Politisch motivierte Morde

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Politisch motivierte Morde
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Walter Brendel

Politisch motivierte Morde

Politisch motivierte Morde

Walter Brendel

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2022

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Vorwort

Mord am Hochaltar

Mord in der Badewanne

Die Ermordung Ernst Eduard vom Rath und die schrecklichen Folgen

Die Nacht der langen Messer

Hitlers erstes Opfer

Der böse Geist am Zarenhof

Dr. Kimble der Revolutionäre

Königsmörder

Das Attentat auf den „guten König“ Henri IV.

Der Student als Täter

Jeanne d'Arc, eine Stimme aus dem Scheiterhaufen

Der Mord an Prinzessin Elisabeth Tarakanowa

Die Ermordung Agnes Bernauers

Das Attentat von Sarejevo

Quellen

Vorwort

Macht und Gewalt - zwei Begriffe, die offenbar untrennbar miteinander verbunden sind, im öffentlichen wie im privaten Bereich, in der Politik wie in der Familie, quer durch alle sozialen Schichten, quer durch die Jahrhunderte hindurch. Der Blick m die Geschichte zeigt: Wenn die Macht ruft, verstummt sogar die berühmte Stimme des Blutes. Für eine Krone, für einen Thron, für Einfluss und persönlichen Vorteil wurde intrigiert, verraten, misshandelt und gemordet. Bei der Durchsetzung der eigenen Interessen kannte man keinerlei Rücksicht. Wer im Wege stand, behinderte oder gar Widerstand zu leisten wagte, wurde beseitigt.

Ein politischer Mord ist die vorsätzliche, ungesetzliche oder illegitime Tötung einer Person aus politischen Motiven. Das Opfer hat in der Regel einen aus Sicht des Urhebers der Tat unerwünschten politischen Einfluss, oder der Urheber erwartet sich von der Ermordung eine für ihn vorteilhafte politische Entwicklung.

Historisch gesehen bezieht sich der Begriff fast ausschließlich auf das Attentat auf einzelne, hochgestellte Persönlichkeiten. Der Tatbestand des politischen Mords lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Unterschiede zu einem gewöhnlichen Mord sind die politisch motivierten Interessen bzw. ideologischen Implikationen, sowie die Tatsache, dass der Auftraggeber und der Ausführende (Auftragsmörder) meist verschiedene Personen sind. Politik mit anderen Mitteln, das ist nach Clausewitz der Krieg. Auch Mord ist ein "anderes Mittel der Politik" - oft gebraucht, selten bewiesen! Wir widmen uns bekannten Mordfällen und vor allem deren Hintergründe. Mord kann den Lauf der Geschichte beeinflussen, diese Weisheit ist so alt wie die Menschheit. Seit den ägyptischen Pharaonen und römischen Kaisern gehören Morde zu den Möglichkeiten seinen Willen durchzusetzen. Mordanschläge sollen die sozialen Entwicklungen stoppen, die den Auftraggebern nicht genehm sind und die Sympathisanten abschrecken.

Tatmotive können zum Beispiel sein:

 das Ausschalten eines Konkurrenten, Kritikers oder Andersdenkenden

 das Ausschalten eines möglichen Belastungszeugen/Mitwissers (ist über illegale und/oder politisch heikle Aktivitäten des Auftraggebers informiert und könnte dieses Wissen kundtun oder veröffentlichen)

 Rache für ein Tun oder Unterlassen

 Abschreckung/Einschüchterung Dritter (Politiker, politische Aktivisten)

 Ist der Urheber eine Regierung oder regierungsnahe Institution, wird den Morden zuweilen eine Scheinlegalität verliehen oder die Tat komplett geheim gehalten, zum Beispiel beim Verschwindenlassen politischer Gegner. Schauprozesse können Macht demonstrieren oder Dritte abschrecken.

Morde können autokratischen Machthabern Vorwände bieten, ihre Repressions- und Terrormaßnahmen zu verschärfen. Beispiele:

Im Jahre 1819 folgten auf die Ermordung August von Kotzebues durch Karl Ludwig Sand unmittelbar die Karlsbader Beschlüsse zur Bekämpfung und Überwachung liberaler und nationaler Tendenzen in Deutschland.

