Gotteskontakt

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Aus der Reihe: Ignatianische Impulse #64
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Ignatianische Impulse

Herausgegeben von Stefan Kiechle SJ, Willi Lambert SJ

und Martin Müller SJ

Band 64

Ignatianische Impulse gründen in der Spiritualität des Ignatius von Loyola. Diese wird heute von vielen Menschen neu entdeckt.

Ignatianische Impulse greifen aktuelle und existentielle Fragen wie auch umstrittene Themen auf. Weltoffen und konkret, lebensnah und nach vorne gerichtet, gut lesbar und persönlich anregend sprechen sie suchende Menschen an und helfen ihnen, das alltägliche Leben spirituell zu deuten und zu gestalten.

Ignatianische Impulse werden begleitet durch den Jesuitenorden, der von Ignatius gegründet wurde. Ihre Themen orientieren sich an dem, was Jesuiten heute als ihre Leitlinien gewählt haben: Christlicher Glaube – soziale Gerechtigkeit – interreligiöser Dialog – moderne Kultur.

Willi Lambert

Gotteskontakt

Leben und beten mit den Exerzitien des Ignatius von Loyola


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2014 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de Umschlag: Peter Hellmund ISBN ISBN 978-3-429-03708-6 (Print) ISBN 978-3-429-04754-2 (PDF) ISBN 978-3-429-06168-5 (ePub)

Inhalt

Vorwort

1.Gotteskontakt: Ersehnen – Verspüren – Experimentieren

2.Pilger und Beter

3.Typisch ignatianisch

4.Beten – Gott probieren

5.Spiritualität – Wahre Lebendigkeit

6.Geistliche Lebenskultur – Vom Einüben und Ausüben

7.Im Liebeswillen Gottes leben wollen

8.Mit Leib und Leben

9.Wie es mit den Haltungen halten?

10.Mit Sinnen beten gibt Sinn

11.Gotteskontakt – »Ohne Geräusch von Worten«

12.Liebende Aufmerksamkeit – Die »allgemeine Gewissenserforschung«

13.Einübung neuer Lebensgewohnheiten – Die »besondere Gewissenserforschung«

14.Nur eines … – Das »Allgemeine Vorbereitungsgebet«

15.Bittendes Beten – »Was willst du, dass ich dir tue?«

16.Wegschritte der ignatianischen Schriftmeditation

17.Beten macht frei

18.Frei durch Versöhnung – Die »Generalbeichte«

19.Beten am Abgrund und in Anfechtung

20.Der weinende Gotteskämpfer – Seufzen im Heiligen Geist

21.Lesen in Exerzitien – Verschlingen oder Verkosten? (EB 100)

22.Beten – Atmen der Seele (EB 258–260)

23.Mystik des Alltags – In allem Gott

24.Morgengebet – Mit dem richtigen Fuß aufstehen

25.Das Pausengebet

26.Abendgebet – Spirituelle Tagesschau

27.Gebet der Muße

28.Unter freiem Himmel – Das fünfte Evangelium

29.Beten – Spazieren – Promenadologie

30.Eucharistie – Danken als Quelle alles Guten

31.Die Liebe besteht im Kommunizieren

Vorwort

Das vorliegende Buch ist aus dem öfters geäußerten Bedürfnis entstanden, in kurzer, verständlicher und umfassender Weise die wesentlichen Hilfen aus dem Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola kennenzulernen bzw. zu vertiefen. Ihre Darbietung ist eine Mischung von methodischen Anregungen, persönlichen Erlebnissen und Zeugnissen sowie von Zitaten aus der Bibel und der ignatianischen Literatur.

Auf einige hinführende Abschnitte folgen jeweils für sich selber stehende Themen. Diese nehmen hauptsächlich die Hinweise zum Beten, Meditieren, Kontemplieren, Betrachten und zu anderen geistlichen Übungen aus dem Exerzitienbuch auf. Die Abschnitte von der »Mystik des Alltags« bis zum Ende möchten deutlich werden lassen, dass Gott sich nicht nur in »Gipfelerlebnissen« und intensiven Gebetszeiten dem Menschen zeigen kann, sondern ihm mitten in der Alltäglichkeit nahe ist. Gott erscheint nicht nur im flammenden Dornbusch (Ex 3,1–3), sondern er ist der Gott, der – wie es im Segen des sterbenden Mose heißt (Dtn 33,16) – mit seiner Gnade »im Dornbusch wohnt«, zwischen Stacheln und Blüten, im Staub des Alltags, im Konkreten hier und jetzt – »in allem«, würde Ignatius sagen.

