Work-Life-Balance

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Work-Life-Balance
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Uta Kirschten

Work-Life-Balance

Konzepte und Umsetzung im Studium und Berufsalltag

UVK Verlag · München

Umschlagmotiv: iStockphoto AscentXmedia

2., vollständig überarbeitete Auflage 2021

1. Auflage 2013

© UVK Verlag 2021

– ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de

ISBN 978-3-7398-3048-3 (Print)

ISBN 978-3-7398-0198-8 (ePub)

Inhalt

 1 Work-Life-Balance: Was ist das?1.1 Work-Life-Balance als interdisziplinäres Thema1.2 Auseinandersetzung mit dem Begriff “Work-Life-Balance”1.2.1 Life – Lebenswelt – Privatleben1.2.2 Work – Arbeit1.2.3 Balance – Ausgeglichenheit1.2.4 Definition des Begriffs Work-Life-Balance1.3 Neue Konzepte und Begrifflichkeiten zum Thema “Work-Life-Balance“1.3.1 Work-Life-Blending1.3.2 Work-Life-Integration1.3.3 Umsetzung der Konzepte Work-Life-Blending und Work-Life-Integration1.3.4 Work-Life-Separation1.3.5 Aktualität des Konzepts der Work-Life-Balance

 2 Aktuelle gesellschaftliche, technologische und wirtschaftliche Herausforderungen2.1 Gesellschaftliche Herausforderungen2.1.1 Demografischer Wandel2.1.2 Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen für ein nachhaltiges Wirtschaften2.1.3 Veränderungen von Familienstrukturen und Geschlechterrollen2.2 Digitale Transformation als gesellschaftliche, technologische und wirtschaftliche Herausforderung2.3 Marktwirtschaftliche Herausforderungen2.3.1 Entwicklung zur Informations- und Wissensgesellschaft2.3.2 Steigende Internationalisierung der Wirtschaft und globale Wertschöpfungsketten2.3.3 Steigende Dynamik und Komplexität der Wirtschaft2.4 Herausforderungen der Arbeitswelt2.4.1 Entwicklung einer Arbeitswelt 4.02.4.2 New Work2.4.3 Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse2.4.4 Auswirkungen atypischer Beschäftigungsverhältnisse auf den psychologischen Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer2.4.5 Wandel der arbeitsorientierten Werte2.4.6 Steigende Qualifikation und Berufstätigkeit von Frauen2.4.7 Einstellungen zu und Umgang mit älteren Mitarbeitern2.5 Steigende Bedeutung des Ausgleichs der verschiedenen Lebenswelten

 3 Risiken der Unvereinbarkeit des Arbeits- mit dem Privatleben3.1 Zunahme psychischer Belastungen und Krankheiten3.1.1 Auswirkungen dauerhafter psychischer Belastungen auf die Fehlzeiten3.1.2 Psychische Belastungen während der Coronavirus-Pandemie3.1.3 Auswirkungen psychischer Erkrankungen und steigender Fehlzeiten auf Unternehmen, Betroffene und die Gesellschaft3.1.4 Stress im Berufsleben3.1.5 Arbeitssucht – Workaholismus3.1.6 Burnout3.2 Mangelnde Bindung der Beschäftigten an ihren Arbeitgeber

 4 Modelle zur Erklärung der Interaktionen zwischen Berufs- und Privatleben4.1 Nicht-Kausale Modelle4.1.1 Segmentationsmodell4.1.2 Kongruenzmodell4.1.3 Identitäts- bzw. integratives Modell4.2 Kausale Modelle4.2.1 Kompensationsmodell4.2.2 Spillover-Modell4.2.3 Instrumentelle Theorie4.2.4 Akkomodationstheorie4.2.5 Modell der Ressourcenzehrung4.3 Integrative Modelle4.3.1 Modell von Near, Rice und Hunt4.3.2 Konflikt-Theorie („Vorgänger“ zum Modell der multiplen Rollen)4.3.3 Grundzüge der Rollentheorie4.3.4 Modelle der multiplen Rollen4.3.5 Work-Family-Conflict-Concept von Frone, Russel und Cooper (1992)4.4 Dynamische Modelle4.4.1 Stressmodelle4.4.2 Theorien der Rollengrenzen und Rollenübergänge

