Die Flut

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Aus der Reihe: Textlicht
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Das Buch

Eine seltsame rote Schlammflut hat das Land überschwemmt. Woher sie kommt: Niemand weiß es, aber wer mit der schlammähnlichen Masse in Kontakt gerät, dessen Haut verfärbt sich schwarz. Schon bald werden die Schwarzhäutigen wegen vermeintlicher Ansteckungsgefahr ausgestoßen. Ein Bauer macht sich auf die Suche nach seinem Enkel, der von Soldaten fortgebracht worden ist. Viel Zeit ihn zu finden, hat er nicht, denn auch auf seinem Körper breitet sich das schwarze Stigma immer schneller aus …

Die Autorin

Ulrike Schmitzer, 1967 in Salzburg geboren; Redakteurin bei Ö1, lebt als freie Filmemacherin und Autorin in Wien; zahlreiche Radiopreise, unter anderem den Radiopreis für Erwachsenenbildung/Eduard-Ploier-Preis 2005 und 2006, zuletzt Inge Morath-Preis für Wissenschafts-Publizistik 2012. Absolventin der Leondinger Akademie für Literatur 2008; Studium der Publizistik und Kunstgeschichte; zuletzt von ihr erschienen: Bourdieus Erben (2006) und Susan Sontag. Intellektuelle aus Leidenschaft (2007) beide hg. m. Elisabeth Nöstlinger im Mandelbaum Verlag, Wien und Die falsche Witwe (2011) in der Edition Atelier; Veröffentlichungen in diversen Literaturzeitschriften, u. a. kolik, Literatur & Kritik, SALZ.

Die Textlicht-Reihe

Textlicht ist junge Literatur in einem handlichen Format, für daheim oder unterwegs, nebenher oder zwischendurch – die Bücher der Textlicht-Reihe sind Literatur, die unter die Haut geht und noch lange im Kopf bleibt.

Ulrike Schmitzer
Die Flut


Inhalt

Die Flut

Der rote Lack glänzte in der Sonne. Die Blechkiste, in der er die Briefe verstaut hatte, wurde schon heiß. Der Motor lief ruhig und gleichmäßig. Er hatte das alte Motorrad in seine Einzelteile zerlegt, gereinigt und poliert. Die alten Traktorräder montiert, den Traktorsitz, eine lange Lenkstange, ein neues Abgasrohr steil in den Himmel gerichtet, die Kühlung poliert. Die Ladefläche direkt an das Gefährt geschweißt.

Er genoss es, wie sich die Leute im Dorf nach seiner Maschine umdrehten. Die Kinder liefen neben ihm her. Bei der Post stieg er langsam ab.

Ist das ein Motorrad, fragte ein Kind.

Oder ein Traktor, fragte ein anderes.

Eine Wundermaschine, sagte ein drittes.

Genau, sagte der Bauer und lächelte. Als er aus der Post kam, nahm er die Kurbel vom Haken, schwang sie durch die Luft und drehte den Dieselmotor an.

Die Kinder lachten. Der Motor schnurrte.


Er sah aus dem Fenster. Es war still. Kein Auto, das in der Kurve bremste. Kein aufheulendes Motorrad. Nicht einmal das Geklimpere der buddhistischen Glocke vom Nachbarn, die beim leisesten Windstoß anklang. Der Himmel war eigenartig rot. In einigen Kilometern Entfernung blitzte es.

Die Vögel fielen einer nach dem anderen still von den Bäumen. Ihr buntes Federkleid war verschwunden. Auf dem Boden bildete sich aus ihren Körpern ein Teppich, der immer schwärzer wurde.

Er ging durch die Tür hinaus auf sein Feld. Der kleine Bach begann das Feld zu fluten. Er breitete sich aus, über sein Reich, das er vor Jahrzehnten dem Wald abgerungen hatte.

Er stapfte durch die Flut, bis er spürte, dass sich seine Plastikstiefel verformten. Sie begannen sich aufzulösen. Noch bevor er die rote Masse auf seiner Haut spüren konnte, kletterte er auf einen Baum und warf die Stiefel von sich. Da saß er nun. Barfuß. Und kein Mensch in Sichtweite. Die Flut trieb Hasen und Mäuse an ihm vorbei, ein Fuchs lag auf dem Rücken. Sein Bauch war schwarz. Er fragte sich, woher dieses rote Wasser kam. Es regnete nicht. Es hatte seit Wochen nicht geregnet, die Felder waren ausgedorrt. Die Bauern hatten um Wasser gebetet, um wenigstens einen Teil der Ernte noch retten zu können. Er saß lange auf dem Baum, sehr lange.

