Geschichte der Schweiz

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Geschichte der Schweiz
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Dieses Buch ist nach den neuen Rechtschreibregeln verfasst.

Hinzufügungen in Zitaten sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen,

Auslassungen mit … gekennzeichnet.

Lektorat: Simon Wernly, Hier und Jetzt

Gestaltung und Satz: Sara Glauser, Hier und Jetzt

Bildverarbeitung: Humm dtp, Matzingen

Dieses Werk ist auch als E-Book erhältlich:

ISBN E-Book 978-3-03919-808-5

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

5., überarbeitete und aktualisierte Ausgabe 2015

© 2010 Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden

www.hierundjetzt.ch

ISBN 978-3-03919-174-1

DIE SCHWEIZ ALS GESCHICHTE

Einleitung

STÄDTE UND LÄNDER IM HEILIGEN RÖMISCHEN REICH

13. und 14. Jahrhundert

KONFLIKTE BEI DER TERRITORIENBILDUNG

1370 bis 1450

AUF DER SUCHE NACH GRENZEN

1450 bis 1520

DIE GLAUBENSSPALTUNG

16. Jahrhundert

EINTRITT IN DIE STAATENWELT

17. Jahrhundert

REFORMBEMÜHUNGEN UND IHRE GRENZEN

18. Jahrhundert

REVOLUTION, EINHEITSSTAAT, FÖDERALISMUS

1798 bis 1813

DURCH VERTRAGSBRUCH ZUR VERFASSUNG

1813 bis 1848

DAS BÜRGERLICHE ZEITALTER

Zweite Hälfte 19. Jahrhundert

ZWISCHEN DEN EXTREMEN

Erste Hälfte 20. Jahrhundert

KONKORDANZ UND KALTER KRIEG

Zweite Hälfte 20. Jahrhundert

1989 – UND DIE FOLGEN

Die Jahrtausendwende

Hinweise zur Landeskunde und zur historischen Begrifflichkeit

Kommentierte Bibliografie

Zeittafel Schweizer Geschichte

Ortsregister

Namensregister

Sachregister


Jakob Stampfer entwarf um 1560 den «Bundestaler», eine einzigartige Medaille insofern, als in ihrer Mitte ein Schweizerkreuz zu sehen ist. Im Gebrauch war das Kreuz seit dem 15. Jahrhundert vor allem unter Söldnern in gemischtkantonalen Truppen, die es auf Fahnen oder Uniformen aufhefteten. Im Ausland mehr als zu Hause erfuhren die Eidgenossen sich als Einheit und wurden so auch wahrgenommen. Erst 1840 entstanden, dank General Dufour, gesamtschweizerische Truppenfahnen mit weissem Kreuz auf rotem Grund: ein einheitliches Symbol für 22, später 23 Kantone. Davon konnte Stampfer noch nichts wissen. Er stellte um das Kreuz herum sinnbildlich die Eidgenossenschaft dar, wie er sie kannte, zuäusserst die dreizehn vollberechtigten Stände, die einen inneren Ring mit Zugewandten Orten schützend umgaben. Die Kantone waren weitgehend selbstständige, ja souveräne Kleinstaaten, die sich seit dem späten Mittelalter zu einem Bündnis zusammengefunden hatten, um gemeinsam ihre Herrschaftsordnungen gegen innere und äussere Bedrohungen zu beschützen.

