Endstation Tod

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Endstation Tod
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Clairé Beauvais

Endstation Tod

Clairé Beauvais

Endstation Tod

Erotic – Crime – Fiction

Samantha Prentiss

Bibliografische Information durch

die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.de abrufbar

1. Auflage

Covergestaltung:

© 2019 Susann Smith & Thomas Riedel

Coverfoto:

© 2019 pixabay.com

Impressum

© 2019 Samantha Prentiss


Verlag: Kinkylicious Books, Bissenkamp 1, 45731 Waltrop

Druck: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN siehe letzte Seite des Buches

»Verrätereien begeht man

öfter aus Schwäche als

in der ausgesprochenen

Absicht, zu verraten!«

Francois de La Rochefoucauld (1613 - 1680)


Kapitel 1

Ein deprimierender Grauschleier lag an diesem sonnenlosen Oktobertag über der endlosen Weite eines der größten Flughäfen Europas.

Eine junge Frau drängelte sich durch das Gewühl der Menschen im ›Terminal 5‹ des ›Heathrow Airports‹. Sie hatte gerade erst mit zwei anderen Reisenden eine der Kabinen des vollautomatischen ›Personal Rapid Transit Systems‹ verlassen, die den Terminal im Dreisekundentakt von einem entfernteren Langzeitparkplatz am nord-westlichen Rand des Flughafengeländes direkt ansteuerten, nachdem die Flugnummer eingegeben worden war. Sie sah blendend aus. Ihr Haar von Natur aus blond umrahmte ihr Gesicht wie schimmerndes Gold. Hinzu kam ihr großer Mund, der offensichtlich gern lachte – in sinnlichem Rot geschminkt und leicht geöffnet, sodass ihre hellen, weißen Zähne, in seinem Schatten sichtbar wurden. Ihre Nase war schmal, fast schon klassisch zu nennen, deren Flügel, unter hoch angesetzten Wangenknochen, plötzlich zu Beben anfingen.

Fariba Farrochzad hieß die junge Dame aus Teheran, die jeder für den Prototyp einer waschechten Britin hielt. Mahmud Alawis Männer vom ›VAJA‹, dem ›Ministerium für Nachrichtenwesen der Islamischen Republik Iran‹, hatten ihre Wahl mit großer Sorgfalt getroffen. Dieser Entscheidung und der Tatsache die Tochter eines hohen Offiziers der ›Al-Quds‹-Brigaden zu sein, verdankte die Iranerin jenen Auftrag, den sie gerade auszuführen im Begriff war.

Sie sollte unter dem gewölbten Terminaldach spezielle Flash-Speicher von einem Kollegen übernehmen und auf schnellstem Weg nach Venezuela bringen. Dort sollten sie von einem anderen iranischen Agenten in Empfang genommen werden, der sie anschließend nach Teheran bringen würde. Jeder einzelne Zug war bereits genauestens geplant worden. Der Transport der hochsensiblen Daten, die den Iran in den Besitz der Atombombe bringen würde, musste nur noch ausgeführt werden.

Am Flugschalter der ›Air France‹ wies die hübsche Iranerin ihren falschen Pass und das Ticket nach Caracas vor. Ein Mitarbeiter der ›Airport Security‹ bat sie höflich, einen Blick in ihre Reisetasche werfen zu dürfen, was sie ihm lächelnd gewährte.

»Wenn ich Sie bitten darf mir zu folgen«, forderte eine weibliche Beamtin sie auf, »um sich einer Leibesvisitation zu unterziehen.«

Erst jetzt zeigte sie sich ein wenig unwilliger. »Ich verstehe nicht ganz … Warum denn ausgerechnet ich?«, fragte Fariba Farrochzad in einwandfreiem Oxford-Englisch. »Sehe ich etwa so aus, als würde ich Sprengstoff in meinem Spitzen-BH mit mir tragen oder eine Schusswaffe im Strumpfband?«

»Sie müssen verstehen, dass die Sicherheitsmaßnahmen sehr verstärkt wurden. Wir sind angehalten zusätzliche Stichproben durchzuführen«, erklärte die Sicherheitsbeamtin mit dem zum Pferdeschwanz gebundenen langen Haaren. »Letztlich geschieht das doch auch in Ihrem eigenen Interesse.«

»Aha, … tut es das?«, entgegnete die Iranerin spöttisch.

