Revolution 1776 - Krieg in den Kolonien 5.

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Revolution 1776 - Krieg in den Kolonien 5.
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Thomas Ostwald

Revolution 1776 – Krieg in den Kolonien

Band 5 – Tod den Loyalisten!

Edition Corsar

Alle Rechte vorbehalten. Überarbeitete und ergänzte Ausgabe des

Romans „Auf unsers Carls Befehl“

© Edition Corsar Dagmar und Thomas Ostwald 2021 Braunschweig

1.

Während des Frühstücks rutschte John auf dem groben Holzstuhl unruhig hin und her. Es ging ihm wieder einmal viel zu langsam, aber sein Vater beachtete ihn nicht, reichte wortlos die Holzschale noch einmal seiner Frau und ließ sie sich erneut aus dem Kessel mit dem dicken Stew füllen. Langsam, fast bedächtig, mahlten seine kräftigen Kiefer, ein gehäufter Löffel wartete bereits in der sehnigen Hand, um gleich darauf dem anderen zu folgen. Während des Frühstücks fiel kein Wort, und Andrew Miller, Farmer am Richelieu River, konnte sich nicht erinnern, dass es jemals anders gewesen war.

Auch, als er noch Knecht auf dem Hof seines Bruders war, gab es für ihn nichts Wichtigeres, als ein ausreichendes, sättigendes Frühstück. Der heutige Tag würde nach dem gleichen Muster wie alle Tage ablaufen.

Mit dem ersten Sonnenstrahl hatten die beiden Erwachsenen ihr einfaches Lager verlassen, und während Andrew mit einer kleinen Axt das Holz spaltete, holte Ellen Wasser, hing den Kessel über die Feuerstelle und bereitete das Frühstück zu.

Auch John hatte seine festen Aufgaben. Während seine Eltern die Vorbereitungen für das Frühstück trafen, das die Grundlage für einen langen Arbeitstag bildete, deckte er den aus einfachen, gehobelten Brettern zusammengefügten Tisch. Jeder erhielt einen Tonbecher und die Holzschale mit dem Löffel an seinen Platz. Dann ging John mit einem kleinen Eimer vor das Blockhaus, um die Ziege zu melken. Sie wurde nachts in unmittelbarer Nähe des Hauses angepflockt und erst nach dem Melken freigelassen, damit sie sich ihr Futter selbst suchen konnte.

Es war ein gutmütiges Tier, das John in sein Herz geschlossen hatte. Auf dem Weg zu ihrem Schlafplatz hatte er im Vorbeigehen ein paar frische Grasbüschel gezupft, die er ihr anbot, bevor er sich zum Melken bereit machte. Dann bekam Beargrease, der große, schwarze Jagdhund, sein Futter. Er schlief nur im Winter im Haus und hatte seinen Platz sonst in der Scheune. Der Hund war ein verlässlicher Gefährte, der jeden Fremden schon von weitem vermeldete und jedes Raubwild von der Farm fern hielt.

John hatte auch an diesem Morgen seine Aufgaben wie immer schnell und gleichmütig ausgeführt, aber voller Unruhe warf er immer wieder einen Blick zur großen Scheune.

Sein Vater hatte natürlich längst gemerkt, dass John am liebsten auf das Frühstück verzichtet hätte, nur, um wieder hinauszulaufen. Er kratzte den letzten Rest Eintopf aus seiner Schüssel, schob sie von sich, nahm einen kräftigen Schluck aus dem Becher und lachte zu seinem Sohn hinüber.

„Na, John, ist es so weit bei Blacky?“

„Ja, Vater, da bin ich mir ganz sicher! Sie haben gestern ganz doll gestrampelt, ich konnte es richtig sehen!“

„Na los, dann ab mit dir, und schau nach, ob alles in Ordnung ist!“

„Danke, Daddy!“, rief ein glücklicher John, sprang auf und flitzte um den Tisch, als ihn der Arm seiner Mutter stoppte.

„Moment, junger Mann, nicht so stürmisch! Du versprichst mir, nicht wieder den ganzen Tag bei der Katze in der Scheune zu verbringen! Denk an deinen Auftrag!“

John warf einen raschen Blick in das sonnengebräunte Gesicht seiner Mutter, dann nickte er.

