Alte Bräuche neu erleben

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Alte Bräuche neu erleben
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Waltraud Ferrari

Alte Bräuche neu erleben

Fest- und Alltag im Rhythmus der Jahreszeiten



Lektorat: Christine Wiesenhofer, Graz

Umschlaggestaltung, Layout und Satz: Andrea Malek, malanda-Buchdesign, Graz

Repro: Digitalstudio Rypka, Dobl bei Graz

Der Inhalt dieses Buches wurde von den Autoren und dem Verlag nach bestem Gewissen geprüft, eine Garantie kann jedoch nicht übernommen werden. Die juristische Haftung ist ausgeschlossen.

Bibliografische Informationen

der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Alle Rechte der Verbreitung auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

ISBN 978-3-7020-1443-8

eISBN 978-3-7020-1898-6

© Copyright: Leopold Stocker Verlag, Graz 2014

Printed in Austria

Druck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, 9431 St. Stefan im Lavanttal

Inhalt

Danksagung

Einleitung

Teil I

Was ist Brauchtum eigentlich?

Welchen Sinn kann Brauchtum heute erfüllen?

Der Kalender

Brauchtum und Landschaft

Die Gliederung des Jahres

Elemente des Brauchtums

Die Weitergabe des Wissens

Vom Wünschen, Bitten und Heischen

Wichtige Daten und Tage

Feste und ihre Bedeutungsebenen

Besondere Zahlen – drei, sieben, neun

Drei

Sieben

Neun

Die Verwendung von Pflanzen

Tiere

Speisen

Wie die Brezel entstanden ist

Verkleidung und Maske

Lieder und Tänze

Sagenhafte Gestalten

Die Sage von den drei heiligen Jungfrauen zu Meransen

Brauchtum und Spiritualität

Teil II

Bräuche und Feste im Jahreslauf

November – Ende und Anfang

Allerheiligen/Allerseelen – 1. November, 2. November

Die Speise der armen Seelen

Martini – 11. November

Andreasnacht – 30. November

Wie ein junger Bursche seine zukünftige Braut sah

WINTER

Dezember

Adventkranz

Barbara – 4. Dezember

Nikolaus – 6. Dezember

Luzia – 13. Dezember

Wintersonnendwende/Thomasnacht – 21. Dezember

Krippe und Christbaum

Weihnacht – 24. Dezember

Die Weissagung der Ochsen

Perchten

Der neugierige Knecht wird von der Perchtl bestraft

Die Wilde Jagd

Perchtenläufe

Tag der unschuldigen Kinder – 28. Dezember

Silvester/Neujahrsnacht – 31. Dezember

Jänner

Glöckeln und Glöckleräufe

Die Heiligen Drei Könige – 6. Jänner

Sebastian – 20. Jänner

Februar

Mariä Lichtmess – 2. Februar

Text eines Liedes der Lichtmesssänger

Blasius – 3. Februar

Fasching

Faschingsbräuche

Blochziehen

Der Zug des Kurent

Faschingrennen

Die Matschgerer

FRÜHLING

März

Vierzig Märtyrer – 10. März

Benedikt/Frühlingsbeginn – 21. März

 

Funkensonntag

April

Aprilnarr – 1. April

Osterfestkreis

Palmsonntag

Wie man das Vieh schützt

Gründonnerstag

Karfreitag/Karsamstag

Passionsspiele

Osterspeisen

Osterfeuer

Walpurgisnacht – 30. April

Mai

Der Maibaum

Viehaustrieb – 1. Mai

Pankratius, Bonifatius, Servatius und kalte Sophie – 12. bis 15. Mai

Pfingsten – 50 Tage nach Ostern

Der Pfingstkönig

Kufenstechen

SOMMER

Juni

Fronleichnam

Sommersonnenwende – 21. Juni

Sonnwendfeuer/Sunnwendrachen

Scheibenschlagen

Sonnwendbuschen

Siebenschläfertag – 27. Juni

Juli

Rund um das Wetter

Der Pfarrer von Osterwitz als Wetterzauberer

Wallfahrten

Heiliger Ulrich – 4. Juli

Hundstage – 23. Juli bis 23. August

Heiliger Jakob – 25. Juli

Ranggeln

August

Heiliger Oswald – 5. August

Der Samsonumzug

Über die Wilden auf dem Làtemar

Mariä Himmelfahrt – 15. August

Der Frauenbuschen

HERBST

September

Almabtrieb

Michael – 29. September

Erntedank

Oktober

Hiataeinzug

Saltner

Teil III

Die Brücke ins Jetzt – überliefertes Wissen als Antwort auf heutige Fragestellungen

