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winterschlaefer

Subjekt

vom Niedergang eines Menschen (Leseprobe)

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Inhaltsverzeichnis

Titel

G

Ein feiner Kerl

Der Antrag

Impressum

G

Die ersten Jahre seines Lebens verbrachte G. bei seiner Großmutter, einer zänkischen Alten, die ihn verhätschelte und verzog. Erst nach deren Tod nahm ihn die Mutter zu sich. Seinen leiblichen Vater kannte er nicht, und als die Mutter wieder heiratete, glaubte er einen neuen Papa gefunden. Doch jener Mann war brutal und cholerisch und beachtete ihn kaum. Wenn er ihn ansah, lag in seinem Blick so viel Verachtung, dass G. vor Schreck erstarrte. So kauerte er so manchen Abend zitternd unter dem Tisch und staunte mit großen angsterfüllten Augen über dessen Macht, wenn er betrunken nach Hause kam und das Geschirr zerschlug, während die Mutter weinend am Tisch saß und sich in ihr Elend ergab.

Bald kam, wie in Ehen nun mal üblich, das Brüderchen B. hinzu, was der Vater, im Gegensatz zu ihm, von Anfang an vergötterte. Zweifellos würde er ihn einst zum Vorbild erheben und sagen: „Siehe her, du Nichtsnutz, so hat ein Mann zu sein!“ Und er fürchtete diesen Tag, der ihn ganz krank machte und sein Verlangen aufstachelte, es aller Welt zu zeigen, denn er war kein Taugenichts, wie ihn der Vater immer nannte, wenn er den Gürtel abschnallte, ihn an den Haaren unter dem Tisch hervorzog und nach Strich und Faden verprügelte. Er war ein sensibler, talentierter Mensch, der sich jedoch von niemandem verstanden fühlte. Die Mutter war schwach, konnte ihm nicht beistehen, wollte sie nicht den Zerfall der Familie beschwören, und irgendwie hasste er sie dafür.

Folglich flüchtete er sich in eine Traumwelt, worin er sich als großherzigen und vor allem künstlerisch veranlagten Menschen sah, dessen Berufung darin bestand, anderen von dieser Berufung zu künden. Dieser Gedanke kam nicht von ungefähr. So hatte er irgendwann Klavierspielen gelernt und konnte sogar Partituren lesen. Zweifellos besaß er Talent, und wäre ihm ein Flügel vergönnt gewesen, woran er hätte üben können, er hätte es womöglich weit gebracht. Doch die Familie war arm, und so blieben ihm nur die wenigen Momente im städtischen Jugendverein, wo er hin und wieder üben durfte, wenn der Platz nicht gerade besetzt war. Und als man ihn deswegen einmal lobte, war er sich seiner Berufung sicher.

Seither träumte er von der großen Karriere, die ihm bald so gewiss erschien, dass er bereits Überlegungen anstellte, wie er sein Leben danach gestalten würde. Natürlich verschlimmerte das seinen Schmerz, weil dieses Ziel noch in weiter Ferne lag und ihm niemand zuhörte. Allein in dem Brüderchen, das freilich noch viel zu klein war, das alles zu verstehen, fand er bald sein Publikum. Und wenn es mit großen Augen seinem Reden lauschte, beruhigte sich sein ausgewühltes Wesen, und er konnte endlich sein, was er in Gedanken schon längst war. Oftmals saßen sie so im Flur unter der Treppe, seinem Lieblingsplatz, wo er dem Kleinen in leuchtenden Farben die ganze Tiefe seiner Träume offenbarte. Darin vertiefte er sich so sehr, dass er so manches Mal, von den eigenen Worten verzückt, mit verklärtem Blick innehielt und dem Tiefsinn der eigenen Visionen erlag. Dann schwieg er minutenlang und hob erst wieder die Augen, wenn er die Kraft zum fortzufahren fand.

