Ferien mit Greta, Jupp und den Geistern

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Aus der Reihe: Greta, Jupp und die Geister #2
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Ferien mit Greta, Jupp und den Geistern
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Ferien mit Greta, Jupp und den Geistern

Verena Prym

mit Illustrationen von Yannick Weinert


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Impressum:

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Telefon: 08382/9090344

Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchausgabe erschienen 2018.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Cover und Illustrationen: Yannick Weinert

Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-86196-780-4 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-188-6 - E-Book

*

Inhalt

Feriensorgen

Postkarte

Das Rätsel von Paris

Spielaufstellung

Nachrichten

Spione

Ferienbeginn

Geisterpacken

Sicherheitskontrolle

Paris

Grand Hotel

Der blaue Salon

Stummhirns Wohnung

Eiffelturm

Alte Freunde

Die Suche

Regoro

Der dunkle Gang

Der Pattapalast

Der Eiffelturm

Bei den Großeltern

Rückflug

Erster Schultag

Die Geistermacher

Buchtipp

*

Feriensorgen

Greta ist mittlerweile neun Jahre alt. Sie hat eine Mama, einen Papa, eine kleine Schwester namens Annie und ein eigenes Zimmer oben unter dem Dach.

Der Hof, auf dem sie mit ihrer Familie lebt, liegt am Rande eines hübschen Dorfes und ist über hundert Jahre alt. Schon ihr Großvater ist hier aufgewachsen. Er ist gesäumt von einem großen Garten, der zu den Feldern hin mit hohen Kastanienbäumen abschließt. Seitlich ans Haus angrenzend liegt der Stall, wo die Kuh Mulle und die beiden Katzen Peter und Pan leben und Papas Trecker samt Anhänger für die Kirschenernte steht.

Alles wäre in bester Ordnung - stünden nicht die Sommerferien kurz bevor ...

Bis vor einigen Wochen noch hatte Greta die Ferien kaum abwarten können. Ihr Urlaubsplan hängt neben Mamas Einkaufsliste an der Küchentafel.


- letzter Schultag: Oma Henriette und Opa Franz holen mich ab

- Papa fährt uns zum Bahnhof

- 13:07 Uhr ICE zur Nordsee

- 17 Uhr Fähre zur Insel Juist

- Koffer auf die Kutsche (hoffentlich ist Pony Kalle noch da!)

- zum Hotel Zur glücklichen Möwe

- hoffentlich wieder Zimmer Nr. 43 (da kann man vom Balkon aus sehen, ob gerade Ebbe oder Flut ist)

- Muscheln sammeln

- Wellenhüpfen

- Eis essen

Es ist ein guter Plan. Und doch möchte Greta ihn gerade am liebsten zerreißen. Sie schmeißt ihren Schulranzen in die Küchenecke.

Mama fragt, ob sie Hunger hat. Greta sagt „Nein“ und schleicht die Treppen hinauf in ihr Zimmer. Sie öffnet das Fenster und lässt sich seufzend aufs Bett fallen.

Lassen sich Sommerferien eigentlich verhindern? Wegzaubern oder überspringen? Sie verschränkt die Arme hinter ihrem Kopf und blickt nach oben zum Dachgiebel. Was werden die Geister machen, wenn sie wegfährt? Werden sie noch da sein, wenn sie zurückkommt?

Tagsüber schlafen die Geister. Doch nachts kommen sie heraus und machen Schabernack, fürchterlichen lauten Schabernack. Sie trommeln auf die Dachziegel und singen Geisterlieder. Sie raufen und rutschen johlend die Dachrinnen herunter – direkt an ihrem Bett vorbei.

Was hatte sie für Angst gehabt, als sie die Geister vor einigen Monaten zu ersten Mal gehört hatte! Die Geister lärmten entsetzlich!

Aber ihre Eltern wollten ihr nicht glauben und auch die Klassenkameraden und die Lehrerin Frau Gruber meinten, sie erzähle Lügengeschichten.

Jupp aber glaubte ihr sofort. Er war neu in der Klasse und sehr lustig. Nur wenn es um den blauen Eimer ging, den er immer bei sich trug, verstand er keinen Spaß. Da tat er sehr geheimnisvoll und ließ niemanden hineinsehen.

Aber passierte es doch: Sie waren allein auf dem Gang in der Schule und Jupp verriet ihr das Geheimnis. Im Eimer schlief ein Babygeist! Ein echter Babygeist! Er schlief in einem Nest aus Heu und sah so süß und friedlich aus. Jupp hatte ihn wimmernd in der Hecke neben der Bäckerei gefunden und mitgenommen. Ein frecher Rabe hatte schon gelauert.

