Einer von Hoods Texanern

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Einer von Hoods Texanern
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William Andrew Fletcher

Einer von Hoods Texanern

Ein Veteran der 5th Texas Infantry erinnert sich an den Amerikanischen Bürgerkrieg

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Übersetzers

Kapitel 01: Erlebnisse und Beobachtungen in den Vorkriegsjahren und dem ersten Jahr des Krieges

Kapitel 02: General Jackson fällt General McClellan in die Flanke; die Sieben-Tage-Schlacht vor Richmond, Virginia

Kapitel 03: Die Zweite Schlacht von Manassas

Kapitel 04: Die Schlacht von Fredericksburg, Virginia

Kapitel 05: Die Schlacht von Gettysburg, Pennsylvania

Kapitel 06: Die Schlacht von Chickamauga, Georgia

Kapitel 07: Gefangennahme und Flucht

Kapitel 08: Kapitulation und Heimkehr

Anhang

Schlacht von Gaines Mill

Zweite Schlacht von Manassas

Schlacht von Antietam

Schlacht von Gettysburg

Schlacht von Chickamauga

Gefecht nahe Lookout Creek

Das Ende der Texas Brigade

Impressum neobooks

Vorwort des Übersetzers

"Vorwärts nur die Männer streben,

Ihr Rebellenschrei erschallt,

Der Gefahr geht es entgegen,

Manch einer wird fallen bald.

Doch in Treue sondergleichen,

Ruft ein jeder Mann im Chor:

'Siegen, sterben – niemals weichen!

Angriff! Hoods Brigade vor!'"

Val C. Giles, Kompanie B, 4th Texas Infantry, Texas Brigade

Als sich im April 1861 die Neuigkeit vom Ausbruch des Bürgerkrieges wie ein Lauffeuer durch die Südstaaten ausbreitet, fühlen sich selbst in den entlegenen Winkeln der jungen Nation, weit abseits der Schaltstellen der Macht an der Ostküste, die jungen Männer in der Pflicht, "ihren Teil beizutragen" und schwärmen mit glühendem Eifer in die Rekrutierungsbüros. Einer von ihnen ist der 22-jährige Texaner William A. Fletcher, ein einfacher Bursche vom Lande aus bescheidenen Verhältnissen, der vom Eifer jener turbulenten Zeit mitgerissen wird und sich aus aufrichtiger Überzeugung zu den Fahnen meldet. Während der Großteil der westlich des Mississippi River aufgestellten Einheiten auf dem westlichen Kriegsschauplatz verbleibt, ist Fletchers Kompanie eine der wenigen, die nach Osten verlegt werden, dort zur "Texas Brigade" zusammengelegt werden und sich unter ihrem aggressiven Kommandeur John Bell Hood schon bald als eine der verlässlichsten und kampfstärksten Infanteriebrigaden in General Robert E. Lees Army of Northern Virginia erweisen. Bill Fletcher, Soldat in Kompanie F der 5th Texas Infantry, ist ein Musterbeispiel jenes Menschenschlages, welcher der Brigade ihre hohe Kampfkraft verleiht. Er ist ein erfahrener Waldläufer, der die Kniffe des Überlebens in der Natur von texanischen Trappern und Indianern erlernt hat und zudem ein geübter Schütze. Stolz, freiheitsliebend und in hohem Maße auf seine Unabhängigkeit bedacht, gehorcht er Autoritäten, solange er deren Sinn erkennen kann und vertraut ansonsten auf seinen gesunden Menschenverstand. Obwohl es ihm an Einsatzbereitschaft und persönlicher Tapferkeit nicht mangelt, bringt der Krieg ihn bald an die Grenzen seiner physischen und psychischen Leistungsfähigkeit und darüber hinaus. Als sein Regiment in der Schlacht von Gettysburg wiederholt gegen die starken Unionsstellungen auf dem Little Round Top angeworfen wird, befürchtet er, sich als Feigling zu erweisen und seine Furcht erfüllt ihn mit Scham. Auch körperlich fordert der Krieg seinen Tribut und nach zwei schweren Verwundungen ist Fletcher nicht mehr zum Dienst als Infanterist fähig. Er lässt sich zu Terry's Texas Tangers, der 8th Texas Cavalry, versetzen und stellt sich fortan General Shermans Unionsarmee in Georgia entgegen, bis er in Gefangenschaft gerät. Nach seiner tollkühnen Flucht erlebt er das Ende des Krieges in North Carolina. Er ist zu jener Zeit körperlich gezeichnet und nervlich zerrüttet und während er versucht, das Trauma der Niederlage zu verwinden, wird ihm bewusst, wie seine Erfahrungen der vergangenen vier Jahre ihn persönlich verändert und seine Aussichten auf das Leben und die Menschen geprägt haben.

