Ut oler Welt - Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime - 150 Seiten

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Ut oler Welt - Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime - 150 Seiten
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Wilhelm Busch

Ut oler Welt - Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime - 150 Seiten

Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Impressum neobooks

Kapitel 1

I. Volksmärchen.

1. De häister un de willen duben.

Bi Fürst Erenst siner tît, ans dat swîn Dirk häite un de

käo Barteld, do könne de häister dat beste näist bäon.

Do käimen de willen duben na öne hen un säen:

»Nawer, will ji nich säo gäot wäsen un üsch1 dat ôk

lehren wo ji dat maoket?« »Jao, säe de häister, worümme

dat nich; awerst wat giäwe ji mi?« »Die bunte

kuh, die bunte kuh, die bunte kuh!« säen de willen

duben. Den häister was dat recht, un häi flog mêe.

Ans häi nu de ersten sprikker te hôp elegt harre, do

mênen de willen duben, säi können dat nu ôk all

sülbenst un säen: »Nawer, gaet nu man weer hen, wi

willt et nu woll sülbenst fertig maoken.« De häister

läit sik dat nich twäimaol seggen, namm sine bunte

käo un flog weg. – Do nu de willen duben awerst

sülbenst täo bäon anföngen, do käimen se man jümmer

säo wit, ans de häister et säi ewiset harre. Do

föngen se an täo schräinA1 un räipen: »Die bunte

kuh, die bunte kuh, die bunte kuh!« un mênen, de häister

schölleA2 de bunte käo weer herut giäwen;

awerst de häister was mit der käo wäge un blêw wäge.

Darümme küent de willen duben ôk vandage noch

näin orntliket näist bäon un räopet noch jümmer:

»Die bunte kuh, die bunte kuh, die bunte kuh!« bet up

düssen dag. Un däi mi düsse geschichteA3 vertellt

hat, mit däne hebbe ek sülbenst ekört.

Fußnoten

1 In allen plattdeutschen Stücken ist sch mit westfälischer

Aussprache = s–ch oder s–k zu sprechen.

W.B.

A1 In allen plattdeutschen Stücken ist sch mit westfälischer

Aussprache = s–ch oder s–k zu sprechen.

W.B.

A2 In allen plattdeutschen Stücken ist sch mit westfälischer

Aussprache = s–ch oder s–k zu sprechen.

W.B.

A3 In allen plattdeutschen Stücken ist sch mit westfälischer

Aussprache = s–ch oder s–k zu sprechen.

W.B.

2. Die Schwarze Prinzessin.

Es war einmal ein König und eine Königin, die kriegten

gar keine Kinder. Da sagte die Königin: »Ich

wollte, ich kriegte ein Kind und wenn es auch vom

Teufel wäre.« Nicht lange darnach ward die Königin

schwanger und gebar ein kleines Kind, das war eine

Dirne. Sie ward, wie sie wuchs, von Tage zu Tage

schöner, so daß sie ein jeder, der sie sah, von Herzen

gerne leiden mochte. Den Tag aber vor ihrem fünfzehnten

Geburtstage sagt sie auf einmal zu ihrem

Vater: »Morgen, Vater, muß ich sterben.« »Mein liebes

Kind,« sagte der König, »sprich mir doch nicht

von sterben.« »Doch Vater! Ich weiß gewiß, daß ich

morgen sterben muß. Eins mußt du mir aber versprechen:

daß mein Sarg in der Schloßkirche vor den

Altar gestellt und ein ganzes Jahr lang jede Nacht

Wache dabei gehalten wird. Wenn sich dann unter der

Wache Einer findet, der nichts Schlechtes gethan hat,

so kann der mich wieder erlösen.« Das mußte der

König versprechen und ihr die Hand drauf geben.

Wie die Königstochter gesagt hatte, so kam es

auch. Den andern Tag nahm sie noch von Vater und

Mutter Abschied, legte sich und starb und ward darnach

kohlschwarz. Der König ließ sie nun in ihrem

Sarge in die Schloßkirche vor den Altar stellen mit

einer Wache dabei, wie die Prinzessin es verlangt

hatte. Des Nachts, da die Glocke gerade Zwölf

schlug, fuhr die Prinzessin aus ihrem Sarge, packte

die Wache, drehte ihr den Hals um und warf sie in ein

finsteres Gewölbe, das da unter der Kirche war. Sobald

aber die Glocke Eins schlug, mußte sie wieder in

ihren Sarg hinein. In der zweiten Nacht ging es ebenso.

