IM AUGE DES FEUERS

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Aus der Reihe: Blackshaw #4
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IM AUGE DES FEUERS
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übersetzt von Tina Lohse

Copyright © 2015 by Robert Blake Whitehill

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Impressum

Deutsche Erstausgabe

Originaltitel: GERONIMO HOTSHOTS

Copyright Gesamtausgabe © 2021 LUZIFER-Verlag

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Übersetzung: Tina Lohse

Lektorat: Astrid Pfister

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2021) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-620-7

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

TEIL I
SCHATTEN DER VERGANGENHEIT

Kapitel 1

Der Lynchmord des Jungen war Ben Blackshaw immer noch unbegreiflich.

An diesem ruhigen Morgen stand der Seemann ganz allein in der Nähe des Fischerkahns und dachte an die Vielzahl der Erinnerungen, die den groben, kantigen Linien dieser Behausung innewohnten. Das beengte Hausboot gehörte seiner Familie schon seit mehreren Generationen. Sein Großvater hatte es jedes Jahr zur Blaubarsch-Saison in die oberen Gewässer der Chesapeake Bay geschleppt und dort zusammen mit anderen Seemännern provisorische Uferlager errichtet. Was für grandiose Zeiten waren das gewesen.

Die Planken der Behausung hatten sich durch die Wärme des kleinen Brennofens zusammengezogen, aber dank seiner stetigen Bemühungen und auch denen seines Vaters, verdeckte Dachpappe die meisten der Ritzen und stoppte die eisigen Winde, die selbst im späten Frühling noch über die Inseln der Bucht fegten. Auch der Tod lungerte in Blackshaws Herz, aber es war die Letzte Ölung für den Jungen, der er einst gewesen war, und gewiss nicht für ein fremdes, hilfloses Kind. Bens Entdeckung des eigentlichen Blutvergießens stand noch aus.

Um Blackshaw herum auf dem Boden verteilt, lagen ein Rucksack, etwas Proviant und seine Schrotflinte. Drei Plastikflaschen, die Brennstoff für den Ofen enthielten, standen noch auf dem Heckbalken des Kahns.

Sein Vater, Richard Willem Blackshaw, hatte erst kürzlich Zuflucht in dem alten Hausboot hier auf Lethe Island gesucht, als er sich von einer Verletzung erholt hatte, vermutlich einer entzündeten Schusswunde. Ben betrachtete den Stamm der riesigen Weide, die die Lichtung überschattete, und bemerkte zum ersten Mal, wie sorgfältig sein Vater die Stellen ausgewählt hatte, um die Rindenstücke herauszuschneiden, die er kaute oder zum Brauen fiebersenkender Tees nutzte. Der Baum würde die Krankheit seines Vaters noch lange überleben. Sofern Blackshaw nichts unternahm, würde er seine eigene, tiefer sitzende Unpässlichkeit allerdings nicht überstehen.

Dieser Kahn weit weg von Smith Island, war der letzte Ort, an dem er mit seinen Eltern gesprochen hatte, wenn auch nicht zur gleichen Zeit. Seine Mutter würde womöglich wieder auftauchen, vielleicht aber auch nicht, das war schwer zu sagen.

Auf der anderen Seite hatte Ben das Gefühl, dass der kürzliche Besuch seiner Mutter, Ida-Beth, ihr letzter gewesen war. Beide Eltern hatten versucht, ihre Abwesenheit während der letzten fünfzehn oder sechzehn Jahre herunterzuspielen. Ihre Ausreden hatten abwechselnd hochtrabend, überzeugend oder eigennützig geklungen.

Sein Vater war durch seine Zeit in Vietnam ungeeignet für ein normales Leben geworden. Falls Richard Blackshaw jemals eine Behandlung in Anspruch genommen hatte, um sich niederlassen und Frieden finden zu können, wusste Ben nichts davon. Der Zustand seines Vaters hatte heutzutage sogar einen Namen: Posttraumatische Belastungsstörung. Aus eigener furchtbarer Erfahrung als Veteran, der den Grauen des Krieges entkommen war, konnte er das Verlangen, vor diesem Wolf zu fliehen, der ihm stets auf den Fersen war, durchaus verstehen. Ein Verlangen, das Richard Blackshaw nun als Söldner in Kriege auf der ganzen Welt zurücktrieb. Das alles war längst viel zu sehr Teil von ihm geworden, und nicht mit Medikamenten, einem aufrichtigen Gespräch oder mitfühlender Kameradschaft zu behandeln. Die Chesapeake rund um Smith Island hatte eine Palisade geschaffen, die viele Familien über die harten Zeiten hinweg zusammengehalten hatte. Bens Vater war eingezogen worden und würde sich niemals wieder heimisch fühlen, egal, auf welchem Kontinent er auch sein Haupt bettete. Seine langwierige Genesung hier im Schutz dieser Behausung hatte bei Weitem nicht ausgereicht, um ihn davon zu überzeugen, wieder heimzukehren, und sich auf Smith Island niederzulassen. Auch wenn Richard Blackshaw dieses Mal näher um seine Heimatgewässer zu kreisen schien, machte sich Ben keine großen Hoffnungen. Es mochte am Alter liegen, konnte aber auch einfach nur pure Neugier sein.