Die Flut zog sich langsam zurück. Der Bauer bemerkte es zuerst gar nicht. Die Masse versickerte aber nicht im Erdreich, es war vielmehr, als ob die Ebbe einsetzen und sich das rote Meer zurückziehen würde.

Nichts war mehr auf dem Feld. Kein Mais, kein Raps, kein Strauch, keine Erde. Das Nichts war eine hellrote Masse.

Er wickelte seinen Pullover und seine Jacke um seine Füße und stieg vom Baum. Er ging langsam zu seinem Haus. Die Katze lag tot vor der Tür. Die Kühe waren während des Fressens umgefallen. Doch dann hörte er durch die Stille das Kreischen von Kindern. Nein, es war das Quieken der Schweine. Er ging in den Stall. Die Schweine lebten, ihnen war nichts anzusehen. Der rote Dreck klebte überall an ihnen. Sie rieben sich aneinander. Die Hühner lagen mit von sich gestreckten Beinen auf dem Rücken.

Im Haus wickelte er die Jacke von den Füßen und erschrak, seine Zehen waren schwarz. Als ob sie am Gletscher erfroren wären. Er spürte seinen Finger auf den Zehen, der darüber strich. Er suchte seine Frau. Zuletzt war sie in der Küche gewesen und hatte Kartoffeln geschält. Die Schüssel mit den eckigen hellgelben Kartoffeln stand auf dem Tisch. Die Lade mit den großen Messern war aus der Verankerung gerissen und lag auf dem Boden. Ein paar Messer lagen verstreut herum. Von seiner Frau keine Spur. Der Küchenboden von der Masse verschmiert, Fußabdrücke in die Küche hinein und wieder hinaus. Seine Frau würde nie die Messer auf dem Boden liegen lassen.

Er durchsuchte den Hof, die Ställe, den Dachboden, dann ging er in den Bunker. Seine Frau versteckte sich im Hochsommer dort gerne vor der Hitze, sortierte die schrumpeligen Äpfel vom letzten Herbst und die verstaubten Weinflaschen, die niemand trinken wollte. Er hatte den Bunker unbedingt bauen wollen, man weiß ja nie, hatte er gesagt. Ein Teppich aus kleinen Blumen und Blüten überzog den Rücken des Bunkers. Er hatte den höchsten Hügel in der Gegend dafür ausgesucht. Man musste einen Holzsteig hinaufgehen, bevor man in den Bunker einsteigen konnte.

Das rostige Gitter war aufgeschoben. Er hörte ein leises Wimmern und ging näher. Seine Frau saß in einer Ecke, die Beine wie ein Kind angezogen und die Hände vorm Gesicht. Er zog ihre Hände weg. Ihre Nase war schwarz. Sie heulte laut auf. Er umarmte sie. Dann zeigte er ihr seine Füße. Sie weinte noch mehr.

Was geschieht mit uns, fragte sie.

Komm, sagte er. Wir gehen wieder ins Haus.

Sie nahm das große Schlachtermesser mit, das sie vor sich liegen hatte.

Er drehte als erstes den Wasserhahn in der Küche auf, sie hob die Messer vom Boden auf und schob die Lade wieder in die Küchenkredenz. Aus der Leitung kam eine mehlige rote Flüssigkeit. Er wagte nicht, durch den Strahl zu greifen und drehte den Hahn wieder ab.

Sie zogen sich aus und wuschen sich noch in der Küche mit dem Wasser aus den Mineralwasserflaschen gründlich ab. Seine Frau zitterte.

Oh Gott, sagte sie nach einem Blick in den kleinen ovalen Spiegel, der auf dem Nagel neben dem Küchenkasten hing. Hätte ich mir doch bloß nicht ins Gesicht gegriffen. Ob das wieder weggeht?

Hör, was sie im Radio sagen, sagte der Bauer.

Er schaltete das Radio ein, bekam jedoch keinen Sender herein. Kein Strom für den Fernseher. Das Festnetz tot. Das Handy ohne Empfang. Sie setzten sich an den Küchentisch und warteten.

Vielleicht sollten wir zum Nachbarn gehen, sagte die Frau. Vielleicht zum Hauptplatz.

Nein. Wenn es wiederkommt, sagte er.

