Die Didaktik der Biologie - Biologieunterricht als Bildungsaufgabe

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Die Didaktik der Biologie - Biologieunterricht als Bildungsaufgabe
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ulrich und Brigitte Bossert

Die Didaktik der Biologie

Biologieunterricht als Bildungsaufgabe

Impressum

Text: © 2016 Ulrich Bossert- Alle Rechte vorbehalten.

Grafik: © 2016 Brigitte Bossert- Alle Rechte vorbehalten

Verlag: Bossert

Obergasse 2

35753 Greifenstein

bossert@biologiebuch.eu

ISBN 978-3-****-***-*

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Impressum 2

Vorwort 4

1. Bildung als Pflicht gegen sich selbst 5

2. Bildung für alle? 28

3. Erkenntnisfähigkeit in den Welten 50

4. Denk- und Arbeitsweise der Naturwissenschaftler 76

5. Biologie als Naturwissenschaft 93

6. Proximate und ultimate Sichtweise der Biologen 104

6.1 Proximate Sichtweise - Das Experimentalsystem 105

6.2 Ultimate Sichtweise durch die Evolutionstheorie 137

7. Didaktik 146

7.1 Kerncurriculum Systembiologie 146

7.2 Die TRIAS 162

7.3 Prinzipienkreise 174

8. Pädagogik und Didaktik 183

9. Handeln in komplexen Situationen 214

10. Methodik des problemlösenden Unterrichts 234

10.1 Die Grundstruktur ↔ Kompetenzen 234

10.2 Quellen und Material ↔ Kompetenzen 275

10.3 Büromaschinen und digitale Medien ↔ Kompetenzen 310

11. Unterrichtsskizzen 329

Vorwort

Es wird ein Kerncurriculum für Sekundarstufe 1 und 2 entworfen, das abgeleitet und einsichtig gemacht wird. Von Anfang an ergibt sich ein Bild der Biologie, das gemeinsam kumulativ ausgearbeitet wird. Dieses Basiswissen kann Grundlage für lebenslanges Lernen sein.

Da der entworfene Unterricht problemlösend und wissenschaftspropädeutisch ist, erwerben die Schülerinnen und Schüler ein breites Spektrum fachlicher Kompetenzen und erfahren, wie Biologen denken und arbeiten. Dadurch sind sie in der Lage, deren Erkenntnisse zu verstehen und zu beurteilen. Fächerübergreifende Kompetenzen ergeben sich durch die Unterrichtsstruktur zwingend.

Da Didaktik im engeren Sinn und Methodik nur aufeinander bezogen und als Einheit sinnvoll sind und das Gesamtkonzept im Laufe langjähriger Unterrichtspraxis entwickelt wurde, sind viele Hinweise und Beispiele zur Unterrichtsmethodik eingefügt. Den Lebensprozessen entspricht der Prozesscharakter des Unterrichts.

Text (U.B.) und farbige Illustrationen (B.B.) bilden eine Einheit. Es wäre günstig, das Buch auf einem Tablet oder einem Computer zu lesen.

In verschiedenen Kapiteln gibt es kleinere Wiederholungen: sie verdeutlichen die Zusammenhänge und sollen helfen, die Einheit des Gesamtkonzeptes besser zu erkennen. Dadurch wird auch das Lesen nur einzelner Kapitel erleichtert.

Kursiv gesetzte Namen verweisen auf eine Quellenangabe am Ende des Kapitels.

1. Bildung als Pflicht gegen sich selbst

Möglichkeit und Notwendigkeit

Bei sozialen Lebewesen müssen Verhaltensformen entwickelt werden, die den Nachwuchs in das Zusammenleben einbinden. Beim Menschen mit seiner langen Betreuungsphase nach der Geburt ist viel Zeit zur Sozialisation (unbeabsichtigtes Lernen).

Nach den heutigen Vorstellungen hat nur der Homo sapiens eine Sprache entwickelt, die auch eine Argumentationsfunktion umfasst. Im Gegensatz zu ihm sind alle anderen Menschenarten ausgestorben; wir sind die einzige Art, die überlebt hat.

Die Lebensweise als Sammler und Jäger, die sehr kurze Lebenserwartung und die auf mündliche Überlieferung beschränkte Tradition führten zu einer „Ausbildung“, die auf das Überleben ausgerichtet war. – Erst Ackerbau, Sesshaftigkeit, Städtebau, schriftliche Tradition usw. ermöglichten „Bildung“.