So begann die abenteuerliche Zeit, in der sie und die Geister beste Freunde wurden. Sie suchten und fanden die Familie des Babygeistes: Es waren ausgerechnet Gretas Dachgeister, zu denen der kleine Lollo gehörte!

Ihr nächtliches Gejohle klingt für Greta inzwischen wie eine Gutenachtgeschichte. Und das Tollste ist: Jeden Nachmittag kommen die Geister sie besuchen.

So auch heute. Greta hört schon ihre Stimmen und blickt zum Fenster. Die Sonne versinkt gerade tiefrot hinter den fernen Hügeln. Das leise Säuseln der Geister wird lauter. Ein Lächeln huscht über Gretas Gesicht und sie setzt sich auf. Dann schweben sie auch schon über den Fenstersims: neun schneeweiße Gestalten von klein bis groß.

Greta begrüßt alle beim Namen: Den Geisterchef Patta Gorpa, Onkel Kuttru, der seinen kleinen Sohn Lollo fest an der Hand hält, dann ihren besten Geisterfreund Urrrmph, gefolgt von Schrabbo, Piupiu, Mimi, Josse und natürlich Schlaubi, der Polizistengeist, der immer alles besser weiß. Sie umschweben Greta und streichen über ihr Gesicht, ihre Arme und das braune Haar. Sie zeigen auf ihr T-Shirt und wollen auch so eins haben. Dann sinken sie aufs Bett und sehen sie aus runden dunklen Augen an.

„Wie war es in der Schule?“, fragen sie.

„Langweilig“, grummelt Greta.

Urrrmph berührt ihre Hand. „Aber bald sind doch schon ... na, wie heißt das noch einmal? Diese komische lange Pause …“

„Ferien“, seufzt Greta und steht auf. Sie geht rüber zur Kommode, zieht die oberste Schublade auf und holt die Schatulle hervor. Es ist eine hübsche Holzschatulle, die Opa ihr geschenkt hat. Sie ist mit dunkelblauem Samt ausgekleidet und mit geschnitzten Mustern verziert.

Dann geht sie zum Bett zurück und klappt den Deckel auf. Die Geister werden unruhig. Sie können es wieder mal kaum abwarten.

Greta greift in die Schatulle und legt jedem einen Brocken Kandiszucker auf die Zunge.

„Litschko“, murmeln sie. Litschko ist Geisti und bedeutet danke.

Greta kann nur ein paar Worte Geisti sprechen. Geister hingegen sprechen perfekt Menschi.

„Botto“, erwidert sie lächelnd. Botto heißt bitte. Das hat sie schnell gelernt.

Schmatzgeräusche erfüllen das Zimmer.

„Und, schmeckt der Kandiszucker?“, fragt Greta. „Es ist eine neue Sorte.“

„Seeehrrr gut“, versichern die Geister.

Greta nickt, doch beruhigt ist sie nicht. Sie atmet ein. Nun würde sie den Geistern von der Reise erzählen müssen. In drei Tagen ging es schließlich los. Und ihre Sorgen um diese Ferien wurden immer größer. Was, wenn die Geister enttäuscht reagieren und dann wegfliegen würden? Auf ein neues Dach … unter dem ein Kind lebt, das niemals wegfährt ...

Die Sache ist nämlich die: Geister gehen nicht zur Schule. Sie haben keine Ferien. Alles, was sie verstehen möchten, bringen sie sich selbst bei. Das Leben ist ihre Schule und es ist eine gute Schule. Sie beherrschen tolle Sachen und sprechen viele Sprachen.

 

Aber Ferien? Die gibt es für sie nicht.

„Wo soll ich nur anfangen?“, seufzt Greta und sinkt neben Urrrmph aufs Bett.

*


*

Postkarte

Urrrmph schielt besorgt zu seiner Freundin. „Was ist mit dir? Du siehst zerdrückt aus.“

Greta schmunzelt. „Du meinst wohl bedrückt, Urrrmph.“ Sanft streicht sie über seinen löffellangen Arm.