Fletcher ist ein talentierter, bodenständiger Erzähler, der mit Sprachwitz und großer Anschaulichkeit ein ebenso ungeschöntes wie lebendiges Bild seiner umfassenden Kriegserlebnisse zeichnet. Seine Erinnerungen gelten zu Recht als Klassiker der Bürgerkriegsliteratur und der Historiker Shelby Foote nannte sie "den besten mir bekannten Augenzeugenbericht" eines konföderierten Soldaten.

Florian Dexheimer

Kapitel 01: Erlebnisse und Beobachtungen in den Vorkriegsjahren und dem ersten Jahr des Krieges

Ich schreibe diese Zeilen aus dem Gedächtnis, da ich damals kein Tagebuch führte. Aus diesem Grunde werde ich mit der Nennung von Namen und Daten vorsichtig sein, sofern ich nicht absolut von ihrer Richtigkeit überzeugt bin.

Ich wurde im Jahre 1839 im Bezirk St. Landry Parish in Louisiana geboren. Im Alter von etwa 14 Jahren wurde mir aus den Gesprächen der Erwachsenen erstmals bewusst, dass im Norden und Süden unserer Nation unterschiedliche Ansichten zur Institution der Sklaverei herrschten. Mein Vater war ein aufmerksamer Zeitungsleser und verfolgte die Fragen, welche die Nation bewegten, mit großem Interesse. In seinen jüngeren Jahren war er ein Sklavenaufseher in Texas und später in Louisiana gewesen und so kannte er sowohl die vorteilhaften als auch die unmenschlichen Seiten der Sklaverei aus eigener Erfahrung. In Texas hatte er die Aufsicht über 15 "lebhafte Schäfchen" (wie er sie nannte) geführt, die frisch aus ihrem Geburtsland eingetroffen waren und die er während General Santa Annas Invasion von Texas vom Brazos River aus nach Louisiana brachte. [Anm. d. Übers.: Obgleich der internationale Sklavenhandel in den Vereinigten Staaten seit 1808 verboten war, wurden besonders in den Wirren der Texanischen Revolution (1835-1836) zahlreiche Sklaven über Kuba nach Texas geschmuggelt und von dort aus weiterverkauft.] Mein Vater war durch seine Arbeit zu der Überzeugung gelangt, dass die durch unmenschliche Sklavenhalter verübten Grausamkeiten dermaßen gravierend waren, dass eine aufgeklärte und humane Gesellschaft zweifellos früher oder später auf die eine oder andere Weise das Ende dieser Institution herbeiführen würde. Er befürchtete, dass dies durch einen Krieg geschehen könne, da sowohl im Norden als auch im Süden die Aufwiegler das lauteste Wort zu führen schienen und die gemäßigten Staatsmänner offensichtlich in der Minderheit waren. Sollten die Dinge nicht schon bald einen anderen Verlauf nehmen, so war damit zu rechnen, dass unweigerlich der Boden zahlloser Schlachtfelder das Blut der jungen Männer trinken würde.

Die Überzeugung meines Vaters war bereits damals unpopulär und wurde im Laufe der Jahre bei der Bevölkerung nur noch unbeliebter, sodass er sie schließlich nur noch gegenüber seinen engsten Freunden äußerte, für die der freie und ungehemmte Meinungsaustausch selbst bei kontroversen Themen eine Selbstverständlichkeit darstellte. Die hitzköpfigen Politiker und Prediger schienen die öffentliche Meinung nach Belieben formen zu können, ohne sich dabei um das Wohl der Nation zu scheren. In Nord wie Süd verwies man auf die Bibel und die Verfassung, um die Richtigkeit und Gerechtigkeit des eigenen Standpunktes zu beweisen. Die Prediger sahen Gott auf ihrer Seite und hatten entsprechende Bibelpassagen parat, während die Politiker die Verfassung zitierten und überzeugt waren, "Gott und sämtliche zivilisierten Nationen" auf ihrer Seite zu haben. Unter dieser kompromisslosen Rhetorik wuchs eine Generation von kämpferischen, selbstsicheren Männern heran und so musste schließlich Blut fließen. Blut erschien ihnen als die einzige Lösung und es wurde wahrlich genug davon vergossen.