In Athen und Sparta war zwischen 600 – 400 v. Chr., bedingt durch die Struktur der Polis bzw. des Staates und die große Zahl der Sklaven, die zahlenmäßig kleine soziale Gruppe der Vollbürger unabhängig und materiell abgesichert. Wie Michael Foucault mit vielen Quellen belegt, hatten diese "Freien" die Muße, sich um sich selbst zu kümmern. Man hatte das Privileg der Freiheit, aber auch die Pflicht der "Kultur seiner selber".

Nach John Rawls´ Studien wurde von Vollbürgern erwartet, dass sie an den öffentlichen Feiern der Staatsreligion teilnahmen und ihre Pflichten gegenüber der Gemeinschaft erfüllten. Da es keine heiligen Texte, keine Klasse von Priestern gab und es sich um keine Erlösungsreligion im christlichen Sinne handelte, dienten die Zeremonien allein dem Zusammenhalt der Polis. Die Religion gab keine Richtschnur für die Handlungen des täglichen Lebens vor.

Da Körper und Seele als Einheit gesehen wurden, ergab sich für die Sorge um sich ein breites Spektrum von Aufgaben (Körperpflege, Gesundheitsregeln beachten, körperliche Übungen), Tätigkeiten (Organisation des Haushalts und des Landguts, Fürsorge für Kranke, Selbstverwaltung der Polis, den Göttern Dienste erweisen) und Meditationen (Philosophieren, Gespräche führen). Die Anforderungen waren hoch, die Existenz eine permanente Übung. Es bildeten sich Praktiken und Verfahren heraus; es gab aber auch zahlreiche Berater (philosophische Lehrer), deren Vorschläge man prüfen und erproben konnte. Klaus Held schildert anschaulich, wie es zu den ersten Schulbildungen kam.

Um 387 v. Chr. gründete Platon in Athen die „Akademie“, eine höhere Privatschule (beabsichtigtes Lernen). Ziel der Bildung war es, das zu bilden und zu üben, was den Menschen ausmacht: Der Mensch ist das Lebewesen, das seine Handlungsweise erklären und rechtfertigen kann. Logos - die Einheit von Wort und Sinn.

Einerseits bestand ein Bedarf an Beratung und zum anderen nach einer Diskurskultur. Platons Jugend fiel in den Peloponnesischen Krieg, in dem nach dem Tod des Perikles politische Entscheidungen auf demagogische Weise herbeigeführt wurden. Nach dem Krieg herrschte für kurze Zeit eine brutale Diktatur.

Platon strebte an, dass seine Schüler die reinen, vollkommenen Ideen erkennen und sie mit ihrer konkreten Lebenswirklichkeit in Beziehung setzten. Diese Einsicht und die daraus resultierenden inneren Überzeugungen zusammen mit Rhetorikübungen sollten sie befähigen, in der Polis die Politik mitzubestimmen. Damit diente Bildung der Erhaltung der Demokratie - und war damit aber automatisch auf die wenigen freien Bürger (freie Bürgerinnen gab es nicht) beschränkt. Platons Schule vermittelte Wertvorstellungen und „Gutredenkönnen“.

In dieser Zeit gab es noch andere Schulgründungen, unter denen die des Isokrates besondere Bedeutung erlangte. Er verzichtete auf die philosophischen Grundlagen und hatte das pragmatischere Ziel, seine Schüler in die Lage zu versetzen, politische Ziele in öffentlichen Debatten und Reden durchzusetzen. Seine Schule erzog zu einer konkreten politischen Urteilsfähigkeit und „Überredenkönnen“. Dieses sophistische Bildungsverständnis setzte Bildung mit Ausbildung gleich, die dazu befähigte, mehr durch rhetorische Kniffe als durch Argumente politische Mehrheiten zu gewinnen. Outputorientierte Kompetenzen werden angestrebt, Persönlichkeitsbildung wird vernachlässigt.

Mit dem Verlust der Selbständigkeit der Polis (Alexander der Große, Diadochen) entfiel der Bezug zur Lebenswirklichkeit und die Schulen wanden sich einem feuilletonistischen Sprach- und Literaturunterricht zu: Man lernte, über alle möglichen mehr oder weniger lebensfremden Themen Vorträge zu halten.

