Der Reichtagbrandprozess

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Der Reichtagbrandprozess
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Walter Brendel

Der Reichstagbrandprozess

Tatsachen, Hintergründe, Nachweise

Der Reichstagbrandprozess

Walter Brendel

Tatsachen, Hintergründe, Nachweise

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag: © Copyright by Walter Brendel

Verlag: Das historische Buch, 2022

Mail: walterbrendel@mail.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Einleitung

Das Braunbuch

Ermittlungen

Die Rolle des Walter Gempp

Wer sagt die Wahrheit?

Was tat van der Lubbe?

Der Prozess

Märtyrer oder Depp

Geplatzte Nazipropaganda

Zusammenfassung

Anmerkung

Quellen

Einleitung

Die sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ berichtete am 28. Februar 1933 vom Vortag, dass in den Abendstunden ein Riesenfeuer den Himmel über der City rötete und das die Kuppel des Reichstages in hellen Flammen gestanden hätte. Feuerwehr und Polizei hätten übereinstimmend die Ursache als Brandstiftung bezeichnet, da an verschiedenen Stellen Brandnester gefunden worden waren. Kurz nach 21 Uhr sei im Reichstag Feueralarm gegeben worden. Zunächst wurde ein Feuer im Restaurant gemeldet. Dort konnten die Flammen rasch erstickt werden. Aber kurz danach wurden mehrere weitere Brandherde entdeckt. In kurzer Zeit brannte der Sitzungssaal des Gebäudes lichterloh.

Das Feuer, das an den Abgeordnetensitzen, Pulten und der hölzernen Wandverkleidung überaus reiche Nahrung fand, griff wie rasend um sich. Die Feuerwehr war inzwischen mit 15 Löschzügen vor Ort. Diese nahmen den Kampf gegen den Brand mit zahlreichen Spritzen von verschiedenen Seiten auf. Allerdings war es anfangs wegen der Hitze unmöglich, an das Zentrum des Brandes heranzukommen. Daher beschränkte sich die Feuerwehr darauf, ein Ausbreiten der Flammen zu verhindern. Erst gegen 0 Uhr 25 hatte die Feuerwehr das Feuer weitgehend gelöscht. Im Laufe der Zeit sammelten sich mehrere tausend Schaulustige an. Mehrere Hundertschaften der Schutzpolizei führten Absperrungen durch, da man annahm, unter den Zuschauern Komplizen ausfindig zu machen. Das Blatt berichtete weiter, dass im Polizeipräsidium eine Sonderkommission gebildet worden sei. Diese hat eine Vernehmung des festgenommenen geständigen Täters von der Lubbe durchgeführt. Dieser sei 24 Jahre alt, von Beruf Maurer und stamme aus Leyden. Er blieb auch bei der ersten Vernehmung dabei, allein gehandelt zu haben. Der Vorwärts war allerdings der Meinung, dass der Täter gute Ortskenntnisse gehabt haben müsse und schloss indirekt eine Mittäterschaft der Kommunisten nicht aus.

Der Chef der preußischen politischen Polizei Rudolf Diels, der unmittelbar nach der Meldung an den Tatort geeilt war, berichtete im Rückblick über die Umstände der Festnahme und dem Geständnis von der Lubbes. Kurze Zeit später trafen auch Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Hermann Göring, Wilhelm Frick sowie Wolf-Heinrich Graf von Helldorf ein. Göring äußerte dabei: „Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes, sie werden jetzt losschlagen! Es darf keine Minute versäumt werden!“

Hitler hat dies nach diesem Bericht noch verschärft: „Es gibt jetzt kein Erbarmen; wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“ Diels äußerte die Überzeugung, dass es sich nach Meinung der Polizei, um einen verrückten Einzeltäter handele, stieß damit bei den führenden Nationalsozialisten auf Ablehnung und diese bestanden auf der Ausrufung des Ausnahmezustandes und der Verhaftung von sozialdemokratischen und kommunistischen Funktionären. Auch ein Tagebucheintrag von Joseph Goebbels vom 9. April 1941 über eine Unterredung mit Hitler, bei der beide rätseln, wer den Brand denn nun gelegt hatte, deutet darauf hin, dass die nationalsozialistische Führung vom Brand überrascht wurde.