Folgende Abkürzungen werden verwendet:


EB = Exerzitienbuch
BP = Bericht des Pilgers
BU = Briefe und Unterweisungen (hrsg. von P. Knauer)
GGJ = Gründungstexte der Gesellschaft Jesu (hrsg. von P. Knauer)
Memo = Memoriale von Pater da Câmara

1. Gotteskontakt: Ersehnen –
Verspüren – Experimentieren

In einem Gespräch auf einer Parkbank beim Neptunbrunnen im Alten Botanischen Garten in München fielen einige Worte, die für das Leben und Beten von Ignatius besonders bedeutsam sind. Sie sollen am Anfang der Ausführungen stehen: Gotteskontakt – Ersehnen – Verspüren – Experimentieren.

Gotteskontakt – »In allem Andacht«

In den Erzählungen des Ignatius von Loyola aus seinem Leben und vor allem in seinem spirituellen Bestseller, dem Exerzitienbuch, den »Geistlichen Übungen«, beschreibt er verschiedene Weisen der Suche nach Gott und der Berührung durch ihn: Betrachtungen der Evangelientexte, Besinnungen auf das eigene Leben, stilles Verweilen in Andacht, die Sehnsucht nach Lebensgestaltung aus dem Liebeswillen Gottes heraus, lautes mündliches oder still innerliches Gebet. Ja schließlich kann jede Lebensäußerung, auch das Tun und Wirken eines Menschen, die Gottesbeziehung ausdrücken. Das Wort »Gotteskontakt« scheint geeignet, die umfassende Verbindung des Menschen mit Gott ausdrücken zu können. Ignatius hat in seiner Muttersprache Spanisch ein eigenes Grundwort für die Gottesbeziehung: devoción, auf Deutsch übersetzbar mit »Andacht« oder zutreffender und umfassender mit »Hingabe«. Und so schreibt er einmal an einen Mitbruder, dem es um längere Zeiten des Gebetes geht: Er halte es für besser, bei allem Andacht (devoción) zu haben als nur beim Beten bzw. Arbeiten.

Ersehnen – Der Anfang von allem

Das häufig zitierte Wort von Nelly Sachs »Alles beginnt mit der Sehnsucht« ist geeignet, eine menschliche Urbewegung auszudrücken, die auch für Ignatius ein zentrales Geschehen ist. Dies wird deutlich, wenn er selber in verzweifelten Situationen zu Gott aufschreit. Besonders aber darin, dass er vor jeder Zeit der Meditation, des Gebetes, den Menschen einlädt, sich zu fragen, welche Sehnsucht ihn bewegt, ja vielleicht sogar in ihm brennt. Und diese soll er dann zum Ausdruck bringen als Bitte, als Wunsch. Ein Mensch, der Kontakt mit Gott sucht, tut gut daran, in Kontakt mit sich selber und seinem Sehnen zu leben. Wenn der heilige Augustinus einmal davon spricht, dass die Sehnsucht nach Gott das »immerwährende Gebet« sei, unterstreicht dies die Bedeutsamkeit des Verlangens und unruhigen Suchens, das erst in Gott zur Ruhe kommt. In allen Phasen der Sehnsucht – in der des Mangels, der Hoffnungen und der Erfüllung – offenbart sich die Lebenswirklichkeit des Menschen.

 

Verspüren – Gott, so fern und so nah

In einem Gespräch machte Ignatius einmal die Aussage: »Ich glaube, ich könnte nicht leben, wenn ich nicht in meiner Seele etwas verspüren könnte, das nicht von mir kommt und auch sonst von niemandem, sondern nur von Gott.« Eine Aussage, die es in sich hat. Es geht um die eigene Existenz, um Leben und Tod. Darin liegen vor allem zwei Botschaften, die zusammengehören: die eine, dass Gott »der ganz andere ist«, und die andere, dass er ganz nahe ist, sich verspürbar macht. Ohne diese Spannung kann Ignatius nicht leben.

