Auf die Dämmerung folgt die Finsternis

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Auf die Dämmerung folgt die Finsternis
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Wieland Becker





AUF DIE DÄMMERUNG  FOLGT DIE FINSTERNIS





1945 – 2016



Die Welt auf einem Weg ohne Zukunft



Engelsdorfer Verlag



Leipzig



2016





Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:



Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der



Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im



Internet über

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 abrufbar.



Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig



Alle Rechte beim Autor



Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)





www.engelsdorfer-verlag.de







Wenn Wissen mächtig würde,



könnte es die Welt zum Besseren verändern



für André Brie






Inhaltsübersicht







Cover







Titel







Impressum







Zitat









I. Momente des Nachdenkens











II. Vorbemerkungen











III. Exkurs zur Welt-Ordnung von 1945 bis heute









III.1. Von der Nachkriegsordnung zum „Kalten Krieg“







III.2 Zwischen Konfrontation und Koexistenz







III.3. 1989 – die unerwartete Transformation







III.4. Das neoliberale Wunderwerk bis zur globalen Finanzkrise 2008







III.5. Globale Krisen und ungelöste Konflikte









IV. Deutsch-deutsche Kontraste 1945 – 90 und ihr Fortbestehen bis heute









IV.1. Zwei Weltmächte und zwei deutsche Staaten







IV.2. Die Bundesrepublik – Wege zur Demokratie und braune Vergangenheit







IV.3. Die DDR und der Aufbau des Sozialismus – ein Versuch und dessen Scheitern







IV.4. Das vereinte Deutschland auf dem Weg ins neue Jahrtausend









V. Neoliberalismus, Demokratie und Menschenbild









V.1. Das System Neoliberalismus und seine Kritiker







V. 2. Über den sozialen und politischen Strukturwandel und dessen Folgen







V. 3. Konstruktion oder Dekonstruktion des Menschenbildes?







V.4. Deutsche Medien zwischen Pathos und Banalität









VI. Zum alten neuen „Überbau“ neoliberaler Weltsicht









VI.1.Die atlantische Wertegemeinschaft







VI.2. Zurück ins „christlichen Abendland“







VI.3. 2016 – sieben Monate im Krisenmodus









VII. Bilanz und Ausblick











VIII. Ergänzende Literaturhinweise











IX. Hinweise zu Autoren











Endnoten











I. Momente des Nachdenkens





Wenn vom Vereinten Europa in politischen Erklärungen oder medialen Betrachtungen die Rede ist, lese oder höre ich vom Euro, von Wirtschaft, Sicherheit, Abschreckung, Krisen und Nationalismus u. a., aber so gut wie nichts von Kultur und Kunst. Es gab Zeiten, an die ich mich noch gut erinnere, da galten auf der einen Seite Kunst und Kultur als identitätsprägend gerade in ihrer Vielgestaltigkeit, aber auch in ihren nationalen und internationalen Wirkungsmöglichkeiten im freien Austausch von Gedanken, Ideen, Hoffnungen und Enttäuschungen. Gerade in den Zeiten des Kalten Krieges konnten – allen Sanktionen oder Pressionen zum Trotz – die politischen Grenzen überwunden werden. Es sagt aus meiner Sicht viel über den Zustand des europäischen Projekts aus, auch wenn ich weiß, dass es viele Initiativen an der Basis und einige Events gibt, Austausch von Schülern und Jugendlichen, ebenso wie Verlage, die weltoffen Bücher von Autoren aus aller Welt verlegen. Aber das reicht nicht aus. Besonders deshalb nicht, weil es die eigentlich überflüssige Debatte über die „Deutsche Leitkultur“ eine nationalistische Gesinnung offenbart, der dem regionalen wie dem universellen Charakter der deutschen Kulturlandschaft widerspricht, sondern die Kultur zu einem Leitinstrument machen will. Mal abgesehen davon, dass Kultur ungeeignet ist, geistig-kulturelle Entwicklungen leiten zu können. Leitungsfunktionen gehören zur Politik und wenn sie auf ein anderes Nationalgefühl aus ist, dann muss die es selbst schaffen. Kultur kann dafür nicht in die Pflicht genommen werden.



