Die Krone gegen Penguin

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Die Krone gegen Penguin
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Walter Brendel

Die Krone gegen Penguin

Der Prozess der Lady Chatterley

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Brokatbook Verlag Dresden Gunter Pirntke

Gunter Pirntke

Altenberger Straße 47

01277 Dresden

brokatbook@aol.com

walterbrendel@mail.de

Inhalt

Einleitung

Worum es geht beim Prozess?

Erster Verhandlungstag. Die Anklage hat das Wort

Lawrence, der Visionär

Zweiter Verhandlungstag. Die Zeugenbefragung

1928. Autobiografische Skizzen.

Dritter Verhandlungstag

Vierter Verhandlungstag

Fünfter Verhandlungstag

Sechster Verhandlungstag. Das Urteil

Die Buchbeschreibung

Zusammenfassung

Quellen

Einleitung

Bücher haben es manchmal schwer. Sie bündeln die Macht der Worte und lösen so manchen Skandal aus. Vordergründig, weil sie so manches Tabu brechen. Doch meist geht es dabei um tiefgreifende gesellschaftliche Strukturen, um neue Ideen. So auch 1960, als in England der 1928 entstandene Roman "Lady Chatterley" von D.H. Lawrence erschien. Die Gegner argumentierten mit Moral und verteidigten doch ihre Privilegien.

„Pornografisch“ nannten die prüden englischen Kritiker David Herbert Lawrence’ Roman Lady Chatterleys Liebhaber kurz nach seinem Erscheinen im Jahr 1928. Und wirklich war das Vokabular für die damalige Zeit sehr freizügig und vor allem sehr eindeutig. Aufgeklärte Leser von heute werden von den erotischen Finessen des Buches kaum noch schockiert sein, eher wirkt der stellenweise allzu pathetische Stil unfreiwillig komisch. Der Autor schwankt zwischen Naturphilosophie, Sozialromantik und gesellschaftlichem Realismus. Er wird nicht müde, die Natur zu verherrlichen und die Industrie zu verdammen. Lawrence hat seine Geschichte der Lady Chatterley in 19 kurze Kapitel aufgeteilt. Das Ende bleibt offen, der Leser erfährt nicht, wie die nicht standesgemäße Romanze ausgeht. Dialoge und Briefe unterbrechen häufig den Erzählfluss und deuten wichtige Veränderungen an. Der Radius der Hauptfiguren ist begrenzt, die Handlung beschränkt sich auf wenige Orte. Heute ist der Roman vor allem als literaturhistorisches Dokument interessant, weil er wie kaum ein anderes belletristisches Buch in den Giftschrank gesperrt worden ist und von der staatlichen Zensur betroffen war.

Die britische Krone strengt auf der Grundlage des „Gesetzes über obszöne Publikationen“ einen Prozess gegen den Verlag Penguin an. Das Ziel – der Druck des Romans „Lady Chatterley“ soll untersagt werden und das Buch in Großbritannien weiter verboten bleiben. In der Begründung heißt es, die Geschichte von Lady Chatterley und dem Wildhüter sei „aufrührerisch, skandalös und pornographisch!“ Sechs Tage dauert der Prozess. Dieser wird für die Kläger zum Desaster. Lady Chatterley ist fortan eine Heldin der sexuellen Revolution.

Als Constance Chatterley in den Armen ihres Wildhüters die Lust entdeckt, verstößt sie gegen die Moral und die gesellschaftlichen Normen ihrer Zeit. Vor allem aber entdeckt sie ihre eigene Stärke, entkommt ihrem Schicksal und nimmt ihr Leben in die Hand – eine Emanzipationsgeschichte. Die Zensoren hingegen reduzierten den Roman auf die anrüchige Geschichte einer wollüstigen außerehelichen Beziehung.

1960 war das Buch in England noch immer verboten, als der Taschenbuchverlag Penguin beschloss, sich über die Zensur hinwegzusetzen und „Lady Chatterley’s Lover“ zu veröffentlichen. Aber was ist obszön an einer mutig-radikal formulierten Darstellung von geschlechtlicher Liebe?

