Geschichte des Braunschweigischen Leichten Infanterie-Bataillons 1776 - 1783

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Geschichte des Braunschweigischen Leichten Infanterie-Bataillons 1776 - 1783
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Geschichte des Braunschweigischen Leichten

Infanterie-Bataillons „von Barner“

in Nordamerika von 1776 bis 1783

Herausgegeben und zusammengestellt von

Thomas Ostwald

nach einer Arbeit von Claus Reuter

unter Berücksichtigung alter Quellen und Tagebücher

Edition Corsar

Dank

Der Herausgeber dankt ganz besonders Herrn Claus Reuter, Toronto, für seine geleisteten Vorarbeiten für diese Arbeit und seine zahlreichen, stets weiterführenden Hinweise, sowie Professor emeritus Thomas Barker, dem ich den Zugang zu vielen Dokumenten verdanke sowie zahlreiche eindrucksvolle Erlebnisse an den Originalschauplätzen in Nordamerika. Mit beiden verbindet mich eine langjährige Freundschaft. Dank gebührt Herrn Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel, seinerzeit Landesmuseum Braunschweig, für die Erlaubnis zur Verwendung der Bilder des Ehepaares Riedesel, von Du Roi sowie die Fotos der Jägerbüchse und der Hirschfänger aus dem Bestand des Landesmuseums, Braunschweig. Dank gilt auch Herrn Dr. Jarck und dem Niedersächsischen Staatsarchiv, Wolfenbüttel, für die Genehmigung zum Abdruck der Dokumente aus dem Nachlass „Riedesel, Reg. Nr. 237 N“. Dank geht ferner an das Stadtarchiv Braunschweig sowie an die Edition Friese & Lacina für die Abdruckgenehmigung der Knötel-Bilder.

Edition Corsar D. u. T. Ostwald, Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten. © 2007 / 2021

Der Vertrag mit England

Seit 1730 war das Herzogtum Wolfenbüttel politisch eng mit dem Königreich Preußen verbunden. Der damalige Erbprinz Carl und spätere Herzog Carl I. (1713 – 1780) heiratete im Jahre 1733 Philippine Charlotte (1716 – 1801), die Schwester Friedrich des Großen. Friedrich der Große (1712 – 1786) wiederum heiratete Elisabeth Christine, eine Prinzessin aus dem Hause Braunschweig-Bevern.

Die Prinzen des Hauses Braunschweig-Wolfenbüttel dienten von dieser Zeit an in der preußischen Armee. Vier der braunschweigischen Prinzen starben über die Jahre im Dienste Preußens. Die Prinzen liegen heute in der Gruft des Domes in Braunschweig begraben.

Im Jahre 1756 brach in Europa der Siebenjährige Krieg aus. Er sollte dem Herzogtum Braunschweig schwere Entbehrungen und Verluste bringen. Die alliierten Armeen in Norddeutschland wurden von den angreifenden Franzosen geschlagen und sollten durch die Kapitulation beim Kloster Zevern die Waffen strecken. König Georg II. von England billigte diese schamvolle ‚Konvention’ nicht.

Um die kritische Lage in Norddeutschland zu wenden, wurde ein neuer Feldherr ernannt, bei dem es sich um den preußischen General Ferdinand von Braunschweig (1721 – 1792) handelte, der jetzt den Oberbefehl übernahm. Unter seiner Führung kämpfte auch Carl Wilhelm Ferdinand, der Sohn Carl I. Mit zahlenmäßig unterlegenen Kräften gelang es Ferdinand, die Franzosen und die mit ihnen verbündeten Sachsen aus Norddeutschland zu verdrängen.

Damals mussten das Herzogtum Braunschweig, die Landgrafschaft Hessen-Kassel und Westfalen schlimme Zeiten ertragen. Wolfenbüttel wurde von den Franzosen eingenommen und die Stadt Braunschweig belagert. Es gelang Ferdinand, die Stadt Braunschweig zu entlasten und Wolfenbüttel den Franzosen wieder zu entreißen. In diesem Krieg stellte das kleine Herzogtum Braunschweig die beachtliche Zahl von 16.000 Mann ins Feld.

England war das einzige Land, das aus diesem Krieg Nutzen zog. Die französische Armee war in Deutschland durch deutsche Truppen gebunden und erlitt Verluste. Frankreich musste deshalb ständig neue Truppen nach Deutschland entsenden. Diese Bindung der französischen Kräfte in Deutschland verhinderte Frankreichs Truppenverstärkung in seinen überseeischen Besitzungen in Indien und Kanada. Dadurch wurde es England möglich, diese französischen Überseebesitzungen zu erobern.