Es ist seit grauen Vorzeiten ein ewiger Streit um den angeblichen Gegensatz von Kunst und Unterhaltung – zwischen hohem Anspruch und trister Trivialität. Dem entgegen zu stellen ist, dass Kunst unterhalten will und kann und Unterhaltung anspruchsvoll zu sein vermag. Es ist noch nicht lange her, als ich mir mal wieder die Programme von über 50 deutschsprachigen TV-Sendern betrachtete. Deutschsprachig sind sie natürlich alle, ihre Programme sind ein „Mix“ deutscher und amerikanischer (synchronisierter) Filme und Serien, die offensichtlich die einzigen „Produkte“, die würdig sind, dem Zuseher präsentiert zu werden. Gelegentlich sind auch britische, kanadische oder französische Filme oder Serien im Angebot. Im Kino sieht nicht anders aus, auch wenn kommunale Kinos und Spielstätten oder Programmkinos ein alternatives Angebot präsentieren. Mit Blick auf den Film der europäischen Länder, kommt man zur Erkenntnis, dass offensichtlich der einstige „Eisernen Vorhang“ noch immer existiert. Exemplarisch dafür steht zum einen die Entsorgung der Filmgeschichte von den Filmen der östlichen Hemisphäre, vom Werk Andrej Tarkowskis oder Larissa Schepitkos, „einstmals“ zwei sowjetische Regisseure von Weltbedeutung, gleichermaßen gilt das für drei der international wichtigsten polnische Künstler Andrzej Wajda, Andrzej Munk und Krzystof Kieslowski, und so kann es nicht mehr verwundern, dass selbst ein in Ost und West weithin bekannter ungarischer Regisseur wie István Szabó keiner Erwähnung wert ist. Gut, man kann sich gut dahinter „verschanzen“, dass Film halt vor allem eine Art Wirtschaftsgut darstellt, das sich rechnen oder Quoten bringen muss. Wechselt man in die Literatur dürfte die Bilanz kaum weniger einseitig ausfallen. Betrachtet man die aberhundert tagtäglichen Sendeplätze der Sender, die mit hunderten miserablen Filmen made in USA bestückt werden, darf man fragen, ob es wirklich unmöglich sein soll, einen bescheidenen Beitrag zur Präsentation des Films der Mitglieds-Staaten der EU zu leisten. Schließlich preisen diese Medien das offenkundig kulturfreie aber wunderbare Werk der europäischen Gemeinschaft. Nicht dass ich wirklich überrascht war, schließlich habe ich die Erfahrung, wie man – ungewollt – zum „Weltenwanderer“ werden kann, als ich – ohne mich selbst bewegen zu müssen – von der östlichen in die westliche Welt „gewandert“ wurde. Unbestreitbar deshalb, weil die östliche Welt in sich zusammengebrochen war, das einmalige aber auch zugleich wirklich letzte Verdienst ihrer politischen Führungen. Aber deshalb Kunst und Kultur einer ganzen Epoche zu entsorgen und weiterhin zu ignorieren?



Dass die erwähnte Überraschung derart gering war, ergab sich aus einer anderen nachhaltiger Erfahrung: Eine der hervorstechenden Eigenheiten dieser westlichen Welt ist, dass sie sich in Permanenz vor allem mit sich selbst beschäftigt und sich in der Regel gleichermaßen feiert. Deshalb fehlt es an Interesse an Kunst und Kultur anderer Regionen. Ebenso ist sie weder willens noch fähig, die ungeheuer groß Not der Welt

und

 deren Ursachen zu sehen. Nicht etwa weil sie mit Blindheit geschlagen ist, sondern weil sie diese Not und ihre Ursachen – sehend – nicht wahrnimmt. Es ist übrigens völlig gleichgültig, ob Arroganz und/oder Ignoranz die Gründe dafür sind. Aber schon immer galt die „Formel“: Wer ein politisches bzw. gesellschaftliches System für vollkommen hält, befindet sich schon längst im Niedergang. Eine Erkenntnis, die 1989 mit dem Ende der sozialistischen Staaten ihre bislang letzte Bestätigung erfuhr.

