Ist Abtreibung Mord?

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Ist Abtreibung Mord?
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Sherif Moukhtar

Ist Abtreibung Mord?

Eine Orientierungs- und Argumentationshilfe für Betroffene mit anschaulichem Lehrmaterial im Anhang

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltsverzeichnis

Teil 1

1. Säkulare und nicht-säkulare Gesellschaften

2. Die Macht der Medien

3. Bibel und Koran zum Thema Abtreibung

Teil 2

Der Letzte seines Geschlechts

Impressum neobooks

Inhaltsverzeichnis

1. Säkulare und nicht-säkulare Gesellschaften

2. Die Macht der Medien

Ein Titelbild schreibt Geschichte

Was ist Toleranz?

Unantastbare Würde

Deutsche Journalisten und der Geist von 68

3. Bibel und Koran zum Thema Abtreibung

Der Letzte seines Geschlechts

Teil 1

1. Säkulare und nicht-säkulare Gesellschaften

Abtreibung ist selbstverständlich kein Mord, jedenfalls nicht in den säkularen westlichen Industriestaaten. In diesen Ländern regeln Gesetze, was strafrechtlich relevant ist und geahndet werden muss. Mord als juristischer Begriff muss auch durch das Gesetz definiert werden. Im deutschen Strafrecht ist dabei insbesondere der »niedere Beweggrund«, also die Tötung eines Menschen aus egoistischen Motiven wie Habgier, Eifersucht oder Rache, maßgeblich. Dieses Motiv scheidet in der Regel bei Schwangeren, die ihr Kind nicht zur Welt bringen möchten, aus. Allerdings ist klar, dass in anderen Ländern nicht nur andere Sitten und Gebräuche, sondern auch andere Rechtsauffassungen herrschen als in einem westlichen Land wie Deutschland. Jeder, der sich mit dieser Fragestellung befasst, sollte sich daher in erster Linie von universellen Prinzipien und Überzeugungen leiten lassen. In einer säkularen, aufgeklärten Gesellschaft wie der deutschen spielen etwa religiös fundierte oder motivierte Grundsätze kaum noch eine Rolle. Einzig die katholische Kirche vertritt in Deutschland noch einen konservativen Standpunkt zum Thema Abtreibung, jedoch nicht unumschränkt. Viele Pfarrer und Bischöfe haben sich liberaleren Ansichten angenähert, da viele in der Zeit der marxistischen Studentenproteste in den sechziger und siebziger Jahren selbst Studenten waren und viele von dem damals um sich greifenden Geist des Umsturzes tradierter Werte und Normen wie Treue, Einehe, Familie, Privateigentum und religiöse Sinnstiftung ergriffen wurden. Karl Marx war zwar Jude, aber er glaubte nicht an den Gott der Thora. Für ihn war der Glaube an ein jenseitiges Leben, die Hoffnung auf Eingang des Menschen in das göttliche Paradies nach dem Tod, ein Grund, sich trösten zu lassen, wenn man ein Leben in Armut und Elend führen musste, und dieses Schicksal willig zu erdulden. Marx sagte sinngemäß: Wer daran glaubt, wird schläfrig, als hätte er Opium genommen, und kann nicht entschlossen genug für die Veränderung ungerechter gesell­schaftlicher Verhältnisse kämpfen. Er ist ein schlechter Revolutionär. Die marxistische Revolution brauchte Menschen, die alles allein in dieser Welt zu gewinnen hofften, weil es für ihre Anhänger keine andere Welt gab. Deshalb ist ein überzeugter Marxist, Kommunist oder Sozialist immer auch ein Atheist, ein Mensch, der an keinen Gott und kein Jenseits glaubt. Für Einwanderer aus Ländern, in denen der Islam Kultur und Denken bestimmt und für die deshalb das islamische Selbst­verständnis die Grundlage aller wichtigen Entscheidungen bildet, ist dieser säkulare Geist oft schwer nachvollziehbar, da sie mit einer festen religiösen Tradition und Identität aufgewachsen sind, die klare Regeln in vielen Fragen der Ethik und Moral vorgibt, Regeln, die wegen der Autorität der Lehre nicht in Frage gestellt werden können. Doch auch Christen, für die der Glaube an Gott so stark und bedeutend ist, dass er in die konkrete Lebens­gestaltung eingreift, können sich niemals nur von Meinungen leiten lassen, die rein irdischer Herkunft sind, also stets nur dem Diktat der reinen Vernunft, von der Immanuel Kant sprach, folgen. Für sie ist diese Vernunft die Gabe Gottes an den Menschen und daher nur so einzusetzen, dass die göttliche Autorität nicht in Frage gestellt wird. Sowohl Christen als auch Muslime kennen die Geschichte von Adam und Eva: Es ist die Geschichte der Emanzipation von Gott. Selbst Erkenntnis haben, unabhängig von Gott, das ist die Verheißung Satans, als er in Gestalt der Schlange im 1. Buch Mose (Musa), das auch Genesis heißt, den Genuss der verbotenen Frucht empfahl. Die biblische Geschichte, die älter ist als der Koran, hat auch in das heilige Buch der Muslime Eingang gefunden und wird an verschiedenen Stellen nacherzählt (vgl. Sure 7,19-20; 20,117-121). Als Geschäftsreisender hat der Prophet des Islam selbst­verständlich die im Orient vorherrschenden religiösen Lehren und Traditionen seiner Zeit kennen gelernt, nicht nur Geschäfte mit Juden und Christen gemacht, sondern auch Gespräche mit ihnen geführt. Zahlreich sind deshalb die Verweise auf »Tawrat«, die jüdische Thora (Torah), und »Injil«, das christliche Evangelium, im Koran. Doch sind das die Traditionen und Glaubenslehren, die heute für die westlichen Industrie­nationen maßgeblich sind? Viele Muslime betrachten diese Länder als dekadent und sittlich verfallen. Vor allem die zügellose Zur-Schau-Stellung erotischer Motive und die sexuelle Freizügigkeit verstören sie. Drogen- und Alkohol­missbrauch sind ein virulentes Problem. Was ist der Grund für diese Sittenlosigkeit? Ist es der christliche Glaube? Lehren Evangelium (Injil) und Thora (Tawrat) solches Verhalten? Danach wird man in der Bibel vergeblich suchen. Die Antwort liegt einmal mehr in den Verheerungen der marxistischen Revolution, die als Studenten­bewegung ab 1968 auch in den westlichen Gesellschaften breite Massen­wirkung entfaltete. Es ist diese Bewegung, die