Der Reichstagsbrand fiel mitten in den Wahlkampf für die Reichstagswahl die am 5. März 1933 stattfinden sollte. Wie die ersten Äußerungen am Tatort gezeigt haben, war man bis in hohe Kreise der NSDAP von einem Aufstandsversuch der KPD überzeugt.

Andere zeitgenössische Beobachter hielten ihn für eine Aktion der neuen Machthaber, um geplante politische Repressalien zu legitimieren. Karl Jaspers und mit ihm ein Großteil der historischen Forschung argumentiert, dass die Nationalsozialisten – zunächst tatsächlich an den kommunistischen Aufstand glaubend – die Gelegenheit virtuos ausgenutzt und den Verdacht als Tatsache dargestellt.

Wer auch immer den Brand gelegt hat, kam dieses Ereignis für die Nationalsozialisten äußerst gelegen, um gegen ihre politischen Gegner vorzugehen. Der Wahlkampf der NSDAP wurde ohnehin bereits als „Kampf gegen den Marxismus“ geführt. Der Brand gab der Partei nunmehr die Möglichkeit zur Radikalisierung und den Einsatz staatlicher Machtmittel gegen die Linksparteien.

Die NSDAP sprach unmittelbar danach von einem „Fanal zum blutigen Aufruhr und zum Bürgerkrieg“. Hinter dem Brand sollten angeblich kommunistische Kräfte stecken. Noch in der Brandnacht ordnete Hermann Göring in seiner Funktion als kommissarischer preußischer Innenminister das Verbot der kommunistischen Presse an.

Außerdem wurden die Parteibüros geschlossen und zahlreiche Funktionäre der Partei in die so genannte Schutzhaft genommen. Allein in Berlin wurden 1500 Mitglieder der KPD festgenommen. Darunter war fast die gesamte Reichstagsfraktion. Der Polizei gelang es jedoch nicht die eigentliche Parteiführung zu verhaften, weil sich das Politbüro zu einer geheimen Sitzung getroffen hatte. Der Fraktionsvorsitzende der KPD im Reichstag Ernst Torgler stellte sich kurze Zeit später freiwillig, um so die Behauptung er sei am Brand beteiligt gewesen, als absurde Behauptung erscheinen zu lassen.

Da der am Tatort festgenommene Marinus van der Lubbe angeblich auch Verbindung zur SPD zugegeben hatte, geriet auch diese Partei in den Fokus der Behörden. Die sozialdemokratische Presse aber auch die Wahlplakate der Partei wurden für 14 Tage verboten.

Am 28. Februar noch wurde vom Reichskabinett die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ verabschiedet. Damit wurden die Grundrechte außer Kraft gesetzt. Der Polizei und ihren Hilfsorganen (namentlich der SA) war es nunmehr möglich Verhaftungen ohne die Nennung von Gründen vorzunehmen und den Betroffenen jeden Rechtsschutz zu verweigern. Weder die Unversehrtheit der Wohnung noch des Eigentums waren mehr gewährleistet. Das Post- und Fernmeldegeheimnis war ebenso aufgehoben wie die Meinungs-, Presse- und Vereinsfreiheit. Gleichzeitig waren darin stärkere Eingriffsmöglichkeiten des Reichs in die Angelegenheiten der Länder verbunden. Für verschiedene Terrordelikte wie auch für Brandstiftung wurde rückwirkend die Todesstrafe eingeführt. Diese Verordnung war gleichbedeutend mit dem Ende des Rechtsstaates in der bisherigen Form. Die Verordnung blieb bis zum Ende des Dritten Reiches in Kraft und war die Grundlage für ein Regime des permanenten Ausnahmezustandes.

Aus taktischen Gründen sah die Regierung noch von einem formellen Verbot der KPD ab. Aber Adolf Hitler machte noch am 28. Februar unmissverständlich deutlich, dass jetzt rücksichtslose Auseinandersetzung mit der KPD dringend geboten sei. Das erklärte Ziel war die völlige Vernichtung der Kommunisten. Daneben konnte die Notverordnung auch auf Sozialdemokraten und letztlich auf alle Gegner des Regimes angewandt werden.