Als die Glocke Zwölf schlug, fuhr die Königstochter

aus ihrem Sarge, drehte der Wache den Hals

um und warf sie in das Gewölbe, das unter der Kirche

war. In jeder folgenden Nacht ging es ebenso; jeden

Morgen war die Wache verschwunden und kein

Mensch wußte, wo sie geblieben war. Nun wollte zuletzt

keiner mehr bei der Königstochter wachen. Da

ließ der König im ganzen Lande bekannt machen: wer

seine Tochter erlösen könnte, der sollte sie zur Frau

haben und König werden.

Nun war da ein junger Schäfer mit gelben Haaren,

der hieß Jakob, der reiste nach der Königsstadt und

ließ sich anstellen als Wache bei dem Sarge der Prinzessin.

In der ersten Nacht, da es kurz vor Zwölfe war

und der Schäfer daran dachte, daß die andern Wachen

alle so sonderbar verschwunden waren, da ward er

bange und wollte weglaufen. Da rief eine Stimme hinter

ihm her: »Jakob, geh nicht fort, du kannst mich erlösen,

wenn du drei Nächte hintereinander an meinem

Sarge wachst.« Da kehrte der Schäfer wieder um und

versteckte sich unter den Sarg der Prinzessin. Als nun

die Glocke Zwölf schlug, fuhr die Königstochter aus

ihrem Sarge und suchte die ganze Kirche durch; in

dem Augenblick aber, wo sie an den Sarg kam und

den Schäfer eben fassen wollte, schlug die Glocke gerade

Eins; da mußte sie wieder in ihren Sarg hinein.

In der zweiten Nacht, da es wieder bald Zwölfe war

und der Schäfer daran dachte, daß es ihm auch ergehen

könnte wie den andern Wachen, da ward er bange

und wollte weglaufen. Da rief eine Stimme hinter ihm

her: »Jakob, geh nicht fort; du kannst mich erlösen.«

Als der Schäfer das hörte, kehrte er wieder um und

versteckte sich in das Gewölbe, wo die Leichen der

früheren Wachen lagen. Er beschmierte sich Gesicht

und Hände ganz mit Blut, deckte einige der Toten

über sich und verhielt sich so ruhig, als ob er auch

eine Leiche wäre. Als nun die Glocke Zwölf schlug,

fuhr die Königstochter wieder aus ihrem Sarge, durchsuchte

die ganze Kirche und kam auch zuletzt in das

Gewölbe, wo der Schäfer unter den Leichen lag.

»Dem die Füße warm sind, der ist's!« rief sie und tastete

zwischen den Leichen herum. Schon war sie dem

Schäfer ganz nahe, das Blut gerann ihm in den Adern,

da schlug die Glocke Eins. Nun mußte die Prinzessin

wieder zurück in ihren Sarg. – Am andern Morgen

kam der König mit seinem ganzen Hofstaate in die

Kirche, um nach dem Schäfer zu sehen, und als sie

das viele Blut in seinem Gesicht und an seinen Händen

sahen, erschraken sie und meinten nicht anders,

denn es sei ihm ein Leid widerfahren. Jakob aber

sprach: »Wisset, daß ich gesonnen bin, auch noch die

dritte Nacht Wache zu halten; Morgen früh Glocke

Sechs, da kommt mit Pauken und Trompeten und der

ganzen Musik, denn entweder bin ich todt oder die

Prinzessin ist erlöst.« Das mußte ihm der König versprechen.

Kurz vor Zwölfe in der Nacht kroch der Schäfer

unter den Sarg der Prinzessin, und als sie nun mit

dem Schlage Zwölf herausfuhr, legte sich der Schäfer

schnell selber in den Sarg hinein. Nun suchte die

Prinzessin die ganze Kirche durch; als sie aber zuletzt

auch an den Sarg kam, da schlug die Glocke Eins. In

demselben Augenblick fing die Prinzessin an zu sprechen

und sagte: »Jakob, ich danke dir viel tausend

Mal; du hast mich nun erlöst.« Von Stund an begann

sie auch allmählich weiß zu werden, und Morgens

Glock sechs stand sie da in voller Schönheit und weiß

wie zuvor. Da kamen auch der König und die Königin

mit ihrem ganzen Hofstaate und vielem Volk, mit

Pauken und Trompeten und voller Musik; und als nun

Jakob mit der Prinzessin an der Hand aus der Kirche

trat, da rief alles Volk: »Vivat, unser König Jakob!«

und wollte des Jubilierens kein Ende werden.