  5 Zielgruppen einer Work-Life-Balance 5.1 Zielgruppe Frauen 5.2 Zielgruppe Familien (inclusive Alleinerziehende) 5.3 Zielgruppe ältere Mitarbeiter 5.4 Zielgruppe Generation Y 5.5 Zielgruppe Generation Z 5.6 Zielgruppe Führungskräfte

 6 Maßnahmen zur Umsetzung einer Work-Life-Balance6.1 Arbeitsorientierte Maßnahmen6.1.1 Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Arbeitsortes6.1.2 Erfahrungen mit Homeoffice während der Coronavirus-Pandemie6.1.3 Neue Büroraumkonzepte6.1.4 Gestaltung der Arbeitsinhalte und Arbeitsbedingungen6.1.5 Gruppenorientierte Aufgabengestaltung6.1.6 Maßnahmen zur Gestaltung der Arbeitszeit6.2 Maßnahmen zur Unterstützung von Familien6.2.1 Kontakthalte- und Wiedereinstiegsprogramme während und nach der Elternzeit6.2.2 Betriebliche Unterstützung bei der Kinderbetreuung6.2.3 Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger6.3 Maßnahmen zur Unterstützung von Frauen6.3.1 Entwicklung einer frauen- und familienfreundlichen Unternehmenskultur6.3.2 Berücksichtigung einer besseren Vereinbarkeit von Berufstätigkeit, Familie und Privatleben bei der Personalbedarfsplanung6.3.3 Berücksichtigung einer besseren Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben bei der Gewinnung von Mitarbeiterinnen6.3.4 Berücksichtigung einer besseren Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben bei der Personalentwicklung6.3.5 Berücksichtigung einer besseren Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben beim Personaleinsatz6.4 Maßnahmen zur Unterstützung von älteren Mitarbeitern6.4.1 Hohes berufliches Engagement und Karriereorientierung6.4.2 Nutzung und Bewahrung des langjährigen Experten- und Erfahrungswissens der älteren Mitarbeitenden6.4.3 Psychische und physische Erschöpfung der älteren Mitarbeiter nach jahrzehntelanger Berufstätigkeit6.4.4 Interesse an zeitlich begrenzten beruflichen Engagements auch nach dem Ausscheiden aus dem Beruf6.5 Maßnahmen zur Unterstützung von neu Mitarbeitenden der Generation Y6.6 Maßnahmen zur Unterstützung von Mitarbeitenden der Generation Z6.7 Maßnahmen zur Unterstützung von Führungskräften6.7.1 Typologie der Work-Life-Balance-Orientierung von männlichen Führungskräften6.7.2 Typologie der Work-Life-Balance-Orientierung von weiblichen Führungskräften6.8 Serviceorientierte Maßnahmen6.9 Gesundheitsorientierte Maßnahmen

  7 Umsetzung von Work-Life-Balance in der Praxis 7.1 Projekt „Balance von Familie und Arbeitswelt“ 7.2 Unternehmensprogramm "Erfolgsfaktor Familie“ 7.3 Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ 7.4 „Unternehmenswettbewerb 2012“ 7.5 Audit Beruf und Familie der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung 7.6 Freiburger Netzwerk Familienbewusste Unternehmen 7.7 Netzwerk Familienbewusste Unternehmen Bonn / Rhein-Sieg 7.8 Rankings zur Work-Life-Balance von Unternehmen

  8 Wirkungen von Work-Life-Balance Maßnahmen 8.1 Wirkungen auf die Individuen 8.2 Wirkungen auf die Unternehmen 8.3 Wirkungen auf die Gesellschaft

