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WAS HABEN SIE DA

ANGERICHTET

Kurzgeschichtenhäppchen

für zwischendurch

von

Ulrich Borchers

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die

Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://www.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte bei Ulrich Borchers

Cover: Tobias Grzesiak

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

VORWORT

Es ist wieder angerichtet. Wie in den Vorgängern „Sushi-Texte, Kurzgeschichtenhäppchen für zwischendurch“ und „Geschichten sind überall zu Hause“ präsentiert auch dieser Band Texte, die vielfältig sind wie das Leben. Wer mag schon immer Bitter Lemon und nach etwas Süßem wächst die Lust auf Saures. All diese Geschmacksrichtungen werden bedient.

Von daher bietet dieses Überraschungsmenü Häppchen jeder Art.

Lassen Sie es sich schmecken!

Mehr auf: http://ulrichborchers.jimdo.com/

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Loslassen

Seestern

Der beste Kaffee

Stragula – Oder, das Monster aus der Tiefe

Trennung

Warm ums Herz

Zu zweit am Strand in Odense

Der ewige Kaptein

Welle Nord

Manchmal da fallen mir Bilder ein

Hitzewelle

Hart wie Stein

Scheiden tut weh. Naja, nicht immer …

Sieht man der Liebe die Falten an?

Gutes Sehen schützt - gutes Sehen nützt

Träume in Salmiak

Aufwärts bitte

Wenn möglich, bitte wenden

Die Waage

Und den Menschen ein Wohlgefallen

Verdammte Rollenklischees!

Die Zeit besiegen

Anmerkungen

LOSLASSEN

Lay, lady, lay“, erklingt es im Radio. Georg unterbricht das Drücken des Schwammes in dem warmen, basischen Bad. Der Apotheker hatte ihm dazu geraten, es soll hilfreich sein. Stimmt. Trotzdem will er jetzt zuhören. Viel zu selten, dass solche Stücke gespielt werden, stattdessen moderne Einheitssoße oder alternativ Oldie Sender, die nur die gängigen, alten Sachen bringen.

Meine Kleidung ist schmutzig, aber meine Hände sind sauber.“ Dylan klang damals so anders, als er das Stück raus brachte. Irgendwie sauber, wie die Hände des Mannes in dem Song. Er hätte mit dem Rauchen aufgehört, erklärte Dylan auf Rückfragen. „Scheiße, wie bourgeois“, dachte Georg damals. Er hatte da gerade mit den ersten Drogen experimentiert und das gehörte für ihn zur Musik dazu, genau wie das Saufen. Vielleicht hätte er sich an Dylan ein Beispiel nehmen sollen, denn so wachte er erst Ende der Achtziger aus einem Alptraum auf und lernte ohne dieses Zeug zu „rock’n rollen“. Das persönliche Potenzial des Liedes wurde ihm sofort bewusst, als er es das erste Mal hörte.

„Warum warten, wenn die wahre Liebe vor Dir steht?“ Das hatte er Anfang der Siebziger zu den Klängen seiner Gibson gehaucht und mehr als eine hatte es ihm geglaubt, dass tatsächlich die große Liebe vor ihr stehen würde. Viele landeten in seinem Bett, wenn es auch nie aus Messing war, wie in dem Song von 69. Vielleicht war das der Grund, wieso es nie wahrhaftig mit ihnen wurde. Immer nur ein kurzes Feuer. Nicht eingelöste Versprechen, wobei er sich in der damaligen Zeit vorgaukelte, es sei ein ideales Leben. Frei, ungebunden wie sein Gitarrenspiel und doch wild, aufregend und befriedigend. Eine Zeitlang, im Nachhinein sogar erstaunlich lange, funktionierte es.

Im Lied verklingt der letzte Akkord und gleichzeitig klingelt das Telefon. Er trocknet sich die Hände ab und bedauert die Kürze des Bades. Das Greifen des Hörers schmerzt mehr, als er erhofft hat.

„Hallo Georg, du bist heute Abend pünktlich?“, brüllt es aus dem Hörer. Das kam eher fordernd als fragend rüber.

„Mensch Robert, habe ich dich je enttäuscht?“, entgegnet er.

