Truski - das Römermädchen vom Reitstein

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Truski - das Römermädchen vom Reitstein
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Werner Siegert

Truski - das Römermädchen vom Reitstein

Kriminal-Satire

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Inhaltsverzeichnis

Titel

P R O L O G

DIE SUCHE NACH DEM HANDABMÖRDER

Die Hand aus der Römerkiste

Knochen, nichts als Knochen!

Hände! Hände!

Schlag-Zeilen

Für 1000 Silberlinge

Elsterhorst in der Krise

Alles Grusel oder was?

Der Rat der Sphinx

Klassentreffen

EINE TRUSKI ?

Da oben liegt einer ....

Eine Sensation? Eine Sensation!

Das Römermädchen vom Tegernsee

Gezwitscher, Gezwitscher

Gibt es jetzt Tote?

Kopflos

Waidmannsheil!

Im Zweifel für Truski

Truski - der Hype!

Ehering sorgt für Verwirrung

EINE BEICHTE

Eine Beichte

Welch’ ein Schrecken!

Aus Neu mach Alt!

Mit dem Surfbrett in die Berge

E P I L O G

Notabene:

Übrigens …

Spurlos ....

Der Fluch der Etrusker

Die Tote an der Rosenbank

Endlich im Knast!

Der Tote, der vom Himmel fiel

Zu den Autoren:

Impressum

P R O L O G

Wären die Barbaren aus dem Norden ca. 450 n.Chr. nicht über die römische Provinz Raetia Secunda mit der Hauptstadt Augusta Vindelica hergefallen, könnten sich die Bewohner Oberbayerns heute vielleicht mit Recht als stolze Römer fühlen und den Latte Macchiato in ihrer Landessprache bestellen.

Sonnige Tage erwecken vor allem bei den Münchnern das Gefühl, in der nördlichsten Stadt von Bella Italia zu wohnen. Obwohl: München gab es damals noch nicht. Böswillige, neidische Zungen verbreiten immer mal wieder die Mär, in dieser von Föhn und Hagel heimgesuchten Gegend hätten nur die Fußkranken der Völkerwanderung gesiedelt, die an der Überschreitung der Alpen gescheitert seien. Am Schwarzen Brett der Universität prangt immer mal wieder ein Schild:

Weg mit den Alpen! Wir fordern freien Blick zum Mittelmeer!

Gelegentlich werden die Bayern sehr konkret an die Zeit römischer Kultur und Besiedlung erinnert. Bei der Anlage eines Spargelfeldes stößt man schon mal auf 120 phantastische Kunstwerke aus Silber und Bronze - wie in Weißenburg - von den vieltausendfachen Zeugnissen römischer Wohnkultur südlich des Limes zwischen Rhein, Inn und Salzach ganz abgesehen.

Mit römischen Relikten ganz anderer Art müssen sich die Kriminal-Kommissare Maurice Elsterhorst und Lothar Velmond im Gesamtkomplex „Truski und andere Knochen“ auseinandersetzen.

Etwa zeitgleich werden sie wider Willen in zwei ominöse Fälle hineingezogen .... na ja, lesen Sie selbst!

Erster Teil

DIE SUCHE NACH DEM HANDABMÖRDER

Die Hand aus der Römerkiste

Kommissar Maurice Elsterhorst liebte es, gelegentlich über alte Friedhöfe zu schlendern. Einerseits wirkten all diese Grabkreuze und vermoosten Engelsgestalten wie ein schwarzes Passe-partout, vor dem sich seine Lebendigkeit heller abhob als draußen in der Grauwelt seines Berufes. Auch dachte er sich: Die, die hier liegen, von denen kann keine Gefahr mehr ausgehen. Und: Sie haben’s geschafft. Kein Ärger mehr mit dem Finanzamt, mit den Banken, mit den Erben. Wer früher stirbt, spart halt sehr viel Geld. Da haben die Nachkommen schon mal trickreich nachgeholfen. Keine Probleme mehr mit ihrem Nachlass, mit dem alten Geraffel, mit den Büchern, die keiner mehr haben will, mit Akten und Briefschaften. Allzuviele Lebendige schlagen sich indes die Köpfe ein und sorgen bei der Mordkommission II für grässliche Arbeit.