„Versprochen, Mum, wenn ihr vom Feld zurück seid, ist kein Unkraut mehr in deinem Garten!“

„Das will ich hoffen, John. Und dann könntest du auch zur Salzlecke gehen und nach den Kühen sehen!“

„Mach ich auch, Mum!“ John hätte in diesem Augenblick alles versprochen, wenn er nur endlich zu seiner Katze durfte, die ganz sicher ihre Jungen bekommen hatte. Ein kritischer Blick in das Gesicht des Achtjährigen, dann drückte ihn Ellen an sich und gab ihm einen Kuss auf das strohblonde Haar.

„Pass auf dich auf, John!“, sagte sie halblaut, aber da war der Junge schon aus der Hütte und lief hinüber zur Scheune. Als er wenig später glücklich auf dem Heuboden lag und die tapsigen, blinden Kätzchen beobachtete, die von ihrer Mutter abgeleckt wurden, fiel sein Blick aus der Fensteröffnung. Er sah seine Eltern, die wie jeden Morgen auf das etwas abseits liegende Feld zu ihrer mühseligen Arbeit zogen. Sie gingen am nahezu abgeerntetem Maisfeld, das bis an das Haus reichte, entlang zum fernen Waldrand.

John sah, dass sein Vater die große, doppelseitig geschliffene Axt über der Schulter trug. In der Hand hielt er die langläufige Büchse, zusammen mit Pulverhorn und Kugeltasche, ohne die er nie für längere Zeit das Anwesen verließ. Seine Mutter trug eine kleinere Axt, mit der sie bestens umgehen konnte und ihrem Mann nach dem Fällen der Bäume beim Abschlagen der Äste zur Hand ging.

John sah ihnen träumerisch nach, bis sie hinter einem sanften Hügel beim Wald verschwanden. Obwohl es schon Herbst war und ein kühler Morgen, versprach die aufgehende Sonne einen schönen Tag. Vom nahen Wald her leuchteten schon die rot verfärbten Ahornblätter, und der Herbst, den sie Indian Summer nannten, war bislang noch weitgehend trocken geblieben und ließ die Feldarbeit bis zum Einbruch der Dunkelheit zu.

Längst war die Ernte eingebracht, und die Mutter hatte beim schlechten Licht der mit Tierfett getränkten Lampen oft noch bis spät in die Nacht die Vorräte in große Tonkrüge eingelegt und für den langen Winter vorbereitet.

Andrew hatte sofort nach der Maisernte damit begonnen, ein neues Feld vorzubereiten, das dann im Frühjahr für die neue Aussaat bereit sein musste. Dazu fällte er zahlreiche Bäume so dicht wie möglich über der Erde, während die Stümpfe im Boden verlieben. Waren die Stämme zu dick, schnitt er sie an und ließ die Bäume absterben. Lange Jahre würde er mit dem Pflug den Hindernissen ausweichen müssen, aber das war egal – nur so war es den Ansiedlern mit den kleinen Farmen möglich, neuen Boden zu gewinnen.

Bei einem Klötzerollfest kamen dann die Nachbarn zusammen, um gemeinsam die gefällten Baumstämme an den Feldrand zu rücken. Das war zugleich ein großes, gesellschaftliches Ereignis in der Einsamkeit der weit auseinander liegenden Farmen, und manche Familie nahm dafür sogar mehrere Tagesritte in Kauf. Man traf sich, tauschte Klatsch und Tratsch aus, kochte und aß gemeinsam, und oft entstanden dabei durch viele geschickte Frauenhände bunte Flickendecken, die dann noch durch die besten von ihnen ein besonderes Ornamentmuster aufgenäht erhielten.

Auch Ellen liebte diese gemeinsamen Arbeiten, und ihre Quiltapplikationen fanden überall Anerkennung. Es kam sogar vor, dass Nachbarn sie baten, eine schon fertige Decke mit einem besonderen Muster zu versehen, und die gutmütige Frau saß dann oft an den langen Winterabenden bei dem schlechten, blackernden Licht, das in den flachen Schalen mit ein paar Dochten brannte, und erhielt dafür im Frühjahr einen angemessenen Gegenwert, den auch Andrew durchaus schätzte.

Ihr muntere Hühnerschar und sogar die Ziege hatten sie in den letzten beiden Jahren auf diesem Weg erhalten.