„Ja, vor zwei Wochen. Du hast fürchterlich gespielt. Trinkst du wieder Georg? Deshalb rufe ich an. Damals wurde auch erst Dein Spiel schlechter und wie sehr man sich dann auf dich verlassen konnte, weißt du selbst.“

„Robert, ich bin seit über zwanzig Jahren trocken und clean. Ich hatte nur einen schlechten Tag. Es wird alles klappen.“

„Der alten Zeiten wegen, Georg. Versaue es heute nicht, sonst wird es schwer mit Folgeauftritten.“

Aufgelegt. Sobald seine Leistung nicht mehr ausreicht, wird Robert die Beziehung abrupt beenden. Alte Zeiten hin oder her. Da werden ihm weder seine ruhmreiche Zeit als Begleitmusiker eines der bekanntesten deutschen Rockstars, noch seine frühere Klasse als Studiomusiker helfen.

Alles hat und braucht seine Zeit. Als der Wachtraum seines damaligen sogenannten Lebens endete, stürzte er sich noch mehr in die Musik. Sein Gitarrenspiel wurde immer besser und nachdem er seine Schulden bezahlt hatte, wunderte er sich, dass so eine Menge Geld übrigbleibt, wenn man es sich nicht durch die Nase zieht. Er kaufte sich Gitarren. Weitere Gibson, Rickenbacker, Martin und natürlich Fender. Sein ganzes Geld für diese taillierten Ersatzfrauen, die ihn retteten, aber lediglich Flucht vor seiner Beziehungsunfähigkeit waren. Heute ist ihm das klar.

Der alte George Best Spruch fällt ihm ein, der unter seinen Musikerkollegen Quintessenz ihres Handels war. „Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst.“ Na ja, er hat zumindest seine Gitarren.

Er drückt weiter fleißig den Schwamm. Der Schmerz lässt nach, aber die Knoten in seiner Hand machen ihn zornig. Wieso werden seine Hände zum Feind? Immer hatten sie es gut mit ihm gemeint. Durch sie kam er vom Alkohol und den Drogen weg und schließlich brachten sie sein Leben auch noch auf die Liebesspur. Neben klassischen Stücken waren damals auch Popsongs auf Akustikgitarre angesagt und auf einem kleinen lokalen Gig spielte er zum Abschluss auf seiner Martin „Cavatina“. Ein Herzensöffner, wie Vera im später einmal sagte, und zum ersten Mal seit Jahren entdeckte er etwas neben seiner Musik. In machen Augen findet man sich, in anderen nicht. In den Augen der Rothaarigen in der zweiten Reihe verweilte er. Beim Verklingen des letzten Tons hatten sie sich gefunden.

Nach dem Stück kam sie nach vorn und sagte: „Wer so spielt, den könnte ich versuchen zu lieben“, und er antwortete zu seiner eigenen Überraschung: „Ich hätte nichts dagegen.“

Sie mussten es nicht versuchen, es war beiden vom ersten Moment klar. Er brauchte nicht mehr von der großen Liebe singen und auf falsche Versprechungen setzen. Späte Liebe, sagt man so? Beide hatten ihre Weichen schon gestellt. Vera ein wenig schlauer als er, das gibt er zu. Jetzt sitzt er hier, hat das Rentenalter erreicht und versucht mit Schwamm und warmen Wasser seine zweite Leidenschaft und ein wenig Zukunft am Leben zu erhalten. Mist, seine Knie und sein Rücken sind völlig in Ordnung. Er würde auf die Bühne kriechen, wenn er nur alle Riffs hinbekommen würde.

Pensionsansprüche hat sie. Da kann er nicht mithalten. Früher hätte er sich darüber lustig gemacht. Jetzt schämt er sich gegenüber Vera ein wenig. Seine Altersversorgung ist ein Witz, viel zu lange hat er danach gelebt, dass Morgen so wird wie Gestern und sich im Heute keine weiteren Gedanken gemacht. Bis auf seine Instrumente ist er finanziell gesehen kaum existent. Vera hat gesagt, das wäre egal. Es würde schon für beide reichen. Obwohl er es ihr umgekehrt wohl auch zugesagt hätte, fühlt er sich deswegen nicht ein Stück besser.

 

Neulich hatte er sich mit einem Kollegen unterhalten, der sich bitter darüber beschwerte wie die Allgemeinheit mit ihren Künstlern umgeht. „Keiner fängt uns auf, wir bilden im Alter das kreative Proletariat“, meinte er. Georg trank seinen Tee und entgegnete nichts. Die Spielregeln waren allen von Anfang an bekannt. Sie hatten früher bloß keine Lust gehabt, sich daran zu halten und fühlten sich dabei toll. Und jetzt weinen, weil sie nicht eingewechselt werden und wieder mitspielen dürfen. Ne, so ein Selbstmitleid liegt ihm nicht und er hat auch noch nie die Schuld bei den Anderen gesucht.

