Eine Frage der Ehre Sarajevo 1992 1993

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Eine Frage der Ehre Sarajevo 1992 1993
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Thomas GAST

Eine Frage der Ehre Sarajevo 1992 1993

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Vorwort

Prolog

Quelle connerie la guerre!

Moralisch unverantwortlich

Welcome to Sarajevo

Auftrag

Mission Crossing

Maybe Airlines

Eine Frage der Ehre

Wenn die Menschlichkeit eine Schlacht gewinnt

Airport, eine gigantische Falle?

Mariusz und Ratislav

Counter Sniping

Klar zum Gefecht - Angriff auf Butmir

Achse Rose

Der Tunnel der Freiheit

Achtung Minen!

Ablösung

Epilog

Begriffs- Erklärungen

Impressum neobooks

Widmung

Für Mariusz und Ratislav.

Ersterer ließ sein Bein und damit seine Illusionen in Sarajevo, Letzterer sein Leben.


Vorwort

Und die Politik bei alldem? Das Ende vorneweg.

Vieles, was 1992 und 1993 in Sarajevo geschehen ist, kann man wohl heute erst richtig verstehen und zuordnen. Oder man wird es nie verstehen. Wie ich. Was mich und sicher auch den Großteil meiner Kameraden betrifft, so kann ich guten Gewissens behaupten, dass der politische Aspekt der Sache Sarajevo uns damals zwar nicht total entging, er uns aber irgendwie egal war. Wir waren stets voller Vertrauen unseren Chefs gegenüber und hatten wir Zweifel, so sprachen wir sie aus. Das geschah direkt und unverblümt. Wir waren zwar kritische, aber in erster Linie auch pragmatische, auf unser Metier fokussierte Soldaten. Das Menschliche und die Anteilnahme haben jedoch viele von uns schneller eingeholt als man glauben könnte. Das Verhältnis Recht und Unrecht war in diesem Krieg so unproportioniert verteilt, dass man automatisch die Tendenz hatte, die Dinge eher gefühlsmäßig, also nach Bauchgefühl zuzuordnen, was natürlich ein Fehler war. Andrerseits aber war es sicherlich nicht verkehrt auf den Bauch zu hören, einzuschreiten und zu helfen, wenn Frauen und Kinder litten, weil sie Schmerzen oder Hunger hatten. Das ist universell und wir Legionäre waren dabei gerodet genug, Recht von zumindest dieser Art Unrecht zu unterscheiden. Ausnahmen, auf die wir kaum Einflussnahme hatten, bestätigen die Regel umso mehr. Manchmal, meist um Leid zu lindern, handelten wir entgegen den Anweisungen, entgegen Befehle. Das geschah vor allem nachts, während der Mission Crossing. Die absolute Neutralität wie Blauhelmsoldaten sie haben müssten? Nun im Angesicht halb verhungerter Kinder und verwundeter Frauen verflog sie manchmal. Legionäre stammen aus allen Gesellschaftsschichten. Um zu wissen was im Leben zählt, dafür brauchten wir keine UN Resolutionen oder irgendwelche irrsinnigen Rules of Engagements! Unsere Erfahrungen, errungen in langen, teilweise blutigen Einsätzen, unser eigensinniges, spartanisches Leben und nicht zuletzt der Spiegel an der Wand genügten uns völlig, damit uns das Essentiellste niemals entging. Etwas Eigensinn, vor allem wenn es um Menschlichkeit geht, stellt einen Soldaten nicht infrage, sondern es unterstreicht seinen Status: Den eines mündigen Menschen in Uniform. Irgendwann im Frühjahr 1993 stieg ich mit einer Gruppe von Blauhelmen am Flughafen Sarajevo an Bord einer russischen Antonov. Es war eine kleine Maschine mit höchstens dreißig Sitzplätzen. Die Propeller dröhnten, die Heckklappe schloss sich hinter uns, doch die Maschine hob nicht ab. Wir warteten und warteten. Zwanzig Minuten später öffnete sich die Heckklappe wieder und ein kleiner, hagerer Mann und eine Frau, beide begleitet von einigen, bis an die Zähne bewaffneten Milizen, kletterten an Bord. Es war Alija Izetbegović, der Präsident der Republik Bosnien und Herzegowina 1990 –1995. Er setzte sich mir genau gegenüber. Es war derselbe Mann, der als Autor der sogenannten islamischen Deklaration zu einer neun Jahre langen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er, so sagte man, auf jugoslawischem Boden einen islamischen Staat errichten wollte. Das war natürlich eine spannende und höchst explosive Situation. Der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf schoss war, dass die Serben mit Sicherheit nichts von seiner Anwesenheit in dieser Antonov wussten. Sicherlich hätten sie das Flugzeug vom neutralen Flughafen abheben lassen, nur um es dann in der Luft über Ilidza abzuschießen. Die Mittel und Möglichkeiten dazu hatten sie allemal.