Urrrmph neigt den Kopf. „Was ist los mit dir, Greta?“

Greta stockt. „Ich … muss euch allen etwas sagen und es fällt mir nicht leicht. Also … übermorgen fahre ich in den Urlaub.“

Die Geister raunen und werfen sich ratlose Blicke zu. Patta Gorpa, der Geisterchef, fragt: „Was ist das – Urlaub?“

Greta überlegt. Klar, wer keine Ferien hat, kennt auch keinen Urlaub. Sie erklärt es so: „Im Urlaub fährt man an einen anderen Ort und übernachtet dort. In einem Hotel oder im Zelt zum Beispiel.“

Patta Gorpa zieht die Stirn in Falten. „Du willst weg? Aber warum denn? Es ist doch schön hier auf dem Hof!“

Greta senkt den Blick. „Ich fahre nur acht Tage weg, Patta. Die Tage gehen schnell vorbei, versprochen!“

„Und wohin fährst du?“, möchte Urrrmph wissen. Seine Stimme klingt, als komme er aus einem Regenschauer.

Greta streicht behutsam über seinen Kopf. „Ich fahre an die Nordsee. Oma und Opa kommen mich abholen, dann fahren wir mit dem Zug weiter.“

Babygeist Lollo taucht vor ihrer Nasenspitze auf. „Du Greta, könnten wir nicht mitkommen?“ Seine Augen blitzen abenteuerlustig. „Wir Geister könnten endlich mal Sandburgen bauen!“

Gretas Gedanken wirbeln durcheinander. Urlaub mit Oma, Opa und neun Geistern? Das würde niemals klappen! Oma und Opa können die Geister nicht sehen! Nur Menschen, die an Geister glauben, erkennen sie auch. Außerdem würde es eine Menge Schwierigkeiten geben. Allein die Reise in einem Zugabteil .... wo die Geister nicht mal fünf Minuten still sitzen können ...

Greta seufzt. „Wisst ihr, Oma und Opa sind ältere Menschen. Die haben gern ihre Ruhe - besonders nachts. Und an der Nordsee ist es windig und salzig. Das mögt ihr bestimmt nicht.“

Die Geister nicken verständnisvoll. Fast ein bisschen zu verständnisvoll. Denn mittlerweile weiß sie: Wenn Geister besonders artig nicken, führen sie meist etwas im Schilde …

Und richtig, schon schießen Schrabbo und Piupiu in die Höhe. Wie Feuerwerksraketen wirbeln sie durch die Luft. Alle anderen sausen hinterher, ihre Geisterschweife klatschen gegen Gretas Wangen. Schnell zieht sie den Kopf ein. Geister diskutieren stürmisch. Doch wie immer, so beruhigen sie sich auch heute nach einer Weile. Nacheinander sinken sie aufs Bett zurück und teilen Greta japsend ihre Wünsche mit:

Lollo, Urrrmph, Schrabbo und Piupiu wollen unbedingt mit an die Nordsee. Mimi und Josse können sich nicht entscheiden. Schlaubi, Kuttru und Patta Gorpa halten rein gar nichts von der Idee. „Niemals würden wir einfach irgendwohin schweben, ohne vorher das Dach genau unter die Lupe zu nehmen!“

Patta Gorpa wettert weiter: „Ein zu hartes Dach ist schnell erwischt, und dann?“ Seine Hand gleitet nach hinten. „Rückenschmerzen! Höllische Rückenschmerzen! Nee, nee, das haben wir alles schon erlebt! Wir bleiben schön hier auf dem Hof!“

„Ohh ni-ni!“, schimpfen Lollo, Urrrmh, Schrabbo und Piupiu und ziehen lange Gesichter.

Greta aber atmet auf. Ihre Sorge, dass die Geister wegfliegen würden, lässt nach. Fremde Dächer sind wohl doch nichts für sie. Eine Sache interessiert sie allerdings brennend: „Patta Gorpa, mein Dach war doch auch einmal fremd für euch. Habt ihr das vorher auch unter die Lupe genommen und vielleicht sogar zur Probe geschlafen?“ Wieder spürt sie Urrrmphs kleine warme Hand auf ihrem Handrücken.