Nach Beendigung der Feindseligkeiten wurde die starke Armee des Herzogtums sofort von Herzog Carl als Sparmaßnahme verringert, nicht jedoch im wünschenswerten Umfang, denn die bevorstehenden Friedensverhandlungen forderten ein entsprechendes Faustpfand. Es war die Politik der vielen deutschen Kleinstaaten, mit Hilfe einer starken Armee neue Schutz- und Trutzbündnisse auszuarbeiten.


General Riedesel, Oberbefehlshaber der Braunschweiger Truppen und seine Frau Friederike (hier mit Witwenschleier, also nach dem Tod ihres

Mannes dargestellt), die ihm mit ihren Kindern nach

Amerika folgte. Originale im Landesmuseum Braunschweig

Aus einem dieser Bündnisse erwuchs dem Herzogtum Braunschweig die Verpflichtung, den Kaiser in seinem langen Kampf gegen die Türken zu unterstützen. Die im Siebenjährigen Krieg und später abgeschlossenen Bündnisse halfen dem Herzogtum Braunschweig und der Landgrafschaft Hessen-Kassel. Das Ende des Siebenjährigen Krieges fand das Herzogtum nahe am Staatsbankrott. Der in preußischen Diensten stehende Erbprinz Carl Wilhelm Ferdinand versuchte, das kommende Unheil durch Reduzierung der Armee und andere Sparmaßnahmen abzuwenden. Herzog und Erbprinz waren sich darin einig, dass neue Steuern dem Herzogtum nicht auferlegt werden könnten.

Die Legende von den verkauften Soldaten

Andere Mittel mussten also gefunden werden, um die finanzielle Notlage zu beheben. In Nordamerika begannen zu diesem Zeitpunkt ernsthafte Unruhen, auf die die englische Krone schlecht vorbereitet war. Nur 7.000 englische Soldaten waren im Jahre 1775 in den englischen Kolonien in Nordamerika stationiert. In Kanada befanden sich zur Verteidigung des Landes weniger als 1.000 Mann, eine völlig unzureichende Truppenzahl für die Größe des Landes. Aus anderen Teilen des englischen Weltreiches konnten keine Truppen abgezogen werden. In dieser Notlage entschloss sich König Georg III., seine Verwandten in Deutschland um Truppen für die englische Sache in Nordamerika zu bitten.

Es bestanden nicht nur enge politische Beziehungen zwischen England und Braunschweig, sondern auch verwandtschaftliche zwischen dem englisch-hannoveranischen Königshaus und dem herzoglichen Haus Braunschweig. Erbprinz Carl Wilhelm Ferdinand heiratete am 16. Februar 1764 Augusta (1737 – 1813), die Schwester König Georgs III. (1738 – 1820). Es lag also nahe, dass sich England in seiner Notlage an Braunschweig wandte, den Verbündeten aus dem Siebenjährigen Krieg.

Für die Braunschweiger war die schlechte finanzielle Lage des Herzogtums ausschlaggebend, obwohl auch politische Erwägungen eine große Rolle spielten. So war z.B. abzusehen, dass Frankreich in den sich anbahnenden Konflikt in Nordamerika eingreifen würde, da es bereits offen die Rebellen unterstützte. Die Niederlage im Siebenjährigen Krieg sowie der Verlust Kanadas und Indiens an England blieben den Franzosen in schmerzhafter Erinnerung.

Der amerikanische Konflikt brachte auch große Probleme für viele deutsche Kleinstaaten, war es doch ein Teil der französischen Politik, englische Kräfte in Übersee zu binden, um freien Lauf in Europa zu gewinnen. So war es Frankreichs Ziel, seine Ostgrenze bis an den Rhein vorzuschieben. Braunschweig und Hessen-Kassel mussten sich also einem der politischen Machtblöcke anschließen; ihre Neutralität war ausgeschlossen. Weder zahlenmäßig noch in der Größenordnung waren sie den Gegebenheiten gewachsen.