Experimentieren – Glaube, Hoffnung, Liebe »ganz haben«

In seinem autobiographischen »Bericht des Pilgers« erzählt Ignatius davon, wie er Experimente macht mit der Gestaltung seines Lebens. Beispielsweise, dass er auf den Schutz von Reisebegleitern verzichtet, um immer mehr aus dem Vertrauen auf Gott zu leben. Er »wünschte, drei Tugenden ganz zu haben: Liebe, Glaube und Hoffnung« (BP 35). Er hat sich auf existentielle Experimente eingelassen, hat sich selber als Einsatz im Spiel des Lebens zu geben versucht, um in seiner Lebensgestaltung die drei Tugenden zu verwirklichen. Dabei hat er den Gott gewonnen, der sich selber im »gottmöglichen Maß« dem Menschen hingibt (vgl. EB 234).

2. Pilger und Beter

Ignatius beim Beten zugeschaut und zugehört

Was gibt es zu sehen und zu hören, wenn man einen Blick auf Ignatius’ Gebetsweg wirft? Sicher ist das Kind Inigo, geboren 1491 auf Schloss Loyola im Baskenland, in die üblichen Gebete, ins Morgengebet und Abendgebet, eingeführt und gesegnet worden und hat das Kreuzzeichen gelernt, worüber er später selber eine kurze Betrachtung schreibt. Er lauschte auf das Beten der Erwachsenen, lernte das Vaterunser und Ave Maria, nahm an den Messfeiern teil, lief bei Prozessionen mit und stimmte in die Gesänge ein. Beten »nach der Gewohnheit«, so wie es von Jesus heißt, dass er nach seiner Gewohnheit in die Synagoge ging.

Anders, innerlicher, persönlicher wurde Ignatius’ Beten, als er 1521 infolge einer schweren Kriegsverletzung sterbenskrank lange Zeit im Krankenbett lag und dort seine Innenwelt, seine Regungen wahrnahm und das Buch von Ludolf von Sachsen über das Leben Christi mit seinen an den Evangelien orientierten Betrachtungen las und meditierte. Dort und damals richteten sich sein Beten, seine inneren Gespräche immer mehr auf Christus hin aus, mit dem und auf dessen Spur er leben wollte. In der täglichen »Gewissenserforschung« brachte er sein Leben und Erleben in Verbindung mit Gott. Zu einem Schrei aus der Tiefe kam es, als er in eine spirituelle Krise geriet, die schließlich in ihm Gedanken an Selbstmord aufkommen ließ. Die monatelange »Auszeit«, die Ignatius sich in Manresa nahm, ließ ihn täglich bis zu sieben Stunden in der Stille, im Gebet, in der Meditation, in der Gottsuche verharren. In dieser Zeit machte er viele und intensive innere Erfahrungen der Nähe Christi, erlebte er Ekstasen und eine so fundamentale Gotteserfahrung, dass er sich danach »als ein anderer Mensch« erlebte. Dieses umfassende »Tiefen- und Gipfelerlebnis« bildete fortan die Mitte und Grundlage seiner Existenz (vgl. BP 30).

Trotz dieses intensiven Rückzugs in die eigene Innenwelt mit entsprechenden starken seelischen Erfahrungen brachte er sich selber, sein Leben, seine spirituelle Suche in vielen Gesprächen immer auch in Beziehung zu anderen Menschen (BP 26). Die Geschichte des Betens von Ignatius zeigt, wie sein Beten sich mit seinem Leben entwickelte und seine Gestalt in immer neuem Suchen und Finden entfaltete. Die Exerzitien, »seine Exerzitien«, die aus seinem Gebetsleben und Lebensgebet heraus erwuchsen, sind eine »Gebetsschule« für jeden, der sich darauf einlässt. Vor allem auch in den so genannten Zusätzen zum Beten und Meditieren wird dies deutlich.

