Phönixliebe

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Phönixliebe
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Prolog

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Epilog

An einem anderen Ort

Phönixliebe

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Phönixliebe – Über den Tod hinaus

Sabrina Georgia

Erstausgabe

April 2021

© 2021 DerFuchs-Verlag

D-74889 Sinsheim

info@DerFuchs-Verlag.de DerFuchs-Verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk, einschließlich aller Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und Verfilmung liegen beim Verlag. Eine Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ohne Genehmigung des Verlags ist strafbar.

ISBN 978-3-96713-014-0 (Taschenbuch)

ISBN 978-3-96713-015-7 (ePub)

Für alle, die an die Liebe glauben, die ewig währt ... ... und für den Mann, der mir das Gefühl gibt, dass es diese Liebe auf jeden Fall gibt!

Prolog


Die Vision hatte sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt. Ihre Tochter lag auf dem Totenbett, die Handgelenke von schrecklichen Armreifen aufgeschlitzt, um die Wunden offenzuhalten. Das Blut hatte mittlerweile ihren Körper verlassen.

»Oh Gott, nein! Mein kleiner Engel!«

Ihr Mann Thomas sank auf die Knie, schluchzte bitterlich und zog die leblose Gestalt an sich. Es war ein Bild, das ihr das Herz zerbersten ließ. Sie wollte sich von der Vision lösen, sie hielt sie jedoch fest im Griff, würgte sie und zerrte den Lebenswillen aus ihrem Bewusstsein.

›Du musst es zulassen‹, hörte sie eine Stimme im Kopf, doch Alexandra sträubte sich.

Sie konnte es nicht ertragen. Alexa wollte, dass diese Visionen aufhörten, und brauchte es dazu Gewalt.

»Schatz, was machst du da?«

Thomas´ Stimme klang dumpf, als er dies schrie. Der Schmerz, als sie sich das Messer ins Bein rammte, war quälend, löste Alexa jedoch von der Vision. Sie stöhnte.

»Scheiße! Was soll das?« Thomas war sogleich zur Stelle und kümmerte sich um die Wunde. Alexandra war es gleich. Sie hatte es geschafft, sich von dieser Tortur zu befreien.

›Das war ein großer Fehler‹, geisterte es ihr dennoch durch den Kopf, obwohl sie keine Ahnung hatte, wieso sie dieser Meinung war. Es schien sich allerdings stets zu bewahrheiten. Vision um Vision lehrte Alexa das Fürchten vor ihrer eigenen Gabe. Sie, die zuvor immer für andere da gewesen war und helfen wollte, war irgendwann selbst auf fremde Hilfe angewiesen.

»So geht es nicht weiter. Wir müssen diesen Teufelskreis stoppen«, hatte Thomas eines Tages zu ihr gesagt und Alexandra wusste, dass er Recht hatte.

Sie wollte, dass es aufhörte. Am liebsten hätte sie ihre Gabe komplett abgelegt, doch den Genen und der Bestimmung konnte man nicht entfliehen.

»Ich weiß nicht, wie man die Visionen stoppen kann. Wir können schließlich nicht Alexas Gabe blocken.«

»Ich muss einfach jemanden finden, der es kann!« Thomas´ Vorhaben war von vornherein zum Scheitern verurteilt, doch er liebte Alexandra, sodass er es tatsächlich versuchte. Leider blieb der Erfolg aus.

 

»Ich denke, wir sollten uns damit anfreunden, dass es irgendwann dazu kommt ... Aus irgendeiner Vision werde ich wohl nicht mehr aufwachen. Ich spüre, dass es mich auffrisst. Jede könnte meine Letzte sein.«

Es war kein Gedanke, der sie beunruhigte. Nach Monaten der Schmerzen und Ängste, kam ihr diese Vorstellung geradezu wie eine Erlösung vor. Allein die Erkenntnis, dass Thomas es ebenfalls nicht überleben würde, ließ sie durchhalten.

»Wir müssen es einfach schaffen. Ich gebe nicht auf und du wirst es verdammt nochmal auch nicht! Ich liebe dich.«

In seinem Kuss spürte sie die Verzweiflung. Er musste loslassen, schaffte es jedoch nicht. Sie kämpften also weiter.

»Mama? Wieso ist Papa immer so traurig?«, hatte Sam ihre Mutter angesprochen.