Diese frühe, mittelalterliche Eidgenossenschaft macht immer noch den Kernbestand des schweizerischen Schulwissens aus, in dem «Schweizergeschichte» ansonsten eher ein Dasein am Rande fristet – anders als in den meisten Ländern, wo Nationalgeschichte als Voraussetzung staatsbürgerlicher Identität mit Nachdruck vermittelt wird. Das ist nur scheinbar überraschend bei einem Staatsvolk, das sich nicht ethnisch oder sprachlich definiert, sondern als historisch erprobte «Willensnation». Zum einen bleibt die eigene Geschichte wie die «Heimatkunde» gut föderalistisch zuerst auf den Kanton ausgerichtet, und zum anderen erscheint die Schweiz als Gebilde, das sich ausserhalb der Kriege, Revolutionen und Krisen bewegt hat, die den Gang der Weltge schichte ausmachten. Wenn sie sich denn überhaupt bewegt hat – schweizerische Geschichte gilt gemeinhin nicht als Ort der Brüche, sondern als Beispiel historischer Kontinuität: solid-langweilig für die einen, in ihrem Wesen früh festgelegt für andere. Dass die Geschichte des eigenen Volks einen ursprünglichen, einzigartigen Nationalcharakter zur Entfaltung gebracht habe, ist eine Grundannahme, welche die meisten Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts bei der Beschreibung ihres Sonderfalls teilten. Das trifft nicht nur auf die Schweiz zu; «exceptionalism» ist das Motto jeder Nationalgeschichte.

Ausserordentlich ist tatsächlich die Kontinuität, wie sie auf der Stampfer-Medaille ebenfalls greifbar wird: Die dreizehn Orte gibt es bis heute, auch unter den Zugewandten erkennt man künftige Kantone. Die Wappen von Mülhausen und Rottweil erinnern allerdings daran, dass die Rheingrenze ebenso wenig eine «natürliche» war (und ist) wie diejenige im Osten, Süden oder Westen. Gleichwohl wird, wer historische Karten des 16. Jahrhunderts oder die moderne hier im vorderen Bucheinband betrachtet, unschwer eine Schweiz erkennen, deren Aussengrenzen weitgehend den heutigen entsprechen. Dasselbe gilt für die selbstständigen Orte bis auf Bern, und auch bei den Zugewandten und Gemeinen Herrschaften entdeckt man viel Vertrautes. Erst recht ist dies der Fall, wenn man die napoleonische Neuordnung von 1803 und das Ergebnis des Wiener Kongresses von 1815 anschaut, wie sie im hinteren Einband zu sehen sind. Welcher andere europäische Staat hat sowohl Aussengrenzen als auch innere Struktur seit 200 Jahren praktisch unverändert bewahrt und die einzige bedeutende Änderung, die Bildung des Kantons Jura, einem demokratischen Prozess in autonomen Gemeinden zu verdanken? Das Bundesland Baden-Württemberg gibt es seit 1952; die Freigrafschaft Burgund (Franche-Comté) kam 1676 an Frankreich, Savoyen gar erst 1860; die Binneneinteilung in Departemente stammt von 1790. Das Aostatal wurde 1927 eine eigene Provinz und erhielt 1948 sein Autonomiestatut. Die historischen Regionen Piemont und Lombardei wurden 1861 in Provinzen aufgeteilt und erst 1970 als Regionen mit Normalstatut wieder eingerichtet. Südtirol kam nach dem Ersten Weltkrieg an Italien und erhielt 1972 ebenfalls ein Autonomiestatut. Vorarlberg war von 1806 bis 1814 bayerisch und wurde erst 1861 und vollends 1918 ein eigenständiges Land in Österreich(-Ungarn).

Die territoriale Kontinuität der Schweiz überrascht vor allem, wenn man die vielen, oft auch blutigen Konflikte bedenkt, welche ihre Geschichte durchziehen: Herrscher-Untertanen, Stadt-Land, Reformierte-Katholiken, Liberale-Konservative, Bürgerliche-Arbeiterschaft, deutsche und welsche Schweiz, Einheimische-Ausländer. Solche Gegensätze gab und gibt es ähnlich in vielen Ländern, und andernorts haben sie oft verheerende Auswirkungen gehabt. Wenn die Schweiz darüber nicht zerbrach, dann lag das einerseits daran, dass diese möglichen Bruchlinien nicht deckungsgleich verliefen und je nach Streitgegenstand neue Koalitionen ermöglichten; und andererseits war die Eidgenossenschaft, selbst wenn sie zeitweise ungeliebt war, stets das kleinere Übel als die Einbindung in ein benachbartes politisches Gebilde, dessen Zentralismus die (Gemeinde-)Autonomie nur schmälern konnte.