Klaus Held beschreibt, wie Cicero später den Ansatz des Isokrates aufgriff; er erweiterte ihn wieder um eine platonisch-philosophische Komponente. Als Unterrichtssprache wählte er das Griechische und als Unterrichtsgegenstand griechische Literatur, weil hier der Logosbesitz entdeckt worden war. Beides trug wesentlich dazu bei, dass sich Bildung endgültig vom realen politischen Leben entfernte und zum reinen Literaturunterricht wurde.

Bald wurde "cultura animi" für Jahrhunderte von der zentralen Macht (Kaiser, Landesfürst und Kirche, Papst) übernommen, die die Ordnung aller Lebensbereiche reglementierte und verwaltete. Auf den Mittelpunkt bezog sich alles, von ihm ging die Steuerung aus. Da alles so war, "wie Gott es gewollt hatte", herrschte auf allen Gebieten Stillstand. Das Individuum wurde bedeutungslos, es "verschwand".

 

In den Stadtstaaten Oberitaliens wurde das Individuum in der Renaissance "wiedergeboren". In den folgenden Jahrhunderten mussten alle persönlichen Freiheiten (Religions-, Meinungs-, Rede-, Wissenschaftsfreiheit, Freizügigkeit, Gewerbe-, Niederlassungsfreiheit, ... die Grundrechte) nach und nach mühsam erkämpft werden - das wurde erst durch Dezentrierung der Macht möglich. Durch die Romantik als Reaktion auf die totalen Deutungsansprüchen der Naturwissenschaften gewann das Individuum später weiter an Bedeutung: es soll die Welt durch individuelle Anschauung erfassen.

Nach Nietzsche ("Gott ist tot"), Heidegger und Sartre ist das Individuum, wenn es vom Glauben abgefallen ist, nun wieder in einer Situation, die der der "Freien" in der Polis entspricht: Die Identitätsentwicklung (Selbstwahrnehmung - Selbstkonzept, Selbstbewertung - Selbstwertgefühl, Fähigkeit zum interaktiven Handeln) wird zur Lebensaufgabe, der Lebenslauf zum Lernfeld. Schon in frühen Lebensjahren werden - in Abhängigkeit von der Familie und der Sprachentwicklung - Eigenschaften (Resilienzfaktoren) erworben, die im weiteren Leben die Bildungsmöglichkeiten (mit)bestimmen.

Mit der Freiheit fängt alles an. Es ist Disziplin nötig. Den Pflichten gegen sich selbst korrespondieren keine einklagbaren Rechte. Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen.

Die Konstruktion und Erweiterung des Selbst ist eine Lebensaufgabe. Es muss aber nicht nur gepflegt, sondern auch geschützt werden. Im heutigen Berufsleben ist man ständig erreichbar und immer unterwegs - körperlich im öffentlichen Raum und der Arbeitswelt und geistig in den virtuellen Welten. Überall wird man bedrängt - Werbung verlangt Aufmerksamkeit, jeden Moment will irgendjemand zu Geld machen.

Man kann versuchen Werbung einzudämmen, die Smartphonenutzung einzuschränken usw. - man entgeht der Werbung aber nicht vollständig.

Matthew Crawford plädiert deshalb für die Errichtung und Verteidigung eines zeitweise total abgeschirmten Privatraums. In dieser Zeit lenkt das Individuum unbeeinflusst seine Aufmerksamkeit und kann zu sich selbst finden. Der Philosoph und Motorradmechaniker empfiehlt, in dieser Zeit etwas mit den Händen zu schaffen. Dieses planende und ausführende Konstruieren, Reparieren, Stricken, Kochen, Malen, Zeichnen, Gärtnern, Musik Einüben usw. soll mit der Hilfe von Geräten, Instrumenten und Werkzeugen zu einem greifbaren Produkt führen, mit dem man zufrieden ist. "Nebenbei" hat man für diese Zeit sein Recht durchgesetzt, in Ruhe gelassen zu werden. Man ist einer persönlichen Vorliebe gefolgt und war für diese Zeit dem Social Engineering entzogen.

Hat man im Freiraum die positive Erfahrung erlebt, die eigene Aufmerksamkeit alleine zu steuern, so kann das für die restliche Zeit wappnen.