Mein Vater hielt unseren überwiegend von Negern besiedelten Distrikt für einen denkbar schlechten Wohnort während des Krieges, von dessen baldigem Ausbruch er so fest überzeugt war, und so verkaufte er Haus und Hof und wir zogen nach Texas, wo wir uns im Juni 1856 bei Wiess Bluff in Jasper County niederließen. Dort machte mein Vater die Bekanntschaft von Simon Wiess, einem belesenen und intelligenten alten Herrn, der die Ansichten und Befürchtungen meines Vaters teilte, sich dem drohenden Unglück jedoch auf andere Weise zu entziehen trachtete. Ich hörte ihn meinem Vater gegenüber anmerken, dass er versuchen wollte, seinen Besitz ohne allzu großen Verlust zu verkaufen und in die Republik Mexiko zu ziehen, um seine Söhne vor dem Heeresdienst zu bewahren. Während wir bei Wiess Bluff lebten, hörte ich außer Vater und Wiess niemanden jemals von einem Krieg sprechen.

 

Im Jahr 1859 zogen wir nach Beaumont, Texas und dort gab es nur wenige hitzköpfige Kriegstreiber, allerdings waren die wenigen, die ihre Stimme erhoben, über alle Maßen radikalisiert. Man hörte Behauptungen wie: "Ich kann jederzeit meine wenigen Neger bewaffnen und selbst die können eine ganze Kompanie Yankees in den Norden zurückjagen" oder: "Ein einziger Südstaatler kann mit seiner überlegenen Schießkunst all die verdammten Blaubäuche niederschießen, sobald sie in Sichtweite kommen." Tatsächlich hörte ich vor dem Krieg und auch noch in den ersten Kriegsmonaten die häufig geäußerte Meinung, dass der Krieg lediglich ein kurzes Abenteuer sein würde und nur die allerersten Freiwilligen Gelegenheit haben würden, an dem Spaß teilzuhaben. All diese Parolen überwältigten mühelos mein bisschen gesunden Menschenverstand und so glaubte ich den Politikern das meiste und den Predigern alles, da diese ja auf die Heilige Schrift verwiesen. Jenen Ansichten, wie sie mein Vater vertrat, begegneten wir jungen Männer damals so, wie die Jugend stets den Meinungen des Alters begegnet: Sie mochten durchaus ihre Berechtigung haben, erschienen uns jedoch schlicht nicht zeitgemäß.

Ich saß gerade auf dem Dach eines zweistöckigen Hauses und verlegte die letzten Schindeln, als Kapitän William Rogers angelaufen kam und die Kapitulation von Fort Sumter sowie die folgende Kriegserklärung verkündete. Die Neuigkeit hatte ihn durch einen Flussdampfer erreicht, der gerade aus Sabine Pass eingetroffen war. Ich machte mir Sorgen, mich womöglich nicht mehr rechtzeitig zu den Soldaten melden zu können, da ich ja noch mein Dach fertigdecken musste und so arbeitete ich hastig weiter und löcherte dabei Kapitän Rogers mit Fragen. Sobald die Arbeit vollbracht war, erklärte ich Rogers, dass ich am nächsten Tag die Eisenbahn nach Houston, und falls notwendig gar nach Galveston, nehmen wolle, um mich auf irgendeinem Wege bei einem Regiment zu verpflichten. Rogers erklärte sich bereit, die Hälfte meiner Fahrtkosten zu zahlen. Am folgenden Tag sicherte ich mir also einen Platz in einem Güterwaggon und traf einige Stunden später in Liberty ein, wo ich auf eine Handhebeldraisine umstieg und mir die Seele aus dem Leib pumpte, bis ich Houston erreichte. Ich traf gegen Einbruch der Nacht dort ein und begann sogleich, mich nach den örtlichen Rekrutierungsbüros zu erkundigen. Es stellte sich heraus, dass noch keine organisierte Anwerbung von Freiwilligen stattfand, aber mit dem baldigen Beginn derartiger Bemühungen zu rechnen war. Man gab mir zu verstehen, dass ich mir keine Hoffnungen auf Erfolg zu machen bräuchte, da sämtliche jungen Burschen der Stadt bereits begierig seien, sich bei der ersten Gelegenheit zu den Fahnen zu melden. Ich begab mich also am nächsten Tag nach Galveston, doch dort erging es mir nicht anders als in Houston und so nahm ich das erste Dampfschiff zurück nach Liberty. Hier kam mir zu Ohren, dass ein Mann namens Bryan im Begriffe war, eine Kompanie Soldaten aufzustellen und so lief ich unverzüglich zu seinem abseits des Ortes gelegenen Haus. Er teilte mir mit, dass er die örtlichen Jungs bevorzugte und hoffte, genug von ihnen zusammenzubekommen, doch ich wollte mich mit dieser Absage nicht zufriedengeben und konnte ihn schließlich überzeugen, Rogers und mich in die Stammrolle seiner Kompanie aufzunehmen. Ich kehrte für einige Tage nach Hause zurück, bevor ich nach Lynchburg ging, wo ich vereidigt wurde. Hier verbrachten wir einige weitere Tage, bis wir nach Richmond, Virginia geschickt wurden. Rogers hatte eine Stellung auf einem Dampfschiff angenommen und war deshalb nicht gemeinsam mit mir vereidigt worden. Auf unserem Weg nach Richmond kamen wir durch Beaumont, wo sich weitere Rekruten der Kompanie anschlossen und auch während wir Louisiana durchquerten, stießen einige Männer zu uns.