Die schweizerische Geschichte ist also reich an Konflikten und keine Saga der Harmonie in einem einig Volk von Brüdern. Sie war auch nicht von jeher ein Hort von Freiheit, Unabhängigkeit, Neutralität, Demokratie oder Föderalismus. Die nationale Geschichtsschreibung hat lange nicht nur die schweizerische Vergangenheit entlang diesen Leitlinien gezeichnet, sondern ihre Wurzeln bereits im Mittelalter entdecken wollen. Schon seit einiger Zeit sind allerdings Historiker davon abgekommen, die frühe Eidgenossenschaft im Hinblick auf eine spätere Erfolgsgeschichte zu behandeln. Sie widersetzen sich der Fixierung auf einen Ursprung, 1291, und einen Kern, die Waldstätte, und geben zumeist dem Mediävisten Bernhard Stettler recht, wenn er meint: «Die Schweiz, in der wir leben, ist 1848 entstanden.» Tatsächlich sind die liberalen Menschen- und Bürgerrechte, der Verfassungsgedanke, die Rechtsgleichheit und die (direkte) Demokratie im modernen Sinn, der Föderalismus und die Gleichberechtigung von drei, dann vier Landessprachen erst Errungenschaften des Bundesstaats.

 

Stampfers Bundestaler ist aber eines von vielen Sinnbildern dafür, dass die Schweiz gleichwohl über 1848 zurückreicht in dem Sinn, dass sich Menschen bei ihrem politischen Handeln von Traditionen leiten liessen, die sie selbst als eidgenössisch bezeichnet hätten. Die Gründerväter des Bundesstaates zogen ihre Lektion aus den Zielen und Fehlern der Helvetischen Republik; diese wiederum war geprägt durch aufklärerisches Gedankengut, das der Überwindung der konfessionellen Spaltung dienen sollte; in der Reformation beanspruchten aber beide Glaubensparteien das Erbe der heldenhaften Vorväter in den Schlachten gegen die Habsburger. Weiter zurück führt diese Kette nicht. Erst im 14. Jahrhundert wurden die Eidgenossenschaft und eine gemeinsame eidgenössische Vergangenheit zu einem Bezugspunkt des politischen Redens und Handelns: anfangs noch neben anderen Eidgenossenschaften oder Bündnissen, und noch lange neben anderen identitätsstiftenden Kollektiven, den Kantonen vor allem, später auch den Glaubensbekenntnissen und den politischen Ideologien. Seit dem 15. Jahrhundert unterrichteten Geschichtswerke die Eidgenossen über gemeinsame Wurzeln und leiteten daraus Handlungsanweisungen ab für das «Volk», das in einem ganz anderen Sinn als in monarchisch und adlig dominierten Staaten von Anfang an Adressat eidgenössischer Geschichtsschreibung war: Vom Weissen Buch von Sarnen (um 1474) führt eine wachsende Zahl von Bezugnahmen über die humanistischen Projekte des Aegidius Tschudi und des Zürcher Kreises um Heinrich Bullinger zu Johannes von Müllers aufklärerisch-romantischer Geschichtsvision und ihrer Popularisierung bei Heinrich Zschokke sowie ihrer Übersetzung durch Charles Monnard und weiter zur Nationalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, für welche Namen wie Johannes Dierauer oder Edgar Bonjour stehen können.