Die Ermordung des Legationssekretärs Ernst vom Rath durch Herschel Grynszpan lieferte 1938 dem NS-Regime den willkommenen Anlass zur „Reichskristallnacht“.

Vielfach schaffen sie sich ihre Vorwände selber. Zum Beispiel behauptete das NS-Regime im Sommer 1934 wahrheitswidrig, man habe auf einen unmittelbar bevorstehenden Putsch des SA-Führers Ernst Röhm reagiert (Röhm-Putsch) als Rechtfertigung für die Ermordung von etwa 200 Menschen.

Mord am Hochaltar

Als der Priester die Hostie hebt, bricht Giuliano de' Medici blutüberströmt zusammen. Mehr als ein Dutzend Dolchstiche haben ihn unter der prächtigen Kuppel des Doms tödlich getroffen. An diesem Apriltag 1478 rütteln Verschwörer an der Macht der Medici über Florenz. Doch das Komplott endet grausam für die Mörder- die entscheidende Person haben sie verfehlt! Es ist Sonntagmorgen und die Herren sind in Eile: Lorenzo de' Medici geht mit großen Schritten die Via Martelli entlang, die Straße zwischen dem gewaltigen Palazzo seiner Familie und der Domkirche Santa Maria del Fiore. Begleitet wird er von Francesco Salviati, dem Erzbischof von Pisa, und seinem Gefolge. Eigentlich hätte die Heilige Messe an diesem fünften Sonntag nach Ostern längst beginnen sollen. Auf einen Lorenzo de' Medici jedoch warten in Florenz selbst die Priester. Lorenzo den Prächtigen nennen sie ihn, den „Gran maestro“, den ungekrönten König von Florenz.


„Mag sein, dass wir unsere Eisen gebrauchen müssen, um ihm klarzumachen, dass er ein Bürger ist und Wir der Papst sind.“ (Papst Sixtus IV. 1475 über Lorenzo de Medici)

Doch etwas stimmt nicht an diesem Tag. Lorenzo weiß schon lange: Der Erzbischof ist kein Freund der Medici. Salviati ist der Neffe Papst Sixtus' IV. und wurde von diesem auf den Hirtenstuhl der Hafenstadt Pisa gesetzt - als Nachfolger eines Medici und gegen den Willen der Florentiner. „Eine außerordentliche Ungerechtigkeit!“, empörte sich Lorenzo. Der Papst aus der Familie der della Rovere suchte die Medici zu schädigen, wo er nur konnte, so berichtet Niccolö Machiavelli knapp 50 Jahre später in seiner „Geschichte von Florenz“. Der Chronist schreibt, Italien sei seinerzeit in zwei Parteien zerfallen: Florenz und Rom.

In der Stadt am Arno zieht der Papst jedenfalls die ungeheuer reichen Pazzi vor; dem Medici jedoch ist diese Familie ein Dorn im Auge. Zwar ist seine Schwester Bianca mit einem Pazzi verheiratet, „Lorenzo aber wollte alle seine Autorität fühlen lassen“, betont Machiavelli.

Giuliano de’ Medici

Giuliano de’ Medici (* 25. März 1453; † 26. April 1478 in Florenz) war der zweite Sohn von Piero I. de Medici und dessen Ehefrau Lucrezia Tornabuoni und Mitregent seines Bruders Lorenzo il Magnifico (1449–1492).

Er wurde als Startsignal der Verschwörung der Pazzi im Dom Santa Maria del Fiore in Florenz von Francesco de Pazzi und Bernardo Baroncelli während der Ostermesse am 26. April 1478 ermordet.

Er ist bei seinem Bruder Lorenzo in der Medici-Kapelle der Basilica di San Lorenzo di Firenze begraben. Beider Grab ist mit der Madonna mit dem Kind von Michelangelo geschmückt.

Der „Prächtige“ misstraut jedenfalls den angeheirateten Verwandten. „Dank ihres üblen Charakters trachten sie danach, mir so viel Schaden zuzufügen wie möglich“, schreibt er an den befreundeten Herzog von Mailand. Die Pazzi haben sich zu päpstlichen Bankiers aufgeschwungen und die Medici ausgestochen. Von den hohen Ämtern in Florenz jedoch hält Lorenzo sie mit aller politischen Finesse fern.