  9 Literaturverzeichnis

  Stichwortverzeichnis

1 Work-Life-Balance: Was ist das?

Unser Leben hat sich in den letzten ca. zwanzig Jahren stark verändert. Die rasanten Entwicklungen der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien vereinfachen ein zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten. Durch Laptop, Tablet, Smartphone und weiterer kleiner digitaler Geräte (engl. Wearables) können wir überall und zu jeder Tages- oder Nachtzeit erreichbar sein, digital kommunizieren sowie Daten und Informationen austauschen. Wir sind mobil und überwinden örtliche Entfernungen dank Internet und stark ausgebauter Verkehrsstrukturen oft mühelos und schnell. Wir sind flexibel und passen uns schnell an neue berufliche und private Anforderungen oder Aufgaben an.

 

Dennoch fällt es vielen Menschen zunehmend schwerer, ihre verschiedenen Lebensbereiche zeitlich und inhaltlich so wahrzunehmen und aufeinander abzustimmen, dass sie zufrieden sind. Stattdessen steigt beispielsweise die Anzahl an Erschöpfungszuständen und psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung, die Anzahl der Familien und Kinder sinkt deutlich und viele fühlen sich dauerhaft überlastet.

Geschuldet ist diese Entwicklung dem Wandel der Arbeitswelt mit seinen neuen Herausforderungen und Anforderungen, aber auch der Veränderung von gesellschaftlichen Rollenbildern von Mann und Frau, der steigenden Berufstätigkeit von Frauen, der Zunahme von unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und gesellschaftlichen Risiken sowie der insgesamt steigenden Dynamik und Komplexität unseres Lebens.

Unter dem Begriff Work-Life-Balance hat sich in den letzten ca. dreißig Jahren eine intensive wissenschaftliche und praxisorientierte Diskussion um die Vereinbarkeit zwischen dem Berufs- und dem Privatleben entwickelt mit dem Ziel, durch geeignete Konzepte und verschiedenen Maßnahmen eine höhere individuelle Vereinbarkeit zwischen den Lebensbereichen zu unterstützen und zu fördern.

1.1 Work-Life-Balance als interdisziplinäres Thema

Das Thema Work-Life-BalanceWork-Life-Balance erfährt seit den 1990er Jahren eine steigende Aufmerksamkeit in Theorie, Forschung und Praxis unterschiedlicher Disziplinen (vgl. Collatz/Gudat 2011, S. 3). Insbesondere beschäftigen sich die SoziologieSoziologie und die PsychologiePsychologie mit dem Thema und untersuchen u.a. die Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen der Erwerbsarbeit und dem Privatleben. Hierbei interessieren auch die verschiedenen Rollen, die Menschen innerhalb des Erwerbs- und Privatlebens einnehmen sowie mögliche Rollenkonflikte von Personen innerhalb und zwischen den beiden Lebenswelten. (vgl. z.B. Barnett 1998, S. 125; Frone 2003, S. 143; Resch/Bamberg 2005, S. 172). Die Arbeits- und OrganisationspsychologieArbeits- und Organisationspsychologie beschäftigt sich mit den Herausforderungen der Arbeitswelt und ihren Auswirkungen auf die Erwerbstätigen, wobei auch die Vereinbarkeit der Erwerbstätigkeit mit dem Privatleben untersucht wird (vgl. Weinert 2004, S. 37). Die Gender-ForschungGender-Forschung interessiert insbesondere die Chancengleichheit bzw. bestehende Ungleichheiten zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen und den Belastungen, die sich daraus für die Arbeitswelt aber auch für andere Lebensbereiche ergeben (vgl. z.B. Kortendiek/Riegraf;/Sabisch 2019; Becker/Kortendiek 2010). Für die BetriebswirtschaftBetriebswirtschaft und insbesondere das Personalmanagement ist das Thema Work-Life-Balance besonders interessant, da die Unternehmen und Organisationen für eine erfolgreiche Unternehmenstätigkeit gut qualifizierte, leistungsfähige und engagierte Mitarbeiter benötigen, die zukünftig aufgrund des demografischen Wandels weniger werden, gleichzeitig jedoch neue Anforderungen an die Beschäftigungsverhältnisse und den Ausgleich zwischen verschiedenen Lebenswelten stellen. (vgl. Badura 2004; Kaiser/Ringlstetter 2010; Rost 2004; Schobert 2007, S. 19; Vedder 2008).