Bildung wozu?

Bildung ist "unser" höchstes Gut! Zumindest in den Sonntagsreden der Politiker. Aber was Bildung sein soll, darüber gibt es keine Einigkeit. Es wird ein Bürgerrecht auf Bildung gefordert, aber wie das im Schulalltag gewährleistet werden soll, bleibt unklar.

Versucht man an Platon anzuknüpfen und das zu bilden, was den Menschen ausmacht, so gelangt man zur "Kultur" als Gesamtheit derjenigen Leistungen und Orientierungen des Menschen, die seine bloße Natur fortentwickeln und überschreiten. Da in Deutschland Naturwissenschaften und Technik nicht zur Kultur gehören, sondern zur "Zivilisation", ist der Kulturbegriff nicht zur Definition von Bildung geeignet. Dazu kommt, dass "die deutsche Kultur" den Faschismus nicht verhindert hat. Die allgemeine Klassiker–Lesepflicht, die die Gymnasialideologie durchgesetzt hatte und weiter aufrecht hält, schützt nicht vor Bestialisierung. Einen Kanon abzuarbeiten und jedes Werk "richtig" zu interpretieren, reicht eben nicht.

Ersetzt man Kultur durch Gesellschaft, so hat man ähnliche Probleme. Die nach dem Krieg aufgestellten Gesellschaftsmodelle sind alle nutzlos, da sie ohne vorherige genaue Analyse als Systeme entworfen wurden und die Wirklichkeit sich empörender weise nicht an die Modelle hält. Während die Forschungsgelder in eindeutiger Weise umgeschichtet und geisteswissenschaftliche Lehrstühle umgewidmet werden, man über das "Anthropozän" diskutiert, die Lebenswissenschaften unser aller Leben bestimmen, wissen die Philosophen und Sozialwissenschaftler alleine, wie die Welt beschaffen ist.

Wenn man auf theoretischen Wegen nicht zu einem Bildungskonzept kommt, sollte man sich der Situation des Menschen zuwenden. Welche Fähigkeiten und Kenntnisse benötigt der Mensch, um in der globalen Welt zu leben und zu handeln?

Die dazu nötige genaue und tiefgehende Analyse der "Philosophie in der veränderten Welt" hat Walter Schulz in großartiger Form geleistet. Er war die Ausnahmeerscheinung mit dem umfassenden Überblick.

Es muss ein Bildungsrahmen entworfen werden, der die folgenden Problemfelder umfasst.


1. Skizze zur Konkretisierung

Die Dynamik im Handlungsraum erfordert zwei Bildungsfelder

Pflanzen und Tiere leben in ihrer Umwelt, der Mensch hat Welt, ist in der Welt und kann sie beeinflussen und gestalten.

Die folgenden Überlegungen gehen auf den Entwurf "Soziale Systeme" von Niklas Luhmann zurück. Er analysiert die Funktionsweise und betont die Entwicklungsfähigkeit der Systeme ("Evolution").

Unser Handlungsbereich des Alltags wird von Kommunikationsfeldern flankiert. Häufig sind Medien zwischengeschaltet. Kommunikation ist nur zwischen Personen möglich - die Ergebnisse (die beiden äußeren Bereiche) sind aber frei von Personen! Objektive Naturwissenschaften; Gleichheit aller vor Verfassung und Recht (dort kommen keine Personen vor, sondern nur Ämter).

Über Kommunikationsprozesse werden einerseits das „Wissen über die reale Welt“ erweitert und andererseits das System „GESELLSCHAFT“ konstituiert, erhalten und modifiziert.

Wer die Medien kontrolliert bzw. manipuliert, kann die Gesellschaft (-sstruktur bzw. die Verfassungswirklichkeit) beeinflussen.

Unser „Leben“ wird von diesen beiden Feldern bestimmt, im Großen und im Kleinen. Damit zu dem Bestimmen ein Mitbestimmen hinzukommen kann, muss man kommunizieren. Dadurch kann man die Erkenntnisse und das Wissen der Naturwissenschaften und ihrer Anwendungen (Technik) verstehen, beurteilen und nutzen. Zu Entscheidungen, die anstehen, kann man sich eine begründete Meinung bilden und ist fähig mitzureden (obere Ebene der Kommunikation).