»Ich verstehe ja, dass eine Leibesvisitation niemandem angenehm ist, aber es ist nun einmal erforderlich. Denken Sie nur an die Terroranschläge der letzten Zeit«, erwiderte die Beamtin in freundlichem Ton. »Flughäfen der ganzen Welt sind zu diesen Maßnahmen gezwungen.«

Fariba Farrochzad atmete tief durch, wobei sich ihr beachtenswerter Busen hob und senkte. »Na schön, wenn es sich nicht vermeiden lässt«, seufzte sie. »Dann werde ich mich Ihnen halt in meinen Dessous zeigen.«

»Danke, dass Sie Verständnis für die Maßnahme haben«, lächelte die Frau der Flughafensicherheit und ging vor.

Die Iranerin folgte ihr mit mürrischer Miene und betrat gleich darauf einen schmucklosen Raum. Doch kaum hatte sich die Tür hinter ihr geschlossen, erlebte sie die größte Überraschung ihres noch jungen Lebens …

… denn eine ihr direkt gegenüberliegende Tür hatte sich geöffnet und eine Frau trat ein. Eine Frau, die jeder für ihre eineiige Zwillingsschwester gehalten hätte. Sie entsprach in jedem noch so kleinsten Detail haargenau ihrem Ebenbild. Als sich ein heiserer Schrei ihrer Wut den Weg über ihre Lippen bahnte, hatte sie begriffen, dass sie in eine Falle der Gegenseite gestolpert war.

***


Kapitel 2

Das Spiegelbild der Iranerin hieß Clairé Beauvais, die den Körper einer Venus, die Geschmeidigkeit eines Panthers und Augen wie funkelnden Diamanten besaß. Sie arbeitete als Edel-Prostituierte, fesselte die Blicke aller Männer und hasste Flecken auf weißen Westen. Dass sie als freie Mitarbeiterin vom britischen Geheimdienst angeworben worden war, wussten nicht einmal ihre Freunde. Immer wieder garantierten ihre maskenbildnerischen Tricks großartige Erfolge. Mit demselben Hüftschwung, den Fariba Farrochzad ihr Eigen nannte, ging sie auf die entlarvte Iranerin zu. »Kein guter Start«, stellte Clairé lächelnd fest. Sie legte ihr zwei Finger unter das Kinn, sodass Fariba sie direkt anschauen musste und bemerkte spöttelnd: »Läuft nicht gut, wenn gleich der erste Auftrag in die Hose geht, nicht wahr?«

Wütend starrte Fariba sie an. In ihren Augen funkelte der blanke Hass, den sie aller westlichen Dekadenz gegenüber empfand.

Clairé schmunzelte, achselzuckend. »Nun ja, so etwas kann natürlich vorkommen. Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel. Kaum das es begonnen, ist das aufregende Leben als Agentin auch schon wieder vorbei.«

»Endstation ist für jeden woanders!«, fauchte die Iranerin gereizt.

»Sie sollten froh sein, dass die Ihre in London ist und Großbritannien niemanden in den Iran ausliefert!«, erwiderte Clairé kühl. »Was meinen Sie, würde man dort wegen Ihres Versagens mit Ihnen anstellen? Ihre Endstation wäre der Tod!«

»Ich wünsche Ihnen, dass Sie an Ihrer Selbstgefälligkeit ersticken und in die Dschahannam[1] kommen. Ins Inferno für alle Christen … auf ewig, Sie Ungläubige!«

Zwei Männer betraten den Raum: Ragnar Lundquist und Garrett Simmons, die Clairé schon mehrfach in heiklen Fällen zur Seite gestanden hatten. Leonard Edwards, Chef einer straff organisierten Agententruppe, hatte aus ihnen ein äußerst schlagfertiges Trio gebildet.

Die beiden waren recht verschieden. Ragnar Lundquist – Schwede, Ende Zwanzig, blauäugig – hatte ein äußerst sympathisches Wesen und war immer korrekt. Garrett Simmons hingegen war dicklich, klein, hatte eine Glatze, die er meist mit einem Haarersatz kaschierte, besaß genau sechs Bauchfalten, wenn er sich setzte, und war rundherum von anderer Wesensart als der große Lundquist. Garrett wirkte stets melancholisch und bekümmert, wie ein deprimierter Dackel und wurde immer wieder hoffnungslos unterschätzt.

