MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur

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MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur
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MAGAZIN

für

Abenteuer-, Reise- und

Unterhaltungsliteratur

Kompendium Band 1

Herausgegeben von Thomas Ostwald

Bärenklau Exklusiv

Impressum

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Steve Mayer, 2022

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

Die Rechte der im Innern abgebildeten Cover liegen bei den jeweiligen Rechteinhabern.

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Das Buch

MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur

Vorwort

Die Entwicklung der Indianergeschichten bei Karl May, dargestellt am Beispiel der Wandlung Winnetous vom Gewaltmenschen zum Edelmenschen

Klaus-Dill-Bilder

Auch das ist Karl May (Ist das noch Karl May?).

Für Deutschland um die Welt – Die Abenteuer des „RoIf Torring“

Von Carter bis Cotton – Sieben Jahrzehnte deutschsprachiger Heftroman

Marco Polo in Preußen. Über den „ältesten“ deutschen Reisebericht.

Neues um Sherlock Holmes

Karl May und „Der verlorene Sohn“

Karl May in Augenzeugenberichten 1.

Vernichtet, aber nicht besiegt – Gedanken über Ernest Hemingway

Plädoyer für die Unterhaltungsliteratur

Friedrich Gerstäckers Leben in Augenzeugenberichten und Selbstzeugnissen

Yippih they are riding again…

Angepasste Produktion oder produzierte Anpassung?

Die Menschliche Komödie des Sir John Retcliffe

WINNETOU ERZÄHLT

60 Jahre Babel und Bibel Karl Mays Drama noch immer unaufgeführt

Neue Karl-May-Reprints

Georg Goll

KARL MAY IN AUGENZEUGENBERICHTEN 2.

Winnetou darf nicht sterben

Karl May in Königswinter

Der unterirdische Gang

Die Geisterschmiede von Kulub

Manipulation durch Unterhaltungsliteratur?

Das Urbild des Robinson:

Alltag und Phantasie

„Sun Koh“ und kein Ende!

May-Kuriosa

Das Urbild des Robinsons:

„Sun Koh“ und kein Ende! 2. Teil

Beharrlich im Schatten des Meisters

Emilio Salgari

KARL MAY IN AUGENZEUGENBERICHTEN 3.

Augsburger Postzeitung 6. Februar 1909:

Edgar Rice Burroughs’ Tarzan

Der alte Mann und das Meer

Beharrlich im Schatten des Meisters. Teil 2

Das Buch


Als im Juli 1974 das erste Heft dieser Zeitschrift mit bibliographischen Angaben zu den Werken Karl Mays erschien, konnten wir an einen derartigen Erfolg nicht denken. Rasch war die erste, bescheidene Auflage vergriffen, ständige Neuauflagen mussten erfolgen. Das gab uns Mut, diese Zeitschrift weiter auszubauen, neben den rein bibliographischen Angaben folgten bald Artikel über die Autoren der Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur. Einen breiten Rahmen nahmen auch die ‚klassischen Heftromane‘ ein, insbesondere aus der Vorkriegszeit. Informationen über die Autoren, die Verlage und die verschiedenen Ausgaben gehörten bald regelmäßig zu den Themen.

Ende 1976 erfolgte dann die Umbenennung in „MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur“. Für die Herausgeber war die ständige Mitarbeit zahlreicher Leser Ansporn, Niveau und Ausstattung der Zeitschrift ständig zu verbessern. Karl May – das Phänomen, das noch heute große Leserscharen begeistert, behielt im MAGAZIN stets Vorrang bei den Themen.

Dieses Kompendium ist eine leicht überarbeitete Neuauflage einzelner Ausgaben dieses Magazins, das zwischen 1974 und Anfang der 1990er Jahre erschien und teilweise antiquarisch kaum noch zu bekommen ist.

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MAGAZIN für Abenteuer-, Reise- und Unterhaltungsliteratur

Band 1

Herausgegeben von Thomas Ostwald

Vorwort

Die vorliegende Auswahl meiner Zeitschrift „MAGAZIN für Abenteuer, Reise- und Unterhaltungsliteratur enthält einige der interessantesten Artikel aus der Frühzeit der Zeitschrift.