John lag auf dem Bauch im Stroh und sah träge aus der Luke zum Waldrand hinüber, wo er seine Eltern bei der Tagesarbeit wusste. Dann erinnerte er sich an seine Pflichten, warf noch einmal einen Blick auf die Katzenschar und wollte gerade an dem Balken herunterklettern, als er etwas am Waldrand bemerkte. Für einen Augenblick schien es ihm, als hätte er dort eine menschliche Gestalt gesehen, die gleich darauf wieder verschwunden war.

Seine Eltern konnten das nicht sein, sie waren erst ein paar Stunden weg.

Sollte er sich getäuscht haben?

Gerade richtete sich John erneut auf, als er wieder eine Bewegung am Waldrand bemerkte. Jetzt bestand kein Zweifel mehr, dort kamen Menschen!

Unwillkürlich duckte sich der Junge und beobachtete den Waldrand aufmerksam.

Es war nun klar erkennbar, dass dort zwei Menschen langsam aus dem Wald kamen, sich vorsichtig umsahen, ein paar Schritte weitergingen, dann sich in das hohe Gras hockten und warteten.

Johns erster Gedanke galt den Indianern, die vor einiger Zeit noch häufiger in dieser Gegend unterwegs waren. Er überlegte, ob er die Vogelflinte holen sollte, mit der er schon gut schießen konnte. Sein Vater hatte sie ihm zu seinem sechsten Geburtstag geschenkt, und seitdem hatte sich John als hervorragender Schütze erwiesen.

So manches vorwitzige Eichhörnchen war seiner Treffsicherheit zum Opfer gefallen, und stolz präsentierte er immer seine Jagdbeute der Mutter, die sie dann als willkommene Bereicherung dem täglichen Eintopf hinzufügte.

Auch Andrew war begeistert von dem jungen Jäger, denn die tägliche Arbeit ließ ihm zur Jagd selbst zu wenig Zeit, und am Sonntag duldete es seine Frau nicht.

John erkannte grüne Jacken mit flammend roten Aufschlägen bei den Männern, dazu schwarze Dreispitze.

Soldaten!

Hatte der Vater nicht oft davon gesprochen, dass Krieg im ganzen Land herrschte?

Jetzt kam er auch zu ihnen, und John hatte keine Ahnung, was diese Soldaten hier wollten. Kaum hatten sich die beiden Männer wieder erhoben, wurde es am Waldrand lebendig. Eine ganze Schar folgte den beiden genauso vorsichtig nach. Sie kamen auf ihr Haus zu, kein Zweifel.

Im nächsten Augenblick hatte John seine Füße auf den eingekerbten Leiterbalken gesetzt, war herunter und gleich darauf im Haupthaus, wo er die Flinte aus seiner Schlafecke zog und nach dem Kugelbeutel griff. Ein schneller, geübter Blick auf die Pfanne zeigte ihm, dass die Waffe, wie immer, bereit war.

 

John warf sich den Riemen des kleinen, hübsch verzierten Horns mit dem Pulver über und war gleich darauf mit Flinte und Kugelbeutel wieder vor dem Haus. Beargrease, der im Schatten lag, bemerkte die Waffe und kam fröhlich bellend herbeigesprungen. Zu gern begleitete er den Jungen, wenn es auf die Jagd in den Wald ging.

„Nein, Beargrease, aus! Sitz!“

Der verwunderte Hund gehorchte zwar augenblicklich, aber John sah ihm an, dass er die Welt nicht mehr verstand. Er beugte sich über den Kopf des großen Hundes und raunte ihm zu: „Hol Daddy, schnell! Lauf zu Daddy, schnell!“

Dazu schob er ihn an der abgelegenen Ecke des Maisfeldes in Richtung Waldrand. Dort würden ihn die Männer nicht so schnell entdecken. Beargrease warf noch einen prüfenden Blick auf den Jungen, und als der mit ausholendem Arm zum Waldrand wies, lief der Hund los. Wie eine schwarze Furie jagte er am Maisfeld entlang in die Richtung, in der er seinen Herrn wusste.

Nur einen Augenblick später war John wieder auf seinem Posten.

Er duckte sich tief in das Stroh und beobachtete über die Öffnung auf dem Heuboden die Männer, die sich noch immer behutsam, in gebückter Haltung und in einer weit auseinander gezogenen Linie dem Blockhaus näherten.