 



Angesichts dieser „triumphalen“ Selbstgefälligkeit der westlichen Demokratien und dem fatalen Fehlen an Vorstellungen zu Zukunfts-Aufgaben und –Planungen von einer friedlicheren und gerechteren Welt, konnte der Titel dieses Buches nicht anders lauten, als „Auf die Dämmerung folgt die Finsternis“ (wobei ich um Verständnis bitte, dass dieser auf mein früheres, weithin unbekanntes Buch „Abenddämmerung im Westen“ Bezug nimmt). Es wäre auch wichtig, sich an die Erkenntnis „Wer kein woher hat, hat kein wohin“ zu erinnern. Die nicht zuletzt darauf aufmerksam macht, dass jede Analyse der Gegenwart ohne die Verknüpfung mit vergangenen Ereignissen und Erfahrungen unzulänglich bzw. unbrauchbar ist, gerade wenn es um die zukünftigen Wege geht. Deshalb müsste die Geschichte der Jahrzehnte nach dem Ende des II. Weltkrieges und nach dem Ende der Konfrontation der zwei dominierenden Machtblöcke endlich frei von allen Vorurteilen, die in der einstigen „bipolaren“ Welt meinungsbildend waren, aufgearbeitet werden. Mit dieser Arbeit soll dazu ein Beitrag geleistet werden. Es erscheint mir aber ein eigentlich aussichtsloses Unterfangen zu sein, nach der dramatischen, gewaltfrei herbeigeführten Wende von 1989 zu erklären versuchen, warum man – also auch ich – im Projekt Sozialismus lange Zeit einen Weg in eine bessere Zukunft sah. Trotzdem muss es versucht werden, darüber zu berichten, welche Gründe es dafür gab. Sicher erkannte man früher oder später, dass die gesellschaftlichen Entwicklungen zur Deformation der ursprünglichen Idee geführt haben. Die eigenen Hoffnungen auf eine „Wende“ hin zur Besinnung auf einen „Sozialismus mit menschlichen Antlitz“ ging irgendwann endgültig verloren. Ob die Idee selbst gescheitert ist, bleibt trotz aller Zweifel offen. Sicher war und ist dagegen, dass sie auf unabsehbare Zeit bedeutungslos als alternative Zukunfts-Gestaltung geworden ist.



Da es inzwischen „Pflicht“ geworden ist, jeden, der es „wagt“, die USA grundsätzlich zu kritisieren, Antiamerikanismus zu unterstellen, versichere ich freiwillig, dass die USA das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ war und ist, das beispielhaft für den technischen Fortschritt steht, herausragende Wissenschaftler, Politiker, Künstler hervorgebracht hat, also ein Land ist, dass Kritik nicht zu fürchten braucht.