Die Notverordnung schuf die Grundlage zur Verhaftung nicht nur zahlreicher weiterer Funktionäre der Arbeiterparteien, sondern auch zahlreicher kritischer meist linker Intellektueller. Unter diesen waren noch am 28. Februar Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Ludwig Renn, Egon Erwin Kisch, Max Hodann oder Hans Litten. Einige Tage später gelang der Polizei auch die Verhaftung des kommunistischen Parteivorsitzenden Ernst Thälmann.

Der laufende Reichstagswahlkampf konnte von der NSDAP nach dem Brand in offen terroristische Bahnen gelenkt werden. Bis Mitte Mai 1933 wurden allein Preußen über 100.000 politische Gegner, die Mehrzahl Kommunisten, verhaftet und in provisorischen Konzentrationslager und Folterkeller gebracht. Am Wahltag zählte man 69 Tote und hunderte Verletzte allerdings nicht nur auf Seiten der Opposition sondern auch bei SA und NSDAP.

Die nationalsozialistische Führung hätte gerne auf einen ordentlichen Prozess verzichtet. Aber dies war nicht möglich, da der Übergang zur Diktatur noch nicht abgeschlossen war. Hinzu kam der Druck des Auslandes. Dabei spielte die Exil-KPD eine starke Rolle. Allerdings wurde einen Monat nach dem Reichstagsbrand von der Reichsregierung mit einer Lex van der Lubbe das Strafmaß erhöht, so dass für Brandstiftung auch die Todesstrafe verhängt werden konnte.

 

Die polizeilichen Ermittlungen und gerichtlichen Voruntersuchungen richteten sich neben Marinus van der Lubbe auch gegen den angeblichen Anstifter den deutschen Kommunisten Ernst Torgler und drei bulgarische Kommunisten Georgi Dimitroff, Blagoi Popow und Wassil Tanew. Als Staatsschutzsache war der Fall eine Sache für das Reichsgericht in Leipzig. Insgesamt wurden bei der Voruntersuchung über 500 Zeugen vernommen. Die Ergebnisse aus 32 Aktenbänden wurden in einer umfangreichen Anklageschrift zusammengefasst. In dieser Zeit versuchte die Regierung das Verfahren zu beeinflussen, so wurde der die Untersuchung leitende Richter durch einen Mann des Regimes ersetzt, der konsequent alle Entlastungsanträge der Beschuldigten ablehnte. Der Versuch von Dimitroff einen ausländischen Verteidiger hinzuzuziehen scheiterte, den Angeklagten wurden stattdessen einige Offizialverteidiger zugewiesen.

Am 21. September 1933 wurde der Prozess vor dem IV. Strafsenat des Reichsgerichts eröffnet. Der vorsitzende Richter war Wilhelm Bünger ehemals Mitglied der DVP und Landesminister in Sachsen und kein Anhänger des neuen Regimes. Das Verfahren war in weiten Teilen geprägt von politischen Auseinandersetzungen. Dimitroff hatte sich in der Haft intensiv mit dem deutschen Strafrecht und –prozessordnung vertraut gemacht und lieferte sich als guter Rhetoriker heftige Redeschlachten mit den Vertretern der Anklage, versuchte die Belastungszeugen in Widersprüche zu verwickeln und stellte eine Vielzahl von Beweisanträgen. Durch die zahlreichen in- und ausländischen Pressevertreter konnte er sich seiner medialen Wirkung sicher sein. Die Richter sowohl von der Presse wie auch der Regierung kritisch beobachtet, erwiesen sich gegenüber Dimitroff als hilflos. Ihre einzige Waffe war dessen mehrfacher Ausschluss vom Verfahren. Bemerkenswert ist, dass einige Zeugen die als Inhaftierte in Konzentrationslagern unter Druck gegen die Angeklagten ausgesagt hatten, vor Gericht ihre Aussage widerriefen. Ein Gutachter kam zwar im Verlauf des Prozesses zu dem Urteil, dass van der Lubbe unmöglich der alleinige Täter sein könne. Insbesondere die ausländische Öffentlichkeit blieb aber skeptisch. Die Wende sollte der Auftritt von Joseph Goebbels und Hermann Göring bringen. Göring griff die Kommunisten scharf an, ließ sich aber von Dimitroff aus der Fassung bringen. Geschickter verhielt sich Goebbels aber auch ihm gelang es nicht den Eindruck eines nationalsozialistischen Schauprozesses zu entkräften.