Insofern ist Schweizer Geschichte eine Reihe von Versuchen, die auf den Vorgängern aufbauen und den aktuellen historischen Wissensstand über die Schweiz in eine Erzählung bringen, die den Zeitgenossen die geschichtlichen Bedingtheiten der staatlichen Ordnung vor Augen führen, in der sie leben. In diesem Sinn will auch dieses Buch einen Überblick geben über die Entwicklung der «Schweizerischen Eidgenossenschaft» als politischer Gemeinschaft. Diese Ausrichtung auf die langfristige Entwicklung verkennt die Probleme der Nationalgeschichte nicht: Jede historische Arbeit privilegiert ihren Gegenstand und vernachlässigt dabei wichtige Alternativgeschichten. Das ändert aber nichts daran, dass viele Menschen sich für das Werden des politischen Verbands interessieren, in dem sie als Bürger oder Einwohner leben oder dem sie in den Medien, im Studium oder auf Reisen begegnen. Wer diese Nachfrage bedient, der braucht den Nationalstaat nicht als unvermeidliches und in seinem Wesen vorgegebenes Resultat der historischen Entfaltung zu verstehen, sondern kann ihn als eine von vielen, bisher immer wieder erfolgreichen Anpassungsleistungen an veränderte äussere und innere Verhältnisse sehen. Diese Rahmenbedingungen, so wichtig sie sind, können in einer Überblicksdarstellung jeweils nur kurz angesprochen werden: die Entwicklungen in Nachbarländern, in Europa und in der Welt; und viele soziale und kulturelle Aspekte im Inneren oder die politische Situation in den einzelnen Kantonen. Religion etwa war ein bestimmendes Element im Alltag der meisten Schweizer vom 14. bis ins 20. Jahrhundert; behandelt wird sie hier aber nur dann, wenn religiös begründetes Handeln Folgen hatte für die politische Gestalt der Eidgenossenschaft. Ihr gelten die folgenden Seiten – und nicht den vielen anderen interessanten Entwicklungen, die sich im Raum der Schweiz vollzogen haben.

Dieses Buch entstand am Institute for Advanced Study in Princeton; für die idealen Arbeitsverhältnisse bin ich den Verantwortlichen dort, insbesondere Jonathan Israel, ebenso zu grösstem Dank verpflichtet wie jenen an der Universität Heidelberg für ausserordentliche Forschungssemester. Meine Heidelberger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Jasper Bittner, Raphael Diegelmann, Felicitas Eichhorn, Regina Grünberg, Dario Kampkaspar, Johan Lange und Urte Weeber haben den Text Korrektur gelesen. Ihnen gilt mein Dank ebenso wie allen, die Teile des Manuskripts kritisch gelesen haben: Martina Bächli, Karin Fuchs, René Hauswirth, Caspar Hirschi, Mario König, Niklaus Landolt, Leena Maissen, Sacha Zala sowie Bruno Meier, ein generöser und kreativer Verleger. Sie alle haben manche Fehler entdeckt; an den verbleibenden trägt der Autor allein Schuld. Die Anregung, dieses Buch zu schreiben, das mittlerweile in seiner fünften, überarbeiteten und aktualisierten Auflage vorliegt, stammte nicht zuletzt von Roger Sablonier; er ist verstorben, kurz nachdem er den Mittelalterteil mit der ihm eigenen freundschaftlichen Strenge gelesen hatte. Ihm ist dieses Buch ebenso zugeeignet wie Alfred Bürgin, Hugo Bütler, Eric Dreifuss, Urs Jost und Markus Kutter, die ihren historischen Neigungen neben dem Hauptberuf treu blieben. Nicht mehr mit allen von ihnen sind die Gespräche noch möglich, die mir die schweizerische Geschichte in vielen Facetten näherbrachten, aber auch das Vertrauen von älteren Freunden vermittelten, dass der jüngere sich selbst zu grösseren historischen Projekten erkühnen dürfe, wie es eine «Geschichte der Schweiz» gewiss ist.