Patta Gorpa nickt heftig. „Na und ob wir Probe geschlafen haben! Obwohl wir ziemliche Not hatten, denn wir brauchten dringend ein neues Zuhause. Ein Sturm hatte unser Scheunendach weggefegt. Tagelang mussten wir auf Bäumen schlafen. So oft bin ich im Schlaf vom Ast gekippt!“ Er wackelt mit seinem Geisterschweif. „Ganz blau war er!“

Urrrmph fängt an zu kichern. „Aber die ersten Nächte hier im Dorf waren lustig. Jede Nacht sind wir durch neue Regenrinnen gerutscht und haben auf fremden Dächern Probe geschlafen.“ Er deutet aus dem Fenster in Richtung Kirche. „Nur die Nacht drüben auf dem Kirchturm hätte mir fast den Verstand geraubt! Da liegt man ganz schräg und die Uhr ist viel zu laut. Die müssten sie leiser stellen!“

Schlaubi knufft Urrrmph in die Seite. „Die kann nicht leiser gestellt werden, das ist doch ’ne Glocke!“

Greta lenkt schnell ab, bevor ein Streit ausbricht. „Aber warum habt ihr euch dann mein Dach ausgesucht?“

Schlaubi hat die Antwort parat. „Also, wir haben alle Leute aus dem Dorf genau ausspioniert. Eine ganze Woche lang. Und wir haben gesehen, dass du mit Katzen, Enten, Kühen und manchmal sogar mit den Blumen redest. Und dein Dach war bequem. Da haben wir uns entschieden, dass hier unser Zuhause sein soll.“

Greta lächelt. „Was hat es damit zu tun, dass ich mit Tieren rede?“

„Und mit Blumen“, fügt Urrrmph hinzu und schenkt seiner Freundin ein stolzes Lächeln.

Schlaubi reckt seinen Zeigefinger. „Wer mit Tieren redet, redet auch mit Geistern.“

Patta Gorpa fügt hinzu: „Wir wollten ein bequemes Dach und ein gutes Menschikind haben, Greta.“

Schlaubi nickt. „Genau. Zwei ganz geistliche Bedürfnisse eben.“

Greta seufzt wieder. Wie kann sie den Geistern nur erklären, dass ihnen acht kandiszuckerfreie Tage bevorstanden? Denn das hatten sie in all der Aufregung offenbar noch nicht verstanden, sonst hätten sie schon protestiert! Sie konnte ihnen die Schatulle doch nicht allein überlassen. Das würde nur Streit um die Zuckerbrocken geben.

Bevor sie etwas sagen kann, kommt Mimi ihr zuvor: „Wer gibt uns eigentlich Kandiszucker, während du weg bist? Vielleicht der Jupp?“ Ihre Wangen färben sich rosig. Seit sie Jupp bewiesen hatte, dass sie Kandiszucker auf fünf Kilometer Entfernung riechen kann, verstanden sich die beiden besonders gut.

Greta verzieht nachdenklich den Mund. Jupp würde ins Fußballtrainingslager fahren. Davon redete er schon seit Ostern. Aber in welcher Ferienwoche nochmal …? Sie wendet sich Mimi zu. „Weiß du was, Mimi? Das ist gar keine schlechte Idee! Gleich morgen frage ich ihn in der Schule.“

Erleichtert lächelt sie die Geister an. Alles fügt sich zum Guten. Die Geister bleiben zu Hause und Jupp gibt ihnen Zucker. Ihr Herz hüpft erleichtert. „Wisst ihr was?“, jauchzt sie. „Ich schreibe jedem von euch eine Postkarte aus dem Urlaub!“

Die Geister fangen wieder an zu raunen und zucken die Schultern. Patta Gorpa, der Geisterchef, wendet sich an Greta. „Was ist das, diese Postkarte?“

Greta blickt rüber zur Pinnwand, die Papa für sie über dem Schreibtisch angebracht hat. Daran heftet sie wichtige Zettel und Postkarten. Sie steht auf, holt ihre Lieblingspostkarte und setzt sich wieder zwischen die Geister auf das Bett. „Seht ihr, das hier ist eine Postkarte. Tante Ruth hat sie mir aus Paris geschickt.“

Urrrmph tippt auf die Karte. „Ist das auch ein Kirchturm?“

Greta lacht: „Nein, das ist kein Kirchturm, sondern der Eiffelturm! Er steht in Frankreich und ist das Wahrzeichen von Paris! Ratet mal, wie hoch er ist!“

Lollo schiebt den Zeigefinger auf den Mund. „30 Meter?“

Patta Gorpas Augen blitzen. „Ich weiß es! Zweihundert Meter!?“

Greta freut sich, weil die echte Zahl um einiges höher liegt. „Er ist 324 Meter hoch! Tante Ruth sagt, er sei wunderschön.“

Josse, der die ganze Zeit über Gretas Schulter gelugt hat, sagt: „Ich sehe was!“

„Ja, den Eiffelturm!“, nickt Greta.