So kam es zu einem Verteidigungsbündnis zwischen England, Hessen-Kassel und Braunschweig, demzufolge Hessen-Kassel und Braunschweig Truppen für die Kämpfe in Nordamerika zur Verfügung stellten, England andererseits im Falle eines Angriffes auf beide Länder finanzielle und militärische Hilfe zusagte. Dieser Vertrag richtete sich gegen die Expansionspolitik Frankreichs. Andere deutsche Kleinstaaten folgten dem Beispiel Braunschweigs und Hessen-Kassels, indem sie ebenfalls Bündnisse mit England abschlossen, die den militärischen Einsatz in Nordamerika vorsahen. Es handelte sich um die Kleinstaaten von Anhalt-Zerbst, Hessen-Hanau, Ansbach-Bayreuth und später auch Waldeck. Auch das Kurfürstentum Hannover lieferte Truppen, die im Mittelmeerraum auf Seiten Englands zum Einsatz kamen.

Ein Zeitzeuge notierte damals in seinem Tagebuch die Ereignisse wie folgt: „Der rebellische Aufstand der englischen Colonien in America, welcher vorzüglich seit einigen Jahren in den Provinzen NeuEngelland, Neu Hampschire, Jerseys, Nord und Süd Carolina, Maryland, Pensilvanien, Neu York geherschet und durch die Einführung der Taxe und Stempel-Acte seinen Anfang genommen hatte, machte es nothwendig für die Krone Engelland, der Mutter dieser Provintzen, da alle Unterhandlung dieserhalb nichts gefrüchtet hatten, eine Armee nach America zu senden, um diese rebellische Unterthanen zu zwingen, die ergriffenen Waffen nieder zu legen. Weil aber, nach der Politic, Engelland sich nicht zu sehr von Truppen entblößen konte; so wurde durch eine Parlements-Acte beschloßen, aus Teutschland Truppen in Subsidien zu nehmen, welche in America gebraucht werden solten. Der in Hannover sich aufhaltende englische Oberste Faucit wurde demnach befehliget, bey den beyden Hochfürstl. Höfen Braunschweig und Heßen-Cassel um ein Corps Truppen anzusuchen und wurden Behuef deßen von Heßen-Cassel 12 000 Mann und Braunschweigischer Seits 4300 Mann verwilligt und zum Dienst der Krone Engelland in Subsidien übergeben. Diese Unterhandlung geschahe ohnegefehr in der Mitte des December Monats 1775 und mit dem Anfange des Januars 1776 erhielten leztere 4300 Mann schon die Ordre, sich in marschfertigen Stand zu setzen. ...

Am 6ten Febr. 1776 wurden die Regimenter der 1ten Division auf dem SchloßPlatze zu Wolfenbüttel (die Grenadiers ausgenommen, welche in Braunschweig in Garnison lagen) gemustert, ob selbe vollzählig und alle Feld Geräthschaften in dem gehörigen Stande sey. Nach diesem wurde Regiments weise zu den Fahnen geschworen, wobey der Feldprediger eine Rede vorhero hielt und die Kriegs-Articul durch den Auditeur verlesen wurden.

 

Der Tag des Ausmarsches war numehro auf den 15. Febr. festgesezt und bestimmt. Dieser Marsch erfolgte auch an dem Tage, doch das Corps war kaum eine Stunde weit marschiret, als ein Courier mit der Nachricht ankam, wie die Transport-Schiffe erst in einigen Wochen bey Stade erwartet würden. Die Truppen rückten gegen Mittag wieder in ihre Garnisonen ein und dieser Bewegungs Grund war hinlänglich, dass der Ausmarsch noch eine Woche länger verschoben wurde.

Der 22te Februar 1776 war also der Tag, an welchem die 1 te Division Hertzogl. Braunschw. Hülfs-Truppen, des Morgens 6 Uhr aus der Garnison Wolfenbüttel aufbrach, auf ihren Marsch gegen Mittag rechts die Stadt Braunschweig vorbey passirte und noch an diesem Tage in das Hertzogthum Lüneburg einrückte ...“

Subsidien, Truppenwerbung auf Zeit, Söldner und Handgeld waren im 17. und 18. Jahrhundert Begriffe, die hier keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Für europäische Staaten gab es noch keine Vorstellung von Nation, Volk und Vaterland. Fürstliche und kirchliche Autorität beherrschten ihre Untertanen. In der staatsrechtlichen Vorstellung war Ver-fügungsgewalt oder Besitz von Streitkräften ein Ausdruck von Souveränität. Eigene Truppen wurden unterhalten, um sie im Spiel der Kräfte einzusetzen oder sich damit neue Bundesgenossen zu gewinnen.

