Verteidigung

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Verteidigung

Herausgeber: Sergej Pauli

Tertullian


Impressum

© 1. Auflage 2021 ceBooks.de im Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Tertullian (* um 150 – † um 220)

Hrsg.: Sergej Pauli, Königsfeld

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-283-8

Verlags-Seite und Shop: www.ceBooks.de

Kontakt: info@ceBooks.de

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Text aus: Tertullian, Apologetische, Dogmatische und Montanistische Schriften. Übersetzt von Heinrich Kellner (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 24) Kempten & München 1915. Diese Übersetzung liegt hier mit geringfügigen Sprachlichen Anpassungen und der Umstellung auf die neue Rechtschreibung unverändert vor.

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Warum Tertullian und warum die Apologie?

1. Unkenntnis des Christentums ist die Ursache, warum es gehasst und verfolgt wird.

2. Das von den Obrigkeiten gegen die Christen eingehaltene Verfahren verstößt gegen die Prozessordnung und die Rechtsprinzipien.

3. Von dem allgemeinen Hass gegen den Namen "Christ" vermögen sich die Heiden selbst keinen vernünftigen Grund anzugeben.

4. Ob das Bestehen der christlichen Religion gegen die Staatsgesetze sei. Der Wert oder Unwert menschlicher Gesetze hängt von ihrer Zweckmäßigkeit und Moralität ab.

5. Prüfung der Gesetze gegen die Christen. Der Umstand, dass nur schlechte Kaiser Gesetze gegen die Christen erließen, erweckt eine ungünstige Meinung über deren Wert.

6. Geschichte und eigene Erfahrung lehren, dass Gesetze auch aufgehoben werden können und oft aufgehoben worden sind.

7. Dass bei den Christen thyesteische Mahlzeiten und Blutschande geübt werden, ist noch niemals nachgewiesen worden, sondern reine Erfindungen und Gerüchte.

8. Diese Anschuldigungen sind auch in sich unsinnig.

9. Bei den Heiden dagegen werden Dinge, wie man sie den Christen aufbürdet, tatsächlich geübt.

10. Warum die Christen an der Verehrung der heidnischen Götter nicht teilnehmen wollen. Dieselben sind bloße vergötterte Menschen.

11. Logische und physische Unmöglichkeit des Entstehens von Nebengöttern.

12. Die sogenannten Götter der Heiden sind verstorbene Menschen und ihre Bilder bloße Materie.

13. Dafür spricht auch deren Behandlung seitens ihrer Verehrer selbst und die Art der Verehrung.

14. Die verschiedenen Zweige der Literatur haben das gemein, dass sie vieles Unwürdige von diesen Göttern enthalten.

15. In den Theatern werden sie öffentlich beschimpft und verlacht und sogar in ihren Tempeln verunehrt und missachtet.

16. Die Vulgärvorstellungen der Heiden über den Gott der Christen. Was der Christengott nicht ist.

17. Die Christen verehren den Schöpfer der Welt als den einzig wahren Gott. Auch die Heiden huldigen ihm manchmal unwillkürlich.

18. Gott hat sich geoffenbart. Die Heilige Schrift.

19. Die Schriften des Moses und ihr hohes Alter.

20. Erhabenheit und Glaubwürdigkeit der Heiligen Schrift.

21. Der Zusammenhang des Christentums mit dem Judentum. Der Logos, seine Gottheit, Menschwerdung, Geburt, Leben, Wunder, Leiden, Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt.

22. Über die Natur der Dämonen.

23. Die Vermutung, dass die Dämonen, deren Dasein auch die Heiden anerkennen, mit den sogenannten Göttern identisch seien, wird durch Tatsachen bestätigt. Die Macht des Namens Christi und des Exorzismus über sie.

24. Da die heidnischen Götter keine Götter sind, so beschuldigt man die Christen, wenn sie dieselben nicht verehren, mit Unrecht des Atheismus; man muss ihnen vielmehr die Religionsfreiheit gewähren, deren sich im römischen Reiche die Kulte anderer Völker tatsächlich erfreuen.

25. Dass die Römer die Herrschaft über den Erdkreis der eifrigen Verehrung ihrer Götter zu danken haben, ist ein Irrtum.

26. Der wahre Gott allein verleiht die Weltherrschaft nach seinem Wohlgefallen, wem er will.

27. Wenn die Christen sich dem Ansinnen der Heiden, den Göttern zu opfern, nicht fügen, so ist das kein bloßer Eigensinn. Denn diese Opfer beziehen sich in letzter Instanz immer auf die bösen Dämonen.

