Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten

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Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten
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Sigmund Freud

Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten

Mit einem einleitenden Essay von Manuel Metzig

Impressum

ISBN 978-3-86408-009-8 (epub)

ISBN 978-3-86408-010-4 (pdf)

Digitalisat basiert auf der auf der Erstausgabe basierenden Ausgabe von 1921 aus der Bibliothek des Vergangenheitsverlags; bibliografische Angaben:

Freud, Sigmund, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten, Leipzig 1921

Bearbeitung und einleitendes Essay von Manuel Metzig

Die Marke „100% - vollständig, kommentiert, relevant“ steht für den hohen Anspruch, mehrfach kontrollierte Digitalisate klassischer Literatur anzubieten, die – anders als auf den Gegenleseportalen unterschiedlicher Digitalisierungsprojekte – exakt der Vorlage entsprechen. Antrieb für unser Digitalisierungsprojekt war die Erfahrung, dass die im Internet verfügbaren Klassiker meist unvollständig und sehr fehlerhaft sind.

© Vergangenheitsverlag, 2011 – www.vergangenheitsverlag.de


eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

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Inhalt


Einleitendes Essay: Eine kurze Wirkungsgeschichte von „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“

A. Analytischer Teil

B. Synthetischer Teil

C. Theoretischer Teil

Einleitendes Essay: Eine kurze Wirkungsgeschichte von
„Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“

Es scheint das Schicksal eines großen Denkers zu sein, seiner Zeit voraus zu sein. Wenn trotz zahlloser Publikationen und öffentlicher Diskussionen das Publikum keinen Gefallen an den hohen Gedanken solcher Denker finden möchte, scheint etwas nicht zu stimmen. Zweifelsohne war Sigmund Freud einer dieser großen Denker, dem es so erging. Es mag uns erstaunen, dass das heutzutage bekannteste Buch Sigmund Freuds, „Die Traumdeutung“, im Erscheinungsjahr 1900 kaum Anklang fand. Innerhalb von sechs Jahren wurde eine nur sehr bescheidene Anzahl von 351 Stück verkauft. Zu einer zweiten Auflage kam es erst 1909. Ein ähnliches Schicksal erlitten die zur Traumtheorie gehörenden Werke „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ und „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“, beide im Jahr 1905 erschienen. Ersteres stieß auf große Beliebtheit, auch in der akademischen Welt, was zur Zeit der Veröffentlichung für Freud keine Selbstverständlichkeit war. Im Gegensatz dazu fand „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ kaum Beachtung. Zwar betrug die Auflage mit 1.150 Stück fast das Dreifache der Anzahl der „Traumdeutung“, dennoch wurde abseits der von Freud ins Leben gerufenen Wiener Gesellschaft kaum über das Thema diskutiert.Die Veröffentlichung der drei Bücher brachte Sigmund Freud gleichzeitig in Verruf. Man beschwerte sich über die schockierende Verderbtheit der Freud‘schen Theorien. Die Traumdeutung galt als phantastisch, geradezu lächerlich. Vor allem die Behauptung einer kindlichen Sexualität stieß auf herben Widerstand, sowohl in der akademischen als auch nicht-akademischen Welt.Freud selbst sah die Sache gelassen. „Schließlich war es, wie er mit etwas spöttischer Befriedigung sagte, sein Schicksal, „am Schlaf der Welt zu rühren.“ Das Buch „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ gilt dabei als eines seiner schwersten Werke. Geradezu verwunderlich ist dabei die Tatsache, dass Peter Gay, der heute als einer der renommiertesten Freud-Biografen gilt, in bemerkenswerter Kürze „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ erwähnt – nämlich mit nur einem Satz. Gleiches finden wir bei Max Schnur, der noch zu Lebzeiten Freuds Arzt war und sich später der Biografie widmete. Ernest Jones, der eine der ersten und umfassendsten Biografien verfasste, schrieb über den Witz: „Es wird von allen Büchern Freuds am wenigsten gelesen, vielleicht, weil es am schwersten ist, es richtig zu verstehen.“