Militärische Taktik zielte nicht unmittelbar auf die Entscheidungsschlacht ab. Im Allgemeinen versuchte man, Schlachten zu vermeiden. Soldaten verlor man oft weniger im Kampf, als vielmehr durch Mangel an Hygiene, schlechte Ernährung oder Seuchen (vgl. dazu den Abschnitt „Alltag im Krieg“). Soldaten waren zu kostbar, um sie sinnlos in Schlachten zu opfern. Nun wird gerade dem Landgraf von Hessen-Kassel vorgeworfen, seine Soldaten auf Nimmerwiedersehen verkauft zu haben, eine Legende, die nicht der Wahrheit entspricht. Ausgangspunkt dafür war eine von George Washington und Benjamin Franklin ausgearbeitete Feindpropaganda, durch die deutsche Truppen als versklavt hingestellt werden sollten. Ironischerweise waren es gerade diese Truppen, die sich in Nordamerika am saubersten schlugen.

Die vertragsmäßig abgesicherten Abmachungen erregten zu ihrer Zeit keinen Anstoß. Einen Eid legten die angeworbenen Soldaten nur auf Zeit ab, eine Wehrpflicht gab es nicht. Preußen, Hessen-Kassel und auch Braunschweig hatten eine Art Dienstpflicht eingeführt. Bestimmte Berufsgruppen, darunter auch Lehrlinge, waren von dieser Dienstpflicht ausgenommen.

Auch der Wortlaut der Vereidigung auf Georg III. ist erhalten und soll hier zumindest auszugsweise wiedergegeben werden:

„Ich schwöre und gelobe Sr. Majestät Georg III hold und gewärtig zu sein, Ihm redlich und getreu zu dienen, zur Beschützung seiner Person Crone und Würde gegen alle seine Feinde und Wiedersacher, sie mögen sein welche sie wollen, in jeglichen Regimente Seiner Fuß Völker, dem ich zugetheilet werden möge; und sothanes Regiment weder öffentlich noch heimlich zu verlassen, bis ich meinen gebührenden Abschied der Capitulation gemäß von selbigem erhalte und nach dem Britischen Krieges-Artikeln mich in alle Wege aufs genaueste achten.“

Die ‚Enrollierten’ wurden in Friedenszeiten ausgebildet und dann für landwirtschaftliche Arbeiten z.B. beurlaubt. Die meisten Landesherren, darunter auch der Landgraf Hessen-Kassel und der Herzog von Braunschweig, dachten zuerst an die wirtschaftlichen Interessen ihrer Länder, wichtige Arbeitskräfte wurden gebraucht.

Werbung wurde nicht nur zu Hause, sondern auch im Ausland betrieben, ohne dass man dabei aber, wie z.B. in England, auf Entführung zurückgriff. Der Krieg wurde als ein Handwerk empfunden, sein Grund war Sache der Fürsten und ging den Soldaten in seiner Zielsetzung nichts an. Dem Soldaten war es gleichgültig, wofür und von wem er seinen Sold erhielt. Die Disziplin war streng, um Massendesertationen zu vermeiden. Wirtschaftsnot und Abenteuerlust zogen junge Männer zu den Fahnen. Auf dem Land konnten nicht alle Beschäftigung und Unterhalt finden, viele wurden deshalb Berufssoldaten. Nur wenige desertierten. Von über 2.000 Mann entfernte sich kein einziger auf dem Marsch von Braunschweig nach Stade, ähnlich verhielten sich die Truppen aus Hessen-Kassel. Von über 8.000 Hessen desertierten nur 13 Mann auf dem Marsch. Vergleichsweise blieb die Zahl der deutschen Deserteure auch in Nordamerika weit hinter der der englischen Deserteure zurück.

Die amerikanische Propaganda versorgte die Welt schon früh mit Halbwahrheiten und Fehl-informationen. Eines der schlimmsten Beispiele ist der sogenannte ‚Urias-Brief’, der angeblich vom Landgrafen Friedrich II. an einen Baron von Hohendorf gerichtet war, und in dem sich der Verfasser darüber beschwert haben soll, dass in dem Gefecht bei Trenton nur 1.650 Hessen gefallen wären! Nach offiziellen Angaben fielen aber bei Trenton nur 17 Mann. Der Brief könnte aus Benjamin Franklins Feder stammen, da er die amerikanische Kriegspropaganda leitete. Immer wieder begegnet der Forscher diesem Brief.