Das Urteil, zudem keine Revision möglich war, erging am 23. Dezember 1933. Danach wurden die Angeklagten Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff freigesprochen. Der Angeklagte Lubbe wurde wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung zum Tod und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Der Freispruch der kommunistischen Angeklagten erfolgte dabei aus Mangel an Beweisen. Die These von der kommunistischen Verantwortung wurde allerdings aufrechterhalten. Das Urteil wurde im Ausland mit Erleichterung, von der nationalsozialistischen Presse mit Entrüstung aufgenommen. Marinus van der Lubbe wurde am 10. Januar 1934 durch die Guillotine hingerichtet.

In London wurde 1933 eine „Internationale Untersuchungskommission zur Aufklärung des Reichstagsbrandes“ eingerichtet, als deren Vorsitzender Denis Nowell Pritt fungierte. Außerdem gab es im Ausland einen Gegenprozess.

Wenn die Unabhängigkeit des Gerichts auch bereits deutlich eingeschränkt war, zeigte das Urteil, dass die Kontrolle des Regimes noch nicht vollständig gesichert war. Der Prozess wurde eine Haupttriebkraft zur Schaffung eines außerordentlichen Strafrechts. Dazu gehörte nicht zuletzt die Einrichtung des Volksgerichtshofes.

Es gab insgesamt drei Theorien zu den Hintergründen des Brandes:

1. Die Nationalsozialisten sprachen von einem „kommunistischen Aufstand“, zu dem der Brand des Reichstags das Fanal gewesen sein soll.

2. Kommunisten, aber auch Demokraten vermuteten schon frühzeitig, dass die Nationalsozialisten selbst den Brand gelegt hätten, um einen Vorwand für die Verfolgungen zu haben.

3. Schließlich gibt es die These von der Alleintäterschaft des am Tatort aufgefundenen Marinus van der Lubbe.

Das Braunbuch

Am Abend des 27. Februar 1933, vier Wochen nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen haben, steigt der holländische Maurer Marinus van der Lubbe in das Berliner Reichstagsgebäude ein und setzt zunächst die Restaurationsräume und dann den Plenarsaal in Brand. Nach seiner Verhaftung erklärt er, aus politischen Motiven gehandelt zu haben, bestreitet aber die Existenz von Mitwissern oder Helfershelfern. Obwohl auch Polizei und Feuerwehr keinerlei Beweise dafür erbringen können, dass außer Lubbe noch weitere Brandstifter im Reichstag gewesen sind, beschuldigen die Nationalsozialisten die KPD, den Reichstag angesteckt zu haben. Sie lassen den KPD-Fraktionschef Torgler und später die drei Bulgaren Dimitroff, Popoff und Taneff verhaften, um sie der Mittäterschaft am Reichstagsbrand anzuklagen. Die Kommunisten wiederum beschuldigen die NS-Führung der Brandstiftung, denn, so argumentieren sie, die Nazis brauchten einen Vorwand, um die KPD verbieten zu können. Die These der Kommunisten fand Eingang in die Geschichtsbücher.

Während Göring und Goebbels sich darauf verließen, dass Polizei und Justiz genügend Beweise für die Schuld der KPD am Reichstagsbrand zusammentragen würden, holten die Kommunisten zum Gegenschlag aus und organisierten einen weltweiten Propagandafeldzug gegen die neuen Herren Deutschlands. Der Drahtzieher dieser Aktion war Willi Münzenberg, Chef der kommunistischen Zentrale für Agitation und Propaganda {"Agitprop") in Paris. Ohne dass sein Name jemals in Erscheinung trat; gab Willi Münzenberg in der französischen Hauptstadt eine Flut von Broschüren und Emigrantenzeitschriften heraus, die von ihm dirigiert und finanziert wurden.

Kernstück seines publizistischen Kampfes gegen Hitler aber waren, die "Braunbücher" I und II, zwei dickleibige, geschickt aufgemachte Bände von 382 und 462 Seiten, die in Auflagen von mehreren hunderttausend Exemplaren in allen Weltsprachen verbreitet wurden. In Deutschland kursierten sie getarnt als Liederbücher oder Reclam-Bände.

