Revolution 1776 - Krieg in den Kolonien 1.

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Revolution 1776 - Krieg in den Kolonien 1.
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Thomas Ostwald

Revolution 1776 – Krieg in den Kolonien

Band 1 – Auf Befehl des Herzogs

Edition Corsar

Alle Rechte vorbehalten.

Überarbeitete und ergänzte Ausgabe des

Romans „Auf unsers Carls Befehl“

© Edition Corsar Dagmar und Thomas Ostwald 2021 Braunschweig

1.

Der Wirt hatte gerade die Kerzenleuchter entzündet und zwei von ihnen auf dem Stammtisch abgestellt, als neue Gäste das Brauhaus betraten. Es waren zwei Bauern aus Bortfeld, die ihren erfolgreichen Markttag noch mit einem Bier abschließen wollten. Sie grüßten die Stammtischrunde und ließen sich dann an einem der blankgescheuerten Holztische nieder.

Man hatte ihren höflichen Gruß am Stammtisch kurz erwidert und war gleich darauf wieder im Gespräch versunken. Bauern aus der Umgebung sah man schließlich täglich, und es gab viel interessanteren Gesprächsstoff.

„Alles nur Gerüchte, alles nur Klatsch“, bemerkte eben ein untersetzter, kräftiger Mann. Er stellte seinen Bierkrug zurück, wischte sich links und rechts den Schnauzbart und lehnte sich zurück. „Ich gebe nichts auf den üblichen Hofklatsch!“

„Aber Meyer, wie kann Er das nur sagen? Da ist etwas dran, glaubt mir!“

Sein Gegenüber war genau das Gegenteil des Schnauzbärtigen. Groß und hager saß er auf der vorderen Kante der Holzbank. Seine Weste schien viel zu groß für ihn zu sein, und wenn er ging, musste er die Kniebundhose häufig mit einer unauffälligen Bewegung hochziehen. Jetzt hatten sich vor Erregung seine Augen unnatürlich geweitet und schienen durch die starken Brillengläser noch größer. Sein langes, schmales Gesicht spiegelte deutlich die Empörung über die Bemerkung des anderen, das dünne Kinnbärtchen schien sich zu sträuben.

„Ich denke, der Apotheker wird’s schon wissen“, stimmte ihm jetzt ein Älterer in der Runde zu. Sein Äußeres wirkte sehr gepflegt, er trug ein Wams aus Samt, sein spitzenbesetztes Hemd war makellos weiß, der Rüschchenvorbinder fast zu elegant für den abendlichen Besuch im Brauhaus. „Als Hoflieferant wird er ja wohl so seine Verbindungen haben.“

„Das kennt man“, schmunzelte der erste Sprecher und griff erneut zu seinem Humpen. Nachdem er einen Blick hineingeworfen hatte, drehte er sich halb zu dem im Hintergrund hantierenden Wirt um und rief ihm zu: „Heinrich, noch mal ein Viertel Stübchen (übliches Biermaß in Braunschweig, entspricht etwa 0,9 Liter)!“

„Sehr gern. Wo nur der Junge bleibt! Erwarten die Herren heute Abend den Hauptmann?“

„Wir werden sehen. Aber schenke Er ruhig trotzdem gut ein – so viel Schaum wie beim ersten Mal verträgt kein gütiger Christenmensch!“

Man sah dem Sprecher deutlich an, wie er den Wirt herausfordern wollte. Ehe der aber überhaupt antworten konnte, öffnete sich die Tür erneut, und erwartungsvoll drehten sich alle Köpfe herum.

„Der Herr Hauptmann! Na, herzlich willkommen!“, rief der Apotheker erfreut aus. „Jetzt werden wir gleich mehr erfahren!“ Vergnügt rieb sich der Hagere die schmalen Hände.

Mit dem so Begrüßten traten zwei weitere Männer an den Stammtisch. Alle drei wirkten in ihrem ganzen Auftreten unverkennbar wie Soldaten, wenn auch keiner von ihnen eine Montur (Uniform) trug.