Die Männer waren Freunde und hatten sich im Rahmen von länderübergreifenden Manövern der ›NATO‹ kennengelernt. Simmons war ehemaliger Pilot der ›Royal Navy‹ im Rang eines Lieutenant-Commander, der innerhalb der ›Royal Marines im SBS, dem ›Special Boat Service‹, einer immer verdeckt agierenden Spezialeinheit, gedient hatte. Er verstand sein Handwerk. Lundquist wusste, dass er vor einigen Jahren in Afghanistan als Pilot eines ›West Lynx Helicopters‹ an der Befreiung zweier italienischer Soldaten aus der Gewalt der Taliban beteiligt war, und dass alle acht Geiselnehmer getötet wurden. Ob und wenn ja wie viele davon auf sein Konto gingen, hatte er ihn nie zu fragen gewagt.

Dann waren sie in Paris zufällig Zeugen der Entführung eines Ex-Politikers durch feindliche Agenten geworden. Als sie die Agenten ausgeknockt hatten und ahnungslos bei der ›Police Nationale‹ abliefern wollten, stellte sich heraus, dass sie zwei Topleute der Nordkoreaner kaltgestellt hatten. Das wiederum hatte zur Folge, dass ihrer beider Namen in den Dienstakten des ›Direction Générale de la Sécurité Extérieure‹; des französischen Auslandsgeheimdienstes auftauchten.

Inzwischen waren Lundquist, als Gitarrist, und Simmons, als Star auf Klavier und sämtlichen Rhythmusinstrumenten, anerkannte Größen der Popszene. Ihre Tourneen brachten sie bis nach Asien, und es fiel kaum auf, wenn sie, wie auch Clairé, von Edwards immer mal wieder für irgendeinen heiklen Auftrag eingespannt wurden.

 

Garrett schüttelte grinsend den Kopf, während er seinen Freund Ragnar ansah. »Iranerinnen können ja richtig unhöflich sein, wie?«

»Heißt es nicht, dass Unhöflichkeit Runzeln macht?«, griente der Schwede und sah Fariba an, die ihn mit hasserfüllten Blicken bedachte.

»Nehmt sie mit!«, verlangte Clairé.

Lundquist und Simmons nahmen die iranische Agentin in ihre Mitte.

»Halten Sie sich stets vor Augen, dass auch Sie nicht immer nur Glück haben werden«, stieß sie an Clairé gerichtet zornig aus.

»Gehen wir, Miss Farrochzad!«, forderte Ragnar Lundquist. Als diese keine Anstalten machte, mit zu gehen, half er mit kräftigen Händen unsanft nach.

Fariba verzog schmerzlich das Gesicht und wankte zwischen den beiden Männern aus dem Raum.

»Viel Glück!«, sagte die Beamtin mit dem Pferdeschwanz zu Clairé.

»Was kann jetzt noch schiefgehen?«

»Oh, noch eine ganze Menge.«

»Daran wollen wir lieber nicht denken«, meinte Clairé. Sie griff nach der Reisetasche der Iranerin und verließ den Raum für Leibesvisitationen.

***


Kapitel 3

Nur wenige Augenblicke darauf betrat die falsche Fariba Farrochzad den Wartesaal. Reisende aus allen Herren Ländern saßen auf den Kunststoffsesseln. Clairé setzte sich ebenfalls. Nun hieß es warten. Die Agentin schaute sich unauffällig um. Sie suchte ein bekanntes Gesicht, aber die Männer, die in diesem kribbeligen Fall mitmischten, hatten sich gut getarnt, waren nicht zu entdecken. Aber sie waren da, dessen konnte Clairé sicher sein.

»Attention! Attention! Passengers on Virgin Atlantic Airways flight 232 to Dehli. The departure gate has been changed. The flight will now leaving from Gate 26!«, kam gerade eine Flughafendurchsage.