Als im Juli 1974 das erste Heft dieser Zeitschrift mit bibliographischen Angaben zu den Werken Karl Mays erschien, konnten wir an einen derartigen Erfolg nicht denken. Rasch war die erste, bescheidene Auflage vergriffen, ständige Neuauflagen mussten erfolgen. Das gab uns Mut, diese Zeitschrift weiter auszubauen, neben den rein bibliographischen Angaben folgten bald Artikel über die einzelnen Schriftsteller von Sammlern und Kennern der Materie. Mit zunehmender Abonnentenzahl konnte auch die technische Ausstattung verbessert werden, ein regelmäßiges Erscheinen war gesichert.

Ende 1976 erfolgte dann die Umbenennung in „MAGAZIN für Abenteuer, Reise und Unterhaltungsliteratur“, um den mehr und mehr als Kunden hinzukommenden Buchhandlungen eine Auslage in den Geschäftsräumen zu erleichtern. Aus der einstigen Kunden-Service-Zeitschrift war eine eigenständige Zeitschrift geworden, die dann durch das Presse-Grosso zu beziehen war. Für die Herausgeber war die ständige Mitarbeit zahlreicher Leser Ansporn, Niveau und Ausstattung der Zeitschrift ständig zu verbessern. Sollte dies nicht immer gelungen sein, bitten wir zu bedenken: keine Zeitschrift kann immer nur gute Artikel veröffentlichen. Dass wir nicht kritiklos neue Methoden in der Karl-May-Forschung hingenommen haben, hat uns nicht nur Freunde geschaffen, bringt und aber auch nicht davon ab, sachliche Gegenartikel zu veröffentlichen. Karl May – das Phänomen, das noch heute große Leserscharen begeistert, wird in unserem Magazin immer eine Sonderstellung einnehmen. Die ständig neu hinzukommenden Abonnenten äußerten oft den Wunsch nach früheren Ausgaben unserer Zeitschrift. Mit diesem Kompendium wollen wir diesem Wunsch entsprechen – 1978 so wie auch heute mit der vorliegenden Auswahl.

Thomas Ostwald, Braunschweig 2022

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Thomas Ostwald

Die Entwicklung der Indianergeschichten bei Karl May, dargestellt am Beispiel der Wandlung Winnetous vom Gewaltmenschen zum Edelmenschen

Winnetou! Ein Name, der auch heute noch die Herzen zahlreicher Karl-May-Leser höherschlagen lässt, ein Name, der auch nach Jahrzehnten nichts von seiner Faszination verloren hat. Der edle Häuptling der Apachen, Blutsbruder Old Shatterhands, zieht junge und alte Leser immer wieder in seinen Bann. Die Entstehung der Gestalt des berühmten Häuptlings und sein mögliches historisches Vorbild beschäftigte schon sehr früh die Karl-May-Forscher. Man bemühte sich, Licht in das „Leben“ des Mannes zu bringen, auf dessen Wort zahlreiche Stämme hören sollten. Wie bei vielen Dingen, so gingen auch hier bald die Anrichten auseinander. Die einen sind sicher, dass der Apachenführer Geronimo das Vorbild gewesen sei, die anderen dagegen widerlegen es und sagen: Alles Quatsch. Die Apachen waren ein räuberisches Volk, von den anderen Stämmen verhasst und verachtet gewesen. Außerdem wären autokratische Häuptlingsgestalten bei den Indianern völlig unbekannt. Den Karl-May-Leser mag das alles bei der Lektüre wenig gestört haben, ob Winnetou tatsächlich gelebt hat oder ob er ein historisches Vorbild hatte – die Frage zu klären wäre müßig. Zwar trug Karl May nicht unwesentlich dazu bei, Verwirrung unter seinen Lesern anzurichten, mit seinen offensichtlich präzisen Angaben zu Winnetou und seinem Stamm – doch: Wer hier Antwort erhofft hatte, erhielt sie in der Form der Reiseerzählung, in Romanform! Wie viele Beispiele in der Literatur mag es wohl geben, dass die erfundenen Romanhelden von Lesern verehrt wurden. Nicht nur wenige, nein Hunderte pilgerten beispielsweise in die Baker Street, um Conan Doyles Sherlock Holmes aufzusuchen! Dass dies nicht nur Erscheinungen des 19. Jahrhunderts waren, das manch einer gern als „romantischer“ hinstellen möchte, als es gewesen ist, beweist ein Beispiel aus jüngerer Zeit: Rex Stouts Krimiheld Nero Wolfe, schwergewichtiger Schnelldenker und Kombimeier, hat auch heute noch einen „Fan“-Kreis, der sich in seinem „Leben“ besser auskennt als der Autor! Das beweisen nicht nur Gespräche zwischen Autor und Lesern, sondern auch die Tatsache, dass ein besonders eifriger Leser eine überaus köstlich zu lesende Biographie Nero Wolfes schrieb, die 1969 auch in deutscher Sprache bei Ullstein erschienene Biographie „Nero Wolfe of West Thirtyfifth Street“ von William S. Baring-Gould. Sie ist leider inzwischen vergriffen. Der Autor hatte einige Jahre vorher bereits „Sherlock Holmes of Baker Street“ veröffentlicht. Es wäre also gar nicht so abwegig, Winnetous „Biographie“ zu erstellen. Genau wie sich Baring-Gould mühsam seine Einzelheiten aus Stouts bzw. Doyles Veröffentlichungen zusammengesucht hat, müsste man dies auch mit Sicherheit bei Winnetou schaffen können. Die Frage bleibt allerdings, wer das will – zumal selbst eingefleischte May-Freunde heute ohne Bedenken eingestehen, dass Winnetou zumindest in der von Karl May geschilderten Weise kaum gelebt haben kann. Doch ist eine tatsächliche Existenz der Romanfigur für den Leser sowieso nebensächlich, solange er sich mit den Taten und Abenteuern