Die Eidgenossenschaft entstand im 14. Jahrhundert als Geflecht von Bündnissen innerhalb des Heiligen Römischen Reichs. Dieses «römische» Reich sollte erst 1512 offiziell den einschränkenden Zusatz «teutscher Nation» erhalten und beanspruchte deshalb im Spätmittelalter noch universelle und heilsgeschichtliche Geltung: In Kaiser Augustus war es begründet, und bis zum Jüngsten Gericht würde es Bestand haben. Der Papst, die geistliche Universalgewalt, konnte den «römischen», de facto also deutschen König zum Kaiser krönen, wie das erstmals Karl dem Grossen widerfahren war. In der Realität des 14. Jahrhunderts hatte dieser Titel allerdings viel von seinem Glanz verloren. Im Reich herrschte der Kaiser nicht allein und unmittelbar, sondern zusammen mit seinen Wählern, den Kurfürsten, und den vielen anderen weltlichen und geistlichen Reichsständen, die jeweils zu Reichstagen zusammenkamen. Nur in seinem ererbten Hausbesitz hatte der Kaiser tatsächlich das Sagen. Über ein Gewaltmonopol, ein klares Territorium und ein eindeutig definiertes Volk verfügte er aber auch dort nicht: Diese Kernelemente des modernen Staats fehlten im Mittelalter. Stattdessen vereinte ein Fürst verschiedene Rechtstitel in seiner Hand, die er unterschiedlich kombinierte und oft auch mit anderen Herrschaftsträgern teilte. Mit solchen beschränkten Mitteln musste ein Wahlkönig vielen Anfechtungen begegnen. Regelmässig stritten sich Kandidaten aus den Häusern Habsburg, Wittelsbach und Luxemburg um die Krone. Gegenkönige traten auf und sorgten für Unruhe; der Habsburger Albrecht I. wurde 1308 bei Brugg gar ermordet. Machtausübung war zumeist verbunden mit persönlicher Gegenwart; je weiter eine Region vom Herrschaftszentrum entfernt war, desto eher traten offiziell oder eigenmächtig lokale Adlige an die Stelle der schwachen königlichen Institutionen.

Das Mittelland wird Peripherie

Der oberdeutsche Raum war im hohen Mittelalter kaisernahe gewesen: Die Salier und Staufer hatten ihre Stammlande in Schwaben, Franken und am Rhein gehabt. Auch der Wittelsbacher Ludwig der Bayer, der nicht unumstrittene König von 1314 bis 1347 und seit 1328 Kaiser, stammte aus dem Süden und residierte in München. Sein Nachfolger hingegen, Karl IV. aus dem Hause Luxemburg, hielt in seiner Geburtsstadt Prag Hof. Im Unterschied zu seinen Vorgängern verzichtete er auch auf eine aktive Italienpolitik und zog nur zweimal für kurze Zeit über die Alpen.

Damit rückte das künftige Schweizer Mittelland an den Rand des Reiches. Es bildete zu diesem Zeitpunkt in keiner Hinsicht eine Einheit, sondern hatte zwei Pole: den Genfersee und den Bodensee mit den dazugehörigen Siedlungs- und Kulturräumen. Im Westen handelte es sich seit der Völkerwanderung um die Gebiete der romanisierten, also französischsprachigen Burgunder; im Osten lebten deutschsprachige Alemannen. Innerhalb des hochmittelalterlichen Reiches entsprach dem etwa die Grenze zwischen dem alten Königreich Burgund und dem Herzogtum Schwaben, das südlich des Bodensees theoretisch bis weit in den Bündner Alpenraum hineinreichte. Während sich die Sprachgrenze allmählich entlang der Saane festigte, folgte eine weitere, mindestens ebenso wichtige der Aare: Hier stiessen die Bistümer Konstanz und Lausanne aufeinander. Da der Pfarrer und damit die kirchliche Verwaltung im Mittelalter weit gegenwärtiger waren als weltliche Beamte, fehlte jegliches überlokale Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich auf die spätere Schweiz hätte erstrecken können. An diesem Gebiet hatten insgesamt zehn Diözesen teil; zu den Bischöfen von Konstanz und Lausanne hinzu kamen diejenigen in Basel, Chur, Sitten, Genf, Besançon, Novara und Como sowie der Erzbischof von Mailand. Für sie alle war die spätere Eidgenossenschaft Peripherie.