Kurz vorher, im Januar 1993 wurde der bosnische Vize-Regierungschef Turalic zwischen Sarajevo Airport und der Sniper Alley in einem Konvoi der UN von serbischen Soldaten ermordet. Turalic hatte kein Glück. Sein Transport an Bord eines VAB der UNPROFOR wurde den Serben wahrscheinlich gesteckt. Der Konvoi, bestehend hauptsächlich aus Blauhelmsoldaten unserer schweren Kompanie (CEA -Abkürzungen siehe Anhang) bewegte sich vom Flughafen Sarajevo Richtung Stadtmitte. Die Soldaten standen unter dem Befehl eines Adjudanten unseres Regiments. Der wiederum erhielt seine Order direkt vom Hauptquartier der UN Truppen des Sektors Sarajevo im PTT Building über Funk. Am 08. Januar 1993 wurde die Kolonne an einem Serben Checkpoint angehalten. Der Checkpoint befand sich unweit der Teoloski Fakultet (Theologische Hochschule) und in Sichtweite mit der Stup- Brücke. Die serbischen Kräfte vor Ort waren schwer bewaffnet. Zumindest ein T-55 Kampfpanzer (einige Soldaten schworen, es wären zwei gewesen) befand sich vor Ort und ein gutes Dutzend Panzerfäuste waren aus guten Deckungen heraus auf die UNPROFOR Schützenpanzer gerichtet. Es war ein eindrucksvolles Aufgebot, dem die UN Soldaten kaum etwas entgegenzustellen hatten. Noch eindrucksvoller jedoch war die Tatsache, dass es an dieser Stelle gar keinen Serben Checkpoint hätte geben dürfen. Die Serben hatten ihn wohl in aller Hast errichtet, nachdem ihnen zu Ohren gekommen war, dass Turalic den Flughafen wieder verlässt. Nach langen Verhandlungen (die Legionäre weigerten sich strikt, Turalic an die Serben auszuliefern) und auf ausdrücklichem Befehl des Hauptquartiers der UNPROFOR im PTT Building, öffneten die Blauhelme schließlich das Fahrzeug, in dem er saß. Serbische Milizen der Armee der Republika Srpska (VRS) erschossen Turalic vor den Augen der UN Soldaten. Von acht Kugeln getroffen brach er zusammen. Er war eine Hinrichtung: Nicht mehr, nicht weniger. Die Ohnmacht der UN wurde hier auf eine grausame, sehr eindringlich Art und Weise demonstriert. Wie das Verhalten der Offiziere, die den Befehl gegeben haben, Turalic den Serben quasi ans Messer zu liefern, einzuordnen ist, ist nicht Sache des einfachen Unteroffiziers, der ich damals war. Nach meiner Einschätzung traf die Blauhelm- Soldaten des Konvois keine Schuld. Ich kannte fast jeden von ihnen. Noch besser kannte ich den verantwortlichen Adjudanten. Hätte er den Befehl erhalten, Turalic nicht an die Serben auszuliefern, also die Türe des Schützenpanzers nicht zu öffnen, sondern im Gegenteil, sein Leben zu schützen, dann wären er und seine Männer an diesem Tag alle gestorben, denn für Legionäre ist der Auftrag heilig, T-55 hin, Panzerfäuste her. Der ganze Krieg hätte wohl sehr früh schon eine andere Wende bekommen. Vielleicht passte das so machen Verantwortlichen in New York, Paris oder in Brüssel oder anderswo ganz gut in den Kram, dass um die Affäre Turalic danach kaum ein großes Aufheben gemacht wurde.


Ausgedient!