General Riedesel in jungen Jahren

Johann Gottfried Seume als „Zeitzeuge“


Auch die Berichte des Unteroffiziers Johann Gottfried Seume (1763 – 1810) trugen dazu bei, das negative Bild der deutschen Landesfürsten bei der Subsidienwerbung weiter zu fördern1.

Seume verbrachte den Krieg in der Schreibstube des Kommandeurs und nahm an Kampfhandlungen nicht teil. Seine angeblich 22 Wochen dauernde Seereise erstreckte sich tatsächlich nur über 9 Wochen und 2 Tage. Im Jahre 1781 desertierte er in Deutschland und fiel in die Hände preußischer Werber. Seine Erlebnisse in der preußischen Armee fanden Eingang in den Bericht dessen, was er in Nordamerika erlebt haben wollte. Später meldete er (der angeblich zum Soldaten gepresst worden war!) sich freiwillig zum Dienst in der russischen Armee.

Über die Glaubwürdigkeit Seumes als ‚Zeitzeuge‘ finden wir bei Philipp Losch, Soldatenhandel, folgende Bemerkung:

„Last not least“ – um mit der dem ‚Spaziergänger von Syrakus‘2 besonders lieben Sprache zu be-ginnen. Niemand wird öfter als Kronzeuge für den hessischen Soldatenhandel angeführt als Johann Gottfried Seume.

Ja, wer ist denn eigentlich dieser Seume? Was weiß denn der Durchschnittsdeutsche von ihm? Meistens nicht mehr als dass er

1. Das hübsche Gedicht von dem ‚Canadier, der Europens übertünchte Höflichkeit nicht kannte?‘ gemacht hat;

2. dass er von dem Landgrafen von Hessen nach Amerika verkauft worden ist.

In der ehemals landgräflich hessischen Stadt Vacha steht noch ein Haus, die Gastwirtschaft ‚Sachsenheim‘, an der der Rhönklub die lapidare Inschrift anbringen lassen wollte: ‚Hier fiel der Dichter Johann Gottfried Seume 1776 hessischen Werbern in die Hände.‘ Dazu kam es nun freilich nicht, wahrscheinlich war kein Geld da. Und weil kein Geld da war, wurde später Notgeld gedruckt, und der 75 Pfennig-Schein zeigt das Bild des Sachsenheims mit der Unterschrift: „1785 fiel hier der Dichter Seume in die Hände hessischer Werber.“3 Das ist in beiden Fällen Unsinn; denn im Jahre 1785 war er preußischer Soldat in Emden. Wie er aber 1781 hessischen Werbern ‚in die Hände fiel‘, das ist auch ein bisschen anders, als es gewöhnlich dargestellt wird. Danach wurde er von den hessischen Werbern mit Gewalt gepresst und dann nach Amerika verkauft.

Nun wollen wir dem guten Seume beileibe kein Unrecht tun. Er selber hat das nämlich gar nicht so bestimmt behauptet. Sein Biograph sagt darüber: ‚Die näheren Umstände dabei verschweigt Seume in seiner Selbstbiographie‘, und fügt hinzu: ‚doch sind sie nicht schwer zu erraten.‘ Das sind sie auch meiner Meinung nach nicht.

Man stelle sich vor: ein abenteuerlustiger Student hat das Studieren satt und bricht heimlich von der Universität auf, um französischer Soldat zu werden. Unterwegs trifft er hessische Werber, die ihm zureden, doch lieber ihr Handgeld zu nehmen. Ich denke, es wird nicht viel Überredung nötig gewesen sein. Er ließ sich also anwerben, hat aber nie die Gründe dazu verraten. Selbst seinem vertrauten Freund Münchhausen gegenüber ‚wollte er nie recht mit der wahren Farbe heraus‘ und bekannte nie, was ihn eigentlich ‚von Leipzig weg und in den hessischen Rekrutenrock gebracht hatte‘. Dass er sich freiwillig anwerben ließ, hat Münchhausen nie bezweifelt. Reute den jungen Studenten später sein Entschluss, so wäre es ihm, dem Günstling des Reichsgrafen Hohenthal und des hessischen Generals v. Gohr, kaum allzu schwer geworden, wieder frei zu kommen. Er sagte und schrieb aber kein Wort, ging als Soldat nach Amerika, wurde von den hessischen Offizieren verwöhnt, zum Sergeanten befördert. Wenn Seume behauptet, dass ihm die Offizierslaufbahn verschlossen gewesen sei, weil er nicht adeligen Standes war, so ist demgegenüber zu bemerken, dass die meisten hessischen Offiziere Bürgerliche waren. Seume verwechselt wohl die hessischen mit den preußischen Verhältnissen, die zur Folge hatten, dass S t e u b e n, der Abkömmling hessischer Bauern, sich sogar eine Ahnentafel von 16 adligen Ahnen fabrizieren ließ.4 Während seiner Dienstzeit hatter sein Gewehr nur auf unschuldige Tiere des Waldes abgefeuert und außerdem Fische geangelt.