Die Abschiedsworte meines Vaters lauteten: "William, ich habe diese Tragödie schon seit Jahren kommen gesehen und die Entwicklung der Dinge ist zweifellos reiner Wahnsinn, da der Süden nicht die geringste Aussicht hat, diesen Krieg zu gewinnen. Der Norden wird unsere Seehäfen blockieren und nicht nur über eine Übermacht an Menschen und Material verfügen, sondern sich zudem noch aus dem unbeschränkten Handel mit der gesamten Welt verstärken. Wenn du lebendig aus dem Krieg zurückkehrst, wirst du wissen, dass meine Vorhersagen eingetroffen sind. Ich bin stets ein entschiedener Gegner dieses Krieges gewesen, aber nun, da er ausgebrochen ist, möchte ich dir sagen, dass du mit der Verteidigung deiner Heimat den einzigen ehrenvollen Weg gewählt hast."

In Beaumont gingen wir an Bord eines Dampfschiffes nach Niblets Bluff, Louisiana. Nach unserer Abfahrt war Beaumont noch nicht außer Sicht, als bereits mehrere Gruppen auf dem Deck beisammensaßen und dem Glücksspiel frönten. Anscheinend hatten die Jungs diesbezüglich binnen weniger Minuten bereitwillig sämtliche Selbstbeschränkungen des Zivillebens fahren gelassen. Bald hatten wir Niblets Bluff erreicht und dort verblieben wir für einige Tage. Während unseres Aufenthalts traf ich einen alten Bekannten, der dort einen kleinen Kaufladen betrieb und mir prompt ein kleines Spielchen vorschlug. Ich zeigte mich einverstanden und da er gerade keine Kundschaft zu bedienen hatte, setzten wir uns rittlings auf die Ladentheke und spielten zwei oder drei Stunden lang Karten mit fünf Cents Einsatz je Partie. Am Ende betrug sein Gewinn fünf Cents. Abschließend schlug er mir eine Runde "Seven Up" vor; der Sieger von zwei aus drei Partien sollte eine Flasche Zitronensirup und Zucker im Wert von 40 Cents gewinnen. Ich war einverstanden und konnte die Runde für mich entscheiden. Nun schloss er seinen Laden und wir liefen zu einer nahegelegenen Quelle, wo wir uns gründlich an frisch zubereiteter Limonade satt tranken. Es war dies das erste und letzte Mal, dass ich um Geld Karten spielte.

