BRUTAL PLANET

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BRUTAL PLANET
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BRUTAL PLANET
Sean P. Murphy

übersetzt von Tina Lohse

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com

Title: BRUTAL PLANET. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2014. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum

Zweite überarbeitete Ausgabe

Originaltitel: BRUTAL PLANET

Copyright Gesamtausgabe © 2019 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Übersetzung: Tina Lohse

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2019) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-052-6

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

BRUTAL PLANET

Impressum

Die Insel

Im Trockenen

Auf dem Boot

Seuche

Zuflucht

Gäste

Raus aus Bangor

Shopping

Ein größeres Boot

Neue Freunde

Verlorene Seelen

Mord nach Zahlen

Blut und Öl

Lauf

In the Navy

Ein helles Licht

Die Schlacht um Long Island

Cassandra

Der Klang des Donners

Martha's Vineyard

Die Insel

Ein Dichter aus dem Show-Me-Staat Missouri verkündete einst, dass die Welt mit Gewimmer zugrunde gehen wird. Ich weiß nun, dass er falsch lag. Es wird mit einem Brüllen geschehen.

30. Mai

Die Providence ist ein zehn Meter langes Bénéteau First 35s5 Segelboot, wunderschön, geschmeidig, mit acht Schlafplätzen, und war früher einmal eine Art Statussymbol; jetzt war jedoch nicht mehr früher und wir waren dreizehn Mann an Bord.

Es war jetzt beinahe achtundvierzig Stunden her, seit wir es auf das Boot geschafft hatten. Zuerst war es erleichternd gewesen, endlich das Ziel zu erreichen, für das wir so viel geopfert hatten. Eine Chance, uns von den Schrecken der vergangenen Woche zu erholen, in der wir uns durch die Horden der Untoten gekämpft und zugeschaut hatten, wie Freund um Freund verstarb. Wir haben eine Auszeit verdient. Wir sind erschöpft, haben kein Essen und fast kein Wasser mehr und brauchen jeder verzweifelt etwas Platz und Zeit, um verarbeiten zu können, was zur Hölle eigentlich passiert war. Was passiert war, für uns Menschen zumindest, war die Schlussphase des Endes der Welt.

Es war heiß und feucht, fast ohne Brise. Die Insel zu finden, war also nicht weniger als ein Gottesgeschenk. Wir würden auf keinen Fall mehr in die Nähe vom Festland gehen, denn wir kannten unsere genaue Position nicht, da alle nautischen Karten auf Roberts altem Boot waren, aber Robert konnte gut schätzen. Handys funktionierten nur sporadisch, aber wen sollte man auch anrufen? Wir wussten alle, was geschehen war.

Es war eigentlich der Anfang der Touristensaison hier in Maine. Ich habe den Sommer einst geliebt und mich auf die Wärme gefreut. Nun bete ich für Winter.

Die Insel war im Grunde nur ein großer, flacher Fels, nicht mal einen Hektar groß und ungefähr zweihundert Meter vom Ufer entfernt, ein anständiger Sicherheitsabstand. Es gab einen kleinen Steg für ein einzelnes Boot, mit einer verwitterten Holztreppe, die zu einem massiven, zweistöckigen Haus führte. Ich vermutete, dass es Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erbaut wurde; graues Schindeldach, viele überdimensionierte Fenster mit großen Läden, um die Winterstürme draußen zu halten, und eine umlaufende Veranda. Das Gebäude triefte geradezu vor Neuengland-Stil.