Der Titel des ersten Braunbuches lautete: "Braunbuch über den Reichstagsbrand und Hitler-Terror, Vorwort von Lord Marley"; der des zweiten: "Braunbuch II - Dimitroff contra Göring, Enthüllungen über die wahren Brandstifter". Für diese Braunbücher und ähnliche Publikationen hatte Münzenberg in Paris eigens einen Verlag gegründet, die "Editions du Carrefour".

Die beiden Braunbücher können heute noch als Standardbeispiele moderner Propagandakunst gelten. Nahezu alles, was an Argumenten für die Schuld der Nazis am Reichstagsbrand ins Feld geführt wurde - und wird -, stammt aus den Münzenberg-Publikationen. Schon die Wahl des Titels "Braunbuch" war ein gelungener Griff. Er suggerierte unbewusst die Vorstellung von "amtlichen Dokumenten", unanfechtbaren Unterlagen. Genau das hatte man erreichen wollen, und genau das erreichte man: Wochenlang füllten Auszüge, Kommentare und Leitartikel zum Thema Braunbuch die Spalten der Weltpresse.

Über die grandiose Pariser Hexenküche, in der die kommunistischen Agitprop Spezialisten wirkten, hat neben anderen ehemaligen Kommunisten vor allem Arthur Koestler ausführlich berichtet. In seiner "Geheimschrift" 1 und in "Ein Gott, der keiner war" 2 leuchtet er rücksichtslos in den Kreis jener kommunistischen Intellektuellen hinein, die sich in Paris um den "roten Hugenberg" - wie Münzenberg genannt wurde - scharten.

Agitprop-Chef Münzenberg war nach Koestlers Schilderung "eine magnetische Persönlichkeit von einer ungeheuren, mitreißenden Vitalität und einem unsentimentalen, verführerischen Charme". Die Münzenberg-Schwägerin Margarete Buber-Neumann bestätigt das in ihren Erinnerungen: "Wohl kein anderer prominenter deutscher Kommunist war so voller Ideen wie Münzenberg... Fast alle standen unter dem Eindruck seiner kraftvollen Persönlichkeit, bewunderten seine Fähigkeit, alles seinen Zwecken dienstbar zu machen, mochte es sich um die Sammlung von Unterschriften einflussreicher Dichter, Künstler oder Gelehrter handeln oder um den Aufbau einer Hilfsaktion."

Münzenberg war zur Zeit des Reichstagsbrandes noch in Berlin, 43 Jahre alt und einer der jüngsten Abgeordneten des Reichstags. Er war 1914 als Handwerksbursche in die Schweiz gegangen und hatte dort Verbindung mit russischen Emigranten aufgenommen. Er wurde, gut Freund mit Trotzki, Sinowjew und auch mit jenem Wladimir Uljanow, den die Welt später unter dem Namen Lenin kennen lernen sollte.

Als die Schweizer ihn nach dem Ersten Weltkrieg über die Grenze nach Deutschland abschoben, ging Münzenberg nach Berlin, wo er den "Kommunistischen Jugendverband" mitgründete, die "Internationale Arbeiterhilfe" leitete und schließlich Reichstagsabgeordneter wurde.

Am Brandabend hatte sich Münzenberg in Frankfurt am Main aufgehalten. Als ihm klar wurde, dass er als einer der von den Nazis bestgehassten Kommunisten mit seiner Verhaftung rechnen musste, flüchtete er zunächst in die Schweiz und siedelte einige Wochen später nach Paris über. Dort organisierte er unverzüglich das Propa-gandahauptquartier der Komintern, mit dem er - nach Koestlers bewundernden Worten - "einen weltweiten, antifaschistischen Kreuzzug begann, der eine einmalige Leistung in der Geschichte der Propaganda darstellt".