Sie sah aus dem Fenster. Der Himmel war noch immer nicht klar. Sie machte mit dem Wasser, das noch im Wasserkocher stand, Tee. Sie hielt die Tasse in beiden Händen und trank den Tee in kleinen Schlucken. Er schob die Tasse von sich weg.

Die Katze, sagte sie schließlich.

Er suchte die Gummihandschuhe, die bis zu den Ellbogen reichten und zog sie an. Dann ging er mit einem großen Müllsack vor die Tür und steckte die Katze in den Sack. Sie hatte eine schwarze Zunge. Er trug die Holzscheite von der Hinterseite der Scheune in den Innenhof und schlichtete sie auf einen Haufen. Er packte mit jeder Hand zwei Hühner an den Beinen und schleuderte sie auf den Holzhaufen. Dann warf er die Katze hinauf. Für die Kühe würde er den Traktor brauchen, sie lagen über die ganze Wiese verstreut.

In dem Moment, als er das Holz anzünden wollte, lief seine Frau aus dem Haus und schrie: Um Himmels willen! Er zögerte. Wenn es brennt, schrie sie.

Was, fragte er.

Es, sagte sie leise.

Er nahm die Schaufel und grub einen breiten Graben um den Holzstoß. Die hellrote Masse lag nur wenige Zentimeter dick auf dem Boden, sie drang nicht ins Erdreich ein. Er grub und grub. Als er aufhörte, musste er über den neuen Graben springen, er hatte ihn von innen her ausgehoben.

Später, sagte er zu seiner Frau und gab ihr das Feuerzeug. Jetzt warten wir mal ab.

Schau, die Kühe, sagte seine Frau und deutete auf die aufgeblähten Bäuche auf der Wiese. So was hab ich noch nicht gesehen, sagte der Bauer. Die Frau schüttelte den Kopf. Er wollte den Traktor holen, doch der sprang nicht an.

Die Wundermaschine, sagte er. Seine Frau sah ihn ratlos an.

Er holte sein Gefährt, kurbelte den Motor an und legte das längste Stahlseil, das er hatte, auf die Ladefläche. Die Frau ging neben ihm. Sie hatten beide die dicken Arbeitshandschuhe übergezogen und die Schuhe mit den Stahlkappen, mit denen er normalerweise nur ins Holz ging. Am besten dorthin, sagte die Frau und zeigte in die Mitte des Feldes. Er hob den Kopf der ersten Kuh, um das Seil um ihren Hals zu legen. Die Zunge hing rabenschwarz aus ihrem Maul. Beim ersten kräftigen Ruck der Maschine entfuhr der Kuh mit einem hellen Geräusch, fast einem Jaulen, eine hellrote Staubwolke. Der Mann zog die Frau sofort zu sich und hielt seine Jacke vor ihren Mund. Bloß nicht einatmen, sagte er. Bald schwebte eine große Wolke rund zwanzig Meter über dem Feld. Eine Wolke, die sich nicht mehr aufzulösen schien. Die Kühe lagen auf einem Haufen. Der Bauer war verschwitzt. Es dämmerte bereits.

 

Lass uns heimgehen, sagte er. Den Rest machen wir morgen. Dann wissen wir sicher mehr.

Bevor sie ins Bett gingen, drehten sie noch einmal alle Geräte auf. Ich versteh das nicht, sagte er. Wenn die Stromleitungen gestört sind, aber die Satelliten müssten doch funktionieren.

Ich werde morgen Nudeln machen, sagte die Frau. Weißt du noch, wie die Kinder immer den Nudelteig vom Brett stibitzt und ihn auf den Holzofen gelegt haben, fragte sie. Der Bauer schaute sie an. Sie staunten immer, wie sich der Teig aufblähte und kleine schwarze Flecken bildete. Die Frau begann zu weinen. Paula hat ihn mit Schmalz und Salz besonders gern, sagte sie mit erstickter Stimme. Der Bauer drückte sie an sich.


Der Bauer schlief tief und fest. Nichts und niemand bringt mich um meinen Schlaf, sagte er immer. Die Frau hielt es nicht mehr aus im Bett. Sie ging ans Fenster und schaute hinaus aufs Feld. Die Wolke war noch immer da, darunter eine dunkle Masse, zu der die toten Kühe aus dieser Entfernung verschmolzen waren. Die Sonne ging über der rot eingefärbten Landschaft auf. Fünf Uhr in der Früh.