 

identifizieren kann. Nach meinen Erfahrungen im Buchhandel, unterstützt durch Befragungen im Laden und bei verschiedenen Gelegenheiten, fällt das „Entdecken“ der Abenteuer Winnetous meistens in das Alter von etwa 11 bis 13 Jahren. Das heißt, in dieser Zeit entdeckt der Jugendliche „seinen“ Karl May. Interessanterweise greifen die meisten „Anfänger“ zu einem der Winnetou-Bände, und auch Eltern verlangen diese Bände als Geschenk für den „Erstleser“. Trotz der Aufgeschlossenheit der heutigen Heranwachsenden für alles Technische geht noch immer von den Erzählungen Karl Mays ein „Zauber“ aus, dem sich selbst die älteren „Erstleser“ schwer entziehen können. Doch – nach eigenem Erleben – beginnt eine Kenntnis von Mays Helden Winnetou und Old Shatterhand schon wesentlich früher. So verblüffte mich mein heute sechsjähriger Neffe vor einem guten Jahr mit erstaunlichem May-Wissen. Zwar ist er „vorbelastet“, da er häufig bei mir ist und nicht nur die „grünen“ Bände sieht, sondern auch die übrigen Karl May-Artikel, die in meiner Sammlung stehen, wie May-Comics und May-Figuren. Dennoch war sein Wissen erstaunlich, zumal er noch nicht lesen konnte und wir eigentlich wenig über Winnetou und Old Shatterhand’s Abenteuer gesprochen hatten. Eines Tages überraschte er mich mit der Aufforderung zum Indianerspiel, wobei er Winnetou sein wollte, „der immer siegt und der Stärkere ist“. Was ich mit diesem Beispiel sagen will ist, dass selbst die Jüngsten schon Indianer immer mit Winnetou und seinen Kriegern gleichsetzen. Diese Erfahrung wurde durch das gerade durchgeführte Karl May-Preisausschreiben für Kinder und den Besuch des Winnetou-Darstellers (Bad Segeberg) H.I. Hilger noch bestätigt. Selbst ABC-Schützen kannten „ihren“ Winnetou und Einzelheiten aus den Karl-May-Büchern. Interessieren sie sich eist einmal für das Indianerspiel, stellen sie ihren Eltern Fragen, und in den meisten Fällen erinnert sich der Vater an die gelesenen May-Bände. Es beginnt auf diese Weise schon ein sehr frühes Hineindenken in die Indianergeschichten Karl Mays, das nicht zuletzt durch die Filme unterstützt wurde, die jetzt im Fernsehen wiederholt wurden. Keineswegs möchte ich dem Elfjährigen absprechen, dass er nicht genau weiß, dass das, was da vor ihm über die Leinwand flimmert, doch nur „Kintopp“ ist, also erfunden. Trotz allem drängten sie sich um Herrn Hilgers bei der „Winnetou-Autogrammstunde“. In diesen Augenblicken ist Winnetou real, tatsächlich da, und selbst die, die sagen: „Ist ja doch kein echter Indianer!“ holten sich schließlich ihr Winnetou-Autogramm.

Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einem älteren Herrn, und wir kamen auch auf Karl May und den „Winnetou“ zu sprechen. Dabei gestand mir mein Gesprächspartner, wie sehr ihn Winnetous Tod als jugendlicher Leser bewegt hatte, wie er mit Tränen in den Augen zu seinem Freund gelaufen sei und nur ausrufen konnte: „Winnetou ist tot! Winnetou ist tot!“ Wie vielen von uns ist es ähnlich ergangen, wenn wir ehrlich sind! Aus diesem Mitfühlen, Mithandeln und Miterleben heraus sind mir Anfragen der Leser und Verhalten des Autors in den Jahren seines größten Erfolges durchaus verständlich. Zahlreiche dieser Anfragen betrafen den berühmten Indianerhäuptling, über den Karl May schließlich und bereitwillig Auskunft gab, sein Sterbedatum mitteilte und erklärte, er hätte dem Sterbenden noch die Taufe gegeben, damit er als Christ sterben konnte. Ebenso zahlreiche Anfragen trafen auch ein, die sich mit den drei berühmten Gewehren, der Silberbüchse, dem Henrystutzen und dem Bärentöter beschäftigten. Auch hier gab Karl May bereitwillig Antwort und lieferte damit Zündstoff für Auseinandersetzungen bis in die heutige Zeit. Gerade die Herkunft der Gewehre hat mehrfach die Gemüter bewegt, sie ist im Grunde jedoch für den Leser genauso nebensächlich wie die Identität Winnetous. Dennoch wollen wir darauf in einer späteren Abhandlung zurückkommen, weil nach meiner Ansicht einige Irrtümer geklärt werden müssen, wenn man schon so ernsthaft an die Untersuchung von Romanrequisiten herangeht wie Herr Hoffmann im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1974. Welcher Doyle-Forscher hat einmal die Gegenstände im Sherlock-Holmes Museum in London auf ihre Echtheit und Herkunft überprüft?

Ich will hier keine endgültige Darstellung der Entstehung Winnetous geben. Es liegt mir vielmehr daran, einige Möglichkeiten aufzuzeigen, die mit dazu beigetragen haben können, den Winnetou zu formen, den so zahlreiche Karl-May-Leser aus den Bänden 7 – 9 kennen. Natürlich wird vieles hypothetisch bleiben müssen, denn woher ein Autor letztlich seine Anregungen nimmt, weiß nur er selbst und bestenfalls einige enge Mitarbeiter bzw. Vertraute. Nach meiner Ansicht war das Werk von George Catlin, „Die Indianer Nordamerikas und die während eines achtjährigen Aufenthalts unter den wildesten ihrer Stämme erlebten Abenteuer und Schicksale“, eine sehr wichtige Quelle für Karl May. Auch mit dem Thema „Karl May und George Catlin“ haben sich schon andere beschäftigt, mussten jedoch immer wieder feststellen, dass alles Vermutung bleibt, Beweise konnte keiner liefern – und auch ich kann es nicht. Ich kann nur versuchen, den Leser auf einige Dinge aufmerksam zu machen, die mir aufgefallen sind, und ihn dann zu eigenen Schlüssen ermuntern. Es wäre müßig, darüber zu streiten, ob Karl May Catlin oder erst Ferry gelesen hat. Nach den Beständen in seiner Bibliothek kann man sich allein auch nicht richten, denn es ist bekannt, dass er während seiner Gefängnisaufenthalte die Bibliotheken betreute und durchaus Gelegenheit zu entsprechenden Vorstudien hatte. 1851 erschien eine deutsche Übersetzung von Ferry’s Waldläufer, im gleichen Jahr erschien auch Catlins Werk erstmalig. Mit Sicherheit haben beide Werke entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der Indianererzählung bei Karl May gehabt, und ich hoffe, das anhand einiger Beispiele darstellen zu können. Betrachtet man Karl Mays erste Indianererzählungen, so wird Winnetous Auftreten uns oft sehr merkwürdig anmuten.

