Praktiken professioneller Lehrpersonen (E-Book)

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Praktiken professioneller Lehrpersonen (E-Book)
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Urban Fraefel

Praktiken professioneller Lehrpersonen

Mit dem Aufbau zentraler Praktiken zu erfolgreichem Handeln im Unterricht

Ein Arbeitsbuch für angehende und erfahrene Lehrpersonen

ISBN Print: 978-3-0355-1243-4

ISBN E-Book: 978-3-0355-1244-1

1. Auflage 2020

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.ch

Inhalt

Dank

Vorwort

Kapitel 1 Das sollten Sie wissen, bevor Sie mit diesem Buch arbeiten

Kapitel 2 So arbeiten Sie erfolgreich mit diesem Buch

Kapitel 3 Das individuelle Lernen unterstützen

Worum es geht

Was braucht es für eine erfolgreiche Begleitung von individuellen Lernprozessen?

«Schulische Diagnostik» oder: Wie erfahre ich, wo die Schülerinnen und Schüler stehen?

Feedbacks einholen und annehmen!

Professionelles Feedback an Lernende – zentral für jegliche Unterstützung

So gestalten Sie Feedbacks und Einzelgespräche wirkungsvoller

Kapitel 4 Den Unterricht leiten

Die Grundstruktur von Unterricht

Der informierende Unterrichtseinstieg

Inputs geben

Gespräche führen

Anleiten von Aktivitäten

Bilanzieren

Zusammenfassung

Kapitel 5 Zwischenbilanz

Ein Rückblick

Ein genauerer Blick auf das Konzept der (Kern-)Praktiken

Kapitel 6 Planen

Konventionen der Planung

Was ein guter Plan ist – und was nicht

Wie planen erfahrene Lehrpersonen?

Ein zentrales Planungsprinzip: «Backwards Planning»

Eine Planungsheuristik für thematische Einheiten

Planung von Lektionen

Planen von Lektionen durch Studierende

Kapitel 7 Ziele festlegen und Erwartungen überprüfen

Ziele und Erwartungen: Was bereits thematisiert wurde

Drei einfache Entscheidungen

1. Das thematische Ziel: Eine Thematik, ein Lernfokus

2. Das überfachliche Ziel: Was für die Lernenden jetzt wichtig ist

3. Die Überprüfung: Wie wir erfahren, wo wir stehen

Kapitel 8 Unterricht inszenieren

Mit vorbereiteten Inszenierungen zu gutem Unterricht?

Steuerung durch Inszenierungen

Steuerung durch die Lehrperson

Steuerung durch die Lernenden selber

Repertoire an Werkzeugen («tools»)

Epilog Meine eigenen Praktiken

Literatur

Bildnachweis

Dank

Dieses Buch ist inspiriert durch meine vielfältigen Erfahrungen mit Schule, Unterricht und Forschung, zuletzt als Lehrerbildner und als Leiter der Professur Berufspraktische Studien und Professionalisierung an der Pädagogischen Hochschule FHNW. In unserer täglichen Arbeit mit Studierenden, Praxislehrpersonen und Schulleitungen sind wir immer wieder mit der Frage konfrontiert gewesen, wie angehende Lehrpersonen Handlungssicherheit gewinnen und lernen, im Unterricht kompetent und zugleich flexibel zu handeln, um den Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu unterstützen. Im Kreis der Mitarbeitenden führten wir dazu intensive Gespräche, werteten unsere Erfahrungen aus und sichteten vorliegende Konzepte und Befunde. Alle Teammitglieder und Verantwortlichen für Partnerschulen engagierten sich in diesen Diskussionen, die auf den Kern der Berufspraktischen Studien zielen: Wie können wir Studierende optimal unterstützen, damit sie professionell handelnde Lehrpersonen werden, denen die Bildung der Schülerinnen und Schüler das zentrale Anliegen ist? Es kristallisierte sich nach und nach ein Schlüsselbegriff heraus: Wir identifizierten Praktiken als Bindeglied zwischen professionellem Handeln und verarbeitetem Berufswissen.