John hörte keinen Laut.

Die Soldaten hatten in kurzer Zeit den freien Platz vor dem Haus erreicht und verharrten mit schussbereiten Gewehren, ob ihre Ankunft vom Haus bemerkt wurde. Das Hundegebell hatten sie natürlich vernommen und rechneten damit, dass sich die Besitzer zeigen würden.

John staunte über das Aussehen der Männer.

Noch nie hatte er solche Uniformen gesehen, und auch die kurzen Gewehre, die schussbereit im Anschlag lagen, waren ihm fremd. Als vor Monaten eine Gruppe Milizionäre auf der Farm rastete, hatte er bei den schlecht ausgerüsteten Männern, von denen viele noch nicht einmal Schuhe trugen, nur die üblichen, langen Musketen gesehen.

Sein Vater hielt nichts von den Soldaten, für ihn war es eine Bande zerlumpter Revolutionäre. Das hatte er aber erst zu seiner Mutter gesagt, als der letzte von ihnen wieder hinter dem Waldrand verschwunden war. Andrew hatte ihnen finster nachgestarrt und die Faust geballt.

Ohne ein weiteres Wort zu seiner Familie stampfte er dann in das Haus und setzte sich auf seinen Platz. John beobachtete das finstere Gesicht seines Vaters, wagte aber nicht, ihn auf die Soldaten anzusprechen, und am nächsten Tag war diese Begegnung schon fast wieder vergessen.

Vom Krieg hatten sie seitdem nichts mehr gehört, ihre Farm lag abseits der Handelsstraße, die im Süden nach Albany führte und im Norden zum Lake Champlain. Andrew Miller hatte sich ganz bewusst mit seiner Frau in die Einsamkeit am Richelieu River ein Grundstück ausgesucht, fernab von seinen einstigen Reisegefährten aus Deutschland, die lieber in der Umgebung der Stadt New York siedeln wollten.

Ellen war die Entscheidung schwergefallen, sie wäre lieber in der Nähe der anderen Auswanderer geblieben, die mehr Sicherheit für sie versprach.

Aber Andrew wich von seinem einmal gefassten Plan nicht ab.

Schon gleich nach ihrer Ankunft hatte er von einem durchziehenden Pelzhändler erfahren, wie fruchtbar diese Gegend war und wie wenige Siedler sich dort erst niedergelassen hatten. Hier konnte jeder Arbeitswillige so viel Land für sich nehmen,

wie er nur wollte.

„Steck‘ einen Halm in die Erde, und er wächst sofort an, wirf ein Maiskorn aus, und du kannst schon bald eine Ernte einfahren!“, hatte ihm der Mann versichert, der diese Gegend seit vielen Jahren kannte. „Und sicher ist es dort auch, die Indianerdörfer sind weit entfernt, und sie lassen seit dem Großen Krieg die Siedler in Ruhe. Wenn die Franzosen sie nicht aufhetzen, können sie richtig gute Handelspartner sein!“

Der Pelzhändler lachte und strich über einen Stapel Biberfelle, die sich auf dem Tresen des Trading Post stapelten, in dem sie sich getroffen hatten.

Andrew hatte dort die Äxte und Saatgut gekauft, bevor sie nur mit einem kleinen Handkarren, auf dem ihre wenigen Habseligkeiten aus Deutschland lagen, den beschwerlichen Fußweg in die Wildnis auf sich nahmen.

Zu Ellens Erleichterung fanden sich noch einige andere, die mit ihnen am Richelieur River entlang zogen. Es war ein kleiner, bunter Treck mit Menschen aller Nationen, darunter zahlreiche Deutsche, die sich auf dem Sammelplatz vor der Stadt einfanden.

Ein paar Neusiedler führten sogar Vieh mit sich, ein paar Kühe, die die lange Seereise überstanden hatten, einige Hühner, sogar Ziegen und Schweine wurden mitgetrieben.

John hörte gern die Geschichten, die ihm seine Mutter manchmal vor dem Einschlagen von ihrer langen Wanderung erzählte, wie sie schließlich ihren Platz gefunden hatten. Der Vater hatte ihn gründlich untersucht und dann für geeignet erklärt. Es gab eine kleine Quelle, und bald darauf war die erste, notdürftige Unterkunft errichtet. Sie bestand zunächst aus dem umgedrehten Handkarren, dicken Zweigen und etwas Leinwandtuch.