Ich hatte mich nie groß mit Geschichte abgegeben, wusste auch damals nichts über eventuelle Verknüpfungen eines Alija Izetbegović mit dem Naziregime. Man munkelte, dass er während des Zweiten Weltkrieges junge, bosnische Freiwillige für die 13. SS-Gebirgsdivision Handschar rekrutiert hatte. Und mir war damals nicht bewusst, dass in den Jahren 1992 – 1995 nahezu 3.000 Mudschaheddin aus Algerien, Afghanistan und anderen islamischen Staaten auf Seite der Bosnier kämpften. Oft – sicher zu Recht, keimte der Verdacht in mir, dass die meisten unserer Legionsoffiziere pro serbisch eingestellt waren und hinter unserem Rücken auch in diesem Sinne handelten. Was mir wichtiger schien und was mich heute noch sprachlos lässt, ist die Tatsache, dass Europa, die UN und die USA in den Jahren 1992, 1993, 1994 bis ins Jahr 1995 fast tatenlos zugesehen haben, wie tausende, ja hunderttausende von Menschen, welcher Seite auch immer, Opfer eines brutalen, an Grausamkeit kaum zu überbietenden Krieges wurden, eines Kriegs noch dazu, der mitten in Europa tobte.

 

Prolog

Eine Frage der Ehre – Sarajevo 1992-1993.

Im Juni 1991 brachen in Kroatien heftige Kämpfe aus. Der Grund? Kroatien und Slowenien hatten ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärt. Alle diplomatischen Anstrengungen der EU, den Konflikt beizulegen, schlugen fehl.

Ein Drama nahm seinen Lauf. Kaum ein Jahr später, am 03. März 1992 erklärte die Republik Bosnien und Herzegowina ihre Unabhängigkeit von der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien und fünf Wochen darauf wurde sie international als unabhängiger Staat anerkannt. Während jedoch die kroatischen und die muslimischen Bosnier bedingungslos für die Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina einstanden, wurde diese von den bosnischen Serben schlichtweg abgelehnt. Am 02. Mai begannen serbische Einheiten mit der Belagerung der Stadt Sarajevo, der Hauptstadt der Republik. Die jugoslawische Bundesarmee zog in den Folgemonaten hunderte schwere Artilleriegeschütze, Mörser und Panzer auf dem Mont Igman westlich von Sarajevo und auf den anderen, die Stadt dominierenden Höhenzügen, zusammen. Was folgte war ein mörderischer Krieg im Herzen Europas und ein menschliches Drama ohnegleichen. Im Rahmen der Schutztruppe der Vereinten Nationen (UNPROFOR) wurde das zweite Fallschirmjägerregiment der Fremdenlegion (2. REP) im Dezember 1992 und im Januar 1993 von Korsika nach Sarajevo verlegt. Ich war einer dieser Legionäre. Die sechs Monate hätte ich ebenso in der Hölle verbringen können, denn Sarajevo, von Januar 1992 bis Juli 1993 war ein Inferno. Der emotionale Schock saß von Beginn an sehr tief. Es war nicht die Aussicht verletzt oder getötet zu werden, die mich schockierte, sondern das Leid und die Armut auf der einen und die Methodik, die Gleichgültigkeit und die Unmenschlichkeit auf der anderen Seite. Und schockierend war auch die Tatsache, dass es uns einfachen Soldaten unmöglich war, effizient einzuschreiten, um diesem unmenschlichen Konflikt ein Ende zu bereiten. Wir Legionäre beklagten einen Toten und dreiundzwanzig Verletzte. Die Toten und Verwundeten aufseiten der direkten Kriegsparteien gingen in die Tausende. Aber ob Blauhelme, Kroaten, Bosnier oder Serben: Jedem machte dieser Krieg auch psychologisch zu schaffen. Aus der Sicht des Soldaten - und des Menschen Thomas Gast, möchte ich von unseren Einsätzen berichten.

Quelle connerie la guerre!

Welch Dummheit, dieser Krieg!“

(Colonel Michel Poulet, Regimentskommandeur des 2. REP 1992 - 1994)