Die Schwärze hatte sich von der Nase über die Wange ausgeweitet. Der Bauer bemerkte es erst jetzt. Er streichelte ihre Wange. Dann stieß er die Bettdecke weg und betrachtete seine Füße. Die Schwärze kroch langsam das Schienbein hoch.

Komisch, sagte er. Ich spür’ gar nichts.

Nein, sagte die Frau. Aber es wird immer größer.

Wir müssen irgendjemanden fragen, sagte der Bauer.

Du musst alleine ins Dorf fahren, sagte die Frau. Ich kann so nicht mitkommen.

Und wenn die Flut wiederkommt, fragte der Bauer.

Was soll noch passieren, fragte sie.

Wenn die Flut wiederkommt, gehst du diesmal auf den Dachboden, sagte der Bauer. Das musst du mir versprechen.

Der Bauer zog sich an und setzte sich ins Auto. Der Wagen sprang nicht an. Dachte ich mir schon, sagte der Bauer zur Frau. Am Boden im Wageninneren lag überall der rote Dreck.

Der Bauer stieg auf die Wundermaschine, kurbelte den Dieselmotor an und grinste.

Gut, gut, gut, sagte er und fuhr los.

Bring Wasser mit, rief ihm die Frau noch nach.

In der Allee hingen tote Vögel in den Ästen, am Straßenrand lag ein toter Hund, die verendeten Eichkätzchen und Hasen hörte er bald auf zu zählen.

Auf dem Dorfplatz endlich Menschen. Er starrte einen Mann an, der eine Sturmmütze über dem Kopf trug – nein, seine Haut war bis unter den Haaransatz rabenschwarz. Er machte ihm mit der Hand ein Zeichen. Seine Zähne blinkten gelb, die Augen waren rot unterlaufen.

Hans, sagte der Bauer.

Da schaust, sagte der Mann mit dem schwarzen Gesicht. Wer fürchtet sich vorm Schwarzen Mann.

Deinen Humor möchte ich haben, sagte der Bauer. Und zog seine Hose an den Beinen hoch.

Sauber, sagte der Mann anerkennend.

Was weiß man denn, fragte der Bauer.

Nichts, sagte der Mann mit dem schwarzen Gesicht. Niemand weiß nichts.

Und eure Viecher, fragte der Bauer.

Alle hin, sagte Hans.

Beide starrten auf eine Gruppe von Soldaten, die Atemmasken trugen und kleine Plastiksäcke mit Schlamm zu einem Militärzelt am Ende des Dorfplatzes brachten. Dort saßen mehrere Soldaten und beschrifteten die Schlammproben. Alle Dorfbewohner schaufelten den Schlamm aus den Kellern, sie schoben den Dreck mit Besen durch die Gänge und türmten ihn vor den Häusern auf. Die Mülltonnen quollen über. Die Dorfstraßen waren rot. Mit jedem Schritt, den ein Dorfbewohner tat, breitete sich der Schlamm noch mehr aus.

Ich komm mir vor wie in einem Katastrophenfilm, sagte Hans. Auf den Hügel zur Kirche sind sie alle gerannt, wie es losgegangen ist. Drüben im Graben sind zwei Familien ertrunken. Fünf Tote, sagen sie. Die konnten sie gar nicht mehr warnen. Das war eine richtige Springflut. Werden sicher noch mehr Tote sein. Und stell dir vor: Der Vizebürgermeister ist in Ohnmacht gefallen. Und der Gemeindesekretär hat sich übergeben. Und solche sollen das jetzt alles managen.

Wahrscheinlich werden sie am Vortag zu lang gefeiert haben, sagte der Bauer.

Der Bauer ging zu den Soldaten und fragte, was das für eine Masse sei.

Ein Soldat mit Atemmaske und einem weißen, verschmierten Schutzanzug deutete zu einem anderen vermummten Mann, um den schon mehrere Männer aus dem Dorf standen.

Wir wissen es nicht, schrie der Soldat durch seine Maske. Wir nehmen doch gerade erst die Proben. Wichtig ist, jetzt Ruhe zu bewahren.

Ruhe bewahren, schrie ein Mann, den der Bauer nicht erkannte. Seid ihr alle verrückt, wie soll es denn jetzt weitergehen mit dem ganzen Gift? Ruhe bewahren, ihr bringt alles um, und wir sollen Ruhe bewahren!