Als wichtigste Arbeit musste vor allen anderen Dingen der Boden aufgerissen werden, die Saat ausgebracht, und dann erst konnte man mit dem Bau eines festen Hauses beginnen.

John war fasziniert von diesem Beginn seiner Eltern und konnte sich kaum vorstellen, wie sie im ersten Jahr gelebt hatten. So lange er sich erinnern konnte, gab es das Haus, das immer vor Beginn des ersten Schneefalls noch verbessert wurde. In diesem Herbst sollte Andrew noch ein Zimmer anbauen, denn schließlich konnten die drei Personen nicht immer in einem Raum kochen, schlafen und wohnen.

Als er Ellen seine Pläne erläuterte, zwinkerte er John zu.

„Ein junger Mann braucht auch sein eigenes Reich!“, fügte er hinzu.

John war glücklich bei dem Gedanken, ein eigenes Zimmer zu erhalten. Warum er nicht das ohnehin schmale Brett mit der grasgestopften Matratze mit anderen Geschwistern wie bei den Nachbarn üblich, teilen musste, wusste er nicht – aber er vermisste auch niemand, wenn er tagsüber allein im Haus war.

Die wenigen Pflichten, die er übernehmen musste, ließen ihm genug Zeit, um mit der Flinte, begleitet vom treuen Beargrease, durch den Wald zu streifen, die Tiere zu beobachten oder ganz einfach auf der Wiese auf dem Rücken zu liegen und den vorbeiziehenden Wolken nachzusehen.

In diesen Tagen konnte er Schwärme von Wildgänsen beobachten, die über ihn hinwegzogen und dabei laut schnatterten. Seit seinem sechsten Geburtstag blieb er meistens allein und hütete mit der Vogelflinte das Haus. Nie war es zu Zwischenfällen gekommen, und nach langem Zögern hatte Ellen ihren Widerstand aufgegeben und eingesehen, dass sich der Junge auf dem Hof nützlich machen konnte.

„Mum, ich bin doch schon groß und außerdem passt Beargrease auf mich auf!“, war Johns stete Antwort, wenn seine Mutter ihn wieder einmal ermahnte, vorsichtig zu sein.

Es waren mindestens zweimal zehn Männer, die jetzt vor dem Haus standen, überlegte John. Er hatte mit Hilfe der Finger zählen gelernt und konnte auch etwas schreiben und lesen, dafür hatte Ellen gesorgt. Andrew schwieg, wenn Mutter und Sohn an einem Winterabend Schreibübungen machten. Dazu hatte der Junge nur ein Stück Holzkohle und etwas glatte Rinde zur Verfügung, aber das musste genügen.

Andrew sah keinen Sinn darin, dass ein Farmerjunge lesen, rechnen und schreiben konnte, aber er sagte auch nichts gegen die ohnehin seltenen Schulstunden. Er kippte dann seinen Stuhl gegen die raue Holzwand, zog gemütlich an seiner Maiskolbenpfeife und hielt die Augen geschlossen, während Ellen mühsam Buchstaben für Buchstaben vormalte, und John sie mit schiefem Kopf und einer hin- und her huschenden Zungenspitze nachmalte.

John schreckte hoch, als er die Männer plötzlich so dicht unter seinem Versteck sprechen hörte. Er hörte sie deutlich, verstand aber ihre Worte nicht, und das verwirrte ihn noch mehr. Ganz langsam hob er seinen Kopf, so dass er gerade den Hofplatz bis zum Maisfeld überblicken konnte.

Die Männer hatten einen Blick in das Haus geworfen und setzten sich jetzt einfach auf den Boden. Zwei von ihnen standen aber weiterhin mit den kurzen Gewehren im Arm und überblickten die Ebene bis zum Wald.

In diesem Augenblick fuhr einer der Männer blitzschnell herum und stieß einen Warnruf aus.

„Achtung, Sarge – Schütze in der Scheune!“

Mit diesem Ausruf hatte er schon den Hahn seiner Waffe gespannt und richtete sie in die Höhe. Fast gleichzeitig hatten auch die anderen ihre Waffen in der Hand.

John durchzuckte ein eisiger Schreck.