Das theoretische Fundament für „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ bildete Freuds Idee der Psychoanalyse, deren Grundstein er bereits im Jahre 1895 legte. Zusammen mit Josef Breuer veröffentlichte er damals die Studien über Hysterie, die auf den berühmten Fall der Anna O. zurückgehen, bei der es sich um die spätere Frauenrechtlerin Berta Pappenheim handelte. Freud schrieb schon in dieser Zeit seine Träume akribisch auf. Einer schien ihm dabei besonders prägend. Es war wohl in der Nacht vom 23. zum 24. Juli 1895, als Freud einen besonders folgenreichen Traum hatte, der in seiner „Traumdeutung“ unter dem Titel „Irmas Injektion“ auftauchte. Freud begann, diesen Traum Schritt für Schritt und so gründlich wie kaum einen Traum zu analysieren. Es sollte der Grundstein für „Die Traumdeutung“ sein. Die dann im Jahr 1900 veröffentlichte „Traumdeutung“ ist in ihrem Kern eine Selbstanalyse, die Freud an sich selbst vornahm. Die Träume, die er darin analysiert, sind nichts anderes als seine eigenen.

Dass sich Freud später dazu entschloss, ein Buch über Witze zu veröffentlichen, mag nur auf den ersten Blick verwundern. In dieser Schrift versuchte Freud die Theorien der „Traumdeutung“ auf die Techniken des Witzes anzuwenden. Freud selbst sprach von einer „sehr weitgehende Übereinstimmung mit den Vorgängen der ‚Traumarbeit’“. Die Idee zu einer Studie über Witze kam ihm vermutlich während seiner Arbeit als Arzt in seiner Wiener Privatpraxis, die er 1886 eröffnete. „Wenn man einem Unkundigen oder Ungewöhnten eine Traumanalyse mitteilt, in welcher also die sonderbaren, dem Wachdenken anstößigen Wege der Anspielung und Verschiebung dargelegt werden […] so unterliegt der Leser einem ihm unbehaglichen Eindruck, erklärt diese Deutungen für ‚witzig’ […]“Es lässt sich nur vermuten, dass er wohl bereits im Jahr 1897 mit der Sammlung der für das Buch wichtigen Witze begann. So schrieb er an seinen damaligen guten Freund Wilhelm Fließ: „Ich will gestehen, dass ich in letzter Zeit eine Sammlung tiefsinniger jüdischer Geschichten angelegt habe.“Im Laufe der Jahre notierte sich Freud nicht nur Träume, er schrieb auch Witze auf, die zumindest er für besonders komisch hielt.

Großen Einfluss auf „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ hatte sicherlich Theodor Lipps Schrift „Komik und Humor“ (1898), die auch Erwähnung in diesem Werk findet. Anders als Lipps setzte Freud seine Schwerpunkte jedoch hauptsächlich auf Technik und Tendenz des Witzes. Als Tendenzen unterschied er harmlosen und tendensziösen Witz. Letztere seien meist aggressiver und erotischer Art. Die Verdrängung unerfüllter Wünsche spiele dabei eine große Rolle. Ein Hauptmotiv, das er der „Traumdeutung“ entnommen hatte. Auffällig ist dabei die Technik, mit der Freud die Witze analysierte. Vor allem die Witze mit Wortspiel, derer eine Menge hier vorliegen, besteht die hauptsächliche Technik in der Verdichtung, ebenfalls ein aus der „Traumdeutung“ entlehntes Element. „Umwandlung zur Darstellungsfähigkeit, Verdichtung und Verschiebung sind die drei großen Leistungen, die wir der Traumarbeit zuschreiben dürfen“, so Freud. Die drei Elemente wollte er nicht nur auf die Traumdeutung reduziert wissen, sondern diese auch bei der Technik des Witzes erkennen. Wenn Freud dem Witz dann noch ein Vergnügen unterstellt, dass er mit der Vorlust gleichsetzte, öffnen sich unweigerliche Parallelen zur Traumdeutung. Die Unterscheidung von bewusst – vorbewusst – unbewusst gehört zum zentralen Gedanken bei der Erklärung von Träumen. Am Ende wird es beim Leser verbleiben, wie er das „schwierigste“ Buch Freuds lesen wird. Vielleicht lag und liegt eine der Schwierigkeiten beim Lesen an der hohen Anzahl von Wortspielen. So wurde das Buch damals lediglich in die Sprachen Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch übersetzt, weil sich eine adäquate Übersetzung der Wortspiele als schwierig erwies. Desweiteren spielt beim Verständnis eines Witzes auch die Zeit der Entstehung eine bedeutende Rolle. Witze sind zeitgebunden, das wird man bei der heutigen Lektüre unweigerlich erfahren. Dennoch: Auch wenn sich manche Witze der Kenntnis eines heutigen Lesers nur schwer erschließen mögen, so enthält „Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten“ eine Reihe wirklich guter Witze, die auch dem heutigen Leser einige Lacher abverlangen werden.