Auch die beiden wichtigsten Fürstengeschlechter in der Region grenzten ihre Einflusssphären nach anfänglichen Konflikten um 1310 einvernehmlich voneinander ab: Savoyen und Habsburg. Beiden Dynastien stand eine grosse, aber noch unvorhersehbare europäische Karriere bevor. Das spätere italienische Königshaus Savoyen stiess im 13. Jahrhundert aus dem südlichen Alpenraum in das Waadtland vor. 1356 wurden die Savoyer Reichsvikare, also amtsführende Stellvertreter des Kaisers. Damit konnten sie über die Rechtsprechung ihre Territorialherrschaft aufbauen, also allgemein über ein Gebiet und dessen Einwohner bestimmen und nicht, wie im Feudalwesen, mit einzelnen konkreten Rechtstiteln über bestimmte Personengruppen. Die Habsburger verdankten ihren Namen der Burg bei Brugg im heutigen Kanton Aargau, die bis etwa 1220 ihr Hauptsitz gewesen war. Vor allem durch Erbschaften wurde Graf Rudolf IV. von Habsburg zu einem der mächtigsten Territorialherren im Herzogtum Schwaben; dazu kamen Besitzungen im Elsass und im Breisgau, den späteren «Vorlanden» oder Vorderösterreich. Auf dieser Grundlage wurde er als Rudolf I. 1273 zum König des Heiligen Römischen Reichs gewählt, womit das seit dem Tod Kaiser Friedrichs II. 1250 anhaltende Interregnum – die Zeit ohne herrschaftsfähige Könige – beendet war. Rudolf I. nutzte diese neue Stellung dazu, seinem Haus im Osten eine neue Machtbasis zu schaffen. Nach dem Sieg über König Ottokar II. von Böhmen verlieh er 1282 die Herzogtümer Österreich und Steiermark und damit die Reichsstandschaft seinem Sohn Albrecht I., der ihm mit etwas Verzögerung 1298 auch als König nachfolgte. Wie die Luxemburger verschoben also die Habsburger ihren Schwerpunkt gegen Osten, ohne allerdings das Interesse an den Stammlanden zu verlieren; vielmehr lagen Versuche nahe, die verschiedenen Besitzungen zu einem Fürstenterritorium zu verbinden.

Ein erfolgreiches Modell für eine solche frühe «Staatsbildung» lag im Süden des Alpenkamms: Die Visconti hatten das Amt des Reichsvikars genutzt, um in der Lombardei um das Zentrum Mailand eine Territorialherrschaft zu errichten, die der Kaiser Ende des 14. Jahrhunderts zum Herzogtum Mailand beförderte; dazu gehörte auch das heutige Tessin. Wenn die Habsburger ihre Macht weiter ausdehnen wollten, so mussten sie ähnlich vorgehen und die Vogteirechte nutzen, also die öffentliche Ordnung im Namen (und formal im Auftrag) des Reiches wahren. Der Vogt (lateinisch advocatus: Rechtsbeistand, Verteidiger) war für die öffentliche Ordnung zuständig: Schutz und Schirm, Verwaltung, Blutgericht (bei dem die Todesstrafe möglich war) und Leitung des militärischen Auszugs. Die Bauern schuldeten für den militärischen «Schutz und Schirm» des Adels Abgaben, die sie als Hörige in persönlicher Unfreiheit (Schollenbindung) erbrachten: Frondienste, Todfall (ein fixer Erbteil) und Abgaben in Naturalien und Geld. Mit dem Treueid riefen sie Gott als Zeugen und Garanten an für diese Schutzbeziehung, die eine persönliche, gegenseitige Verpflichtung darstellte.