"Dieses Hilfskomitee für die Opfer des deutschen Faschismus", so berichtete Koestler weiter, "mit seinem glänzenden Aushängeschild internationaler Berühmtheiten, wurde der Hebel des ganzen Kreuzzuges. Mit großer Vorsicht vermied man, dass Kommunisten - mit Ausnahme einiger Träger international bekannter Namen wie Henri Barbusse und G.B.S. Haldane - öffentlich mit dem Komitee in Verbindung kamen. Das Pariser Sekretariat, welches das Komitee leitete, war jedoch eine ausschließlich kommunistische Fraktion, mit Münzenberg an der Spitze und kontrolliert von der Komintern. Die Büros waren zuerst in der Rue Mondetour und später im Hause Nr. 83 Boulevard Montparnasse. Münzenberg selbst arbeitete in einem großen Zimmer innerhalb der Räumlichkeiten des Komitees, doch kein Außenseiter wusste davon.

Der brennende Reichstag

Er rief internationale Ausschüsse, Kongresse und Bewegungen ins Leben, wie ein Zauberer Kaninchen aus seinem Hut hervorzieht: das Hilfskomitee für die Opfer des Faschismus, so genannte 'Ausschüsse für Wachsamkeit und demokratische Kontrolle', internationale Jugendkongresse usw. Jede dieser getarnten Parteiorganisationen konnte stolz auf ein Aushängeschild mit einer Liste von hochachtbaren Persönlichkeiten hinweisen - darunter englische Herzoginnen, amerikanische Leitartikler und französische Wissenschaftler, von denen die meisten den Namen Münzenberg nie gehört hatten und die Komintern für einen von Goebbels erfundenen Butzemann hielten.

Ein Pariser Mitarbeiter Münzenbergs, Professor Alfred Kantorowicz, hat im Jahre 1947 - zehn Jahre vor seiner Flucht aus dem kommunistischen Machtbereich - seine Erinnerungen an das Braunbuch veröffentlicht. Er schreibt im "Aufbau" Nr. 2/47: "Das 'Braunbuch über den Reichstagsbrand und Hitler-Terror' hat lückenloses, unwiderlegliches und nun durch die seit Kriegsende aufgefundenen Nazi-Geheimdokumente bestätigtes Beweismaterial über diesen welthistorischen Kriminalfall (des Reichstagsbrandes) zusammengetragen."

"Damals" - so ließ sich Kantorowicz 1947 über das Zustandekommen des Braunbuchs aus - wurden "alle diese dokumentarischen Materialien gesiebt, sorgfältig auf ihre Richtigkeit überprüft, geordnet und zusammengestellt von, einer Gruppe bekannter Schriftsteller und Journalisten, zu denen mit anderen André Simone, Alexander Abusch, Max Schröder, Rudolf Furth und der Verfasser dieses Berichtes (Kantorowicz) gehörten. Das ,Braunbuch' ist kein Pamphlet, sondern eine Dokumentensammlung."

In der "Weltbühne" 1947 werden André Simone und Alexander Abusch als die beiden "damals natürlich anonymen Redakteure", Kantorowicz und Furth als die "engsten Mitarbeiter", Max Schröder als "Lektor" bezeichnet.

Arthur Koestler freilich gibt eine ganz andere Darstellung über das "Sammeln von Dokumenten" durch den Münzenberg -Stab als Kantorowicz: "Wie aber konnten wir den naiven Westen von der Wahrheit einer so phantastischen Geschichte überzeugen? Wir hatten keine unmittelbaren Beweise, keinen Zugang zu den Zeugen und nur unterirdische Verbindungen mit Deutschland. Kurz, wir hatten nicht die leiseste Vorstellung von den konkreten Umständen. Wir mussten uns aufs Raten verlassen, aufs Bluffen und auf unser intuitives Wissen um die Methoden und die Denkart unserer Gegner in der totalitären Verschwörung. 'Wir' bezieht sich in diesem Zusammenhang auf das Propagandahauptquartier der Komintern in Paris, das unter der Flagge des 'Hilfskomitees für die Opfer des deutschen Faschismus' segelte."

 

Die Verfasser der Braunbücher blieben wohlweislich anonym; das Vorwort des ersten Bandes aber trug die Unterschrift des leibhaftigen Oberhaus-Mitglieds Lord Marley, eines Mannes, der mit den Kommunisten nicht das Geringste zu tun hatte, was ihn nicht daran hinderte, ein glänzendes Honorar dafür zu kassieren, dass er seinen Namen als zugkräftigen Werbeslogan hergab. Das Schreiben des Vorworts hatten ihm Münzenberg und sein Famulus Otto Katz, der sich später, im spanischen Bürgerkrieg, André Simone nannte, großzügig abgenommen.

