Wirtschaftsphilosophie

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Wirtschaftsphilosophie
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Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann leitet das Lehrgebiet Praktische Philosophie an der Fernuniversität Hagen und arbeitet im Übrigen im Bereich der Philosophie Kants und des Deutschen Idealismus. Er ist Verfasser zahlreicher Monographien (davon bei Marix: G.W.F. Hegel. Eine Propädeutik, 2004; Philosophie in Italien, 2007) und anderer wissenschaftlicher Arbeiten sowie Mitherausgeber der internationalen Fachzeitschrift „Synthesis philosophica“. Die Universität Oldenburg hat ihm im Jahre 2007 den Karl-Jaspers-Förderpreis verliehen.

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Nachdenken über das Ökonomische: von der Antike bis heute

Wirtschaftsphilosophie gehört – im Zeichen der Globalisierung und auch akuter Krisen – zu den heute aktuellsten Disziplinen der Philosophie. Der Fundus, aus dem sie schöpfen kann, ist überraschend groß:

Seit der Antike haben Philosophen über das Wesen und den Sinn des Wirtschaftens, über die Funktionen von Eigentum, Geld und Markt, aber auch über ethische Grenzen der Ökonomie nachgedacht. Ein fundiertes Urteil über das Ökonomische kann an den dabei freigelegten Aspekten nicht vorbeigehen.

Die Wirtschaftsphilosophie von Thomas Sören Hoffmann zeichnet die Geschichte des philosophischen Nachdenkens über ökonomische Grundzusammenhänge von Platon und Aristoteles über Thomas von Aquin und das Reformationszeitalter bis zu den klassischen Wirtschaftsdenkern der Neuzeit wie Adam Smith, Fichte, Hegel, Marx, Georg Simmel, Max Weber und anderen nach. Gleichzeitig macht sie mit den wichtigsten wirtschaftsethischen Ansätzen vertraut, wie sie in den heutigen Debatten um eine Vereinbarkeit von Wirtschaft, Recht und Gerechtigkeit, aber z.B. auch in der Unternehmensethik vertreten werden. Die philosophische Perspektive wird es dem Leser zuletzt erheblich erleichtern, zu den Fragen rund um das komplexe Feld der Ökonomie theoretisch wie praktisch fundiert Stellung zu nehmen.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.
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Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2011 Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH Bildnachweis: Bronzeplastik Denkpartner, Stuttgart (Fotografie von Stefan Niehoff) Korrekturen: Janine Böckelmann, Eva Ledwig und Sarah Stietenroth eBook-Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz Gesetzt in der Palatino Ind Uni – untersteht der GPL v2 ISBN: 978-3-8438-0174-4 www.marixverlag.de

Inhalt

Vorwort

1 Was ist Wirtschaftsphilosophie und was kann sie leisten?

1.1 Wirtschaft philosophisch denken? Der theoretische Aspekt

1.2 Wirtschaft philosophisch lenken? Der praktische Aspekt

1.3 Zum Verfahren des vorliegenden Buches

2 Geschichtliche Ressourcen wirtschaftsphilosophischen Denkens: Entwicklung von Standpunkten und Kategorien im Kontext historischer Umbrüche

2.1 Antike Positionen

2.1.1 Platon

2.1.1.1 Die Exposition des Problems des Ökonomischen in Platons Politeia

2.1.1.2 Das Verhältnis der Wächter und Philosophen zu materiellem Besitz

2.1.1.3 Die Position der Nomoi

2.1.2 Aristoteles und die Anfänge der oikonomia

2.1.2.1 Ökonomik und Chrematistik in der Politik

2.1.2.2 Die pseudoaristotelische Ökonomik und ihre Wirkungsgeschichte

2.1.3 Die stoische Stellung zu Eigentum, Armut und Reichtum

2.2 Das Mittelalter und der Umbruch zur Neuzeit

2.2.1 Die Rezeption der Kirchenväter seit dem Frühmittelalter: Eschatologische Vorbehalte, Relativierung des Privateigentums, Wucher- und Zinsverbote

2.2.1.1 Eigentumsethik des älteren Christentums

2.2.1.2 Aurelius Augustinus

2.2.1.3 Das Mittelalter: »Schenkende Wirtschaft« und erste Fragen der Geldwirtschaft im Rahmen der entstehenden städtischen Kultur