Erzbischof Salviati ist für Lorenzo ein Geschöpf der Pazzi und in Florenz unwillkommen. Doch der Kirchenfürst wünscht, die Kunstschätze im Palazzo Medici zu besichtigen - ein Vorwand, wie sich zeigen wird. Salviati weiß: Der leidenschaftliche Dichter Lorenzo gibt viel auf die schönen Künste und auf das Ansehen seines Hauses. Einen Bischof auszuladen, wäre überdies schlechte Diplomatie. Auf dem Weg zur Kathedrale bedenkt Salviati noch einmal den Plan: An seiner Seite soll Lorenzo geradewegs ins Verderben laufen, und mit ihm sein jüngerer Bruder Giuliano. Zwei Mal ist es in den Tagen zuvor nicht gelungen, die Köpfe der aufstrebenden Familie abzuschlagen - einmal bei einem Bankett in Salviatis Landhaus und einmal bei einem Gastmahl in Florenz. Giuliano war zwei Mal nicht erschienen.

 

Man muss beide ausschalten, dessen sind sich die Verschwörer sicher. Machiavelli schreibt die Idee des Komplotts Francesco Pazzi zu, einem Neffen des Familienoberhaupts Jacopo, sowie dem Grafen Girolamo Riario, einem weiteren Neffen des Papstes. Den hat der Heilige Vater zum Statthalter in Imola gemacht - noch ein Stachel im Fleisch der Medici. Denn der Papst hat den Florentinern diese Stadt vor der Nase weggekauft, mit dem Geld der Pazzi. Auch Erzbischof Salviati spielt laut Überlieferung eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung des Komplotts.


„Nach allem, was ich höre, sind die, die auf der Seite der Medici stehen, immer gut gefahren und die auf der Seite der Pazzi schlecht, denn sie werden immer vernichtet. Sei also vorsichtig.“ (Die Schriftstellerin Alessandra Macinghi Strozzi 1462 an ihren Sohn in Brügge)

Als sicher gilt, dass Sixtus IV. von dem Plan weiß. Wenn auch seine Zustimmung nicht schriftlich überliefert ist, sein Groll gegen den „einfachen Kaufmann“ Lorenzo ist es. Die Verschwörer wissen: Sixtus wird die blutige Tat billigen!

Unter der Kuppel von Santa Maria del Fiore mit ihren himmlischen Szenen herrscht größte Andacht. Der Priester hält die Hostie zur Wandlung empor. Fromme Blicke liegen auf da Gesichtern - da schlagen die Attentäter zu: „Hier, du Verräter!“ Bernardo Bandini, ein Pazzi-Freund, springt hervor, rammt Giuliano de' Media den Dolch in die Brust. Giuliano greift an die Wunde, taumelt. Da springt Francesco de' Pazzi hinzu und sticht wieder und wieder auf Giuliano ein, mindestens zwölf Mal.

Sandra Cozzoli stellte Giuliano de'Medici als Melchior in seinem „Zug der heiligen drei Könige“ dar

Sein Opfer bricht sterbend zusammen. Schreie hallen durch die riesige Kathedrale, Menschen laufen durcheinander, verängstigte Gottesdienstbesucher hasten zu den Ausgängen. Zur gleichen Zeit auf anderen Seite des Kirchenschiffs. Zwei Priester zücken verborgen gehaltene Dolche, ergreifen Lorenzo stechen von hinten zu. Am Hals getroffen, springt der hochgewachsene Medici vor, wirbelt herum, zieht seinen eigenen Dolch. Flink pariert er weitere Angriffe, dann flüchtet er durch die aufgewühlte Menge und rettet sich mit Freunden in die Sakristei.