 die so genannte »freie Liebe« ohne gesetzliche Bindung an einen Partner und den sexuellen Verkehr mit mehreren Partnern parallel und im selben Raum (in so genannten Kommunen, die den Kommunismus konstituieren) propagierte,

 die sogar Kinder frühzeitig mit Sexualität konfrontieren wollte (der Ursprung der vielen Kinder­schändungs-Skandale in den letzten Jahren, in deren Zuge auch die GRÜNEN-Politiker Volker Beck und Daniel Cohn-Bendit in Misskredit gerieten),

 abwegige Formen der Sexualität und andere als die zwischen einem Mann und einer Frau für zulässig erklärte,

 die Frauenrechte stärken wollte (Feminismus), was auch das Recht auf eine selbst bestimmte Sexualität und folglich auf legale, durch die Krankenkasse zu deckende Schwangerschafts­abbrüche einschloss,

 die Drogenkonsum befürwortete und den Rauschzustand als Erweiterung der Wahr­nehmung feierte,

 die Krieg als Mittel der Verteidigung der eigenen Kultur und Heimat ablehnte und somit in vielen orientalischen Ländern auch als weichlich und unmännlich wahrgenommen wird,

 den Glauben an einen Gott in der Tradition von Marx als überholt und als Einschränkung der individuellen Freiheit zurückwies.