Beruhigen Sie sich, sonst muss ich Sie abführen lassen, schrie der Soldat.

Du spinnst doch, sagte der Mann, den der Bauer nicht erkannte, und ging schnell davon.

Der Bauer ging zurück zu Hans.

Geht das Telefon bei dir, fragte der Bauer.

Nix, sagte Hans. Gar nix geht.

Die Wolke muss ein elektrostatisches Feld erzeugt haben, murmelte der Bauer.

Was für eine Wolke, fragte Hans.

Der Bauer bemerkte den Arzt und ging zu ihm hin.

Ein paar Männer standen um den Arzt herum. Der Arzt war ein ruhiger, besonnener Mann, der zwar zum Stammtisch kam, aber meist nur den Kopf schief hielt, wenn er zuhörte und nach einem Bier wieder ging. Die Leute im Dorf mochten ihn, denn Geschwätzigkeit hielten sie für einen Charakterfehler. Er hörte seinen Patienten aufmerksam zu. Seine Diagnosen stimmten nicht immer, aber oft. Und er machte gerne Hausbesuche bei den Bauern. Nie verließ er einen Hof ohne hausgemachte Würste oder frisches Geselchtes auf dem Beifahrersitz. Der Arzt konnte essen, ohne dick zu werden. Der kann essen, sagten die Bauern anerkennend. Da machte es nichts, wenn er beim Trinken versagte. Wenn ein Notfall kommt, muss ich fit sein, sagte der Arzt dann immer. Vielleicht bist du der Notfall. Das leuchtete den Bauern ein.

Heute war der Arzt ausnehmend gesprächig. Als der Bauer näher kam, merkte er allerdings, dass der Arzt immer wieder dasselbe sagte.

Ich weiß es auch nicht, möglicherweise ist es giftig oder ansteckend. Am besten jeden direkten Kontakt vermeiden. Nach den Blutproben werden wir mehr Informationen haben, funktioniert von irgendjemandem das Telefon? Ich müsste im Krankenhaus anrufen, die Hautveränderungen beobachten, warum geht bloß kein Telefon? Bitte Ruhe bewahren, das wäre jetzt das Schlimmste, wir müssen abwarten, bis Hilfe kommt. Ich habe Schmerzmittel, aber hat jemand Schmerzen? Das Schwarze, ich weiß nicht, was das Schwarze sein kann. Ich habe schon eine Idee, aber dafür ist es zu früh. Panik wäre jetzt das Schlimmste. Die Kinder im Haus lassen, jedenfalls. Der Arzt redete immer weiter, ohne etwas Neues zu sagen.

Der Bauer ging ins Geschäft. Der Boden war schlammig rot verschmiert und rutschig. Er kaufte fünf Kisten Wasser, bei der Kassa nahm er noch eine Schokolade. Er war ratlos, was er kaufen sollte. Wie lange mussten sie mit dem Essen auskommen? Kartoffeln, Mais, Fleisch und Gemüse waren zu Hause in der Vorratskammer. Noch waren genug Lebensmittel im Geschäft. Er ging zurück und holte Salz, Zucker, Öl, Nudeln, Reis und Mehl.

Bin gespannt, wann die Leute zu hamstern anfangen, sagte die Verkäuferin an der Kassa. Mich wundert’s, dass sie noch nicht da sind.

Was hamstern die denn, wenn sie hamstern, fragte der Bauer.

Jedenfalls keine Schokolade, sagte sie, stand von der Kassa auf und schaute durch die Glastür.

Das Wasser wird als erstes weg sein, sagte sie. Ich hab mir auch schon ein paar Kisten nach Hause bringen lassen. Batterien vielleicht. Und eine Taschenlampe.

Der Bauer holte noch fünf Kisten Wasser, Batterien und eine Kiste Bier und stellte alles auf seinen Anhänger. Bevor er sich auf den Nachhauseweg machte, trank er eine Flasche Bier in einem Zug aus.

Die Verkäuferin stand vor dem Geschäft und warf dem Bauern ein großes Stück Hartkäse hin. Schönen Gruß an die Frau. Wird uns sowieso alles schlecht, sagte die Verkäuferin, wenn wir nicht bald wieder Strom bekommen.

Als er den Motor ankurbelte und die Wundermaschine laut wurde, deutete ein Soldat in seine Richtung. Die anderen nickten zustimmend. Der Bauer setzte sich schnell auf seine Maschine und gab Vollgas. Er hörte die Soldaten noch schreien. Halt, schrien sie, letzte Warnung.