Das Herz schlägt Lorenzo bis; Hals. Blut läuft ihm auf den Kragen. Bevor die schweren Bronzetüren in Sakristei ins Schloss fallen, wird Francesco Nori, einer der Leiter der Medici-Bank, hineingezerrt. Er röchelt und blutet stark aus dem Bauch - Lorenzo sieht einen seiner besten Freunde sterben. Dass auf dem Boden der Kathedrale sein Bruder im eigenen Blut liegt, erfährt er wenig später. Lorenzo schickt eine Depesche an das verbündete Mailand: „Meine Regierung schwebt in höchster Gefahr!“

In der Tat: Auch wenn die Verschwörer den Chef der Medici-Familie nicht töten konnten, so macht sich Erzbischof Salviati dennoch an den zweiten Teil des Plans, Florenz zu gewinnen. Entschlossen zieht der Gottesmann mit Söldnern in den Palazzo della Signoria (heute Palazzo Vecchio), jenen massiven, burggleichen Palast im Herzen von Florenz, den Sitz des Stadtparlaments.

Doch das Pendel schlägt längst gegen die Verschwörer aus. Während Franzesco de' Pazzi verletzt aufgibt und Bernardo Bandini flieht, verstrickt sich der Bischof in wirre Reden. Die Abgeordneten der Republik zögern nur kurz, auf welche Seite sie sich stellen sollen; Stunden, ja Tage der Rache beginnen. Im Palazzo ergreifen die Ratsmänner die Waffen. Sie stechen Salviatis Söldner entweder gleich ab oder werfen sie lebendig aus den Fenstern. Den Erzbischof selbst hängen sie an einem Fensterrahmen des Palazzo auf wie einen Verbrecher. Glocken läuten Alarm, zunächst in der Stadt, dann in der gesamten Toskana.

„Unterdessen war ganz Florenz unter Waffen“, schreibt Machiavelli: Auch andere Quellen berichten von großem Aufruhr: „In der ganzen Stadt rief man den Namen der Medici. Die Gliedmaßen der Ermordeten sah man auf den Spitzen der Waffen steckend umhergetragen, überall sah man grausame Handlungen gegen die Pazzi.“ Der verletzte Verschwörer Francesco wird neben dem Bischof am Fenster des Palastes aufgeknüpft. Machiavelli schreibt später von Straßen voller zerrissener Glieder.

Lorenzo leitet einen beispiellosen Rachefeldzug ein - er will die verhassten Pazzi vernichten! In den nächsten Tagen werden sämtliche Pazzi-Brüder und -Vettern verhaftet, verbannt oder eingekerkert. Bauern eines Bergdorfs fassen das fliehende Familienoberhaupt, den Messer Jacopo. Er bietet Gold für die Gelegenheit zum Selbstmord. Doch der alte Mann wird am selben Fenster aufgeknüpft wie der Bischof. Junge Florentiner schänden seine Leiche.

In der Stadt stehen schon am 5. Mai Pferde und Maultiere der einst hoch angesehenen Familie zum Verkauf, dann Kleidung, Möbel und Hausrat. Lorenzos harte Hand bringt im Innern Ruhe. Doch nun droht Ungemach von außen: Was der Papst durch Verschwörung nicht erreichte, versucht er nun durch einen offenen Krieg. An seiner Seite steht Ferdinand I., König von Neapel und traditioneller Verbündeter Roms. Lorenzo jedoch entscheidet sich zu einem beispiellosen Schachzug gegen die Übermacht: Er begibt sich in die Höhle des Feindes. Ganz Italien staunt, als Lorenzo im Frühjahr 1479 mit Bergen von Geschenken in Neapel eintrifft. Sixtus in Rom tobt.

„Würdevoll“ und „geistreich“ tritt Lorenzo in den täglichen Gesprächen mit Ferdinand auf; der König ist verwundert über „das Großartige seiner Ansichten“ und „die Richtigkeit seines Urteils“, wie erneut Machiavelli berichtet. Mit Takt und Feingeistigkeit gelingt dem „Gran maestro“ das Unmögliche: Er wickelt den verschlagenen Gegner um den Finger - ein Bravourstück der Diplomatie. Nach zweieinhalb Monaten lässt Ferdinand Lorenzo reich beschenkt ziehen, der Krieg ist vorbei. Machiavelli schwärmt: „War Lorenzo von Florenz als angesehener Mann abgereist, so kehrte er als der Größte zurück.“ Doch dieser Triumph bedeutet nicht das Ende aller Stürme über dem Hause Medici.