So reifte der Entschluss, ein Arbeitsbuch zu Praktiken zu schreiben. Durch äussere Umstände hat sich die Publikation, die den Aufbau dieser Praktiken zum zentralen Gegenstand macht, um fast zwei Jahre verzögert. Nun aber liegt das Werk vor. Ich möchte insbesondere den Mitarbeitenden der Berufspraktischen Studien Sabina Staub, Thomas Birri, Dominik Sauerländer und Sara Mahler meinen grossen Dank für ihr engagiertes Mitdenken aussprechen. Inspirierend waren auch die angeregten Diskussionen mit Prof. Kurt Reusser sowie meinen Kolleginnen und Kollegen Tobias Leonhard, Julia Košinár, Yves Karlen, Claudia Schmellentin und Roland Messmer. Ein Dank geht zudem an Olga Brühlmann für die Mithilfe bei Recherchen und an Jürg Walter für das gründliche Gegenlesen, sowie last but not least an den Verlag für die professionelle Begleitung des Projekts.

Basel, im Juli 2020

Vorwort

von Kurt Reusser1

Lehrpersonen auszubilden, bedeutet die Einführung in pädagogisches Wahrnehmen, Denken und Handeln. In der Ausbildung heisst dies vorab mit Bezug auf die schulische Bildungsaufgabe, sich mit Didaktik und mit Themen der Pädagogischen Psychologie auseinanderzusetzen. Als berufswissenschaftlicher Wissenskorpus und Literaturgattung treten diese Inhalte in zweierlei Gestalt in Erscheinung: als oftmals abstrakte Theorien und Modelle zu Bedingungen, Merkmalen und Kontexten des pädagogischen Handelns; oder als mehr oder weniger rezeptorientierte Anleitungen in Form von Praxisliteratur zu Unterrichtsformen und als bedeutsam erlebte Handlungsprobleme.

Das hier vorliegende Buch orientiert sich an keiner der beiden Literaturgattungen. Weder ist es ein weiteres Einführungsbuch in die Allgemeine Didaktik, noch ist es dem Typus «what works» bzw. der rezepthaften Einführung in Handlungsroutinen zuzuordnen. Dennoch wird auch darin das Ziel verfolgt, Lehrpersonen auf der Basis von Wissen und Erfahrung in pädagogisches Sehen und Denken einzuführen und zu befähigen, das Lernen ihrer Schülerinnen und Schülern anzuleiten und lernförderliche didaktische Entscheidungen zu treffen.

Urban Fraefel vertritt als langjähriger Volksschullehrer, Lehrerbildner, Lehrmittelentwickler, Forscher und Professor für Berufspraktische Studien in seinem Buch die Position eines reflektierenden und wirkungsorientierten Praktikers. Im Gegensatz zur deutschsprachigen Didaktik-Tradition mit ihrer Vorliebe für abstrakte Modelle des Unterrichts wurzelt das Buch in einem tief verstandenen Pragmatismus. Mit der Orientierung an John Dewey und Donald Schön verbindet sich das Primat des Lernens aus Erfahrung vor der extensiven Aneignung von Theorien als Ausgangspunkt der Erkenntnis. Professionell handlungsfähig wird man nicht primär durch die Anwendung von abstraktem Theoriewissen, auch nicht durch die Imitation von Praxisrezepten, sondern im reflektierenden Wechselspiel von Denken und Handeln. Die Überzeugung, dass die Fähigkeit, lernwirksam zu unterrichten, sich im Tun des reflektierenden Praktikers aufbaut und dass theoretische Begriffe dazu da sind, das eigene Tun und das Lernen der Schülerinnen und Schüler verstehbar zu machen, findet sich nicht nur im angloamerikanischen Pragmatismus, sondern auch beim Schweizer Kognitionspsychologen und Didaktiker Hans Aebli. Auch dieser geht in seinen «Grundformen des Lehrens» von den realen Anforderungen des unterrichtlichen Handelns aus und analysiert dessen Basisformen mit kognitionspsychologischen Begriffen – nicht um angehenden Lehrpersonen die dahinter liegenden Theorien als Faktenwissen zu vermitteln, sondern in dienender Funktion eines tiefen Verständnisses der dem unterrichtlichen Handeln zugrundeliegenden Schülerlernprozesse.

 

Konkret nimmt das für den deutschen Sprachraum neuartige Buch eine Strömung in der neueren US-amerikanischen Lehrerbildungsdiskussion auf, nach der es bei der Bildung von Lehrpersonen darum geht, sich mit einem Set von Kernpraktiken («core practices») des beruflichen Handelns auseinanderzusetzen. Das heisst, berufsrelevante Praktiken sollen in der Verknüpfung mit wissenschaftlichem und erfahrungsbezogenem Wissen in der Grundausbildung angebahnt und auf Basisniveaus eingeübt werden. Das weiterführende Ziel ist, dass die in der Praxis stehenden Lehrpersonen diese Kernpraktiken sodann selbst erproben, mit eigenem Wissen anreichern, reflektierend weiterentwickeln und flexibilisieren.