Auch die beiden Bauern musterten aufmerksam die Neuankömmlinge.

Das Brauhaus in der Güldenstraße war seit der Übernahme durch den jetzigen Wirt Heinrich Levin Wolters in der Gunst der Braunschweiger bedeutend gestiegen, und auch viele Durchreisende probierten bei ihm gern das helle Bier wie die gute harte Wurst, für die Braunschweig weithin bekannt war. Mehrere Stammtische entstanden, man traf sich nach Einbruch der Dunkelheit auf einige „Stübchen“. Dabei wurde gern „geratscht“, was es an Neuigkeiten gab, und besonders in diesem unruhigen Jahr 1775 war man begierig, Neuigkeiten vom Braunschweiger Hof zu hören. Längst wusste man von den Unruhen in den amerikanischen Kolonien. So mancher entwarf kühne Ideen, wie man die Rebellen wieder in ihre Schranken verweisen konnte. Die Sympathien für König Georg III. von England waren in Braunschweig nicht verwunderlich – hatte doch Herzog Carl seine Schwester, die Prinzessin Augusta, geheiratet!

„Kommt her, setzt euch, und erzählt!“, rief jetzt der Apotheker aus und rutschte vor lauter Ungeduld auf der Holzbank hin und her. Der Hauptmann warf ihm einen belustigten Blick zu, dann gab er dem Wirt ein Zeichen. Heinrich beeilte sich, die nächsten Bierhumpen zu fülle. Er kannte seine durstigen Gäste. Und wieder rief er ungeduldig nach seinem Sohn, der eigentlich schon lange der neue Wirt im Brauhaus war – aber der Vater musste, wie seit vielen Jahren, an den Stammtischabenden mit dabei sein. Kaum hatten die Neuankömmlinge Platz genommen, eilte er mit den frisch gefüllten Krügen herbei.

„Das ist herrlich, es ist doch noch recht warm geworden. Sehr zum Wohle, die Herren!“ Der Hauptmann hatte den Krug ergriffen und hielt ihn in die Mitte.

„Na, der Herr Hauptmann strahlt ja förmlich vor Fröhlichkeit!“, ließ sich jetzt der Schnauzbärtige vernehmen. „Am Ende gibt es doch erfreuliche Neuigkeiten?“

Statt einer Antwort griff der Offizier in seine Westentasche und nestelte mehrere Münzen hervor, die er alle sorgfältig vor sich auf den Tisch legte. „So, Heinrich, und nun füllt die Krüge der Herren noch einmal!“, sagte er dann zu dem Wirt.

„Hoho! Herr Hauptmann wird leichtsinnig!“, rief der Schnauzbart übermütig aus und schwenkte seinen leeren Krug.

„Das hat was zu bedeuten, ich wusste es gleich! Nun, Herr Hauptmann, hatte ich Recht?“

„Lieber Herr Apotheker, ich weiß ja gar nicht, was ich sagen soll – womit sollt Ihr denn Recht haben?“ Der Hauptmann warf einen vergnügten Blick in die Runde. Seine beiden Begleiter hatten bislang nur schweigend ihr Bier getrunken, aber auch über ihre Gesichter zuckte es.

„Um Himmelswillen, verstellt euch doch nicht so!!“ Der Hagere rang die Hände und rutschte erneut auf der Bank hin und her. „Ihr kommt doch wohl direkt aus dem Schloss?“

„Gemach, gemach, Herr Apotheker!“, ließ sich jetzt der Ältere vernehmen. „Ihr tut ja ganz so, als hänge die Seligkeit davon ab. Nehmt doch mal etwas gegen Eure ständige Aufgeregtheit ein, das führt sonst noch zum Schlag!“