3. Das Öl der Zwerge.

Es ist einmal eine Hebamme gewesen, zu der kam in

der Nacht ein kleines Männlein mit einer Laterne und

forderte sie auf, eilig mit ihm zu gehen. Sie nahm

ihren Mantel über und folgte dem Zwerge, welcher

über Feld und Wiesen voranschritt bis zu einem Wasser,

unter welchem er seine Wohnung hatte. Hierinnen

lag die Frau des Zwerges in Kindesnöten. Nachdem

die Hebamme ihr Beistand geleistet und das Kindlein

geboren und gewaschen war, reichte ihr das Männlein

ein Glas mit wohlriechendem Öle und forderte sie auf,

das Kindlein damit einzureiben. Nun hatte die Hebamme

trübe, thränende Augen und darum die Gewohnheit,

von Zeit zu Zeit mit der Hand darüber zu

streichen. Als sie nun so mit dem Einreiben des Kindes

 

beschäftigt war, juckte und flirrte es ihr auch wieder

in dem einen Auge, so daß sie mit dem Finger herüberfuhr

und es auswischte.

Nachdem sie nun das Kind angezogen hatte und

sich zum Weggehen anschickte, gab ihr der Zwerg einiges

Geld. Sie ging darauf an das Bett der Wöchnerin,

um ihr gute Besserung zu wünschen und Adieu zu

sagen. Die Wöchnerin zog sie aber nahe zu sich und

sagte ihr heimlich ins Ohr: sie sollte das Geld, welches

ihr der Mann gegeben, nur wegwerfen, aber statt

dessen den Kehricht aufraffen, der da vor der Stubentür

an der Schwelle läge. Das that sie, behielt aber

doch auch das Geld. Während dem hatte der Zwerg

seine Laterne wieder angezündet, begleitete die Hebamme

nach Hause und verabschiedete sich von ihr,

nachdem er sich noch vielmals für die gute Hilfe bedankt

hatte.

Als jetzt die Frau nach ihrem Gelde sehen wollte,

war es Pferdemist, der Kehricht aber war eitel rothes

Gold.

Einige Zeit darnach ging die Hebamme zum Jahrmarkt

in die nächste Stadt und gedachte da tüchtig

einzukaufen, denn sie hatte nun Geld in Menge. Sie

mußte sich ordentlich drängen lassen, so voll war's da

auf dem Markte. Da sah sie auf einmal denselben

Zwerg, der sie in der Nacht zu seiner Frau geholt

hatte; er ging von einer Krambude zur andern und

packte in seinen Schnappsack, was ihm gefiel, schöne

Honigkuchen und gute, braune Pfeffernüsse, Bänder

und Tücher, ohne daß die Eigentümer das Geringste

zu merken schienen. Die Frau drängte sich zu ihm

hin, tupfte ihm mit dem Finger auf die Schulter und

redete ihn an: »Sieh da! Guten Tag, guten Tag, Herr

Zwerg! Auch hier?« Der Zwerg drehte sich rasch um

und sah die Frau so recht verwundert an. »J! Frau!« –

sagte er – »kann Sie mich denn sehen?« »O ja, recht

gut! Warum das nicht?« »Und mit beiden Augen?«

fragte der Zwerg. Die Frau hielt das rechte Auge zu.

»Nein, nun sehe ich ihn nicht.« Darauf drückte sie das

linke Auge zu. »Ja, nun sehe ich ihn wieder.« »J!« –

sagte der Zwerg – »das ist doch sonderbar! Zeige Sie

mal her! Puh!« Da pustete er ihr ins rechte Auge, daß

es sogleich blind wurde und sie nicht wieder damit

sehen konnte ihr Lebelang.

4. Ilsabein.

Es war einmal ein Mädchen, hieß Ilsabein, das hatte

rothe Augen und konnte auch nicht zum Besten damit

gucken; darum so wurde es alt und wartete lange vergeblich

auf einen Freier, der es möchte unter die

Haube bringen. Endlich ließ sich einer melden auf den

Nachmittag, denkend: »es wird so schlimm nicht sein,

wie's die Leute machen, du sollst dich selbst erst

überzeugen, ob das Mädchen wirklich nicht gut sehen

kann.« Da stellte Ilsabein beizeiten eine Leiter an die

Hausthüre, nahm eine Nähnadel von der feinsten

Sorte und steckte sie hoch oben in den Thürriegel.

Nach Mittag kam der Bräutigam richtig an, und Ilsabein,

die ihn schon erwartet hatte, sprang ihm munter

auf dem Hof entgegen und faßte ihn bei der Hand, daß

sie ihn ins Haus brächte. »Sieh doch einmal, mein

Schatz!« sprach sie da, »dort oben im Thürriegel

steckt wahrhaftig eine Nähnadel.« »Ei wirklich!«

sagte der Freier, der seine Augen ordentlich anstrengen

mußte, um die Nadel in der Höhe zu bemerken,

»das ist wirklich eine Nähnadel!« und dachte bei sich:

»Das Mädchen sieht doch schärfer, als die Leute wohl

denken mögen; die nimm nur!« So gingen sie denn

ganz einmüthig zusammen in die Stube und setzten

sich an den Tisch. Mit dem so brachte die Muhme das

Vesperbrod herein, hatte auch eine schöne große Butterbemme

beigelegt und stellte das alles vor die

Brautleute auf den Tisch. Wie nun Ilsabein die große

Butterwälze da so auf dem Tische stehen sah, meinte

sie nicht anders, als ihre weiße Katze wär's, welche

von dem Vesperbrode naschen wollte. »Schuh!« rief

sie, »Katzut!« und klappte mit der Hand in die weiche

Butter. Da merkte der Freier, daß das Mädchen doch

nicht gut sehen konnte, stand auf, sah nach der Uhr

und that, als ob er noch etwas Eiliges zu bestellen

hätte. »Ich muß jetzt fort,« sagte er, »Adieu, mein

Schatz, bis Morgen!« Damit ging er zur Thüre hinaus,

kam aber niemals wieder, so daß die arme Ilsabein

wieder warten und warten mußte; und wenn sie

noch nicht gestorben ist, dann wartet sie heute noch.

5. Gerdmann un Alheid.

Dar was äis en gante un en goos, un de gante häit

Gerdmann un de goos häit Alheid, de beiden güngen

in der harwesttit te hope henut up dat stoppelfeeld un

föngen dar täo fräten an. Gerdmann, ans de kläukeste,

bleef jümmer up den hogen rüggen van'n stücke, wo

häi säen könne, wat rund ümme her passiren döe, de

goos Alheid fratt awerst in der däipen fore hendal, dar

stünnen de besten greunen spiere, denn dat wäit'n

woll, dat et dar jümmer natt is, un wenn emeihet

werd, säo kann'n ok mit der seessen nich orntliken

heninraken. Et dure nich lange, säo maoke Gerdmann

up äis sinen hals säo lang un keek sick ümme. Do

sach häi, dat de voss ganz liseken langs in der fore

herdal sleek un der goos jümmer nöger kam. Do wolle

häi der goos beschäid seggen un räip:

»Alheid!

Sühst du nich, wat dar in der fore geit?«

De goos bleef awerst jümmer mit fräten värtüge un

antwore nix ans:

»Tatterattatt, tatterattatt!

Ette wat, ette wat!«

un meene, Gerdmann schölle fräten un dat kören

laten.

De voss, de sick mitterwile dal eduked harre, kam

nu weer nöger un nöger. Do räip Gerdmann täon

twäiten male:

»Alheid!

Sühst du nich, wat dar in der fore geit?«

Awerst Alheid keek sick nich ümme un antwore nix

ans:

»Tatterattatt, tatterattatt!

Ette wat, ette wat!«

Dat schölle säo viäl häiten ans: kör hen, kör her! ek

säie nix! Mit dessen was de voss ganz dichte herbi

ekuomen; un Gerdmann räip täon drüdden male:

»Alheid!

Sühst du nich, wat dar in der fore geit?«

Un de goos antwore weer:

»Tatterattatt, tatterattatt!

Ette wat, ette wat!«

In densülbigen ogenblicke sprung de voss täo un

packe mine läiben goos bi'n hals. Do fong se an täo

schräin un räip: »Gerdmann, Gerdmann help mi doch!

Sühste nich, wo häi mi ritt, wo häi mi tüht?!«

»Recht di dat, recht di da–at!« räip Gerdmann,

breede sine flitke ut un streek aber dat feeld hen na

sinen dörpe hentäo.

Dat, min junge, is de geschichte van den kläoken

ganten Gerdmann un der dummen goos Alheid.

Gerdmann und Alheid

(hochdeutsch).

Gerdmann der Gante und Alheid die Gans gingen mal

in der Herbstzeit aufs Feld hinaus. Gerdmann, der

vorsichtige, blieb auf dem hohen Rücken des Ackers,

von wo er weit umher sehen konnte, während Alheid

in der tiefen Furche fraß, weil da die grünsten Spiere

standen. Als nun der Fuchs heran geschlichen kam,

rief Gerdmann warnend:

»Alheid,

sühste nich, wat dar in der fore geit?«

Doch Alheid schnatterte sorglos:

»tatterrattat!

ette wat, ette wat.«

Inzwischen schlich der Fuchs immer näher. Zweimal

noch vergebens erhob Gerdmann seine warnende

Stimme. Jetzt sprang der Fuchs zu und packte Alheid

beim Halse. Da schrie sie kläglich:

»Gerdmann, Gerdmann, sühste nich,

wo häi mi ritt, wo häi mi tüht?«

Aber Gerdmann rief:

»Recht di da–t, recht di da–t!«

breitete seine Fittiche aus und flog ins Dorf zurück.