Auf Winnetous Spuren

Im Jahre 1875 erschien die Erzählung „Inn-nu-woh, der Indianerhäuptling“ in der von Karl May betreuten Zeitschrift „Deutsches Familienblatt“, Verlag H.G. Münchmeyer. Es handelt sich dabei um eine typische Kurzgeschichte für eine Zeitschrift spannend geschrieben, jedoch ohne tieferen Hintergrund. Setzt man einmal den Indianerhäuptling Inn-nu-woh einem Ur-Winnetou gleich, worauf schon die Namensähnlichkeit hinweist, so hat er mit dem späteren Edelmenschen wenig gemein. Der Leser erfährt nicht sehr viele Einzelheiten über den Sioux-Häuptling: „Er war von nicht gar zu hoher Gestalt, aber der Bau seines gedrungenen Körpers und insbesondere die Breite seiner Brust machten mich in meinem bisherigen Unglauben doch etwas wankend.“ Vorgestellt wurde dieser Indianer dem Erzähler nämlich als „best’ Schwimm’ in den United States“. Sonst teilt Karl May nur wenig Einzelheiten mit, wir erfahren, dass der Indianer „reiches, mähnenartiges Haar“ hatte – siehe meine Ausführungen in Bezug auf Catlin weiter unten. Später hat Karl May diese Episode umgearbeitet und an den Beginn der Erzählung vom „Schatz im Silbersee“ gestellt (vgl. Reprint der Union-Ausgabe Karl-May-Verlag/Verlag A. Graff, 1973, S. 7 ff).

Im gleichen Jahr wurde die Erzählung „Old Firehand“ im „Deutschen Familien-blatt“ veröffentlicht. Auch diese Erzählung mutet den May-Leser merkwürdig an, wenn er die später entstandenen Erzählungen kennt. Der Erzähler, von dem wir auch in der Geschichte „Inn-nu-woh“ wenig über seine eigene Person erfuhren, tritt hier wieder auf, jetzt jedoch schon als kundiger Westmann. Er ist bewaffnet mit einem Henrystutzen, der „fünfundzwanzig Kugeln im Kolben“ hatte. Abgesehen von der Tatsache, dass kein Henrygewehr die Kugeln im „Kolben“ hatte, sondern bestenfalls im „Handschutz“ (wenn man es schon so ausdrücken will), ist es interessant, dass eines der berühmten Gewehre schon hier auftaucht. Doch wie erscheint Winnetou in dieser Erzählung? Er ähnelt dem wilden, stolzen Sioux-Häuptling Inn-nu-woh noch sehr, wird jetzt jedoch schon unter dem Namen Winnetou vorgestellt und ist ein Apachenhäuptling. Er ist ein „Wilder“ im wahrsten Sinne des Wortes und so blutrünstig im Kampfe, wie man sich vielleicht die Indianer im fernen Europa vorgestellt haben mag, wenn man die spärlichen Reiseberichte las, die zu dieser Zeit erschienen. Winnetou kennt seinem Feind gegenüber kein Erbarmen, er tötet und skalpiert seine Gegner, so wie Catlin über die Indianerkämpfe berichtete. Auch das Freundschaftsverhältnis zum Erzähler ist nicht sonderlich ausgeprägt, von Blutsbruderschaft keine Rede. Winnetou hat noch wenig Erfahrung mit der Zivilisation gemacht und trifft zum ersten Mal auf ein „Feuerross“, das ihm Angst und Entsetzen einjagt – für den späteren, ruhigen und edlen Winnetou eine unfassbare Blöße. Karl May hat diese Erzählungen geschrieben, um zu unterhalten, dem Leserseiner Zeitschrift Zerstreuung zu bieten. Zu dieser Zeit beherrschte er noch nicht den „Kunstgriff“, in seine Erzählungen ausführliche Landschaftsbeschreibungen einzubauen oder über Sitten und Gebräuche der Indianer zu berichten – sieht man von einigen ganz geringen Ausnahmen ab. (Dass die Indianer skalpierten, wussten damals die meisten Leser der Abenteuerlektüre). Am Schluss der Erzählung nimmt Winnetou für immer Abschied vom Erzähler, der mit seiner großen Liebe, Ellen, Hand in Hand davonreitet. Winnetou war schon ein älterer Krieger, und der Erzähler erwartete nicht, ihm wieder einmal zufällig zu begegnen. In der Erzählung treten zwar schon einige Personen auf, die uns auch später wieder begegnen werden, aber sie sind alle noch nicht so „lebendig“ gezeichnet wie in den folgenden Geschichten. Sam Hawkins mit seiner „Liddy“ und seinem ewigen „wenn ich mich nicht irre“ ist schon dabei, Dick Stone, Will Parker und schließlich Old Firehand – aber alle müssen in dieser Erzählung sterben, werden „ausgelöscht“, mit Ausnahme Sam Hawkins. Noch etwas muss hier besonders erwähnt werden: Die zarte Liebesgeschichte zwischen Ellen, der Tochter Old Firehands, und dem Erzähler. Für den späteren Old Shatterhand wären Szenen wie in dieser Geschichte undenkbar, und selbst seine Liebe zu Nscho-tschi ist ungleich feiner, zärtlicher geschildert. Was würden die Leser wohl sagen, wenn Old Shatterhand ein ohnmächtiges Mädchen küssen würde? So geschehen in „Old Firehand“: „Ich nahm sie in die Arme, strich ihr das lange, reiche, aufgelöste Haar aus der Stirn, rieb ihr die zarten Schläfen, legte, um der regungslosen Brust Atem zu geben, meinen Mund auf ihre Lippen, rief sie bei den zärtlichsten Namen, die ich jemals gehört… Ich drückte sie an das Herz und küsste vor seliger, unendlicher Freude die sich mehr und mehr erwärmenden Lippen… (Bd. 71, S.37). Es wäre ein völlig unwürdiges Verhalten Old Shatterhands. Nun, so wie sich die Gestalt der Ich-Person veränderte, so veränderte sich die Gestalt Winnetous, und auch die anderen Figuren erhielten ausgeprägtere Charaktere.