Schließlich verließen wir Niblets Bluff und nach einer Boots- und Eisenbahnfahrt sowie einem Fußmarsch erreichten wir New Orleans. Dort wurden wir in einer Baumwolllagerhalle einquartiert und uns selbst überlassen. In der ersten Nacht gingen einige der Jungs in die Stadt und am nächsten Tag erzählten sie uns von der vergnüglichen Zeit, die sie dort gehabt hatten. In der folgenden Nacht wollten sich also noch viel mehr Burschen die Annehmlichkeiten von New Orleans ansehen und sie mussten mich nicht lange beschwatzen, ehe ich mich bereiterklärte, sie zu begleiten. Ich schloss mich einem Grüppchen von drei weiteren Jungs an und wir nahmen eine Kutsche, um einen Teil der Nacht in der Stadt zu verbringen. Ich hatte zwanzig Dollars in Gold bei mir, welche eigentlich als Notgroschen dienen sollten und die Mehrzahl der Jungs verfügte über ähnliche Ersparnisse, aber es stellte sich heraus, dass meine Begleiter sämtlich pleite waren und so musste ich den Kutscher bezahlen. Jedes Etablissement, das wir betraten, warb mit "freiem Eintritt", doch bevor wir es verließen, war stets eine Rechnung aufgelaufen, die ich zu begleichen hatte. Auf diese Weise war ich bald ebenso abgebrannt wie meine Kameraden und so nahmen wir nach einer "schönen Zeit" eine Kutsche zurück zu unserem Quartier. Als der Kutscher dort sein Geld forderte, stülpten wir unsere leeren Hosentaschen nach außen und gestanden ihm unseren Bankrott. Ich hege den leisen Verdacht, dass die heutzutage unter Kutschern verbreitete Sitte, ihr Geld vor Fahrtbeginn zu verlangen, womöglich auf unser kleines Grüppchen zurückzuführen ist.

In New Orleans bestiegen wir schließlich Bahnwaggons, die uns nach Richmond brachten, dabei aber nur langsam vorwärts kamen. Als wir uns Lynchburg, Virginia näherten, hatten wir unsere Rationen bereits aufgebraucht und wir waren furchtbar hungrig, hatten jedoch kein Geld, um uns Essen zu kaufen. In Lynchburg wurden uns einige Stunden Rast gegönnt, um frische Verpflegung zu erhalten, doch wir hatten uns kaum vor der Ausgabestelle aufgestellt, als wir ein großes Fass Zucker und eine nahegelegene Apfelplantage erspähten und als die erste Ration ausgegeben wurde, hatten wir unseren Hunger bereits überreichlich mit gesüßtem Apfelmus gestillt.