Neue Bräuche

Gesellschaftliche Entwicklung in der Großstadt

Gemeinsam Gärtnern

Transition Towns

Ein neues Wir-Gefühl

Stadtviertel als Dorf

Auf dem Land

Brauchtum als Übermittler von Wissen und Fertigkeiten

Der Mut zum Mysterium

Eine Handvoll Rezepte

Allerheiligenstriezel

Brotsuppe

Ganslsuppe

Gefüllte Gans

Neujahrsbrezeln

Funkaküchle

Gründonnerstagssuppe

Osterpinze

Gekochtes Brot

Braunnudeln (Almraunkerln, Schnuraus)

Rahmkoch

Südtiroler Speckknödel

Anhang

Interessante Links rund um das Thema

Bibliografie

Bildnachweis




Beim Samsonumzug in Krakaudorf

Danksagung

Eine ganze Reihe von Menschen hat mich bei der Entstehung dieses Buches tatkräftig unterstützt. Ihnen allen möchte ich hiermit danken.

So bedanke ich mich von ganzem Herzen bei den Fotografen, Brauchtumspflegern und begeisterten Privatpersonen, die mir großzügig Bildrechte gewährt haben und mir wertvolle Informationen zum jeweiligen Brauchtum zukommen ließen:

Felix Abuja, Burschenschaft Feistritz/Gail

Alfred Baltzer, Stadtgemeinde Murau

Markus Bernsteiner, Funkenzunft Schwefel Hohenems

Markus Böck, Patzmannsdorf

Robert Cescutti, Ligist

Hannes Danzl, Schwaz

Peter Gamper, Absam

Gregor Gatscher-Riedl, Perchtoldsdorf

Werner Gradnig, Rangersdorf

Alois und Regina Guggi, Graden bei Köflach

Bibiana Heigl, Tourismusverband Wildalpen

Agathon Koren, Köflach

Christian Kofler, Verein Fisser Blochziehen

Roswitha Kuchar, Kalsdorf

Thomas Lämmerhofer, Tourismusbüro Gmunden

Karl Mayer, Kainach b. Voitsberg

Valentin Perchinig, Burschenschaft Feistritz/Gail

Robert Pauritsch, Graz

Karl Pürer, Murau

Hermann Schmiderer, Zell am See

Josef Schweiger, Krakaudorf

Brigitte Strauß, Südtiroler Landesmuseum für Volkskunde

Katrin Valenko, Tourist Information Center Ptuj/Pettau

Albert Winsauer, Funkenzunft Schwefel Hohenems

Günter Jontes und Ernst Lasnik sind mir auf dem Gebiet der Volkskunde mit ihrem großen Fachwissen beratend und ermutigend zur Seite gestanden.

Andreas Bernhard und Anton Steffan teilten ihr umfassendes Wissen auf dem Gebiet von Geschichte und Archäologie mit mir.

Und ein herzliches Danke an meine Lektorin Christine Wiesenhofer, die sich intensiv für dieses Projekt eingesetzt hat, sowie an die Grafikerin Andrea Malik, welche für die ansprechende Gestaltung des Buches zeichnet.


Sunnwendrachen in Graden

Einleitung

Der alte Laudonbauer steht oben auf der Anhöhe, wo alljährlich das Sunnwendrachen stattfindet. Schon Stunden zuvor hat er mit seinen Vorbereitungen begonnen, hat das Feuer entzündet und sorgfältig betreut, bis sich ein kräftiges Glutbett gebildet hat. Gekonnt legt er Holz und danach frisches, grünes Fichtenreisig auf. Dichter Rauch steigt empor und zieht langsam über die umliegenden Wiesen und Felder, um Ungeziefer zu vertreiben und Unheil abzuwehren. Gegen Abend findet sich die dörfliche Gemeinschaft ein. Sänger und Weisenbläser begleiten die Kräuterweiber, die ihre Sonnwendbuschen verteilen. Zuletzt springen alle über das Feuer, damit durch seine reinigende Kraft Übel und Krankheiten abgestreift werden. Wünscht man sich eine Braut oder einen Bräutigam, gibt man diesen Wunsch dem Feuer mit und bis zur nächsten Sonnenwende soll er sich erfüllen …

Wer sich für eine Landschaft interessiert, wer den dort ansässigen Menschen wahrhaft begegnen möchte, und wer es wagt, manchmal abseits ausgetretener Pfade unterwegs zu sein, wird unweigerlich auf altes Brauchtum in seinen verschiedensten Erscheinungsformen treffen. Vieles ist schon in Vergessenheit geraten, manches ist zum Touristenevent geworden, aber auch Authentisches ist noch erhalten und wird heute neu belebt.