 

1877 bearbeitete Karl May Gabriel Ferry’s „Waldläufer“ von Grund auf neu, so dass fast ein eigener, neuer Roman daraus wurde. Der Indianer Rayon Brulant, der „Brennende Stahl“, wurde zu „Falkenauge“, und Falkenauge selbst war schon wieder ein Schritt näher zum späteren Winnetou. Zwar ist er Komantsche und erbitterter Feind der Apachen, doch das spielt in Bezug auf den „werdenden Winnetou“ keine entscheidende Rolle. Ich vermute sogar, dass Karl May sich gerade die Apachen ausgewählt hat, weil von ihnen in allen Berichten nur Negatives berichtet wurde. Zwar räumt er gelegentlich in den Erzählungen ein, dass die Apachen früher ein räuberischer Stamm waren, jetzt jedoch unter der Führung ihres Häuptlings Winnetou zu edlen Kriegern gereift wären. Das erwähnt Karl May bereits in der Erzählung „Auf der See gefangen“, die 1878 in der Zeitschrift „Frohe Stunden“ abgedruckt wurde. Zuvor jedoch noch ein Wort zum äußeren Erscheinungsbild Falkenauges und dann zu Winnetou in der Erzählung „Auf der See gefangen“. „Die nervigen Körperformen und der elastische, stolze Schritt, mit dem der junge Krieger eintrat, mussten sofort auffallen. Seine breiten Schultern und seine starke Brust waren nackt; um seine schlanken Hüften schlang sich eine feingewebte Saltillodecke, die in glänzenden, verschiedenartigen Farben schillerte. Gamaschen von scharlachrotem Tuch bedeckten seine Unterschenkel; mit Pferdehaar gestickte Kniebänder und eigenartig aus Stachelschweinborsten gearbeitete Eicheln umschlossen über den Knöcheln diese Gamaschen, und die Füße steckten in kunstreichen Mokassins, die ihm Mola geschenkt hatte. Sein Kopf trug einen höchst sonderbaren Schmuck, der fast das Aussehen eines schmalen Turbans hatte. Es war eine aus zwei malerisch gewundenen bunten Tuchstreifen bestehende Stirnbinde. Die in zwei Zöpfen mit kleinen Silbermünzen, länglichen Muscheln und farbigen Bandstreifen durchflochtenen Haare hingen zu beiden Seiten des Kopfes über die Schultern herab. Die getrocknete, glänzende Haut einer Klapperschlange schlang sich durch die Falten der Stirnbinde, und sowohl die Schwanzklappern als auch der mit spitzigen Zähnen bewehrte Kopf des Reptils lagen zwischen den Haaren auf den Schultern, wodurch der Eindruck einer eigentümlichen Wildheit erweckt wurde.“ (Bd. 70, S. 285). Die Züge dieses Indianers waren edel geschnitten, und „Mut und Gerechtigkeitssinn“ zeichneten sich auf seiner Stirn ab. Bewaffnet ist dieser Indianer bereits mit der Silberbüchse, die bei Ferry als kupferbeschlagene Büchse erwähnt wird (die übrigens tatsächlich bei vielen Indianern ähnlich verziert wurde, auch Sitting Bulls Gewehr wurde mit Nägeln verziert) Ansonsten ist jedoch auch dieser „Winnetou-Ahne“ ein „wilder“ Indianer. Er unterscheidet sich kaum von dem Krieger, der uns in der erwähnten Erzählung „Auf der See gefangen“ vorgestellt wird. Zur äußeren Erscheinung lesen wir wie folgt: „Sein Gewand war sauber und sichtlich gut gehalten, eine außerordentliche Seltenheit von einem Angehörigen seiner Rasse. Sowohl der Jagdrock als die Leggins waren von weichgegerbtem Büffelkalbleder, in dessen Bereitung die Indianerfrauen Meisterinnen sind, höchst sorgfältig gearbeitet und an den Nähten zierlich ausgefranzt; die Mocassins waren aus Elenhaut und nicht in fester Fußform, sondern in Bindestücken gefestigt, was dieser Art von Fußbekleidung neben erhöhter Dauerhaftigkeit auch eine größere Bequemlichkeit verleiht. Die Kopfbedeckung fehlte; an ihrer Stelle war das reiche, dunkle Haar in einen Knoten geschlungen, welcher turbanartig auf dem stolz erhobenen Haupte thronte.