Sie war bereits in so viele Situationen geraten, hatte derart viel gesehen, dass sie sich selbst die Antwort gab.

»Ist es wegen deiner Müdigkeit?«

»Ja, mein Spatz. Ich bin leider immer sehr schnell müde und kann deshalb nichts mit euch unternehmen. Tust du mir einen Gefallen und tröstest ihn ein bisschen für mich? Ich glaube, er braucht eine kleine Umarmung.«

Ihre Tochter, die ihre fröhliche Art geerbt hatte, nickte strahlend. Sie rauschte davon und fiel Thomas, der die Treppen nach oben stieg, um den Hals.

›Was machst du?‹, fragte er Alexa in Gedanken und runzelte die Stirn.

›Dich nur daran erinnern, dass es noch jemanden gibt, um den wir uns kümmern müssen. Samantha darf nichts geschehen. Sollte mein Körper also irgendwann aufgeben, und ich sage nicht, dass ich nicht kämpfen werde, dann musst du für unsere Tochter da sein.‹

Der Blick ihres Mannes war nachdenklich, aber er stimmte zu. Müde, aber glücklich schloss Alexandra die Augen. Sie musste schlafen und Kraft sammeln. Der Kampf würde sicherlich erbarmungslos werden.

1


Gedankenverloren starrte sie aus dem Fenster und beobachtete, wie sich eine männliche Gestalt in den Motorraum eines schicken alten Rolls Royce beugte. Tobi mochte die Arbeit an den Wagen ihres Vaters und Samantha sah ihm gern dabei zu. Es gefiel ihr, wenn er dieses Leuchten in den Augen hatte. Leider teilte nicht jeder ihre Vorliebe und so machte sich Benedikta, Sams beste Freundin, mal wieder Luft.

»Wäre es nicht langsam Zeit, etwas zu unternehmen, statt nur zu schmachten? Schnapp dir den Typ oder schieß ihn in den Wind, aber hör auf, ihn ständig zu beobachten! Das ist pervers.« Beni rollte mit den haselnussbraunen Augen und ließ sich auf Sams Bett nach hinten in die Kissen fallen.

»Ach Beni, wenn es nur so einfach wäre«, seufzte Samantha und riss sich von der Aussicht los, die sie in der Ferne erhaschte. Ein kurzer Blick auf ihre Freundin genügte und sie ließ das Thema fallen.

Benedikta Van Rosen war einfach nicht der Typ für romantische Gefühle. Sie liebte es pompös und überschwänglich, war von ihrer Energie eine echte Rothaarige, auch wenn sie sie meist in bunten Fransen trug. Die regenbogenfarbenen Haare waren jetzt, da sie in Sams Bett lag und an die Decke starrte, wild durchgewuschelt, doch sie standen ihr einfach fabelhaft. Die meisten Jungs flogen auf sie. Dagegen sah Samantha stets aus wie ein Mauerblümchen und fühlte sich auch so.

»Ich habe dir doch schon vor ein paar Jahren gesagt, dass ich dir dabei helfen könnte. Dieser Tobi scheint dich zu mögen, also glaube ich, wäre ein Schubs in die richtige Richtung nicht wirklich schlimm«, bot Beni Sam es abermals an und Samantha schüttelte zum geschätzt hundertsten Mal den Kopf.

»Das geht nicht. Deine Gedankenkontrolle wäre echt nicht der richtige Weg.«

Obgleich dieser Weg einfach war, denn Benedikta konnte normalen Menschen das tun lassen, was sie wollte. Samantha hatte aber nicht vor, es zu riskieren. Zum Glück für die Menschheit gehörte ihre Freundin zu den Guten und wandte ihre Gabe nicht allzu häufig an. Jetzt allerdings seufzte sie widerwillig und runzelte die Stirn.

»Wie du meinst. Aber du weißt, dass ich alles für dich tun würde, mein Schatz!«

Es klopfte und Sam öffnete mit einem Gedanken die Tür. Sie hatte ihre Mutter bereits gespürt. Alexandra Terrin wirkte blass und aus irgendeinem Grund fahrig, als sie Sam und Beni zum Tee nach unten einlud. Was hatte sie denn dieses Mal?