6. Das harte Gelübde.

In einem wilden, wüsten Walde verirrte sich eine

Frau. Als nun die dunkle Nacht hereinbrach, überkam

die Frau eine große Angst, so daß sie seufzend

sprach: »Weh! Wie komme ich zu Haus! Wenn doch

wer käme und mir den Weg wiese aus dieser Wildnis!

« Da trat aus dem Gesträuch ein graues Männchen.

»Wenn du mir versprichst, Frau, was du jetzt

unter deinem Herzen trägst, so will ich dich hinausgeleiten,

daß du bald zu Hause bist.« Das versprach die

Frau in ihrer Angst, und als sie es versprochen hatte,

lachte das Männchen mit Hohn laut auf und rief: »Der

Knabe unter deinem Herzen ist mein! Nach zwölf

Jahren bringst du ihn mir zu dieser selben Stunde, zu

dieser selben Stelle, oder ich fordere ihn selbst. Dann

will ich ihm drei Fragen aufgeben; kann er die beantworten,

so habe ich keine Macht über ihn; sonst gehört

er mir für alle Ewigkeit.«

Darauf brachte das graue Männchen die Frau bald

aus dem Walde, daß sie wieder zu Haus kam.

Eine Zeit darnach kriegte die Frau einen kleinen

Jungen, der war ein stilles gutes Kind, wuchs heran

und war so gelehrig, daß sich alle Leute darüber verwundern

mußten. Seine Mutter aber hatte keine frohe

Stunde mehr; immer und immer mußte sie daran den-

ken, daß sie ihr liebes gutes Kind dem Bösen versprochen

hatte. Wenn sie dann dem Knaben sein Brot

schnitt, so sah sie ihn immer so traurig dabei an und

konnte das Weinen nicht lassen. Da faßte das Kind

ihre Hand und sagte: »Mutter, warum seid Ihr nur so

traurig und weint in einem fort? Gebt Ihr mir das Brot

nicht gern, oder bin ich nicht gut und folgsam, daß Ihr

immer weinen müßt, wenn Ihr mir das Brot gebt? Das

sagt mir doch!« Aber sie weinte nur immer mehr und

mochte es ihm nicht sagen, was ihr das Herz so

schwer machte; bis der Knabe so lange bittend in sie

drang, daß sie es doch endlich erzählte, wie sie sich in

dem wilden Walde verirrt habe, wie das graue Männchen

gekommen sei und daß sie ihm das Kind unter

ihrem Herzen versprochen habe. »Mutter,« sagte da

der Knabe, »das war hart! Doch laßt das Weinen und

seid nur wieder froh; mit Gottes Hülfe mag noch endlich

alles gut werden.« Darauf ist der Knabe noch

lerneifriger geworden als vorher, und in der Schule

haben ihm seine Lehrer alle Fragen, die nur zu erdenken

gewesen sind, aufgeben müssen, und als er nun

sein zwölftes Jahr erreichte, da hat er alle und alle

Fragen beantworten können.

Zu der bestimmten Stunde brachte die Frau den

Knaben in den Wald, und gingen auch seine Lehrer

und viele Leute mit. Als sie nun bald zu der Stelle

kamen, mußten sie alle zurückbleiben; da ging der

Knabe allein freimütig in den Busch, und ob ihm

gleich durch des Bösen Anstiften allerlei feurige Gespenster

begegneten, auch ein Fuder Heu mit Ochsen

bespannt auf ihn zu kam, ihn zu schrecken, so ließ er

sich doch nicht wirren, ging weiter und kam zur Stelle,

wo das graue Männchen ihn erwartete. »Es ist dein

Glück, daß du gekommen bist!« sprach er; »nun gib

mir Antwort auf drei Fragen; kannst du sie nicht

lösen, so greif ich dich.« »Sag her!« erwiderte mit ruhigem

Mute das Kind. Da fragte das Männchen:

»Was ist härter als ein Stein?« Das Kind antwortete:

»Mutterherz.« »Was ist weicher als ein Daunenbett?«

Das Kind antwortete: »Mutterschoß.« »Was ist süßer

als Milch und Honig?« Das Kind antwortete: »Mutterbrust.

« Da ist das Männchen verschwunden und

abgestunken.

Als nun das Kind unversehrt heraustrat, sahen die,

welche zurückgeblieben waren, daß ihm der Arge

nichts hatte anhaben können, und freuten sich, denn

alle hatten das Kind lieb, weil es so klug war und so

gut; da hat auch seine Mutter wieder frohe Tage erlebt.