Mit 53 Jahren (!) nahm er noch einmal eine entscheidende Ausrichtung und Vertiefung seines seelisch-spirituellen Lebens wahr: Nach einem sich über Wochen hinziehenden Prozess schrieb er in sein Tagebuch, endlich habe er den Weg gefunden, der »sich ihm zeigen wollte« – der Weg der »ehrfürchtigen Liebe« zu Gott, zum Kosmos, zur Natur, zur ganzen Wirklichkeit. Dies erfuhr er als die Grundqualität seiner Beziehung zu allem (vgl. GGJ S. 399; 400; 402; 404). Gestorben ist er – und auch dies mag kennzeichnend sein für ihn – allein; nur der Krankenpfleger hörte als letzte Worte »Ay Dios, Ay Jesus« – »O Gott, O Jesus«. War es ein Schmerzensruf? Ein Aufjubeln: endlich!? Oder beides? Gott weiß.

Der Blick auf den Gebetsweg von Ignatius kann die Einladung sein, gelegentlich selber auf die Geschichte des eigenen Betens zu schauen. Franz Xaver, einer der vertrautesten Gefährten von Ignatius, schreibt einmal, wenig helfe mehr auf dem geistlichen Weg, als gelegentlich auf das Wachsen und Werden des Betens zu schauen.

3. Typisch ignatianisch

Was ist für das geistliche Leben und Beten von Ignatius kennzeichnend und wozu kann man sich dadurch vielleicht auch anregen lassen?

Ein weites Feld – alles kann zu Gebet werden

In der ersten Vorbemerkung seines Exerzitienbuches spricht Ignatius nicht vom »Beten«, sondern von »geistlichen Übungen« und in diesem Rahmen von Besinnung, Gewissenserforschung, Meditation usw. Geistliches Geschehen, Leben aus und im Geist, darum geht es. Es finden sich einige Stellen in seinen Briefen, die zeigen, wie er den Begriff und das Geschehen des Betens ausweitet: Arbeit kann Gebet sein, Kranksein kann Gebet sein, ja Muße kann Gebet sein. Gottesbegegnung, Gotteskontakt kann in allem geschehen. Das ist ganz und gar die Sicht von Ignatius: In allem – Gott!

Einem Mitbruder, der meinte, die Jesuiten dürften gar nicht laut sagen, wie wenig Gebetszeiten sie wahrnehmen, und bat, Ignatius solle doch vorschreiben, man soll täglich einige Stunden dem Gebet widmen, antwortete Ignatius in einem Brief: Er hielte es für besser »in allem Andacht zu haben«. Gemeint ist damit »liebevolles Hingegebensein«, die schon erwähnte »devoción«. »Hingabe« ist die zentrale Aussage und Kennzeichnung für das fundamentale religiöse Geschehen sowohl Gott wie dem Menschen und dem Leben gegenüber. Es ist der Rhythmus von Empfangen und Geben, von Hinnehmen und Hingeben. Dies sind auch die Worte, mit denen Ignatius das Geschehen von Lieben umschreibt: »Die Liebe besteht im Mitteilen von beiden Seiten« (EB 231).

Beten – mit dem Herzen und allen Kräften

Wenn von Spiritualität gesprochen wird, dann auch sehr oft von »ganzheitlich«. Dahinter steckt die Erfahrung, dass es bei der Meditation, in der Spiritualität um den ganzen Menschen geht. Darum könnte man die Weisung Jesu zum Lieben als Mitte seines Lebens und seines Verständnisses von Beten verwenden und sagen: »Zu Gott beten mit ganzem Herzen, ganzer Seele, allen Kräften und ganzem Denken«. Bei Ignatius wird diese Sicht ganz deutlich: Er lebt von seiner Herzmitte her die Gottesbegegnung, er kultiviert die Aufmerksamkeit auf die seelischen Regungen, spielt mit der Vorstellungskraft und Phantasie und lässt alle Weisen von Nachdenklichkeit, Besinnung, Lebensweisheit zum Einsatz kommen. Gedächtnis, Verstand und Wille (als Liebesaffekt) sollen im Beten ins Spiel kommen (vgl. EB 50). Warum auch sollte eine bestimmte Seite und Saite menschlicher Wirklichkeit in der Gottesbeziehung keine Rolle spielen dürfen? Die Psalmen sind ein Zeugnis für dieses »ganzheitliche« Beten im Jubel und Klagen und Fragen und Anvertrauen, im Kämpfen und stillen Ruhen.