28. Selbst in dem Falle, dass nur verlangt wird, für das Wohlergehen des Kaisers den Göttern zu opfern, darf man es nicht.

29. Die vermeintlichen Götter sind nicht imstande, den Kaisern etwas zu nützen; sie sind ganz ohnmächtig.

30. Die Weigerung, für das Wohl der Kaiser den Göttern zu opfern, kann keine Majestätsbeleidigung sein; denn die Christen beten stattdessen für die Kaiser zum wahren Gott.

31. Dieses wird den Christen schon in ihren Heiligen Schriften befohlen.

32. Die Christen wünschen den Bestand des römischen Reiches und schwören beim Wohlergehen des Kaisers.

33. Wenn sie den Kaiser nicht als ein göttliches Wesen ansehen und ihn nicht "Gott" titulieren, so achten und lieben sie ihn darum doch, und gerade erst in der rechten Weise.

34. Fortsetzung.

35. Auffallender Eifer, den Kaisern solch sinnlose und schädliche Ehrenbezeigungen zu erweisen, ist noch nicht einmal ein sicherer Beweis treuer und loyaler Gesinnung.

36. Auch ist die Pflicht der Nächstenliebe für den Christen eine allgemeine, von der niemand auszuschließen ist, am wenigsten der Kaiser.

37. Ein Beweis der Treue der Christen ist es, dass sie, obwohl eine so zahlreiche Partei, doch nicht gegen ihre Unterdrücker die Waffen ergreifen oder in Masse auswandern.

38. Dass man den Christenbund unter die staatlich unerlaubten Faktionen rechnet, ist nicht motiviert.

 

39. Näherer Nachweis dessen aus den Zusammenkünften, Gottesdiensten, Einrichtungen und der Organisation der christlichen Genossenschaft.

40. Dass die allgemeinen Kalamitäten und Notstände von den Göttern aus Zorn wegen der Christen gesendet würden, ist ein bloßer Wahn, wie schon die Geschichte zeigt. Schuld daran ist in Wirklichkeit die allgemeine Sündhaftigkeit, besonders der Heiden. Den Christen hat man es zu danken, dass es nicht noch schlimmer geht.

41. Dass die Christen dabei mitbetroffen werden, liegt an der gegenwärtigen Weltordnung, die Gott nicht zugunsten der Guten umstößt.

42. Die Klage, dass die Christen nichts zum gemeinen Besten beitrügen und unnütze Mitglieder der menschlichen Gesellschaft seien, ist grundlos.

43. Fortsetzung.

44. Unter den Christen findet man keine Verbrecher.

45. Das Christentum enthält für seine Anhänger eine moralische Nötigung zum tugendhaften Verhalten.

46. Das Christentum ist nicht etwa nur eine neue Art philosophischer Lehre, sondern etwas Göttliches und steht hoch über jeder Philosophie.

47. Viele philosophische Ansichten sind weiter nichts als verderbte und verunstaltete Offenbarungslehren.

48. Kurze Verteidigung der Lehre von der Auferstehung.

49. Wenn man die Lehren des Christentums auch nicht billigt, so hat man doch keinesfalls Ursache, die Christen zu verfolgen, sondern müsste es so gut dulden als jede philosophische Sekte.

50. Die Philosophen werden von den Christen an Standhaftigkeit übertroffen. Lob und Würde des Martyriums.

Letzte Seite

Warum Tertullian und warum die Apologie?

Wer die Wahrheit aus Überzeugung vertritt, stößt in dem Grad an, als diese selbst den Hass entzündet.

Geradezu stündlich wächst im Westen die Ablehnung des Christentums. John Piper schreibt in seinem Buch „Specacular Sins1“ zurecht: „Menschen, die Christen nicht mögen, umgeben uns von allen Seiten. Nur eine seltsame Vorsehung bewahrte unsere Kirchen davor, bombardiert zu werden. Es ist nur eine Sache der Zeit bis die Realität des Restes der Welt auch zu uns kommt.“ Im Westen gilt das Christentum nicht mehr nur als unästhetisch, sondern als unmoralisch. Nicht mehr nur als unnatürlich, sondern als widernatürlich. Um sich davon selbst vergewissern zu können, muss man nur eine Tageszeitung seiner Wahl umblättern. Wie viele christliche Werte, die man vor etwas mehr als einer Generation noch vertrat, werden in aller Deutlichkeit abgelehnt oder zumindest belächelt?