„Ach was, Schlag! Seht euch doch die drei Herren Offiziere an, solch‘ zufriedene Gesichter haben sie schon lange nicht mehr gezeigt, und dann gibt der Herr Hauptmann auch gleich noch eine Runde. Das steckt der Engländer dahinter, das ist wohl mal gewiss!“

Der Apotheker war nicht mehr auf seinem Platz zu halten. Er sprang auf und stellte sich direkt neben den Hauptmann. „Wollt ihr noch länger leugnen?“

„Aber, lieber, bester Herr Apotheker! Was leugnen? Wenn Ihr allerdings den englischen Gesandten meint, nun, der ist tatsächlich heute eingetroffen.“

Die Antwort des Hauptmanns kam völlig gelassen, allerdings grinsten jetzt auch seine beiden Begleiter breit in die staunend verharrende Runde.

Der Apotheker fand als erstes seine Stimme wieder.

„Aha! Sagte ich es nicht? Aber nein, Gerüchte! Hofklatsch! Und das mir, dem Hofapotheker, ins Gesicht gesagt! Ha!“ Damit ließ er sich wieder auf die Bank plumpsen und warf dem Schnauzbärtigen einen vernichtenden Blick zu. Der aber achtete gar nicht auf ihn, sondern hatte nur Augen für den Hauptmann.

„Es wird doch wohl damit ein Zeichen gegeben, verstehe ich das richtig? Was wird erzählt, Herr Hauptmann?“

„Nun, Johann, dazu ist es wohl noch ein wenig zu früh. Aber die Leutnants Gladen und Wagner hatten ja heute ihren Tag bei Hofe, und sie sind gerade an der Wache vorbei, da rollt die Kutsche des Gesandten vor.“

„Donnerwetter, genau zur richtigen Zeit.“

„Ruhe, lasst ihn erzählen!“

„Sie hatten kaum das englische Wappen erkannt, als sie auch schon kehrtmachten und zu meiner Wohnung eilten. Wir sind dann gemeinsam zum Schloss zurückgekehrt und haben uns ein wenig umgehört. Wie ihr ja wisst, habe ich einige recht vertrauliche Quellen. Sie bestätigten, dass es sich tatsächlich um Oberst Faucitt handelt.“

„Hurra, dann ist es also wirklich wahr! Es geht los!“, rief nun begeistert der Schnauzbart aus.

„Geduld, nur etwas Geduld, meine Herren! So schnell wird kein Heer aufgestellt, und zuerst müssen die Bedingungen ausgehandelt werden. Wer weiß denn, wie viel Zeit über den Beratungen dahingeht? Ihr benehmt euch ja, als müssten wir uns schon morgen melden!“

„Und? Wollen wir das etwa nicht? Warten wir nicht schon alle viel zu lange auf eine solche Gelegenheit? Ich hatte nicht den Eindruck, dass sich der Herr Hauptmann zwischen Stoffen und Gewürzen so wohl fühlt!“

Der Offizier machte ein ernstes Gesicht, dann hob er seinen Humpen erneut.

„Er hat wohl recht gesprochen. Auf unseren allergnädigsten Landesherrn, Herzog Carl. Er lebe hoch!“

Alles war aufgesprungen und stimmte in den Ruf ein, auch die Bauern hielt es natürlich nicht auf ihren Sitzen. Sie kamen jetzt mit den Bierkrügen in der Hand herüber, und auch die etwas abseits sitzenden Gäste waren aufmerksam geworden.

„Ist es wohl erlaubt?“, wandte sich einer der Bauern an die Stammtischrunde und hielt dabei einen Leinenbeutel empor.

„Nur herbei, nicht lang geziert, heute gilt es, zu feiern!“, schmunzelte der Schnauzbart.

Bereitwillig rückte man ein Stück zur Seite, und die Bauern ließen sich nieder. Der Leinensack wurde geöffnet, und eine prächtige, große, luftgetrocknete Schlackwurst kam auf den Tisch. Im nächsten Augenblick hatte der Mann sein Messer gezogen, schnitt einige daumendicke Stücke herunter und bot sie an.