Machiavelli, der Chronist Die „Geschichte von Florenz“ (1522) aus der Feder Niccolö Machiavellis ist eine der wichtigsten Quellen zu den Ereignissen im April 1478. Viele Historiker beriefen sich auf seine Schilderungen. Die Dramatik der Ereignisse konnte jedoch keinen Beobachter unparteiisch lassen. Keiner der Zeitgenossen, die Machiavelli berichteten, vermochte das ganze Geschehen zu überblicken, und am Ende herrschte bei vielen die Perspektive der Sieger vor. Heutige Historiker weisen darauf hin, dass Machiavelli gelegentlich zum Fabulieren neigte. So wurde nachgewiesen, dass sich Florenz nicht, wie in der „Geschichte“ behauptet, unmittelbar nach dem Anschlag gegen die Verschwörer wandte, sondern stundenlang unentschlossen hin und her schwankte. Auch diese Erkenntnis ist wichtig: Den Pazzi ging es nicht nur um Macht oder Geld, sondern auch um eine offenere, demokratischere Verfassung.

Mord in der Badewanne

Es gibt Menschen, die wollen um jeden Preis die Welt verbessern. Jean-Paul Marat gehörte dazu. Im Juli 1790 meinte er: „Fünf- bis sechshundert rollende Köpfe könnten Euch Ruhe, Freiheit und Glück bringen.“ Ein Jahr später phantasierte er von 200000 notwendigen Todesopfern. Doch dann wurde er selbst Opfer der Gewalt.

Jacques-Louis David: Der Tod des Marat; Königl. Belgisches Kunstmuseum

Marat nannte sich „Freund des Volkes“. Der Typus Gutmensch, der im Namen der Humanität den Mord predigte, gehört zum festen Personal revolutionärer Bewegungen. Ein anderer „Jean-Paul“, nämlich Sartre, schrieb: „Ein revolutionäres Regime muss sich einer gewissen Zahl von Individuen entledigen, die es bedrohen, und da sehe ich keinen anderen Weg als den Tod. Aus einem Gefängnis kann man immer wieder herauskommen...“ Das hätte Marat gefallen.

Als Revolutionär mit Haut und Haaren sah er überall Konterrevolutionäre, für die es nur eine Antwort gab: den Tod auf der Guillotine. Selbst Robespierre und Danton war Marat gelegentlich zu radikal, und sie sahen sich genötigt, sich von seinen Extrem-Positionen zu distanzieren.

Der Arzt, Verleger und Agitator war einer der blutgierigsten Anführer der Französischen Revolution und Befürworter politischer Gewalt. Die Schreckensherrschaft der Jakobiner, die ihm zweifellos gefallen hätte, erlebte Marat nicht mehr; Charlotte Corday hatte ihn zuvor erdolcht. Auch ihr Typus gehört zur klassischen Besetzung in politischen Revolutionsspielen: die von der Reinheit ihrer Übererzeugung Durchdrungene, die auszieht, ein Fanal zu setzen.

Insoweit haben wir nun die Rollen im Stück „Charlotte Corday gegen Jean Paul Marat“ verteilt und müssen uns nun um Bühnenbild und Requisiten kümmern. Die Hintergrundausstattung zuerst: Das Attentat ereignete sich am 13. Juli 1793 in Paris. Als im September 1792 der Nationalkonvent zusammentrat, war sein erstes Gesetz die Abschaffung der Monarchie. Am 17. Januar 1793 beschloss der Konvent mehrheitlich - darunter auch mit Marats Stimme - den Tod des Königs. Dieser wurde am 21. Januar geköpft.

Marie Anne Charlotte Corday d'Armont (1768 geboren) entstammte normannischem Kleinadel. In Caen, wo ihre Familie ein Herrenhaus bewohnte, war man gemeinhin Royalist. Sie begrüßte die Revolution, schreckte aber vor den gewaltsamen Ausschreitungen zurück. Und wer war in ihren Augen der Hauptschuldige? Marat! Durch seine Anbiederung manipulierte der „Freund des Volkes“ die einfachen Leute, hetzte sie zu Übeltaten und Morden auf. Am 9. Juli 1793 stieg die Adelige in Caen in die Postkutsche.