Er nimmt die Hände aus dem Wasser und trocknet sie ab. In einer Stunde muss er los. Heute wird es wohl gehen. Die Fans werden nichts merken, Robert ein wenig. Er selbst weiß, dass es nicht mehr reicht. Seinen eigenen Ansprüchen wird er nicht mehr gerecht werden. Und seine Hände werden glühen und die Entzündung und die Schmerzen werden ihm die Tränen in die Augen treiben.

„Es ist vorbei“, denkt er sich. Der letzte Auftritt. „Ich muss loslassen, mit meinen Händen müsste es mir doch leicht fallen.“ Er lächelt wegen dieses Gedankens. Morgen wird er sich um den Verkauf seiner Gitarren kümmern. Es müsste eine Stange Geld zusammenkommen und für eine Weile würden sie gut davon haben.

Er nimmt die Jacke vom Haken, schultert seine Fender und denkt: „Too old to Rock’n’ Roll, to young to die.“

Den ersten Teil des Spruchs erfährt er gerade leidvoll. Georg wird mit Vera zusammen einen Weg zu finden, den zweiten Teil bejahen zu können. Als er sich von ihr verabschiedet sagt er: „Ich möchte dich im Morgenlicht sehen.“ Vera verbindet diese Zeile nicht mit dem alten Dylan Titel und sagt nur lächelnd: „Wie schön!“

Ihm bedeutet es alles.

SEESTERN

Die Morgensonne wärmt schon, aber noch sind die Temperaturen angenehm. Für mich die schönste Zeit des Tages. Eine leichte, frische Brise vom Meer und ich denke: „Ach, das Leben könnte so schön sein.“ Nicht, dass sie mich falsch verstehen, im Moment ist es das auch, aber ich weiß, es wird sich spätestens in einer Viertelstunde ändern. Ich atme tief durch und genieße den Augenblick. Diesen Strandkorb hier am Timmendorfer Strand habe ich für die Saison gemietet, nachdem ich mich nach aufreibenden beruflichen Herausforderungen verdientermaßen zur Ruhe gesetzt habe. Er ist nur einen Katzensprung von der Eigentumswohnung entfernt, die ich mir gekauft habe. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht …

Der Teufel, von dem ich in Gedanken sprach, naht. Etwas früher als gewöhnlich, wahrscheinlich bereitet es ihm Freude, mich zu quälen.

„Komm Püppchen, mach mal hinne. Vaddern hat nicht ewig Zeit.“

Frank Kasischke, ehemaliger Bauunternehmer, ebenfalls im Ruhestand robbt an den Strand. Sonne, Sand, Meer und der Ort haben es ihm leider genau so angetan wie mir. Er hat den Strandkorb neben mir gemietet. Sein Püppchen hinkt vollbeladen mit den notwendigen Utensilien des Tages hinter ihm her. Sie schleppt hauptsächlich Nahrung für ihn mit. Ich nenne Kasischke im Gedanken „den Gorilla“. Einerseits weil er sich in ähnlicher Weise auf seinen Strandkorb zubewegt und andererseits, weil Gorillas ihren Stellenwert in der Gesellschaft gern durch Körperfülle demonstrieren. Das gilt ebenso für Kasischke. Aufgrund seiner Ausmaße schwitzt er jetzt schon aus allen Poren und in der Hitze des Tages wird es unerträglich werden. Wenn er sich dann noch umdreht und das Wasser seinen langen behaarten Silberrücken runterläuft, sollten keine Kinder in der Nähe sein. Das würde sie nur verschrecken und zu Albträumen führen.

Jeder wird auf seine Weise alt, aber wenn ich mir den Gorilla betrachte, bin ich für meinen durchtrainierten Körper dankbar. Immer noch die gleiche Konfektionsgröße wie vor vierzig Jahren. Mein Beruf brachte das mit sich. Ich musste immer in Form sein. Normalerweise ist mir das egal, beim Anblick Kasischkes, macht es mich sogar ein wenig stolz.

Egal wie einsilbig ich bin, er hat einen Narren an mir gefressen und wird sich auch heute den ganzen Tag lautstark von Strandkorb zu Strandkorb unterhalten.