[1] Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten.

I. Einleitung.

Wer einmal Anlass gehabt hat, sich in der Literatur bei Ästhetikern und Psychologen zu erkundigen, welche Aufklärung über Wesen und Beziehungen des Witzes gegeben werden kann, der wird wohl zugestehen müssen, dass die philosophische Bemühung dem Witz lange nicht in dem Maße zu teil geworden ist, welches er durch seine Rolle in unserem Geistesleben verdient. Man kann nur eine geringe Anzahl von Denkern nennen, die sich eingehender mit den Problemen des Witzes beschäftigt haben. Allerdings finden sich unter den Bearbeitern des Witzes die glänzenden Namen des Dichters Jean Paul (Fr. Richter) und der Philosophen Th. Vischer, Kuno Fischer und Th. Lipps; aber auch bei diesen Autoren steht das Thema des Witzes im Hintergrunde, während das Hauptinteresse der Untersuchung dem umfassenderen und anziehenderen Problem des Komischen zugewendet ist.

Man gewinnt aus der Literatur zunächst den Eindruck, als sei es völlig untunlich, den Witz anders als im Zusammenhange mit dem Komischen zu behandeln.

 

Nach Th. Lipps (Komik und Humor, 1898)1 ist der Witz „die durchaus subjektive Komik“, d. h. die Komik, „die wir hervorbringen, die an unserem Tun als solchem haftet, zu der wir uns durchwegs als darüberstehendes Subjekt, niemals als Objekt, auch nicht als freiwilliges Objekt verhalten“ (S. 80). Erläuternd hierzu [2] die Bemerkung: Witz heiße überhaupt „jedes bewusste und geschickte Hervorrufen der Komik, sei es der Komik der Anschauung oder der Situation“ (S. 78).

K. Fischer erläutert die Beziehung des Witzes zum Komischen mit Beihilfe der in seiner Darstellung zwischen beide eingeschobenen Karikatur. (Über den Witz, 1889.) Gegenstand der Komik ist das Hässliche in irgend einer seiner Erscheinungsformen: „Wo es verdeckt ist, muss es im Licht der komischen Betrachtung entdeckt, wo es wenig oder kaum bemerkt wird, muss es hervorgeholt und so verdeutlicht werden, dass es klar und offen am Tage liegt.... So entsteht die Karikatur“ (S. 45). — „Unsere ganze geistige Welt, das intellektuelle Reich unserer Gedanken und Vorstellungen, entfaltet sich nicht vor dem Blicke der äußeren Betrachtung, lässt sich nicht unmittelbar bildlich und anschaulich vorstellen und enthält doch auch seine Hemmungen, Gebrechen, Verunstaltungen, eine Fülle des Lächerlichen und der komischen Kontraste. Diese hervorzuheben und der ästhetischen Betrachtung zugänglich zu machen, wird eine Kraft nötig sein, welche im stande ist, nicht bloß Objekte unmittelbar vorzustellen, sondern auf diese Vorstellungen selbst zu reflektieren und sie zu verdeutlichen: eine gedankenerhellende Kraft. Diese Kraft ist allein das Urteil. Das Urteil, welches den komischen Kontrast erzeugt, ist der Witz, er hat im stillen schon in der Karikatur mitgespielt, aber erst im Urteil erreicht er seine eigentümliche Form und das freie Gebiet seiner Entfaltung“ (S. 49).