Andererseits - ob die Toten wirklich ganz tot sind? Ob sie nicht in FaceBook, YouToube, MyFriends oder all diesen neuzeitlichen Web-Unterwelten unendlich weiterleben und dort posthum vielleicht sogar permanent noch für Ärger sorgen? Gut, dass er damit nichts am Hut hat. Nicht mal twittern würde er. E-Mails nur dienstlich und wenn es gar nicht anders geht. Weil er auch immer wieder vergisst, wie es geht auf dem uralten Siemens-Handy.

Neben ihm trottete Rinaldo, sein jugendlich verspielter Labrador, den er aus England mitgebracht hatte. Eigentlich durfte man ja keine Hunde mit in den Friedhof bringen, aber Rinaldo war ja schwarz. Da würde man schon mal eine Ausnahme machen. Außerdem könnte der Kommissar, falls die Friedhofswächter Ärger stiften wollten, schnell seinen Ausweis zücken und vorgeben, einem Verdachtsfall nachzugehen. Schließlich hatte auch der Kollege Velmond seinerzeit die Namen der verdächtigen Familien-Clans auf einem Friedhof notiert, als damals diese halbverweste Leiche durch die Kirchendecke in St. Elisabethen gefallen war. Der Kerl wusste zuviel aus der Nazizeit. Das wurde ihm zum Verhängnis.

Während er so dahin spazierte und Rinaldo immer mal wieder seinen Durst an Weihwasserschälchen stillte, fuhr ihm plötzlich ein gewaltiger Schrecken durch die Glieder: Rinaldo apportierte ihm, japsend und voller Hundestolz - wenn er es vor lauter Aufregung richtig diagnostizierte - eine fast skelettierte, ledrige Menschenhand! Im ersten Augenblick fuhr ihm die Angst durch alle Glieder, Rinaldo habe in irgendeinem Grab gebuddelt: Aber erstens lägen hier ja nicht die Toten nur ein paar Dezimeter frei unter der Erdoberfläche herum. Und zweitens wies diese Knochenhand keinerlei Erdspuren auf; nur schwärzlich-braune Hautfetzen und einen verkrusteten Ring.

Rinaldo legte sein Fundobjekt brav vor Elsterhorsts blitzblanke schwarze Schuhspitzen. Und schaute sein Herrchen mit großen, vielleicht sogar entsetzten Augen von unten an, als ob er fragen wollte: Was soll ich jetzt damit anfangen?

Das allerdings war justament die Frage, die sich auch der Kommissar stellen musste.

Menschen glauben immer, Hunde würden ihre Sprache verstehen. Vielleicht tun sie es ja auch, aber sie verraten es nicht. Jedenfalls schnappte sich Rinaldo die Hand wieder, erhob sich und lief, als Elsterhorst ihn fragte „Woher zum Teufel hast du das?“ an die Friedhofsmauer zu einer Kiste. Zu einer Kiste voller staubiger Knochen und Tonscherben, aus der sogar eine Schädeldecke hervorlugte, als der Kommissar mit einem Stöckchen so ein bisschen in dieser Weinkiste mit der Aufschrift „Weingut Sonnenwinkel - Seit 1650“ herum stocherte.

Rinaldo legte die Hand wieder ab und begann erneut in der Kiste zu schnüffeln. Dabei zitterte er an den Flanken und knurrte vor sich hin, immer wieder zu seinem Herrchen aufblickend, als wollte er sagen: „Nun unternimm doch mal was! Gib mir doch mal eine Weisung und ich lege dir jeden Knochen einzeln vor die Füße!“

Elsterhorst fasste in seine Manteltasche, als ob er nach seinem Handy suchte. Dabei wusste er genau: Nie nahm er bei seinen Spaziergängen sein Handy mit. Das wäre ja noch schöner, dass er überall erreichbar wäre wie die Kommissare im Fernsehen, die immer dann, wenn sie gerade im trauten Familienkreis sitzen oder sich mit ihrer ziemlich mordverdächtigen Geliebten im Bett räkeln, zu ihrem Smartphone greifen, im Weglaufen sich rasch irgendein Kleidungsstück überwerfen, um sich kurz darauf tadellos gekleidet unter dem Absperrungsband Zugang zu einer Leiche zu verschaffen, dem Pathologen forschend ins Auge zu blicken, worauf dieser bereits den ungefähren Todeszeitpunkt und den Einschusswinkel offenbart.