Ein »großer Beter« – ein freier Mensch

Als einmal Mitbrüder von einem anderen bewundernd sagten, er sei »ein großer Beter«, meinte Ignatius nur kurz: »Ja, er ist ein freier Mensch«. Genauer zitiert, hieß es, er sei ein »abgetöteter Mensch«. Das Wort ist mehr als missverständlich, gemeint ist damit, dass ein Mensch nicht von sich selber, von seinen Ideen, Gefühlen, Vorlieben völlig beherrscht sein soll. Beten, den Exerzitienweg gehen, heißt für Ignatius wesentlich, sich auf einen Befreiungsprozess einzulassen. Ohne diese wachsende Freiheit sei überhaupt kein geistlicher Fortschritt möglich (EB 189). Gute Exerzitien gemacht zu haben heißt, freier geworden zu sein: »Das Netz des Jägers ist zerrissen und wir sind frei« (Ps 124,7). Ignatius spricht dabei von der Indifferenz (EB 23), oft auch als »Freiheit des Geistes« bezeichnet. Und so sagt er einmal: »Lass dir die Freiheit, das Gegenteil zu tun von dem, was du jetzt tust, niemals nehmen!« Dies ist wahre Gelassenheit, die aus der Herzensfreiheit heraus leben und handeln lässt.

»Methodist« oder »Was je mehr hilft«?

Die vielen Äußerungen zum Beten bei Ignatius legen die Sicht nahe, dass Methodisches bei ihm eine große Rolle spielt. Allein 20 Vorbemerkungen im Exerzitienbuch und dann noch viele weitere zusätzliche Bemerkungen im Laufe der Kapitel, die das Beten betreffen! Das ist wirklich nicht jedermanns Sache! Andererseits ist es die Erfahrung von vielen Menschen, dass sie, wenn sie sich ruhig, frei und gut beraten auf den Gebetsweg begeben, viel Hilfreiches lernen können von der Erfahrung anderer. Solche Lernerfahrungen hat Ignatius in seinen »Geistlichen Übungen« gebündelt. Zum Glück stehen seine Hinweise alle unter dem oft wiederholten Vorbehalt: Was je mehr hilft! Nicht umsonst wird die jesuitische Eigenart gern witzig und geistvoll ausgedrückt mit der Formulierung: »SJ« (= Societas Jesu) heißt »System-Je-nachdem«. Also: Was hilft wem jetzt wohl am meisten? Dahin geht die Einladung.

Das Allerbeste – Beten auf dem Exerzitienweg

Im Zug von Rom nach München. Eine evangelische Journalistin erzählt in einem fast schon schwärmerischen Ton, wie es für sie wichtig war, in Indien eine Weise der Meditation zu entdecken. Als ich ihr auf ihre Frage hin vom Exerzitienweg des Ignatius erzähle, reagiert sie: »Ach, dann hätte ich ja gar nicht unbedingt nach Asien müssen.« Vermutlich war diese Zeit für sie wichtig gewesen, aber es ist gut zu wissen, »auch wir« haben nicht nur »Einzelgebete«, sondern Gebetswege – so, neben anderen, den Exerzitienweg des Ignatius. Von ihm schreibt er einmal in einem Brief an seinen Beichtvater Miona: Die Exerzitien sind doch »das Allerbeste, was ich in diesem Leben denken, verspüren und verstehen kann«. Wovon lebt dieses »Allerbeste«, in wenigen Worten gesagt?

– Die Exerzitien sind aus der konkreten geistlichen Glaubens- und Lebenserfahrung eines suchenden Menschen erwachsen und können deshalb Hilfe sein. Die Exerzitienerfahrung von Ignatius ist nicht nur ein subjektives Lebenszeugnis geblieben, sondern ein Weg, der auch für andere begehbar ist.

– Exerzitien sind ein sehr zeitintensives Geschehen und darum geeignet zur Vertiefung, ob es nun eine Woche oder wie in der ursprünglichen Form 30 Tage sind: Vier oder mehr Stunden der Meditation, des Gebetes jeden Tag und das Leben in einer gesammelten Atmosphäre sowie das tägliche Begleitgespräch sind zumindest anfangs eine nicht geringe Herausforderung.

– Eine große Wirkkraft entfaltet die Stille, die Zurückgezogenheit, die »Entschleunigung«. Sie helfen zur Annäherung an die Wirklichkeit des eigenen Lebens und Gottes Wirklichkeit und zur Achtsamkeit für das Wirken seines Geistes (EB 20).