Ehe Samantha etwas entgegnen konnte, war sie auch schon verschwunden. Das Verhalten ihrer Mutter war merkwürdig, jedoch für Sam nicht unbedingt überraschend. Sie verhielt sich nie, wie andere es erwarteten. Leider hielten die anderen Vampirfamilien und die Normalsterblichen Alexa oftmals für verrückt.

»Geht es deiner Mutter gut? Sie macht mir heute einen besonders gestressten Eindruck.« Benedikta betrachtete die Tür, durch die Samanthas Mutter Alexandra verschwunden war und sah dann zurück zu Sam, die jetzt ihrerseits seufzte.

Seit sich Samantha erinnern konnte, war ihre Mutter scheinbar nicht sie selbst. Visionen quälten sie und niemand schien eine Lösung dagegen zu haben. Die Einzige, die Alexa ab und an Linderung verschaffen konnte, war Sams Tante Jessica, die während ihrer Anwesenheit die Gabe abschalten konnte. Das war jedoch wieder einige Zeit her. Jessica und ihr Mann Andreas Ludwig befanden sich auf irgendeiner Mission im Ausland. Das hatte Samantha zumindest aus ihrem Großvater heraus gequetscht.

»Du bist genauso neugierig wie Evelyn«, hatte Robert danach gebrummt, kurz darauf dennoch gelächelt, nachdem Sam ihn den besten Großvater der Welt genannt hatte. Sie liebte ihn!

»Hallo? Erde an Sam!« Beni war aufgestanden und fuchtelte mit den Händen vor Samanthas Gesicht herum. Ihre Augen funkelten amüsiert.

»Entschuldige. Ja, sie ist gestresst. Mein Dad ist unterwegs und sie ist nicht gern mit mir allein.«

Zumindest kam es ihr oft so vor. Was sollten diese seltsamen Blicke sonst bedeuten, mit denen Alexandra sie bedachte, wenn sie im gleichen Raum waren?

»So wie du drauf bist, wäre das niemand gern«, murrte Benedikta und deutete in Richtung Fenster. »Ich möchte, dass du heute etwas unternimmst. Es geht so echt nicht weiter.«

Da hatte ihre beste Freundin tatsächlich Recht. So ging es nicht mehr weiter. Sam war mittlerweile neunzehn und hatte nie einen Freund gehabt, da sie unentwegt den Chauffeur anschmachtete. Beni hielt sie für einen hoffnungslosen Fall.

»Es gibt Tage, da ärgere ich mich, dass diese Gedankenkontrolle nicht bei Vampiren funktioniert! Ich glaube nicht, dass der alte Knacker nein sagen würde, wenn du es geschickt anstellst. Und solltest du auf den Trichter kommen, dass er doch nicht der Richtige für dich ist, bin ich immer für dich da, Schatz!« Mit einer überzogen dramatischen Geste zog Benedikta ihre Tasche zu sich heran und erklärte, dass sie nachhause musste. »Du wirst dich vorher ja eh nicht besinnen.«

Zu Sams Überraschung wandte sich ihre beste Freundin noch einmal um, nachdem sie an ihr vorbeigeschritten war, und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Das Gefühl war eigenartig, obgleich nicht unangenehm.

Beni seufzte.

»Ich schätze, du weißt nicht, was gut für dich ist.«

Samantha schluckte. Vermutlich nicht.

***

»Ist Benedikta böse mit dir? Sie hat gerade sehr seltsam ausgesehen«, fragte Alexa verunsichert, nachdem Samantha zu ihr nach unten marschiert war, um mit ihr gemeinsam Tee zu trinken.

»Nur eine kleine Meinungsverschiedenheit.«

Sam zuckte mit den Schultern. Sie überlegte, sich ihrer Mutter anzuvertrauen, verwarf den Gedanken jedoch rasch.

»Nichts Ernstes. Morgen hat sie es vergessen.«

Das glaubte Samantha zwar nicht wirklich, aber zumindest würde Benis Ärger verraucht sein. Zum Glück konnte ihre beste Freundin nie lange böse auf Sam sein – eine Eigenschaft, die ihre Freundschaft am Leben hielt. Wobei ihr dieser Kuss im Kopf herumschwirrte. Was sollte das? War es ein komischer Versuch von Benedikta, sie zu manipulieren? Das hatte sie noch nie zuvor getan.

»Dein Vater hat vorhin angerufen. Er hat die Antiquitäten bekommen, für die er verreist ist. Thomas kommt morgen nachhause.« Sams Mutter lächelte.