Nach unserer Ankunft in Richmond marschierten wir etwa acht Kilometer weit zu unserem Feldlager, wo wir einige Zeit verbrachten, während wir unsere ersten Drillübungen abhielten und in Regimenter, Brigaden usw. eingegliedert wurden. Meine Kompanie wurde Kompanie F der 5th Texas Infantry und unsere Brigade umfasste die 1st, 4th und 5th Texas sowie die 3rd Arkansas Infantry. In diesem Lager grassierten unter den Jungs etliche Krankheiten und am übelsten setzten uns wohl die Masern zu. Auch ich bekam die Masern und wurde nach Richmond in ein Hospital gebracht, wo ich einige Tage verbrachte. Mein Krankenbett war ich schon bald gründlich leid und so zeigte ich mich von meiner besten Seite, um mich bei der Pflegerin, welche die Aufsicht über meine Krankenstation führte, einzuschmeicheln. Ich konnte sie schließlich überreden, mir einen Entlassungsschein auszustellen und kehrte an einem kalten, frostigen Morgen in mein Lager zurück. Bereits am nächsten Tag wurde ich mehr tot als lebendig ins Hospital zurückgeschafft. Man legte mich in ein kleines Einzelzimmer, das über eine eigene Feuerstelle verfügte und wies mich strengstens an, das Bett zu hüten und stets unter meinen warmen Decken zu bleiben. Dort lag ich also einige Tage lang, glühte förmlich vor Fieber und nahm brav jede Medizin, die mir verabreicht wurde. Mir kam zu Ohren, dass unter den Patienten des Hospitals die Krätze weitverbreitet war und ich hatte kaum das Fieber überstanden, als ich bemerkte, dass auch ich unter ihr litt. Bei der nächsten Visite des Arztes holte ich meine Arme unter den Decken hervor und zeigte ihm die charakteristischen roten Quaddeln, worauf er mir versicherte, mir ein Medikament bringen zu lassen, das mich im Nu heilen würde. So lag ich also unter meinen Decken, rieb alle juckenden Stellen mit Medizin ein und spürte tatsächlich schon bald eine Besserung (oder bildete es mir zumindest ein), was ich dem Arzt mitteilte. Hierauf hielt er mir einen Vortrag darüber, wie wichtig es sei, stets unter meinen warmen Decken zu bleiben. An jenem Abend besuchte mich Jeff Chaison von Kompanie F und ich erzählte ihm, dass ich unter der Krätze litt, doch er antwortete nur: "Bill, du hast nicht die Krätze. Ich gehe jede Wette ein, dass du dir nur Läuse eingefangen hast. Die ganze Bude hier wimmelt von den Viechern." Diese Behauptung ärgerte mich und ich fragte ihn mit deutlichen Worten, wie er es wagen konnte, mich für einen dermaßen verdreckten Burschen zu halten und versicherte ihm, dass ich in meinem gesamten Leben noch keine Laus mit eigenen Augen gesehen hatte. Jeff wandte sich zum Gehen und erwiderte über die Schulter: "Keine Sorge, das wirst du schon noch. Die Biester werden so groß wie ein Weizenkorn." Er war noch nicht lange gegangen und ich war noch immer zornig, als sich beim Kratzen der juckenden Stellen etwas unter einem meiner langgewachsenen Fingernägel verfing. Ich zog meine Hand unter der Decke hervor, hielt sie ans Licht und sah tatsächlich, dass sich unter dem Fingernagel etwas regte; ich konnte deutlich die strampelnden Beinchen erkennen. Mit einem Satz war ich aus dem Bett und an der Fensterbank, wo ich die umherkrabbelnde Laus beobachtete. Das Gefühl von Scham und Ekel, das in mir aufstieg, lässt sich kaum beschreiben. Ich begutachtete gründlich meine Kleidung und Bettwäsche und fand jede Menge Läuse in verschiedensten Größen sowie hunderte von Nissen. In der Feuerstelle brannte ein Feuer und mit Hilfe des danebenstehenden Kohleeimers fachte ich die Flammen ordentlich an, hielt die gesamte Wäsche an die Hitze und röstete die meisten der Biester. Danach waren meine Kleidung und die Bettwäsche angesengt, aber die Nissen in den Säumen schienen die Hitze überstanden zu haben. In jener Nacht schlief ich nur wenig, doch zumindest ließ mich der Arzt in Frieden, da es mir (mit Ausnahme der Läuse) wieder besser ging. Am nächsten Morgen rollte ich meine verlauste Kleidung zu einem Bündel zusammen und suchte die Wäscherei des Hospitals auf. Dort schienen ausschließlich Frauen zu arbeiten, was mich in beträchtliche Verlegenheit brachte, da ich auf einen männlichen Ansprechpartner gehofft hatte und mich bereits der Gedanke, meine Kleidung einer Dame auszuhändigen, zutiefst beschämte. Ich erkannte schon bald, welcher Frau offensichtlich die Leitung der Wäscherei oblag und so ging ich zu ihr hin und erklärte ihr peinlich berührt mit gedämpfter Stimme, dass meine Kleidung verlaust sei und sie sie bitte für mich kochen solle. Sie antwortete mit laut dröhnender Stimme: "Ha, nein, mein Junge! Kochendes Wasser wird die Biester nicht töten!", woraufhin sich sämtliche Damen im näheren Umkreis nach mir umwanden und zu lachen begannen.

 