„Nein, ich seh noch etwas!“, beharrt er.

„Ja, was denn noch?“, fragt Greta neugierig.

Er tippt mit seinem Zeigefinger knapp unter die Turmspitze. „Ich sehe … einen Geist! Genau hier sitzt er!“

Greta kneift prüfend die Augen zusammen. „Das ist kein Geist, Josse. Das ist ein Krümel, sonst nichts!“

Josse blickt in die Geisterrunde. „Was meint ihr?“ Er nimmt die Postkarte aus Gretas Hand und reicht sie Mimi.

„Kullami“, nickt sie.

Kalle ergreift die Karte. „Lupiro“, meint er und reicht sie Schrabbo.

„Fruzzu!“, ruft der und schon ist die Karte in Piupius Hand.

„Fruzzu akke!“

Urrrmph ist der Nächste. Er lässt sich Zeit. „Ma hugarto?“ Er sieht mit großen Augen in die Runde.

Patta Gorpa ergreift die Karte. Er überlegt und überlegt. „Inisi, ke un lustio francello.“ Er übergibt sie Onkel Kuttru. „Oh! Dafferto! Un lustio francello!“

Lollo lugt über die Schulter seines Papas. „Perizzo o lovitu?“, fragt er.

Onkel Kuttru verzieht den Mund. „Ni-No!“

Als Letzter nimmt Schlaubi die Postkarte. „Hmm. Un liustio francello? Mi zwerto!“

Die Karte landet wieder in Gretas Händen. Sie blickt auf den Krümel und dann ratlos in die Geisterrunde. „Und? Was heißt das nun?“

„Dass es kein Krümel ist, Greta, sondern wirklich ein Geist!“, erklärt Urrrmph triumphierend.

„Ein Turmgeist, um genau zu sein“, ergänzt Schlaubi.

Greta reißt die Augen auf. „Ja, und was heißt das nun?“

Statt zu antworten, stecken die Geister die Köpfe zusammen. Sie flüstern, grummeln und kichern. Dann wird es wieder still. Patta Gorpa ergreift das Wort. „Greta, wir haben uns entschlossen.“

Greta versteht nicht recht. „Wozu habt ihr euch entschlossen?“

„Nun, du fährst in den Urlaub. Und wir, wir fahren auch in den Urlaub! Nach Paris!“ Er strahlt über beide Backen, als habe er die beste Neuigkeit des Jahrhunderts verkündet.

Gretas Herz pocht schneller und schneller. Ihre Sorge ist zurück, heftiger und größer als zuvor. „Aber, aber … das geht doch nicht“, stottert sie. Ihre Stimme bricht. „Ko…kommt ihr auch sicher wieder zurück?“ Sie senkt den Kopf, damit die Geister nicht sehen, dass ihre Augen voller Tränen sind.

*


*

Das Rätsel von Paris

Von links schwebt ein zipfeliges Papiertaschentuch heran. „Ni-ni traurig sein“, wispert das Taschentuch.

Gretas Mundwinkel zucken. Vorsichtig hebt sie das Tuch an. Lollo, natürlich! Er rudert mit den winzigen Armen. „Wir möchten doch nur unsere Verwandten besuchen“, erklärt er.

Greta tupft sich schnell die Tränen von der Wange. „Welche Verwandten denn?“

Da schaukelt mit einmal von rechts etwas Buntes heran wie ein Boot auf hohen Wellen. Es ist Gretas Lieblingszeitschrift Kraut und Rüben, die Mama ihr vom Einkaufen mitgebracht hat. Farbenfroh schaukelt sie durch die Luft, von zwei kleinen Geisterhänden umklammert. Zu welchem Geist sie gehören, kann Greta nicht erkennen. Als sie fast ihre Nasenspitze berührt, plumpst sie in ihren Schoß.

Obendrauf liegt Urrrrmph und stöhnt: „Oh, aua, ’tschuldigung, Greta. Bin abgestürzt. Aber hier, lies doch mal!“

„Ich kann nicht, wenn du draufliegst“, kichert Greta.

„Bin doch schon weg“, brummt Urrrmph und richtet sich schüttelnd auf. „Da steht was über Paris drin! Und genau da wollen wir doch hin! Hier, sieh mal!“ Er tippt auf eine fett gedruckte Überschrift.