“ Der Leser erfährt hier ganz nebenbei etwas über die Herstellung der indianischen Bekleidung – Karl May begann, sein Wissen geschickt in den Handlungsablauf „einzubauen“. Weiter unten erfahren wir nähere Einzelheiten über das Volk der Apachen, die unter ihrem Häuptling Winnetou eine starke Wandlung erlebten: „Der Indianer war der berühmteste Häuptling der Apachen, deren bekannte Feigheit und Hinterlist ihnen früher unter ihren Feinden den Schimpfnamen „Pimo“ (mit dem übrigens Winnetou noch manchmal von seinen Feinden in den späteren Erzählungen beschimpft wird) zugezogen hatte; doch seit er zum Anführer seines Stammes gewählt worden war, hatten sich die Feiglinge nach und nach in die geschicktesten Jäger und verwegensten Krieger verwandelt; ihr Name wurde gefürchtet weit über den Kamm des Gebirges herüber… Jedermann wusste, dass er (Winnetou) schon öfters ganz allein und ohne alle Begleitung, außer derjenigen seiner Waffen, über den Mississippi herübergekommen war, um die „Dörfer und Hütten der Bleichgesichter“ zu sehen und mit dem großen „Vater der Bleichgesichter“, dem Präsidenten in Washington, zu sprechen. Er war der einzige Häuptling der noch nicht unterjochten Stämme, welcher den Weißen nicht übel wollte, und es ging die Rede, dass er sogar ein sehr enges Freundschaftsbündnis mit Firegun, dem berühmtesten Trapper und Pfadfinder des Westens geschlossen habe.“ (zitiert nach dem Zeitungsreprint der KMG, Seite 468). Auch dieser Winnetou ist noch ein Krieger, der sich mit wahrer Kampfeslust in das dichteste Getümmel wirft und mit jedem Hieb seines Tomahawks einen Gegner niederstreckt. Selbstverständlich skalpiert er seine besiegten Feinde, um sich mit den Trophäen zu schmücken. Hat Karl May mit dieser Erzählung, die im Untertitel als Kriminalroman bezeichnet wurde, auch schon eine Form der Erzählung gefunden, die an spätere Werke erinnert, so ist doch noch vieles an ihr auszusetzen. Mit diesem Winnetou kann der Leser noch keine „innige Freundschaft“ schließen, er ist vom „edlen“ Apachen noch weit, weit entfernt. Zwar hat es Karl May verstanden, ihn uns durch Abenteuer und Episoden, durch ausführliche Beschreibung seiner Person und seiner Freundschaft zu den Weißen ein wenig näher zu bringen, dennoch verbleibt nach Lektüre der Erzählung der Eindruck, dass man diesem Indianer wohl nicht mehr in den Werken Karl Mays begegnen wird. Wesentlich sympathischer ist da schon der Krieger in der Erzählung „Deadly dust“, erschienen 1879 im „Deutschen Hausschatz“ und später von Karl May als Einleitung zum „Winnetou III“ umgestaltet. Er ist in dieser Geschichte bereits überall als „gerecht, klug, ehrlich, treu, stolz und tapfer bis zur Verwegenheit“ bekannt. May schildert sein Auftreten wie folgt: „Seine breiten Schultern und seine starke Brust waren nackt und von zahlreichen Narben bedeckt. Um seine engen gerundeten Hüften schlang sich eine feine Decke von Santillo, in glänzenden, verschiedenartigen Farben schillernd. Eine kurze, prächtig gegerbte Wildlederhose legte sich eng um seine muskulösen Oberschenkel und war an den Seiten mit den Skalplocken getöteter Feinde geschmückt. Gamaschen von scharlachrotem Tuch bedeckten seine Unterschenkel, Kniebänder, von Menschenhaar geflochten, das jedenfalls auch von den Skalpen der Feinde stammte, und aus Stachelschweinborsten gefertigte Eicheln umschlossen über den Knöcheln und unterhalb der Knie diese Gamaschen, und die Füße staken in wirklich kunstreichen Mokassins, die mit Zierrat von Pferdehaaren ausgeputzt waren. Von seiner Schulter herab hing das Fell eines grauen Bären… Er trägt das Haar lang herab. Nur eine einzige Locke ist aufgewickelt, in der drei Adlerfedern stecken.“ Zitiert nach KMJB 1921, S. 343). Sieht man von einigen kleinen Ausschmückungen ab, so erscheint hier wieder die Gestalt des Rayon Brulant-Falkenauges, die Karl May schon in seiner (bereits zitierten) Bearbeitung verändert hatte. Wie bei Catlin (darauf kommen wir später noch einmal zurück) beschrieben, trägt er das Haar offen herabhängend. Seine Beinbekleidung ist mit Skalphaaren geschmückt, und was beim „Brennenden Stahl“ mit Pferdehaar bestickt war, ist nun ebenfalls mit Menschenhaar versehen. Auch in seiner ganzen Wesensart ist der Apache, der „brave Krieger“, noch nicht „über seinen Schatten gesprungen“. Er tötet aus Rachemotiven und verfolgt seine Feinde unbarmherzig. Für die spätere „Winnetou III“-Erzählung mussten hier natürlich einschneidende Änderungen bei der Verarbeitung der Geschichte vorgenommen werden. Am Schluss der Erstfassung verabschiedete sich der Erzähler wieder für immer von Winnetou.