Handelt es sich nicht eher, wie der Bischof von Woolwich im Zeugenstand aussagte, um einen „Text, den alle Christen lesen sollten“? Was genau wirft man Constance Chatterley vor: ihre sexuelle Befreiung oder die scharfe Kritik an der britischen Gesellschaft? Im Verlauf des Prozesses entsteht Stück für Stück ein anderes Porträt von Lady Chatterley als eine Frau ihrer Zeit, die den ihr zugewiesenen Platz der Ehefrau und Adligen ablehnt und Freiheit anstrebt. Nach sechs Verhandlungstagen waren sich die Geschworenen einig: nicht schuldig! Ein Rückblick auf die Geschichte zeigt, dass dieser „Jahrhundertprozess“ die sexuelle Revolution mit in Bewegung brachte, die in den 60er Jahren erst England und schließlich ganz Europa erfassen sollte.

David Herbert Lawrence’ Roman schlug wie eine Bombe ein. Großbritannien befand sich nach dem Ersten Weltkrieg in einer wirtschaftlichen Krise. Viele Arbeiter hatten mit zunehmender Verarmung zu kämpfen. Dazu kam die Orientierungslosigkeit vieler Menschen, die sich nach dem Krieg nicht mehr zurechtfanden. Das „gute alte England“ existierte nicht mehr, und die Gesellschaft hatte noch keinen neuen Weg gefunden. Impulse von der Oberschicht des Landes blieben aus. Und dann dieser Roman, der wegen seiner erotischen Freizügigkeit sofort berüchtigt wurde: Das Buch erzählt die Geschichte von Lady Chatterley, die ihren kriegsversehrten Mann verlässt, um mit einem Wildhüter aus der Arbeiterklasse zusammenzuleben. D. H. Lawrence löste damit einen der größten Skandale der Literaturgeschichte aus; dies gleich aus zwei Gründen: zum einen, weil die junge Frau ihren Stand verrät und Klassenschranken missachtet, zum anderen, weil sie zu einer erfüllten Sexualität findet, was im puritanischen England verpönt war. Die freizügigen erotischen Szenen führten zu einem Veröffentlichungsverbot, das erst nach über 30 Jahren aufgehoben wurde. Die anderen Leitmotive des Romans – beispielsweise die Kritik an ungebremster Industrialisierung und am Kapitalismus – wurden zunächst kaum wahrgenommen.

Worum es geht beim Prozess?

Im jenen Jahr 1960 versucht der Verleger des Penguin Verlages einen großen und genialen Erfolg zu landen. Ein neues Gesetz hat gerade die Zensur gelockert. Danach durfte ein obszönes Buch erscheinen, wenn ein Gericht dem Werl literarische Qualität bescheinigt. Penguin nutzt die Gunst der Stunde und versucht erstmals in Großbritannien, 30 Jahre nach dem Tod des Autors David Herbert Lawrence, die Veröffentlichung von „Lady Chatterleys Liebhaber“.

Der Taschenbuchverlag Penguin setzte sich also 1960 provokant über neuere Gesetze gegen „obszöne Publikationen ohne literarische Qualität“ hinweg. Die sehr präzise formulierte Darstellung von geschlechtlicher Liebe, in Verbindung mit einem Plädoyer für die Natur – als im Buch genutzte Metapher für menschliche Sinn- und Natürlichkeit – erregte genauso Anstoß wie dargestellte sexuelle Befreiung und scharfe Kritik an der britischen Gesellschaft.

Penguin ließ elf Exemplare des Buches an eine Bahnhofsbuchhandlung ausliefern und erstattete, um ein Gerichtsverfahren zu erzwingen, gleichzeitig Selbstanzeige.

Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Die englische Regierung attestiert dem Verlag, obszöne Schriften zu veröffentlichen und es kommt zu dem Prozess des Jahres: Die englische Krone gegen Lady Chatterley.

Er wird am 20. Oktober 1960 vor einem Londoner Geschworenengericht eröffnet. 12 Geschworene sind per Los ermittelt worden. Sie haben nun darüber zu entscheiden, ob die Zensur aufgehoben wird oder nicht.