Samanthas Vater war in letzter Zeit sehr oft unterwegs gewesen, sodass sie bereits gedacht hatte, mit der Ehe ihrer Eltern würde etwas nicht stimmen. Dieses Lächeln ihrer Mutter deutete allerdings auf Vorfreude hin, die Sam beruhigte. Egal, was ihr Vater auch suchte, wenn er wegfuhr, irgendwann würde er es finden und dann hoffentlich zufrieden sein und zuhause bleiben.

»Ich glaube, ich gehe heute etwas früher zu Bett. Ich bin ziemlich müde«, murmelte Samantha und griff nach ihrer Teetasse, um sie wegzuräumen.

Alexandra war genau in dem Moment wohl auf die gleiche Idee gekommen, denn ihre Fingerspitzen berührten plötzlich Sams Handrücken. Ihre Mutter zuckte zusammen, der Ausdruck in dem fahlen Gesicht erlosch. Sie hatte eine Vision. Eine heftige Vision!

»Nein! Bitte nicht!«, keuchte sie.

Samantha bemühte sich, ihre Mutter zu beruhigen, doch die schlug auf einmal um sich. Alexandra japste nach Luft.

»Bitte ... Bitte nicht ...« Dieses Flehen brach Sam das Herz. Sie wollte ihre Mutter umarmen, doch Alexa erzitterte stets bei jeder Berührung. Nur langsam erholte sie sich.

»Geht es dir gut? Was hast du gesehen?«, wollte Sam leise wissen, doch sie antwortete nicht.

Egal, was ihre Mutter sah, sie behielt es stets für sich.

»Ich muss mich hinlegen«, ächzte diese nur und zog sich hastig zurück.

Alexandra würde ihr Zimmer die nächsten Tage nicht verlassen, da war sich Samantha sicher. So geschah es nach jedem Zwischenfall. Hoffentlich kam Tante Jessica bald wieder vorbei.

2


Alexandra fühlte sich hundeelend, während sie die Tür ihres Zimmers hinter sich schloss. Die Vision hatte sie eiskalt und unvorbereitet erwischt. Was für ein Horror! Sie hatte seit Jahren alle möglichen Visionen zum Tod ihrer Tochter ertragen müssen, doch diese war die bisher schlimmste von allen gewesen.

Ihr Handy klingelte. Thomas hatte ihre Vision wohl ebenfalls gespürt. Ihre Verbindung war für Alexa immer ein Rätsel gewesen, doch jetzt empfand sie sie als beruhigend. Sie atmete noch einmal tief durch, ehe sie dranging.

»Es ist alles in Ordnung, mein Schatz. Die Vision kam nur unvorbereitet. Ich berührte Sam während des Teetrinkens an der Hand«, spulte sie herunter.

»Ich komme sofort zurück! Was hast du gesehen?«

Natürlich war Thomas aufgebracht und machte sich Sorgen. Seit gut fünfzehn Jahren hatte Alexandra nun diese Todesvisionen und ihr Mann tat alles, sie zu verhindern. Bisher hatte er Samantha stets retten können, doch gegen die Visionen blieb der Erfolg aus.

»Sie ist ertrunken.«

Alexa musste sich bei diesem Gedanken zusammenreißen, um nicht loszuheulen. Sie konnte ihre Tochter anscheinend nicht einmal mehr berühren, ohne eine Vision zu bekommen! Das traf sie extrem. Wie sehr sie ihr kleines Mädchen liebte.

»Ich weiß nicht wo und wann, aber es war nass und eiskalt. Sie hat noch versucht herauszukommen, ist jedoch überall abgerutscht. Es war so schrecklich!«

Jetzt schluchzte sie doch. Wie sollte sie ihre Tochter beschützen, wenn sie nicht einmal wusste, wann und wo es geschah?

Thomas stimmte ein sanftes »Sch ... sch ...« an, dann summte er leise. Alexa stellte sich vor, wie er sie in den Armen hielt und ihr Halt gab. Er fehlte ihr fürchterlich.

»Ich werde gleich mit Tobias sprechen. Er soll am besten den Teich leeren. Vielleicht wäre es langsam an der Zeit, Sam aufzuklären. Sie ist schließlich nicht dumm und bemerkt, dass etwas vor sich geht«, begann Thomas abermals mit diesem leidigen Thema, doch Alexandra blieb strikt dagegen.