 

Der ungefähre Todeszeitpunkt für die überwiegende Menge der Knochen und Scherben in dieser Kiste - von der Skeletthand mal abgesehen - dürfte mit Blick auf diese Reliquien etwa 2000 Jahre zurück liegen. So genau hatte er nicht mehr in Erinnerung, wann in dieser Gegend die Römer hausten. Nur die Hand, vor der Rinaldo zitternd stand, seine Lefzen trieften vor Erregung, die hatte, wenn er sich nicht sehr irrte, keinem Römer gehört.

Nun ergab sich ein Dilemma, vergleichbar mit dem des Buridan’schen Esels. Dieser verhungerte bekanntlich zwischen zwei Heuhaufen, weil er immer, wenn er zum rechten Heuhaufen trotten wollte, er sich vom Heuhaufen zu seiner Linken entfernen musste. Ebenso ging es ihm, wenn er zum linken Heuhaufen traben wollte. Da er beides nicht ertragen konnte, blieb er in der Mitte stehen und verhungerte. Ebenso erging es jetzt Kommissar Maurice Elsterhorst. Sobald er sich von der Kiste entfernte und die nächste Telefonzelle aufsuchte, blieb die Kiste ohne Bewachung. Blieb er bei der Kiste, konnte er niemanden benachrichtigen. Rinaldo mit der Leine an der Kiste festzubinden, traute er sich nicht. Nachher würde der Labrador die Kiste wie einen Anhänger hinter sich her ziehen und eventuell noch alte Weiberl beißen, die sich hier um neuen Blumenschmuck und Kerzen kümmerten. Ohnehin blickten sie scheel auf den nicht zugelassenen Friedhofsbesucher. Wenn’s ein Hunderl, ein Zamperl gewesen wäre, so was Kleines, Niedliches, ja, dann hätten sie eher ein Auge zugedrückt: „Gell, Wurzel, möcht’s mal wieder nach deim alten Herrle schauen! Wie liab!“ Aber ein schwarzer Labrador mit einer Menschenhand im Maul? Ja gibt’s denn keinen Reschpeckt mehr vor der Friefhofsruhe?

Wenn die Not am größten ist, schickt der Herr über Leben und Tod manchmal einen Retter: In diesem Fall eine junge Frau mit ihrem zu Tode gelangweilten Söhnchen, das ein Handy am Ohr hatte.

„Bitte, verzeihen Sie, liebe Frau“, Elsterhorst zückte seinen Ausweis, so dass die Frau zutiefst erschrak und total aus dem Ruder zu geraten schien, „keine Angst, wirklich keine Angst, liebe Frau, aber ich sehe gerade, Ihr Bub telefoniert. Mein Handy .... die Batterie ist erschöpft, ich müsste ganz schnell mal im Präsidium anrufen. Ich gebe Ihnen auch zwei Euro!“

„K r i m i n a l p o l i z e i ?“ krähte der Kleine voller Entzücken in die Friedhofsruhe. Endlich war mal was los hier und überdies durfte er Rinaldo streicheln, was dieser mit äußerstem Wohlbehagen über sich ergehen ließ und dafür sogar die eklige Skeletthand im Gras ablegte.

„Frau Möbius? Ist Kollege Velmond nicht da? Nein? Wo ist er denn wieder? Tote an der Rosenbank? In Südtirol? Schon wieder? Ein neuer Fall? Na ja, ich muss mich kurz fassen: Ich bin auf dem Südfriedhof, ich habe hier Knochen gefunden, eine ganze Kiste voll! .... Nein, nicht in einem Sarg. In einer Weinkiste! .... Ja, es sind alte Knochen, sehr alte, aber offenbar auch jüngere. Rinaldo hat eine Menschenhand apportiert! .... Nein, er frisst sie nicht. Er nagt auch nicht daran! .... Schicken Sie einen Wagen zum Osteingang! .... Nein, ich habe kein GPS dabei .... nein auch kein Handy .... das habe ich mir ausgeliehen!“

„Gehört die Hand zu Onkel Hermann?“ wollte der Bub wissen.

„Wie kommst du denn darauf?“ fragten fast unisono die Mutter und der Kommissar.

„Nun, der Onkel Hermann, der hat doch auch nur eine Hand. Da muss die andere ja hier irgendwo begraben liegen!“

„Was du wieder für einen Quatsch redest. Der Onkel Hermann hat die doch bei einem Betriebsunfall verloren!“

„Und wo ist die dann geblieben?“

Kinder können Fragen stellen! Da fühlte sich Elsterhorst mal wieder darin bestätigt, nie eine Familie gründen zu wollen.