Ben schob die Gedanken an seinen Vater zur Seite, denn die Flut war da. Es war endlich soweit. Er machte die Leinen los und schob den alten Kahn ins Wasser, bis er schwerfällig in den Wirbeln des Stroms dahintrudelte. Ben machte sich nicht die Mühe, im Kielraum nachzusehen, ob das Boot dicht war und das Brackwasser der Bucht draußen blieb. Es würde schließlich nicht lange schwimmen müssen. Bis zur Hüfte im Wasser, schob er die schwere Schute weiter bis zu einer Stelle, an der der Strom eine breite Kurve machte, und zerrte sie dann ans Ufer. In ein paar Stunden hätte die Ebbe den alten Kahn wieder auf Grund laufen lassen. Auf diese Weise lag er wenigstens nicht direkt unter der weit ausladenden Weide, die das Boot vor Blicken aus der Luft geschützt hatte, während sein Vater sich so weit erholt hatte, wie es eben möglich war.

Während ihres Besuchs vor ein paar Wochen hatte Blackshaws Mutter weitaus weniger über ihr Verschwinden von Smith Island, und damit aus seinem Leben, offenbart, als er gehofft hatte. Als ob es der Preis dafür war, mit ihm zusammensitzen zu können, hatte sie widerwillig erklärt, dass sie die Rolle der Hausfrau und Mutter bereitwillig und frohen Mutes für eine ganze Weile ausprobiert hatte. Bald jedoch hatte sie das traditionelle Leben sattgehabt, das für sie vorgesehen gewesen war. Sie hatte auf der Stelle getreten und von Orten geträumt, die hinter dem Horizont gelegen hatten, wo neue Versionen ihrer selbst womöglich freier waren. Sie brachte die Zeit in ihrer Fantasie herum, wartete auf den richtigen Augenblick, als Richard Blackshaws alte Probleme aus dem Krieg und die Tatsache, dass er um sein Leben rennen musste, ihr die Gelegenheit verschafften, dieser so fremden Existenz auf Smith Island zu entkommen; ein Leben, zu dem sie einfach nicht länger passte. Aber sie hatte weder mit ihrem Ehemann fliehen wollen, noch hatte sie einen Weg einschlagen wollen, der auch ihrem Sohn genug Platz geboten hätte. Stattdessen hatte sie eine Leere hinterlassen, umrahmt von gerade genug sorgfältig orchestrierten Beweisen, die ihren Tod belegten. Für Blackshaw war es besser, sie als tot anzusehen. Er hatte bis dahin seine Erwartungen an sie auch eher niedrig gehalten.

Fernweh, so hatte sie Ben erzählt, hatte sie nach ihrer Flucht für eine Weile zu anderen Kontinenten getrieben, aber sie war schließlich in die Staaten zurückgekehrt und hatte sich ausgerechnet in Baltimore niedergelassen, nur wenige Meilen vom Haus ihres Sohnes auf Smith Island entfernt. Sie hatte während dieser langen Zeit niemals Kontakt mit ihm aufgenommen, aber sie hatte seine Zeichnung eines Gänsesägers, die sie auf einem Wasservogel-Kunstfestival erstanden hatte, stets in Ehren gehalten.

Genau wie ihr Weggang Jahre zuvor war Ida-Beths Besuch auf Lethe Island sehr viel mehr dazu da, ihre eigene Neugier hinsichtlich ihres einzigen Kindes zu befriedigen, als um Vergebung zu bitten und einen Platz in seinem Leben einzunehmen. Sie hatte einen einzigen Abend zögerlicher, gestelzter Konversation mit ihrem Sohn in dem Kahn zugebracht und am nächsten Morgen war die Frau erwartungsgemäß verschwunden gewesen. Sein Vater hatte wenigstens sein tödliches Handwerk zur Verfügung gestellt, als Ben in Not gewesen war, bevor er seinen Rucksack aufgesetzt und seinen Rückzug angetreten hatte.

Blackshaw leerte nun die Brennstoffflaschen überall innerhalb der Baracke und außerhalb auf dem Deck, den Wänden und dem Dach aus. Sicher am Ufer stehend, entzündete er ein einzelnes Streichholz und warf es an Bord. Er hörte ein Wuuusch, als der Alkohol Feuer fing, und für einen Augenblick waren die Flammen so klar, dass sie beinahe unsichtbar waren – Hitzeflimmern stieg in die Luft. Dann verfärbten sich die Flammen blau und kletterten an den trockenen Planken der Barackenwand hinauf. Die Dachpappe, die hauptsächlich aus Bitumen-getränktem Filz bestand, loderte gelb auf und sonderte grauen Rauch ab.