Wie sollte Samantha damit umgehen? Ihre eigene Mutter litt Höllenqualen, weil sie immerzu den Tod der Tochter ansehen musste? Alexa wollte nicht, dass sich Samantha dafür verantwortlich fühlte. Es war nicht ihre Schuld. Niemals!

»Ist okay. Dann sage ich nur Tobias Bescheid. Ich komme trotzdem morgen früh nachhause. Ich vermisse euch«, flüsterte Thomas.

 

»Ich vermisse dich auch.« Alexandra lächelte und versprach, sich gleich etwas auszuruhen.

Thomas legte auf, um mit Tobi zu sprechen. Müde ließ sich Alexa aufs Bett nieder und starrte an die Decke. Sie wollte unbedingt herausfinden, welches Gewässer Sam zum Verhängnis werden würde. Es musste doch Anhaltspunkte geben.

Zitternd schloss Alexandra die Augen und konzentrierte sich auf ihre letzte Vision. Dunkle, nasse Kälte ließ ihre Arme und Beine steif werden. Sie zappelte, schnappte nach Luft, doch es gab keine Chance. Ihre Finger, die verzweifelt nach Halt suchten, verloren ihn stets aufs Neue. Panik!

»Nein!«, schrie Alexandra, als Samantha die Luft ausging.

Mit letzter Kraft riss sie sich von der Vision los. Der Schmerz brannte in ihren Adern. Sie hasste sich dafür, nichts gegen diesen Fluch unternehmen zu können.

Ihr Handy klingelte abermals und sie blickte auf das Display. Alexa lächelte. Dieses Mal war es ihre Freundin Sarah.

»Hey ...«

»Hallo Süße! Wie geht es dir heute?«, erkundigte sich ihre Freundin und Wärme vertrieb Alexandras Ängste. Sie war froh, ihre Stimme zu hören.

»Gerade eine Vision erlebt«, seufzte sie und hörte den leisen Fluch Sarahs.

»So ein verdammter Mist ... Hat Thomas noch immer keine Spur? Wollte er nicht deshalb nach Ungarn?« Sarah schien wie immer ungeduldig zu sein und Alexa rollte spontan mit den Augen.

»Ja, das wollte er. Es sieht allerdings schlecht aus. Ich fürchte, wir werden weiter damit klarkommen müssen.«

Alexandra war erschöpft, bemühte sich, sich von Sarah zu verabschieden. Leider verstand ihre Freundin nicht, wann der richtige Zeitpunkt war, Ruhe zu geben. Sie erzählte noch eine Stunde über Gott und die Welt, was Alexa geduldig ertrug. Ihr war bewusst, dass das Leben weitergehen musste. Ihre Probleme stellten für andere aus der Ferne – und das war Sarah leider mittlerweile – meist eine Kleinigkeit dar.

Wenn die wüssten ...

3


Tobi beobachtete, wie die Lichter im Herrenhaus nacheinander erloschen. Es war jeden Abend das gleiche Spiel und am Ende blieb nur noch das von Samanthas Schlafzimmer übrig. Sie war die Letzte, die zu Bett ging. Sam hatte ihm einmal verraten, dass sie es liebte, bis spät in die Nacht zu lesen.

Thomas hatte ihn angerufen und darum gebeten, am nächsten Morgen das Wasser aus dem Teich zu entfernen. Er fand die Bitte zwar seltsam, jedoch hatte sein Boss oftmals seine Gründe und Tobi würde das tun, worum er gebeten wurde.

Lang hing er seinen Gedanken nach, bis das Licht in Sams Schlafzimmer ausging. Tobias zog sich daraufhin vom Fenster zurück. Er wartete jeden Abend, bis alle im Bett waren, um Feierabend machen zu können. So hatte er es gelernt und es beruhigte ihn. Er war angespannt, wenn Thomas auf Reisen war, um eine Lösung für die Probleme seiner Frau zu finden. Alexandra und Samantha allein, ganz ohne Schutz. Obwohl beide der Vampirrasse angehörten, blieben sie in seinen Augen dennoch Frauen und auf die passte man auf, beschützte sie. Thomas hatte zwar dafür gesorgt, dass Samantha in Selbstverteidigung ausgebildet wurde, sodass sie sich niemals machtlos fühlen sollte, aber für Tobias fühlte es sich nicht richtig an.