Ich machte mich schleunigst davon und meine Wangen glühten vor Scham. Hätte ich nur das nötige Geld gehabt, so wäre ich trotz der Kälte sofort in die Stadt gelaufen, hätte mir einen Satz neue Kleidung gekauft und die alte verbrannt. Es dauerte jedoch nicht lange, bis mein diesbezügliches Schamgefühl abebbte und ich akzeptierte, dass jedermann um mich herum von der gleichen Plage befallen war. Ich wurde von meinem kleinen Hinterzimmer in ein Krankenzimmer im zweiten Stockwerk verlegt. Unter dem Fenster meines Zimmers hatte ein Obsthändler seinen Marktstand auf dem Gehsteig aufgeschlagen. Wir konnten aus dem Fenster direkt auf seine prächtigen, reifen Früchte schauen und der bloße Anblick ließ einigen von uns das Wasser im Munde zusammenlaufen. Ein weiterer Bursche aus Kompanie F lag mit mir zusammen im Hospital; sein Name lautete Pemberton, aber alle nannten ihn nur "Wild Bill". Er stammte aus dem westlichen Texas, war ein aufrichtiger, freundlicher Junge und hatte jede Menge Cowboygeschichten zu erzählen, was ihm auch seinen Spitznamen eingebracht hatte. Bill schaute in meinem Zimmer vorbei und entdeckte sofort die köstlichen Früchte unter dem Fenster. Er sagte mir, der Anblick mache ihn hungrig und fragte mich, ob ich keine Lust auf das köstliche Obst verspürte. Ich antwortete: "Selbstverständlich! Ich wünschte, ich hätte ein wenig Geld oder der Bursche dort unten würde mir seine Köstlichkeiten nicht länger unter die Nase halten." Hierauf entgegnete Bill: "Wenn du mich aus deinem Zimmer heraus operieren lässt, kann ich uns entweder so viel Obst verschaffen, wie wir nur essen können oder den Kerl da unten zumindest dazu zwingen, seine Waren in Sicherheit zu bringen. Ich denke, wir wären dabei moralisch auf der sicheren Seite, denn immerhin schämt der Bursche sich nicht, zwei mittellose Jungs mit seinen köstlichen Früchten in Versuchung zu führen." Ich war einverstanden und fragte ihn, wie er die Sache zu bewerkstelligen gedachte, doch er erwiderte nur: "Warte nur ab, das wirst du morgen schon sehen." Am nächsten Tag brachte Bill einen geradegebogenen Angelhaken an einer Schnur mit, die er an ihrem unteren Ende ausreichend mit einigen kleinen Gewichten beschwert hatte, sodass die Spitze im freien Fall eine brauchbare Harpune abgab. Der Obststand unter uns grenzte direkt an die Fassade des Hospitals und der Verkäufer konnte von seinem Standort aus seine Ware fast nicht einsehen. Bill war also eine Zeit lang ein gerngesehener, täglicher Gast in meinem Zimmer und man konnte ihn jeden Tag gegen 10.00 Uhr an meinem Fenster beim "Angeln" beobachten. Dies tat er folgendermaßen: Er ließ seinen Haken aus dem Fenster hinab, bis dieser etwa einen Meter über dem Obst hing, von wo aus er sich dann im freien Fall in das Fleisch einer Frucht bohrte, die Bill nun an der Schnur nach oben zog. Dies wiederholte er nach Belieben, wobei er stets dann zuschlug, wenn der Händler durch einen Kunden abgelenkt war. Wir taten dies einige Tage lang, bis der Obststand plötzlich von dem Gehsteig verschwunden war. Das war bedauerlich, doch Bill und ich hatten uns bereits mit jeder Menge an Früchten versorgt, ehe der Händler uns auf die Schliche kam. Wir glaubten, dass er selbst das Verschwinden der Früchte niemals bemerkt hätte, aber von einem aufmerksamen Passanten darauf aufmerksam gemacht wurde. Wir hatten unseren Spaß, als wir bemerkten, dass die Anwohner auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit einem breiten Grinsen auf den Gesichtern unserem Treiben zusahen. Einige von ihnen schienen dem täglichen Schauspiel förmlich entgegenzufiebern und mit jedem Tag wurde unser Publikum ein wenig größer. An einem Sonntagabend wenige Tage nach dem Verschwinden des Obststandes fragte mich Wild Bill, ob ich wohl Appetit auf einige Früchte hätte. Als ich bejahte, sagte er nur knapp: "Dann lass uns gehen und uns einige besorgen." Ich fragte ihn, wie er dies bewerkstelligen wollte und er erwiderte: "Schnapp dir einfach deinen Brotbeutel und komm mit in die Stadt. Wenn wir auf einen Obst- oder Süßigkeitenhändler treffen, der unter einem dermaßen überfüllten Warenlager leidet, dass er einen Teil seiner Köstlichkeiten auf den Gehsteig auslagern muss, gehst du zu ihm in den Laden und tust so, als hättest du Geld und wolltest etwas kaufen. Zeig Interesse an irgendeiner Ware, die den Händler zwingt, der Straße den Rücken zuzukehren oder, noch besser, auf sein Leiterchen zu steigen. Halt ihn hin, solange du kannst, denn immerhin willst du dich als zahlender Kunde von der Güte seiner Waren überzeugen. Letztlich kann er dir schwerlich böse sein, wenn sein Angebot nicht deinen Vorstellungen entspricht oder zu teuer für dich ist und während du den Burschen drinnen ablenkst, bleibe ich draußen und mache unsere Besorgungen." Ich willigte ein und schon bald darauf schlenderten wir durch die Straßen und gingen von einem Kaufladen zum nächsten, bis wir einen fanden, in dem nur ein Mann arbeitete. Rasch war der erste unserer beiden Brotbeutel prall gefüllt und wurde gegen einen leeren ausgetauscht, bevor auch der zweite Beutel sichtlich anschwoll. Mein Komplize erklärte mir, dass diese Art der Nahrungsbeschaffung keinen wirklichen Schaden anrichte, da die Händler das Fehlen eines winzigen Teiles ihrer Waren nicht einmal bemerkten und er vertrat die philosophische Ansicht, dass ein Ding, welches nicht vermisst wurde, sich niemals wirklich in irgendjemandes Besitz befunden habe. Er fragte mich, ob ich jemals zuvor an einer derartigen Unternehmung teilgenommen hätte, was ich verneinte. Hierauf entgegnete Wild Bill, dass dies bei den meisten jungen Burschen der Fall sei und dass viele von ihnen es auf diesem Gebiet mit etwas Übung weit bringen könnten. Mich hielt er diesbezüglich für ein Naturtalent und er meinte, ohne sein Zutun wäre ich womöglich gestorben, ohne meine wahre Begabung zu erkennen. In der Tat ging mir die Sache sehr leicht von der Hand. Während des Krieges nannten wir diese Unternehmungen "Nahrungsbeschaffung", aber in Friedenszeiten ist die Bezeichnung "Diebstahl" gebräuchlicher.