Dieses Buch soll nicht nur Hintergründe und Funktion überlieferter Bräuche beleuchten, sondern auch dazu anregen, das darin vorhandene Wissen wiederzuentdecken und, je nach Wunsch, im eigenen Leben anzuwenden. Dabei erwartet Sie keineswegs nur ein Blick in frühere Zeiten, sondern eine reiche, bunte Erfahrungswelt, die dem Leben auf besondere Weise Kraft und Zauber zu verleihen vermag.


Palmbuschentragen

 

Was ist Brauchtum eigentlich?

Echtes Brauchtum war stets Ausdruck einer ganzheitlichen Lebensform mit entsprechender Lebensphilosophie, die ursprünglich alle Daseinsbereiche betraf. Dabei verstand sich der Mensch als selbstverständlichen Teil einer Gesamtheit, bestehend aus unzähligen Kräften und Kreaturen. Der unmittelbare Bezug zu jahreszeitlichen Rhythmen, also ein bäuerlich geprägter Kalender, spielte dabei eine vorrangige Rolle. Er bildete kosmische Geschehen, die Bewegung von Sonne und Mond, den Lauf der Gestirne, also das, was für die Vorgänge von der Aussaat bis zur Ernte zu beachten war, in menschlichen Dimensionen ab und erinnerte an die großen Zusammenhänge alles Lebendigen. Man wusste, was lebens- und überlebensnotwendig und somit auch bestimmend für die Gemeinschaft war. So wurden wichtige Zeitpunkte und Feste innerhalb des Jahres markiert und durch das jeweilige Brauchtum entsprechend gewürdigt. Daraus ergab sich eine Struktur, die – beinahe unverändert – bis in die Gegenwart reicht.

Von einem bestimmten Blickwinkel aus lässt sich Brauchtum auch als eine Art Erzählform ansehen, die jahrhunderte- oder sogar jahrtausendealtes Wissen bewahrt. Dieses wird durch Reime und Merksprüche, Geschichten, Lieder und Tänze, Sagen und mythologische Überlieferungen, maskentragende Gestalten sowie eine Vielzahl ritualisierter Handlungen mitgeteilt.

Darüber hinaus beziehen sich viele Bräuche auf bedeutende Ereignisse im Leben wie Geburt, die Aufnahme in die Welt der Erwachsenen, Heirat oder Tod, die von besonderen Ritualen begleitet werden. So ist Brauchtum unter anderem Ausdruck der Achtung vor der Natur und dem Leben selbst und spiegelt zugleich die Würde derer wider, die diesem Lebendigen mit Ehrfurcht gegenübertreten. Es entspringt einer Zeit, in der ursprüngliche Lebensweise mit genauer Naturbeobachtung einherging, wobei man alles als beseelt betrachtete, also mit einer Intelligenz versehen, mit der man auch kommunizieren konnte. Nicht unbedingt in Worten, sondern in Form bestimmter Handlungen, die man im Brauch immer noch sieht.

Absamer Matschgerer, alte Zottlermaske

Im Brauchtum begegnet man kraftvollen, archaischen Bildern, die sich auf einer heute oft vernachlässigten Ebene mitteilen. Diese Mitteilungen sprechen den Menschen in seiner Ganzheit an und wenden sich nicht vordergründig an den Verstand, sondern an das tiefe Empfinden der Seele, eine Art bildhaft „vergötterndes“ Denken, das in früheren Epochen noch als selbstverständlich galt. Wo man heute nur einen Getreideacker sieht, erkannte das archaische Denken der Seele eine Wesenheit oder Gottheit, die ihn belebte. So wohnte im Acker der Korngeist, in den Herbststürmen fegte die Wilde Jagd über die Felder, und in den Raunächten traf man auf die Perchten, lichte wie dunklen Gestalten, die Segen bringen, Unheil abwehren und aufbrechendes Leben nach der Winterruhe hervorwirken sollten.