Der Bauer duckte sich, ging aber nicht vom Gas. Er hatte den Motor des alten Motorrads nicht gedrosselt. Zulassung bekomm ich sowieso nicht, hatte er zur Frau gesagt. Da sind die am Amt doch kolossal überfordert mit so viel Fantasie.

Am Nachhauseweg begegnete ihm kein einziges Fahrzeug. Wissen alle nichts, sagte er zu seiner Frau, die ihm schon bei der Einfahrt entgegenlief.

Wenigstens Wasser, sagte die Frau.

Er wollte die Kisten in den Bunker tragen, sie dirigierte ihn allerdings in die Küche um, dort stapelten sie sie in einer Ecke.

Wenn wir nur die Paula erreichen könnten, sagte die Frau.

Derzeit kann niemand telefonieren, sagte er und kontrollierte das Ladekabel, an dem das Handy hing.

Die Viecher fangen schon zu stinken an, sagte die Frau.

Ich rieche nichts, sagte der Bauer und ging in den Hof. Der Holzstoß brannte sofort lichterloh. Das Feuer auf dem Feld war kilometerweit zu sehen, die Tierkörper verflüchtigten sich in einer Rauchwolke, die in dem rosaroten Gewölk des Vortages hängen blieb.

Schau, sagte der Bauer.

Am Horizont waren mehrere Wolkenhaufen zu erkennen. Die anderen Landwirte hatten ebenfalls mit dem Verbrennen begonnen. Die rosarote Decke wurde immer dichter. Der Himmel verdunkelte sich. Die Sonne kam kaum mehr durch.

Ich hab das Gefühl zu ersticken, sagte die Frau.

Komisch, sagte der Bauer. Die Viecher müssten doch stinken.

Die rosarote Wolke über ihnen wuchs immer mehr an, sie vermischte sich mit den Wolken, die von den Nachbarfluren herüberwuchsen.

Der Bauer hörte ein eigenartiges Geräusch.

Schnell, rief er zu seiner Frau, ins Haus.

Die Frau ließ sofort die Mistgabel fallen und lief so schnell sie konnte ins Haus.

Renn, rief der Bauer direkt hinter ihr.

Die Frau wagte nicht sich umzudrehen oder zu fragen, wovor sie davonliefen.

Kaum im Haus angekommen, sperrte der Bauer die Tür hinter sich zu und kontrollierte die Fenster.

Was, fragte die Frau außer Atem. Auf dem Feld war schon ein Zucken und Blitzen, wie sie es noch nie gesehen hatten. Selbst ein Sommergewitter im Gebirge, das sie oft genug auf der Alm erlebt hatten, war nichts im Vergleich zu dem, was sich vor ihrem Fenster abspielte. Die blutroten Blitze zischten vom Boden in den Himmel und vom Himmel in den Boden und schienen sich mit jedem Kontakt noch mehr aufzuladen und gewaltiger zu werden.

Als der Bauer sagte, dass kein Donner zu hören sei, fegte gerade ein ohrenbetäubendes Geräusch über das Haus hinweg, ein Windstoß, der alles mit sich riss, was nicht angekettet war. Ein Sturzregen folgte.

Oh Gott, sagte die Frau.

Der ist da sicher nicht mit im Spiel, sagte der Bauer.

Die Frau schlug ein Kreuz über der Brust.

Der auch nicht, sagte der Bauer.

Als sich der Sturm legte, war das Feld geflutet. Das Wasser drang in den Keller ein.

Der Bauer und seine Frau saßen in der Küche und warteten. Nach Stunden begann sich das Wasser wieder zurückzuziehen, die klebrige Masse blieb.

Die Bäuerin holte zwei Kübel aus der Abstellkammer und ging damit in den Keller.

 

Warte, rief der Bauer. Fass bloß nichts an.

Ich will das nicht in meinem Haus haben, schrie die Frau hysterisch.

Der Bauer gab ihr die Handschuhe aus der Werkstatt. Sie wischte sich die Haare aus dem Gesicht. Der Schwarze Fleck hatte sich schon bis zum Ohr ausgebreitet. Die weißen, aufgesprungenen Lippen seiner Frau zitterten.