2.2.1.4 Thomas von Aquin über den »gerechten Preis« und den Wucher

2.2.1.5 Dante und die Wucherer in der Hölle

2.2.3 Wirtschaftsethik der Reformation

2.2.3.1 Luther und die wirtschaftsgeschichtliche Wende zur Neuzeit

2.2.3.2 Melanchthon und die Idee der »oeconomia christiana«

2.2.3.3 Zwingli und die städtische Reformation

2.2.3.4 Umwertung alter Werte bei Johannes Calvin

2.2.4 Exkurs: Die These Max Webers über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus

2.3 Die frühe Neuzeit und die klassische Periode der Ökonomie

2.3.1 Die »Preisrevolution« des 16. Jahrhunderts und die Zeit der »Kipper und Wipper«

2.3.2 Die Verbindung der Ökonomie mit der Entstehung der Souveränitätstheorie, der Invention des rationalen Naturrechts und der Rationalisierung der Lebenswelt

2.3.2.1 Der souveräne Staat und die Wirtschaft

2.3.2.2 Das rationale Naturrecht

2.3.2.3 Merkantilismus und Kameralismus

2.3.3 Der Physiokratismus und die Emanzipation der Ökonomie von der ständischen Ordnung

2.3.4 Die Entdeckung des Marktes und die »Klassik« der Nationalökonomie

2.3.4.1 Bernard Mandeville (1670-1733)

2.3.4.2 Adam Smith (1723-1790)

2.3.4.3 David Ricardo (1772-1823)

2.3.4.4 Thomas Robert Malthus (1766-1734)

2.3.4.5 Jean-Baptiste Say (1767-1832)

2.3.5 Erste philosophische Auseinandersetzungen mit der Ökonomie als Wissenschaft

2.3.5.1 Kant und die Fragen von Eigentum und Geld

2.3.5.2 Fichte und der geschlossene Handelsstaat

2.3.5.3 Hegel und die Verortung der Ökonomie in der bürgerlichen Gesellschaft

2.4 Wirtschaftsphilosophische Kontroversen im Zeitalter der sozialen Frage

2.4.1 Sozialisten, Kommunisten und die Entstehung der Sozialdemokratie

2.4.1.1 Owen, Fourier, Proudhon

2.4.1.2 Karl Marx und Friedrich Engels

 