Lachend griffen die Männer zu und schoben sich die Wurststücke in den Mund.

 

„Hm, das ist so richtig Braunschweiger Art!“, brummte der Hauptmann genüsslich, und der Bauer beeilte sich, weitere Stücken abzusäbeln. Die Wurst war innerhalb weniger Minuten beträchtlich kleiner geworden.

„Lisbeth, verteil die Krüge hier geschwind an alle! Mein Junge lässt mich an einem solchen Tag hängen! Die Herren sind durstig, und die nächste Runde geht auf den Wirt! Bei solchen Ereignissen kann man nicht abseits stehen!“, rief der Wirt seiner Magd zu, die ohnehin schon eifrig zugriff.

„Das ist ein vernünftiges Wort, Heinrich! Heute wollen wir es noch einmal richtig genießen. Wenn wir erst in Wolfenbüttel in der Kaserne liegen, hat der alte Schlendrian ein Ende, mein Wort darauf. Aber heute wollen wir das Braunschweiger Bier bei unserem Heinrich durch die durstigen Kehlen schicken!“, rief der Hauptmann aus.

„Auf unseren allergnädigsten Landesherrn! Auf Herzog Carl!“

Der erneute, vielstimmige Ruf war weit hinaus auf die Güldenstraße zu hören. Dann saß man bis tief in die Nacht zusammen und besprach die möglichen Ereignisse. Lange hatte man schon davon erzählt, dass ein englischer Gesandter unterwegs sei, um Hilfstruppen für die englische Krone anzuwerben. Jetzt schien alles Wirklichkeit zu werden, und man schöpfte Hoffnung.

Niemand freute sich auf kriegerische Ereignisse. Aber alle erwarteten jetzt ein Ende der schlechten Zeiten für Braunschweig. Schluss mit dem kläglichen Broterwerb, den ungeliebten Berufen, mit denen die Soldaten ihr Leben fristeten. Bald würden sie wieder das tun können, was sie gelernt hatten, was sie konnten: Soldaten sein. Kämpfen, marschieren.

2.

Es war ungewöhnlich mild für den November, aber die Sonne hatte natürlich keine Kraft zum Wärmen mehr. Trotzdem lehnte ein Mann an der Kasernenmauer in Wolfenbüttel und betrachtete amüsiert das bunte Treiben auf dem Platz. Hauptmann Schottelius trug bereits den grün-roten Uniformrock der Jägereinheit sowie eine lederne Kniebundhose. Statt der kräftigen Gamaschen zeigte er jedoch lange weiße Strümpfe zu den Schnallenschuhen, ein sicheres Zeichen, dass er sich nicht im Dienst befand.

Mit einem kleinen Holzpflock stopfte er den glimmenden Tabak in seiner langen Tonpfeife zurecht und hüllte sich erneut in dichte, weiße Schwaden.

Seit der englische Abgeordnete in Braunschweig weilte, war ungewohnte Aktivität in das sonst so beschauliche Garnisonsstädtchen Wolfenbüttel gekommen. Die nur von einer kleinen Stammbesetzung bewohnten Kasernen füllten sich plötzlich mit geschäftig hin und her eilenden Zivilisten, und ständig rollten Fuhrwerke durch Wolfenbüttel, um ihre Waren in der Kaserne abzuladen.

Am Kasernentor konnte der Hauptmann zahlreiche Neugierige entdecken, darunter auch einige zerlumpte Gassenjungen. Wenn Uniformierte vorbeizogen, pfiffen und klatschten sie fröhlich. Das war einmal etwas! So ein stolzer Musketier mit seiner königsblauen Uniform, die lange Muskete im Arm – das ließ die Augen der jungen Burschen leuchten. Keiner von ihnen mochte auf das Gemurmel der alten Magd hören, die neben der johlenden Schar stehen blieb und den Kopf schüttelte.

