Coming-out

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Coming-out
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Coming-out

... ich bin doch nicht schwul!

Eine homoerotische Geschichte

von

Saskia Pasión

Benjamin betrat sein Büro. Es war erst 7.00 Uhr ... Viel zu früh eigentlich. Seine Kollegen und Inge, seine Assistentin, würden frühestens in einer Stunde nach und nach eintrudeln.

Mit einem Kaffee setzte er sich in seinen bequemen Sessel, lehnte sich zurück und steckte sich eine Zigarette an. Beruflich war er sehr erfolgreich. Seit einem Jahr war er Geschäftsführer eines Marktforschungsinstituts. Die Agentur bestand mittlerweile aus dreißig festangestellten und mindestens doppelt so vielen freiberuflichen Mitarbeitern. Vor elf Jahren hatte er selbst als Interviewer angefangen und kurze Zeit später als Sachbearbeiter einen eigenen Aufgabenbereich übernommen. Als man ihm seine derzeitige Position anbot, hatte er zuerst den Neid seiner langjährigen Kollegen gefürchtet, der jedoch ausblieb. Der »Sonnyboy«, kurz »Sonny«, genannt, war in allen Abteilungen sehr beliebt und die meisten gönnten ihm seinen Erfolg. Zumal sich alle freuten, jetzt einen so jungen Chef zu haben. Inge, seine »Rechte Hand«, hatte für Samstag ein Fest organisiert, um Sonnys dreißigsten Geburtstag zu feiern. Inge würde Ende des Jahres in den verdienten Ruhestand gehen. Benjamin bedauerte das, eine bessere Assistentin hätte er sich nicht wünschen können. Jahrzehnte hatte sie mit seinem Vorgänger zusammengearbeitet, kannte Firma, Mitarbeiter, Kunden ... alles, was auch nur im Entferntesten mit dem Institut zu tun hatte, aus dem effeff. Und sie war eine der Wenigen, die hinter seine gelassene, immer fröhliche und optimistische Fassade blicken konnte.

Seit zwölf Jahren war er jetzt verheiratet. Er liebte Diana, seine Frau und beste Freundin, seit er denken konnte. Sie waren als Nachbarskinder aufgewachsen, hatten die gleiche Schule besucht und waren immer unzertrennlich gewesen. Im zarten Alter von neun Jahren hatten sie beschlossen: »Wenn wir groß sind, heiraten wir!« Andere Partner hatten beide nie gehabt. Auf einer Wiese im Grüneburgpark hatten sie gemeinsam ihr erstes Mal erlebt und ihren Sohn, der Timo heißen sollte, gezeugt.

Sie hatten Dianas Volljährigkeit gefeiert und waren auf dem Heimweg. Beschwipst und noch in Feierlaune, waren sie hineingeschlittert. In ihr »Erstes Mal«. An Verhütung hatten sie keinen Gedanken verschwendet.

Benjamin legte die Füße auf seinen Schreibtisch und ließ dieses Erlebnis Revue passieren. Nicht, dass sie damals verrückt aufeinander gewesen wären, oder einfach geil. Nein, Diana hatte unterwegs beschlossen: »Heute Benni! Lass es uns heute tun! Ich will wissen, wie es ist!« Und ihn in den Park und auf eine Wiese gedrängt. Sie hatte nur ihren Slip ausgezogen und den Rock hochgeschoben, er Jeans und Shorts bis zu den Knöcheln runter. Es war eine Katastrophe! Für eine Erektion hatte er selbst gesorgt ... das war noch das kleinste Problem. Mit viel Spucke gelang es ihm, einzudringen. Mit den Bildern, die sich in seine Gedanken drängten, schaffte er es endlich, zu kommen. Diese Szenen, die für den Hauch eines Augenblicks aufblitzten, gerade lange genug um zu erkennen ... Nein. Davon hatte er ihr nie erzählt. Und auch sonst niemandem.

Danach lagen sie schweigend nebeneinander im Gras, bis Diana herausplatzte: »Also Benni, bitte sei mir nicht böse. Ich weiß nicht, was meine Freundinnen alle daran finden. Und weh tut‘s! Wenn ich es mir selbst mache, ist es schöner!«

»Hm. Mir geht es genauso!«

Sie lachten nervös ... und hakten das Thema Sex erst einmal ab.

Drei Wochen später eröffnete Diana ihm, dass ihre Regel überfällig sei. Zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt – während der Klausuren fürs Abi. Sie schoben es erst einmal auf die Aufregung. Zwei Wochen später kaufte er einen Test in der Apotheke. Er musste es wissen und blieb so lange bei ihr, bis das Ergebnis feststand: Schwanger! Fatal!

Benjamin und Diana hatten längst jeder für sich beschlossen, dass aus der mit neun Jahren versprochenen Hochzeit nichts würde ... Und jetzt? Abtreiben kam für beide nicht in Frage. Und sie liebten sich ja ... irgendwie ... also heirateten sie Hals über Kopf noch vor dem Abitur. Ohne Schnickschnack. Ohne kirchliche Trauung. Ohne große Feier.

Im fünften Monat verlor Diana das Baby.

Nach dem Abi zogen sie in eine kleine Wohnung. Ihre Eltern und seine Mutter unterstützten das junge Paar, bis Benjamin im Institut angestellt wurde. Diana fand kurz darauf einen Job als Modezeichnerin. Heute hatten sie ein hübsches Reihenhaus, zwei Autos, einen netten Freundeskreis. Galten nach außen als das ideale Ehepaar. Sie stritten nie! Hatten selten Sex, was natürlich sonst niemand wusste. Ihn ödete dieses Leben an.

In Gedanken an seine Vergangenheit verstrickt, schrak Benjamin hoch, als er Schritte hörte. Inge grüßte ihn strahlend: »Guten Morgen, Benjamin!« Sie war so ziemlich die Einzige, die ihn nicht Sonny nannte. »Na, wie geht‘s?«

»Guten Morgen, meine Liebe. Danke ... ganz gut.«

»In einer Stunde haben wir den ersten Bewerber. Mark Konrad. Hier sind die Unterlagen. Fremdsprachentalent. Kaufmann für Marketingkommunikation – zu meiner Zeit hieß das noch Werbekaufmann. Äußerst sympathisch. Zweiunddreißig. Ledig. Kam nicht über deine Anzeige, sondern über einen Headhunter. Hat schon als Interviewer gearbeitet. Mein Favorit. Ich kenne ihn übrigens persönlich. Er hat in der Agentur meines Mannes gearbeitet, ging dann aber ins Ausland. Bei Weihnachtsfeiern oder Firmenfesten habe ich mich immer sehr angeregt mit ihm unterhalten. Ist sehr nett. »Und«, flüsterte sie augenzwinkernd, »ein fescher Mann. – Da müsste man glatt noch mal zwanzig sein!«

Benjamin lachte und neckte sie: »Na, na. Vielleicht steht er auf sympathische ältere Damen?«

Inge hatte mit allen Bewerbern – dreizehn Frauen und zwei Männer – in vier Sprachen telefoniert und eine Vorauswahl getroffen. Übrig geblieben waren zwei Frauen jenseits der vierzig und Mark Konrad.

Kurz nach zehn betrat Inge mit Mark sein Büro. Inge hatte nicht übertrieben. Ein wirklich gutaussehender Mann. Dunkelblonde kurze Haare, ca. 195 cm groß, schlank, muskulös, blaue Augen. Solch ein Blau hatte Benjamin vorher noch nie gesehen. Mark trug dunkle, hautenge Jeans, ein schwarzes T-Shirt, einen hellgrauen Leinenblazer und schwarze Schuhe.

Benjamin stand auf, um den Bewerber zu begrüßen. »Hallo, ich bin Benjamin. Wir nennen uns hier alle beim Vornamen und duzen uns.«

»Hallo. Mark!«

Sie reichten sich die Hand. So standen sie voreinander, sahen sich lächelnd in die Augen ... keiner wollte die Hand des anderen loslassen. Es waren Sekunden ... Benjamin kam es vor wie eine kleine Ewigkeit ... vielleicht einige Sekunden zu viel. Benjamin wurde es heiß. Ein angenehmes warmes Gefühl strömte durch seinen ganzen Körper, verursacht von diesem Blick und der Berührung ihrer Hände. Verwirrt registrierte er ein Kribbeln in seinem Bauch. Was ist das denn?, schoss es ihm kurz durch den Kopf.

Inge, der wirklich nichts entging, lächelte still in sich hinein. Ihr schien, als sei bei ihrem jungen Chef irgendwie ein Knoten geplatzt ... noch nicht ganz vielleicht. So strahlend hatte sie ihn in den vielen Jahren nicht erlebt. Ja, der Name Sonny passte gut zu ihm. Er war meistens gut drauf, freundlich und sehr herzlich. Nach außen. Trotzdem spürte sie oft etwas, was sie einfach nicht einordnen konnte. Jedes Mal, wenn sie ihn fragte, wich er jedoch aus.