Anfang des Jahres 1992 gingen wir Legionäre des 2. REP unseren ganz normalen Gepflogenheiten nach. Ständige Operationen, Einsätze und Manöver, das war unser tägliches Brot. Es lagen schwere Monate des Einsatzes hinter uns, hauptsächlich in Afrika: Tschad 1990 (Opération Epervier), Ruanda 1990 (Opération Noroît), wieder Tschad 1991, Irak 1991 (Opération Daguet – nur GCP) wir fanden einfach keine Ruhe, aber das war gut so. Schweiß auf der Stirn, die Kampfstiefel an den Füßen, ein Leben am Limit und im Ungewissen, einen Rucksack oder besser noch den Fallschirm auf dem Rücken, das war unser Leben. Gegen Ende des Jahres, am 09. Dezember 1992, intervenierte unsere 3. Kompanie in Somalia. Die Opération Oryx (Restore Hope) nahm ihren Lauf. Legionäre und US Marines kämpften Seite an Seite. Somit waren wieder einmal fast alle Kompanien im Einsatz oder wie wir, damit beschäftigt, den Rucksack und die Bündel zu schnüren um in ein Einsatzgebiet zu verlegen. Den Männerschlag Paras Legion zu beschreiben, der in den Jahren 1987 bis in diesen Sommer 1992 hinein das Regiment prägte, dazu bräuchte es zehntausend Worte. Ich versuche es mit drei: Rastlosigkeit, Professionalität, Stolz! Von Mitte März bis Mitte Juli 1992 war ich als junger Unteroffizier mit meiner Kompanie für eine Kurzmission (MCD) in Dschibuti zur Opération Iskoutir abkommandiert. Kurz nach unserer Rückkehr kam es in Calvi zu einer Kommandoübergabe.


Links im Bild: Colonel Remy Gausseres, Chef de corp du 2. REP. Handshake mit dem Autor im Tschad, 1991

Unser Regimentskommandeur, Colonel Remy Gausseres, von dem ich sehr große Stücke hielt, von dem aber einige sagten, dass das Regiment nur wegen ihm nicht geschlossen im Irak zum Einsatz gekommen war, übergab das Regiment an seinen Nachfolger, Colonel Michel Poulet. Auch dieser neue Regimentskommandeur flößte mir von Beginn an die allergrößte Ehrfurcht ein. Warum? Nun Michel Poulet war Chef durch und durch. Er war geboren, ein großartiger Kommandeur zu sein. Wir Legionäre spürten das. Zum Anlass der Montagspredigt nach trinkfesten Wochenenden pflegte er zu sagen: „Es ist normal, mit neunzehn im Einsatz sein Leben zu lassen, aber es ist eine große Dummheit, mit dreiundzwanzig Opfer eines banalen Autounfalls zu werden.“ Er meinte uns Legionäre und Unteroffiziere des 2. REP und natürlich hatte er Recht damit. Seine Worte waren stets von höchster Eindringlichkeit denn wir waren beileibe keine Chorknaben. Befanden wir uns im Einsatz, dann kämpften wir, waren wir bei der Ausbildung, dann sehnten wir uns nach Einsätzen, waren wir aber am Wochenende in der Garnison in unserer schönen Balagne (unsere Garnison war Calvi, im Nordwesten der Insel Korsika), dann ging es dort auch mal hoch her. Soldaten feiern nun mal die Feste wie sie fallen und wir bildeten da beileibe keine Ausnahme! Ich kann mich an viele Wocheneden erinnern, an denen ich und ein oder zwei Freunde das Camp Raffalli samstagnachmittags verließen, nur um kurz ein, zwei Baguettes, eine oder zwei Flaschen Wein vom benachbarten Clos Culombu und etwas korsischen Käse zu kaufen, Dinge also, die wir abends in der guten Stube bei einem tiefgründigen Gespräch genüsslich verzehren wollten. Diese Art Exkursion endete oft so, dass wir in der Stadt kleben blieben. Wir trafen andere Legionäre, zum Beispiel die der zweiten oder dritten Kompanie, die vielleicht gerade vom Einsatz zurückkamen und die natürlich immer irgendwas Aufregendes zu erzählen hatten. So ergab oft ein Wort das andere und ehe wir uns daran erinnern konnten warum wir das Camp überhaupt verlassen hatten, war es bereits Sonntag früh Punkt sieben. Und es war auch genau die Zeit, in der Emile, der Besitzer der Bar Chez Emile den letzten Drink einschenkte. Auf Emile ließen wir nichts kommen. Emile, Calvi und das 2. REP im selben Atemzug zu nennen, war normal. Wenn Emile einem Legionär, egal der Kosten und Umstände, egal des Dienstgrades, helfen konnte, dann tat er das. Er hatte in vielen Dingen wohl mehr Einfluss in der kleinen Touristen- Stadt als Bürgermeister Zanotti. Dass der Balkankrieg schon begonnen hatte, merkten wir zuerst daran, dass sich die Reihen unserer jugoslawischen Legionäre peu à peu lichteten. Auch der ein oder andere Kamerad, der nicht der slawischen Rasse angehörte, verschwand plötzlich auf Nimmerwiedersehen. Beide Kategorien, ob nun die Jugoslawen oder die, die sich ohne patriotisches Denken davonstahlen (meist waren es Deutsche, Engländer und Niederländer), kannte ich bestens. Es waren wunderbare Kameraden, deren Handeln, so unterschiedlich die Gründe auch waren, ich nur allzu gut nachvollziehen und auch verstehen konnte. Bei Letzteren war auffallend, dass es sich um Männer handelte, die in ihren Kompanien immer zu den besten gehörten. Egal was getan wurde, sie waren immer vorne dran. Sie liebten und verachteten das Leben. Und sie sahen teils spöttisch von oben auf alle diejenigen herab, die sich mit dem normalen Leben abseits aller Extreme begnügten. Das bereits recht aufregende Leben eines Legionärs im Dienste des 2. REP genügte ihnen schon nicht mehr, denn für sie war jeder Tag, an dem nicht gekämpft wurde, ein verlorener Tag.