II. Vorbemerkungen





In fernen Zeiten galt es Bericht zu geben, von großen Mächten, von wackeren Helden und erschütternden Ereignissen – in Erzählungen, Heldenliedern, Sagen oder Legenden. Aus diesen erfuhren die Nachkommenden vom Kampf des Guten gegen das Böse, von den einsamen Streitern für Gerechtigkeit, von Liebe und Tod, von Treue und Verrat, von Widerstand und Intrigen. Nicht immer siegte das Gute oder der selbstlose Streiter für Gerechtigkeit, ebenso oft triumphierte das Böse. Selten waren die Gesänge über den Alltag der einfachen, zumeist armen Menschen, die keinen Platz an der Tafel der Reichen hatten, aber ihr Leben lang hart arbeiten mussten. Die Vorfahren derer also, die auch heute ihr Brot mit all ihren Kräften verdienen müssen. Auch wenn der Fortschritt längst die Welt zum Besseren umgestaltet haben soll, betrifft das in Wahrheit nur einen kleinen Teil der Menschen. Der größere Teil lebt in Verhältnissen, die der Fortschritt bis heute nicht erreicht hat, auch wenn er als Hightech-Bohrturm oder als monströses Hochhaus neben den Hütten der einfachen, armen Leute steht. Anstelle der „analogen“ ist die „digitalisierte“ Welt getreten; gepriesen schlechthin als die „Informationsgesellschaft“ – in der tatsächlich Informationen in nicht mehr vorstellbaren Unmaß zur Verfügung stehen. Ob die Menschheit wirklich besser informiert ist, erscheint allerdings immer unwahrscheinlicher. Anstelle eines differenzierenden Wissens, das aus Meinungen und Gegenmeinungen gebildet wird, ist ein einseitiges, reduziertes Konglomerat von Kenntnissen getreten, wo nur noch nach dem gesucht wird, was diese Kenntnisse bestätigt. Oder nach einem Glauben, einer Religion, die die Vielfalt der Informationen „ordnet“. Wenn dazu noch „gepredigt“ wird, dass „die Zukunft schon heute“ sei, dann zählt die Zukunft in Wahrheit gar nichts mehr. Alles bleibt, wie es ist, wenn es nicht noch schlechter kommt…



Vergessen sind die einstigen großen Versprechungen auf eine bessere, vor allem gerechtere Welt aus den Frühzeiten des Christentums, des Bürgertums mit „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ und des ursprünglichen Kommunismus, der gleiche Rechte und Pflichten in Sinne einer neuen Gerechtigkeit erkämpfen wollte. Am Ende zählte immer aufs Neue allein die Macht der wenigen über die vielen.



Inzwischen scheint der globale Wandel von 1989 irgendwie ziemlich lange her zu sein. Immer weniger Erdbewohner können oder wollen sich noch erinnern, dass sie in einer bipolaren Weltordnung gelebt haben. Auf der einen Seite die westliche kapitalistische Welt, die ihre alleinige Führungsrolle durchsetzen wollte und sich auf Demokratie, Menschenrechte und vor allem auf die Freiheit berief, auf der anderen die östliche sozialistische Welt, die sich auf die Idee einer gerechten Welt – in der die Arbeitenden herrschten – berief. Diese beiden Lager setzen oft auf Konfrontation gelegentlich auf Koexistenz – die Gefahr eines dritten nuklearen Weltkriegs war latent. Auch wenn dieser ausblieb, war die Zeit mit beiden Systemen alles andere als friedlich. Vor allem das westliche System war stetig bereit, für seine Interessen auch auf das Militär zu setzen. Es kam auf fast allen Kontinenten zu mörderischen Bürgerkriegen, Militärputschen, Aufständen… Das östliche System galt für seine „Herrscher“ als das Modell, dem allein die Zukunft gehörte und deshalb gültig für die gesamte Welt wäre. Trotzdem oder deshalb waren sie unfähig zu erkenne, dass ihre Welt sich wirtschaftlich im Niedergang befand, immer weiter erstarrte und verkrustete, während sich das eigene Volk erst abwandte und sich schließlich erhob, um ihre Herrschaft mit dem Jahr 1989 zu beenden. Kein Zweifel, selbst der Westen hatte nicht damit gerechnet. Aber die herrschenden Eliten nahmen gern zur Kenntnis, dass ihr größter Gegner sich in Nichts auflöste. Sie sonnten sich in dem Gedanken, dass sie endlich allein über den Erdball herrschten. Dass damit eben auch eine weitaus höhere globale Verantwortung verbunden war, fand in den strategischen Planspielen der politischen Führungen keinen Raum. Den einstig Entwurf einer sozialen Marktwirtschaft war schon vor dem Jahr 1989 durch einen Paradigmenwechsel zur uneingeschränkten Freiheit der Märkte aus der Welt geschafft mit Wesenskern und Triebkraft des ordinären Kapitalismus, dem Streben nach maximalem Profit, lange, bevor das neue Jahrtausend begann.