In all diesen Indianereizählungen ist die Handlung vordergründig, die Unterhaltung, das Abenteuer für den Leser wesentlicher Bestandteil. Wohl wird einmal erwähnt, dass die Indianer bedroht seien, aber vom heldenhaften Kampf für die Indianer ist nicht die Rede, es wird munter gemordet, skalpiert und geschossen. Auch unser Old Shatterhand ist nicht frei von wilden Zügen, es „kribbelt“ ihm manchmal am Abzugsfinger, wie z.B. in der Erzählung „Deadly dust“, als er beinahe ein paar Indianer aus dem Hinterhalt „abgeknallt“ hätte. Die Haltung, die Old Shatterhand bzw. Karl May den Indianern gegenüber einnimmt, ist charakteristisch für die damalige Zeit zu nennen. Der Indianer war für alle der Wilde, der zurückweichen musste, der dem Weißen Platz zu machen hatte und keinerlei Rechte besaß. Es wäre allzu hypothetisch, wollte man behaupten, dass Catlins Werk hier entscheidenden Einfluss auf Karl May ausübte. Catlin hat sich jedoch tatsächlich der Indianer angenommen und war stark betroffen, als er vom Untergang der Mandan erfuhr. Catlin hat sich mehrfach für die Indianer in seinem Werk eingesetzt, ja, man kann sagen, dass er diese schlichten, einfachen Menschen liebte. Mit wahrer Begeisterung berichtete er oft über die schönen Indianer, und mit Wehmut nahm er an ausgelassenen Festen teil, immer mit dem Gedanken, dass diese Rasse dem Untergang geweiht war. Vielleicht gab einiges aus diesem Werk bei Karl May den Ausschlag, sich mehr für die unterdrückten und ausgenutzten Indianer einzusetzen und in seinen Geschichten aufzuzeigen, dass es bei ihnen auch wirklich Menschen gab, mit allen edlen Anlagen. Und dass es verbrecherische Weiße gab, denen jedes Mittel zum Erreichen ihrer Ziele recht war. Im Folgenden weiden wir versuchen, die Zusammenhänge zwischen den Schilderungen Catlins und den Indianergeschichten Karl Mays anhand von Textfaksimiles aufzuzeigen.