„Wat se allet nu wedder maket! Soldaten spielen! Ne, totgeschossen werden se alle, wie mein seliger Hans! Dumme Jungs, alle zusammen!“

„Geh, Alte, was weißt du denn!“, höhnte einer aus der Schar der Gaffer.

„Mehr als du Laffe!“, keifte die Magd zurück. „Ich weiß, wovon ich rede! Mein Hans war damals auch einer von denen, die der bunte Rock lockte! Ganz verrückt war er danach! Und als es ins erste Gefecht ging – peng – und aus war’s mit dem Hans!“

„Pech für ihn, aber viele haben gutes Geld verdient, dicke Beutel, prallgefüllt mit Talern haben sie mitgebracht!“, antwortete ein anderer.

„Macht, was ihr wollt“, brummte die alte Frau und schlurfte in ihren Holzpantinen laut über das Kopfsteinpflaster davon.

In diesem Augenblick bog eine Gruppe um die Ecke und ging mit festem Schritt auf das Kasernentor zu. Es waren wohl zwanzig Männer, alle im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, geführt von einem Soldaten in grüner Uniform. Obwohl alle anderen in Zivil gingen, trugen die meisten ein kurzläufiges Gewehr über der Schulter. Allerdings hatten sie es nicht etwa militärisch geschultert, sondern lässig mit dem Riemen so über die Schulter gehängt, dass der Lauf nach unten zeigte.

Wieder pfiffen und johlten die zerlumpten Gassenjungen.

„Hoho, das sind ja wackere Burschen!“, ließ sich einer von ihnen vernehmen und grinste die Männer an.

„Habt ihr die Büchsen gesehen? Das sind ganz kurze, gar nicht so wie bei den Musketieren!“

„Knallkopp, wo hast du denn schon Gewehre gesehen?“

„Ich bin jeden Tag hier, dass du’s nur weißt, und ich kenne schon eine ganze Menge von den Soldaten!“ Der Junge sah den Frager verächtlich an, zog sich jedoch auf dessen Blick schnell zurück. Sein Gegenüber wirkte zwar ausgemergelt und halbverhungert, aber seine Augen blitzten ihn an, und die sehnige Faust war leicht geballt. Er trug nur ein zerschlissenes Hemd und eine viel zu große Hose, die mit einem Strick zusammengebunden war. Sonst war er barfuß, wie die meisten dieser Jungen.

Die Gruppe marschierte jetzt über den Kasernenhof direkt zum Hauptmann, der sich aus seiner entspannten Haltung löste und ihnen erwartungsvoll entgegensah. Direkt vor ihm blieb der Uniformierte stehen, und ohne weiteren Befehl standen auch sofort die Männer still. Erwartungsvoll musterten sie den Hauptmann, während ihr schnauzbärtiger Anführer salutierte.

„Melde mich zurück, Herr Hauptmann. Hier sind die Burschen, wie versprochen!“

Hauptmann Schottelius schüttelte dem Soldaten kräftig die Hand.

„Donnerwetter, Sergeant, das ist ja eine tolle Leistung! Aber stehen Sie doch bequem, meine Herren, wir sind doch völlig privat zu einer Plauderei hier!“

Mit diesen Worten lächelte der Offizier und drückte jedem der Männer die Hand. Sie stellten sich vor, und Schottelius genügte ein kurzer Blick, um befriedigt festzustellen, dass sein alter Sergeant nicht übertrieben hatte, als er diese Gruppe Freiwilliger ankündigte. Zwar waren die meisten nur mit der nötigsten Bekleidung versehen, einige hatten sogar nur eine kurze Weste oder Jacke an, aber alle wirkten gesund, ausreichend ernährt und hatten eine kräftige Gesichtsfarbe. Man sah ihnen an, dass sie sich überwiegend in der Natur aufhielten.