7. Die böse Stiefmutter.

Meine Großmutter hat mir erzählt, es wäre mal eine

kleine hübsche Dirne gewesen, die hat eine Stiefmutter

und auch eine Stiefschwester gehabt. Die Stiefmutter

ließ ihre rechte Tochter immer in schönen Kleidern

gehen und that ihr alles zu Willen; sie brauchte auch

gar nicht zu arbeiten; aber die Stieftochter mußte den

ganzen lieben Tag draußen am Brunnen sitzen und

Garn winden, daß ihr der Faden zuletzt die Finger ordentlich

blutig schnitt. Davon hatte sie aber wenig

Dank, mußte immer in lumpigem Zeuge gehen, und

ihre Stiefmutter sagte ihr nichts als böse Worte. So

saß sie auch mal wieder und wand und wand, und die

Hände wurden ihr zuletzt so lahm von allem wickeln,

 

daß ihr unversehends der dicke Knäuel in den Brunnen

sprang. Da kriegte sie große Angst, denn die böse

Stiefmutter hätte sie gewiß geschlagen, wenn sie den

Knäuel nicht wiederbrachte. Darum stieg sie in den

Brunnen hinab; der war wohl tief, aber ganz zerfallen

und kein Wasser mehr drinn.

Wie das Mädchen nun unten auf den Boden kam,

so war da eine ordentlich kleine Thür, die machte sie

auf und ging hindurch; da war alles frei und schön.

Dicht neben der Pforte lag auf einem Blocke ein großes

scharfes Beil und Holz dabei, das rief: »Hau mich

entzwei, hau mich entzwei!« Da nahm das Kind das

Beil und hackte das Holz. Als es das gethan, ging es

weiter und kam zu einem Backofen, drinnen rief das

Brot: »Zieh mich raus, zieh mich raus.« Da zog das

Kind das Brot aus dem Ofen, und als es nun weiter

ging, begegnete ihm eine Kuh, die rief: »Melk mich,

melk mich!« Das tat das Mädchen auch und ging weiter.

Nicht lange, so begegnete ihm eine Ziege, die rief:

»Melk mich, melk mich!« Als das Mädchen die auch

gemelkt hatte, ging es weiter und kam zuletzt an ein

Haus, davor saß eine alte Frau und spann und hatte

einen Hund und zwei Katzen bei sich. »Du mußt nun

bei mir bleiben,« sprach die Alte zu dem Kinde, »und

sollst es gut haben, wenn du alle Tage meinen Hund

und meine beiden Katzen ordentlich flöhen willst; und

dann habe ich da drei Stuben; zwei davon mußt du

jeden Morgen hübsch ausfegen, aber in die dritte

darfst du bei Leibe nicht gehen, sonst geht's dir

schlecht.«

Da ist denn das Mädchen bei der alten Frau geblieben,

hat den Katzen und dem Hunde alle Tage ordentlich

den Pelz besehen und auch die beiden Stuben gefegt;

aber in die dritte Stube ist es nicht hineingegangen.

Als nun der Sonntag herankam, zog die alte Frau

ihr Sonntagskleid an und sagte zu dem Kinde: »Ich

will jetzt zur Kirche, darum geh mir derweilen nicht

weg, sondern achte gehörig auf das Haus.« Damit ist

sie fort in die Kirche gegangen. Das Mädchen aber,

während es so ganz allein im Hause war, überkam

eine große Neugierde zu wissen, was die alte Frau

wohl in dem dritten Zimmer haben möchte; es ließ ihr

auch nicht eher Ruhe, bis sie das Zimmer aufgeschlossen

hatte. O Leute! Was war da für vieles Geld!

Ein Sack stand neben dem andern; hier Kupfergeld,

hier Silbergeld, da nichts als lauter Gold. Da raffte

das Mädchen schnell einen kleinen Sack voll Gold in

seine Schürze, sprang aus dem Hause und fort.

Zuerst begegnete ihm die Ziege, der rief es zu:

»Verrath mich nicht!« »Ich verrath dich nicht,« sagte

die Ziege; »aber lauf was du kannst.« Da kam es zu

der Kuh und rief wieder: »Verrath mich nicht!« »Ich

verrath dich nicht,« sagte die Kuh; »aber lauf was du

kannst!« Da lief das Mädchen weiter, so schnell es

nur konnte.

Mittlerweile war aber auch die alte Frau aus der

Kirche wieder nach Hause gekommen; als sie sah,

daß die dritte Stube offen und das Mädchen fort war,

sprang sie schnell hinaus und hinterher. Zuerst kam

sie zu der Ziege und fragte: »Ist hier nicht eben eine

kleine Dirne vorbeigelaufen?« »Ne!« sagte die Ziege;

»ich habe hier keine Dirne gesehen.« Da lief die Alte

weiter zu der Kuh und fragte wieder: »Ist hier nicht

eben eine kleine Dirne vorbeigelaufen?« »Nein!«

sagte die Kuh; »ich habe keine Dirne laufen sehen.«

Da ist die alte Frau wieder umgekehrt, denn sie hat

gemeint, das Mädchen müßte wohl einen andern Weg

gelaufen sein.