Wie man sieht, verlegt Lipps den Charakter, welcher den Witz innerhalb des Komischen auszeichnet, in die Betätigung, in das aktive Verhalten des Subjekts, während K. Fischer den Witz durch die Beziehung zu seinem Gegenstand, als welcher das verborgene Hässliche der Gedankenwelt gelten soll, kennzeichnet. Man kann diese Definitionen des Witzes nicht auf ihre Triftigkeit prüfen, ja man kann sie kaum verstehen, wenn man sie nicht in den Zusammenhang einfügt, aus dem gerissen sie hier erscheinen und man stände so vor der Nötigung, sich durch die Darstellungen des Komischen bei den Autoren hindurch zu arbeiten, um von ihnen etwas über den Witz zu erfahren. Indes wird man an anderen Stellen gewahr, dass dieselben Autoren auch wesentliche und allgemein gültige Charaktere des Witzes anzugeben wissen, bei welchen von dessen Beziehung zum Komischen abgesehen ist.

Die Kennzeichnung des Witzes bei K. Fischer, die den Autor selbst am besten zu befriedigen scheint, lautet: Der Witz ist ein spielendes Urteil (S. 51). Zur Erläuterung dieses Aus[3]druckes werden wir auf die Analogie verwiesen: „wie die ästhetische Freiheit in der spielenden Betrachtung der Dinge bestand“ (S. 50). An anderer Stelle (S. 20) wird das ästhetische Verhalten gegen ein Objekt durch die Bedingung charakterisiert, dass wir von diesem Objekt nichts verlangen, insbesondere keine Befriedigung unserer ernsten Bedürfnisse, sondern uns mit dem Genuss der Betrachtung desselben begnügen. Das ästhetische Verhalten ist spielend im Gegensatz zur Arbeit. — „Es könnte sein, dass aus der ästhetischen Freiheit auch eine von der gewöhnlichen Fessel und Richtschnur losgelöste Art des Urteilens entspringt, die ich um ihres Ursprunges willen „das spielende Urteil“ nennen will, und dass in diesem Begriff die erste Bedingung, wenn nicht die ganze Formel enthalten ist, die unsere Aufgabe löst. „Freiheit gibt Witz und Witz gibt Freiheit,“ sagt Jean Paul. „Der Witz ist ein bloßes Spiel mit Ideen“ (S. 24).

Von jeher liebte man es, den Witz als die Fertigkeit zu definieren, Ähnlichkeiten zwischen Unähnlichem, also versteckte Ähnlichkeiten zu finden. Jean Paul hat diesen Gedanken selbst witzig so ausgedrückt: „Der Witz ist der verkleidete Priester, der jedes Paar traut“. Th. Vischer fügt die Fortsetzung an: „Er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen“. Vischer wendet aber ein, dass es Witze gebe, bei denen von Vergleichung, also auch von Auffindung von Ähnlichkeit, keine Rede sei. Er definiert also den Witz mit leiser Abweichung von Jean Paul als die Fertigkeit, mit überraschender Schnelle mehrere Vorstellungen, die nach ihrem inneren Gehalt und dem Nexus, dem sie angehören, einander eigentlich fremd sind, zu einer Einheit zu verbinden. K. Fischer hebt dann hervor, dass in einer Menge von witzigen Urteilen nicht Ähnlichkeiten, sondern Unterschiede gefunden werden und Lipps macht darauf aufmerksam, dass sich diese Definitionen auf den Witz beziehen, den der Witzige hat, und nicht, den er macht.