„Also, Sergeant, bringt die Männer in die Kaserne. Wir sehen uns wieder Punkt drei Uhr beim Kompanieschreiber.“

Der Hauptmann tippte kurz an seinen Dreispitz und sah den Männern schmunzelnd hinterher, die jetzt in einer lockeren Gruppe zum Kasernengebäude gingen. Gerade wollte er sich abwenden, als sein Blick auf einen zerlumpten Jungen fiel.

Strohblondes, wirres Haar stand ihm nach allen Seiten vom Kopf ab. Er war sichtlich vom Hunger geschwächt, ein schmutziges Hemd schlotterte um seine schmalen Schultern, die viel zu große Hose mit dem Strick rutschte trotz der Bemühungen des Jungen, sie mit der Hand zu halten.

„Der Zutritt zum Kasernengelände ist nicht erlaubt! Wie bist du denn an der Wache vorbeigekommen?“

Der Ton des Hauptmanns war streng, aber nicht unfreundlich. Der Anblick zerlumpter Kinder war für ihn nichts Neues, aber es schmerzte ihn dennoch. Die vielen Bettler vor den Kirchen und auf dem Markt waren schon schlimm genug. Aber dass auch viele Kinder gezwungen waren, auf diese Weise ihr klägliches Brot zu bekommen, war furchtbar. Zwar hatte Herzog Carl bereits mehrere Armenküchen eingerichtet, in denen einmal am Tag eine kräftige Suppe ausgeteilt wurde, aber das reichte nie für alle aus.

„Bitte, Herr Offizier, ich möchte ...“

Der Junge warf ihm einen flehenden Blick zu.

„Ja? Nur heraus damit!“, ermunterte ihn der Hauptmann. Gleichzeitig fuhr er in seine Hosentasche und suchte das Viermariengroschenstück.

„Ich bin mit den ...“ Ein sehnsüchtiger Blick folgte der Gruppe, die eben in das Gebäude eintrat. „Ich meine... ich möchte auch Soldat werden!“

„Soldat? Bist du nicht etwas zu jung dafür?“

Schottelius schüttelte den Kopf und warf dabei einen Blick auf die rotblauen, nackten Füße des Jungen.

„Ganz gewiss nicht, Herr Offizier! Ich bin schon sechzehn, bald siebzehn, und ich...“

„Das ist nichts für dich, mein Junge, glaub mir. Wir brauchen erfahrene Soldaten, die schon unter dem großen König gekämpft haben. Hier, nimm das.“ Damit reichte er ihm die Münze, drehte sich rasch herum und ging hinter den Männern her.

Der Junge starrte fassungslos auf die Münze, dann rief er dem Offizier nach: „Aber ich will Soldat werden! Ich kann kämpfen! Und ich kann mit einem Gewehr umgehen!“

Als der Soldat jedoch nicht reagierte, sondern seinen Gang eher noch beschleunigte, ließ der Junge die Schultern hängen. Ein tiefer Seufzer ging durch seinen mageren Brustkorb, dann schlurfte er zum Tor hinaus. Den wütenden Blick der Wache bemerkte er nicht. Er hatte sich einfach der Gruppe der Freiwilligen angeschlossen und war mit dem Sergeant am Tor vorbeigeschlüpft, noch ehe die Wache reagieren konnte. Jetzt stand er wieder bei den anderen Neugierigen und schien auch deren höhnische Bemerkungen nicht zu hören. Ein sehnsuchtsvoller Blick zurück auf den Kasernenhof, dann ging er mit schleppendem Schritt in die Stadt zurück, die Münze fest mit der Hand umklammert.

***

„Es ist Euch bekannt, dass wir noch keinerlei Ordre haben, Soldaten zu werben?“ Der Hauptmann saß am Kopfende der langen Tafel, der Sergeant neben ihm, die Neuankömmlinge hatten alle Platz genommen. Ein allgemeines, zustimmendes Murmeln war zu hören.

Schottelius stand auf und begann bei seinen Worten im Raum auf und ab zu gehen. Die harten Sohlen seiner Schnallenschuhe schallten laut auf den Holzdielen.