Wie bereitet man sich auf diesen wachsenden Druck und die Gemeinde Gottes in ihrem erneuten kulturellen Exil vor? Ein guter Anfang könnte die frühe Christenheit sein. Tertullian schrieb seine Apologie, seine Verteidigung des Christentums mitten in den harten Christenverfolgungen unter Septimius Severus. Es sollte ein großer mächtiger Versuch sein, das Christentum vollständig aus dem römischen Reich zu verdrängen. Umso mehr beeindruckt in dieser Situation diese berühmte Schrift Tertullians. Er schreibt klar und vermeidet es eine Karikatur des Christentums zu verteidigen. Christen wurden als Kannibalen, unmoralisch und inzestpraktizierend verschrien. Würde man das Christentum jedoch wirklich kennen, würde man es nicht verfolgen. Karikiert man das Christentum, weil man von den eigenen Missständen ablenken möchte? Hier erweist sich Tertullian als ein ausgezeichneter Kenner römischer Traditionen, Geschichte, Rechtsprechung und Kultgeschichte. Geschickt deckt er Argumentationsfehler auf. Was Tertullian auch für den modernen Leser sehr angenehm zu lesen macht, ist sein Humor, man möchte fast sagen, sein Galgenhumor. Ein Beispiel:

Man schreit: "Die Christen vor den Löwen!" So viele vor einen?!

Genau in diesem Buch findet sich auch Tertullians bekanntestes Zitat, das sich in der Geschichte der Christenheit als so oft zutreffend erwiesen hat:

Wir werden jedes Mal zahlreicher, so oft wir von euch niedergemäht werden; ein Same ist das Blut der Christen.

Tertullians Apologetik brilliert durch eine prägnante Zusammenfassung philosophischer Ansichten (Kap. 47), eine ausführliche Beschreibung darüber, wie die Zusammenkünfte der Christen stattfinden (Kap. 39). Tertullian überrascht durch Kenntnis der Entwicklung römischer Gesetze (Kap. 5-9), und zeigt so auf, dass die Verfolgung der Christen ein Zustand ist, der eines zivilisierten Römischen Reiches unwürdig ist: In jedem anderen Fall, foltert man einen Verbrecher, bis er sein Verbrechen bekennt. Bei den Christen geht man jedoch anders um. Obwohl sie bekennen, werden sie weiterhin gefoltert! Spannend ist auch, wie Tertullian das Alter des christlichen Theismus als Argument verwendet. Moses Offenbarungen sind älter, als nicht nur alle Philosophen des Altertums, sondern auch alle ihre Götter. Im Besten Fall profitierten die Philosophen der Antike von den Propheten der Heiligen Schriften.

Kurz: Der Christ ist der vernünftigere Bürger. Warum wird er dann noch verfolgt?

Ich glaube, es ist angenehmer, sich nicht gebundener, loser und von allen Seiten frei herabhängender Blumen zu bedienen. Aber auch dann, wenn sie zu einem Kranze gebunden sind, so nehmen wir den Kranz mit der Nase wahr; mögen andere meinetwegen mit den Haaren riechen.

Liest man den Autor hat man das Gefühl, sowohl mit dem Humor und der Illustrationsfähigkeit Luthers, mit der Argumentationskraft Kierkegaards, wie auch mit der Exaktheit (und vielleicht manchmal auch die Weitschweifigkeit) der ersten Kirchenväter zu tun zu haben. Das macht Tertullian, diesen lebenslangen Streiter für "das reine Christentum" auch für die heute Zeit sehr interessant. 150 nach Christus in Karthago geboren, erhält er eine juristische und rhetorische Ausbildung. Daher darf auch der Stil seiner Schriften herrühren, die sich oftmals wie ein Plädoyer lesen.