Die entscheidenden Momente sind erhalten geblieben, die zeugen von einem aufschlussreichen Verfahren.

Erster Verhandlungstag. Die Anklage hat das Wort

Mervyn Griffith-Jones, der königliche Ankläger, ergreift das Wort:

„Verehrte Geschworene, es geht um Lady Chatterley, eine junge Frau, deren Ehemann Clifford im Ersten Weltkrieg verwundet wurde. Er kam heim, verkrüppelt und impotent. Ich lade Sie ein zu bestätigen, dass das in der Tat ein Buch ist, das beschreibt, wie diese Frau, des Geschlechtsverkehrs mit ihrem Ehemann beraubt, ihr sexuelles Verlangen befriedigt, so wie ein sexhungriges Mädchen ihren Hunger stillt, mit einem besonders sinnlichen Mann, der sich als der Wildhüter ihres Mannes erweist.

Und dann gibt es die Passagen mit Geschlechtsverkehr. Es gibt 13 Sex-Passagen in diesem Buch. Der Vorhang ist nie zugezogen. Man folgt ihnen nicht nur bis ins Schlafzimmer, sondern bis ins Bett und bleibt dort bei ihnen.

Sex, verehrte Geschworene, wird bei jeder Gelegenheit eingebaut.“

Der Staatsanwalt fuhr fort:

„Verehrte Geschworene!

Diese Dinge werden normalerweise nicht ausgesprochen in diesen Gerichtssaal. Aber wenn sie den Hauptanklagepunkt bilden, dann verehrte Geschworene, ist es unvermeidlich sie auszusprechen. Gewisse Wörter – und wann wird einwenden, es seien gute alte, angelsächsische Wörter – tauchen immer wieder auf. Das Wort „ficken“ erscheint nicht weniger als dreißig Mal. Ich habe sie gezählt, ohne Garantie auf Vollständigkeit. „Möse“ vierzehn Mal. „Eier“ dreizehn Mal. „Scheiße“ und „Arsch“ jeweils sechs Mal. „Schwanz“ viermal, „pissen“ drei Mal und so weiter.“

 

Wir haben es also hier mit einer heißen außerehelichen Beziehung zwischen einer frustrierten Aristokratin und einem selbstbewussten Proletarier zu tun. Darauf reduziert der Staatsanwalt, Sprachrohr des Staates, Lady Chatterleyn Liebhaber. Mehr hat er zu dem einfühlsamen, wie sinnlichen Roman, über dieses amouröse Dreieck im England der zwanziger Jahre nicht zu sagen. Zu der Geschichte von Lady Chatterleyn, einer jungen freien Frau auf der Suche nach ihrem Leben.

Von Clifford, ihrem Mann, einen herrsüchtigen, gelähmten und impotenten Aristokraten und von Oliver Mellors, dem Wildhüter, Mann der Wälder, ihren Liebhaber und Komplizen.

Diesem Buch wollte Lawrence ursprünglich einen anderen Titel geben, „Zärtlichkeit“. Es ist furchtbar, wenn man als Schriftsteller nicht verstanden wird, die Rezeption des Buches in die Irre geht. Es kommt dann zu einen völligen Missverständnis, als wäre das Buch in der falschen Sprache geschrieben. Man hat so den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Der Baum, das sind die erotischen, sinnlichen, fleischliche, manchmal wollüstige Erinnerungen. Das ist alles bedeutsam und Lawrence kann seinen Lesern nicht vorwerfen, dass sie manchmal in Erregung geraten sind, beim lesen. Genau das passiert mal. Er kann den Leser nicht vorwerfen, dass er ein Beben der Erregung verspürt, aber das ist ein Missverständnis und es wäre ein großer Fehler, Lady Chatterleyn Liebhaber auf eine Reihe von Liebesabenteuern zu reduzieren. Das wäre genauso, als würde man behaupten, dass Romeo und Julia eine Geschichte über das Erklettern von Balkonen wäre oder Don Quichotte eine Anleitung zur Eroberung von Windmühlen.

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