Das Rätsel von Paris

„Klingt das nicht ungeheuer spannend?“

Gretas Augen überfliegen das Cover. Es zeigt eine dunkelhaarige lächelnde Frau. Und doch scheint es, als sei sie bedrückt. Und richtig: Bürgermeisterin ratlos!, steht neben dem Bild geschrieben.

„Nun lies schon vor!“, rufen die Geister und zappeln ungeduldig mit ihren Geisterschweifen. Gespannt blättert Greta zu Seite 28.

Da ist er wieder: der Eiffelturm. Doch er sieht ganz anders aus, als auf der Postkarte.

„Der ist ja total schief!“, ruft Piupiu.

„Er ist leicht zur Seite geneigt“, verbessert Schlaubi.

 

Schrabbo schnaubt verächtlich. „Leicht zur Seite geneigt? Du brauchst ’ne Brille, Schlaubi! Der kippt doch fast um!“

Einzig Mimi hält mit ruhiger Hand die Postkarte neben die Zeitschrift. Ihre braunen Augen wandern prüfend hin und her. „Also, auf jeden Fall ist etwas passiert mit dem Turm. Lies mal vor, Greta!“

Greta beginnt:

Das Rätsel von Paris

Der Eiffelturm ist das Wahrzeichen von Paris. Er gehört zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Welt. Alle Franzosen sind stolz auf ihn. Jährlich lockt er Tausende von Besuchern an. Doch damit könnte nun Schluss sein, denn: Der Turm kippt langsam um.

„Sehr ihr? Er kippt! ... Hab ich doch gesagt!“, ruft Schrabbo.

„Pssst“, mahnen ihn die anderen. „Lies weiter, Greta!“

Greta fährt fort:

Der Turm neigt sich um 0,5 Grad pro Tag und nichts scheint ihn aufzuhalten zu können.

„Aha, er neigt sich also doch!“, wirft Schlaubi selbstzufrieden ein. „Genau, wie ich es gesagt habe!“

Die Geister verdrehen die Augen. Onkel Kuttru schimpft: „Pssst!!! Ballugga, kruzzimili! Greta, lies weiter!“

Ihr Zeigefinger gleitet über die Zeilen.

Die Pariser Bürger sind bestürzt; herbeigerufene Experten ratlos. In den Boden gerammte Stahlpfosten sollten den Turm stabilisieren. Doch sie sind über Nacht spurlos verschwunden. Die Katastrophe naht!

„Ma happas av lustici francelli?“, stößt Piupiu hervor.

Patta Gorpa zuckt die Achseln. „Jolu vada ne wubi.“

„Worüber redet ihr?“, fragt Greta.

„Ich habe Patta gefragt, was mit den Turmgeistern passiert, wenn der Turm umkippt“, erklärt Piupiu.

„Und, was passiert mit ihnen?“

Patta Gorpa zuckt die Achseln. „Keine Ahnung.“

Greta liest weiter:

Sollte der Eiffelturm umfallen, verliert Paris sein berühmtestes Wahrzeichen. Die Bürgermeisterin Anne Dupin ist verzweifelt. Für die Lösung des Rätsels ist eine sechsstellige Belohnungssumme ausgeschrieben worden. Wer kann den Eiffelturm retten?

„Uhhh, Mulli Mukko!“, staunen die Geister. Mukko bedeutet Geld. Sie selbst besitzen kein Geld, weil sie keines brauchen. Weder haben sie eine Wohnung, noch Kleidung, noch einen Fernseher, noch eine Versicherung. Aber manchmal mopsen sie ein paar Münzen aus Gretas Sparschwein, um damit Einkaufen zu spielen.

Greta blättert auf die nächste Seite. Zwei ungewöhnlich aussehende Personen sind dort abgebildet. Ein Mann und eine Frau. Greta liest ihre langen Namen vor.

Prof. Dr. Dr. Herbert Stummhirn und Prof. Dr. Dr. Dr. Rosemarie Fraglich

Josse tippt auf das rechte Bild. „Die Frau hat einen Drrr mehr. Warum denn?“

Greta schmunzelt. „Dieser Drrr ist ein Doktortitel, Josse. Dafür muss man jahrelang studieren.“

„Also ich studiere seit hundertvierzig Jahren“, wirft Onkel Kuttu ein.