Ich hatte mich kaum von den Masern erholt, als mich der Mumps erwischte. Ich wurde gemeinsam mit etlichen weiteren Erkrankten auf ein Kanalboot verladen und an einen entlegenen Ort gebracht, der (wenn ich mich recht entsinne) "Huguenot Springs" hieß. Dort verblieb ich, bis ich wieder dienstfähig war. Ich erkundete die dortige Gegend und angesichts des winterlichen Wetters waren meine Streifzüge reichlich leichtsinnig. Einmal fiel ich aus einem vereisten Persimonenbaum und zog mir einige schmerzliche Blessuren zu. Ich schleppte mich ins Hospital zurück und war eine Zeit lang bettlägerig. Mein Krankenzimmer teilte ich mit einigen anderen Jungs und wir erhielten täglich Besuch von einer fürsorglichen alten Jungfer, die stets einige Leckereien mitbrachte und unter uns aufteilte. Sie schien sich am liebsten mit mir zu unterhalten und so nannten die Jungs sie "mein altes Mädchen" und versicherten mir, dass ich mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit die besten Stücke ihrer Mitbringsel erhielt. Da ich nach meinem kleinen Missgeschick ans Bett gefesselt war, war sie sehr begierig zu erfahren, welche Verwundung mich niedergestreckt hatte und mit jedem Besuch wurde sie zudringlicher. Ich wich ihren Fragen aus, so gut ich es vermochte, aber eines Tages stellte sie mir beim Betreten des Zimmers ein Ultimatum: Ich müsse ihr am nächsten Tag die Geschichte meiner Verwundung erzählen oder sie würde mir nichts mehr zu essen geben. Als sie gegangen war, amüsierten die Jungs sich auf meine Kosten und auch am folgenden Morgen begannen sie sogleich wieder, mich zu necken und fragten mich, was ich denn nun zu tun gedenke. Ich erwiderte nur, man müsse abwarten und schauen, wie die Dinge sich entwickelten. Zur üblichen Zeit trat also "mein Mädchen" ins Zimmer, adrett und lieblich wie immer. In Händen hielt sie einen großen Teller, auf dem sich allerlei Köstlichkeiten türmten. Sie bedrängte mich sofort mit ihrer Neugierde und so sagte ich schließlich: "Wenn Sie es wirklich wissen wollen, werde ich es Ihnen sagen." Ich begann also zu erzählen und die anderen Jungs brachen sogleich in Gelächter aus. Sie hatte sich wohl eine ruhmreichere Geschichte erhofft, denn sie stürmte schon bald aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Den Teller mit den Köstlichkeiten nahm sie mit. Zuerst lachten die Jungs aus vollem Halse, doch dann begannen sie zu fluchen, als ihnen bewusst wurde, dass wir fürderhin wohl nur noch Besuche von den Krankenpflegern erhalten würden.