Er watete durch die Masse wie durch batzigen Schnee und holte die metallenen Melkkübel aus dem Stall. Den verstärkten Lederschuhen tat die Masse nichts an. Er trug einen Kübel nach dem anderen aus dem Haus und schüttete die Masse in den kleinen Teich, der früher meist ausgetrocknet war. Er hatte ihn für die Kinder angelegt. Sie hatten hier im gatschigen Schilf gespielt und Frösche gefangen. Der Teich war randvoll. Die Ufer waren mit der eigenartigen Masse überzogen. Ein paar kleine Fische schwammen bäuchlings in dem Tümpel. Tote Frösche schwappten über die Uferböschung.

Das ist doch sinnlos, sagte er leise und stöhnte, weil ihm die Arme wehtaten.

Als der letzte Kübel aus dem Haus war, schrubbte die Frau noch immer Farbreste aus dem Boden. In der Küche, im Wohnzimmer, überall war der Schlamm in die kleinsten Ritzen eingedrungen.

Der Essigreiniger wird den Geruch vertreiben, sagte sie endlich, als ob damit alles überstanden wäre. Es war schon später Abend. Ich rieche nur den Essig, sagte er, sonst nichts.


In der Morgendämmerung zog eine weiße Staubwolke die Straße vom Hügel herunter. Der Bauer rieb sich die Augen. Je näher diese eigenartige Staubwolke kam, umso klarer erkannte er, dass es eine Menschenkette war, die sich dem Hof näherte.

Schau, sagte er zu seiner Frau.

Was ist denn das, fragte die Frau sofort hellwach.

Die Leute waren in weiße Overalls gehüllt und trugen Gesichtsmasken. Ihre Beine waren vom Gehen im Dreck schon rot. Immer wieder löste sich eine Gruppe und schien etwas am Wegrand zu suchen.

Was klauben die da auf, fragte die Frau und griff nach ihrer Brille.

Kadaver, sagte der Bauer.

Die Soldaten schaufelten die toten Tiere in einen der vielen Containerwagen, die sie neben sich herzogen. Der Tross bewegte sich auch zum Scheiterhaufen, den der Bauer niedergebrannt hatte. Die Männer schaufelten die Asche der Tiere in den Container. Zum Hof kamen sie nicht. Sie schickten nur einen eingemummten Jungen auf einem Fahrrad her. Er warf einen Plastiksack über den Zaun und verschwand sofort wieder. Der Bauer öffnete den Sack. Atemmasken. Kein Zettel. Keine Information. Er hielt seiner Frau eine hin, die nahm sie und legte sie in eine Lade.


Die Wasserflaschen waren leergetrunken. Der Traubensaft und der Wein zur Hälfte aufgebraucht. Noch immer keine Informationen. Keine Hilfe.

Was ist mit dem alten Brunnen, fragte die Frau.

Es musste mindestens zwanzig Jahre her sein, als sie den alten Brunnen hinter dem Haus zum letzten Mal benutzt hatten. Er war mit einer schweren Betonscheibe abgedeckt. Der Bauer holte den Traktor und zog den Betondeckel weg. Mit dem Kübel holte er klares Wasser hervor. Der Bauer kostete vorsichtig.

Passt, sagte er.

Die Frau kostete ebenso vorsichtig. Er versuchte ihr direkt in die Augen zu sehen. Die linke Kopfhälfte war mittlerweile komplett schwarz, selbst der linke Augapfel war so dunkel wie die Pupille. Sie sah gespenstisch aus. Aber sie sagte, sie hätte keine Schmerzen, und sie konnte noch immer gut damit sehen.

Jetzt haben wir Wasser, sagte die Frau.

Der Bauer holte drei Kübel heraus und machte den Brunnen wieder dicht.

Ich will es abkochen, sagte die Frau, bevor sie in die Küche ging.

Der Bauer ging in die Garage und holte unter einer staubigen Decke einen zerlegten Dieselmotor hervor.

Bald schwitzte er schon vom vielen Herumschrauben und zog sich gerade sein Hemd aus, als er jemanden im Hof rufen hörte.

Der Nachbar war schon im Haus. Der Bauer lief schnell in die Küche, wo seine Frau stand, sie hatte sich ihr Tuch um den Kopf gewickelt.

Bei uns haben auch nur die Schweine überlebt, sagte der Nachbar. Sein Kinn war über den Hals bis zum linken Arm hinunter schwarz. Auch seine Zähne waren dunkel.

Ich wollte fragen, ob ihr noch etwas zum Trinken habt, sagte der Nachbar.