„Seit vier Wochen hält sich der englische Gesandte, Oberst William Faucitt, am Hofe auf. Es ist ganz klar, dass er Hilfstruppen für Amerika anwerben soll. Herzog Carl ist noch nicht davon begeistert, seine Landeskinder in ein so fernes Land zu schicken, aber der Prinzregent redet ihm gut zu. Wir alle wissen, dass die Kassen nach dem großen Krieg leer sind, die Bevölkerung leidet Hunger, viele alte Soldaten haben keine Arbeit bekommen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, dass eine Armee aufgestellt wird, um unseren englischen Verbündeten zu Hilfe zu kommen. Die Lage in den Kolonien spitzt sich zu, es hat bereits schwere Kämpfe gegeben, und König Georg III. hat nicht genügend Soldaten gegen die Revolutionäre. Wir werden also nach Amerika gehen, und zwar sehr bald.“

„Wann wird das wohl sein?“, erkundigte sich einer der Männer. Als der Hauptmann ihn ansah, sprang er auf und nahm eine stramme Haltung an. „Joachim Spormann aus Seesen, Herr Hauptmann. 49 Jahre, 29 Dienstjahre!“

Schottelius lächelte ihn an.

„Schön, Spormann, aber setze Er sich wieder. Ich kann eure Ungeduld verstehen, kribbelt es mir doch selbst in den Knochen, dass es endlich wieder losgeht. Wenn ich euch so vor mir sehe, erkenne ich die alten Soldaten. Ich weiß, dass es euch zum großen Teil nicht gut gegangen ist in den vergangenen Jahren. Aber lasst uns nicht von Gestern reden, sondern darüber, was Morgen sein kann. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass eine Armee unter dem Oberbefehl des Generals Riedesel aufgestellt wird. Aus diesem Grund sind wir hier in Wolfenbüttel, um die ersten Freiwilligen zu sammeln. Sind die Verträge unterschrieben, müssen wir abmarschbereit sein. Wir werden so schnell wie möglich in die englischen Kolonien in Nordamerika abgehen, um gegen die Rebellen zu kämpfen.“

Damit setzte sich der Hauptmann wieder und begann, seine Pfeife zu stopfen. Jetzt ergriff der Sergeant das Wort.

„Ihr habt das große Glück, unter Hauptmann Schottelius zu dienen. Wir werden nur aus den besten Soldaten eine Jägereinheit bilden, der für den Erfolg unserer Truppen eine entscheidende Rolle zukommt. Die meisten von euch kenne ich ja aus früheren Einsätzen, und ich danke für euer rasches Kommen. Unser Hauptmann erwartet einen bedingungslosen Einsatz von euch. Die Braunschweiger Jäger sind eine Elitegruppe, die hart und erbarmungslos gefordert wird. Dafür gibt es eine Menge Dinge für uns, die kein anderer Soldat erhält. Heute Abend gibt der Hauptmann für uns ein Fest in Braunschweig beim alten Wolters. Ab morgen herrscht die alte Disziplin: Kein Alkohol mehr, auch nach Dienstschluss nicht. Wen ich mit einer Fahne erwische, kommt in den Bau. Bei Wiederholung wird er ausgeschlossen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

„Hurra!“, rief einer der Männer, und die anderen donnerten einen Hurraruf hinterher.

 

„Abmarsch nach Braunschweig zur Güldenstraße, meine Herren!“

*

3.

Der Wind pfiff kalt über den großen freien Platz und fegte eine Schneeböe von dem steinernen Roland, der unbewegt von dem Treiben zu seinen Füßen in die Ferne zu blicken schien. Fröstelnd trat eine dicht gedrängte Menschenmenge von einem Bein auf das andere. Weiße Atemwolken stiegen über ihren Köpfen auf. Gebannt sah die Menge auf den Soldaten, der eben eine Bekanntmachung an eine große Pforte genagelt hatte. Trotz des schlechten Wetters hatte sich auch hier schnell die Nachricht herumgesprochen, dass Werber aus Braunschweig in der Stadt waren. Ein kräftiger, rotgesichtiger Bauer hatte sich durch die Menge gedrängt und stand jetzt ganz dicht hinter dem Soldaten, der sich eben zur Menge umdrehte.