Er hatte zwar die Worte wieder nicht verstanden, wusste aber sofort, dass man ihn entdeckt hatte. Noch fester presste er die Flinte an sich und wagte nicht, über den Lukenausschnitt zu spähen. In diesem kritischen Moment hörte er, wie einer der Soldaten lachte.

„In Ordnung, komm herunter, mein Junge, wir tun dir nichts!“, rief einer der Soldaten in seine Richtung.

John schmiegte sich dicht an die Bretter des Heubodens.

Was wollten diese Kerle bloß hier?

Sollte er sich ergeben?

Welche Chancen hatte er mit seiner leichten Flinte und dem einen Schuss gegen diese Soldaten? John zauderte noch, als er die Stimme erneut hörte.

„Okay, boy, come downstairs!“

Die Worte wurden in merkwürdigem Tonfall gerufen, aber John verstand, was man von ihm wollte. Zögernd hob er den Kopf und sah in das lachende, vom Wetter gebräunte Gesicht des Soldaten, der jetzt unmittelbar unter ihm am Leiterbalken stand.

„Come here, we are friends!“, rief der Mann mit der seltsamen Aussprache.

Zur Bekräftigung seiner Worte hing er das kurze Gewehr mit einem Schwung über die Schulter und zeigte ihm die offenen Handflächen. Auch die anderen Soldaten entspannten sich, blieben aber noch misstrauisch mit den Waffen in der Hand stehen.

„Wie viele Personen, Oberjäger?“

„Nur ein kleiner Junge mit einer Flinte, Sarge!“, kam die Antwort von dem Mann vor der Scheune. „Ich habe ihn gesehen, als er die Flinte zurückzog. Okay, boy, come to us! Come here, we are friends!“, wandte er sich erneut an John.

John seufzte tief auf, dann erhob er sich langsam, hing sich die Flinte über die Schulter und kletterte in den Hof hinab.

„Hey, I am Frederik!“, begrüßte ihn der Mann.

Er streckte ihm fröhlich lachend eine kräftige Hand entgegen, die John nur zögernd ergriff. Ein Blick in die großen, hellblauen Augen des Soldaten gaben ihm das Gefühl, dass er keine Gefahr befürchten musste. Der Mann schien es ehrlich zu meinen.

„Hey, sei bloß vorsichtig mit dem kleinen Rebellen!“, rief einer der anderen Männer, und gleich darauf erfüllte kräftiges Lachen die Luft. Die Soldaten setzten sich erleichtert wieder auf den Boden vor der Scheune und sahen John neugierig entgegen.

Der Junge stand verlegen vor den Fremden, musterte sie der Reihe nach und konnte sich an ihrem Anblick kaum satt sehen. Die Männer sahen wild und kriegerisch aus. Trotz der Uniformen, die verschmutzt wirkten und sogar Löcher aufwiesen, erinnerten sie ihn weniger an Soldaten. Sie wirkten auf John fast wie die Pelzjäger, die zu den seltenen Gästen auf ihrer Farm gehörten.

„Hör mal, wir sind Soldaten des Königs und unterwegs nach … Ach so, du verstehst mich ja nicht!“, unterbrach sich der Soldat, der John entdeckt hatte. „Hm – wie mache ich dir das klar – also – something to eat? And something to drink for us?“

Er begleitete sein holpriges Englisch mit entsprechenden Gesten, und John verstand sofort, was die Männer von ihm wollten. Aber noch stand er wie gebannt und musterte kritisch ihre Gesichter. Einige der Männer trugen sogar Bärte, aber alle

hatten ihre Haare ordentlich zu einem Zopf geflochten.

Als sein Blick über die Gesichter huschte, zuckte er plötzlich zusammen. Der Soldat, der ihn jetzt anlächelte – das war doch … kein Zweifel, eine Frau! Erst jetzt sah John auch, dass sie zu einem grünen Uniformrock in der gleichen Farbe wie die Soldaten einen bodenlangen Rock trug.

Wie war das möglich?

Wurden denn jetzt schon Frauen Soldaten?

Als er noch unschlüssig stehen blieb, bot ihm die Soldatenfrau ihre Hand. Zögernd griff John zu. Als er in das noch immer lächelnde Gesicht sah, fühlte er sich sicher. Diese Frau hatte nichts Böses vor, und die Soldaten sahen auch nicht danach aus, als würden sie im nächsten Moment das Haus niederbrennen.