Einmal sagte er zu ihm, er wolle ihm etwas Schönes zeigen. Darüber müsse er aber schweigen, denn es handele sich um ein großes Geheimnis, wovon noch niemand erfahren dürfe. Nachdem es der Kleine versprochen, sah er ihn bedeutsam an, als wolle er in dessen Augen das ganze Vergnügen lesen, dass er seiner Meinung nach empfinden musste. Dann holte unter seiner Matratze eine Schachtel hervor. Daraus entnahm er einen geheimnisvollen, länglichen Gegenstand, der in einem Tuch eingewickelt war. Mit ehrfürchtiger Miene erklärte er, das sei ein Taktstock – damit dirigiere man ein Orchester. Und dann offenbarte er mit leiser aber feierlichen Stimme, dass er nicht nur Pianist, sondern in Wahrheit ein großer Virtuose sei, der nicht nur Stücke spielen, sondern auch selber schreiben können. Nur dürfe das niemand wissen, damit er dann, wenn es so weit wäre, alle mit der nötigen Wucht überrollen könne. Während er das sagte, kullerten ihm dicke Tränen über die Wangen und er drückte den Kleinen fest an sich mit dem Versprechen, ihn nicht zu vergessen, wenn er erst ein Großer wäre. Diejenigen aber, die ihm böse waren, würde er dann gnadenlos strafen. Doch bis dahin - er legte den Finger an die Lippen -, solle er Stillschweigen wahren. Der Kleine versprach es.

So entstand zwischen beiden ein bizarres Verhältnis, dessen Spannbreite von inniger Liebe bis zu abgrundtiefem Hass reichte – Liebe, wenn er den kleinen B. begeistern konnte und dessen Bewunderung genoss, - Hass, wenn ihn der Vater in den Himmel hob. Einmal hatte sich G. bemüht, die Eltern zu einer Vorstellung ins Jugendzentrum zu locken. Alles war arrangiert, eigens dafür ein neues Stück einstudiert, und nun freute er sich auf die Vorstellung, wobei er sein ganzes Können aufbieten wollte. Endlich würde er den Vater überzeugen können. Doch der hatte nur gelästert: „Was soll das denn? Lerne lieber etwas Ordentliches, damit du uns nicht mehr länger auf der Tasche liegst!“ und war gar nicht erst erschienen. So musste er vor fremden Leuten spielen, die teilnahmslos blieben und kaum applaudierten. Wie groß seine Enttäuschung, dass er danach verbittert rausrannte und in kalter Einsamkeit in den nächtlichen Himmel starrte. Unter heißen Tränen schwor er sich, nie wieder eine Taste anzurühren, eher wolle er sterben.

Er weinte überhaupt sehr viel, war oftmals untröstlich und mochte es sehr, bedauert zu werden, obgleich er dann nur noch mehr verstockte. Das musste auch sein Freund F. erfahren. Nachdem sie sich nach längerer Zeit zufällig auf der Straße trafen, bemerkte er sofort, dass mit G. etwas nicht stimmte. Und als er ihn darauf ansprach, wich G. betreten aus. Störte ihn doch längst, dass F. als Trompeter im hiesigen Orchester engagiert und somit, im Gegensatz zu ihm, eine feste Anstellung gefunden hatte. Folglich stammelte er etwas Zusammenhangloses, was sein Gegenüber kaum verstand, jedoch mit seinem Feingefühl die typische, von maßlosem Stolz überlagerte Hilflosigkeit des alten Freundes schnell erriet. Zwar versuchte G. mit einem gewissen flotten Gehabe darüber hinwegzutäuschen, errötete aber und wagte ihm nicht mehr in die Augen zu sehen, was des anderen Mitleid nur noch verstärkte. Der versprach, ein gutes Wort für ihn einzulegen, wenn er es nur ernsthaft wolle. G.s Gesicht veränderte sich zunächst vor lauter Rührung, was daran zu erkennen war, dass wieder Farbe in seine grämliche Miene kam. Doch dann brach wieder sein alter Hochmut hindurch, und – schnell, wie immer in seinen Übergängen von tiefster Mutlosigkeit bis hin zu größtem Hochmut und frechster Anmaßung - erklärte er selbstbewusst, er möge sich nicht weiter um ihn sorgen, man würde schon noch von ihm hören, wenn die Zeit gekommen wäre. Da F. ihn aber kannte und um seine ’komische Art‘ wusste, sah er es ihm nach und bemühte sich um eine Anstellung. Er sprach sogar beim Direktor persönlich vor und bürgte mit seinem Namen.

So bekam G. tatsächlich eine Chance. Zwei oder dreimal erschien er zum Vorspielen, vermochte aber nicht zu überzeugen. Das kränkte ihn schwer. Später behauptete er, er habe keinen guten Tag gehabt; zudem sei er fortwährend wegen Nichtigkeiten kritisiert worden. Das alles habe ihn derart irritiert, dass er sich nicht mehr konzentrieren konnte. Und plötzlich habe er auch kein Interesse mehr verspürt, irgendjemand von irgendetwas zu überzeugen, zumal man die wahre Kunst hier ohnehin nicht zu schätzen wisse. Und da ein Mensch wie er sich nicht mit Halbheiten begnüge, käme ein Engagement für ihn hier ohnehin nicht in Frage. Das alles sagte er seinem Freund F. freilich nicht offen ins Gesicht, sondern vertraute es anderen Leuten an, um von ihnen bedauert zu werden. F. hingegen ließ er fortan seinen ganzen Hass spüren, indem er ihn offen zu verhöhnen begann.