„Herr Offizier, wann beginnt die Werbung?“, erkundigte sich der junge Mann.

„Hoho! Die Bremer Burschen halten es wohl gar nicht mehr aus, was? Ja, kommt nur mit hinüber in die Schenke dort drüben, die Listen sind bereit, Ihr könnt euch noch diesen Moment werben lassen!“

Der Soldat trug über seiner blauen Uniform ein dickes Wollcape, das ihn vor dem jetzt wieder dicht fallenden Schnee schützte. Die Menge begaffte ihn neugierig und schien weder die Kälte noch den Schnee zu bemerken.

„Was zahlt er denn, euer Herzog?“

„Gute, blanke Taler! Dazu gibt es eine prächtige Uniform, jeden Tag gutes Essen und einen leichten Dienst!“, antwortete der Werber.

„Wer’s glaubt! Wird schon schön was sein mit den blanken Talern, das kennt man ja! Erst wird gelockt, und wenn man unterschrieben hat, ist man fest und kann nicht mehr zurück!“, gab ein anderer zurück.

Der Soldat warf einen strengen Blick auf den Mann, der sich dadurch fast erschrocken einen Schritt zurückbewegte.

„Damit das hier einmal klar gesagt ist: Wir sind Werber, aber keine Presser! Herzog Carl braucht ganze Männer, um damit dem König von England zu helfen. Es gibt ein Handgeld, wie es noch keiner von euch gesehen hat. In drei Tagen rücken wir hier ab in die Kasernen nach Wolfenbüttel, und bald geht es nach Amerika. Wir brauchen Soldaten, aber wir nehmen nicht jeden!“

Der Sprecher hatte etwas erwidern wollen, schwieg jetzt aber verschüchtert. Der Werbeoffizier warf einen Blick in die frierende Runde, dann rief er aus:

„Wer sein Handgeld in Empfang nehmen will, der folgt mir ins Wirtshaus. Jeder Rekrut erhält 20 Taler Handgeld!“ Damit drehte er sich um und stapfte durch das Schneegestöber über den Platz.

Einen Augenblick lang herrschte verblüfftes Schweigen unter den Gaffern. Im nächsten Augenblick vernahm der Offizier, wie ein Tumult hinter ihm losbrach und die Menge sich in Bewegung setzte. Er schmunzelte, drehte sich aber nicht um, sondern ging eiligen Schrittes auf das Wirtshaus zu. Der Werbeoffizier wusste, dass es hier im Norden Deutschlands leicht war, aufgrund der herrschenden Armut Rekruten zu werben. Seine Kameraden, die von der Küste bis nach Nürnberg unterwegs waren, um Soldaten für Amerika zu werben, hatten es nicht immer so leicht, weil auch andere Armeen Söldner anwarben. Aber die Braunschweiger zahlten überdurchschnittlich gut.

Der Werbeoffizier trat mit den Schuhen gegen den Türrahmen, um den Schnee unter den Sohlen loszuwerden, und öffnete die Wirtshaustür. Eine angenehm warme Wolke hüllte ihn sofort ein. Selbst um diese frühe Vormittagsstunde saßen bereits ein paar Fuhrleute mit einigen Handwerksburschen an den Tischen und tranken ihr dünnes Bier. Sofort wurde man aufmerksam, als der Offizier den Umhang abnahm und ihn achtlos über einen Stuhl warf. Er nahm ohne weiteres an einem Tisch Platz, den der Wirt für ihn freigehalten hatte. Feder, Papier und Sandbüchse standen bereit.

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