Nach einer Weile wurde Clairé unruhig. Sie fragte sich, ob der Personentausch womöglich bemerkt worden war – konnte es sich aber nicht recht vorstellen. Nein, wirklich nicht, dachte sie bei sich. Alles hat wie am Schnürchen geklappt. Die echte Fariba hinein, die falsche heraus. Das ist so flott abgelaufen. Ein Zauberer auf einer Varietébühne, kann sein Plüschkaninchen auch nicht viel schneller im Zylinder gegen ein echtes austauschen. Unauffällig schaute sie sich um. Aber warum zum Teufel geschieht nichts? Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich beobachtet. Nicht von den eigenen Leuten, sondern von fremden Augen. Erneut ließ sie ihren Blick langsam durch die Halle schweifen. Wo steckt dieser Mann, mit dem ich Kontakt bekommen sollte? Warum hält er sich so lange im Hintergrund? Wittert er die Falle? Ist sie denn zu wittern? Eigentlich nicht. Wenn diese Sache schiefläuft, dann nur, weil wir verraten wurden. Ja, Verrat! Pausenlos stolpern Agenten in der ganzen Welt über dieses Wort. Sie lächelte in sich hinein. Wenn es den nicht gäbe, würde ich jetzt nicht an Faribas Stelle hier sitzen. Deren Aktion wurde ja auch verraten … Verflixt, wo steckt der Kerl nur? Leonard Edwards kam ihr in den Sinn, der sie nicht zuletzt wegen ihres perfekten Aussehens und ihrer Escorttätigkeit immer wieder einspannte, sondern im gleichen Maß auch wegen ihrer Erfolge. Doch im Augenblick kam sie sich wie ein Fisch auf dem Trockenen vor.

»Hier haben Sie alles Bildmaterial, das ich auftreiben konnte«, hatte er sie wissen lassen. »Unsere Leute haben es geschossen ... Fariba Farrochzad von vorne, von hinten, von oben, von unten. Sie haben zwei Stunden Zeit. Dann müssen Sie aussehen wie dieses Mädchen. Sie werden an ihrer Stelle auf dem ›Heathrow Airport‹ eingesetzt und übernehmen von diesem iranischen Meisterspion, dessen Gesicht wir nicht kennen, die für Caracas bestimmten Flash-Speicher ...«

Clairé seufzte in sich hinein. Das hat sich alles so einfach angehört. Na ja, so ist das halt, wenn über den Schreibtisch hinweg geredet wird. Und jetzt? Plötzlich scheinen sich doch erste Komplikationen anzubahnen … Warten!, dachte sie, während sie ihre langen, schlanken Beine übereinanderlegte. Warten ist das schlimmste an diesen Jobs. Es tötet den Nerv. Es macht einen mürbe.

»This is the final call for passengers travelling on British Airways, flight 229, to Frankfurt!«, ertönte es in der Halle, worauf eine Gruppe Reisender mit ihrem Gepäck auf ein ›Gate‹ zuging. Keine zwei Sekunden später folgte bereits eine weitere Ansage: »Due to a late incoming flight there will be an aircraft change for flight number 421, therefore the seat numbers on your boarding passes are no longer valid. There is free seating on board. Please listen to the next announcement for further information.« Noch einmal ertönte der Gong. »Passengers arriving on flight 127 from Hong Kong may pick up their baggage from carousel number one.«

Kaum war diese Ansage beendet geschah es.

Der Iraner musste sich von hinten an sie herangepirscht haben. »Verzeihung, Miss, aber Sie haben ihre Zigaretten verloren«, sagte er in ausgezeichnetem Englisch.

Clairé wandte den Kopf.

Der Mann hätte alle Chancen beim Film gehabt. Er sah blendend aus, war groß, schwarzhaarig, hatte den gewissen Frauen-Bezwinger-Blick, markante Züge, eine schlanke Nase und ein energisches Kinn.

Das war er, auf den sie so ungeduldig gewartet hatte. Sie erhob sich schnell. Ein echt sympathisch wirkender Bursche bist du, dachte sie und musterte den Mann, der sie um einen Kopf überragte und elegant gekleidet war. Instinktiv wurde ihr bewusst, dass es diesem Mann unter anderen Umständen spielend gelungen wäre, sie zu täuschen und um den Finger zu wickeln. Er hatte das gewisse Etwas, das die Mädchen bei einem Mann suchen. Komisch, dachte sie, es fällt mir beinahe schwer, ihm jetzt weh zu tun, obwohl er im feindlichen Lager steht.