1.2 Auseinandersetzung mit dem Begriff “Work-Life-Balance”Begriff \“Work-Life-Balance\”

Wörtlich übersetzt bedeutet „Work-Life-Balance“ Arbeit – Leben – Gleichgewicht bzw. Ausgeglichenheit (vgl. Michalk/Nieder 2007, S. 21). Gemeint ist damit ein individuell ausgeglichenes Verhältnis zwischen der heutigen Erwerbsarbeit und dem Privatleben. Das Privatleben umfasst alle nichterwerbsorientierten Lebensbereiche, wie z.B. das Familienleben, die Partnerschaft und das Freizeitleben. So definiert auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend „Work-Life-Balance“ als eine neue, intelligente Verzahnung von Arbeits- und Privatleben vor dem Hintergrund einer veränderten und sich dynamisch verändernden Arbeits- und Lebenswelt.“ (BMFSFJ 2005, S. 4). In einem ersten Verständnis scheint der Begriff „Work-Life-Balance“ sehr treffend eine aktuell weit verbreitete Problematik vieler Menschen zu beschreiben, nämlich die häufig fehlende zeitliche und inhaltliche Ausgeglichenheit zwischen den Anforderungen der Erwerbstätigkeit und den Anforderungen und Wünschen an das Privatleben. Bei einer differenzierteren Auseinandersetzung mit dem Begriff „Work-Life-Balance“ wird jedoch die Widersprüchlichkeit dieses Begriffes deutlich, der erklärungsbedürftig ist. So suggeriert die Gegenüberstellung von „Work“ (Erwerbsarbeit) und „Life“ (Privatleben) eine deutliche Abgrenzung beider Lebensbereiche voneinander, die in der heutigen facettenreichen (Arbeits-)Welt häufig gar nicht mehr gegeben ist und der Vielfältigkeit der Wechselwirkungen zwischen Arbeits- und Privatleben sowie auch der Vielfalt des Privatlebens nicht gerecht wird. Wichtig ist daher eine differenziertere Betrachtung der drei Bestandteile des Begriffs „Work-Life-Balance“, um anschließend auf die wesentlichen Kritikpunkte einzugehen und eine Definition des Begriffs „Work-Life-Balance“ für den weiteren Fortgang der Arbeit zu entwickeln.

1.2.1 Life – Lebenswelt – Privatleben

Der Begriff „Life“ kann als „LebensweltLebenswelt“ übersetzt werden und umfasst in einem weiten Sinn alles, was im Alltag erlebt, erfahren und erlitten wird und bildet damit die subjektive Realität bzw. den Wirklichkeitsbereich einer Person ab (vgl. Michalk/Nieder 2007, S. 20). In dieser weiten Fassung kann die Lebenswelt unterschieden werden in die Teilsysteme des Arbeitslebens und des PrivatlebensPrivatleben. Das Privatleben lässt sich wiederum unterteilen in die Subsysteme Familienleben, Partnerschaft, Freizeitleben und private (nicht erwerbstätigkeitsorientierte) Arbeitsbereiche (vgl. Abbildung 1). Zum FamilienlebenFamilienleben gehören alle Aktivitäten und Aufgaben zur Versorgung und Betreuung von Familienmitgliedern (Kinder, Eltern, Angehörige) und das Leben in der Familie bzw. die Zeit, die in und mit der Familie verbracht wird. PartnerschaftPartnerschaft umfasst die Zeit und alle Aktivitäten, die privaten partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Individuen dienen. Die FreizeitFreizeit steht zur eigenen Verfügung und kann nach individuellen Bedürfnissen gestaltet werden. Hierzu zählen z.B. alle sportlichen, kulturellen oder sozialen Tätigkeiten und Aktivitäten, die der individuellen Bedürfnisbefriedigung, Regeneration und dem privaten Leben (ohne Haushaltsaufgaben und ohne Erwerbsarbeit) dienen. Private nicht erwerbstätigkeitsorientierte ArbeitsbereichePrivate nicht erwerbstätigkeitsorientierte Arbeitsbereiche umfassen alle Tätigkeiten, die zur Aufrechterhaltung des eigenen Haushalts notwendig sind (wie z.B. Einkaufen, Saubermachen, Reparaturen etc.) sowie weitere soziale, kulturelle oder individuell motivierte Arbeitsbereiche, die eine Person freiwillig übernimmt und als sinnstiftend erlebt (z.B. Übernahme von ehrenamtlichen Tätigkeiten in Vereinen oder sozialen Institutionen, eigene Bildungsaktivitäten, kulturelle Aktivitäten oder Engagement in der Region). Dabei muss die Lebenswelt einer konkreten Person nicht alle Teilsysteme umfassen und auch die Ausprägung und Bedeutung der einzelnen Teilsysteme ist individuell unterschiedlich. So ist für einen 25-Jährigen Single, der keine eigene Familie hat, sein Arbeits-, Privat- und Freizeitleben wahrscheinlich besonders wichtig. Demgegenüber konzentriert sich eine erwerbstätige Mutter neben ihrer Berufstätigkeit vermutlich stärker auf ihr Familien- und Freizeitleben.