Die Frau gab ihm drei Flaschen Wein und Traubensaft mit, vom Brunnen sagte sie nichts. Eine Decke lag über den Wasserkübeln.

Es ist wie verätzt, sagte der Nachbar und fuhr mit den Fingern über seinen Arm. Oder wie eingefärbt – es brennt nicht, es juckt nicht, es zieht auch keine Blasen auf. Aber es wächst weiter. Immer weiter.

Dann schaute er den Bauern an. Das ist doch eigenartig, oder?

Sie sagen, die Kinder werden nicht schwarz, sagte der Nachbar, bevor er mit den Flaschen im Arm wieder ging.

Der Bauer schaute auf die Decke, die die Kübel verdeckte.

Ich muss bald Diesel holen, sagte er und steckte sich sein Hemd fester in die Hose.

Dass sein Bauch schwarz war, sagte er nicht.


Der Dreck trocknete schnell. Über der Landschaft lag ein dünner Staubfilm. Die Luft schmeckte metallisch. Sie kamen noch einmal. Diesmal allerdings mit Löschfahrzeugen. Sie spritzten den Dreck von der Straße und sammelten die feuchte Masse mit ihren Schaufeln ein.

Der Bauer sah vom Hof aus zu und regte sich auf, dass sie das gute Wasser verschwenden würden.

Wird so schon richtig sein, sagte die Frau.

Nichts wissen wir, sagte der Bauer.

Der Bauer ging ihnen entgegen.

Sie sollten sich eine Schutzmaske holen, sagte ein Soldat. Das pure Gift, das sie da einatmen.

Der Bauer spürte plötzlich einen starken Juckreiz im Hals und bekam einen Erstickungsanfall.

Der Soldat klopfte ihm auf den Rücken und lachte.

So schnell stirbt man davon aber auch wieder nicht, sagte er.

Was ist das, fragte der Bauer, als er wieder zu Atem gekommen war.

Kontaminierter Müll, sagte der Soldat.

Was ist kontaminiert, fragte der Bauer.

Vergiftet, sagte der Soldat.

Ich meinte, sagte der Bauer laut, wie weiß ich, was kontaminiert ist.

Alles, was mit dem Dreck in Berührung kam, sagte der Soldat und fügte noch hinzu: also praktisch alles. Das läuft sowieso auf eine Evakuierung hinaus. Ich weiß gar nicht, wieso sie das so lange hinauszögern. Am besten gehen Sie in die Notschlafstelle im Gemeindezentrum. Bis Sie Ersatzwohnungen zugewiesen bekommen.

Der Blick des Bauern wanderte zum Boden, wo seine Schuhe in frischem Schlamm standen. Ich lass mich sicher nicht evakuieren, sagte er bestimmt.

Da wird man Sie sicher um Ihre Meinung fragen, sagte der Soldat.


Die Schweine hatten sich aus dem Stall befreit. Der Bauer ließ sie laufen, sie gingen nicht weit, blieben rund um den Hof. Der Stall wäre ohnehin zu eng, es waren so viele geworden. Er kannte seine Schweine nicht mehr. Vor dem Unglück hatte er allen Schweinen Namen gegeben. Die Kinder hatten damit angefangen, als sie das erste Mal bei einem Wurf dabei waren. Er hatte sich zunächst geweigert. Sie sollten namenlos sein, wenn er sie auf die Schlachtbank hob. Nach und nach hatte er sich daran gewöhnt, wenn die Kinder die Schweine mit Namen riefen und sie tatsächlich hektisch angelaufen kamen.

Die Schweine fraßen die rosa Masse, wo immer sie sie finden konnten. Und sie lag überall. Er hatte sie nach der letzten Überschwemmung nicht mehr weggeschafft.

Der Arzt war ein einziges Mal auf den Hof gekommen. Mit ihm drei Männer von der Landessanitätsdirektion, im Geleit Bundesheer-Soldaten und Polizisten. Der Bauer hatte die Traktor-Kolonne schon von Weitem anrücken sehen. Eine ganze Kolonne von geschlossenen Viehwagen im Schlepptau.

Versteck dich, sagte er zu seiner Frau.

Warum, fragte seine Frau, öffnete aber schnell die Luke zum Dachboden und kletterte hinauf.

Bevor der Bauer in den Hof ging, um die Männer zu empfangen, stellte er die Spitzhacke innen neben die Eingangstür. Für das Jagdgewehr reichte die Zeit nicht, er würde es danach gleich laden und immer griffbereit halten.

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