Der große Entwurf des neuen Weltbildes westlicher Strategen orientierte sich zweifellos am Aufbau des Universums. Die westliche Welt war also die neue „Sonne“, um die sich die anderen Staaten als Satelliten bewegten. Den Denkern war natürlich klar, dass sich ein Teil dieser Satelliten auf einer von der „Sonne“ eingeforderten Bahn bewegte, andere dagegen nicht. Es gab also viel zu tun, um diesen mit allen Mitteln klar zu machen, dass sie sich der „Sonne“ zu unterwerfen hätten. Mit dem neuen Jahrtausend sah sich – unerwartet – das westliche Weltbild ernsthaft infrage gestellt, als zwei übergroße „Gestirne“ zurückkehrten und anfingen, sich auf den Weg ins „Zentrum“ zu machen, um die Geschicke der Welt entschieden mitzubestimmen. Da war die Empörung riesig, und fast umgehend fiel der Westen zurück in das gerade überwundene alte Denken der Ost-West-Konfrontation. Zuvor erbrachte die „Disziplinierung“ von widerspenstigen vor allem islamischer Staaten bereits ein neues offenkundig notwendiges Feindbild. Ein Feindbild, was immer dann ins Feld geführt wird, wenn Demokraten und Menschenrechtsschützer ihre Forderungen mit Waffengewalt durchzusetzen willens sind.



Aus der universellen „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ die 1948 verkündet wurde, wurden die Menschenrechte zu einem Privileg der westlichen Welt erhoben. Das Bekenntnis, alleiniger Wahrer der Menschenrechte zu sein, führte zur Postulierung einer moralischen und kulturellen Überlegenheit gegenüber allen anderen, die im krassen Gegensatz zur ursprünglichen Universalität steht. Vielleicht wäre es hier sinnvoll, auf einen „Dualismus“ hinzuweisen, dass es nicht allein um Menschenrechte, sondern gleichermaßen um Menschenpflichten gehen müsste. Wenn ein Mensch oder gar eine Gesellschaft das Recht auf Toleranz einfordert, dann sollte für dieselben auch die Pflicht zur Toleranz verbindlich sein. Wer – wie die westliche Welt – von anderen die Einhaltung der Menschenrechte verlangt, sollte eigentlich beispielhaft sein. Entgegen aller Deklarationen, blieb die westliche Welt den Beweis dafür oft mehr als schuldig.



Die Eskalation militärischer und paramilitärischer Gewalt im Namen von Demokratie und Freiheit mit ihren verheerenden Konsequenzen war und ist kein Thema kritischer oder selbstkritischer Analysen der westlichen Eliten in Politik, Wirtschaft und Publizistik. Aber genau das ist ein schwerwiegendes Symptom eines systemischen Niedergangs, ganz abgesehen von der Frage, welche existenzbedrohenden Lasten den anderen Ländern der Welt aufgezwungen wurden. Und letztlich bleibt die Frage aller Fragen: Gab es wirklich nur diesen Weg in eine westlich dominierte unipolare Welt?



Zwei Hinweise zum folgenden Text sind an dieser Stelle angebracht: Wie man so schön sagt, folgen die Darstellungen in den einzelnen Abschnitten im Prinzip der Chronologie der Ereignisse mit unregelmäßigen Ausnahmen, wenn diese über erheblich längere Zeiträume andauerten.



Als zweiter Hinweis muss hier notiert werden. Ein neues Zitatenrecht fordert bei längeren Zitaten die Genehmigung von Verlagen bzw. Urhebern. Bei Nichtbeachtung kann geklagt werden. Der Sinn dieser Regelung erscheint dunkel, schafft aber Raum für eine neue Art „Zensur“. Wer „Belege“ für Kritik an seinen Äußerungen verhindern will, hat nun alle Möglichkeiten. Der Autor sieht sich deshalb gezwungen, anstelle von Zitaten, die in der Fußnote zu belegen wären, „indirekt“ den Autor zu Wort kommen zu lassen, den er eigentlich lieber wörtlich zitiert hätte.