Marat wurde 1743 in Boudry geboren. Der Vater war Sarde, die Mutter Schweizerin. Mit 16 Jahren zog er nach Bordeaux, um Medizin zu studieren. Er finanzierte sein Leben als Sprachlehrer. 1762 ging er für drei Jahre nach Paris, dann 10 Jahre nach England. Er schrieb politische Werke; sein „Ketten der Sklaverei“ erschien ursprünglich auf Englisch. Er erhielt an der berühmten schottischen Universität St. Andrews einen Titel in Medizin. 1777 kehrte er nach Frankreich zurück und diente als Arzt bei der Leibgarde des Grafen von Artois. Er interessierte sich für Naturwissenschaften und Politik; als Publizist und Agitator wurde er berühmt.


„Verbrecher haben das Gemeinwohl ihrem Ehrgeiz geopfert, um auf den Ruinen des verwüsteten Frankreichs das Gebäude ihrer Tyrannei zu errichten...“ (Charlotte Corday in ihrer Rechtfertigung des Mordes)

Am 12. September 1789 erschien erstmals die Zeitschrift „Publiciste Parsien“, die später umbenannt und als einflussreiche, radikalste Zeitung Frankreichs bekannt wurde: „L'Ami Peuple“ („Freund des Volkes“). Sie erschien unregelmäßig; gar nicht, wenn Marat untertauchen musste; zweimal täglich, wenn er Oberwasser hatte. Sie verstand sich als Stimme des revolutionären Volkes.

Marals „Volksfreund“ begann als Sprachrohr der gemäßigten Kräfte, die die Monarchie demokratisieren, aber nicht abschaffen wollten. Dann aber wurde das Programm gewalttätiger, schließlich brutal und blutig: Königlichen Beamten sei das rechte Ohr, königlichen Offizieren seien beide Daumen abzuschneiden. Hofhörige Parlamentarier seien zu pfählen und ihre blutigen Gliedmaßen an den Zinnen des Königspalastes auszustellen. Das reichte, selbst für ein revolutionäres Parlament. Siebenmal ergingen Haftbefehle gegen Marat. Er musste sich in Kellern verstecken. Zweimal floh er nach England.

Erst nach der „zweiten Revolution“ kehrte er ungefährdet auf die öffentliche Bühne zurück. Im April 1793 setzten die gemäßigten Abgeordneten die Aufhebung seiner Immunität auf die Tagesordnung - wegen seiner Aufrufe zu Umsturz, Mord und Plünderungen. Marat wurde nicht nur frei gesprochen, sondern als Volksheld gefeiert. Und es folgte ein Gegenschlag: Am 2. Juni umzingelte ein mit Kanonen bewaffneter Mob, die Klientel des Volksfreunds, die Tuilerien und forderte die Ausstoßung der „Volksfeinde“. 22 Girondisten starben auf der Guillotine.

Diese Verhaftungen waren Marats letzter Triumph. Seine Hautkrankheit hatte ihm die Sitzungen in den Tuilerien zur Qual gemacht. Vom 3. Juni an verließ er seine Wohnung in der Rue des Cordeliers nicht mehr.

Nach dem Attentat ließ sich Charlotte Corday ohne Widerstand festnehmen; sie hatte mit dem Leben abgeschlossen

Kommen wir zum Bühnenbild des Dramas Corday/Marat. Hierfür benötigen wir vor allem eine schuhförmige, blecherne Badewanne.