„Und ich seit hundertachtzig!“, setzt Patta obendrauf. „Und das ohne Drrr.“

Greta lacht. „Ihr Geister braucht einfach keine Drrrs!“

Lollo kommt herbeigeschwebt. Greta hebt ihr Kinn. „Lollo, wenn du direkt über der Zeitschrift bist, kann ich nicht weiterlesen ...“

„Bin doch gleich weg.“ Er mustert die Fotos. „Dieser Stummhirn kann die Fraglich nicht leiden“, meint er schließlich. „Der blickt sie böse an.“

„Aber die Fraglich kann den Stummhirn auch nicht leiden“, bemerkt Mimi. „Sie blickt böse zurück.“

Patta Gorpa schiebt Lollo mit einer luftigen Handbewegung beiseite. „Hm. Es sind zwei einzelne Bilder. Aber es sieht aus, als stünden sie nebeneinander. Merkwürdig ... Ob sie Konkurrenten sind?“

„Was sind Konkurrenten?“, möchte Lollo wissen.

„Ganz einfach“, antwortet Patta. „Stell dir vor, es gibt ein Ziel, aber mehrere Geister. Und jeder möchte als Erster ankommen. Dann sind sie Konkurrenten.“

„Oh“, raunen die Geister. „Eine Art Wettschweben also.“

„Wettrennen“, verbessert Schlaubi. „Menschis rennen doch bloß.“ Er sieht hinunter auf die Bilder. „Aber sportlich sehen die nicht aus.“

Auch Greta betrachtet die Fotografien nun noch einmal genauer. Das Auffälligste an Prof. Stummhirn ist sicherlich die Antenne auf seinem Kopf. Auch die Lupe in der Hand ist ungewöhnlich. Sein Gesicht hat die Farbe einer grünen Olive. Seine Wangenknochen treten deutlich hervor. Die Nasenspitze hat die Form einer Riesenkaugummikugel. Seine Lippen sind von einem schwarzen Schnurrbart verdeckt, der mehr nach Ponymähne als nach menschlichen Haaren aussieht.

Auf seinem Kinn tummeln sich schwarze Bartstoppeln. Seine Ohren sind klein, rund und sitzen tief am Schädel. Er trägt eine Brille mit sehr dünnen Bügeln. Die Brillengläser haben fast den gleichen Durchmesser wie seine Augen. Auf seinen pelzartigen schwarzen Haaren sitzt eine kleine Kappe. Darauf sind die Antenne und eine Satellitenschüssel in Miniaturform befestigt. Er trägt ein blaues Hemd mit hellblauem Stehkragen und roten Knöpfen. In der linken Brusttasche steckt ein weißes Taschentuch und auf der rechten Seite steht auf einem gelben Stoffschild sein Name: Stummhirn.

Das Auffälligste an Frau Prof. Fraglich sind ihre feuerroten Haare. Überhaupt scheint sie die Farbe Rot zu mögen. Auf ihrem Kopf sitzt ein rosefarbener Hut mit einem roten Band. Ihr Gesicht ist länglich und die Haut hat einen rosefarbenen Schimmer. Ihre Augen sind auffallend groß und die Wimpern nach oben gebogen. Ihr Blick ist herausfordernd. Sie hat eine lange, geschwungene Nase. Die breiten Lippen sind tiefrot geschminkt. Sie trägt ein kirschrotes Jackett, ein weißes Hemd und eine rot-weiß gestreifte Krawatte. Ihre Hände sind nicht zu sehen. Insgesamt wirkt sie abenteuerlustig und furchtlos.

„Und, was steht da über die beiden?“, fragt Schrabbo. Schon gleitet Urrrmphs Zeigefinger über die Zeilen. Etwas stockend entziffert er die Meschischrift.

„In... ter...view mit dem be...rühm...ten Gei...ster...for...scher Prof. Dr. Dr. Her...bert Stumm...hirn.“

Schlaubi zieht Urrrmph am Arm, der sogleich protestiert. „Was steht da? Geisterforscher?“ Er wendet den Kopf. „Patta Gorpa, weißt du etwas von Geisterforschern??“

Patta Gorpa wird noch blasser um die Nase, als er ohnehin schon ist. „Ich … ich glaube, ich habe schon mal was davon gehört.“ Onkel Kuttru fasst Pattas Schulter und flüstert ihm etwas ins Ohr. Patta Gorpa nickt. „Okay, lassen wir Greta weiter vorlesen. Mal sehen, was die Menschis zu sagen haben.“

Gretas Augen heften sich auf die Zeilen unter der Abbildung. Sie wiederholt den ersten Satz und fährt dann fort.