Das Mädchen ist aber glücklich durch den Brunnen

wieder heraufgekommen, ist zu seiner Stiefmutter und

seiner Stiefschwester gelaufen und hat ihnen das viele

Gold gezeigt und gesagt: »Seht! Das habe ich alles

von einer alten Frau gekriegt, die da unten im Brunnen

wohnt.« Wie das die Stiefschwester hörte, trieb

sie der Neid, daß sie auch alsbald in den Brunnen hinabstieg,

die alte Frau zu suchen, von welcher ihre

Schwester das Gold hatte. Sie fand unten auch die

kleine Thür, und als sie hindurchging, lag da der

Klotz mit dem großen Beil und Holz daneben, das

rief: »Hau mich entzwei, hau mich entzwei!« »Ich

will dir was flöten!« sagte das Mädchen, denn es war

ganz erschrecklich faul und mochte keine Arbeit tun.

Als es eine Strecke weiter gegangen war, kam es zu

einem Backofen, darinnen rief das Brot: »Zieh mich

raus, zieh mich raus!« »Ich will dir was flöten!« sagte

das Mädchen, und ging weiter. Mit dem, so begegnete

ihr eine Kuh, die rief: »Melk mich, melk mich!« »Ich

will dir was flöten!« sagte das Mädchen, und als es

nun weiterging, kam es zu einer Ziege, die rief auch:

»Melk mich, melk mich!« »Ich will dir was flöten!«

sagte das Mädchen wieder und ging ihres Weges. Zu-

letzt kam sie auch an das Haus, wo die Alte saß und

spann. »Du mußt nun bei mir bleiben,« sprach die

Alte, »und sollst es gut haben; aber jeden Tag mußt

du meinen Hund und meine beiden Katzen ordentlich

flöhen; und dann habe ich drei Stuben, davon mußt du

zwei jeden Morgen hübsch ausfegen, aber die dritte

darfst du ja nicht aufmachen, sonst geht es dir

schlecht.« Da ist denn das Mädchen bei der alten Frau

geblieben.

Den nächsten Sonntagmorgen, als es Zeit war in

die Kirche zu gehen, zog sich die Frau hübsch an,

nahm ihr Gesangbuch und sagte, als sie wegging:

»Ich will jetzt mal in die Kirche; darum so achte mir

ordentlich auf das Haus, bis ich wiederkomme.«

Damit ist sie fortgegangen. »Jetzt ist's Zeit!« dachte

das Mädchen; »nun sollst du doch mal zusehen, was

in der dritten Stube ist!« Und als es die aufmachte,

stand da ein Goldsack neben dem andern. Schnell

raffte es sich die Schürze voll Goldstücke und lief fort

aus dem Hause.

Mittlerweile war aber auch die alte Frau aus der

Kirche zurückgekommen. Als sie sah, daß die dritte

Stube offen und das Mädchen fort war, sprang sie

schnell hinaus und hinterher. Zuerst kam sie zu der

Ziege und fragte: »Ist hier nicht eben eine kleine

Dirne vorbeigelaufen?« »Ja wohl!« sagte die Ziege;

»da ist sie hingelaufen.« Dann kam die Frau zu der

Kuh und fragte wieder: »Ist hier nicht eben eine kleine

Dirne vorbeigelaufen?« »Ja wohl!« sagte die Kuh;

»dort hinten läuft sie noch.« Da hat sich die alte Frau

getummelt, was sie nur konnte, und gerade, als das

Mädchen durch die Brunnenthüre entspringen wollte,

faßte es die Alte bei den Haaren, nahm das große

Beil, was da lag, und hackte ihm damit den Kopf ab.

8. Die Zwerghütchen.

Mi is fär wisse un wohr vertellt, et härre sick täo edrägen,

ans en scheper des abends bi sinen schapen up'n

feele lag, dat dar dichte bi öhne herüm fine stimmen

wach wören, däi räipen äin na'n ander: »Smiet häutken

herut, smiet häutken herut!« »I!« dachte de scheper,

»dat schost du doch ok äis räopen«, un räip ok:

»Smiet häutken herut, smiet häutken herut!« Do antwore'ne

stimme ut der ere: »Is näine mehr, ans den

grotevaar sin häot?« »Is ok all gäot!« säe de scheper,

un kuum dat häi dat woord esegt harre, säo satt ok all

en häot up sinen koppe, un häi sach nu, dat rund

ümme öhne herüm viäle lütke twarge wören, de danzen,

süngen un sprüngen. »Juchhe, hochtit! Scheper

ga mee! wi willt üsch äis en recht lustigen abend maoken.