Andere in gewissem Sinne miteinander verknüpfte Gesichtspunkte, die bei der Begriffsbestimmung oder Beschreibung des Witzes herangezogen wurden, sind der „Vorstellungskontrast“, „der Sinn im Unsinn“, „die Verblüffung und Erleuchtung“.

Auf den Vorstellungskontrast legen Definitionen wie die von Kraepe1in den Nachdruck. Der Witz sei „die willkürliche Verbindung oder Verknüpfung zweier miteinander in irgend einer Weise kontrastierender Vorstellungen, zumeist durch das Hilfsmittel der sprachlichen Assoziation“. Es wird einem Kritiker [4] wie Lipps nicht schwer, die völlige Unzulänglichkeit dieser Formel aufzudecken, aber er selbst schließt das Moment des Kontrastes nicht aus, sondern verschiebt es nur an eine andere Stelle. „Der Kontrast bleibt bestehen, aber er ist nicht so oder so gefasster Kontrast der mit den Worten verbundenen Vorstellungen, sondern Kontrast oder Widerspruch der Bedeutung und Bedeutungslosigkeit der Worte“ (S. 87). Beispiele erläutern, wie letzteres verstanden werden soll. „Ein Kontrast entsteht erst dadurch, dass ... wir seinen Worten eine Bedeutung zugestehen, die wir ihnen dann doch wieder nicht zugestehen können“ (S. 90).

In der Weiterentwicklung dieser letzten Bestimmung kommt der Gegensatz von „Sinn und Unsinn“ zur Bedeutung. „Was wir einen Moment für sinnvoll nehmen, steht als völlig sinnlos vor uns. Darin besteht in diesem Falle der komische Prozess“ (S. 85 u. ff.). „Witzig erscheint eine Aussage, wenn wir ihr eine Bedeutung mit psychologischer Notwendigkeit zuschreiben und indem wir sie ihr zuschreiben, sofort auch wiederum absprechen. Dabei kann unter der Bedeutung verschiedenes verstanden sein. Wir leihen einer Aussage einen Sinn und wissen, dass er ihr logischerweise nicht zukommen kann. Wir finden in ihr eine Wahrheit, die wir dann doch wiederum den Gesetzen der Erfahrung oder allgemeinen Gewohnheiten unseres Denkens zufolge nicht darin finden können. Wir gestehen ihr eine über ihren wahren Inhalt hinausgehende logische oder praktische Folge zu, um eben diese Folge zu verneinen, sobald wir die Beschaffenheit der Aussage für sich ins Auge fassen. In jedem Falle besteht der psychologische Prozess, den die witzige Aussage in uns hervorruft und auf dem das Gefühl der Komik beruht, in dem unvermittelten Übergang von jenem Leihen, Fürwahrhalten, Zugestehen, zum Bewusstsein oder Eindruck relativer Nichtigkeit.“

So eindringlich diese Auseinandersetzung klingt, so möchte man hier doch die Frage aufwerfen, ob der Gegensatz des Sinnvollen und Sinnlosen, auf dem das Gefühl der Komik beruht, auch zur Begriffsbestimmung des Witzes, insofern er vom Komischen unterschieden ist, beiträgt.