III. Exkurs zur Welt-Ordnung von 1945 bis heute



III.1. Von der Nachkriegsordnung zum „Kalten Krieg“



Mit dem Ende des II. Weltkrieges begann eine globale Neuordnung, die in den folgenden Jahrzehnten die Welt auf fast allen Kontinenten radikal veränderte. Unter dem Diktat Stalins entstand der sozialistische Machtblock, in China besiegten die Kommunisten unter Mao Tse Dong die herrschenden Kuomintang, die – geführt von Chian Kai-chek – auf Taiwan die Republik China errichteten, und mit der Unabhängigkeit Indiens und Pakistans begann das Ende direkter kolonialer Herrschaft. Die Sowjetunion wurde zur zweiten Groß- und Atommacht. Die alliierten Besatzungsmächte entwickelten sich zu politischen Kontrahenten, die mit ihrer Konfrontation die Welt dominierten. 1949 führte das zur Teilung Deutschlands – die Bundesrepublik wurde nach dem 7. September Teil des westlichen, die DDR nach dem 7.10. Teil des östlichen Bündnisses.



Mein Gott, werden jetzt viele sagen, muss das denn wirklich noch sein? Es ist doch schon ewig her. Ganz abgesehen davon, dass diese Ewigkeit relativ ist (schließlich gibt noch viele Menschen, die sich noch an die Jahre des Krieges erinnern können), ist es gerade heute zwingend notwendig, sich auf die vergangenen globalen Entwicklungen und Konflikte zu besinnen, wenn es um die Analyse der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse nach der Jahrtausendwende geht. Also auch um die Ursachen, Hintergründe und Auswirkungen von richtigen Entscheidungen und Fehlentscheidungen. Und niemand kann ernsthaft bestreiten, dass die globalen und regionalen Konflikte und Spannungen seit dem Jahr 2000 immens und bedrohlich zugenommen haben. Woran also sollte man sich erinnern, um die Welt von heute in ihren komplexen Entwicklungsprozessen und Konflikten umfassender zu verstehen?



Der „Eiserne Vorhang“



Als Winston Churchill sich nach seiner Wahlniederlage 1945 darauf besann, dass er überzeugter Antikommunist war, nutzte er die Gunst der Tatsache, nicht mehr Staatsmann zu sein, zu seiner Rede im amerikanischen Fulton, um vom „Eisernen Vorhang“ zu sprechen, der Europa teilte. Er formulierte mit aller Schärfe eine grundsätzliche Kritik an die Adresse Stalins und der Sowjetunion, da diese in den von der „Roten Armee“ befreiten Ländern die Macht an die jeweiligen kommunistischen Parteien übergab, die Stalin weiter unter totaler Kontrolle hielt. Den „Eisernen Vorhang“ sah Churchill als Abschirmung der östlichen Staaten gegenüber den westlichen Staaten Europas. Es war auch und nicht zuletzt die Ankündigung, dass die westliche Welt es sich zur Aufgabe machen würde, diese Teilung des Kontinents zu überwinden. Dafür gründeten die Westmächte 1949 mit der NATO ihr Militärbündnis.

 



Der Westen präsentierte sich als die „Freie Welt“, der Osten wollte als das „Land der Werktätigen“ gesehen werden – die Polemik beider Systeme war von erbitterter Einseitigkeit. Wechselseitige Spionage gehörte zum festen Arsenal der Auseinandersetzungen und Konfrontationen, es wurde mit Macht aufgerüstet und als die Sowjetunion die erste Atombombe zündete, wurde die nukleare Hochrüstung zum bedrohlichsten Faktor im „Kalten Krieg“, auch wenn sie „nur“ zur Abschreckung genutzt wurde.