Alle sammelten sich auf dem Deck, als wir nach Bewegungen Ausschau hielten und vielleicht, nur vielleicht, nach Zeichen menschlichen Lebens. Wir alle wollten eine Pause, und ich wollte verdammt noch mal weg von ein paar dieser Leute. Vorsichtig schifften wir in die Bucht ein und schauten durch unsere Ferngläser. Nachdem er etwas übers Kentern geknurrt hatte, betätigte Robert die Sirene, um mit einem lauten Whoop-Whoop zu sehen, ob er die Aufmerksamkeit von jemandem oder etwas auf sich ziehen konnte. Ich suchte die Insel und das Haus mit einem Fernglas mit einer Vergrößerung von sieben mal fünfzig ab, ohne eine Ahnung, was das bedeutete, aber ich konnte durch das Küchenfenster deutlich die Notizen auf einem Kalender lesen. Sah so aus, als hätte Neil diese Woche eine Ladung Lobster und Venusmuscheln liefern sollen. Falls das hier klappte, sollten wir unsere eigenen finden können. Die meisten Vorhänge waren aufgezogen und mit dem richtigen Lichteinfall hatte ich eine gute Sicht auf das Innere der ersten Etage des Hauses. Nichts bewegte sich. Vielleicht hatten wir doch endlich mal Glück.

Als das Boot die Stegseite der Insel erreichte, inspizierte ich das Ufer und sah eine Ansammlung von Häusern, vielleicht eine halbe Meile südlich von uns entlang des Strandes. Es spielte eigentlich keine Rolle. Ich konnte sie sehen und sie sahen auf jeden Fall uns. Sie rannten am Ufer entlang in unsere Richtung, nicht als eine geschlossene Gruppe, eher wie ein spastischer Mob. Robert manövrierte das Boot langsam näher an den Steg heran. Wir hatten keine Segel gesetzt, warum also hatten sie uns so verdammt schnell gesehen? Klar, Robert hatte die Sirene benutzt, aber diese Kerle bewältigten die Distanz wie ein geölter Blitz. Da waren vier vorne und drei dahinter, fast schon gleichauf mit der Insel. Verdammt sind die schnell, wir reden hier von olympischer Geschwindigkeit. Sie waren alle gut in Form und hatten auch noch alle ihre Gliedmaßen. Als ich sie und noch mehr Punkte, die aus dem Süden anrückten, immer näherkommen sah, dachte ich, könnten wir hier wirklich sicher sein? Wir glauben, dass sie nicht schwimmen können und … Ich nahm das Fernglas herunter und blickte hinter mich. Jeder war bewaffnet und starrte auf das obere Treppenende, sie waren bereit und warteten … auf mich.

Für den Fall eines schnellen Rückzugs legten wir nicht an, Robert blieb am Steuer und ließ den Motor laufen. Man konnte spüren, dass er nicht gerne zurückblieb, aber es war sein Boot. Er kannte es am besten und trug die Verantwortung für den Rest der Passagiere. Also bewaffnete ich mich. Die Mossberg fühlte sich gut an, aber ich checkte sie trotzdem instinktiv. Die Ruger war einsatzbereit. Ich übernahm die zweite Position und betrat den Steg. Wir waren zu fünft, unser eigener kleiner Sondertrupp. Ich habe keine Ahnung warum, aber seit dem Beginn unseres kleinen Unterfangens scheine ich immer nahe der Spitze zu landen. Ich war definitiv nicht mutig oder machomäßig; vielleicht nur etwas ungeduldig. Okay, ich kann manchmal eine Nervensäge sein und war inzwischen ein bisschen verrückt. Nein. Ich meine eigentlich richtig verrückt.

 

Wir waren ein Haufen ängstlicher Zivilisten, die ein ernstes und tödliches Spiel namens S.W.A.T. spielten. Genau wie diese alte Fernsehserie aus den Siebzigern mit der coolen Vorspannmusik, die ich als Kind immer gesehen hatte. Wir hatten nicht wirklich Ahnung, was wir da taten, aber wenigstens konnten wir es gut aussehen lassen.

Leise schlichen wir uns an, mit Handzeichen, abwechselnd links und rechts und mit einigen Schritten Abstand zwischen uns. Doc, ein langer, schlaksiger Typ mit einem komisch klingenden Südstaatenakzent ging mit seiner M-16A2 voraus. Ich hatte nie herausgefunden, woher er die hatte. Eines Tages hieß es einfach: ›Hey, Doc hat 'ne M-16‹. Ich wusste nicht, ob er damit umgehen konnte oder ob die Sicherung überhaupt drin war. Ich kam als Zweiter mit meiner Flinte, von der ich wusste, wie ich sie zu benutzen hatte, und die Sicherung war schon gelöst. Zack war Dritter mit seiner AK-47, dann folgten Mary und Matt. Falls wir auf dieser steilen Treppe angegriffen würden, in dieser Enge, würde man mir definitiv in den Arsch schießen. Das war zum Kotzen.

Ich bekam die Aufregung von unten mit und stellte fest, dass der Rest des Bootes unser Empfangskomitee am Strand bemerkt hatte. Ich schaute nicht hinüber. Mein Herz raste. Schweiß lief in Strömen an mir herab und verschmierte mir die Brille, aber ich blieb bei der Sache. Meine ganze Welt war das Ende der Treppe. Wir näherten uns Stück für Stück. Doc spähte schnell über die Kante, schaute zu mir und nickte. Ich nickte zurück, signalisierte ihm ›okay‹ mit dem Daumen und gab die Info weiter. Er hob seine rechte Hand und begann den Countdown, indem er die Finger einzeln absenkte und bei null kehrten wir unsere Aggressionen raus und stürmten los. Ich folgte ihm, bereit für den Krieg. Meine Augen waren überall. Er lief nach links, ich ging nach rechts und ließ gerade genug Platz für die anderen drei. Wir alle wussten aus eigener Erfahrung, wie schnell diese Dinger waren und dass Abstand und eine große Menge an Feuerkraft unsere beste Chance war, am Leben zu bleiben. Dann … passierte nichts! Keinerlei Bewegungen und keine rasenden Berserker, nur ein paar Möwen, die auf dem Verandageländer saßen und uns beiläufig anschauten.

Gut, es sah so aus, als wäre niemand draußen. Wir hatten noch nicht so viele Hausräumungen durchgeführt. Genau genommen hatten wir so etwas noch nie gemacht. Jemand dachte, es wäre eine gute Idee, das Gewehr nach vorne zu packen. Na danke! Die paar Leute, mit denen ich den Wildwesttango getanzt hatte und die ich jetzt gerade gerne an meiner Seite gehabt hätte, waren entweder tot oder nicht hier. Ich hatte die meiste Erfahrung, deshalb war es wohl irgendwie sinnvoll, aber ich hatte noch nie drinnen gespielt. Gerade als ich angefangen hatte, mich zu entspannen und zu denken, es wäre okay, alles zu vergessen, war ich wieder mitten in einem Zustand völligen Schreckens.

Wir blieben in der Gruppe und Matt und Mary gaben uns Rückendeckung. Matt war ein extrem ruhiger Typ mittleren Alters mit einer Glock und einer allgemeinen Anpackmentalität. Er wirkte wie eine nette Person, aber er war aus dem anderen Winnebago und in der Woche, in der wir zusammen gewesen waren, hatten wir niemals miteinander geredet. Mary war Anfang siebzig; hatte einen rasiermesserscharfen Verstand und war voller Energie. Hammer stellte sie mir als Pistolenmädchen vor, was lustig war, denn die Waffe ihrer Wahl war das größte Schießeisen, das ich je gesehen hatte. Eine Mischung aus Dirty Harry und der Großmutter der Beverly Hillbillies. Obwohl ich schon überzeugt gewesen war, dass mit Mary nicht zu spaßen war, ließ mich ihre Vorstellung vorhin am Dock zu einem wahren Gläubigen werden. Das hieß, sollte ich während dieses Unterfangens erschossen werden, dann mehr als wahrscheinlich von Zack oder Doc. Ich kannte Doc kaum, aber er war immer cool und gefasst, ungefähr in meinem Alter und einer der Gründer dieses ganzen Abenteuers. Zack war Anfang dreißig, smart, freundlich, fast eins-neunzig groß, und hatte rabenschwarzes Haar, mit einem zwei Wochen alten Ist-mir-doch-egal-Bart, ein kantiges Kinn und stechend blaue Augen. Zack hatte die Komplettausstattung, was das Aussehen betraf. Alle Männer wünschten sich insgeheim, er würde bei einem Brand sterben. In der Schlacht war er okay, aber seine Waffe war eine wahnwitzige AK-47 ohne Kolben oder wie auch immer man das nannte, wenn man von der Schulter aus zielte. Er würde buchstäblich aus der Hüfte schießen. Ich glaube nicht, dass ich ihn diese Waffe oder irgendwas anderes von der Hüfte habe schießen sehen. Verdammt, ich könnte erschossen werden. Wir waren Freunde geworden und steckten mitten in einem sehr knappen Spiel, also dachte ich, dass es okay wäre, aber auch als Schummeln gewertet werden könnte.

Wir durchforsteten das Haus, Tür für Tür, Raum für Raum und Wandschrank für Wandschrank. Das Erdgeschoss war sicher; große, offene Räume, auf die wir einen guten Blick vom Boot aus hatten, und eine kleine Wohnung für die Gastgeber. Der zweite Stock und das Dachgeschoss waren alles Gästezimmer. Der Keller war groß und wie das Erdgeschoss ein offener Raum, der einst eine Bowlingbahn beherbergt hatte. Die Aggressivität der Zombies würde sich hier als Vorteil erweisen, da sie blindlings losrannten, sobald sie uns hörten oder sahen. Ich habe noch keinen Zombie gesehen, der etwas anpeilte, das nicht voll und ganz seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Unsere Aktivitäten im Haus waren nicht gerade unauffällig. Als wir fertig waren, waren wir sicher, dass es leer stand, noch dazu war es ein sehr schönes Haus. Letzten Endes hatten auch wir mal Glück.

Es dauerte über eine Stunde, um das Haus zu sichern, und als das erledigt war, rannte ich zurück zur Treppe am Steg und gab ein Signal. Endlich Zeit, durchzuatmen. In diesem Moment schaute ich rüber zum Ufer. Das ursprüngliche halbe Dutzend war inzwischen auf mindestens drei Dutzend angewachsen. Die meisten von ihnen standen nur herum und starrten uns an, viele mit verschränkten Armen und leicht hin und her schwankend. Manche saßen und ein paar gingen auf und ab, aber keiner begab sich weiter als knietief ins Wasser. Da gab es Männer, Frauen und Kinder, aber keine Rangfolge oder offensichtliche Ordnung. Sie warteten einfach. Entweder würden wir zu ihnen kommen oder sie zu uns. Hätte ich mein Fernglas, dann könnte ich vielleicht ihre Wunden bestimmen, die sie, wie ich wusste, alle hatten. Jede ihrer Verletzungen erzählte mir die Geschichte, wie sie gestorben waren, wie sie ein Teil der Untoten geworden waren. Eine aufgerissene Kehle hier, ein verlorenes Glied dort oder großflächig blutverschmierte Kleidung, die sonst was verdeckte. Ich wusste, dass sich ein Kratzer an der Haut, bis auf wenige Ausnahmen, schnell in eine grauenhafte und tödliche Entzündung verwandeln konnte. Bisswunden … na ja … Bisswunden waren eine ganz andere Geschichte und immer tödlich.

Das Haus war eine Frühstückspension namens Molly's Rock und die kleine Gemeinde ein Sommerbadeort, South Kingston. Der Strand war eine dieser seltenen Ausnahmen an der Küste von Maine, es gab hier tatsächlich Sand anstelle von Steinen. Das Wasser war aber so kalt, dass ich mich fragte, ob wirklich jemand freiwillig reinging. Nach dem Gästebuch zu urteilen, lief hier alles prima, ausgebucht für den gesamten Sommer. Die gute Nachricht war, dass die Pension reichlich mit Lebensmitteln ausgestattet war, eine gut bestückte Bar, Wasser in Flaschen, ein Kühlraum und eine Menge Platz zum Ausbreiten bot. Die schlechte Nachricht war, dass dem Generator vor ein paar Tagen der Sprit ausgegangen war. Es gab ein Dutzend Schlafzimmer, alle dekoriert im reizenden, altmodischen und maritimen Neuengland-Stil. Ein Teil von mir dachte tatsächlich daran, Liz hierher zu bringen, wenn diese Scheiße vorbei war. Wir könnten den Strand rauf- und runterspazieren, Händchen halten und ich könnte erzählen, wie ich damals …

Wir aßen als Gruppe, verstreut in einem großen, sonnigen Salon, der mit Gemälden alter Boote und Schiffskapitänen geschmückt war und der von einem bildschönen Feldsteinkamin dominiert wurde. Obwohl es draußen über dreißig Grad waren, wollte ich ein Feuer. Ich wollte den Trost eines Feuers. Niemand sprach viel, es gab nur etwas Small Talk darüber, hier für ein paar Wochen unser Quartier aufzuschlagen, Vorräte zu sammeln, noch ein Boot zu besorgen und Richtung Süden zu fahren, bevor der Winter kam. Keine ernsthafte Planung, nur etwas, um uns zu beschäftigen und uns etwas Antrieb und ein Ziel zu geben. Die arme Madeline war gehörlos und keiner von uns beherrschte die Gebärdensprache, also rollte sie sich nur auf einer Couch in der Ecke zusammen. Bis vor zwei Tagen hieß es nur, die Boote erreichen und ab in den Süden. Trotz allem, was passiert war und was wir zurückgelassen hatten, konnten wir nun wirklich anfangen, uns über die Karibik Gedanken zu machen, denn wir hatten immer noch Hoffnung.

Nach dem Essen und noch mehr Plauderei verteilten sich die Leute in die Zimmer oder in eine Ecke des Hauses, manche zum Schlafen, manche nur, um allein zu sein. Robert und ich gingen zum zur Küstenseite gelegenen Verandateil, da eine kühle Meeresbrise aufgekommen war. Wir ließen uns in ein paar Gartenstühle fallen, ich hörte, wie jemand weiter oben weinte, und spürte einen gewissen Neid. Meine Zeit würde kommen. Wir beide sagten nichts. Wir starrten einfach auf die enorme Weite des unbezähmbaren Atlantischen Ozeans. Das Meer war wie leer gefegt. Keine Schiffe in Sicht. Die Grenzenlosigkeit war verstörend und tröstend zugleich. Vor mir lag Normalität. Der Atlantik war derselbe und würde es immer sein, aber am Ufer hinter mir hatte sich alles verändert. Seit wir es auf die Providence geschafft hatten, habe ich nicht viel Zeit damit verbracht, auf das Ufer zu schauen.

Robert und ich waren uns nähergekommen, seit diese ganze Sache angefangen hatte. Er war Teil von Roys ursprünglicher Gruppe und ich nur ein Außenseiter. Ich weiß nicht, warum wir uns gegenseitig anzogen, vielleicht weil wir beide an der Universität von Maine, in Orono, unterrichtet hatten. Diese Verbindung hatte das Eis zwischen uns gebrochen und bald schon wussten wir mehr und mehr voneinander und die Freundschaft nahm ihren Lauf. Er war Professor für Maschinenbau, im Ruhestand, und ich hatte Anthropologie unterrichtet. Er verstand die meisten meiner Witze und schien nichts gegen meinen eigentümlichen Humor zu haben. Wir redeten nicht viel, schienen aber einfach wie der andere zu denken. Immer wenn es einen Schlachtplan oder eine Krise während unseres Unterfangens, von Bangor an die Küste zu kommen, gegeben hatte, waren wir auf derselben Wellenlänge gewesen. Falls nicht, dann zog er mich schnell auf seine Seite. Es war nicht überraschend, dass wir nach zwei Stunden der Besinnung aufstanden, reingingen, uns jeder einen großen Krug Wasser schnappten und zum Steg runtergingen. Zack und Matt saßen in der Küche und rauchten, unterhielten sich leise und es sah so aus, als hätte Matt geweint. Ich sagte ihnen, wir wollten uns vergewissern, dass das Boot startklar war. Wir wollten an der Entsalzungsanlage arbeiten und vielleicht zu ein paar der Boote brausen, die in der Nähe von South Kingston vertäut waren, um Benzin abzuzapfen und ein paar Karten und was wir sonst noch brauchten zu besorgen.

»Wir melden uns über Funk, sollte es zu Schießereien kommen.«

Für ein paar Sekunden starrten sie mich nur an und dann sagte Zack: »John, warum zum Teufel sollte es uns interessieren, wenn du anfängst zu schießen? Ihr habt das Boot. Sollen wir vielleicht zu eurer Rettung schwimmen?«

Man merkte, dass wir beide körperlich und geistig im Eimer waren, aber das war eine berechtigte Frage. Ich war total kaputt, aber ich brauchte etwas zu tun, um in Bewegung zu bleiben. Wenn ich mich jetzt hinsetzte, dann könnte ich vielleicht nie wieder aufstehen und würde es vielleicht auch gar nicht wollen. Als ich sie so ansah, wurde mir bewusst, wie zerschlagen wir alle waren. Nach über einer Woche extremen Stresses und ohne Aussicht auf ein Bad, richtigen Schlaf oder Zeit für sich allein, nach beschissenem Essen und die ganze Zeit insgeheim auf die Sekunde wartend, in der man wusste, dass das Leben zu Ende ging. Ich war überrascht, dass es noch keiner auf sich genommen hatte, seinem Leiden ein Ende zu bereiten.

 

Nachdem das Boot aufgeräumt und das Wasser verstaut war, ging ich zurück nach oben, um mein Gewehr zu holen, während Robert eine Liste der notwendigen Dinge anfertigte. Ich hatte immer eine Pistole, aber das Gefühl, meine inzwischen treue Mossberg 500 in der Hand zu haben, gab mir ein Extra an Selbstvertrauen, und sie war unentbehrlich für die Bootsräumungen, die vor uns lagen. Die 500er war eine taktische Flinte, die häufig von der Polizei eingesetzt wurde und mir von Roy überreicht worden war, als wir an einer demolierten Straßensperre der Nationalgarde vorbeikamen, an dem Tag, an dem wir Bangor verließen. Jemand hatte sie frisiert, und obwohl sie für größere Entfernungen nicht so gut taugte, würde sie auf dreißig Metern alles wegfegen. Ich war inzwischen mehr als geübt in ihrem Umgang und kannte all ihre Schwächen.

Das Haus war ruhig und roch nach Sommer am Strand. Mensch, es wäre schön, sich für ein paar Stunden hinzulegen und die Kühle und den Komfort eines frisch gemachten Bettes und sauberer Laken zu genießen. Ich wusste, dass Robert auch fertig war, aber alles für ein schnelles Verschwinden bereit machen wollte. Zeit für ein Schläfchen würde es heute Nacht geben. Eine verdammte richtige und reale Sache, auf die man sich freuen konnte. Die Dinge schienen endlich besser zu laufen. Auf meinem Weg nach draußen sah ich Zack wieder. Als er die Treppe hinaufstieg, tat er nichts weiter, als mich anzusehen und zu stöhnen, als er sein kleines, schwarzes Buch rauszog und antippte. Ich nickte nur, ja Zack, ich weiß, dass du am Gewinnen bist, und stapfte runter zum Boot.

Als wir ablegten, schaute ich das Dock an und mein Verstand fragte: Was stimmt nicht mit diesem Bild? Wir waren bereit, loszuschippern, als Leslie vom oberen Ende der Treppe herunterrief und fragte, ob ich eine ihrer Kameras raufbringen könnte. Sie war eine niedliche aber nervige Zwanzigirgendwas, Studentin der Filmwissenschaften der Uni Maine, die exakt nichts zu unserem Überleben in den letzten Tagen beigetragen hatte. Sie hatte zwei raffinierte kleine Sony Camcorder mitgebracht, von der Art, die man benutzte, um das erste Fußballspiel der Kinder festzuhalten, oder Weihnachten oder Halloween oder irgendeines der tausend Ereignisse, die nie wieder vorkommen würden. Wir hatten uns alle abgewechselt, um unseren brutalen Trip zur Küste und die Nachwirkungen zu filmen. Ich glaubte, wir taten es, um uns selbst zu beweisen, dass es wirklich passierte. Wir nahmen unsere eigene Odyssee auf, aber dieses Mal brauchte man keinen Zyklopen oder Sirenen, um die Geschichte aufzupeppen. Ich glaubte nicht, dass irgendjemand die Kraft dazu hatte, unsere Aufnahmen durchzusehen, vielleicht eines Tages … ich jedenfalls konnte gut darauf verzichten.

Ich hatte gerade begonnen, ihre Reisetasche zu durchwühlen, als ich den ersten Schuss hörte. Zu der Zeit dachte ich noch, es wäre irgendein Idiot, der Zielübungen an den Zombies am Ufer veranstaltete und war sauer wegen der Munitionsverschwendung und der zusätzlichen Aufmerksamkeit, die das auf sich ziehen würde. Als ich wieder oben war, hörte ich sehr viel mehr Geschützfeuer, Rufe, das Geräusch von berstendem Glas und das inzwischen vertraute stumpfe und stöhnende Brüllen. Robert und ich schauten uns an, sein Gesicht spiegelte Fassungslosigkeit wider. Ich blickte nach oben. Leslie war verschwunden. Ich hielt meine Flinte bereit und war gerade dabei, das Boot zu verlassen, als ich sah, wie der Erste vom oberen Geländer aus auf uns runterstarrte.

Der Bootsmotor heulte auf und ich wandte mich Robert zu. Er hatte seine Pistole in der einen Hand und mit der anderen fuchtelte er wild an der Steuerung herum. Ungefähr zur gleichen Zeit hörte ich das Geräusch nackter Füße, die schnell die Treppe runterstiegen. Ich drehte mich um und sah den Zombie. Er war im Teenageralter oder Anfang zwanzig, dünn, blondes Haar, dreckige Jeans mit durchgescheuerten Knien und einem schmutzigen T-Shirt, auf dem UConn stand. Die rechte Seite seines Gesichts und das Ohr waren weg und man konnte tatsächlich Zähne an der Stelle sehen, an der seine Wange sein sollte. Der Zombie schaffte es ein Drittel des Weges nach unten, bis er ausrutschte und auf das Dock knallte. Er lag da für etwa eine Sekunde, bevor er aufsprang, um mir knurrend entgegenzutreten. Ich war immer noch in Schussposition, weniger als zwei Meter entfernt, und drückte den Abzug. Ich weiß nicht, ob es an mir lag oder am Schaukeln des Bootes, aber ich verfehlte den Kopf und traf ihn am Hals, kurz über dem Brustbein. Der Schuss hinterließ ein Loch in der Größe einer Grapefruit, sodass nur noch wenig Gewebe den Schädel mit dem Torso verband. Die Wucht des Aufpralls schleuderte den Körper derart zurück, dass die Kreatur auf ihre Brust fiel und mit dem Gesicht in den Himmel starrte. Seine Augen huschten hin und her und ich konnte seine Zähne klappern hören, als sich der Kiefer wie wild auf und ab bewegte. Es klang ein bisschen so, wie jemand, der hastig Geschirr stapelte. Nach ein paar Sekunden wurde es langsamer und hielt schließlich inne. Ich war fasziniert und versuchte mich an all die Hirnnerven zu erinnern … was hatte ich durchtrennt?

Irgendwo in der Ferne hörte ich Robert brüllen und fühlte, wie sich das Boot nach vorne schob. Mein Verstand schrie, dass noch mehr kamen, aber ich starrte weiter auf diesen Schädel. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich etwas bewegte, und ich drehte mich instinktiv um und drückte ab. Der Schuss traf den Zombie in die Schulter. Er drehte sich wie ein Kreisel, mit wild rudernden Armen, und sank am Ende der Treppe zusammen. Dies brachte den Zombie direkt hinter ihm ins Stolpern und ließ ihn mit dem Gesicht zuerst aufs Dock fallen. Als sich die nächstgelegene Gestalt aufrappelte, feuerte ich wieder und die Wucht schleuderte ihn buchstäblich ins Wasser, als ob ihn jemand mit einem um die Taille gewickelten Seil zurückzerren würde. Robert ließ den Motor aufheulen, und es dauerte nur ein paar Sekunden, bis wir Abstand gewannen.

Wir hörten noch weitere vereinzelte Schüsse. Mittlerweile tummelte sich mindestens ein halbes Dutzend auf dem Dock und der Treppe. Wir hatten angenommen, dass sie nicht schwimmen konnten, also wie zum Teufel waren sie auf die Insel gekommen? Vor meinem geistigen Auge blieb ich cool und gefasst und sprach mit Robert in einem vernünftigen und beherrschten Tonfall darüber, was jetzt zu tun war. Später erzählte er mir, dass ich nichts weiter von mir gab, als ›ein literarisches Füllhorn an nicht enden wollenden Schimpfwörtern in mindestens drei Sprachen‹. Ich habe nie gefragt, wollte aber immer wissen, was zum Teufel ein literarisches Füllhorn war.

Robert brachte die Providence etwa dreißig Meter weit weg von Molly's Rock und ankerte. Wir schnappten uns die Ferngläser und suchten das Wasser ab, in der Hoffnung, dass es jemand hineingeschafft hatte, aber ich kannte die Wahrheit. Es war einfach viel zu schnell passiert. Als ich das Haus absuchte, sah ich, wie sich etwas bewegte, nur kurze Momente, in denen etwas an den Fenstern vorbeihuschte. Inzwischen schien die Insel vor Untoten nur so zu wimmeln. Ich konnte sehen, wie sie in und um die Pension rannten, hektisch auf der Suche nach etwas, das man angreifen könnte. Irgendwann hörten die Schüsse auf und ich wusste, dass meine Freunde verloren waren.

An einem Fenster im Obergeschoss konnte ich Mary stehen sehen, die Arme nach oben gereckt, die Hände an der Scheibe. Das Licht ließ sie um Jahrzehnte jünger aussehen als ihre zweiundsiebzig Jahre. Sie schrie weder, noch weinte sie, sondern sie starrte mich einfach mit großen, schockierten Augen an. Ich drehte mich weg, um Robert etwas zuzurufen, und als ich zurücksah, war Mary verschwunden. Es gab etwas Aufruhr in dem Zimmer und es schien so, als hätte jemand das Fenster mit dunkler Farbe bespritzt. Es war vorbei!

Von unserem Ankerplatz aus hatte ich klare Sicht auf das Land, leewärts, seitlich der Insel. Wir hatten den Kanal alle gesehen und darüber gesprochen. Jeder hatte angenommen, er gäbe uns einen netten Sicherheitsabstand. Als ich ihn nun genauer betrachtete, konnte ich gerade so die Gischt von kleinen, stetigen Wellen erkennen, die sich an etwas brachen. Dies schien sich vom Strand bis zur Insel zu erstrecken und war noch nicht da gewesen, als wir den Ort inspizierten. Es dauerte vermutlich nur eine Sekunde, aber es kam mir länger vor, bis mein Verstand einsetzte und alle Teile zusammenfügte. Dann traf es mich wie ein schwerer Schlag. Oh mein Gott, eine Sandbank!

Wie hatten wir die übersehen können?

Wir waren geduldig … wir waren organisiert … wir hatten so viel durchgemacht, so viel Schmerz, so viel Furcht, so viele Opfer. Wie hatten wir das nicht bedenken können? Wir waren Überlebende. Wir waren gut, schnell, effizient und schlau. Verflucht, die Hälfte von uns war auf dem Wasser aufgewachsen! Wie hatten wir sie nur vergessen können? Die Ebbe …