Die eigene Kultur und Heimat war für diese Bewegung unwichtig, weil der Kommunismus sich als weltumspannende, supranationale Bewegung verstand. Marx sagte: »Proletarier aller Länder vereinigt euch!« und die von ihm herbeigesehnte kommunistische Endge­sellschaft sollte keine Nationen­grenzen mehr kennen, sondern eine Art irdisches Universal­paradies sein, ein Paradies ohne Gott, vom Menschen allein kraft seiner Vernunft geschaffen. Auch die Ablehnung so genannter bürgerlicher (»bourgeoiser«) Normen, Konventionen und Institutionen wie Ehe, Familie oder Kirche geht auf Marx zurück, dem nach dem Untergang der Bourgeoisie eine völlig neue Art von Zivilisation vorschwebte, ein klassenloses Utopia, das die Arbeiter­klasse als Endpunkt der Geschichte der Klassen­kämpfe herbeiführen sollte. Der an sein Endziel gebrachte Kommunismus war für ihn »das aufgelöste Rätsel der Geschichte«.

Natürlich sind in den westlichen Gesellschaften nicht alle Menschen überzeugte Marxisten. Die meisten marxistisch geführten Staaten sind gescheitert und ihre großen Führer Stalin, Mao Zedong, Pol Pot und Kim Il Sung sind als skrupellose Völker­mörder in die Geschichte eingegangen. Doch obwohl das Gesellschafts­system des Marxismus in den drei Jahrzehnten nach 1968 überall dort gescheitert ist, wo es einer Volks­gemeinschaft im Rahmen eines umfassenden soziologischen Experiments (in der Regel mit etlichen Todesopfern) staatlich verordnet wurde, haben sein geistiges Fundament, sein Atheismus und seine Vernunft­gläubigkeit, und deren sittliche Folgeerscheinungen überlebt. Wer daran glaubt, dass Gott den Menschen vor dem Hochmut warnen wollte, den es bedeuten könnte, allein im Vertrauen auf den menschlichen Verstand stets zu richtigen Entscheidungen zu gelangen, für den ist die Entwicklung der westlichen Länder nach 1968 eine Illustration der Geschichte aus der Genesis, in der die Schlange den Menschen verspricht: »Ihr werdet sein wie Gott und selbst erkennen können, was gut und was böse ist, was euch nützt und was euch schadet.« Die Schlange wird in der christlichen Exegese als Verkörperung Satans verstanden. Im Koran, wo die Geschichte in ihren wesentlichen Zügen ebenfalls vorkommt (Sure 2,35-36) und der Satan mit der Verheißung ewigen Lebens (Sure 7,20) lockt, ist das Ergebnis der teuflischen Verführungs­kunst dasselbe: Das Paradies hat der Mensch durch seinen Frevel, den Worten der Schlange Folge zu leisten und Gott nicht gehorsam zu sein, nicht gewonnen, sondern verloren. Da dort der »Baum des Lebens« (Genesis 3,22) bzw. der »Baum der Unsterblichkeit« (Sure 20,120) steht, ist sein Leben nun zerbrechlich und zerstörbar geworden und er dem Tode geweiht, abgeschnitten von jenem ewigen Lebensstrom, den es nur im Paradies geben kann.

 

2. Die Macht der Medien

Ein Titelbild schreibt Geschichte

Schauen wir uns nun an, wie und unter welcher Führung Menschen in Deutschland heute zu ihren Ansichten und Überzeugungen in allen wichtigen Fragen des Lebens gelangen. Auf dem Höhepunkt der Umwälzungen durch die 68er-Bewegung erschien im Juni 1971 eine Ausgabe der Illustrierten STERN mit einer Titelbild-Collage aus mehr als 25 Porträtfotos prominenter Frauen, dazu die Schlagzeile: »Wir haben abgetrieben«. Das Heft wurde legendär und das Titelbild Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der Bundesrepublik, eine Ikone. Es soll hier gar nicht darum gehen, das zu werten und die sicherlich einleuchtenden Gründe zu diskutieren, die die Frauen damals zu diesem Schritt bewogen haben.