„Moin Werner. Schon da! Wie immer. Früher Vogel und so weiter. Ha ha ha … Aber allein. Immer allein. Wird das nicht bald mal was? Musst dir auch so eine Schnecke zulegen wie ich. Hast doch Kohle. Ha ha ha …“ Er stoppt kurz, um dann weiterhin schreiend fortzufahren: „Bist du etwa von der anderen Fraktion? Macht ja nix. Stört mich nicht, wenn du hier lieber mit Martin als mit Martina liegen würdest. Nur zu. Ha ha ha …“

Seine Toleranz und Feinfühligkeit beeindrucken mich zutiefst. „Guten Morgen Frank. Keine Sorge. Alles gut.“ Na ja, ich hätte schon gerne jemanden an meiner Seite, aber das werde ich diesem Urmenschen nicht auf die Nase binden. Der würde gleich telefonisch eine Horde Frauen bestellen und mir auf den Hals hetzen. „Geb ich aus, Werner, lass es mal krachen. Ist doch ungesund, wenn man gar nicht … Ha ha ha!“ Nein danke! Mein Beruf hat mich zum Einsiedler werden lassen. Irgendwann werde ich auch das ablegen. Es braucht nur ein wenig Zeit.

Jetzt kommt das Beste vom Gorilla. Sein Püppchen. Marion, zwanzig Jahre jünger als er und daher altersmäßig nicht mehr in der ersten Liga der potentiellen Geliebten. Aber immer noch blendend aussehend. Sie nenne ich insgeheim meinen Seestern. Seesterne sind unglaublich hübsch, haben aber kein Gehirn. Damit sind Marions Eigenschaften treffend beschrieben. Immerhin ist sie clever genug zu wissen, dass ihre geistigen Fähigkeiten sie nicht durch das Leben bringen werden. So erträgt sie Frank Kasischke. Sie ist halt ein echter Profi und davor habe ich schon immer den größten Respekt gehabt.

Der Gorilla redet in einer Tour. Mit stoischem Gesichtsausdruck verfolge ich seine Ausführungen und er glaubt wahrscheinlich, dass ich ihm zuhöre. Unbemerktes Beobachten liegt mir, ebenfalls meinen Beruf geschuldet. Und so betrachte ich Marion, die ihren perfekten Körper einölt, um ihre Bräune zu vervollkommnen, was mir fast unmöglich erscheint. Wäre sie ein Braten, würde ich sagen: Angerichtet. Wirklich zum Anbeißen. Sie ist nicht so geschickt wie ich, doch auch sie beobachtet mich heimlich. Für ihren Mann reicht ihr Können. Sie ist vorsichtig genug, ihn nicht merken lassen, dass sie den Markt sondiert. Da tut sie gut daran, denn es gibt keinen Ehevertrag. Das weiß ich, weil es Frank lautstark verkündet. Täglich.

„Nicht wahr Püppchen. Du weißt, dass du es gut bei Vaddern hast. Solange wir am gleichen Tisch sitzen. Allein würdest du verhungern. Ha ha ha …“

Marion lächelt dann immer milde und legt ihren Kopf an seinen beharrten Oberarm. In diesen Momenten bewundere ich sie. Auch ihre Gesten passen. Wie gesagt, ein Profi.

Frauen müssen für mich nicht vor Intelligenz strotzen. Ich begehre mit dem Herzen und den Augen. Marion ist liebenswert, nett, nicht intelligent aber clever und sieht fantastisch aus. Wenn es überhaupt etwas gibt, um das ich den Gorilla beneide, dann ist es sein Seesternchen.

Ich bin darauf trainiert, Wesentliches zu erkennen und zu hören und so nehme ich aus der endlosen Tirade meines Gegenübers plötzlich wahr: „Du bist ja ein Gesundheitsapostel. Ich habe da so meine Probleme. Soll mich schonen, sagt mein Arzt. Die Pumpe. Demnächst bekomme ich Stents, oder wie das heißt. Bis dahin muss mein Püppchen die Hauptarbeit leisten, wenn Du verstehst was ich meine. Ha ha ha …“

Beide lächeln wir gequält, ob dieses Scherzes. King Kong fällt das nicht auf. Ich lehne mich zurück und stelle mich schlafend. So geht es nicht weiter. Irgendetwas wird heute Abend in meinem Musterkoffer zu finden sein. Ich werde sehen.