2.4.1.3 Lassalle, Bebel und andere

2.4.2 Liberale und Utilitaristen

2.4.2.1 Von Bentham und Mill zum »Manchesterliberalismus«

2.4.2.2 Frédéric Bastiat

2.4.2.3 Hermann Schulze-Delitzsch, Friedrich List, Gustav Schmoller

2.4.2.4 Jevons, Walras, Pareto, Menger und die Entstehung der »Neoklassik«

2.5 Wirtschaftsphilosophie im Zeichen potenzierter Bedeutung der Ökonomie Im Zeichen potenzierter Bedeutung der Ökonomie

2.5.1 Grundlegende Ansätze und Debatten des 20. Jahrhunderts

2.5.1.1 Georg Simmel und die kulturphilosophische Perspektive auf die Wirtschaft

2.5.1.2 Max Weber und die Perspektive der Soziologie

2.5.1.3 John Maynard Keynes und der Keynesianismus als politisches Programm

2.5.1.4 Die Schule von Chicago bis zu Milton Friedman

2.5.1.5 Theorien der Wirtschaftsstufen, des Wirtschaftsstils und des Wirtschaftssystems

2.5.2 Theologische Interventionen

2.5.2.1 Entstehung, Entwicklung und Prinzipien der katholischen Soziallehre

2.5.2.2 Beiträge der evangelischen Wirtschaftsethik

3 Einblicke / Ausblicke in Sachen Wirtschaftsethik

3.1 Geschichte und Programm der Wirtschaftsethik

3.1.1 Wirtschaftsethik – Wirtschaftsrecht

3.1.2 Wirtschaftsethik im 20. Jahrhundert

3.1.2.1 Autoren und Ansätze

3.1.2.2 Arbeitsgebiete aktueller Wirtschaftsethik

3.2 Methodenfragen der Wirtschaftsethik: das Beispiel der »integrativen Wirtschaftsethik«

3.2.1 Zwei Modelle philosophischer Ethik

3.2.2 Aspekte der Konkurrenz von Autonomie und Integration in der Ethik – Kant und Hegel

3.2.3 Grundmodelle der Wirtschaftsethik und der Ansatz der »Integrativen Wirtschaftsethik«

3.2.3.1 Wirtschaftsethischer Dualismus

3.2.3.2 Wirtschaftsmonismus

3.2.3.3 Ulrichs »Vernunftethik des Wirtschaftens«

3.2.3.4 Koslowskis »Ethische Ökonomie«

3.3 Themen der Wirtschaftsethik: das Beispiel der »Öffentlichen Güter«

3.3.1 Was sind »öffentliche Güter«?

3.3.2 »Globale öffentliche Güter«

3.3.3 Zur Kontroverse um die »öffentlichen Güter«

3.3.4 Ökonomische und philosophische Perspektive

Weiterführende Literatur

Fußnoten

Kontakt zum Verlag

Vorwort

Sich auf das Thema Wirtschaft einzulassen, hat, wie man weiß, unter Philosophen derzeit Konjunktur. Die Perspektive ist dabei zumeist die ethische: und ist es nicht so, daß insbesondere die philosophische Ethik gefragt ist, wenn alle Welt zu erkennen glaubt, daß Wirtschaft »immer« in verdächtiger Nähe zu moralischem Versagen steht? Wird von ihren Akteuren nicht, offen oder klammheimlich, erneut der leidige Krieg aller gegen alle eröffnet? Und gehört es nicht darum schon zum Allgemeinwohlauftrag der Philosophie, hier im Kleinen wie im Großen Dinge in bessere Bahnen zu lenken, die nur allzu leicht im Stile auch ganz großer Krisen alle Regeln humaner Koexistenz über den Haufen zu werfen drohen?

Das vorliegende Buch ist, was den möglichen »praktischen« Nutzwert von philosophischer Wirtschaftsethik angeht, allerdings eher skeptisch. Daß die Sphäre der Ökonomie tatsächlich jemals »unter die Kontrolle« der Ethik gebracht werden könnte, darf bezweifelt werden. Im Arbeiten und Wirtschaften, im ökonomischen Gestalten des Menschen zeigt sich nämlich eine viel zu elementare und entsprechend robuste Lebensäußerung, als daß hier vom akademischen Rückzug auf die Warte des Nachdenkens über Normen allzu viel zu erwarten wäre. Nur ist das vielleicht noch gar kein Schade. Wichtiger scheint es zu sein, das Weltverhältnis, in das der Mensch wirtschaftend tritt, zunächst einmal seiner eigenen Logik nach zu verstehen – und in Relation zu den anderen Weltverhältnissen, die er einzunehmen vermag, zu sehen. Das Wirtschaften wird sich so leicht als ein eigener Sinnhorizont menschlicher Tätigkeit zeigen, der zwar nicht der einzige und beileibe auch nicht der höchste, dennoch aber ein, vor allem in bezug auf die kollektive Existenz des Menschen, durch nichts zu vertretender Realhorizont menschlichen Lebens ist: ein Realhorizont, der auf Geschichte, Kultur und Ethos, damit zumindest indirekt auch auf das Recht bezogen und in jedem Fall mit dessen Grundfrage – der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer objektiven, gegenständlichen Existenz des Freiheitswesens Mensch als eines solchen – verbunden ist. Von Ethik muß dabei die Rede zunächst gar nicht sein.

Die Zielsetzung dieses Buchs ergibt sich im übrigen aus der Erfahrung, daß unter Philosophen, insbesondere solchen in Ausbildung, in aller Regel weder extensive Kenntnisse zur ökonomischen Theoriebildung anzutreffen sind noch auch ein intensives Bewußtsein darüber, daß es »Wirtschaftsphilosophie« in der Geschichte der Philosophie seit Platon eigentlich immer gegeben hat – zumeist zwar nicht im Zentrum der philosophischen Wissenschaft, wohl aber oft mit doch kurzen Wegen zu diesem Zentrum und jedenfalls immer so, daß man stets auf überraschende Perspektiven auf die ökonomischen Realitäten gefaßt sein darf. Das Buch will daher vor allem zunächst informieren, damit dann zu eigener Begriffs- und Urteilsbildung anregen und in der Regel für eigene Positionen in Sachfragen nur zurückhaltend werben.