Er stellte sich vor, wie Sam gerade in ihrem Bett lag. Vermutlich hatte sie sich auf die Seite und zu einer Kugel zusammengerollt. Er hoffte, dass sie ruhig und tief schlafen konnte. Früher hatte er sie oft beim Schlafen beobachtet. Da war sie natürlich jünger gewesen. Jetzt wäre das nicht mehr schicklich. Samantha war längst kein Kind mehr und die Zeit, in der er ihr Babysitter und Lieblingskuscheltier gewesen war, schien eine halbe Ewigkeit her zu sein. Es endete abrupt in ihrer Pubertät und Tobi hatte eine gewisse Erleichterung dabei empfunden. Er war kein Auserwählter. Es war gut, dass sich Sam nicht mehr auf ihn fixierte. Schade nur, dass er seine Gefühle für sie nicht ebenfalls ablegen konnte. Immer, wenn er sie sah, erschien sie ihm noch hübscher, zerbrechlicher und noch kostbarer. Sein Herz begann stets wie wild in seiner Brust zu schlagen.

Die Uhr an der Wand schlug zwölf. Er hatte das Herrenhaus beinahe zwei Stunden angestarrt. Was war er nur für ein erbärmlicher Geselle! Kopfschüttelnd stand Tobias auf und wollte sich ins Schlafzimmer zurückziehen, als er im Augenwinkel einen Schatten bemerkte. Jemand lief über das Grundstück.

»Na warte«, knurrte er und schnappte sich den Spaten, der griffbereit für Notfälle hinter der Tür angebracht war.

Vor mehreren Wochen hatte er bereits einen Eindringling verjagen müssen, der anscheinend als Mutprobe über das umzäunte Grundstück gelaufen war. Vielleicht war jetzt der Nächste an der Reihe.

So leise er konnte, schlich sich Tobi nach draußen und suchte die Dunkelheit nach der Gestalt ab. Er erstarrte, als er sie erkannte: Sam lief auf ihn zu. Sie trug ein langes Nachthemd.

»Was soll denn das?«, murmelte er und winkte, doch sie schien ihn nicht zu bemerken.

Tobias ging auf sie zu. Als er ihr endlich in das hübsche Gesicht sehen konnte, erkannte er, wieso ihn dieses seltsame Gefühl nicht losgelassen hatte. Sam schlafwandelte.

»Samantha, wach auf. Du musst zurück in dein Bett.« Er streckte die Hand nach ihr aus, doch in dem Moment, in dem er Sam berühren wollte, lief sie plötzlich los. Sie rannte in Richtung Garage und Tobi sah, wie sie dem dazwischen angelegten Teich immer näher kam. Sein Herz drohte vor Schreck stehen zu bleiben, doch er setzte sich in Bewegung, um das Unglück zu verhindern.

›Himmel, sie ist echt schnell‹, ging es ihm durch den Kopf, bemühte sich angestrengt, ihr zu folgen.

Es wurde mittlerweile schwierig, da er nicht mehr der Jüngste war. Die Zeit blieb nicht stehen für die anderen, zu denen er gehörte. Vampire waren unsterblich, er hingegen nur ein älter werdender Chauffeur.

»Sam, bitte bleib stehen«, flehte er, ehe sie in den Teich stürzte.

Verdammt!

Er war bereits draußen gewesen und hatte eine Plane darüber ausgebreitet, nachdem er mit ihrem Vater telefonierte. Es würde ihr zum Verhängnis werden, wenn er nicht schnell handelte. Samantha bewegte sich panisch im Wasser, das sie umhüllte. Tobi ließ sich auf die Knie fallen und zerrte an der Plane. Er musste sie retten.

Mit einem menschlichen Körper in der Folie wurde es beinahe unmöglich, dem Gewicht Herr zu werden, außerdem entglitt sie ständig seinen Händen. Das Material war glatt und glitschig. Sam zappelte, wehrte sich gegen das Ertrinken, was es Tobi allerdings noch schwerer machte, sie zu retten.

»Halt still!«, raunte er in wachsender Verzweiflung und wäre am liebsten ebenfalls ins Wasser gesprungen.

Panik war jedoch kein guter Ratgeber, also zog er die Öffnung der Plane so weit auseinander wie möglich und griff ins kalte Nass.

›Samantha, bleib bei mir.‹