Für das Curriculum der Lehrerinnen- und Lehrerbildung bedeutet dies die Identifikation von berufsrelevanten Aktivitäten, die im Unterricht verschiedener Fächer häufig vorkommen, auf zentrale Anforderungen und Problemsituationen professionelle Handlungsantworten liefern, der Komplexität unterrichtlicher Anforderungen gerecht werden, die für angehende Lehrpersonen erlernbar sind und die das Potenzial haben, das Lernen von Schülerinnen und Schülern positiv zu unterstützen. Kennzeichnend für den Ansatz der Kernpraktiken ist, dass massgebliche Orientierungspunkte auf dem Weg zu einer souveränen Berufskompetenz direkt aus den praktischen Herausforderungen gewonnen werden und dass diese wegleitend sind für eine damit verbundene Beschäftigung mit wissenschaftlichem Theorie- und Forschungswissen.

Eine kluge Entscheidung des Buches besteht darin, nicht nach einer erschöpfenden Liste oder einer Systematik von Praktiken zu suchen, sondern sich an einer exemplarischen Auswahl zu orientieren. Dies geschieht in den das Herzstück des Buches bildenden Kapiteln 3 bis 8. Mit gutem Grund werden die vor dem Hintergrund des didaktischen Wandels der Schule besonders herausfordernden Praktiken des Diagnostizierens und des Feedback-Erteilens als Kern einer adaptiven Lernunterstützung ausführlich behandelt und an den Anfang gestellt. Gefolgt werden sie durch eine Gruppe von Praktiken, die sich mit den unterschiedlichen Arten und Weisen beschäftigen, in denen sich Lehrpersonen in der Adressierung von Lerngegenständen – instruktional, anleitend, impulsgebend, strukturierend, steuernd – an die ganze Klasse oder an Lerngruppen richten. Gerahmt werden die Praktiken sodann durch die Kerntätigkeiten des Planens von Unterricht, der Formulierung von Bildungszielen und zu Inszenierungsformen von Unterricht sowie zu deren Umsetzung erforderlichen didaktischen Werkzeugen.

Der Autor hat das Buch für angehende und praktizierende Lehrpersonen geschrieben. Als Arbeitsbuch mit zahlreichen Aufgaben und Anregungen zur Verarbeitung kann es – allein oder auch gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen – problemorientiert genutzt werden, um eingeschliffene Praktiken zu überdenken, zu verfeinern und weiterzuentwickeln. Das Buch ist nicht dazu gedacht, linear abgearbeitet zu werden. Vermittelst zahlreich vorkommender Klärungen von Konzepten und reichhaltiger Literaturhinweise soll es praktisch tätigen und neugierig gebliebenen Lehrpersonen, die im Dewey’schen Sinne als reflektierende Problemlöserinnen und -löser mit Bodenhaftung unterwegs sind, und dener die Lernfortschritte von Schülerinnen und Schülern das pädagogische Kernanliegen sind, als Reflexionshilfe und als Wissensspeicher dienen. Dozierenden der Lehrerinnen- und Lehrerbildung kann das Buch helfen, akademische und berufspraktische Ausbildungssituationen so zu gestalten, dass in der Ausbildung nicht vor allem dekontextualisiertes Wissen vermittelt wird, sondern auf den Erwerb beruflicher Kernpraktiken und den Aufbau eines damit verbundenen Habitus der Reflexion und Bereitschaft zu deren Weiterentwicklung hingearbeitet wird.

1Kurt Reusser, Prof. em. Dr., Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie und Didaktik (1993–2017), Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Pädagogische Psychologie, Kognitionspädagogik, Allgemeine Didaktik und Lehr-Lern-Forschung.

Kapitel 1
Das sollten Sie wissen, bevor Sie mit diesem Buch arbeiten


Dieses Buch handelt von Praktiken, den Bausteinen professionellen Handelns. Das einleitende Kapitel nimmt eine erste Klärung vor, was professionelle Praktiken sind und weshalb sie so wichtig sind.