Auch das Moment der „Verblüffung und Erleuchtung“ führt tief in das Problem der Relation des Witzes zur Komik hinein. Kant sagt vom Komischen überhaupt, es sei eine merkwürdige Eigenschaft desselben, dass es uns nur für einen Moment täuschen könne. Heymans (Zeitschr. f. Psychologie XI, 1896) führt aus, wie die Wirkung eines Witzes durch die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung zu stande komme. Er erläutert seine [5] Meinung an einem prächtigen Witz von Heine, der eine seiner Figuren, den armen Lotteriekollekteur Hirsch-Hyacinth, sich rühmen lässt, der große Baron Rothschild habe ihn ganz wie seines Gleichen, ganz famillionär, behandelt. Hier erscheine das Wort, welches der Träger des Witzes ist, zunächst einfach als eine fehlerhafte Wortbildung, als etwas Unverständliches, Unbegreifliches, Rätselhaftes. Dadurch verblüffe es. Die Komik ergebe sich aus der Lösung der Verblüffung, aus dem Verständnis des Wortes. Lipps ergänzt hierzu, dass diesem ersten Stadium der Erleuchtung, das verblüffende Wort bedeute dies und jenes, ein zweites Stadium folgt, in dem man einsehe, dies sinnlose Wort habe uns verblüfft und dann den guten Sinn ergeben. Erst diese zweite Erleuchtung, die Einsicht, dass ein nach gemeinem Sprachgebrauch sinnloses Wort das Ganze verschuldet habe, diese Auflösung in Nichts, erzeuge erst die Komik (S. 95).

Ob die eine oder die andere dieser beiden Auffassungen uns einleuchtender erscheinen möge; durch die Erörterungen über Verblüffung und Erleuchtung werden wir einer bestimmten Einsicht näher gebracht. Wenn nämlich die komische Wirkung des Heineschen famillionär auf der Auflösung des scheinbar sinnlosen Wortes beruht, so ist wohl der „Witz“ in die Bildung dieses Wortes und in den Charakter des so gebildeten Wortes zu versetzen.

Außer allem Zusammenhang mit den zuletzt behandelten Gesichtspunkten wird eine andere Eigentümlichkeit des Witzes als wesentlich für ihn von allen Autoren anerkannt. „Kürze ist der Körper und die Seele des Witzes, ja er selbst,“ sagt Jean Paul (Vorschule der Ästhetik, I, § 45) und modifiziert damit nur eine Rede des alten Schwätzers Polonius in Shakespeares Hamlet (2. Akt, 2. Szene):

„Weil Kürze dann des Witzes Seele ist,

Weitschweifigkeit der Leib und äußre Zierat,

Fass' ich mich kurz.“ (Schlegel'sche Übersetzung)

Bedeutsam ist dann die Schilderung der Kürze des Witzes bei Lipps (S. 90). „Der Witz sagt, was er sagt, nicht immer in wenig, aber immer in zu wenig Worten, d. h. in Worten, die nach strenger Logik oder gemeiner Denk- und Redeweise dazu nicht genügen. Er kann es schließlich geradezu sagen, indem er es verschweigt.“

„Dass der Witz etwas Verborgenes oder Verstecktes hervorholen müsse“ (K. Fischer, S. 51), wurde uns schon bei der Zusammenstellung des Witzes mit der Karikatur gelehrt. Ich hebe diese Bestimmung nochmals hervor, weil auch sie mehr mit [6] dem Wesen des Witzes als mit seiner Zugehörigkeit zur Komik zu tun hat.