Es ging ihm also im Großen und Ganzen recht gut in den beiden Jahren, die er in hessischen Diensten zubrachte. Trotzdem beging er die große Dummheit, nach der Rückkehr in Bremen zu desertieren, angeblich aus Angst, an die Preußen verkauft zu werden, woran kein Mensch dachte. Und gerade diesen gefürchteten Preußen5 fiel er in die Hände, musste seinen hessischen Korporalsrock ausziehen und vier Jahre als preußischer Gemeiner dienen. Das gefiel ihm nun begreiflicherweise sehr wenig, wie die damals gedichteten Verse zeigen:

Wer aber schuf Dir, Fremdling, solch ein Recht,

Dass Du zum Sklav mich machst

Und wie der Afrikaner seinen Knecht

Mit Deinem Donner mich bewachst?‘

Dieser Bewachung entzog er sich durch dreimalige Desertion, wurde zu Spießrutenlaufen verurteilt und entkam schließlich nur durch Bruch eines Kautionsversprechens.

Nun sollte man denken, das deutsche Volk, das sonst von dem Dichter Seume herzlich wenig weiß, wüsste etwas von diesen Drangsalen und bedauerte ihn deswegen. Weit gefehlt! Allerdings wird der Dichter bedauert, tief bedauert, aber nicht wegen der preußischen Spießruten, sondern weil er von den Hessen nach Amerika verkauft wurde, wo es ihm eigentlich doch ganz gut ging.

Da aber reißt er aus, und dies Ausreißen wurde durch eine Erinnerungstafel an einem Bremer Haus gefeiert, ähnlich wie auf dem Notgeld der Stadt Vacha. Also nur Anfang und Ende seines kurzen hessischen Militärdienstes sind verewigt.

Das ist wohl eine Folge seiner Selbstbiographie, die hauptsächlich diesen hessischen Militärdienst schildert und mit ihm abschließt. Zur Schilderung seiner preußischen Leiden ist er nicht mehr gekommen. Wir wollen nicht mit ihm darüber rechten, dass

er in dieser Biographie sehr viel Dichtung mit Wahrheit gemischt hat, das ist das gute Recht des Poeten, und er schreibt einmal: ‚Die Poeten pflegen immer eine starke Licentiam zu haben.‘ So behauptet er mehrmals, die Seereise habe 22 Wochen gedauert, während sein Schiff nur 9 Wochen und 2 Tage unterwegs war. So erzählt er die Geschichte von der Schiffskost: ‚Heute Erbsen und Speck, morgen Speck und Erbsen‘ und die viel nachgedruckte Erzählung von dem Umwenden der schlafenden Soldaten auf Kommando des Flügelmannes fast genau mit den Worten des waldeckischen Fouriers Steuernagel als Selbsterlebtes. Aber das ist nicht so wichtig, denn kein Vernünftiger bezweifelt, dass ein Truppentransport im 18. Jahrhundert erheblich unbequemer war als später eine Fahrt auf einem Bremer Lloyddampfer. Alles in allem genommen, ist es wirklich ein lesenswerter Beitrag zur Geschichte der Zeit, wenn Seume nicht dem hessischen Landgrafen Friedrich II. den Namen des ‚damaligen großen Menschenmäkler‘ angehängt und behauptet hätte: ‚Die Geschichte und Periode ist bekannt genug; Niemand war damals vor den Handlangern des Seelenverkäufers sicher; Überredung, List, Betrug, Gewalt, alles galt. Man fragte nicht nach den Mitteln zu dem verdammlichen Zwecke. Fremde aller Art wurden angehalten, eingesteckt, fortgeschickt.‘ Hier verwechselt Seume zweifellos die Praxis der preußischen Werber mit der der hessischen, die sehr strenge Verhaltungsmaßregeln von dem Landgrafen erhalten hatten6. Münchhausen in seinen ungedruckten Manuskripten behauptet: ‚Gewaltsam haben die Hessen nie geworben, wer es auch sein mag. Wenigstens ist mir auch nicht ein einzig Beispiel unter mehr als tausend Rekruten davon bekannt geworden.‘