Naturwissenschaften sind frei von Werten. Um an der Gestaltung der Gesellschaft und politischen Entscheidungen mitzuwirken, sind Maßstäbe, die Fähigkeit sich über Medien zu informieren, die Inhalte zu prüfen und zu beurteilen und im Diskurs zu argumentieren notwendig. Das alles findet auf der zweiten Kommunikationsebene statt.


Aus der Betrachtung des Handlungsraums ergeben sich notwendigerweise die zwei Bildungsfelder, die allen Handlungen zugrunde liegen:

Die Einteilung in die Welten folgt einem Vorschlag von Karl R. Popper und John C. Eccles und wird in Kapitel 3 erläutert.

Wissen und Verstehen der realen Welt (WELT 1) und ihrer Naturgesetze (science, Teile der WELT 3) und ein System von Werten und Maßstäben (fiction, Teile der WELT 3) sind notwendig. Die Verschmelzung findet in den vielen Personen (deren jeweiliger WELT 2) statt und äußert sich in ihren Handlungen.

Die Tatsachen der Welt gehören alle zu den Aufgaben und nicht zu den Lösungen. Zur Bewältigung ist eine Ethik notwendig.


Rollt man die obige Darstellung zu einem Zylinder auf, so überschneiden sich die beiden äußeren Bereiche. Dadurch wird Bruno Latours Analyse berücksichtigt, dass immer mehr Hybriden aus Natur und Gesellschaft auftreten. Gesellschaftliche sind zugleich naturwissenschaftliche Problemfelder und können nur in soziotechnischen Netzen gelöst werden. Nur eine Erklärung, die beide Netzwerke einbezieht, ist symmetrisch und "modern" (im Sinne Latours) und kann Grundlage für Problemlösungen sein.

Auch wenn man eines der Felder oder gar beide ignoriert, kann man leben - man kann sich durchwursteln oder vor sich hin vegetieren. Peter Sloterdijk (2010) spricht dann von einem Scheintod im Denken, der in mehreren Varianten auftritt.

1. Man kennt sich in keinem der beiden Bereiche aus. Die Gründe sind Desinteresse, Dummheit, mangelnde Neugier, Ignoranz (Leben in WELT 1 und der eigenen WELT 2).

2. Leben in einer Theoriewelt, abgetrennt von der Lebenswelt (philosophischer Scheintod im Denken, Leben in einer Teilwelt von WELT 3).

3. Leben in der realen Welt, die aber alleine durch eine naturwissenschaftliche Theorie interpretiert wird (szientistischer Scheintod im Denken, Deutung mit einer Teilwelt von WELT 3).

Es ist eine seltsame Vorstellung, Natur und Gesellschaft getrennt zu sehen, so als ob man die eine Wirklichkeit genau und trennscharf in zwei Gebiete aufteilen könnte: in ein Reich der nicht verhandelbaren erwiesenen Tatsachen und eines der Gründe und der politischen Entscheidungen.

Erst ein naturwissenschaftliches Weltbild und Wertevorstellungen als Grundlage des Zusammenlebens in einer freiheitlichen Gesellschaft ergeben zusammen einen Denkraum, der die Grundlage für selbstbestimmte Pläne und Handlungen sein kann.

2. Skizze zur Konkretisierung: Analyse einer Handlung und Folgerungen für den Unterricht

Problemlösend

Eine Sammlung von Aufsätzen und Reden von Karl R. Popper trägt den programmatischen Titel „Alles Leben ist Problemlösen“. Soll die Schule auf das Leben vorbereiten, ist mit diesem Zitat die Unterrichtsstruktur vorgegeben.

Handlungsorientiert

Von John Dewey stammt der Vorschlag für den Weg. Für ihn ist das Gehirn ein Werkzeug und Erkennen besteht aus Operationen. In besonderer Weise trifft das auf Naturwissenschaften zu. Kontemplation reicht nicht aus - der Naturwissenschaftler muss etwas tun.

"Kontakt"

Nach Alfred N. Whitehead ist Unterricht dann besonders erfolgreich, wenn er "Kontakt" herstellt. Unter Kontakt versteht er, dass der Unterrichtsstoff einen Bezug zu den individuellen persönlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler hat - zum Leben. Leben in all seinen Erscheinungsformen ist für ihn der Unterrichtsgegenstand der Erziehung - kein Curriculum, mit Algebra, aus der weiter nichts folgt; Naturwissenschaft aus der weiter nichts folgt; Geschichte, aus der weiter nichts folgt; Literatur mit philologischen Anmerkungen und einer Interpretation, aus der weiter nichts folgt ...