Mir bleibt an dieser Stelle, der Verlegerin, Frau Miriam Zöller, herzlich zu danken, die dieses Buch entscheidend mitangeregt und sein Entstehen unter auch turbulenten Umständen freundlich begleitet hat. Widmen möchte ich es dem Andenken Eberhard Dörings (1954-2005), der sich mit dem, was es bietet, wie auch mit dem, was ihm fehlt, mit gleicher Serenität wohl sogleich hätte anfreunden können.

Ukanc am Wocheiner See, im Sommer 2009

Thomas Sören Hoffmann

1 Was ist Wirtschaftsphilosophie und was kann sie leisten?

Einleitende Überlegungen – auch für Skeptiker

1.1 Wirtschaft philosophisch denken? Der theoretische Aspekt

1.1.1 Den Anfang unserer Überlegungen zum Verhältnis von Philosophie und Wirtschaft mag eine Begebenheit bilden, die Aristoteles von dem Mann berichtet, den man für gewöhnlich an den Beginn der abendländischen Philosophiegeschichte stellt. Thales von Milet, der zwischen etwa 625 und 547 v. Chr. in Kleinasien lebte – wo zu seinen Lebzeiten übrigens das Münzgeld eingeführt wurde –, Thales also wurde einmal »wegen seiner Armut die Nutzlosigkeit der Philosophie vorgehalten; darauf habe er aus sternkundiger Berechnung erschlossen, daß eine große Olivenernte bevorstehe; er habe noch im Winter, da er gerade über bescheidene Mittel verfügte, für sämtliche Ölpressen in Milet und auf Chios Anzahlungen hinterlegt und sie für einen geringen Betrag gemietet, da niemand ein höheres Angebot machte. Als aber die Ernte kam und zur gleichen Zeit und plötzlich viele Ölpressen gesucht wurden, habe er sie nach Bedingungen, wie sie ihm gefielen, vermietet; er habe viel Geld gewonnen und bewiesen, daß es den Philosophen leicht ist, reich zu werden, wenn sie wirklich wollen – jedoch sei es dies nicht, worauf sie ihr Bestreben richten«1. Die Anekdote, mit der Aristoteles nicht zuletzt auch die Entdeckung der Vorteile des Monopols dem Philosophen beilegt, verweist darauf, daß der Philosoph zumindest dann, wenn er will, aus den Kreisen des Wirtschaftslebens nicht einfach ausgeschlossen ist, ja daß er in diesen Kreisen sogar ganz überraschende Einsichten zu gewinnen vermag. Trotzdem scheint »Wirtschaftsphilosophie« nicht gerade das zu sein, worum es den Philosophen meistens geht und womit sie ihren eigentlichen Anliegen wirklich gerecht werden. In der Tat ist »Wirtschaftsphilosophie« so denn auch eine vergleichsweise junge Disziplin – zumindest im deutschen Sprachraum. Während vergleichbare, insbesondere französische, Werktitel schon im 19. Jahrhundert zu finden sind2, wurde im Deutschen der Terminus erstmals von dem Juristen und Rechtsphilosophen Fritz Berolzheimer (1869-1920) mit seinem Hauptwerk System der Rechts- und Wirtschaftsphilosophie in Anspruch genommen3. Berolzheimer gehörte einem hegelianisch inspirierten kulturphilosophischen Ambiente an, das die dramatische Zäsur des Ersten Weltkriegs nur bedingt überlebt hat. Insofern wundert es nicht, daß sein Programm trotz der Tatsache, daß von »Wirtschaftsphilosophie« fortan in Buch-, Zeitschriften- und anderen Titeln immer wieder die Rede war, noch nicht bedeutete, daß sich die Philosophie das Thema »Wirtschaft« sogleich und vorbehaltlos zu eigen gemacht hätte. Von einer grundlegenden Wende in diese Richtung kann vielmehr, wie wir noch sehen werden, erst mit der kontinentalen Rezeption der zunächst vorwiegend amerikanischen »business ethics« in den 70er und vor allem den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Rede sein4. Bis dahin blieben – trotz des Beispiels des Thales – Denkstile herrschend, die zutiefst von einem Bewußtsein einer scheinbar unüberwindlichen Sphärendifferenz zwischen Philosophie und Ökonomie bestimmt waren. Geist und Geld – reimt sich denn das, und ist es nicht in jedem Fall eine Mesalliance? Wer hätte es wagen wollen, sagen wir: einen Martin Heidegger bezüglich der ontischen Niederungen eines »Systems der Bedürfnisse« um Auskunft zu bitten? Und hatte nicht Platon bereits gelehrt, daß der Philosoph zwar über die Höhen des Himmels und auch die Tiefen der Erde Rechenschaft zu geben vermag, dabei zugleich aber »den Weg auf den Markt und zum Gerichtshaus nicht kennt«?5