Die junge Frau hätte jetzt wirklich eine Hundeleine benötigt - für ihren Sohnemann! Der wollte natürlich mit dem Polizisten mitgehen und nicht zum Grab vom Opa.

„Vielleicht hat sich da ein Toter gar keinen Sarg leisten können und ist froh, wenigstens in einer Kiste begraben zu werden! Mein Papa sagt immer, man könne sich heute Sterben gar nicht leisten. Das sei wahnsinnig teuer geworden. Die Krankenkasse zahle nix mehr. Ist ja klar, wer tot ist, ist ja nicht mehr krank! Nur die ganz Reichen und die Politiker, die sich alles leisten können, die würden auf Staatskosten beerdigt. Für arme Schlucker sollte es Haifischbecken geben! sagt mein Papa!“ Kindermund!

Es dauerte ziemlich lange, ehe ein Isar-Wagen mit Blaulicht langsam und pietätvoll an der inneren Friedhofsmauer entlang rollte. Schließlich waren Römerknochen in einer Weinkiste kein Notfall. Es bestand sozusagen keinerlei Fluchtgefahr.

Eine Beamtin und ein Kollege wuchteten die Kiste in den Kofferraum. Mit traurigem Blick trennte sich Rinaldo von seiner Knochenhand, die wie eine Dekoration obenauf gelegt wurde.

„Lassen Sie die Kiste in mein Dienstzimmer bringen! Ich werde mich morgen der Sache annehmen!“

Die Isar-Besatzung konnte sich ein Kichern nicht verkneifen: „Was sollen wir ins Fahrtenbuch eintragen? Geraffel vom Südfriedhof abgeholt?“

„Verdachterregender Knochenfund geborgen!“ formulierte Elsterhorst, dem nichts so peinlich war, als sich irgendwie einem Gelächter auszusetzen, und sei es noch so dezent.

Knochen, nichts als Knochen!

Als Kommissar Elsterhorst am nächsten Morgen sein Dienstzimmer betrat, stieg ihm als Erstes ein unangenehmer Geruch in die Nase. Dann fiel sein Blick auf die Sonnenwinkel-Weinkiste „Seit 1650“ und auf die sich ihm wie zu einem Totentanz andienende Knochenhand. Ganz so, wie er es angeordnet hatte. Und jetzt?

Lothar Velmond spähte mit einem unverhohlenen Grinsen durch den Türspalt.

„Ich dachte, Sie sind in Südtirol bei einem neuen Fall?“

„Noch nicht, Herr Kollege. Da sind noch die Kollegen aus Brixen am Werk. Aber Sie scheinen sich ja eines besonders interessanten Falles anzunehmen! Oder sollten Sie ihn nicht gleich an die Archäologische Staatssammlung weiterleiten? Für Scherben sind wir ja gottlob nicht zuständig!“

„Scherben, Scherben! Lieber Kollege, Sie sollten tiefer schauen! Nicht nur diese Hand ist neueren Datums und ein Fall für die Pathologie und das Labor! Da ist auch noch eine Schädeldecke, und wer weiß, welche Geheimnisse die Kiste noch verbirgt. Warum hat sie einer an der Friedhofsmauer abgestellt?“

„Es sollen noch an verschiedenen Stellen solche Kisten aufgetaucht sein, habe ich in der Zeitung gelesen! Aber mit aktuellen Leichenteilen? Darüber stand da nichts.“

„Aktuelle Leichenteile? Eine Hand ist es! Und warum hackt man Opfern die Hände ab? Damit wir bei der Mordkommission keine Fingerabdrücke nehmen können! Und wohin dann mit der Hand?“

„Wenn Sie mich fragen, Herr Kollege, ich würde sie in Salzsäure auflösen oder unter dem Salatbeet beerdigen. Auch eine private Feuerbestattung wäre zu empfehlen!“

Elsterhorst konnte dem schwarzen Humor von diesem Lothar nichts abgewinnen, zumal er im Hintergrund die Möbius auch noch laut lachen hörte. Er wartete, bis der Kollege sein Zimmer wieder verlassen hatte und ließ sich dann mit den staatlichen Archäologen verbinden.