 

Ob nun die landgräflichen Vorschriften immer und in allen Fällen befolgt worden sind, das sei dahingestellt. Seume hatte jedenfalls keinen Grund, sich über die hessische Praxis zu beklagen. Er ist freiwillig und nicht ungern mit nach Amerika gegangen; aber um sich von dem Odium zu reinigen, dass er, der freiheitsdurstige Poet, einst gegen die amerikanischen Unabhängigen gezogen war, musste er es in seiner Biographie so darstellen, als ob er dazu gezwungen gewesen sei. Deshalb auch sein angeblicher (übrigens nie ausgeführter) Plan, zu den Amerikanern zu desertieren. Wenn man nun weiß, dass Seume später (und hier zweifellos freiwillig) in russische Militärdienste getreten ist und gegen die polnischen Freiheitshelden zu Felde zog, so hatte er eigentlich wenig Grund, sich seiner hessischen Militärzeit zu schämen. Das hat er ja auch eigentlich nicht getan, immer gern den Freund der Huronen und zugleich den russischen Leutnant gespielt.

Seumes Biographie gehört unstreitig zu den Quellen des Soldatenhandels, aber zugleich auch zu den trüben Quellen, über die man schreiben soll: Mit Vorsicht zu genießen!“


Friedrich Schiller (1759 – 1805)

Friedrich Schiller, Kabale und Liebe

Immer wieder gern wird dieses Werk Schillers zitiert, wenn es darum geht, den Soldatenhandel anzuprangern. In dem 1784 fertig gestellten Werk, das in Mannheim aufgeführt wurde, finden wir im 2. Akt, 2. Szene, folgende Episode:

Ein alter Kammerdiener des Fürsten, der ein Schmuckkästchen trägt. Die Vorigen.

Kammerdiener: Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen Sich Mylady zu Gnaden, und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen so eben erst aus Venedig.

Lady (hat das Kästgen geöffnet und fährt erschrocken zurück) Mensch! Was bezahlt dein Herzog für diese Steine?

Kammerdiener (mit finsterm Gesicht) Sie kosten ihn keinen Heller.

Lady: Was? Bist du rasend? Nichts? – und (indem sie einen Schritt von ihm weg tritt) du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wolltest – Nichts kosten ihn diese unermeßlich kostbaren Steine?

Kammerdiener: Gestern sind siebentausend Landeskinder nach Amerika fort – Die zahlen alles.

Lady (setzt den Schmuck plötzlich nieder, und geht rasch durch den Saal, nach einer Pause zum Kammerdiener) Mann, was ist dir? Ich glaube, du weinst?

Kammerdiener (wischt sich die Augen, mit schrecklicher Stimm, alle Glieder zitternd) Edelsteine wie diese da – Ich hab auch ein paar Söhne darunter.

Lady (wendet sich bebend weg, seine Hand fassend) Doch keinen Gezwungenen?

Kammerdiener (lacht fürchterlich) O Gott – Nein – lauter Freiwillige. Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch vor die Front heraus, und fragten den Obersten, wie teuer der Fürst das Joch Menschen verkaufe? – aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschieren, und die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster sprützen, und die ganze Armee schrie: Juchhe nach Amerika! – Lady (fällt mit Entsetzen in den Sofa) Gott! Gott! – Und ich hörte nichts? Und ich merkte nichts?

Kammerdiener: Ja gnädige Frau – warum mußtet Ihr denn mit unserm Herrn gerad auf die Bärenhatz reiten, als man den Lärmen zum Aufbruch schlug? – Die Herrlichkeit hättet Ihr doch nicht versäumen sollen, wie uns die gellenden Trommeln verkündigten, es ist Zeit, und heulende Waisen dort einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine wütende Mutter lief, ihr saugendes Kind an Bajonetten zu spießen, und wie man Bräutigam und Braut mit Säbelhieben auseinander riß, und wir Graubärte verzweiflungsvoll da standen, und den Burschen auch zuletzt die Krücken noch nachwarfen in die neue Welt – Oh, und mitunter das polternde Wirbelschlagen, damit der Allwissende uns nicht sollte beten hören –

Lady (steht auf, heftig bewegt) Weg mit diesen Steinen – die blitzen Höllenflammen in mein Herz (sanfter zum Kammerdiener) Mäßige dich, armer alter Mann. Sie werden wieder kommen. Sie werden ihr Vaterland wieder sehen.