Der Kernpunkt des Braunbuchs I war die "dokumentarisch belegte Geschichte des Reichstagsbrandes". Schreibt Koestler: "Das Braunbuch enthielt die Geschichte des Reichstagsbrandes, beginnend mit einer ausführlichen Lebensgeschichte van der Lubbes, die der holländische 'Apparat' ausgegraben hatte, mit Berichten über seine Kontakte mit den homosexuellen Kreisen um Hauptmann Röhm, und endend mit einer überzeugenden Schilderung, auf welche Weise die Brandstifter durch den unterirdischen Gang in den Reichstag gelangt waren. Mehrere unmittelbare Teilnehmer an der Tat wurden genannt: Graf Helldorf und die SA-Führer Heines und Schulz ... All' das gründete sich auf Deduktion, Intuition und Pokerbluff. Das einzige, was wir mit Sicherheit wussten, war, dass irgendwelche Nazikreise es irgendwie zustande gebracht hatten, das Gebäude abbrennen zu lassen."

Dieses freimütige Eingeständnis kennzeichnet die damalige Situation der Kommunisten. Ernst Torgler, dem sein Verteidiger Dr. Sack das Braunbuch in seine Zelle im Untersuchungsgefängnis geschickt hatte, schrieb darüber: "Ich muss gestehen, dass ich einigermaßen erschüttert war, als ich es durchlas. So primitiv hatte ich mir die Dinge eigentlich nicht - vorgestellt. Dieser van der Lubbe sollte ein alter Bekannter von Röhm sein und auf seiner 'Liebesliste' stehen? Goebbels sollte den Plan für den Reichstagsbrand entworfen und Göring, gewissermaßen an der Treppe zum unterirdischen Gang stehend, sollte die Brandstiftung geleitet haben?" Trotzdem wurde das Braunbuch ein riesiger Erfolg. Es war eben raffiniert gemixt aus echten und gefälschten Dokumenten und spekulierte auf den üblen Ruf, den die Nazis sich verschafft hatten. Und so blieb ihm der Erfolg denn auch nicht versagt. Den meisten Lesern des Braunbuchs erschien es durchaus einleuchtend, dass so übel beleumdete Funktionäre wie "die Fememörder" Heines und Schulz auch Brandstifter waren. Dass Oberleutnant Schulz als ehemaliger-Adjutant Gregor Strassers bei der NS-Partei längst in Ungnade gefallen war - Wer konnte das in England und Frankreich schon wissen. Und so druckten denn auch angesehene Blätter die Münzenberg-Märchen nach.

Nach dem erstaunlichen Erfolg seines ersteh Braunbuches kam Willi Münzenberg eine neue, noch wirksamere Idee. Er erinnerte sich der "Geheimgerichte" russischer Revolutionäre aus der Zarenzeit und setzte zusammen mit Otto Katz etwas Ähnliches in Szene: den so genannten Reichstagsbrand-Gegenprozess - jene öffentlichen Untersuchungen in Paris und London, die die Aufmerksamkeit des Auslands auf die Vorgänge im Dritten Reich lenkten.

Das "Weltkomitee für die Opfer "des Hitler-Faschismus" gebar einen "Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Reichstagsbrandes". In der Praxis ging das so vor sich, dass Münzenberg sich von Vertrauensleuten eine Anzahl international renommierter Anwälte liberaler Prägung nennen ließ, die dann ein sehr sachliches Schreiben mit der schmeichelhaften Aufforderung erhielten, sich für die Verteidigung der unschuldigen Opfer der Hitler-Barbarei und für die Aufrechterhaltung des Rechts zur Verfügung zu stellen. Aus der großen Zahl der ausländischen Anwälte, an die das Pariser Sekretariat des "Weltkomitees" herangetreten war, kristallisierte sich schließlich folgende "Internationale Juristenkommission" heraus: Frau Dr. Betsy Bakker-Nort (Holland); Gaston Bergery (Frankreich); Georg Branting (Schweden); Arthur Garfield Hays (USA); Vald Huidt (Dänemark); Vincent de Moro-Giafferi (Frankreich); Denis Nowell Pritt (England); Pierre Vermeylen (Belgien).