Ich weiß wohl, dass die Vorstehenden kümmerlichen Auszüge aus den Arbeiten der Autoren über den Witz dem Werte dieser Arbeiten nicht gerecht werden können. Infolge der Schwierigkeiten, welche einer von Missverständnis freien Wiedergabe so komplizierter und fein nuancierter Gedankengänge entgegenstehen, kann ich den Wissbegierigen die Mühe nicht ersparen, sich die gewünschte Belehrung an den ursprünglichen Quellen zu holen. Aber ich weiß nicht, ob sie von ihr voll befriedigt zurückkehren würden. Die von den Autoren angegebenen und im vorigen zusammengestellten Kriterien und Eigenschaften des Witzes — die, Aktivität, die Beziehung zum Inhalt unseres Denkens, der Charakter des spielenden Urteils, die Paarung des Unähnlichen, der Vorstellungskontrast, der „Sinn im Unsinn“, die Aufeinanderfolge von Verblüffung und Erleuchtung, das Hervorholen des Versteckten und die besondere Art von Kürze des Witzes — erscheinen uns zwar auf den ersten Blick als so sehr zutreffend und so leicht an Beispielen erweisbar, dass wir nicht in die Gefahr geraten können, den Wert solcher Einsichten zu unterschätzen, aber es sind disjecta membra, die wir zu einem organisch Ganzen zusammengefügt sehen möchten. Sie tragen schließlich zur Kenntnis des Witzes nicht mehr bei als etwa eine Reihe von Anekdoten zur Charakteristik einer Persönlichkeit, über welche wir eine Biographie beanspruchen dürfen. Es fehlt uns völlig die Einsicht in den vorauszusetzenden Zusammenhang der einzelnen Bestimmungen, etwa was die Kürze des Witzes mit seinem Charakter als spielendes Urteil zu schaffen haben kann und ferner die Aufklärung, ob der Witz allen diesen Bedingungen genügen muss, um ein richtiger Witz zu sein, oder nur einzelnen darunter und welche dann durch andere vertretbar, welche unerlässlich sind. Auch eine Gruppierung und Einteilung der Witze auf Grund ihrer als wesentlich hervorgehobenen Eigenschaften würden wir wünschen. Die Einteilung, welche wir bei den Autoren finden, stützt sich einerseits auf die technischen Mittel, anderseits auf die Verwendung des Witzes in der Rede (Klangwitz, Wortspiel — karikierender, charakterisierender Witz, witzige Abfertigung).

 

Wir wären also nicht in Verlegenheit, einer weiteren Bemühung zur Aufklärung des Witzes ihre Ziele zu weisen. Um auf Erfolg rechnen zu können, müssten wir entweder neue Ge[7]sichtspunkte in die Arbeit eintragen oder durch Verstärkung unserer Aufmerksamkeit und Vertiefung unseres Interesses weiter einzudringen versuchen. Wir können uns vorsetzen, es wenigstens an dem letzteren Mittel nicht fehlen zu lassen. Es ist immerhin auffällig, wie wenig Beispiele von als solchen anerkannten Witzen den Autoren für ihre Untersuchungen genügen und wie ein jeder die nämlichen von seinen Vorgängern übernimmt. Wir dürfen uns der Verpflichtung nicht entziehen, dieselben Beispiele zu analysieren, die bereits den klassischen Autoren über den Witz gedient haben, aber wir beabsichtigen, uns außerdem an neues Material zu wenden, um eine breitere Unterlage für unsere Schlussfolgerungen zu gewinnen. Es liegt dann nahe, dass wir solche Beispiele von Witz zu Objekten unserer Untersuchung nehmen, die uns selbst im Leben den größten Eindruck gemacht und uns am ausgiebigsten lachen gemacht haben.

Ob das Thema des Witzes solcher Bemühung wert ist? Ich meine, daran ist nicht zu zweifeln. Wenn ich von persönlichen, während der Entwicklung dieser Studien aufzudeckenden, Motiven absehe, die mich drängen, Einsicht in die Probleme des Witzes zu gewinnen, kann ich mich auf die Tatsache des intimen Zusammenhanges alles seelischen Geschehens berufen, welche einer psychologischen Erkenntnis auch auf einem entlegenen Gebiet einen im vorhinein nicht abschätzbaren Wert für andere Gebiete zusichert. Man darf auch daran mahnen, welch eigentümlichen, geradezu faszinierenden Heiz der Witz in unserer Gesellschaft äußert. Ein neuer Witz wirkt fast wie ein Ereignis von allgemeinstem Interesse; er wird wie die neueste Siegesnachricht von dem einen dem anderen zugetragen. Selbst bedeutende Männer, die es für mitteilenswert halten, wie sie geworden sind, welche Städte und Länder sie gesehen, und mit welchen hervorragenden Menschen sie verkehrt haben, verschmähen es nicht, in ihre Lebensbeschreibung aufzunehmen, diese und jene vortrefflichen Witze hätten sie gehört.2