1.1.2 Allerdings zeigt schon ein zweiter Blick, daß die Dinge schon deshalb so einfach nicht liegen, weil, wenngleich unter anderen Namen, die Themen der »Wirtschaftsphilosophie« viel tiefer in der Geschichte und auch im Denken der Philosophie wurzeln, als der prima-facie-Eindruck wahrhaben kann. Der gleiche Platon, der die Konzentration auf die Erkenntnis des Ewigen und die eigene Vervollkommnung empfahl, erweist sich bei näherem Zusehen als der erste systematisch verfahrende Vertreter einer »politischen Ökonomie«, die gerade aus der Distanz zu Handel und Wandel heraus die Gesetze und Rahmenbedingungen des Wirtschaftens in einem nach Gerechtigkeitsprinzipien eingerichteten Staat zu denken versucht – Platons Nomoi sind gerade in dieser Hinsicht das faszinierende Dokument einer ersten Annäherung an die Probleme des Eigentums, der Produktion und des Warentauschs, des Innen- und Außenhandels, die im Zeichen eines rationalen Kalküls steht. Es geht hier darum, Handel und Wandel jedenfalls nicht als Schicksal nur hinzunehmen, sondern verstehen und evaluieren zu können. Platons Schüler Aristoteles hat dann das gleiche Thema seinerseits aufgegriffen und unter anderem klar gemacht, daß die Ökonomie (deren Namen wir wesentlich ihm verdanken) im Rahmen einer Lehre vom Menschen als »politischem Lebewesen« (z˛øıon politikón) zu begründen sei. Ihr Ansatzpunkt ist die Nicht-Autarkie des einzelnen Menschen, die ihn auf Formen der Gemeinschaftsexistenz verweist, in denen jeweils auch die Gemeinwohlfrage zu stellen ist – ein Aspekt, der nach Aristoteles etwa die Verselbständigung eines »Finanzmarktes« verbietet, der sich von den realen Bedürfnissen aufeinander angewiesener Menschen abkoppelt und eben deshalb auch von jedem Gemeinwohlgedanken losgelöst hat. Auch wenn aus heutiger Sicht die antiken ökonomischen Strukturen, vor deren Hintergrund Aristoteles schreibt, als »unterkomplex« zu gelten haben, hat der Stagirite hier doch – für das ökonomische Denken vieler Jahrhunderte prägend – elementare Markierungen vorgenommen, an die wir uns zwanglos, auch im Zeichen aktueller Finanzmarktkrisen, erinnert fühlen können.

 