In einem engen Sinn und auch in der Interpretation des Begriffs „Life“Begriff \„Life\“ im Konzept der „Work-Life-Balance“ wird die LebensweltLebenswelt als Gegenstück zur Arbeitswelt verstanden (vgl. Michalk/Nieder 2007, S. 20) und beschränkt sich auf alle Tätigkeiten, Erfahrungen und alles Erleben in der erwerbsarbeitsfreien Zeit. Diese Gegenüberstellung von Arbeit und Leben resultiert aus dem Ziel der Work-Life-BalanceWork-Life-BalanceZiel, einen individuell zufrieden stellenden Ausgleich zwischen diesen beiden übergeordneten Lebensbereichen zu erreichen, der zunächst diese Gegenüberstellung notwendig macht. Kritikwürdig daran ist, dass damit (vereinfachend) die Arbeit aus dem Leben ausgeschlossen wird und eine strikte Trennung zwischen der Arbeit und dem (Privat-)Leben angenommen wird (vgl. Frone 2003, S. 144; Resch/Bamberg 2005, S. 171; Ulich/Wülser 2005, S. 126).

Diese vereinfachte Gegenüberstellung wird der komplexen Realität jedoch nicht gerecht. Tatsächlich bilden das Arbeitsleben und das Privatleben Teilsysteme unserer menschlichen Lebenswelt, die sich wiederum in verschiedene Subsysteme unterteilen lassen, mit jeweils vielfältigen Ausprägungen und Interdependenzen, die aufeinander wirken und sich gegenseitig positiv und negativ beeinflussen können (vgl. Abbildung 1).

Diese differenziertere Unterscheidung der Lebenswelt des Menschen in verschiedene Teilsysteme spiegelt die Vielfältigkeit der menschlichen Lebenswelt sowie die unterschiedlichen Interdependenzen, die zwischen den beiden übergeordneten Lebenswelten Arbeitswelt und Privatleben und den verschiedenen Subsystemen bestehen.

Abbildung 1:

Individuelle Lebensweltenindividuelle Lebenswelten des Menschen mit Teilsystemen. Eigene Darstellung.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich die individuellen Lebensbereiche in unserer heutigen Welt und Lebensweise häufig nicht mehr klar abgrenzen lassen. Beobachtbar ist eine steigende Entgrenzung zwischen dem Berufs- und PrivatlebenEntgrenzung zwischen dem Berufs- und Privatleben. So ermöglichen die modernen digitalen Informations- und Kommunikationstechnikendigitale Informations- und Kommunikationstechniken in Verbindung mit dem Internet eine ständige Erreichbarkeit und Kommunikation, was immer häufiger dazu führt, dass Arbeitnehmende rund um die Uhr und ortsunabhängig über Laptop, Tablet, Smartphone in Arbeitsbereitschaft stehen und beruflich ansprechbar bleiben, um kurzfristig wichtige berufliche Fragen klären oder Aufgaben bearbeiten zu können. So bleibt das „Arbeits-Smartphone“ oft auch am Abend und am Wochenende eingeschaltet, um für Kollegen und wichtige Fragen erreichbar zu sein oder auch außerhalb der normalen Arbeitszeiten noch berufliche E-Mails abzurufen und zu bearbeiten oder mit Kollegen berufliche Aufgaben zu besprechen. Durch diese ständige Erreichbarkeitständige Erreichbarkeit und berufliche Ansprechbarkeit, die häufig auch noch spät abends und am Wochenende aufrechterhalten wird, greift das Arbeitsleben immer stärker in die anderen Lebensbereiche ein, was einen Ausgleich der verschiedenen Lebensbereiche zusätzlich erschwert. Andererseits werden während der Arbeitszeit zunehmend auch kurzfristig wichtige private Angelegenheiten (z.B. Telefonanrufe, Behördengänge) erledigt. So werden die Grenzen zwischen den einzelnen Lebensbereichen zunehmend durchlässiger und lösen sich teilweise sogar auf. Hierfür hat sich mittlerweile der Begriff der EntgrenzungEntgrenzung zwischen Arbeitsleben und Privatleben etabliert.

Darüber hinaus entwickeln und verändern sich die individuellen Lebenswelten im persönlichen Zeitverlauf. Angefangen von der Sozialisierung eines Kindes in seinem familiären und sozialen Umfeld über die Schul- und Berufsausbildung, den Einstieg in das Berufsleben und Karrierefortschritte, die Entwicklung sozialer Bindungen durch Partnerschaften oder Heirat, die Gründung einer eigenen Familie, den Wiedereinstieg in den Beruf nach möglichen Erziehungszeiten, einer späteren Karriereorientierung in fortgeschrittenem Alter (z.B. ab 50 Jahren) bis hin zur Planung und Umsetzung des altersbedingten Berufsausstieges zum Renteneintrittsalter und das Privatleben im Ruhestand. Dabei sind auch die individuellen sozialen und kulturellen Besonderheiten und Vorlieben des Berufs- und Privatlebens zu berücksichtigen. In den verschiedenen LebensphasenLebensphasen verändern sich meist auch die Bedeutungen der verschiedenen Lebensbereiche. Daher bedarf es beim Konzept der Work-Life-Balance auch einer Berücksichtigung der verschiedenen Lebensphasen der Personen.

 

1.2.2 Work – Arbeit

Grundsätzlich kann „WorkWork“ übersetzt als Arbeit als zweckmäßige und zielgerichtete menschliche Tätigkeit verstanden werden, die der Existenzsicherung und der Befriedigung individueller Bedürfnisse dient. Im Kontext des Begriffs „Work-Life-Balance“ beschränkt sich das Begriffsverständnis von „Work“ nur auf die Erwerbsarbeit, die sich auf körperliche und geistige Tätigkeiten des Menschen gegen Entgelt bezieht (vgl. Rürup 1994, S. 35 f.). Dies begründet sich in der Gegenüberstellung von Arbeit und Privatleben, für die ein individuell zufrieden stellender Ausgleich gefunden werden soll.