Das Brauchtum erzählt in seiner bildhaften Sprache von Abläufen, die in der Natur tatsächlich stattfinden. Zugleich weist es ganz selbstverständlich auf Metaphysisches hin, nämlich auf jene unsichtbar-geistigen Bereiche, in denen man den Ursprung allen Seins vermutete. Auf diese Weise wird an den Zusammenhang alles Lebendigen erinnert und damit wieder ein heiles und heilsames organisches Schöpfungsbild vermittelt. Im Idealfall geht dies mit der Empfindung für ein natürliches, gemeinsames Wachstum einher, das in einem Tempo erfolgt, welches dem Leben zuträglich ist.

Das hier zusammengefasste Wissen wurde auf zahlreichen Reisen und wochenlangen Wanderungen gesammelt, die ich in über dreißig Jahren vorwiegend im Alpenraum, aber auch in anderen Landstrichen Europas unternommen habe. Dabei begegneten mir immer wieder Menschen, die noch alte, ausschließlich mündliche Überlieferung kannten. Viele Male durfte ich miterleben, wie sich der Mensch durch das Handeln im Brauch aus dem Alltag löst, sich selbst auf neue Weise erfährt und aus diesen Momenten eine Kraft schöpft, die ihn seelisch nährt.

Als Ergänzung zu diesen persönlichen Erfahrungen wurden Fachliteratur, aber auch Sagen, Mythen und Märchen herangezogen. Begegnungen mit Volkskundlern sowie Historikern und Archäologen lieferten überdies wertvolle Hinweise. So gelang es mir, in die Welt des Brauchtums einzutauchen und mir seine Sprache Schritt für Schritt zu erschließen. Bei meinen Reisen lebte ich mit Rucksack, Zelt und Schlafsack ausgerüstet oft tage- oder wochenlang unter freiem Himmel, Sommer wie Winter. Auf diese Weise konnte ich der Denk- und Empfindungswelt früherer Generationen nachspüren. Dabei wurden mir allmählich auch jene Kräfte vertraut, die hinter den verschiedenen Formen des Brauchtums am Wirken sind. Sie haben nichts von ihrer Macht oder Gültigkeit verloren, allerdings hat der moderne Mensch sie beinahe vergessen.

Dieses Buch stellt den Versuch einer großen Zusammenschau dar und soll dazu einladen, sich einer Geisteswelt zuzuwenden, deren Ursprünge zwar weit in der Zeit zurückreichen, die aber noch immer wertvolle Botschaften für uns bereithält und heute wieder an Aktualität gewinnt.

Welchen Sinn kann Brauchtum heute erfüllen?

Derzeit leben wir in einer Gesellschaft, die weitgehend vom synthetischen Weltbild des urbanen Menschen bestimmt wird, das sich im Rahmen einer global vernetzten Welt überall verbreitet. So soll alles jederzeit und überall verfügbar sein, unabhängig von Entfernung oder Jahreszeit. Man fährt im Winter in die Südsee, um dann im Frühling zum Gletscherskifahren zu gehen. Auch wenn die Flucht vor winterlicher Kälte verständlich ist, geht möglicherweise die Empfindung für die Abläufe von Werden und Vergehen verloren, und damit einhergehend das Gefühl für die Jahreszeiten mit ihrem eigenen Licht und der für sie typischen Qualität. Die Natur dient vielen nur noch als eine Art Erlebnispark, in welchem man sich den gewünschten Kick holt, ohne die Umgebung wirklich wahrzunehmen.

Betritt man an einem beliebigen Ort auf der Welt ein Einkaufszentrum, trifft man überall auf die gleichen Läden und Marken, auf die gleichen Ideen und Idealvorstellungen, auf eine Art globale Gleichschaltung, vor deren Hintergrund Individualität und kulturelle Identität verloren zu gehen drohen. Andererseits erkennen immer mehr Menschen, welche Auswirkungen ein solcher Lebensstil auf unser gesamtes Ökosystem hat. Darüber hinaus zeigt sich verstärkt der Wunsch nach Entschleunigung und menschlichem Zusammenhalt. Durch die modernen Social Media entstehen zwar oft rasch neue Gemeinschaften, der Kontakt bleibt jedoch an der Oberfläche, und vieles löst sich ebenso schnell wieder auf, wie es entstanden ist.