Keines der Mitglieder gehörte offiziell einer kommunistischen Partei an. Alle waren höchst respektable Angehörige des Bürgertums, die ihren guten Namen, ihre Hilfsbereitschaft und ihr Geltungsbedürfnis von Münzenberg für die Zwecke der Kommunisten einspannen ließen. Zum Vorsitzenden der Juristen-Kommission wurde der damals 45jährige Königliche Rat Denis Nowell Pritt aus London gewählt. Noch im Jahre 1957 erhielt Pritt von den dankbaren Kommunisten die Ehrenbürgerschaft der Stadt Leipzig. Und vor einigen Wochen wurde seine Schrift "Der Reichstagsbrand" vom Ostberliner Kongress-Verlag neu herausgebracht.

Die Kommission hatte sofort große Resonanz in aller Welt. Fast täglich erschienen Berichte über gefundene Dokumente, über sensationelle Zeugenaussagen, über "unwiderlegbare Beweise" für die Schuld der Nazis. Um im Interesse seines Mandanten unter keinen Umständen etwas Wichtiges zu versäumen, flog Dr. Sack, Torglers Verteidiger, am 8. September 1933 nach Paris.

Dr. Alfons Sack, einer der prominentesten Anwälte Berlins, hatte die Verteidigung Torglers übernommen, nachdem der einstige KPD-Fraktionschef den vom Reichsgericht beigeordneten Offizial-Verteidiger Dr. Huber abgelehnt hatte. Sack war Mitglied der NSDAP, hat sich aber dennoch bemüht, die Wahrheit zu finden. Vor Gericht verteidigte er zwar nicht die Kommunistische Partei, wohl aber den "Menschen Torgler". Er widerlegte zahlreiche von den Nazis oder auch von den Sachverständigen vorgebrachte Beweise" für die Schuld der KPD und machte sich dadurch bei den NS-Führern unbeliebt. Auch darf sein Buch über den Reichstagsbrand als die bisher detaillierteste Darstellung zu diesem Thema gelten.

An der fünfstündigen Besprechung mit Dr. Sack im Hotel "Bourgogne et Montana" nahmen neben dem schwedischen Mitglied der "Internationalen Juristenkommission", Advokat Branting, der amerikanische Anwalt Leo Gallagher und "ein angeblicher österreichischer Journalist" teil, der sich Breda nannte. In Wirklichkeit verbarg sich dahinter Otto Katz, Münzenbergs bester Mann.

Als Dr. Sack das Entlastungsmaterial für Torgler zu sehen begehrte, bekam er zur Antwort: "Man sei nicht berechtigt, die Adressen der Notare zu nennen, bei denen das Material hinterlegt sei."

Es war verständlich, dass man dem "Nazi-Gericht" die Original-Dokumente nicht zur Verfügung stellen wollte; aber welchen Sinn sollte es haben, sie auch dem Verteidiger Torglers vorzuenthalten? Noch überraschter war Sack, als er bemerkte, dass die angeblich so dokumententrächtige Kommission sich nicht scheute, ihn ungeniert auszufragen. Er gelangte daher sehr bald zu der Einsicht, dass man auch hier nur bluffte: Es gab keine Beweisdokumente für die Schuld der Nationalsozialisten.

Mit leeren Händen flog er am 9. September 1933 wieder nach Berlin zurück, immerhin stark beeindruckt von der Münzenbergschen Propaganda-Kampagne. Plakate forderten zu Massenkundgebungen auf; und am 11. September 1933 kam es sogar zu einer vom "Büro M" (= Münzenberg) organisierten Riesendemonstration mit 10 000 Teilnehmern in der Pariser "Salle Wagram".

Der französische Advokat und frühere Deputierte Vincent de Moro-Giafferi, der auch heute noch in Publikationen als "Doyen der französischen Strafverteidiger" bezeichnet wird, hielt das angekündigte "Plädoyer über den deutschen Reichstagsbrand". Er berief sich auf sein "eingehendes Studium der Akten" und riss die Massen durch theatralische Ausrufe wie diese hin: "Bei meiner Seele und meinem Gewissen erkläre ich: Göring hat es getan. Der Mörder, der Brandstifter, der Urheber des Verbrechens der Reichstagsbrandstiftung, das bist du, Göring!"