Immer noch hielt er ihr die Zigarettenpackung hin. Sein Lächeln war bestechend. Irgendwie sah er trotz seiner vierzig Jahre noch aus wie ein kleiner Junge aus der Nachbarschaft, den alle mochten, selbst dann, wenn er mal das Pech hatte, eine Fensterscheibe eingeschlagen zu haben.

Die Zigarettenpackung. Sie hatte nicht gewusst auf welche Weise ihr die Flash-Speicher zugespielt werden sollten. Jetzt ist klar. Die Speicher befinden sich in dieser Packung. Die Iraner wären um viele Schritte weiter mit ihrer Bombe, wenn sie diese Daten bekommen würden. Aber damit ist es jetzt Essig! … Und ganz abgesehen davon wird der Iran gleich um zwei Agenten ärmer sein. Fariba haben wir schon, und dieser fesche Typ steht auch schon mit einem Fuß im Knast! … Die Zigarettenpackung! Sie sah sie an. »Oh, wie ungeschickt von mir«, lächelte sie und griff danach, worauf der Iraner losließ. »Vielen Dank!« Sie lächelte noch immer.

»Keine Ursache«, erwiderte der Fremde.

»Global Airways is now announcing the arrival of the flight 246 from New York, Kennedy International Airport, Gate 7!«, vernahm Clairé im Hintergrund, indessen sie die ›Top-Secret‹-Packung verschwinden ließ. Einen Lidschlag später lag wie durch Zauberei eine ›Glock 17‹ in ihrer Hand. »Sie glauben gar nicht, was die für Löcher macht! Und denken Sie gar nicht erst daran Unsinn zu machen. Auf diese Distanz kann ich gar nicht danebenschießen!«, flüsterte sie bedrohlich ihm zu.

Der Iraner starrte sie ungläubig an. Seine bislang freundliche Miene war wie weggewischt. Ein gehetzter Ausdruck war in seinen Augen erschienen. Es war offensichtlich, dass er nicht begriff, wie ihm eine Frau die schwerste Niederlage in seiner bislang beispiellosen Laufbahn zufügen konnte. Für einen ganz kleinen Moment war er fassungslos. Doch dann schaltete sich bei ihm die Automatik seines Selbsterhaltungstriebes ein. Wie ein in die Enge getriebener Wolf blickte er sich schnell um. Dabei fielen ihm zwei Männer auf, die ohne Gepäck mit verschlossenen Mienen von verschiedenen Seiten herankamen. Er wusste augenblicklich, dass sie keine Reisenden, sondern britische Agenten waren. Jetzt ließ er nichts mehr anbrennen. Wie ein Blitz, aus heiterem Himmel fiel er über Clairé her.

Ein schmerzhafter Schlag traf ihre Hand, und gleichzeitig bekam sie einen derben Stoß vor die Brust, wobei die Automatikpistole zu Boden fiel. Sie stolperte zurück.

Dann erblickte eine Pakistanin in einem orangefarbenen Sari die Waffe und stieß einen hysterischen Schrei aus. Ihr Schrei läutete das absolute Chaos ein.

Plötzlich sprangen alle Menschen von ihren Sitzen auf. Jeder hatte sofort die Bilder blutiger Terroranschläge vor Augen, die Großbritannien in der letzten Zeit immer wieder getroffen hatten. Niemand hatte die zweiundzwanzig Toten auf dem Konzert von Ariana Grande in Manchester vergessen. Und gleich gar nicht die Explosion in einem der U-Bahn-Wagen an der ›Parsons Green‹, hier direkt in London, bei der neunundzwanzig Menschen verletzt worden waren – und das auch nur, weil die Bombe nicht richtig detoniert und in einer Stichflamme abgebrannt war.

Ein fürchterliches Gebrüll brandete auf. Wie verrückt gebärdeten sich die Leute und stürmten auseinander, als hätte jemand ein scharfgemachtes Handgranatenbündel in ihre Mitte geworfen. In ihrer unvermittelten Fluchtbewegung verhielten sie sich wie eine plötzlich unkontrollierbar gewordene Tierherde. In der Dynamik, die die Menschenmasse entwickelte, stießen sie sich gegenseitig nieder und trampelten über die Fallenden hinweg. Ihre Gesichter waren verzerrt, und die Massenpanik perfekt.

Was als kühles, klar abgezirkeltes Spiel gedacht war, entwickelte sich für die Beteiligten zur wahren Apokalypse ...