Die Breite seiner Streitschriften deckt zahlreiche Themen ab: Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Häresien, mit den Gnostikern und den Juden. Ähnlich brillant verteidigt Tertullian die Taufe und kritisiert, was man wenig erwarten würde, eine zu frühe Taufe! Tertullian ist also ein Täufer durch und durch. Doch auch Trösten kann er und verfasst 202 n.Chr. eine Trostschrift an die Märtyrer im Kerker. Es ist zwar unklar, ob Tertullian selbst Montanist wurde, doch sympathisierte er lange mit dieser charismatischen Heiligungsbewegung am Rande (und später außerhalb) des orthodoxen Christentums. Die Montanisten waren eine radikale Gruppe, die rigorose Moralvorstellungen vertraten. Z. B. galt Ehebruch bereits als eine unvergebbare Todsünde für Christen. Vor allem zeichneten sich die Montanisten durch den Anspruch auf prophetische Gaben aus, die sie offensichtlich auch als auf einer Ebene mit dem niedergeschriebenen Wort Gottes betrachteten. Diese Radikalisierung Tertullians wirft leider einen irritierenden Schatten auf sein reiches und fruchtbares Werk. Zu den bereits oben genannten gehören dabei seine Pioniertätigkeit zur Dreieinigkeit, seine Auslegung des Vater-Unsers und vor allem der große Verdienst die griechischen Werke latinisiert zu haben. Tertullian bleibt somit der Kirchenvater an der Pforte vom Wandel der Kirche als griechisch sprechende Gemeinschaft zu einer lateinisch sprechenden.

Sergej Pauli, Königsfeld

1 John Piper; Specatucalr Sins, 2008 Crossway Books, Wheaton, Il.

1. Unkenntnis des Christentums ist die Ursache, warum es gehasst und verfolgt wird.

Ihr Spitzen der römischen Reichsregierung, die ihr an augenfälliger und erhabenster Stelle, sozusagen auf dem höchsten Punkt der Stadt den Vorsitz führt, um Recht zu sprechen, – wenn es euch nicht gestattet ist, offen zu untersuchen und vor aller Augen zu prüfen, was an der Sache der Christen Gewisses sei, – wenn eure Würde bei diesem einen Rechtsfalle allein vor einer sorgfältigen öffentlichen Rechtspflege zurückschreckt oder sich der Untersuchung schämt, – wenn endlich, wie kürzlich geschehen, bei den geheimen Prozessen im Palast die allzu sehr beschäftigte Feindschaft gegen diese Genossenschaft der Verteidigung den Mund verschließt, – so möge es der Wahrheit vergönnt sein, wenigstens auf dem verborgenen Wege stummer Schriften zu euren Ohren zu gelangen.

Sie sucht nicht durch Bitten ihre Sache zu bessern, weil sie über ihre Lage nicht einmal verwundert ist. Sie weiß wohl, dass sie als Fremdling auf Erden weilt und unter Fremden leicht Feinde findet, dass sie im Übrigen aber ihre Herkunft, Heimat, Hoffnung, ihren Lohn und ihre Würde im Himmel hat. Eins nur wünscht sie für jetzt: nicht ungekannt verdammt zu werden. Was können denn hierdurch die Gesetze, die in ihrem eigenen Gebiete herrschen, verlieren, wenn sie Gehör erhält? Wird etwa deren Macht dadurch in höherem Glänze erstrahlen, dass man die Wahrheit sogar unverhört verurteilt? Wenn man sie übrigens unverhört verdammt, so wird man neben der Gehässigkeit dieses ungerechten Verfahrens sich auch noch den Verdacht zuziehen, von der Sache doch eine gewisse Kenntnis zu besitzen, indem man nicht anhören will, was angehört man nicht verurteilen könnte.

So legen wir euch denn als ersten Beschwerdepunkt vor: den ungerechten Hass gegen den Namen "Christ". Diese Ungerechtigkeit wird durch eben denselben Titel erschwert und bewiesen, der sie zu entschuldigen scheint, nämlich durch die Unkenntnis. Denn was ist ungerechter als hassen, was man nicht kennt, gesetzt auch, es verdiente Hass? Eine Sache verdient erst dann Hass, wenn man erkennt, ob sie ihn verdient. Fehlt die Erkenntnis, ob der Hass ein verdienter sei, womit wird dann die Gerechtigkeit des Hasses dargetan? Dieselbe ist ja doch nicht aus dem Ausgang, sondern aus der genauen Kenntnis der Sache zu erweisen. Wenn man also deswegen Hasst, weil man nicht weiß, wie der Gegenstand, den man Hasst, beschaffen ist, warum sollte er denn nicht so beschaffen sein können, dass man ihn nicht hassen darf?!