– In Einzelexerzitien stehen der Weg, die Geschichte, das Fragen und Suchen der je einzelnen Person im Vordergrund. Es geht um Selbstwerdung.

– Die täglichen Begleitgespräche helfen zur Anpassung an die Situation der einzelnen Personen. Sie sind oft auch eine Art exemplarische Kommunikation, in der in einem Raum des Vertrauens Leben sich zeigen kann mit all seinen Höhen und Tiefen.

– Exerzitien sind ein durch Jahrhunderte bewährter Weg, der immer wieder auch den jeweiligen Zeitverhältnissen entsprechend gestaltet wird.

Der Weg des siebenfachen Ja

Wer das Exerzitienbuch aufschlägt, wird als inhaltliche Einteilungen entdecken: Vorbemerkungen zum Exerzitienweg, Prinzip und Fundament, erste und zweite und dritte und vierte Woche, Regeln (für den Alltag). Hinter diesen Worten verbirgt sich eine spirituelle Struktur, nicht nur eine zeitliche Einteilung. Diese kann einfach und natürlich auch vereinfachend mit einem siebenfachen Ja gekennzeichnet werden, das den geistlichen Weg des Menschen kennzeichnet. Biblischer Hintergrund für den Ja-Weg ist eine Stelle im zweiten Brief an die Korinther: »Jesus Christus ist nicht als Ja und Nein zugleich gekommen, in ihm ist das Ja verwirklicht. Er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat. Darum rufen wir durch ihn zu Gottes Lobpreis auch das Amen« (2 Kor 1,19–20).

 

– Das Ja zur Sehnsucht nach erfüllterem Leben und Lieben können die Vorbemerkungen zum Ausdruck bringen. Sie haben den Menschen im Blick, der Vertiefung und endgültigen Sinn seines Lebens sucht.

– Das Ja zum Leben aus Gott bringt das sog. »Prinzip und Fundament« zur Sprache: Leben erfüllt sich, wenn der Mensch Gott Gott sein lässt und selber immer mehr Mensch wird in der Pflege von Dankbarkeit, liebevoller Ehrfurcht und im Dasein-füreinander, im Wachsen der Freiheit.

– Das Ja zur versöhnenden und neu schaffenden Liebe steht im Mittelpunkt der so genannten ersten Woche. Es geht hier um Begegnung mit den Dunkelheiten, Abgründen, Verletzungen, Schuldgeschichten des Lebens und deren Erlösung, Heilung, Versöhnung.

– Das Ja zur Lebens-Gemeinschaft wird in der zweiten Woche angefragt. Hier geht es darum, Jesus Christus und sein Evangelium als einen, vielleicht den Weg zu Gott zu entdecken und in seinen Spuren zu gehen und zu leben.

– Das Ja der Liebe bis zuletzt wird im Blick auf Jesus in der dritten Woche vor das Auge des Herzens (vgl. Eph 1,18) gestellt. Jesus ist in Auseinandersetzungen, gegen Widerstände, in Erfahrungen von Ohnmacht den Weg zur großen Liebe gegangen; hat sein Leben verloren und es so gewonnen. Der Blick auf sein Leben, Sterben und Auferstehen kann zur Frage an das eigene Leben werden.

– Das Ja zur auferstandenen Liebe in der vierten Woche der Exerzitien mit seiner großen Meditation, »um Liebe zu erlangen«, bezeugt und stärkt den Glauben und die Hoffnung auf den »Gott in allem«, auf den Sieg der Liebe über Sünde und Tod.

– Das Ja zur alltäglichen Liebe zeigt sich in den verschiedenen Regeln zum Essen, zum Umgang mit Geld, zur Entscheidungsfindung, zum kirchlichen Leben usw.

Pater Pedro Arrupe, ein vormaliger Generaloberer der Jesuiten, antwortete einmal auf die Frage von Jugendlichen, wie er den christlichen Glauben mit einem biblischen Wort zusammenfassen würde, mit dem kürzesten biblischen Glaubensbekenntnis: »Amen Alleluja« (Offb 19,4). Zwei Worte und ein ganzes Leben.

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