« Un do vertellen säi den scheper, dat säi in't

dörp na'r hochtit wollen un spreuken öhne täo, dat häi

ok mee gaen schölle, denn säo lange ans en jeder

sinen häot up'n koppe behäile, säo lange könne säi

näin minsche täo säin kriegen.

De scheper läit sick bekören un gung mee; un up

der hochtit dar wören säi alle recht lustig, drünken

win un äiten braen un dicken ries, säo viäl ans säi

man jümmer möchten. Ans de twarge nu genäog

egiäten un edrunken harren un weer na hus mössten,

häilen säi rat ünder sick, wo säi't wol up'n besten

anföngen, dat säi den scheper den häot weer afnäimen,

denn öhren grotevaar sinen häot dröften säi doch

nich in stiche laten. Nu was awerst de scheper säo

lang un groot tiägen de twarge, dat säi öhne gar nich

afrecken können, un mit goen den häot weer hergiäben

dat wolle häi ok nich. »Teuf! dachten do de

twarge; di will wi anföhren!« un bekören den scheper,

de ok all en lütken täo viäl harre, häi schölle sick spaosses

halber äis dä böxen los maoken un sick baben

den grooten riesnapp setten, de dar vär brut un

bröejam up'n dische stund. De scheper, de sick up

sine unsichtbarkeit verläit, döe dat ok; säo bolle

awerst, ans häi sick nu lütk un krumm maoke, sleugen

öhne de twarge sinen häot van'n koppe un läipen weg.

Dar satt nu de scheper up äis anse botter an der sünnen,

un en jeder äine was an't erste ganz verwundert

un röge sick nich. Dat dure awerst nich lange, do füngen

de fräonslüe luer täo juuchen an un de kerelslüe

haolen öhre witkedören stöcker ut der ecken un

swüngen den swiniägel foorts täo'r dönzen un darna

täo'n huse henut.

Die Zwerghütchen.

(Hochdeutsch.)

Als eines Abends ein Schäfer bei seiner Herde auf

dem Felde lag, sah er viele ganz kleine Zwerge, die

riefen in ein Erdloch hinein:

Smiet häutken herut,

und jeder kriegte ein Hütchen herausgeworfen, und

wenn er es aufsetzte, wurde er unsichtbar. Das gefiel

dem Schäfer. Er rief auch in das Loch:

Smiet häutken herut.

Da rief es von innen:

Is näine mehr

ans den grotevaar sin häot.

Aber der Schäfer antwortete:

Is ok all gäot.

Und das traf sich auch günstig, denn der größere Hut

war für den dicken Kopf des Schäfers grad passend.

Im Dorf war Hochzeit. Da gingen die Zwerge hin, und

der Schäfer ging mit, und weil sie keiner sehen konnte,

aßen und tranken sie, so viel sie nur wollten. Nun

hätten die Zwerge ihrem Großvater seinen Hut dem

Schäfer gern wieder abgenommen. Sie konnten nur

nicht dran reichen. Da beredeten sie den Schäfer, er

sollte sich doch über die große Schale mit Reisbrei,

die auf dem Tische stand, zum Spaß mal in die Hurke

setzen, und wie er das tat und sich klein machte,

schnupp, rissen ihm die Zwerge den Hut weg, so daß

er plötzlich dasaß in seiner Blöße vor den Augen der

Hochzeitsgäste. Und so'ne Tracht Schläge, wie da,

meinte der Schäfer, hätt er vorher noch nie gekriegt.

9. Königin Isabelle.

Es hatte ein armer Mann einen einzigen Acker; da

kamen die großen reichen Bauern daher, fragten nicht

lange, sondern bauten auf des armen Mannes Acker

einen langen Schafstall. Alle Einreden waren vergeblich,

so daß der Mann mit seiner Klage endlich vor

den König ging. »Gib dich nur zufrieden,« sprach der

König; »ich will dir einen andern Acker geben.« Das

that er auch.

Wie nun der Mann daran ging, ihn zu bestellen,

grub er aus der Erde heraus einen goldenen Mörserkolben,

aber den Mörser dazu konnte er nicht finden,

so viel er auch suchen mochte. Da sprach er zu seiner

Tochter, die hieß Isabelle: »Isabelle«, sprach er, »der

König hat uns doch das Land geschenkt, nun will ich

ihm auch den goldenen Kolben schenken, den ich in

dem Lande gefunden habe.« Darauf entgegnete Isabelle:

»Ich rath Euch, Vater, laßt das lieber sein; denn