Kammerdiener (warm und voll) Das weiß der Himmel! Das werden Sie! – Noch am Stadttor drehen sie sich um und schrieen: „Gott mit Euch, Weib und Kinder – Es leb unser Landesvater – am jüngsten Gericht sind wir wieder da!“

Lady (mit starkem Schritt auf und nieder gehend) Abscheulich! Fürchterlich! Mich beredete man, ich habe sie alle getrocknet die Tränen des Landes – Schrecklich, schrecklich gehen mir die Augen auf – Geh du – Sag deinem Herrn – Ich werd ihm persönlich danken (Kammerdiener will gehen, sie wirft ihm ihre Goldbörse in den Hut) Und das nimm, weil du mir Wahrheit sagtest –

Kammerdiener (wirft sie verächtlich auf den Tisch zurück) Legts zu dem übrigen.

(Er geht ab.)

Lady (sieht ihm erstaunt nach) Sophie, spring ihm nach, frag ihn um seinen Namen. Er soll seine Söhne wieder haben … 7 Schiller soll diese Szene angeblich nach einem Erlebnis seines Vaters geschrieben haben. Trotzdem wurde das Stück am 29. Mai 1789 mit „höchster Erlaubnis“ in Kassel aufgeführt, man fand also nichts Anstößiges darin. Tatsächlich bezieht sich die Szene auf den Herzog von Württemberg, dessen Truppen nicht nach Amerika gingen, sondern ans Kap geschickt wurden.


Johann Wolfgang v. Goethe (1749-1832)

Und Goethe?

Gern nimmt man einige Zeilen Goethes aus dem „Neuesten aus Plundersweilern“ (1781), um zu zeigen, dass auch er den Soldatenhandel verurteilte:

Und zwar mag es nicht etwa sein

Wie zwischen (Cassel und Weißenstein),

Als wo man emsig und zu Hauf

Macht Vogelbauer auf den Kauf

Und sendet gegen fremdes Geld

Die Vöglein in die weite Welt.

Losch bemerkt dazu (a.a.O., S. 50), dass Goethe im Kasseler Werkhaus die Anfertigung von Vogelbauern beobachtete und damit eine Anspielung auf die Truppenversendung gar nicht so sicher sei. Er fährt fort:

„Wie hätte er sonst so weit gehen können, ein paar Jahre später seinem Herzog den Abschluß eines Subsidienvertrages mit den Holländern direkt zu empfehlen mit den Worten: ‚Die Bedingungen klingen ganz gut‘ (Brief vom 26. Nov. 1784).“

Wie zerrissen also die „Prominenten“ zwischen eigener Einschätzung und öffentlicher Meinung (zumindest der späterer Jahre) waren, zeigt auch das Beispiel Lessings:


1729 - 1781

Gotthold Ephraim Lessing

kritisierte bereits in seinem Stück „Minna von Barnhelm“ (1767) die Anwerbung von Soldaten zum Dienst in fremden Staaten. Sein Major von Tellheim fragt im Gespräch: „Aber sagen Sie mir doch, mein Fräulein, wie kam der Mohr in venetianische Dienste? Hatte der Mohr kein Vaterland? Warum vermietete er seinen Arm und sein Blut einem fremden Staate?“

Im Jahre 1770 wurde Lessing durch die Vermittlung Johann Arnold Eberts von Carl Wilhelm Ferdinand als Bibliothekar nach Wolfenbüttel geholt. Am 23. Januar 1776 schrieb Lessing an seine Verlobte Eva König (1736 – 1778), nachdem er erfahren hatte, dass ihr Sohn Theodor aus früherer Ehe Soldat werden wollte: „Der Einfall ihres ältesten Sohn’s ist so unrecht gar nicht, wenn er nur erst völlig und sicher kuriert ist. Wenn er dieses schon jetzt wäre; so könnte ich vielleicht in B(raunschweig) jetzt für ihn tun, was Sie in Wien getan haben wollten. Denn sie werden es wohl wissen, dass B 4000 Mann in englischen Sold gibt.“8 Wie klingt das? Nach „Wes Brot ich eß‘, des Lied ich sing‘?“ oder nach ehrlicher Einstellung zum Soldatenhandel, in dem auch die gebildete Welt der damaligen Zeit nichts Ehrenrühriges sah?

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