Benjamin räusperte sich und bat Mark und Inge zu der kleinen Sitzgruppe in seinem Büro. Bei ihrer Sekretärin bestellte er Kaffee und setzte sich dann zu den beiden. Mark gegenüber. Mark schaute ihm tief in die Augen und lächelte. Die Luft knisterte. Benjamin war total aus dem Konzept geraten! Er erzählte kurz die Firmengeschichte. Während des Gesprächs wurde er immer wieder von diesem Blau gefangen und er war machtlos. Ausgeliefert. Sein Herz pochte wild bis zum Hals, seine Hände zitterten leicht. »Symptome«, die er nicht kannte. Er stellte Mark ein paar Fragen zu seiner beruflichen Laufbahn und beschloss danach, dass Inge das Gespräch weiterführen sollte.

»Damit übergebe ich an dich, Inge. Du kennst deinen Job am allerbesten.«

Sie lächelte verschmitzt. »Gerne, Benjamin.«

Der verfolgte gebannt das Gespräch der beiden. Inge unterhielt sich mit Mark in allen vier geforderten Sprachen. Fließend. Mark antwortete genauso mühelos, ohne überlegen zu müssen, in der jeweiligen Sprache. Perfekt! Inge beendete das Interview mit den Worten: »Das Wichtigste für Benjamin ist, dass er sich auf seinen Assistenten verlassen kann. Es kommt vor, dass wir abends erst erfahren, dass wir am nächsten Tag zusammen verreisen müssen. Das sind zwar Ausnahmen, aber es kommt eben vor. Wir haben internationale Kunden unter anderem in der Waschmittel- und Kosmetikindustrie, die ihre Produkte auf dem deutschen Markt vertreiben. Oft müssen wir kurzfristige Termine wahrnehmen, was wir gerne hinnehmen, weil es meist um große Aufträge geht. Wäre das ein Problem für dich?«

Als Mark antwortete, sah er nicht Inge, sondern Benjamin an. »Nein, das ist für mich selbstverständlich in dieser Position. Ich bin jederzeit erreichbar, lebe allein und kann mich flexibel anpassen«

»Schön. Natürlich gibt es auch ruhige Zeiten. Benjamin hat es mir in der Vergangenheit selbst überlassen, ob ich an solchen Tagen ins Büro kommen möchte oder nicht. Er ist der beste Chef, den man sich wünschen kann.«

Sie schaute Benjamin dankbar lächelnd an.

»Danke Inge. Das Kompliment gebe ich gerne zurück.« Zu Mark gewandt: »Es wird nicht leicht sein, Inge zu ersetzen!«

Mark lachte leise. »Das habe ich schon gemerkt. Aber ich denke, ich würde den Versuch wagen.«

 

»Gut. Wir haben heute zwei weitere Gespräche. Ich rufe dich heute Abend an. Deine Handynummer haben wir?«

Mark griff in sein Jackett und gab Benjamin eine Visitenkarte, wobei ihre Hände sich kaum merklich berührten. Benjamin zuckte leicht zurück

Er brachte seine Assistentin und Mark zur Tür und verabschiedete sich.

»Du hörst heute noch von uns, Mark.«

»Wie stehen die Chancen, was meinst du?«, fragte Mark Inge, die ihn hinausbegleitete.

»Sehr gut, denke ich. Du würdest auch gut zu uns passen. Trotzdem müssen wir uns die zwei Damen erst anhören!«

»Na denn, ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen. Tschüs dann!«

»Bis bald!« Sie zwinkerte ihm zum Abschied zu.

Benjamin schloss die Tür hinter den beiden und lehnte sich dagegen. In seinem Körper tobte der Ausnahmezustand. Adrenalin schoss scheinbar durch jede einzelne Zelle. Sein Atem ging stoßweise, sein Herz schlug bis zum Hals. Das Kribbeln im Bauch sammelte sich und strömte direkt in seinen Unterleib. Erstaunt registrierte er die Erektion, die sich unter seiner Jeans aufbäumte. Er war geil. Was mach‘ ich denn jetzt?, dachte er fast verzweifelt und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er legte seine Hand auf die Beule in seiner Hose, drückte und massierte sie. Eine bis zu dieser Minute ungekannte Lust erfüllte ihn. Die Erektion war für ihn nichts Neues, die hatte er oft genug. Neu war das unbeschreibliche Gefühl, das sie begleitete. Das hatte nichts, aber auch gar nichts zu tun mit dem, was er so oft fühlte. Wenn er masturbierte, um den Druck loszuwerden oder alle paar Monate, wenn er mit Diana schlief. Er schrak auf, als die Gegensprechanlage summte und drückte die Taste »Sprechen«: »Gib mir eine halbe Stunde, Inge, ja?« Er versuchte, seine Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?