Andere notwendige (z.B. Hausarbeit, Kinderbetreuung und -erziehung, Pflege betreuungsbedürftiger Familienangehöriger) oder individuell wünschenswerte Arbeitsbereiche (z.B. Bildungsarbeit, soziale und ehrenamtliche Arbeiten, Arbeiten in der Freizeit) bleiben in diesem engen Begriffsverständnis weitgehend unberücksichtigt (vgl. Eby et al. 2005, S. 126). Dies ist insofern kritikwürdig, als diese nicht erwerbsorientierten Arbeitsbereiche häufig mit verantwortlich sind für einen mangelnden Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben sowie auch für intra- sowie interpersonelle Rollenkonflikte in den verschiedenen Lebensbereichen (vgl. Michalk/Nieder 2007, S. 19). Der Umfang nicht erwerbsorientierter Arbeiten bestimmt sich durch die individuelle Ausprägung der verschiedenen Lebensbereiche einer Person. So müssen erwerbstätige Eltern zwingend auch die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder sowie umfangreichere Arbeiten im Haushalt übernehmen. Personen mit pflegebedürftigen Angehörigen müssen sich um die Betreuung und Pflege dieser Familienmitglieder kümmern oder die Betreuung und Pflege durch andere Personen oder Organisationen organisieren. Neben diesen zwangsläufig mit bestimmten Lebensbereichen verbundenen Aufgaben und Arbeiten können Personen auch freiwillig nicht erwerbsorientierte Arbeiten im Privat- oder Freizeitleben übernehmen, wie z.B. soziale oder ehrenamtliche Aufgaben, die als sinnstiftend erlebt werden. Die Vielfalt der Arbeitsbereiche und Arbeitsbelastungen in den verschiedenen Lebensbereichen wird durch den Begriff „Work“ kaum deutlich und bleibt im Konzept der „Work-Life-Balance“ weitgehend unberücksichtigt. Hier wäre es wichtig, die nichterwerbsorientierten Arbeitsbereiche zumindest als Arbeitsbelastungen in den anderen Lebensbereichen mit aufzunehmen.

Die enge Begriffsfassung von Arbeit als Erwerbsarbeit ist zurückzuführen auf die zentrale Bedeutung, die der Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft zukommt und die sich nicht nur in der Sicherung der eigenen Existenz begründet, sondern darauf aufbauend und auch darüber hinaus für viele Menschen einen zentralen Wertmaßstab darstellt. So können sich die meisten Menschen ein Leben ohne Erwerbsarbeit nicht vorstellen. Allerdings führen die veränderten Ansprüche an die Erwerbstätigkeit sowie die steigende Freizeitorientierung teilweise zu dem Wunsch nach verringerten Wochenarbeitszeiten (vgl. BAuA 2020, S. 38 f.). Zusätzlich wünschen sich viele Menschen eine sinnstiftende Erwerbstätigkeit, mit der sie sich identifizieren können und die ihnen inhaltliche Gestaltungs- und Entwicklungsspielräume bietet (Balzer/Balzer 2019). Insofern sind die Anforderungen an die Erwerbsarbeit bei vielen Erwerbstätigen deutlich gestiegen. Andererseits haben sich die Arbeitsbedingungen für viele Menschen in den letzten ca. zwanzig Jahren drastisch verändert, wodurch es für immer mehr Arbeitnehmer schwieriger wird, ihre Erwerbsarbeit mit dem Privatleben ein Einklang zu bringen, auszugleichen und für beide Lebensbereiche genug Zeit zu haben. Hierzu gehören nicht nur veränderte Tätigkeiten und Inhalte (hin zu geistig anspruchsvolleren und wissensbezogenen Tätigkeiten), die häufig höherer Qualifikationen der Beschäftigten erfordern, sondern auch veränderte Rahmenbedingungen (z.B. Zunahme zeitlich befristeter Arbeitsverträge, steigende Beschäftigungsunsicherheit, höherer Leistungsdruck), neue oder veränderte Arbeitsstrukturen (z.B. Teamarbeit, Projektarbeit), der deutlich gestiegene Einsatz digitaler Arbeitsmittel (insb. digitale Informations- und Kommunikationstechnologien), weniger klar abgegrenzte Arbeitszeiten, ausgedehntere räumliche Arbeitsbezüge (national, zunehmend international und global), zunehmendes mobiles Arbeiten und Arbeit im Homeoffice aufgrund der Coronavirus-Pandemie, eine steigende Dynamik der Zusammenarbeit sowie veränderte bzw. auch erweiterte Rollen und Funktionen der Mitarbeitenden.