Waren es Söldner?

Den Ausdruck Söldner möchte ich für sie nicht verwenden. Er steckt voller negativer Nuancen und wer Menschen immer nur an Hand von Klischees, an Hand von Worten, von Bezeichnungen oder nach ihrer von uns erfundenen, klassifizierten Gesellschaftsfähigkeit beurteilt, der kennt das Leben nicht. Und er tut unrecht! Aus Unwissenheit und aus einer komfortablen Situation heraus ist es leicht, jemanden einen Stempel auf die Stirn zu drücken. Schwieriger – aber richtiger – wäre es, alles von zwei Seiten zu sehen, einige Meilen in den Stiefeln dieser Menschen zu marschieren oder sich mit ihnen intensiv zu beschäftigen, bevor man sie, und sei es nur verbal, verurteilt. Marschiert bin ich mit ihnen auf drei Kontinenten, an intensiven Gesprächen hat es dabei nie gefehlt und mein Bild von ihnen ist auch heute noch klar und intakt. Meist kämpften sie nicht für Geld, sondern für eine Stange Zigaretten, für eine Essensration oder noch für eine kostenlose warme Unterbringung, denn die Wintermonate auf dem Balkan waren und sind sehr rüde. Söldner? Nein! Es waren Männer, die sich nichts vorschreiben ließen. Von niemandem. Sie nahmen ihr Leben selbst in die Hand, lebten es so, wie es ihnen gefiel. Es scheint mir wichtig, an dieser Stelle zu betonen, dass speziell diese Männer auch im Einsatz an den brenzligsten Krisenherden (Sarajevo, Mostar, im belagerten Gorazde oder anderswo), sich stets an den Ehrenkodex der Legionäre erinnerten und danach handelten. Zumindest die, die ich kannte und deren Wirken ich teilweise verfolgte, waren keine skrupellosen Bombenleger und Kampfmaschinen ohne Hirn und Moral. Es waren Soldaten, die sehr wohl zwischen Gut und Böse abwägen konnten und die sich von niemanden dazu zwingen ließen, irgendwelche Schandtaten zu begehen. Im Gegensatz zu Terroristen liebten sie die eins – eins Situation. Sie kämpften gegen gleichwertige Gegner, gegen reguläre Soldaten, gegen bewaffnete Freischärler, niemals aber gegen Unbewaffnete, nie gegen Frauen und Kinder. Die Chance, selbst getötet zu werden bestand immer. Gäbe es diese Chance nicht, dann wären sie wohl Arzt, Pfarrer oder Ingenieur geblieben, denn genau das, die Möglichkeit des eigenen Todes, der Nervenkitzel und die Ungewissheit waren das Salz in ihrer Suppe.

Vielleicht ist es für den Leser interessant zu wissen, dass der kroatische Generalleutnant Ante Gotovina (alias Grabovac) ein ehemaliger Legionär war. Gotovina diente fünf Jahre in der Legion und erlangte den Dienstgrad Caporal-chef (Hauptgefreiter). Er wurde Franzose, arbeitete lange Zeit in Frankreich in der Sicherheitsbranche und war später Mitglied des Vereines ehemaliger Fallschirmjäger der Fremdenlegion (AALP). Als 1991 der kroatische Unabhängigkeitskrieg begann, kehrte er in seine Heimat zurück. Auch der Serbe Milorad (Lukovic) Ulemek, Spitzname Legija Ulemek hatte in der Legion gedient. Er war etwa zur selben Anfangs- Zeit im 2. REP wie ich, sprich 1985 / 1986. Milorad desertierte nach kaum sechs Jahren Dienstzeit und trat erst wieder in Erscheinung, als 1992 in Jugoslawien der Krieg ausbrach.

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