„Guten Tag, hier spricht Maurice Elsterhorst, Mordkommission zwo, ich habe gestern auf dem Südfriedhof eine Kiste mit antiken Scherben und Knochen dingfest gemacht. Ich vermute mal, diese Reliquien stammen aus der Römerzeit! Sie stehen hier auf meinem Tisch. Was soll damit geschehen?“

„Ach du liebes bisschen, schon wieder eine! Hier spricht Professor Dr. Dr. Martin Graf. Wissen Sie, Herr Elsterhorst, am liebsten würde ich Ihnen raten, werfen Sie das Zeug weg! Es ist ziemlich wertlos. Wir werden gegenwärtig mit solchen anonym entsorgten illegalen Funden überschüttet. Da wir nicht wissen, von wo sie stammen, also die Fundstelle nicht exakt beschrieben ist, sind sie für die Wissenschaft verloren. Andererseits sind es sogenannte Bodendenkmäler, für deren fachgerechte Erfassung, Registrierung und Aufbewahrung wir gesetzlich verpflichtet sind.“

„Und wo kommen die jetzt her?“

„Ach, wissen Sie, wir leben ja hier archäologisch gesehen in Raetien, und wenn Sie über den Inn in Richtung Salzburg fahren, in Noricum. Alles das war lange, lange Zeit römisch beherrschtes Land, bis zum Limes. Bis die Germanen und Markomannen kamen und alles zerdeppert haben. Die Varus-Schlacht - Sie wissen schon: ‚Als die Römer frech geworden, zogen sie nach Deutschlands Norden .... Täterätä, Täterätätätä!’, danach standen die Zeichen auf Truppenabzug. Überall. Zurück blieben Ruinen, Scherben, weggeworfener Hausrat, manchmal auch gegen Beraubung vergrabene Kostbarkeiten und Münzen und natürlich Friedhöfe ....“

„Das mag ja ganz interessant sein, Herr Professor Dr. Graf, entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbreche. Ich brauche meinen Schreibtisch und aus der Kiste rieselt der Sand. Ich habe schon die Putzkolonne angefordert!“

„Um des Himmelswillen nicht, nein, bitte nicht, Herr Kommissar. Die Erde, der Sand, das sind ja die einzigen Spuren, anhand derer wir noch einigermaßen herausfinden können, woher das Zeug stammt. Keinesfalls wegwerfen; vielleicht in einer Tüte sammeln! Wissen Sie, wer hier in unserer Gegend vor 50 oder mehr Jahren gebaut hat und in der Baugrube plötzlich auf römische Funde gestoßen ist, bekam einen Riesenschreck! Hätte er es gemeldet, wie es seine Pflicht gewesen wäre, hätte sich der Bau um die Zeit der fachmännischen Ausgrabung verzögert und verteuert .... (Kriminal-Assistentin Möbius stellte Elsterhorst inzwischen ein Haferl Kaffee neben die Knochenhand), also haben die diese Funde schnell und heimlich auf die Müllkippe gefahren oder - etwas geschichtsbewusster - in eine Kiste gepackt. Jetzt kommen die Villen im Erbgang auf Söhne und Töchter zu, die mit den Kisten ganz und gar nichts anfangen können. Um sich keine Schwierigkeiten einzuhandeln, werden sie auf Friedhöfen, aber auch an Autobahnparkplätzen oder im Wald abgestellt.“

„Okay, lieber Herr Professor Dr. Graf, und dann versteckt irgend ein Mordgeselle eine abgehackte Hand da drin und hofft, dass der ganze Kram still entsorgt wird!“

„Was sagen Sie da? Eine abgehackte Hand? Warten Sie mal .... ist es eine rechte Hand, wo der Daumen links ist?“

Elsterhorst wäre die Hand beinahe in den Kaffee gefallen, als er sie - ein Notizpapier ekeldämpfend herum gefaltet - hoch hob.

„Ja, es ist eine rechte! Herr Professor!“

„Dann haben wir hier mutmaßlich die linke! In einer Weinkiste vom Weingut Sonnenwinkel? Seit 1650? Stand im Forstenrieder Park!“

„Ja, dann schlage ich folgenden Tausch vor: Sie bringen uns die linke Hand und wir schenken Ihnen die Weinkiste samt Inhalt und einer Tüte Sand!“

So kam es dann auch. Mit einem Isar-Polizei-Fahrzeug wurde die linke Totenhand mit der rechten zusammengeführt. Die Kiste mit dem römischen Geraffel, mutmaßlich von Grabungen im Gebiet eines Römer-Friedhofes, überließ man den Archäologen, denen es allerdings am liebsten gewesen wäre, hätte der Transporter einen Umweg über die Müllkippe Großlappen gemacht und die Kiste dort entsorgt.