„Zeigst du mir eure Feuerstelle?“, sprach ihn die Frau an, und John erkannte an ihrer Bewegung, dass sie in das Haus wollte. Als sie in der Tür standen und die Frau auf den Kessel deutete, nickte er bloß.

 

Was sollte er auch sonst tun?

Noch immer umklammerte seine Hand die Flinte, aber jetzt schien niemand mehr Notiz von ihm zu nehmen. Die Soldaten richteten sich vor dem Haus ein, während einige von ihnen sich am Holzvorrat neben dem Blockhaus bedienten, große Scheite heranholten und mit der Axt spalteten. Alle unterstützten die Frau bei ihren Kochvorbereitungen. Als das Wasser im Kessel zu brodeln begann, drehte sich die Frau wieder zu John um, der sich vor die Tür des Hauses gehockt hatte.

„Some – beans?“, fragte sie ihn.

John musste sich zusammenreißen, um nicht laut herauszuprusten. Er hatte mehr erraten als verstanden, was die Soldatenfrau von ihm wollte, und deutete auf einen großen Leinensack, der von einem Balken herunterhing. Die Frau bedankte sich mit einem Lächeln, und John nickte ihr zu.

„Bohnen!“, sagte John stolz. Es war, als hätte sich ein innerer Knoten bei ihm gelöst.

Die Frau sah ihn verblüfft an.

„Du sprichst deutsch? Wunderbar, woher kommst du? Ich bin Anna, und die Männer…“

An Johns Miene erkannte sie, dass sie viel zu schnell sprach und der Junge sie nicht verstand. Sie deutete auf sich und sagte langsam: „Mein Name ist Anna. Wie heißt du?“

„John – my name – Name ist – John!“

„John! Ein schöner Name! Wo sind deine Eltern, John?“

Die Frage brachte den Jungen erneut in Verlegenheit.

Sollte er ihnen sagen, dass er seinen treuen Hund losgejagt hatte, um die beiden zu holen? Besser nicht. Aber sein kurzer Blick zum Waldrand hatte schon genügt.

„Ich verstehe“, sagte die Soldatenfrau. „Sie sind bestimmt auf dem Feld. Mach‘ dir keine Sorgen, wir wollen nur etwas essen, uns ausruhen, dann ziehen wir weiter.“

Sie bereitete ebenfalls einen Stew zu, aber John bemerkte voller Freude, wie zwei Soldaten ein großes Stück Wild auf dem Tisch im Haus zerschnitten und die Stücke in den Kessel warfen. Als sich der Duft nach Essen ausbreitete, leckte sich John unbewusst über die Lippen. So gut hatte es schon lange nicht mehr bei ihnen gerochen! Wenn er auch tagsüber seinen Hunger mit ein paar Äpfeln oder einem Stück Brot, das seine Mutter jeden Abend in der heißen Asche buk, bekämpfte, so knurrte ihm doch der Magen bei dem herrlichen Geruch.

Die Soldaten zogen aus ihren Fellranzen Teller und Besteck, und wieder staunte John. So etwas hatte er noch nie gesehen! Die Teller glänzten matt und schienen ihm sehr wertvoll zu sein. Sie benutzten ein paar Becher aus Weißblech, einst bei einem durchziehenden Händler gekauft, und die von seinem Vater gefertigten Teller und Schüsseln aus Holz.

Aber noch mehr begeisterte ihn der Anblick kleiner Messer und Gabeln mit zwei Forken. Der Gebrauch dieses Instrumentes war ihm nicht gleich klar. Sie erinnerten ihn an den Fleischspieß, den sein Vater einmal bei dem Händler eingetauscht hatte.

Als das Essen fertig war und verteilt wurde, bekam auch John seine Portion und hockte jetzt unbekümmert und vergnügt zwischen den Soldaten.

Er beobachtete, wie die Männer mit den Gabeln die dicken Fleischstücke aufspießten, sie durch den flüssigen Teil auf ihrem Teller zogen und ihn dann in den Mund steckten.

Unwillkürlich musste John grinsen.

Wie umständlich diese Männer waren! Er stieß den Mann an, der sich als Frederik bezeichnet hatte, und zeigte ihm, wie er mit den Fingern die Fleischstücke aus seiner Schale fischte und dann das Flüssige trank.

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