Es endete damit, dass er sich mit ihm zerstritt. Er erfand irgendeine Geschichte, womit er F. verleumdete und sein Handeln vor aller Welt rechtfertigen konnte. Die Folge war, dass er sich damit begnügte, alle Künstler fortan zu diffamieren. So machte er bald bei jeder Gelegenheit, vornehmlich bei seinen häufigen Kneipenbesuchen, lauthals seinen Unmut über deren ’flaches Vermögen’ Luft. Sie (die Künstler) legten seiner Meinung nach nicht ihre Seele in die Musik, sondern äfften nur nach, was andere vorgäben. Ein wahrer Virtuose hingegen, so dozierte er, müsse Eigenes bewahren und es mit dem Vorgegebenen zu einer Synthese des Neuen und vor allem Wahrhaftigen verbinden; nur so könne man den Gipfel der Kunst erreichen, wo sich die Spreu vom Weizen trenne. Sein Reden untermischte er dann oft mit beißendem Spott, was durchaus Beifall fand. Dennoch bemerkte er in seinem Eifer nicht das stille Lächeln ringsumher und die höchst ausdrucksvollen Mienen, mit denen man sein Reden zuweilen kommentierte. Manche machten sich sogar den Spaß und begannen von irgendwelchen Virtuosen zu reden, die angeblich bald in die Stadt kämen, um ein Konzert zu geben. Sie kannten seinen Größenwahn wollten ihn nur herauslocken. Und in der Tat, sobald G. davon hörte, wurde er ganz still und erkundigte sich nach dem Namen des Künstlers, von dem er natürlich noch niemals etwas gehört hatte. Als man die Sache dann auflöste, lachte die ganze Kneipe.

 

So dümpelte er in den nächsten Jahren dahin, ohne etwas zu Wege zu bringen, immer in der Erwartung auf seine große Stunde.

Da begegnet er K -a., einem lieben Mädel mit großen blauen Augen und einem süßen Grübchen im Kinn, das um seine Trauer im Herzen wusste. Sie war zwar nicht sonderlich gebildet, dafür aber umso empfänglich für seine Träume und teilte diese ebenso wie zuvor das Brüderchen B.. Und wenn sie ihn auch nicht immer verstand, glaubte sie doch irgendwo an ihn, was er bald als einen neuerlichen Beweis für seine Berufung ansah. Also heirateten sie. Doch ihre Ehe lief nicht gut, denn während sie sich abplagte, um die Familie durchzubringen, war es ihm nicht zuzumuten, produktiv zu arbeiten. Seine Talente könnten verkümmern, wenn es nicht gepflegt würde, sagte er stets, sobald die Rede auf dieses Thema kam, allein dafür müsse er seine Kräfte aufsparen. Das verstand sie auch und verteidigte ihn gegen alle Angriffe ihrer Familie, die ihn wiederholt als ’Taugenichts’ und ’verkommenes Subjekt’ bezeichneten, nur weil man ihm jedes Verständnis verweigerte. Zwar brach K-a. mit ihren Eltern und hielt fortan zu ihrem Mann, blieb aber darüber im Zweifel, was ihre oftmals geröteten Augen verrieten. Und während sie sich mühte, das Nötigste zum Erhalt der Familie herbeizuschaffen, sah man ihn am Tage oft durch die Stadt schlendern und vor den Aushängen stehen, wo er sich Notizen machte, wann, wer, wo welcher Künstler demnächst auftreten würde. Zuhause trug er dann seine Aufzeichnungen akribisch in einen eigens dafür angelegten Ordner ein, stellte Vergleiche und Recherchen an, dessen Sinn nur er verstand. An den Nachmittagen spazierte er durch den Park, um sich vom Rauschen der Bäume und dem Singen der Vögel inspirieren zu lassen, und wenn die Frau dann abends zerschlagen von der Arbeit heimkam, sprang er von der Couch auf, nahm ihr die schwere Tasche ab und berichtete ihr begeistert von den neuesten Ideen.