1. Ein Buch für berufstätige und angehende Lehrpersonen

Dieses Arbeitsbuch kann sowohl individuell als auch in Seminaren und in Anlässen der Berufspraktischen Studien verwendet werden. Es muss nicht Seite für Seite durchgearbeitet werden – Hauptsache, man vertieft sich wirklich in die Themen. Die Inhalte der Kapitel überschneiden sich bisweilen. Deshalb werden gewisse Themen mehrfach aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Das ist durchaus gewollt und kann helfen, Verknüpfungen herzustellen.

2. Alle wollen erfolgreich handeln

Gerade angehende Lehrpersonen wollen erfolgreich handeln. Das Scheitern ist eine ihrer grösseren Sorgen, wenn sie an ihren Beruf denken. Die Lehrpersonenbildung ist aus Sicht aller Studierender zuerst einmal eine Berufsvorbereitung, die ihnen eine ausreichende Sicherheit geben soll, um im Beruf zu bestehen. Dieses Anliegen ist ganz und gar berechtigt und nachvollziehbar und soll seinen Platz in der Lehrpersonenbildung haben.

3. «Funktionieren» dank Routinen?

Was erwarten angehende Lehrpersonen, wenn sie «Sicherheit gewinnen» wollen? Sie möchten zumeist Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung haben, um in konkreten Situationen sofort reagieren zu können. Deshalb sind Studierende oft darauf aus, zu erfahren, was sich bewährt hat, wie erfahrene Lehrpersonen handeln und welche funktionierenden Anleitungen zur Verfügung stehen – kurz: Sie wollen wissen, «wie man es macht», sie wollen Anleitungen möglichst bald in routiniertes Handeln überführen. Das geschmeidige Funktionieren von Unterricht wird zur Priorität, auch wenn ungewiss ist, ob es zum Erfolg führt.

4. Imitieren von erfolgreichen Berufspersonen reicht nicht

Wer scheinbar erfolgreiche Routinen kopiert, erliegt zumeist einem Denkfehler. Schritt für Schritt zu imitieren, was sich bei anderen bewährt hat, kann bestenfalls eine Notlösung sein. Ein Blick auf andere Berufe macht dies deutlich: Ärztinnen, Köche, Mechanikerinnen, Gipser, Musikerinnen, Polizisten – alle vollziehen sichtbare Handlungen, sie führen berufstypische Gesten aus. Doch durch das rezeptartige Kopieren dieser Gesten wird niemand zum «Profi». Da reicht es nicht, die Aktionen der Könnerinnen und Könner zu imitieren. Das sichtbare Tun erfolgreicher Berufspersonen gründet nämlich auf sehr viel Wissen und Erfahrung. Sie haben im Lauf der Zeit ein solides Know-how aufgebaut und verinnerlicht und greifen bei Bedarf intuitiv darauf zurück. Dieses intuitive «Wissen, wie» bezeichnen wir als professionelle «Praktiken». Auch Lehrpersonen müssen sie nach und nach erwerben: Es gibt kein Schnellverfahren, um professionell handeln zu lernen.

5. Das verstehen wir unter «Praktiken» von Lehrpersonen

«Praktiken» sind wiederkehrende Aktivitäten, die für professionelles Handeln von Lehrpersonen wichtig sind. Zentrale Praktiken sind in den meisten Fächern bedeutsam, etwa die individuelle Lernbegleitung von Schülerinnen und Schülern oder das Leiten eines Klassengesprächs. «Praktiken» sind durch die Lehrperson selber aufgebaut, und deshalb haben sie immer eine individuelle Färbung. Wenn die Lehrperson an einer Verbesserung der Praktiken interessiert ist, wird sie diese wiederholt bewusst anwenden, zunehmend variieren, zunehmend besser verstehen und flexibel einsetzen. Mit solchen Praktiken erhält eine Lehrperson eine solide Grundlage in ihrer beruflichen Arbeit.

6. Praktiken bauen Sie selber

Was unterscheidet Praktiken von rezeptartigen Handlungsempfehlungen? Rezepte übernimmt man – aber es mangelt oft an zugrunde liegendem Wissen und entsprechender Übung. Praktiken hingegen müssen Lehrpersonen von Grund auf selber entwickeln und durch Erfahrung, Kontextwissen und Nachdenken dauernd verbessern. Die Praktiken sind mit der Zeit so verinnerlicht, dass sie intuitiv zur Anwendung kommen. Deshalb ist es nicht möglich, Praktiken durch Kopieren oder Nachlesen zu lernen – Praktiken reichern sich fortlaufend an, je länger und tiefer man sich mit ihnen beschäftigt.