1.1.3 Platon und Aristoteles stehen beispielhaft für eine philosophische Denklinie, in der es aus ganz verschiedenen Perspektiven um eine prägnante, tiefenscharfe Erfassung der ökonomischen Sphäre ging. In bestimmtem Sinne hat in dieser Linie die Philosophie auch die Ökonomie allererst aus sich herausgesetzt – ähnlich, wie es in den Relationen Naturphilosophie → Naturwissenschaften, politische Philosophie → politische Wissenschaften (und anderen Fällen) gilt. Die Ökonomie hat dabei der Philosophie nicht nur Leitgesichtspunkte ihrer Fragestellungen und kategoriale Mittel entnommen. Sie verdankt ihr z. B. auch jenen »regulativen Optimismus«, dessen es in jedem Fall bedarf, wenn man ein scheinbar so opakes, ja irrationalitätsanfälliges Phänomen wie »den Markt«, einen so komplexen »Apparat« wie den der Bewirtschaftung einer entwickelten Industriegesellschaft rational zu erschließen versucht. Man wird – auch historisch – die These vertreten können, daß die moderne Ökonomie in ihrem letzten Antrieb vielleicht mehr am neuzeitlichen Rationalismus und etwa an dem großen Prinzip des »zureichenden Grundes« bei Leibniz partizipiert als der »Geist des Kapitalismus« es nach einer bekannten These des großen Soziologen Max Weber an calvinistischen Glaubenssätzen tut6. Die moderne Ökonomie ist ohne die Entdeckerfreude einer »beobachtenden Vernunft« (Hegel), die sich selbst überall in der Empirie am Werke findet, nicht zu denken, und gerade die großen scheinbaren Paradoxien, die den ökonomischen Theoremen der Konvertibilität von Eigen- und Gemeinnutz oder der vernünftigen Lenkung des Marktgeschehens durch eine unmittelbar »unsichtbare Hand« zugrunde liegen, setzen dieses Vertrauen der Vernunft in sich selbst, in ihr allgegenwärtiges Wirken voraus. Genau an diesem Punkt ist dann das Interesse der Philosophie an den Theoriebildungen der Ökonomie erwacht – von Fichte und Hegel an auf dem Kontinent, bei Bentham und Mill auf den britischen Inseln. »Wirtschaftsphilosophie«, die jetzt explizit Philosophie der ökonomischen Lebenswelt und des ökonomischen Denkens ist, etabliert sich zuletzt im Zeichen eines konkret zu buchstabierenden Rationalitätsversprechens, das die Philosophie seit Descartes als sich als solche begreifende Vernunftwissenschaft abgegeben hat. Daß dies mit einer Apologetik in bezug auf die jeweils realen Verhältnisse nichts zu tun hat, liegt immer dann auf der Hand, wenn man sich der Tatsache bewußt ist, daß die Gewißheit der Möglichkeit einer rationalen Dechiffrierung der menschlichen Lebenswelt die unabdingbare Prämisse ihrer rationalen Veränderung ist – bei aller konkreten Problematik ist gerade dies schon die Botschaft der Wirtschaftsphilosophie Fichtes, und auch bei Hegels (normativer) Fixierung der Insuffizienzen der bürgerlichen Gesellschaft liegen die Dinge nicht anders. »Wirtschaftsphilosophie« wird sich so auch auf den folgenden Seiten nicht einfach als passives Nach-Denken ökonomischer Realitäten verstehen. Aber sie wird bei dem Bewußtsein ansetzen, daß das Wirtschaftsgeschehen wie auch die ökonomische Theoriebildung nicht einfach der Vernunft verschlossen, sondern ihr durchaus zugänglich sind. Philosophie muß den Realitätskontakt nicht scheuen – auch Platon hatte, als er den philosophischen Lebensweg nicht »den Markt« kreuzen ließ, nicht die Weltflucht als Programm im Auge, sondern den Hinweis, daß die einfache Unmittelbarkeit der Involviertheit in Welt jedenfalls noch keine hinreichende Bedingung der Erkenntnis von Welt ist. Wir erinnern uns, daß nach Platons berühmtem Gleichnis der Philosoph, der die Höhle verlassen und zur Erkenntnis des wahrhaft Guten und der Wahrheit gelangt ist, doch auch wieder in die Höhle zurückkehren soll und wird, um dort »praktisch-aufklärerisch« zu wirken7. Auch, wenn Wirtschaftsphilosophie heute gut daran tut, nicht mit dem Anspruch aufzutreten, platonische »Philosophenkönige« auszubilden, die die Dinge schon richten werden, tut sie doch ebenfalls gut daran, sich mit dem guten Gewissen der Vernunftwissenschaft auszustatten, deren Stimme im Kontext der Erkenntnisbemühungen um unsere wirkliche Lebenswelt niemals die unerheblichste ist.