Brutal regional!

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Aus der Reihe: Gourmet Apokalypse #3
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Brutal regional!
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ulrike schott



Brutal regional!



Kenn ma ned, koch ma ned, ess ma ned!





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Mundgerechtes Missionieren







Orientierung im Foodtrend-Stress







Speisekartenaffären und das Free-from-Konzept







Legal, illegal, regional







Das kurze Weinkapitel







Die Weinprobe







Schmeckt wie früher







Fermentiert und selbstgebraut







Neu o'zapft







Jetzt auch lokal modern: Der Nose-to-Tail-Ansatz







Rot sehen, grün kaufen







Lupinen überall







Die Autorin







Impressum







Impressum neobooks







Mundgerechtes Missionieren




Mit einem gar götzenhaften Kniefall feiert die aktive Freizeitgourmetgemeinde den individuell richtigen Esstrend. Soja und Chiaschlodder werden bei den vegangläubigen Superfoodlern zur Heiligkeit erkoren, die Flohsamenschalen bis zur Extase gehuldigt, Leberkässemmeln und deren Vertilger nicht gar öffentlich gesteinigt. Fleischfreier Foodfanatismus – selbstbewusst kombiniert mit international saisonal bio und maschinell aufwändig erzeugten Metzger-Ersatzprodukten – ist die neue daily Ersatzreligion aus der Fake-Food-Szene, die unter der Woche genauso zelebriert wird wie an den Sonntagen. Das funktioniert ähnlich wie bei klassischen Glaubensrichtungen. Inklusive Opferbereitschaft und Verzicht, sektenmäßigem Rezept-austausch mit Moralpredigten und nachhaltigen, vorwiegend pflanzlichen Bußverfahren, falls Sünderin oder Sünder heimlich wo in einer dunklen Gasse der verbotenen Verführung erliegen und mit einem ordinären Schinkenbrot aus konventioneller Landwirtschaft in der Hand von militanten Glaubensschwestern oder -brüdern erwischt und mit halbfermentierten Brokkolistümpfen beworfen werden.



Der exzessiv vegane Lebensstil ist eine neue, relativ radikale Glaubensrichtung mit politischen Einflüssen. So scheint es allgemein zu sein, trifft man auf Annerose. Annerose, gebürtige Glockenbachviertlerin, später aber in einem dörflichen Weiler im Rottal gelandet, mit Hang zum Weltenbürger bzw. zur Weltenbürgerin, deshalb kosmopolitisch verenglischt genannt Annie mit Ä – ist quasi die Halbtagskollegin vom esspolitisch gemäßigten Chavi, dem Biosupermarktrepräsentanten und Derzeitlover von meinem lieben Freund Herbert.




Diese Annie ist eigentlich eine ganz Nette. Sie gibt ehrenamtlich Englischkurse für Anfänger und Anfängerinnen und die Kindergartenfreunde und -freundinnen ihrer Tochter und hat es mit der Energie und dem Atmen. Speziell dann, wenn so ein Antonio-Banderas-Typ in den Laden kommt und mit spanischem Akzent nach dem Strukturshampoo Ringelblume im reduzierten Angebot fragt. Da hört man sie zwei Regale weiter noch einschnaufen. Ihre Augen sind blitzgrün und schauen lieb, aber durchdringend hinter den dunkelroten Wusellocken hervor. Sie wissen genau, dass sie es auch weiß, dass Sie letztens wieder eine nicht-fair-trade Orangenmarmelade, gezuckerte Crunchy-Cornflakes mit Kuhmilch zum Frühstück hatten und beim Discounter-Weizenweißbrot grob fahrlässig waren. Um sich vom schlechten Gewissen freizukaufen, legen Sie in Ihr Shoppingkörbchen aus unbehandeltem Naturbast freiwillig noch ein paar Benefizlimonaden für den guten Zweck. Damit sie nicht schimpft mit Ihnen, die Annie. Das hat sie wirklich drauf, das muss man ihr lassen. Ihr Wirtschaftsstudium könnte damit zu tun haben, auch wenn sie wegen der Einstellung und der neuen spirituelleren Lebensweise den gut bezahlten Job als so ne Art Business-irgendwas-Consultant bei einer Unternehmensberatung geschmissen hat. Verkaufsförderung durch religiös-kulinarisches Weltverbessern! Das ist scheinbar ein ganz neues Berufsfeld, das sich durch den exzessiven Foodfanatismus gerade entwickelt. Interessant.