Es gäbe einige Möglichkeiten, so habe ich ein experimentelles Produkt in meiner beruflichen Laufbahn bisher nicht genutzt. Zu einem weil es recht neu ist, aber auch weil Experimente während meiner Tätigkeit nicht in Frage kamen. Da bedurfte es eindeutiger Resultate. Irgendwie fände ich es jetzt passend, einen Versuch zu starten. Ein Mittel basierend auf dem Extrakt der Meeresqualle Irukandji Jellyfish müsste genau das Richtige sein. Es soll erstmals gelungen sein, die Nebenwirkungen der Vergiftung und den erheblichen Schmerz zu unterdrücken. Wenn es schon enden soll, wenigstens einigermaßen angenehm. Das war schon immer mein Motto. Außerdem passt so etwas ans Meer. Hat einen gewissen Stil und das war mir immer wichtig.

Am nächsten Tag ist Kasischke begeistert von mir. Wir reden, ich lache über seine Scherze und am Nachmittag schlägt er mir anerkennend auf die Schulter: „Mensch Werner, Du bist ja gar nicht so eine Spaßbremse. Wird doch noch was, mit guter Strandkorbnachbarschaft.“

„Frank, darauf einen Dujardin. Nein im Ernst. Ich habe da ein leckeres Tröpfchen.“

Frank leckt sich genüsslich die Lippen und hält mir fordernd das leere Glas nochmals hin. Nun, wenn Du unbedingt willst, denke ich mir und schenke nach. Kurz darauf stellt der Gorilla sein schier endloses Geschwafel ein. Stattdessen betrachtet er Marion, legt sich ein Handtuch über den Schoß, grunzt und leckt sich wieder die Lippen. Diesmal will er nichts trinken. Stattdessen greift er Marions Hand, zieht sie hoch und stapft mit ihr so schnell es geht, Richtung Promenade. Nach einer halben Stunde packe ich auch zusammen und nehme aufgrund der inzwischen guten Strandkorbnachbarschaft auch die Sachen mit, die die beiden aufgrund ihres eiligen Aufbruchs haben liegen lassen. Da aus der Wohnung der beiden laute Geräusche erklingen, lege ich die Tasche höflicherweise vor der Tür ab.

Tags darauf bleibt der mir gegenüberstehende Strandkorb leer. Offensicht wirkte das Mittel wie erhofft.

Es ist eine schöne Trauerfeier. Als der Pastor erwähnt, dass dem geschätzten Mitbürger und ehemaligen Bauunternehmer ein kurzer, friedvoller Tod beschieden war, huscht der mittellosen Witwe ein kurzes Lächeln über die Lippen. Zum Glück fällt es nur mir auf. Der Extrakt des Jellfishes verlängert die Erektion eines Mannes erheblich. Das kann von Vorteil sein, muss es aber nicht. Sorgen mache ich mir keine. Die Aufklärungsquote der bekanntgewordenen Morde in Deutschland liegt zwar bei 95,6 Prozent, aber mir war es in meiner Karriere als Auftragsmörder immer wichtig, dass keiner meiner Fälle jemals als solcher erkannt wurde. Ich darf behauten: Das ist mir gelungen. Ich finde es schön, in seinem Rentnerdasein, auf berufliches Können zurückgreifen zu können.

Wir stehen am Grab als sich Marion sich so bei mir einhakt und an mich drückt, dass ich ihre perfekte Brust spüre. Sie legt den Kopf an meine Seite und flüstert für andere unhörbar: „Danke für die Anteilnahme!“ Wie gesagt, ich schätze Profis.

Am nächsten Tag scheint wieder die Sonne. Auch wenn die Wärme mich träge macht, lasse ich es mir nicht nehmen und sage: „Komm mein Seesternchen, das braucht du doch nicht selber machen. Leg dich hin. Ich öle dich ein.“

DER BESTE KAFFEE

Karsten sitzt zu ersten Mal in diesem neuen, angesagten Café. Rappelvoll. Kein Wunder, denkt er. Er hatte schon so einiges gehört und es ist in seinem Städtchen tatsächlich etwas Besonderes. Mit Glück ergattert er einen Platz, da gerade, als er dort steht, ein größerer Tisch frei wird. Interessiert studiert er die Karte. Wie umfangreich! Meine Güte, denkt er, das sind ja über hundert Variationen.

„Hallo, ist bei Ihnen vielleicht noch ein Plätzchen frei für uns?“ Er schaut auf und sieht in die Gesichter eines Paares, welches für dieses edle Café offensichtlich die Idealbesetzung darstellt.