Mit Berlinblockade und „Luftbrücke“ wird die Konfrontation der beiden künftigen deutschen Staaten auch auf militärischem Gebiet eröffnet. Und 1950 beginnt mit dem Einfall der kommunistischen nordkoreanischen Streitkräfte in Südkorea, der erste Krieg unter Beteiligung US-Amerikanischer Streitkräfte auf Grundlage eines UN-Mandats. Der Koreakrieg konnte erst nach drei Jahren beendet werden, nachdem die südkoreanischen und US-Armeen weit in den Norden vorgedrungen waren und diese durch das Eingreifen chinesischer Streitkräfte wieder zurückgedrängt worden waren. Am Ende war der 38. Breitengrad wie zuvor die Trennlinie. Aber dieser Krieg war der wohl erste, in dem die Zahl der getöteten Zivilisten weit über der Zahl der gefallenen Soldaten lag. In der westlichen Welt wurde weitestgehend tabuisiert, dass die US-Air Force mit pausenlosen verheerenden Bomben- und Napalm-Angriffen Nordkorea zerstörte, wobei jeder vierte nordkoreanische Zivilist ums Leben gekommen sein soll. Soweit einige Momentaufnahmen zu Ereignissen zwischen 1946 und 1953. Im Folgenden geht es die dominanten politisch-militärischen Positionen der US-Regierung, die für die westliche Welt generell verbindlich waren.



Auch die USA machen mobil



1953, am Ende seiner Amtszeit als Präsident hielt Harry S. Truman seine letzte Grundsatzrede, in der er die kommunistischen Herrscher beschuldigte, „ihre Grenzen ihrer Welt, wann immer und wo immer sie können, weiter hinauszuschieben.“

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 Ausführlich wurden im Folgenden Probleme der Atomenergie und atomaren Bewaffnung und deren Kontrolle thematisiert. Angesichts des Umstandes, dass inzwischen auch die UdSSR Atommacht geworden war, beschwor Truman auch hier die Gefahr für die westliche Welt und plädierte für eine internationale Kontrolle, die natürlich von der Sowjetunion, obwohl „sie nur Gutes für die Menschheit bedeutet haben würde“, zurückgewiesen wurden. Die Rauchpilze von Hiroshima am 6. August und Nagasaki

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 am 9. August 1945 waren nach Truman geradezu winzig angesichts der Zerstörungskraft der neuen Atombomben. Die 300.000 toten Zivilisten waren keiner Erwähnung wert. Bis heute folgt die offiziöse westliche Welt jener Legende, mit der die Zerstörung der beiden japanischen Städte „begründet“ wird: Ihr Einsatz sei zwingend notwendig gewesen, um Japan zur Kapitulation zu zwingen. Ansonsten hätte der Krieg im Pazifik noch Monate oder Jahre angedauert und hätte Millionen Soldaten das Leben gekostet. Diese Erklärung ist angesichts der Übermacht der US-Army vor den Toren Japans zum einen mehr als fragwürdig und sie ignoriert zudem standhaft, dass die Sowjetunion am 8. August 1945 Japan nicht nur den Krieg erklärt hatte, sondern auch, dass Rote Armee umgehend in die besetzte Mandschurei in Marsch gesetzt hatte, womit die Übermacht der Alliierten nochmals vergrößert wurde. Dass Japan bereits das Kriegsende vor Augen sah, belegt der später bekannt gewordene Umstand, dass im höchsten militärischen Gremium Japans bereits vier von acht Mitgliedern für die Kapitulation votiert hatten. Schließlich entschied der Tenno sich für eine Kapitulation, die am 15. August 45 erfolgte. Vor allem aber war es eine zynische „Rechnung“, 300.000 Zivilisten umzubringen, um die eigenen Verluste gering zu halten

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. Es geht hier nicht allein um ein historisch einmaliges Ereignis. Seither hat sich – gerade in Kriegen mit US-amerikanischer „Beteiligung“ – das Verhältnis von toten Soldaten zu toten Zivilisten immer weiter dahin entwickelt, dass inzwischen auf 1 gefallenen Soldaten bis zu 15 tote Zivilisten kommen.



Vom westlichen Standpunkt aus betrachtet konnte man sich glücklich schätzen, da es nun auch bei den Atomwaffen galt, zwischen den „guten“ Waffen des Westens und den „bösen“ des Ostens zu unterscheiden. Und das funktioniert bekanntlich heute noch.