Vielmehr stelle man sich folgendes vor: Ein Titel des STERN oder des SPIEGEL, bestehend aus zwanzig kleinen Fotografien abgetriebener Föten. Darüber in ins Auge springenden Buchstaben die Schlagzeile: »Wir wurden abgetrieben!« Im Innenteil des Magazins die Titelgeschichte. Eine Reihe von Müttern kommt zu Wort, darunter viele, sehr viele, die den Schritt auch nach Jahren noch bereuen, ihn und seine Wirkung auf ihre Psyche völlig anders eingeschätzt haben, die Alpträume plagen, in denen das Kind vorkommt, die berichten, nicht genau gewusst zu haben, was eigentlich bei einer Abtreibung – das Wort klingt so harmlos – geschieht, und die sich darüber beklagen, dass deutsche Massenmedien zwar über Tod, Vernichtung und Gewalt gegen Menschen in allen Formen und Schattierungen berichten, über die Leichenteile, die alljährlich allein in Deutschland mehr als 100.000 Mal aus Abtreibungs­kliniken entsorgt werden müssen, Leichenteile mit klar erkennbaren Kinder­gliedmaßen, einem Kopf und Augen darin, aber nicht. Wenn es tote Kinder in die Medien schaffen wollen, gibt es eine Altersgrenze: Sie müssen mindestens sechs Monate älter sein als ihre ungeborenen Leidensgenossen: Überreste von Babys in Blumentöpfen, Babyleichen im Keller oder in der Tiefkühl­truhe – all das hat in deutschen Medien ein breites Echo gefunden. Hungernde Kinder waren sogar schon Gegenstand der Werbe­kampagne eines großen Modehauses (»United Colors of Benetton«). Gegen ihren Willen aus dem Mutterleib gezerrte und dabei getötete Kinder sind dagegen ein Tabu. Über sie zu schreiben, Fotos von ihnen nach dem »Eingriff« zu zeigen: undenkbar. Selbst der absurde Fall des kleinen Tim, der eine Spät­abtreibung (ab 22. Schwanger­schaftswoche) überlebte und dann wiederbelebt werden musste, weil er ja nun nicht mehr im Mutterleib und also schützens­würdiges Individuum war, fand lediglich den Weg auf einschlägige Internetseiten (www.tim-lebt.de) und in den eher konservativ ausgerichteten FOCUS1, nicht ins doch sonst so sensations­verliebte Fernsehen. Welcher Redakteur, ob bei STERN, beim SPIEGEL oder bei ZDF und ARD oder anderswo bei deutschen Leitmedien, das Thema mit Pro-Leben-Tendenz bearbeiten möchte, er wird deutschland­weit auf keiner Redaktions­konferenz die nötige Zustimmung dafür bekommen. Es gibt da eine seltsame Schere im Kopf, die sogar tendenziell eher konservative Medien ergriffen zu haben scheint.

Berichte über militante Abtreibungs­gegner und bedrohte Ärzte, vornehmlich in den USA, sind dagegen ein beliebtes Thema, dreimal schaffte es ein entsprechender Artikel 2015 in den SPIEGEL, ein Beitrag war der unkommentierte Erfahrungs­bericht eines betroffenen Arztes, übersetzt aus dem Englischen. So viel Freiraum zur Darstellung der radikal einseitigen eigenen Sicht bekommt in einem kritischen Medium wie dem SPIEGEL sonst höchstens noch ein prominenter SPD-Politiker wie Frank-Walter Steinmeier. Nicht dass das irrelevante Beiträge zu einem unbedeutenden Thema gewesen wären, aber warum wird immer in dieselbe Kerbe gehauen? Sind Abtreibungs­gegner wirklich alle nur total fehlgeleitete Irre oder verfügen eventuell auch sie über Argumente? Vielleicht hätte man im katholischen Polen mit dieser Herangehensweise eine Chance, aber wohl auch nur nach dem kompletten Austausch der betreffenden Redaktion durch einen staatlichen Eingriff, einen Eingriff übrigens, der sich im Gegensatz zu dem »Eingriff«, mit dem Kindstötung im Mutterleib üblicherweise umschrieben wird (übrigens ohne die geringste Chance, es jemals in die Endausscheidung bei der Wahl zum Unwort des Jahres zu schaffen), um mediales Interesse in den westlichen Ländern Europas nicht zu sorgen braucht, wie sich nach dem Amtsantritt einer konservativen Regierung in Polen 2015 erwiesen hat. Deutschlands Medien­landschaft ist riesengroß und bunt. Da stellt sich schon die Frage: Warum wird es einen STERN- oder SPIEGEL-Titel wie den eingangs beschriebenen oder eine entsprechende ARD-Reportage zur besten Sendezeit nie geben?

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?