… und der iranische Agent heizte den Schrecken der Menschen noch zusätzlich an, indem er seine ›Heckler & Koch P30‹ aus dem Schulterhalfter riss. Sofort eröffnete er das Feuer auf einen Mann, der sich ihm mutig in den Weg geworfen hatte. Seine Kugel traf direkt zwischen dessen Augen. Ohne weiter nachzudenken sprang der Iraner über den Toten hinweg und stürmte auf den Ausgang zu.

Clairé hätte sich ohrfeigen können. Sie hob ihre Automatik auf und lief mit wutentbranntem Blick hinter dem Fliehenden her.

Jetzt kamen von allen Seiten Männer hinzu. Sie hatten ihre Tarnung aufgegeben und zeigte nun, wer sie wirklich waren. Wie bissige Hunde waren sie hinter dem Agenten her, der vor ihren Augen kaltblütig einen Reisenden niedergeschossen hatte – und wie heißt es doch: Viele Hunde sind des Iraners Tod.

Auch Clairé beteiligte sich an dieser Hetzjagd.

Wie verrückt ballerte der Mann aus Teheran um sich. Eine Frau sank getroffen nieder und gleich auch die, die neben ihr gelaufen war.

Die Männer des britischen Geheimdienstes wollten ihn und schwärmten aus. Sie kamen kaum dazu genau platzierte Schüsse auf den Iraner abzugeben, wollten sie nicht das Leben Unschuldiger riskieren. Noch war aber auch keiner von ihnen verletzt worden und sie konnten eine Kette bilden.

»Nicht töten!«, schrie Clairé ihren Nebenmännern aufgewühlt zu. »Weitersagen! Nicht töten! Wir brauchen ihn lebend!«

Die Männer zielten auf die Beine des Iraners und endlich traf ihn eine Kugel.

Der gutaussehende Iraner stieß einen röhrenden Schrei aus. Er wurde herumgerissen und zu Boden geworfen. Dabei verlor er seiner ›Heckler & Koch P30‹. Mühsam kämpfte er sich wieder hoch, umklammerte sein verletztes Bein und rannte humpelnd weiter.

»Bleiben Sie stehen!«, schrie Clairé ihm nach.

Aber der Iraner hörte nicht auf sie. Hinkend lief er auf die Betonpiste des Flughafens hinaus, während ihn immer wieder Kugeln umschwirrten. Wie ein Hase versuchte er Haken zu schlagen, schaffte es jedoch kaum. Doch verbissen lief er weiter.

Plötzlich bekam Clairé eine Gänsehaut. Instinktiv begriff sie, was gleich geschehen würde, noch ehe es passierte. Sie bot all ihr Adrenalin auf, um es zu verhindern. Ihr wurde bewusst, dass sie den Mann nur noch mit einer Kugel aus ihrer Waffe retten konnte, so paradox das auch war. Sie blieb stehen, atmete tief durch und visierte den Fliehenden an. Auf die entstandene Entfernung war es nicht leicht einen gezielten Schuss abzugeben, denn dazu war das Streufeld bereits zu groß geworden – und wenn sie ihn tatsächlich traf, dann war es ein Glückstreffer. Dennoch musste sie es versuchen, denn ansonsten war der Iraner unrettbar verloren. Sie hielt die Luft an, spürte ihre vom Laufen brennenden Lungen und konzentrierte sich vollends auf diesen einen Schuss. Dann drückte sie ab …

 

… und musste begreifen, dass ihn das Projektil verfehlt hatte. Jetzt ist es mit ihm aus, schoss es ihr durch den Kopf. Gleich ist es vorbei! Sie starrte ihm nach, sah, wie er in diesem Moment die Landebahn erreichte und humpelnd deren Mitte erreichte.

Genau in dieser Sekunde kam von rechts eine ›Boeing 747-8‹ der ›Cathay Pacific‹ aus Manila mit brüllenden Düsen heran. Wie ein mächtiger Flugsaurier aus längst vergangenen Zeiten setzte das fliegende Monstrum zur Landung an. Schon war die Maschine über ihm.

Clairé sah, wie er die Arme in die Höhe riss, als er die Gefahr erkannte in der er sich befand. Hilflos musste sie mit anschauen, wie ihn das Fahrwerk des weißen Riesen erwischte und auf der Stelle zermalmte.

***