert, das im Museumskaffee angebotene Mittagsbuffet (biologisch) lässt keine Wünsche offen.

Zur Verdauung schlendere ich auf dem weitläufigen Gelände noch einige hundert Meter weiter zu Ausgrabungen eines mittelalterlichen Klosters. Ganz sicher ist man sich über die Periode klösterlicher Aktivitäten nicht, bezüglich religiöser, aber auch gesundheitlicher Betreuung. Doch wird die Jahreszahl 1493 genannt.

Körperlich und mental gestärkt lege ich weitere 20 Kilometer zurück, die letzten acht davon auf Schotterstraße, und rolle auf den Parkplatz des Wilderness Center. Den Besucher erwartet neben Unterkunft und Bewirtung mit regionaler Küche ein Museum, Ausritte zu Pferd, Mountainbiking, aber auch das Abenteuer einer Überquerung des Flusses Jökulsá – nicht per Brücke, sondern in einer sogenannten Cable Box.