„Natürlich, gerne. Ich halte nur einen Platz frei für meine Frau“, antwortet er und wendet sich erneut der Karte zu.

Der elegant gekleidete Herr nimmt sogleich das Gespräch mit ihm auf. „Ja, das ist schon mal anderes, als wir es in unserem Kaff gewohnt sind, oder?“

„Allerdings“, gibt er zu. „Die meisten der hier angebotenen Kaffeevariationen sagen mir ehrlicherweise nichts. Wiener Melange. Kenne ich nicht.“

Das Paar lächelt sich milde an. „Das ist eine österreichische Kaffeespezialität.“

Na toll, denkt Karsten. Das hätte ich eventuell auch noch gewusst.

Doch der Herr ist noch nicht fertig: „Sie besteht aus einem Teil Kaffee, zumeist Espresso und einem Teil Milch mit einer Haube aus geschäumter Milch. Erstmals um 1830 in Wien serviert.“

 

Jetzt wechselt das Lächeln der beiden in eine selbstgefällige Variante.

„Ach“, erwidert Karsten.

„Wenn ich etwas empfehlen darf, der Espresso ist hervorragend. Sehr gutes Mischungsverhältnis, exzellente Bohne, gut gemahlen, hervorragende Maschine.“ Der Herr tätschelt seiner Frau die Hand. „Oder wenn Sie etwas Besonderes bevorzugen, sie führen hier natürlich auch Jamaica Blue Mountain No. 1.“

Karsten hat zufälligerweise gerade diese Sorte im Blick. Zum Glück überschlägt sich seine Stimme nicht als er sagt: „Vierzehn Euro die Tasse? Ist das flüssiges Gold?“

„Na ja, dazu müssen Sie wissen, dass das Anbaugebiet recht klein ist. Der vulkanische Boden auf Jamaika und ideale Temperaturen verhelfen ihm zu einem hervorragenden Reifeprozess. Eine perfekte Ausgewogenheit von leichter Säure, leicht süßem, fruchtig, nussigem Geschmack, sowie einem harmonisch fülligem Charakter. Der Champagner unter den Kaffeesorten.“

Karsten hatte neulich etwas über fermentiertem Kaffee gelesen. Irgendwie so eine seltene Bohne, die für den wahren Gourmet zuerst durch den Verdauungstrakt der sogenannten Schleichkatze gewandert sein muss. Er überlegt, ob er mit diesem Wissen angeben soll, nachher kennt der Herr hierzu noch mehr eklige Details, und zu allem Überfluss gibt es die Sorte hier vielleicht sogar. „Nun, ich bin an sich nicht so anspruchsvoll“, antwortet er daher nur.

Das führt bei der Frau zu einem kaum merklichen Kopfschütteln. Die Wertung seiner Aussage bleibt unausgesprochen, aber hängt dennoch im Raum. Was macht er dann hier, denken die beiden. Kurzes Schweigen. Schließlich fragt der Mann: „Vielleicht mal das Grundsätzliche. Was mögen Sie denn so? Geschmacklich meine ich. Erdig, nussig, aromatisch, fein, blumig, gehaltvoll, ursprünglich?“

Blumig, denkt Karsten, wie schmeckt das denn? „Äh, mild?“

Seine Antwort führt zu einem kaum hörbaren Aufstöhnen. Die Dame öffnet ihre Tasche. Ablenken. Karsten kennt diese Verhaltensweisen an sich nur von Weinproben. Die sind ihm verhasst.

„Also der portugiesische Milchkaffee ist recht mild“, erbarmt sich schließlich der Herr.

Karsten schaut zur Tür und die Sonne geht auf. Sabine betritt das Café. Sie strahlt ihn an und ihm ist, als ob der Raum plötzlich von Licht geflutet wird. Endlich ist sie da. Sie begrüßt den Herrn und die Dame, nimmt Platz, streicht ihm über das Haar und küsst ihn sanft auf die Wange. Sie sind schon ein paar Jahre zusammen und dennoch schlägt sein Herz immer einen Takt schneller, wenn sie ihn so berührt. Jetzt wird es ein angenehmer Nachmittag.

Doch der Herr gibt noch nicht auf: „Welcher Kaffee hat Ihnen denn bisher am besten geschmeckt?“ Karsten hat gerade den portugiesischen Milchkaffee in der Karte entdeckt und schaut bei seiner Antwort gar nicht auf: „Jeder, den ich Gegenwart meiner Frau getrunken habe.“

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