Hände! Hände!

Kommissar Maurice Elsterhorst fand nur wenig Schlaf in dieser Nacht – wenn man es denn überhaupt als Schlaf bezeichnen konnte. Vergeblich hatte er versucht, sich mit Ravels „Bolero“ abzulenken oder zu beruhigen. Stattdessen hatte ihn die Musik in einen eigenartigen Zustand versetzt. Kaum lag er in der Dunkelheit seines Zimmers, waren sie da:

Hände! Überall Hände! Tote, kalte und warme, schlanke und plumpe, gepflegte und abgearbeitete, auch solche, die er wieder erkannte. Immer schon hatte er auf die Hände von Menschen geachtet, hatte sie bewusst oder unbewusst angesehen: bei Treffen jeder Art, bei Festnahmen und Verhören, im Gerichtssaal und im Gefängnis. Hände sprachen zu ihm, deutlicher als mancher Gesichtsausdruck oder Stimmen. Oft hatte er herauszufinden versucht, zu welcher Art von Person die Hände wohl gehörten. Er hatte sich selten geirrt.

In einem kurzen Traum gelang es ihm, an den beiden Händen, die das einzige Indiz für seine Nachforschungen waren, die Ermordeten zu identifizieren. Denn es waren Hände von zwei verschiedenen Personen. Von einem Mann und von einer Frau!

 

Es war ....

Dann wechselte die Szene so plötzlich, wie es nur in Träumen geschieht.

Auf einmal befindet er sich weit weg von der Gegenwart. Wieder sieht er Judith vor sich, die Gefährtin seiner Kindheit, mit der er so vieles erlebt hatte, weil sie immer zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, mal in London bei der Etrusker-Mafia, mal in der Sonderstrafanstalt, in der er als V-Mann unter falschem Namen und merkwürdiger Verkleidung recherchierte. Sie war wieder das kleine verschüchterte Mädchen, er der große Junge, für den er sich damals hielt.

Er las ihr ein Grimmsches Märchen vor: „Das Mädchen ohne Hände“. Hatte er ihr dieses Märchen wirklich einmal vorgelesen?

Da hatte einer einen Pakt mit dem Teufel geschlossen: Reichtum gegen das, was hinter seinem Haus stand. Dort hatte schon immer ein Apfelbaum gestanden. Heute war es seine Tochter. Als der Teufel sie holen will, weint sie auf ihre Hände, um sich rein zu waschen und der Vater hackt sie ihr ab. Sie hatte so geweint, dass ihr die Tränen durch die Finger liefen, als sie aus Angst mit den Händen die Augen zuhielt.

Ob nur im Traum oder - war es wirklich so gewesen? – Judith schlug vor Angst und Entsetzen die Hände vor das Gesicht und auch ihre Tränen tropften durch die Finger.

Es waren „seine“ Hände. Und Judiths Hände, die er überall wieder erkannt hätte. Elsterhorst schreckte auf. Wie in dem Märchen sah er die Hände in einem Tümpel schwimmen.

Seine Gedanken kehrten zurück zu seinem Fall. Hatte sein Unterbewusstsein ihm eine Spur gezeigt? Ging es vielleicht um einen Ritualmord? Oder um Verstümmelung durch einen Psychopathen? Gab es überhaupt eine Leiche?

Unruhig wälzte er sich hin und her.

Etwas klingelte. Hatte er den Wecker falsch gestellt? Es war 5 Uhr morgens. Rinaldo schlug an.

Der stand hellwach an der Tür des Appartements, dankbar für jede Abwechslung. Elsterhorst zögerte. Sollte er öffnen und riskieren, dass ihm einer einen Arm, eine Hand oder sonst etwas abschnitt? Dann riss er sich zusammen.

„Werde endlich wach!“ rief er sich zu.

Er schlüpfte in seinen Morgenrock und öffnete die Tür. Das Treppenhaus war dunkel. Er schaltete das Licht an. Auf der Fußmatte lag etwas.

War er etwa immer noch in diesem trance-ähnlichen Zustand?

Wohl kaum, denn Rinaldo gab ein klägliches Wimmern von sich und schlich zurück in die Wohnung.

Das, was da lag, war eine schwarze abgetrennte Hundepfote. Sie lag auf einem Blatt Papier, das in einer Plastikhülle steckte, so dass nur ein einziges Wort zu erkennen war: