Migräne

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Migräne
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Sandra Rau

Migräne – Und RAUS bist du!

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2020

Sandra Rau

MIGRÄNE

Und RAUS

bist du!


Impressum

1. Auflage 2020

© Verlag Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Gestaltung, Druck und Vertrieb:

Druck- & Verlagshaus Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.verlag-mainz.de

Illustrationen: Sandra Rau

Print:

ISBN-10: 3-86317-042-3

ISBN-13: 978-3-86317-042-4

e-Book:

ISBN-10: 3-86317-051-2

ISBN-13: 978-3-86317-051-6


Vorwort

Es kommt nicht häufig vor, dass sich eine Patientin so intensiv mit ihrer Krankheit beschäftigt und auseinandersetzt, wie es Frau Rau macht.

Der lange Leidensweg und die vielen frustrierenden Therapieversuche veranlassten sie, alles schriftlich festzuhalten. Sie will damit anderen Betroffenen einen Leitfaden an die Hand geben, der diese vor ähnlichen Fehlversuchen in der Therapie bewahren soll.

Ich wünsche der Autorin alles Gute! Möge ihr Ratgeber vielen Migränepatienten/-innen eine wertvolle Stütze und Hilfe im Umgang mit der Erkrankung sein!

Dr. med. Frank-Roland Kurfiss, Juni 2019



Einleitung

Seit nunmehr über vierzig Jahren beschreite ich einen steinigen und mühevollen Stolperpfad: seit dem Kindesalter leide ich an extrem starken Kopfschmerzen mit vielen Begleiterscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Sprach-, Empfindungs- und Sehstörungen.

Die Diagnose lautet: Migräne mit Aura.

Die vielen sich mir dargebotenen Weggabelungen führten oft auf Irrwege, schier endlos erscheinende Routen oder gar in Sackgassen.

Allerdings haben auch so manche hoffnungsvolle Wegweiser, kraftspendende Verweilorte und wertvolle Zwischen-

etappen meinen Weg bereichert.

Deswegen habe ich die vielen wohltuenden Stationen, persönlichen Erfahrungen und Verschnaufpausen zu einer neuen angenehmen Route miteinander verknüpft: möge Ihr Weg ganz und gar ohne Stolpersteine verlaufen und mögen Sie dadurch Ihr eigener Migränespezialist[1] werden!

Sandra Rau, August 2019

»Bedenke: Ein Stück des Weges liegt hinter dir,

ein anderes Stück hast du noch vor dir.

Wenn du verweilst,

dann nur um dich zu stärken,

aber nicht um aufzugeben«.

Augustinus von Hippo (354 n. Chr. – 430 n. Chr.)

Exkurs in die Geschichte

der Kopfschmerzen

Sie fragen sich, warum nun einen Exkurs in die Geschichte der Kopfschmerzen? Sind wir nicht schon geplagt genug und freuen uns einfach nur, wenn wir eine migränefreie Zeit haben, oder wir eine Migräne mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln überwinden können? Warum sich also auch noch eingehender mit der Geschichte dahinter beschäftigen? Ich wollte einfach herausfinden, wie lange uns Menschen diese Form der Erkrankung schon plagt und welche Methoden man in vergangenen Zeiten angewandt hat, um sie zu behandeln. Vielleicht können wir dann den Blickwinkel diesbezüglich verändern, wohlwissentlich: früher war eben nicht alles besser.

Bereits unsere Vorfahren litten unter starken Kopfschmerzen. Die ältesten Beschreibungen über Migräne/Kopfschmerzen reichen bis ins sechste Jahrtausend v. Chr. zurück.[2] Man glaubte, dass die Kopfschmerzen durch böse Geister und Wesen verursacht wurden, die sich direkt in den Kopf eingenistet haben, so ist es in babylonischen, sumerischen und assyrischen Schriften aufgeführt. Gängige Behandlungsmethoden waren Geisterbeschwörungen oder -beschwichtigungen durch Opfergaben und Gebete. Als Therapie wurde ein Loch in den Kopf gebohrt, damit der böse Geist entweichen konnte. Ein ägyptischer Papyrus aus dem Jahr 1200 v. Chr. zeigt einen Migräne-Anfall mit einseitigem Kopfschmerz, Sehstörungen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit. Um Linderung herbeizuführen, betete man den Gott Horos an, der wohl ebenfalls an einseitigem Kopfschmerz litt. Auch wurde die empfohlene Therapie ebenfalls bildlich dargestellt: man möge ein Krokodil mit Getreide im Maul, mit einem mit Gottheiten beschrifteten Leinen, dem Leidenden auf den Kopf binden.[3]

Der Ägyptologe und Historiker Georg Ebers (1837–1898) fand auf einem von ihm entdeckten und nach ihm benannten Papyrus (Papyrus Ebers, ca. 1200 v. Chr.) folgende Therapieempfehlung: »den Schädel vom nar-Fisch in Oel erwärmen und 4 Tage damit den Kopf einschmieren.«[4]

Etwa 600 Jahre v. Chr. gelangte man zu der Erkenntnis, dass die Kopfschmerzen möglicherweise eine natürliche Ursache haben könnten. Die Behandlungsmethoden wechselten zu Tinkturen, Räucherungen, Heilkräutern, Meditationen und einfachen chirurgischen Eingriffen. Allerdings waren die angewandten Methoden oft wirkungslos und teilweise schädlicher als die zuvor praktizierten Zaubersprüche.

Etwa 500/400 Jahre v. Chr. stellte der griechische Arzt Hippokrates fest, dass Kopfschmerzen durch giftige Dämpfe im Körper ausgelöst werden – als Therapie setzte er Blutegel und Schädelöffnungen ein.

160 bis 100 Jahre v. Chr. gab der römische Arzt Galen den Kopfschmerzen einen Namen: er nannte sie »Hemicrania«, was halbköpfig/Kopfhälfte bedeutet. Aus dem Begriff ist die Bezeichnung »Migräne« entstanden. Auf Italienisch heißt Migräne »emicrania«.

Das Heidekraut – ein altes Heilmittel

Dieser Tee hilft gegen Schlaflosigkeit:

1 EL Heideblüten mit 250 ml abgekochten Wasser aufgießen, 5 Minuten ziehen lassen, absieben, ggf. mit etwas Honig süßen und 30 Minuten vor dem Schlafen-

gehen trinken.

Auf anderen Kontinenten und bei anderen Kulturen wurden bei Kopfschmerzen ebenfalls außergewöhnliche Heilungsmethoden angewandt. So wurde bei den Inka-Indianern in Südamerika zur Linderung von Kopfschmerzen Kokain verabreicht. Hierzu wurde dem Patienten eine Furche in den Kopf geschnitten in die der Koka-Saft eingeträufelt wurde.

Im Lorscher Arzneibuch aus dem 9. Jahrhundert sind verschiedene Heilmethoden gegen Kopfschmerzen aufgeführt wie zum Beispiel: »Frische Minze und Ladanum reibt man mit Essig und streicht es auf die Stirn: es heilt wunderbar!« … »Eine Salbe gegen Kopfschmerzen: Mit Essig geriebene Aloe streicht man auf die Stirn.« Oder »Desgleichen: Man löst Kügelchen von Geißenmist in Essig auf und bestreicht damit die Stirn.« Auch dieses Rezept ist dort zu finden unter Curationes (Lorscher Arzneibuch): »Gegen halbseitigen Kopfschmerz und Schmerz in den Schläfen Hirschhornasche mit Essig und Rosenöl gemischt und auf die Stirn gelegt lindert hervorragend die Beschwerden.«[5]

Im Mittelalter setzten italienische Mönche[6] mit Essig und Opium getränkte Tücher als Kopfumschläge gegen die Schmerzen ein. Ebenso versuchte man mit Aderlassen und Blutreinigungen die Kopfschmerzen zu behandeln.

Im 17. Jahrhundert gelang Thomas Willis zu der Erkenntnis, dass Kopfschmerzen durch eine Anschwellung der Blutgefäße verursacht werden. Hiermit wurde der Grundstein für viele noch folgende Medikamentenentwicklungen geschaffen.

Etwa ab dem 19. Jahrhundert wurden dann pharmakologische Mittel, die zum Beispiel aus Kräutern und anderen natürlichen Stoffen extrahiert wurden, zur Behandlung der Migräneschmerzen eingesetzt. Auch wurde erstmals über Nahrungsmittel (Schokolade) als mögliche Auslöser berichtet ebenso auch als mögliche lindernde Mittel (Kaffee) bei Migräne. Eine Migränetherapie mit Mutterkornextrakt wurde Ende des 19. Jahrhunderts durchgeführt, geriet dann aber zunächst wieder in Vergessenheit. Erst 1928 fand das Mutterkornalkaloid wieder den Einsatz in der Migränetherapie. Bis 1993 waren die Mutterkornalkaloide die einzigen Medikamente zur Behandlung schwerer Migräneattacken, erst danach wurde der Wirkstoff Sumatriptan als erster Vertreter der Triptane eingeführt.

Ich habe mich schon immer gefragt, wie wohl die Häufigkeit der Migräneerkrankung bei der Erdbevölkerung verteilt ist. Haben wir Europäer öfters Migräne als Menschen, die südlich des Äquators leben? Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass es möglicherweise tatsächlich auf der südlichen Erdhalbkugel weniger Migräneerkrankte als auf der nördlichen Erdhalbkugel gibt. Wissenschaftler und Evolutionsgenetiker machen dafür eine Genvariante verantwortlich. Als unsere Vorfahren sich in nördlicheren und kälteren Regionen niederließen und in diesem Zuge Europa und Nordasien bevölkerten, half eine Genvariante, sich an die dort herrschenden Wetterbedingungen anzupassen. Diese Erbvariante wird aber auch in Verbindung mit der Migräneerkrankung gebracht: sie ist unter anderem die Ursache für die Migräneanfälligkeit von Europäern. Die Genvariante rs10166942 ist bei Menschen in nördlicheren Breitengraden und kälterem Klima stärker verbreitet. Und nur fünf Prozent der Menschen mit nigerianischen Vorfahren verfügen über diese Variante rs10166942. Wie häufig heute Migräne in bestimmten Regionen der Erde also verstärkt auftaucht, wird unter anderem durch die Anpassung unserer Vorfahren an kalte Temperaturen beeinflusst.[7]

 

Der kurze Blick in die Geschichte der Kopfschmerzen zeigt, wie lange, nämlich Jahrtausende, es bereits die Erkrankung »Kopfschmerzen« bei den Menschen gibt, und dass man schon damals bemüht war, mit welchen Mitteln auch immer, die Menschen von den schlimmen Schmerzen zu erlösen. Fortwährend gibt es eine Weiterentwicklung in den Heilmethoden, so dass Migräniker heute auf ganz spezielle Wirkstoffe und Medikamente zurückgreifen können. Mediziner und Wissenschaftler erzielen weiterhin neue Erkenntnisse in der Migräneforschung und entwickeln Medikamente mit noch spezifischeren Wirkmechanismen.

Und übrigens litten auch diese Prominente möglicherweise an Migräne: Julius Cäsar, Napoleon Bonaparte, Vincent van Gogh, Claude Monet, Lewis Caroll, Wilhelm Busch, Charles Darwin, Sigmund Freud, Alfred Nobel und Friedrich Nietzsche.



Migräne


Es ist 4.02 Uhr – der Wecker klingelt: ich wache mit schneidend, hämmernd-starken Kopfschmerzen auf, mir ist übel, der Kopf schmerzt extrem, als wolle er gleich platzen. Ich kann diesen Schmerz nicht in Worte fassen. Ich habe heute Migräne. Ich kann kaum ins Badezimmer gehen, möchte mich schließlich für den Arbeitstag fertig machen: ich kann nicht schon wieder fehlen, schießt es mir durch den Kopf. Ich schaue in den Spiegel: ein kreideweißes Häufchen Elend schaut mich schmerzverzerrt und fragend an: wie soll ich den 8-Stunden-Tag überstehen? Was kann ich einnehmen, damit ich irgendwie funktioniere? Wie soll ich die Zugfahrt meistern? Ich kann vor Schmerzen und Übelkeit kaum stehen. Ich habe LUST zur Arbeit zu gehen, sie bereitet mir Freude, ich möchte so gerne hingehen. Aber ich schaffe es (mal wieder) nicht. Als ich anrufe und mich krank melde, habe ich Sprachstörungen: Mein Kopf hat die Buchstaben aneinandergereiht, die Worte längst gebildet, nur mein Mund weigert sich, sie richtig auszusprechen: ich drücke irgendwie ein paar lallende Worte heraus. Und mal wieder bin ich RAUS.

Ich habe schon als Kind an »Kopfschmerzen« gelitten: meistens ging dem eine starke Übelkeit voraus, ich konnte oft nicht richtig gehen und das Konzentrieren in der Ganztagsschule fiel mir außerordentlich schwer. Wenn es fast unerträglich wurde, bekam ich eine halbe Schmerztablette, die ersehnte komplette Schmerzfreiheit blieb aus. Die »Kopfschmerzen« manifestierten sich teilweise über Tage und verschwanden dann irgendwann – danach war ich wie gerädert und erschöpft. Meine Augen wurden untersucht – vielleicht ist das der Grund weswegen ich so starke Kopfschmerzen habe. Die Brille kam – die Schmerzen blieben.

In der Pubertät wurde es schlimmer. Die wiederkehrenden Kopfschmerzen waren kaum auszuhalten. Aus einer halben Schmerztablette wurde eine ganze – ohne Erfolg. Auch die vielen Arztbesuche halfen nicht weiter. Nach dem Abitur kam meine Experimentierphase: ich nahm zahlreiche, verschiedene Kopfschmerztabletten; die Schmerzen blieben, dumpf, wie durch Watte wahrgenommen. Und nach kurzer Zeit waren sie wieder da: schneidend-klar, extrem stark und sehr präsent.

Um den Schmerzen weiter auf den Grund zu gehen, wurde ein EEG (Elektroenzephalogramm) gemacht – ein paar Auffälligkeiten gab es wohl, aber ohne wirklich genaue Informationen dazu, wurde ich wieder nach Hause geschickt. Der Kopfschmerz blieb. Die willkürliche Einnahme verschiedenster Schmerzmittel praktizierte ich weiter.

Damals in der Schulzeit, bedingt durch die Ganztagsschule und den geregelten Tagesablauf waren die Freizeitmöglichkeiten eingeschränkt, in Studium und Ausbildung aber war das anders: ich musste viele Termine in der Kopfschmerzzeit, auf die ich mich so sehr gefreut hatte, absagen oder verschieben, oder aber ich versuchte irgendwie daran teilzuhaben. Übrigens: im Ausreden finden war ich großartig – ich wollte nie wegen »Kopfschmerzen« absagen.

Im Berufsleben: die Kopfschmerzen waren phasenweise so extrem schlimm und langanhaltend. Ich hatte oft bereits in der Nacht Schmerzen, morgens beim Aufwachen fragte ich mich, wie ich den Tag überhaupt schaffen soll. Meistens ging ich dann mit diesen extremen Schmerzen zur Arbeit, schaffte es irgendwie, dass nur wenige, sehr aufmerksam-sensible Menschen, mir anmerkten, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ich konnte gut die Fassade wahren. Wenn die Schmerzen mich an den Rand des Zusammenbruchs brachten, verschwand ich für ein paar Minuten auf die Toilette und setze mich auf den Boden, um Kraft zu tanken für die nächste Stunde und so weiter. Ich nahm alle möglichen Schmerzmittel – und das half irgendwie über den Tag.

Irgendwann las ich etwas über Triptane, die es freiverkäuflich in der Apotheke geben sollte. »Das wird die Lösung sein« – dachte ich. Es war enttäuschend. Das Triptan half mir nicht. Zwischenzeitlich hatte ich auch schon einige Termine bei verschiedenen Neurologen: welch eine Zeitverschwendung und Niederlage. »Ach so starke Kopfschmerzen? So lang?? Mmmhh, ja nehmen sie mal die Schmerztabletten weiter, vielleicht etwas höher dosiert.« »Sie haben wirklich so starke Schmerzen? Ach auch Übelkeit und Sprachstörungen?« Irgendwie konnte niemand der aufgesuchten Ärzte mich adäquat therapieren und schon gar nicht mit meinen Kopfschmerzen, die rund 72 Stunden anhalten können.

Dann gab es einen Hausarztwechsel. Mein neuer Hausarzt hat aufgrund der Berichte der Neurologen, der vielen Schilderungen meinerseits und seinen fundierten Kenntnissen und Recherchen, die mögliche Diagnose Migräne mit Aura überprüft, bestätigt und erstellt. Aufgrund der extrem starken Migräne mit Aura (mit starken Sprachstörungen) und mit teilweise 198 Stunden Migräneschmerzen im Monat und schlussendlich bei einem neueren EEG festgestellten größeren Läsionen im Gehirn, kam ich unverzüglich in eine Schmerzklinik. Hier bekam ich zum ersten Mal nach fast vierzig Jahren kompetente Hilfe! Ich war auf einmal nicht mehr alleine mit dieser Erkrankung und ich wurde von Ärzten verstanden und viel wichtiger noch: ernst genommen.

In der dortigen Migränegruppe musste ich losheulen: Vierzig Jahre ankämpfen gegen Schmerzen, gegen Menschen, die einem »Blaumachen« unterstellen, gegen Verzweiflung, die einen an den Rande des Wahnsinns treibt, gegen Hoffnungslosigkeit, gegen die Ohnmacht, gegen Wut und Enttäuschung, weil man so oft nicht genießen/sich freuen/teilhaben konnte. Und hier bekomme ich Verständnis, die richtige medizinische Betreuung und vor allem Zuversicht.

Ich werde lückenlos über die Erkrankung aufgeklärt: ich bekomme jede Menge Fachwissen und Tipps mit auf den Weg. Mir werden vorbeugende Maßnahmen aufgezeigt, ich werde medikamentös eingestellt und mir werden für meine Migräneerkrankung die richtigen und wirksamen Medikamente verschrieben und ein Notfallplan für den Eintritt eines status migränosus, den ich schon so oft durchmachen musste, erstellt. Seither ist mein Hausarzt über sämtliche Therapien in Kenntnis gesetzt und mein erster Ansprechpartner, wenn die Migräne wieder zuschlägt.

Ich möchte meine Erfahrungen und mein Wissen über die Migräne an Sie weitergeben, damit Sie in erster Linie sich selber helfen können, Mut fassen, aber auch in Ihrem sozialen Umfeld die möglichen Missverständnisse zur Migräne auf- und erklären können.


Fakten zur Migräne


Weltweit leiden laut Angaben der WHO weit mehr als 300 Millionen Menschen an täglichen oder fast täglichen Migräneattacken. In Deutschland gibt es etwa acht Millionen Betroffene. Migräne ist eine sehr verbreitete neurologische Erkrankung und lässt sich nur bedingt medikamentös behandeln. Eine große Rolle beim Auftreten der Migräne spielen das Alter und das Geschlecht.

Frauen sind häufiger betroffen als Männer, was Migräne aber nicht zu einer reinen Frauenkrankheit macht. Frauen verbinden Erlebnisse schneller mit emotionalen Empfindungen, weil ihr Nervensystem aktiver ist als das der Männer.[8]

Migräneerkrankte werden im Gesundheitssystem nicht richtig gelistet, nur lückenhaft diagnostiziert und gegen ihr Leiden oft nicht adäquat behandelt. Das habe ich selber über viele Jahre erlebt. Die existierenden Behandlungsleitlinien werden nur zu circa 55 Prozent beachtet und umgesetzt.[9] Ebenfalls nicht ganz unerheblich sind die finanziellen Auswirkungen im Milliarden-Euro-Bereich weltweit, die aufgrund reduzierter Produktivität entstehen.[10] Die weltweit größte Studie »My Migraine Voice« von Novartis und der European Migraine and Headache Alliance[11], an der mehr als 11.000 Menschen aus 31 Ländern teilgenommen haben, hat ergeben, dass 60 Prozent der Beschäftigten mit schwerer Migräne durchschnittlich eine Woche Arbeit pro Monat verpassen.

Bei der Entstehung der Migräne spielen Erbfaktoren eine große Rolle. Aufgrund der Häufigkeit der Migräne ist es nicht verwunderlich, dass in manchen Familien mehrere Personen an Migräne leiden. In meiner Familie sind wir zu dritt.

Leider ist der Begriff »Migräne« immer noch mit Vorurteilen behaftet: bei Frauen ist Migräne assoziiert mit »keine Lust auf Sex«, und wenn sich jemand wegen Migräne krankmeldet, wird das gleichgesetzt mit »der hat heute nur keine Lust zur Arbeit zu kommen«. Dabei ist Migräne einer der drei häufigsten Gründe für ein Leben mit Einschränkungen. Die Lebensqualität ist durch die immer wiederkehrenden Attacken sehr beeinträchtigt.

Migräne ist facettenreich; bei manchen schlägt sie nur ein paar Mal im Jahr zu, bei manchen mehrmals im Monat. Ich habe in manchen Monaten über 190 Stunden Migräne. Bei einigen wirken frei verkäufliche Schmerzmittel, bei anderen helfen selbst die sich nun auf dem Markt befindlichen Migränetherapeutika nicht, etwa wegen der starken Nebenwirkungen oder weil zusätzlich Herz-/Kreislaufprobleme bestehen.

Migräne beeinträchtigt stark: Betroffene werden zu Beginn einer Migräneattacke beispielsweise von Gleichgewichtsstörungen, Sprach- und Sprechstörungen oder Lärm- und Lichtempfindlichkeit heimgesucht. Dann etablieren sich immense Schmerzen, die oft tagelang anhalten und sich anfühlen, als ob der Kopf platzen würde. Man ist zu nichts mehr in der Lage, jede kleinste Bewegung verstärkt die Schmerzen ins Unerträgliche. Die Vorhaben, Termine, Einladungen – alles muss gestrichen werden – mal wieder … Das Belastende ist außerdem, dass man durch einen unverhofften Anfall, das eigene Leben planerisch überhaupt nicht sicher gestalten kann. Man weiß ja nicht, wann die nächste Attacke einen wieder komplett aus der Bahn wirft.

Für Nicht-Migräneerkrankte ist dies schwer nachvollziehbar – man sieht sie einem auch nicht unbedingt an, die Migräne. Sicher wäre es offensichtlicher, wenn man mit einem Verband am Kopf herumlaufen würde.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Migränepatienten eine systematische Veränderung im Erbgut aufweisen. Auf Chromosom 1 entdeckten sie Hinweise auf eine genetische Veranlagung. Durch Genveränderungen wird die Erregbarkeit der Nervenzellen gestört. Dadurch und bei zu schneller oder langandauernder Überlastung kann die Energieversorgung der Nervenzellen zusammenbrechen und die Steuerung der Nervenfunktionen schlägt fehl. Schmerzauslösende Botenstoffe werden ungehindert freigesetzt und verursachen die extremen Migräneschmerzen.

Bei Migränepatienten werden die ankommenden Reize im Gehirn anders verarbeitet: ihr Nervensystem steht ständig unter Hochspannung, Reize werden früher im Gehirn aufgenommen und schneller verarbeitet. Diese ständige Hochspannung lässt sich sehr gut in einem EEG sichtbar machen.

Ein Versuch macht dies deutlich: Der an ein EEG angeschlossene Patient bekommt Kopfhörer und eine blickdichte Brille mit eingebautem Lämpchen aufgesetzt. Dem Patienten wird gesagt, dass drei Sekunden nachdem im Kopfhörer ein Hinweisreiz, also ein Klicken, zu hören ist, das Lämpchen in der Brille aufleuchtet. Dann soll der Patient eine Taste drücken. Das wird circa dreißig Mal wiederholt. Folgendes ist zu beobachten: die Spannungsverschiebung im EEG ist deutlich größer als bei Menschen, die nicht unter Migräne leiden und während bei Nicht-Migränikern die Spannungsverschiebung nach mehreren Messungen zunehmend kleiner wird, bleibt sie beim Migränepatienten hoch. Das Migränegehirn reagiert besonders aktiv auf die Reize, aber während beim Nicht-Migräniker die Aufmerksamkeit bei mehrmaliger Reizwiederholung mehr und mehr nachlässt, bleibt das Migränegehirn in ständiger maximaler Bereitschaft.[12]

 

Da das Migränegehirn also ständig unter Hochspannung steht und zusätzlich noch auslösende Faktoren zu schnell, zu plötzlich, zu lange oder zu intensiv hinzukommen, ist durch diese Reizüberflutung der nächste Migräneanfall vorprogrammiert. Die auslösenden Faktoren bzw Trigger sind dann die sprichwörtlichen Tropfen, die »das Fass zum Überlaufen bringen«. Diese Trigger-Faktoren herauszufinden, sind für Betroffene wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen und von Migränepatient zu Migränepatient unterschiedlich.