Brauchtum, das sich naturgemäß hauptsächlich auf dem Land finden lässt, wirkt schon aufgrund der dortigen Lebensumstände gemeinschaftsstiftend, und zwar im doppelten Sinne. Einerseits spiegelt es die (Schicksals)Gemeinschaft wider, die zwischen dem Menschen, der ihn umgebenden Landschaft sowie den heimischen Pflanzen und Tieren gegeben ist. Andererseits zeigt es die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen untereinander, denn im bäuerlichen Leben sind die Sorgen und Aufgaben seit Jahrtausenden dieselben geblieben: Witterung, Aussaat, Ernte, Hilfe bei größeren Arbeiten oder Naturkatastrophen und Ähnliches mehr.

Die Befassung mit dem überlieferten Wissen des Brauchtums muss keineswegs einen Rückschritt bedeuten, denn nicht alles Althergebrachte ist zwangsläufig überholt. Besinnt man sich auf die eigene kulturelle Identität, kann ein anderes Bewusstsein in Bezug auf das Land beziehungsweise die Landschaft, in der man lebt, entstehen. Eine Erinnerung daran, dass das Leben tatsächlich von all dem abhängt, von dem man umgeben ist. So kommt auch der Begriff Heimat ins Spiel, ein Wort, das heute als unmodern gilt oder aufgrund leidvoller Erfahrungen in der Geschichte gerne gemieden wird. Gerade deshalb möchte ich diesen Begriff entstauben und enttabuisieren.

Fest beim Sunnwendrachen, Graden in der Weststeiermark

Die früher im Schulunterricht übliche Heimatkunde befasste sich mit allen physischen und metaphysischen Aspekten eines Umfeldes, in das ein Mensch geboren wird: einerseits mit Geografie und Geschichte des entsprechenden Landstrichs sowie der wirtschaftlichen Lebensgrundlage, andererseits mit der vorherrschenden Kultur, also mit Kunst und Handwerk, der heimischen Musik und Literatur sowie den Erzählformen in Sagen, Mythen und Märchen, die nicht zuletzt religiös-spirituelle Inhalte schildern. Dieser intime Bezug zur eigenen Umgebung fehlt heute weitgehend. Eine Symbiose zwischen Mensch und regionaler Landschaft wird erst in jüngster Zeit wieder als wertvoll erkannt, zum Beispiel um Arbeitsplätze vor Ort zu sichern oder aus ökologischen Gründen, um überlange Transportwege für Nahrungsmittel zu vermeiden.

Tanz beim Feistritzer Kufenstechen

Natürlich ist „Heimat“ für jeden Menschen individuell definiert und die in der Folge angeführten Betrachtungen sollen dazu anregen, sich vielleicht selbst mit diesem Begriff auseinanderzusetzen.

Heimat kann eine Landschaft sein, mit dem für sie typischen Licht, dem Sonnenuntergang, wie es ihn sonst nirgendwo gibt, der jeweiligen Pflanzen- und Tierwelt, den Speisen, die der Boden hervorbringt, dem speziellen Dialekt – also dem sprachlichen Klangbild, das nur in dieser Gegend so entsteht.

Heimat kann eine Stadt sein, mit der für sie einzigartigen Atmosphäre, den Begabungen und Tätigkeiten, die sie speziell fördert, mit der Alchemie verschiedenster Menschen.

Nicht zuletzt kann Heimat eine Gemeinschaft von Menschen sein, die nach demselben Kalender leben, die gleichen Bräuche pflegen und dadurch ein gemeinsames Weltbild teilen. Die meisten von uns folgen ganz selbstverständlich einem solchen Kalender, in dem Feste wie Weihnachten, Neujahr oder Ostern fixe Bestandteile sind.

Bewusst gefeierte Feste, bewusst begangene Bräuche im Jahreslauf bieten eine Möglichkeit, sich wieder den Rhythmen der Natur anzunähern und mehr Ruhe zu finden in einer Welt, deren überschnelle Abläufe nicht mehr lebensfreundlich sind. Vielleicht überprüft man dadurch einmal die eigenen Ansprüche und entdeckt sogar eine entspannte neue Bescheidenheit, da man zum Wesentlichen zurückfindet, sich vom Haben löst und sich leichter an das Sein erinnert. Auf diesem Weg könnten sich sogar Antworten auf einige Fragen finden, die sich bei der Bewältigung des Alltags immer wieder stellen.