 

Charlotte traf am 11. Juli in der Poststation Place-Notre-Dame-des-Victoires ein. Sie ließ sich Feder, Papier und Tinte bringen und entwarf ihre „Botschaft an die Franzosen, die die Gesetze und den Frieden lieben“. Da steht: „Oh, mein Vaterland! Dein Unglück zerreißt mein Herz!“ Sie war fest entschlossen, Marat in aller Öffentlichkeit zu erdolchen. Am Morgen des 13. Juli erwarb Charlotte ein Küchenmesser. Kosten: 40 Sous, Klingenlänge: 20 Zentimeter. Sie erfuhr: Marat nimmt seit Tagen nicht mehr an den Sitzungen des Konvents teil. Sie rief eine Kutsche und erfuhr eine zweite Enttäuschung: Der Kutscher wusste nicht, wo Marat wohnte. Als sie schließlich in der Rue des Cordeliers anlangte, verwehrten ihr erst die Haushälterin, dann Marats Geliebte den Zutritt. Charlotte zog sich zurück. Sie schrieb ein Billet, ließ es per Schnellpost zustellen: Angeblich war sie bereit, Verschwörer aus Caen zu verraten. Eine Antwort blieb aus. Um 7 Uhr abends klopfte sie dreimal an Marats Tür. Das Dienstmädchen öffnete. Sie forderte, vorgelassen zu werden. Marat in seiner Wanne sitzend und schreibend, hörte den Disput und rief, die junge Bürgerin möge eintreten.

Mademoiselle Corday stand vor Marat im Bade. Das Gespräch dauerte zehn Minuten. Man fragt sich, wieso? Was zum Teufel ging in der jungen Frau vor? Sie wollte den Blutsäufer doch töten! Charlotte berichtete von Konterrevolutionären in Caen. Das hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit; Caen war eine Hochburg der Royalisten. Marat schrieb mit und verkündete: „Ich werde sie alle guillotinieren lassen!“ Nach dieser Bemerkung zückte Charlotte das Messer und stach es ihm in den Hals. Die Frauen kreischten. Aus der Nebenwohnung eilte ein Zahnarzt herbei, um die Wunde zu schließen. Vergeblich, Marat war verblutet. Die Täterin wurde niedergeschlagen, obwohl sie keinen Fluchtversuch unternommen hatte. Noch in der Wohnung fand das erste Verhör statt. Sie leugnete nichts.

Nächster Akt: das Revolutionstribunal erkannte ihr den Tod zu. Auf der Place de la Revolution (heute: Place de la Concorde) wurde Charlotte am Abend des 17. Juli guillotiniert.

Jean-Paul Marat

1743 geboren am 24.5. in Boudry/Schweiz; 1759 -1762 unterrichtet er als Hauslehrer in Bordeaux. 1763 -1775 In Paris und London geht er hauptsächlich medizinischen Studien nach 1777-1784 arbeitet er als Militärarzt beim Grafen von Artois 1789 -1793 Seine republikanische Ideologie erscheint in seiner Zeitung „!'Ami du peuple“1793. Er tritt offen für eine Diktatur ein; am 13.7. erdolcht ihn Charlotte Corday im Bad.

Das große Drama wird zum Thema der Nachwelt: Mademoiselle, sagten Royalisten, habe - wie eine würdige Nachfolgerin der Jeanne d' Arc - sich zum Besten Frankreichs geopfert. Auch die Jakobiner wollten die Bluttat propagandistisch nutzen.

Charlotte Marie-Anne Corday

Der berühmte Maler Jacques-Louis David, ein enger Freund des Erdolchten, hatte ihn noch am Vorabend des Attentats besucht. Am 16. Oktober zog eine lange Prozession zum Hof des Louvre, wo Davids Ölgemälde „Marats Tod“ ausgestellt war, das ihn in ikonenhafter Pose in seiner Badewanne zeigt. Voran Trommler, Kanoniere, dann Abordnungen aller Verfassungsorgane, Vertreter der politischen Klubs und Armeeeinheiten. Festredner schwelgten in revolutionärer Prosa.

Man ehrte einen Helden der Revolution. Das Gemälde hängt heute in Brüssel. Natürlich ließen sich auch die Pariser Bühnen das Thema nicht entgehen. Das Theätre de la Cite zeigt den „Tod des unglücklichen Marat und sein Aufstieg in die elysischen Gefilde“, das Theätre de l'Esplanade ließ ihn in der Kurzoper „Marat im Olymp“ sogar besingen.

Das tragische Ende der Charlotte Corday hingegen inspirierte Schriftsteller wie Klopstock und Peter Weiss der dem Geschehen das Drama „Die Verfolgung und Ermordung Jean-Paul Marats“ widmete.