Ganz besonders typisch für die Migräne ist, dass sich die Schmerzen während einer Attacke verschlimmern, wenn der Betroffene körperlich aktiv ist. Bei anderen Kopfschmerzformen hingegen lindert körperliche Bewegung sogar die Schmerzen.

In der Migräne sind die Schmerzen heftig, häufig einseitig pulsierend-pochend. Oft sind die Attacken begleitet von Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu, Lärmempfindlichkeit und Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten (sonst auch beliebten) Gerüchen.


Diagnostische Kriterien sind außerdem:

1 Mindestens 5 Attacken, welche die die Kriterien 2. und 3. erfüllen

2 Kopfschmerzattacken, die (unbehandelt oder erfolglos behandelt) 4 bis 72 Stunden andauern

3 Der Kopfschmerz zeigt mindestens 2 der folgenden Merkmale auf:

4 Einseitige Lokalisation

5 Pulsierender Charakter

6 Mittlere oder starke Intensität

7 Verstärkung durch körperliche Routineaktivitäten (Gehen, Treppensteigen etc.)

4. Während der Kopfschmerzattacke besteht mindestens 1 Merkmal:

1 Übelkeit/Erbrechen

2 Licht oder Geräuschempfindlichkeit

5. Nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen[13]


Öfters wandern die Schmerzen auch von einer Kopfseite zur anderen und variieren in ihrer Schmerzintensität. Die Kopfschmerzdauer beträgt nach Definition der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft zwischen 4 und 72 Stunden.

In den letzten Jahren hat man in Studien festgestellt, dass Migräneattacken Veränderungen im Gehirn hervorrufen. Im Gegensatz zu Nicht-Migräneerkrankten weist das Migränegehirn in bestimmten Regionen Unterschiede auf. Gehirnaufnahmen von Migränepatienten zeigen das Vorkommen stummer Infarkte, also tiefer Läsionen der weißen Hirnsubstanz. Interessanterweise konnte eine Korrelation zwischen den erlittenen Migräneattacken und den Schädigungen hergestellt werden; und das unabhängig davon, ob es sich bei den jeweils Betroffenen um eine Migräne mit Aura oder ohne Aura handelte. Das macht also deutlich, dass häufige schwere Migräneanfälle Schäden in den feinen Mikroadern hinterlassen. Das Schlaganfallrisiko bei Migräneerkrankten ist erhöht.[14] [15]

Auch haben Wissenschaftler herausgefunden, dass bei Migränikern bestimmte Bereiche der Hirnrinde dünner sind als normal, andere Bereiche dagegen leicht verdickt. Die Oberflächenform des Gehirns wird schon vor der Geburt angelegt, die Dicke der Hirnrinde aber verändert sich im Leben aktiv und zeigt somit auch auf, welche Hirnareale besonders stark beansprucht werden. Bei Migränepatienten hat man festgestellt, dass die Hirnrinde in den Frontallappen dünner ist, dort also, wo sich wichtige Teile der Schmerzschaltkreise befinden. Der Bereich, der dicker ist als normal, ist für die Verarbeitung von gesehenen Bewegungen und Entscheidungen zuständig.

Außerdem ist die Oberflächenform, also die Wölbungen und Furchen, bei den untersuchten Migränikern stark abweichend ausgeprägt. Man vermutet, dass diese Veränderungen beim Migränegehirn zur Schmerzanfälligkeit beitragen und dass das Migräniker-Gehirn auf bestimmte Reize anders reagiert als »normale« Gehirne.[16]

Heute schon achtsam gewesen? Wenn Sie ins Bett gehen und das Licht ausmachen, überlegen Sie doch noch kurz, was Ihnen heute am meisten gefallen hat! Sie sollten sich drei Dinge vor Augen führen. Das können zum Beispiel heutige Ereignisse, Gefühle, Menschenbegegnungen, Formen, Farben, Düfte oder Gespräche sein. Hauptsache: An drei Gegebenheiten denken, die Ihnen gut getan haben. Schlafen Sie schön und träumen Sie reich!

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