Der 1953 neu gewählte Präsident Dwight Eisenhower, führender General im II. Weltkrieg, ernannte John Foster Dulles zum Außenminister. Bereits wenige Tage nach seinem Amtsantritt wandte dieser sich mit einer außenpolitischen Erklärung an die Öffentlichkeit. Grundthema dieser Rede war die äußere und innere Bedrohung der Welt durch den Kommunismus, mit der Formulierung, „daß die Bedrohung einen todernsten Charakter hat“ und, unter Berufung auf Eisenhower, „daß die Vereinigten Staaten in größerer Gefahr schweben als jemals zuvor in ihrer Geschichte.“

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Die Kommunistische Partei der USA wurde –und das ist nur ein Resultat der „Hexenjagd“ des Senators McCarthy – als Teil einer gewaltigen Verschwörung ausgemacht, durch die die Regierung der USA gewaltsam gestürzt werden solle.



Dulles versprach tatsächlich, dass die USA der sowjetischen Einkreisungsstrategie niemals mit einem Krieg entgegentreten würden und sah die Aufgabe der US-Außenpolitik darin, „bei anderen Völkern eine solche Liebe zur Freiheit und eine derartige Achtung vor ihr zu erwecken, daß sie vom Despotismus, von der totalitären Diktatur der kommunistischen Welt niemals durchdrungen und absorbiert werden können.“

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Dulles hintergründiges Szenario suggeriert, dass die sowjetischen Armeen eigentlich an der Südgrenze der USA stünden und eine starke, bewaffnete Gruppe von amerikanischen Kommunisten den Sturm auf das „Capitol“ vorbereiten würde. Mit dieser „These“ wurde über Jahrzehnte die Außen- und Militärpolitik der USA begründet.



Die neuen alten Feindbilder



Dass Dulles für seine Beurteilung des Kommunismus als größter Bedrohung der USA gewichtige Gründe anführen konnte, kann nicht ernsthaft angezweifelt werden. Schließlich war es das Ziel der kommunistischen Weltbewegung, die herrschende Klasse der Kapitalisten nicht nur zu stürzen, sondern auch zu enteignen. Die kommunistische Weltanschauung war materialistisch, d. h. prinzipiell antireligiös. Dass die kommunistische Welt nach dem II. Weltkrieg größer geworden war, ist die eine Seite. Die andere ergibt sich aus der kommunistischen Projektion einer Weltrevolution, die sich darauf stützen konnte, dass es in der Mehrzahl auch der Länder der westlichen Hemisphäre kommunistische Parteien gab. Dass sich in Europa mit den Volksdemokratien unter Stalins Diktat ein verändertes Kräfteverhältnis ergeben hatte, ändert aber nichts daran, dass sich das östliche Bündnis in gleicher Weise bedroht fühlte, wie die andere Seite. Die nachhaltigsten Verluste entstanden für die westliche Welt eindeutig im asiatischen Raum – China wurde kommunistisch, Indien errang die Unabhängigkeit, die Franzosen standen vor der endgültigen Niederlage in Indochina, Indonesien war auf dem Weg zur kommunistischen Herrschaft

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 usw. usf. Trotz kommunistischer Rhetorik, die das baldige Ende des Imperialismus beschwor, wirkt es zumindest merkwürdig, wie „klein“ sich die USA angesichts ihrer immensen militärischen und wirtschaftlichen Stärke in Dulles Darstellung macht. Ein großer Staat, der auch noch im Westen und Osten von zwei Ozeanen geschützt und nahezu unangreifbar war. Aber offenkundig glaubten Administration und Öffentlichkeit wie die Verbündeten in Europa diese „Erzählung“ von der kommunistischen Gefahr. Um diese abzuwehren, ging man dazu über, vor allem in Lateinamerika, dessen Länder weitgehend von US-Konzernen wirtschaftlich dominiert wurden, auf Kräfte zu setzen, die als militante Antikommunisten die absolute Gewähr für die Sicherung US-amerikanischer Interessen in ihren Ländern boten. Es war der antikommunistischen Doktrin geschuldet.