Interview mit dem berühmten Geisterforscher Prof. Dr. Dr. Herbert

Stummhirn. Er sagt: „Das Rätsel von Paris hat nichts mit Geistern zu tun!“

Greta stockt. Es steht tatsächlich da! Be...rühm...ter Gei...ster...for...scher ...“ Sie schluckt. Ein echter Professor, der Geister erforscht? Aber Erwachsene glauben doch gar nicht an Geister. Stets sagen sie: „Reine Erfindung!“ Okay, ihre Eltern mal ausgenommen. Sie können die Geister mittlerweile zumindest hören. Doch nun gibt es einen echten Professor, der offen über Geister spricht? Die Sache wird immer mysteriöser. Mit zitternder Stimme liest sie weiter.

Auch Professor Dr. Dr. Stummhirn ist vom Rätsel um den Eiffelturm gepackt. Er lebt seit fast vierzig Jahren in Paris und arbeitet dort derzeit er an seinem bedeutendsten Werk: einem Buch über die zehn größten Bauprojekte der Geistergeschichte. Doch nun soll der scheue Professor der Bürgermeisterin helfen. Sie hat ihn in den Expertenrat berufen. Bislang gibt es keine Lösung des Rätsels. Eine übermenschliche Erklärung schließt sie nicht mehr aus. Aber Professor Stummhirn hält Geistereinwirkung für unwahrscheinlich. Hier seine wichtigsten Antworten der Pressekonferenz:

„Professor Stummhirn, tonnenschwere Stahlstreben sind über Nacht verschwunden. Haben Geister etwas damit zu tun?“

„Nein, das würde ihre Kräfte übersteigen.“

Ein Raunen geht durch die Geister. „Der Professor hat gar keine Ahnung von unseren Kräften!“

Greta liest weiter aus dem Artikel vor:

„Haben Sie eine Erklärung, warum der Turm sich neigt?“’

„Nein, keine einzige.“

„Warum sind Sie denn dann in den Expertenrat berufen worden?“

„Weil unsere Bürgermeisterin Anne Dupin mich darum gebeten hat.“

„Werden Sie das Rätsel lösen?“

„Natürlich werde ich es lösen. Sonst wäre ich kein Professor.“

„Was halten Sie von Anne Dupins Idee, auch Kinder in den Expertenrat aufzunehmen?“

„Davon halte ich nichts. Meiner Meinung nach können Kinder keine großen Probleme lösen.“

Greta blickt auf. „Holla!“, entfährt es ihr. „Dieser Stummhirn hat weder Ahnung von euch noch von uns Kindern!“ Sie klappt die Zeitschrift zu. „Also, wenn ihr mich fragt: Da ist was faul! Ich glaube, der Professor lügt gewaltig.“

Die Geister murmeln aufgeregt durcheinander: „Mara Priffizzo!“, „Poveso lustici francelli!“, „Hallakutta!“, „Gora Mukka?“, „O famusi?“

Greta hebt beschwichtigend ihre Hand. „Äh, kann ich auch mal was sagen?“

Die Geister verstummen. „Ja was denn, Greta?“

„Glaubt ihr, dass eure Verwandten etwas damit zu tun haben?“

„Welche Verwandten?“

„Na, die Eiffelturmgeister ... von denen ihr mir eben erzählt habt!“

„Die Geister werfen sich vielsagende Blicke zu. „Geister haben immer und überall ihre Finger im Spiel. Das weißt du genau, Greta!“

„Also ist das ein Ja?“

„Ja!“, rufen alle.

„Und ... wie können wir das beweisen?“

Nun sehen sich Geister etwas ratlos an. Wieder fangen sie an zu raunen. Nach ein paar Sätzen sind sie sich einig. „Greta, es gibt nur eine Lösung: Wir müssen zusammen nach Paris.“

Greta senkt ihr Kinn. „Wen meint ihr mit wir?“

Patta Gorpa antwortet. „Na du, Jupp und wir Geister.“

„Und Oma und Opa“, schließt Greta.

„Ja, Oma und Opa auch“, bekräftigt Patta Gorpa. „Sie gehören schließlich zur Familie.“

Greta fährt sich durch die Haare. „Aber wie soll denn das nur klappen? Oma hat doch schreckliche Flugangst! Und Fliegen wäre der einzige Weg ...“ Sie klappt die Zeitschrift wieder auf. „Hier steht nämlich, dass der Zugverkehr nach Paris eingestellt wurde, weil falsche Experten sich einschleusen wollten.“

„Av multi Mukko!“, grummelt Urrrmph.

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