Unterricht soll problemlösend und handlungsorientiert sein und einen Bezug zur Lebenswelt haben. Sieht man sich das Alter der Autoren bzw. Quellen an, so betätigen sie das Zitat: "Belesenheit schützt vor Neuentdeckungen".

Um etwas über die Inhalte der beiden Bildungsfelder auszusagen, muss man den Handlungsablauf genauer analysieren.


Zur Abbildung:

Der Diskurs (grüner Zeitpfeil) bezieht sich auf die Planung und die Akzeptanz durch die Mitwelt (WELT 2 von Personen) als Teil der Gesellschaft.

Die Mittel (violette Schrift) haben einen Theorie- und einen Praxisanteil; Denk- und Arbeitsweisen sind die der Naturwissenschaften und der Technik, da sie auf die reale Lebenswelt abzielen.

Die Wahl des Ziels, die Wahl der Mittel und die Rechtfertigung gegenüber der Gesellschaft (oder dem Gewissen) unterliegen Regeln und Normen (rote Schrift), die das Individuum im Laufe seiner Selbstentwicklung konstruiert hat - nicht im "luftleeren" Raum, sondern im Laufe der Zeit in den Sozialisationsfeldern und dem Handeln in virtuellen Welten (= Unterricht, private Lektüre, ...).

Die Handlung spielt sich im gesellschaftlichen Rahmen ab, andere Personen sind beteiligt und betroffen - d.h. ihre Intentionen, Regeln und Normen beeinflussen die Handlung.

 

Leider fallen die Planung einer Handlung und die Planmäßigkeit des Verlaufs nicht immer zusammen.

Rückkoppelungen

Geht man die Handlungskette langsam an und schiebt nach Zwischenschritten Kontrollen ein und berücksichtigt außerdem Reaktionen der Mitmenschen, so kann man Korrekturen vornehmen. Diese Rückkoppelungen können zu einem Erfolg der Handlung beitragen.

Wiederholt man die gleiche oder eine ganz ähnliche Handlung in einem ähnlichen Umfeld, so kann man das Ergebnis verbessern, wenn man die Erfahrungen der vorausgegangenen Handlung in die neue Planung einbezieht. Das versteht Peter Sloterdijk (2009) unter "ein Leben in Übungen". Beobachten - Denken - Handeln - Beobachten - Denken - Handeln - Beobachten - ... man verändert sich durch das Tun und das Denken. Es geht weniger um objektive Wahrheiten, sondern um Handeln in der Welt. Unsere Vorstellungen werden durch neue Erfahrungen immer wieder revidiert und umgebaut.

Wir können auch aus Fehlern anderer Menschen lernen. Die Erfahrung und Beobachtung von anderen hilft uns bei Entscheidungen. Auch Roboter können durch die Interaktion mit ihrer Umwelt selbst Daten erzeugen und diese auswerten. Ihr Programm versucht dann vorherzusagen, was geschieht.

Wenn es keine "höchsten Werte" gibt und "der Mensch dazu verurteilt ist, frei zu sein", dann gibt es bei den Einschätzungen des Mitmenschen Unsicherheiten. Die Handlungen einer Person sind dann der einzige Zugang zu ihrem „Wesen“, indem sie „als Vollzug intentionaler Akte verstanden werden“ (Max Scheler). D.h. zu den Regeln und Normen einer Person kann ein Beobachter nur Hypothesen aufstellen und durch die Beobachtung ihrer weiteren Handlungen überprüfen. Das Wesen eines Mitmenschen erschließt sich situativ.

Dabei sollte man, wie bei den Überlegungen der Ökonomen, von einem „rationalen“ Menschenbild ausgehen; das ist nur eine neutrale Formulierung für ein egoistisches Individuum. In diesem Fall muss man auch mit Lügen und Täuschungen rechnen; besonders, wenn es um die globale Wirtschafts- und Finanzwelt geht, in der wahrscheinlich der größte Teil der Kriminalität zuhause ist.