Sie hat eine spezielle Vorliebe für alle möglichen Entspannungstechniken, insbesondere Transzendentale Meditation macht sie gern und strahlt wohl deswegen eine gewisse Ruhe aus. Ungefähr so wie Louis de Funès in seiner besten Zeit auf Speed. Wenn sie spricht, muss man aufmerksam konzentriert zuhören, damit einem bei dem rasanten Tempo nichts entgeht. Lieblingsthemen sind neben ihrer geheiligten tierfreien Ernährungsphilosophie die Gleichstellung von Männern und Frauen und allen anderen, was löblich ist – auch bei Modehundeschmugglerskandalen kennt sie kein Pardon und rettet schon mal ein Rudel Chihuahuawelpen und Havaneser, auch wenn sie noch so hässlich sind und der rumänische Schlepper auch nicht gut ausgeschaut hat und außerdem bewaffnet war. Annie demonstriert vorne mit bei Freiheits- und Friedensmärschen, ist gegen jede Art von Gewalt und für jede Form von Revolution durch Liebe. Alles totale Harmonie, solange der Mensch kein Schweinebratenesser ist. Ihr früherer Mitbewohner hatte vorsorglich seine Salami in einer veganen Yufkateigrollen-Verpackung getarnt hinter den Senf- und Marmeladegläsern versteckt. Es war ja Sommer und ein Gemeinschaftskühlschrank. Das ging einige Zeit gut, bis sie ihm draufgekommen ist.




Da Annerose mit ihrer Tochter wieder allein wohnt, ist das mit der veganen Essreligion noch ein bisserl intensiver geworden. Sogar der Opa macht pflichtbewusst mit. Er springt manchmal ein und holt die Kleine vom Kindergarten ab und übernimmt dann die Nachmittagsbetreuung samt der konkret angewiesenen Kochverantwortung. Das Mädel wird komplett clean und pflanzlich und alles ernährt. Auch beim Opa gibts nur fleischfrei und gesund. Total klar. Der verarscht das Kind, das glauben Sie nicht! Da gibts Würstchen vom Metzger, Knusperpommes mit Acrylamid und gezuckertem Industrieketchup und Weißweizengrießspaghetti und der Opa verkaufts der Tochter wie auch der Enkelin als veganes Superfood aus dem Reformhaus. Und wie es der Kleinen schmeckt!




Seit ich Annie kenne, weiß ich alle mündlich überlieferten und an die biologisch eingelassene Küchenwand genagelten Thesen und bin fake- und superfoodmäßig stets top informiert. Hab ganz brav alles an Empfehlungen der Fleischersatz-Szene ausprobiert und mein eigenes Umfeld mit hineingezogen in den religiösen Strudel. Ein paar Leute sind tatsächlich irgendwohin konvertiert und treffen sich einmal die Woche bei schönem Wetter zum gemeinsamen Bäumeumarmen. Anschließend wird kreativ aufgetischt mit Avocado-Bananen-Quinoa, Canihuabrot und Fake-Frikadellen aus einer fair trade Sojaplantage, angerührt mit Xanthan und Carrageen und ei-freien Veggie-Hühnerbrüsten, dafür mit nicht ganz regionalem Biogemüse aus Südafrika. Aber serviert auf heimisch gewebtem Leinen, aufgehellt durch eine wohl höhere Macht.