7. Bereits im Studium eine Basis für Praktiken legen – am besten in Kooperation

Um Praktiken aufzubauen, gibt es keinen «fast track» – das ist echte Arbeit. Genau deshalb muss damit bereits in der Lehrpersonenbildung angefangen werden und nicht erst im Berufseinstieg. Die Lehrpersonenbildung bietet dazu viele Gelegenheiten, vor allem in den Schulpraktika und deren Begleitformaten. Hier können Praktiken thematisiert, verbessert, flexibel gestaltet und richtiggehend trainiert werden. Dabei helfen die Unterstützung von Fachpersonen der Lehrpersonenbildung, der Austausch mit Mitstudierenden und das Gespräch mit Schülerinnen und Schülern. So gewöhnen sich die Studierenden daran, dauernd an der Verbesserung der Praktiken zu arbeiten.

8. Praktiken brauchen Wissen und «Theorie»

Studierende werden in der Lehrpersonenbildung mit sehr viel Wissen konfrontiert. Das allermeiste davon ist irgendwann relevant für den Lehrberuf – aber haben Lehrpersonen das relevante Wissen im richtigen Augenblick präsent? Leider allzu selten. Deshalb sollte das bedeutsame Wissen der Hochschule quasi verschmolzen werden mit dem, was Lehrpersonen konkret tun. Wirkungsvolle Praktiken gründen nicht bloss auf Erfahrung und gesundem Menschenverstand, sondern wesentlich auf dem Wissen der Hochschule. Auf das vielfältige Wissen aus den Fachwissenschaften, den Fachdidaktiken und den Erziehungswissenschaften zurückzugreifen, ist unverzichtbar. Allerdings ist zu prüfen, was davon im konkreten Fall zieldienlich ist.

9. Professionelle Praktiken erlauben berufliches Handeln «state of the art»

Das Ziel sind Praktiken für bestmögliches professionelles Handeln. Lehrpersonen sollten sich gewohnheitsmässig fragen, ob ihre Praktiken die bestmöglichen Wirkungen erzielen und ob sie auf dem neuesten Stand gesicherten Wissens sind. Die Disziplinen der Fachdidaktiken und der Erziehungswissenschaften erforschen und überprüfen dauernd, wie sich Schule und Unterricht entwickeln, welche Konzepte erfolgversprechend sind, welche (Neben-)Effekte sie haben usw. Studierende haben zu diesem Wissen einen leichten Zugang, denn Fachpersonen der Lehrpersonenbildung vermitteln und erklären die Konzepte, und beim Fachpersonal kann jederzeit nachgefragt werden.

10. Professionelle Praktiken sind flexibel

Wer wirklich über professionelle Praktiken verfügt, kann schnelle und zweckdienliche Entscheidungen treffen, je nach Situation. Das ist aber nur dann möglich, wenn man in diesem Gebiet zuhause ist. Nehmen wir z. B. «Lernschwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler erkennen und verstehen»: Wer sich hier auskennt, wird aufmerksam sein auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler und das Spezielle an der konkreten Situation wahrnehmen. Man merkt intuitiv, worauf zu achten ist, hat das entsprechende Fachwissen und kennt verschiedene Varianten des Reagierens, denn man hat sich über Strategien kundig gemacht. Man weiss sofort, was zu tun und zu lassen ist. So trifft man schnell die bestmöglichen Entscheidungen zum Vorteil der Schülerinnen und Schüler. Kurz: Professionelle Praktiken ermöglichen flexibles und zielführendes Handeln, auch in variierenden Situationen.

 

11. Professionelle Praktiken entlasten die Lehrperson

Immer wieder berichten Berufseinsteigende, dass sie der Schulalltag überfordert, weil sie an so viele Dinge denken müssen, um die sie sich im Studium kaum zu kümmern hatten. Die berufliche Realität ist unerbittlich: Ohne Unterlass ist die Lehrperson mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Der Handlungs- und Zeitdruck in der Schule löst einen andauernden Stress aus, der vor allem Berufseinsteigende an ihre Grenzen bringen kann. Hier helfen Praktiken: Anders als blosse Routinen und starre Handlungsempfehlungen geben sie den Lehrpersonen Handlungsoptionen, um in der Situation adäquat und professionell zu handeln. Und deshalb – es sei nochmals betont – ist es so wichtig, dass professionelle Praktiken geübt werden.