Ähnlich verhält es sich mit denen, die im Umgang mit Menschen und Entscheidungen geschult sind. Sie, die die soft skills (emotionale Intelligenz) beherrschen, wenden sie an, ohne damit Emotionen zu verbinden. Es sind eingeschliffene Umgangsformen, die sich als erfolgreich erwiesen haben, die aber ohne Bedeutung sind.

Nach diesen Überlegungen und Relativierungen gibt es immer nur ein Provisorium: Wahrheitsähnlichkeit, Wahrscheinlichkeit - legitimiert durch das Kriterium der Bewährung.

3. Skizze zur Konkretisierung: Inhalte und Methoden der Bildungsfelder

Bildungsfeld 1: Naturwissenschaften - Zusammenhänge in komplexen Systemen

An politischen Entscheidungen kann sich die Mehrheit der Bürger nicht beteiligen, weil es an naturwissenschaftlichem Wissen und vor allem am Verstehen der Zusammenhänge mangelt. Dabei geht es nicht um Physik, Chemie und Biologie, sondern darum zu verstehen, was Physiker, Chemiker und Biologen machen, wie sie denken und arbeiten. Erst dann kann man die Ergebnisse auch beurteilen und Entscheidungen treffen.

Ziel dieses Bildungsfeldes muss es sein, eine Orientierung in den Naturwissenschaften zu bieten, um auch komplexe Zusammenhänge und schwierige Gedankengänge zu verstehen. Dieser Anspruch verlangt neben Kenntnissen das Wissen um Strukturen und Strategien.

Obwohl die empirischen Untersuchungen (Beobachtungen, Experimente) von der Wissenschaftsgemeinde geprüft und anerkannt und somit als objektiv angesehen werden, ist immer nur ein momentaner Wissensstand der Forschung erreicht - nicht die „endgültige Wahrheit“.

Inhalte und Methoden

Das große Paradoxon der Naturwissenschaften ist, dass mit dem lawinenartigen Anwachsen der Daten- / Informationsfülle die Stofffülle, die man beherrschen muss, abnimmt. Erkenntnisse, die unverbunden nebeneinander standen, werden erklärend verbunden, Muster werden erkennbar, einfache Prinzipien tauchen aus dem Chaos auf. D.h. der Inhalt z.B. des Biologieunterrichts sind nicht viele Fakten über eine Fülle von Lebewesen, sondern allen Lebewesen gemeinsame Systemeigenschaften und erste Einsichten in eine übersichtliche Zahl von Prinzipien, die den Systemfunktionen zugrunde liegen.

Das Kunsthandwerk der Unterrichtsplanung liegt nun darin, Pläne zu entwerfen, wie an motivierenden Fragestellungen (Themen) Prinzipien erarbeitet werden können und wie sich diese kumulativ zu einem Gesamtsystem vernetzen. Ziel ist ein strukturiertes Grundwissen, mit dem gearbeitet und auf das (lebenslang) aufgebaut werden kann.

Werden die Inhalte einfach erzählt, so liefert man "Antworten" noch ehe es Fragen gibt. Stellen sich die Fragen im späteren Leben tatsächlich einmal, hat man die Antworten längst vergessen. "Erarbeitet" ist das Gegenteil von erzählt oder vorgelesen (Naturkunde). Monologe und Fragen, die der Vortragende selbst beantwortet, sind die falsche Art der Vermittlung. Informationen sind Daten, die einzeln für sich nichts aussagen. Bedeutend und zu Wissen werden sie erst in jedem Individuum durch die Verknüpfung zu einem Netzwerk. Immer noch wird versucht, dieses Wissen durch alberne Bildchen und PowerPoint-Folien zu übertragen. Das ist sinnlos, da man zwar für Ruhe und Disziplin sorgen, aber niemanden zum Zuhören zwingen kann. Das Wissen muss jede/jeder für sich erarbeiten und zwar durch Selbstentdecken und Verstehen im Laufe eines problemlösenden und handlungsorientierten Unterrichts. Wir verstehen, wenn wir die Frage verstehen, auf die das Verstandene die Antwort ist und das Verstandene mit unseren (Vor-)Kenntnissen verknüpft wird. Verstehen führt zu Wissen.