So überführen wir sie des einen durch das andere, dass sie in Unkenntnis sind, wenn sie Hass hegen, als auch, dass ihr Hass ein ungerechter sei, wenn sie sich in Unkenntnis der Sache befinden. Beweis für ihre Unkenntnis, durch welche die Ungerechtigkeit, wenn sie sich damit entschuldigt, erst recht verdammlich wird, ist der Umstand, dass alle, die ehedem, weil sie in Unkenntnis waren, sich dem Hasse überließen, aufhören zu hassen, sobald ihre Unwissenheit aufhört. Aus solchen werden die Christen, sicherlich nach genauer Prüfung, und sie fangen an zu hassen, was sie früher waren, und zu bekennen, was sie Hassten, und ihre Zahl ist gerade so groß, als, was ihr mit Unwillen bemerkt, groß unsere Zahl ist.

Die Stadt, schreit man, sei ganz damit erfüllt, auf dem Lande, in den Burgflecken, auf den Inseln seien Christen, man beklagt es als einen Nachteil, dass Leute jeden Geschlechts, jeden Alters und Standes, ja sogar Leute von Rang zu diesem Bekenntnis übergehen. Und doch erhebt man sich infolgedessen auch nicht einmal dazu, in ihm irgendeinen verborgenen Vorzug zu vermuten. Man darf nicht richtiger denken, man darf es nicht näher erforschen; hier allein bleibt der Wissenstrieb der Menschen untätig; man gefällt sich darin, unwissend zu bleiben, während andere sich der gewonnenen Erkenntnis freuen.

Um wieviel mehr hätte Anacharsis diese gebrandmarkt, weil sie als Unkundige über Kundige zu Gericht sitzen wollen. Sie wollen lieber in Unkenntnis verharren, weil sie schon von Hass erfüllt sind. Somit sprechen sie im Voraus das Urteil aus, die Sache sei derart, dass sie, wenn sie sie kennten, sie sie nicht zu hassen vermöchten, weil, wenn kein Grund für den Hass gefunden wird, es dann, jedenfalls das Beste ist, den ungerechten Hass aufzugeben, wenn aber die Schuld ausgemacht ist, dann der Hass nicht nur nichts verliert, sondern dazu noch zu seiner Fortdauer der Ruhm der Gerechtigkeit erworben wird.

 

Doch, sagt man, eine Sache wird noch nicht deswegen im Voraus als gut beurteilt, weil sie Anziehungskraft für die Leute besitzt; denn wie viele lassen sich zum Schlechten verbilden, wie viele laufen der Verkehrtheit in die Arme! – Wer kann das leugnen? Allein, was wirklich schlecht ist, das wagen auch nicht einmal diejenigen, welche sich haben anlocken lassen, als gut zu verteidigen. Alles Schlechte hat die Natur mit Furcht und Scham übergossen.

So wünschen z. B. die Übeltäter, verborgen zu bleiben, sie meiden die Augen der Leute, sie zittern bei ihrer Ergreifung, leugnen bei der Anschuldigung, bekennen nicht einmal auf der Folter leicht und jedes Mal, sie trauern sicherlich bei ihrer Verurteilung, sie durchgehen unter Vorwürfen gegen sich selbst ihr früheres Leben, die moralische Schwäche ihres verderbten Charakters schreiben sie dem Fatum oder den Sternen zu. Denn sie wollen nicht, dass ihnen angehöre, was sie als schlecht erkennen. Beim Christen aber findet sich nichts Ähnliches. Keiner von ihnen empfindet Scham, keiner Reue, als darüber, nicht schon früher Christ geworden zu sein. Wenn er angezeigt wird, rühmt er sich; wenn er angeklagt wird, verteidigt er sich nicht; wenn er verhört wird, bekennt er von selbst; wenn er verurteilt wird, dankt er. Was kann da Böses sein, wo die natürlichen Kennzeichen des Bösen fehlen? Furcht, Scham, Leugnen, Reue und Trauer? Ist das etwas Böses, worüber der Angeklagte sich freut? Wo angeklagt zu werden Gegenstand des Verlangens ist und die Verurteilung als Sieg gilt? Du darfst das nicht Wahnsinn nennen, was nicht zu kennen du überführt bist.