Einige lose Bekannte haben später die Orientierung gänzlich verloren und sind mir abhandengekommen. Ich selbst bin noch guter Dinge, hab aber neuerdings ganz krassen Fleischguster. Wohl wegen dem Entzug. Wie ich außerdem festgestellt habe, ist das Lebensmotto à la Annie fast der einen oder anderen Religion aus Mittelerde ähnlich. Man hat ständig ein nicht greifbares ungutes Gefühl bei gleichzeitiger selbstgefälliger Happiness wegen dem Gönnerhaften, alles richtig zu machen. Die kurzfristige Seligkeit beim Einkauf im Biotempel und beim Ab-Hof-Verkauf mit A2-Milchtankstelle bis hin zu tränenreicher Depression und Schuldbekenntnissen, weil man sich neulich nach dem Scheißtag der Woche die Familiendröhnung Chicken Wings mit Glutamatdip gegönnt hat.




Noch heftiger wär dieser Analog-Käse aus der Tube. Ich bitte Sie. Da muss sich keiner durch moderne Clean-Eating-Blogs quälen, um eine gewisse Skepsis zu verspüren. Was macht man eigentlich damit? Wird der Pseudo-Käsematsch zum Vegan-Wienerle auf den Pappteller gedrückt, weils keine fleisch- und laktosefreien Käsekrainer mehr gab? Oder pressen Leute diese Ausgeburt an Aromafettkonzentrat in einen Tofu-Burger? Macht es das besser? Sicher. Wenn es das Hamburger-Superkomplettset ist. Was optisch brotähnlich Gebackenes und ein erst zerhacktes und wieder in Form gebrachtes und anschließend frittiertes, eingefrorenes und daheim wieder aufgetautes Industriefleischersatzlaiberl praktisch kombiniert im Plastikblister. Da könnt ich mir diesen Pamps wirklich gut dazu vorstellen. Ja, da passt es. Falls die Tuben aus sind, soll Sprühkäse aus der Dose genauso gehen.




Mit der ganzen Fleischfrei-Welle tun sich in jede Richtung lustige Geschäftszweige auf. Wie dieses In-Vitro-Fleisch. Das wird jetzt richtig schick. Ein Zuchtkotelett aus der pflanzlichen Nährstofflösung. Die motivierteren Food-Start-uppler glänzen grad mit allerhand so crazy Neuerfindungen aus dem Ess-Labor. Die lassen ganz ohne Stall, Tiertransport und Schlachthof zarteste Filetsteaks aus Stammzellenkulturen wachsen. Schmerzfrei und gefühlssynthetisch. Da sprießen die Hühnerbrüste und die Schinkenschlegel und die Salamistangen bald dicht an dicht wie bei Gewächshausgurken. Überflüssige Knorpel oder Fettfasern werden erst gar nicht mitgezüchtet. Die Ernte erfolgt dann unblutig, entspannt mit dem Körbchen unterm Arm wie auf dem Erdbeerfeld und landet mit reinstem Gewissen und rauchiger Biomarinade direkt auf dem Holzkohlegrill. Daneben grasen friedlich Lämmer und Galloways, Wollschweine suhlen sich im Biomatsch wie im Paradies und freuen sich, dass sie leben. Menschlicher Kontakt findet rein über Kuscheleinheiten statt. Keiner wird umgebracht.

 




Das ist keine Geschichte von diesem einen Science-Fiction-Autor, der betrunken eine Sekte gegründet und dann noch ein Kochbuch veröffentlicht hat. Nein. Abgesehen von der Parallelwelt mit dem Streichelzoo, ist die Laborfleischaufzucht echt realistisch. Ein paar Jahre noch und Sie können neben Ihren Cocktailtomaten auf dem Balkon Ihren Lieblingsaufschnitt selber ziehen oder vom lebenden, lachenden knusprig gebräunten Spanferkel immer wieder ein Stück abschneiden. Wie im Schlaraffenland. Wir müssen nur alle fest dran glauben.




Ich kann es Ihnen ja sagen – ich hab schon mal Würstchen direkt aus der Tüte verschlungen. Ohne Brot. Ich hab das braune Papiersackerl nicht losgelassen und hab sogar noch geguckt, ob eh niemand was sieht von dem Aufdruck der Metzgerei auf der Vorderseite und mich dann bei etwaigen Glaubensbrüdern und -schwestern verpfeift. So wie in den amerikanischen Filmen die Leute immer den Schnaps checken. Das müssen Si

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