Das Kausalitätsprinzip kann nicht wahrgenommen werden, sondern nur isolierte Ereignisse, nie deren kausale Verknüpfung. Es ist eine Kategorie des Verstehens - eine Prädisposition. Newton und Galilei konnten ihre Theorien nicht einfach aus zufällig gemachten Beobachtungen ableiten. Beobachtungen und Experimente müssen durch Entwürfe und Hypothesen vorstrukturiert sein, damit sie zu allgemeinen Gesetzen führen können.

Auch diese allgemeinen wissenschaftlichen Prinzipien (Naturgesetze) können nicht unmittelbar, sondern nur durch die logischen Folgen anhand der Erfahrung überprüft werden. Eine Fülle von Beobachtungen und Experimenten führt zu den Prinzipien. Daraus folgt in der Umkehrung, dass man in einer standortgebundenen Situation entscheiden muss, ob und welche Naturgesetze zutreffen - auch hier ist eine Art "Urtheilskraft" (das Besondere im Allgemeinen) nötig.

Erschwert wird die Entscheidung für den nächsten Schritt dadurch, dass in komplexen Situationen, die mehrere Personen betreffen, die objektiven Fakten alleine nicht für eine sichere Planung ausreichen.

Es ist viel Üben notwendig, um das Verhalten von komplexen Systemen zu analysieren und klare Fragestellungen herauszuarbeiten und anschließend die Vor- und Nachteile verschiedener Lösungswege zu überdenken. Dabei erfährt man, dass es für komplexe Probleme keine einfachen Antworten mehr gibt.

Der naturwissenschaftliche Anteil des Weltbildes ist klar und objektiv, die Naturgesetze sind vielfach überprüft. Wenn Prinzipien aber auf die Realität des Alltags treffen, wird es schwierig und unübersichtlich, weil jetzt viele Menschen beteiligt sind - viele Subjekte.

Vermittlung und Einsicht in naturwissenschaftliche Erkenntnisse erfordern den Dialog zwischen zwei Personengruppen: den Wissenschaftlern und den Bürgern. Die Naturwissenschaftler und unabhängigen Akademien müssen endlich gesellschaftlich aktiv werden. Die Bürger müssen neugierig und aufnahmebereit sein (auch in der "postfaktischen Ära") und ihre klassische Bildung durch naturwissenschaftliches Methoden- und Basiswissen erweitern. Bei einem Dialog müssen sich beide Seiten Mühe geben, wenn er nicht in einem Austausch von Schlagworten stecken bleiben soll.

Einschub

Didaktik ↔ Ziele ↔ Methodik

Man kann Inhalte auf zwei ganz unterschiedliche Arten vermitteln:

zum algorithmischen Gebrauch = zum MACHEN

oder

zum ursächlichen Verständnis = SINN machen

Algorithmischer Gebrauch

Man (und auch der Computer) ist in der Lage, immer wenn die und die Situation vorliegt, dann die Eingangsdaten nach einem Programm zu bearbeiten und die Ausgabedaten zu liefern. Das Ziel ist erreicht.

Die Aufgabe der Ausbilder besteht dann in der Weitergabe von "Kochrezepten". Dabei ist eine hohe Präzision im Bereich der Arbeitsanweisungen notwendig (Fachsprache, Formeln, wiederkehrende Standardanweisungen), da Eigenkorrekturen nicht möglich sind. Den Geltungsbereich und die Aussagekraft muss man nicht kennen, wenn sie vor der Zuweisung der Arbeit von dem Vorgesetzen bedacht wurden.

Ursächliches Verständnis

Ursache als "causa" wird hier in Anlehnung an das formale Vorgehen des Aristoteles betrachtet.

Danach wäre ursächliches Verständnis = Sachkenntnis auf dem entsprechenden Gebiet (causa materialis, causa formalis) + Kenntnis der Prinzipien (causa efficiens, Grundsätze, Naturgesetze, Kausalität).

Man wäre fähig, die Sachlage zu analysieren. Man erkennt, es liegt die und die Situation vor, die Zusammenhänge sind so und so, deshalb (es macht Sinn, it figures) erreiche ich das Ziel auf diesem Lösungsweg.

Man kann die Situation / die Aufgabenstellung einordnen und kann, weil man Zusammenhänge erkennt, verstehen, welchen Lösungsweg man beschreiten muss. Nur dann ist man auch in der Lage, weiter zu denken, innovativ zu sein.