 

Blackshaw lief nun stromaufwärts durch das Schilf zu seinem Gepäck. Als er die Lichtung betrat, wo der Kahn ursprünglich gelegen hatte, sah er nur einmal zurück, um sich zu vergewissern, dass der Rauch und die Funken auch von der Weide wegtrieben.

«’Ne Menge Erinnerungen, die das Feuer da nähren.«

Blackshaw unterbrach den Check seiner Ausrüstung, sah, wie Knocker Ellis gegen den Weidenstamm lehnte und steckte seine Bersa Thunder.380 Automatik wieder weg, die reflexartig in seiner Hand erschienen war.

Der schwarze Mann, der vermutlich in den Sechzigern war, aber so drahtig und zäh wie ein viel jüngerer Mann wirkte, taxierte seinen Freund mit besonderer Sorgfalt.

«Bist du jetzt Seelenklempner?«, fragte Blackshaw.

«Bin ich das? Vielleicht ist ein Freudenfeuer ja besser, als den alten Kahn als Anbau an irgendein Haus zu klatschen.«

«Manche Leute kommen wegen der Ruhe hierher«, merkte Ben an.

«Du bist seit einer Woche nicht an dein Satfon gegangen, Ben.«

Eine Mischung aus Furcht und Hoffnung huschte über Blackshaws Gesicht. Um das Unbehagen seines Freundes zu lindern, berichtete Ellis schnell:»Noch keine Veränderung.«

Blackshaw verbarg sich augenblicklich wieder hinter der teilnahmslosen Maske, um seine tiefe Sorge zu überspielen. Seine Frau, LuAnna, war vor einem Monat bei einer Schießerei mit Menschenhändlern am Dove Point schwer verwundet worden und obwohl sie nun selbstständig atmete, hatte sie noch immer nicht das Bewusstsein wiedererlangt.

Ellis sagte:»Die Ärzte sind fort. Sie stehen aber noch auf Abruf bereit, nur für den Fall, und wir haben gute Pfleger, die rund um die Uhr arbeiten und die den Stadtratfrauen in deiner Saltbox zur Seite stehen. Aber manche sagen trotzdem, sie wäre in ‘nem Pflegeheim besser aufgehoben.«

«Nein!«, brach es aus Ben hervor.»Sie ist zu Hause, genau dort, wo sie gerade ist.«

«Aber du bist es nicht. Woher willst du also irgendwas wissen, wenn du hier nur Trübsal bläst und Feuer legst?«

Blackshaws Zorn, dieser Tage nie weit unter der Oberfläche, sprudelte bei dieser Anschuldigung sofort wieder hervor.»Ich war gerade im Begriff aufzubrechen.«

«Aber du kommst nicht zurück nach Smith Island?«

Blackshaw sagte nichts.

Ellis fuhr fort:»Soll Leute geben, die viel davon halten, mit Komapatienten zu reden. Wenn sie dann aufwachen, erinnern sie sich nämlich angeblich an jedes nette Wort, das über Tage und Wochen mit ihnen gesprochen wurde.«

Bens Wut loderte auf wie der Kahn.»Kannst du dir mich dabei vorstellen? Was soll ich ihr denn sagen? Dass es mir leid tut? Dass sie besser auf mich gehört und sich aus der ganzen Scheiße rausgehalten hätte?«

«Nein«, sagte Ellis.»Passt nicht zu dir, jemanden anzuklagen, der sich nicht verteidigen kann. Und du weißt genau, dass sie ein Wörtchen dabei mitzureden hatte. Es war ihre Entscheidung, mitzumischen.«

Blackshaw konnte nichts dagegen sagen, denn LuAnna hörte mehr auf ihn, als die meisten in ihre Ehemänner vernarrten Frauen, aber letzten Endes folgte sie doch immer ihrem eigenen Kopf. Das war es, was Ben am meisten an ihr liebte, zumindest bis zu diesem beinahe tödlichen Moment.

Ellis schlug vor:»Mann, du könntest ihr doch das Telefonbuch vorlesen oder die Zeitung oder schlechte Gedichte, sogar den Wetterbericht.«

Blackshaw gestand:»Ich kann ihr so nicht gegenübertreten.«

«Obwohl du's versprochen hast«, sagte Ellis.»Aber ich versteh' schon. Du kannst ja noch nicht mal ihren Namen sagen.«

«Jetzt gehst du zu weit.«

«Zu weit für unsere Freundschaft? Meine Rasse? Sag schon, Ben, wie habe ich den König des Kummers beleidigt? Habe ich dein perfektes Selbstmitleid gestört? War das zu viel Wahrheit auf einmal für deinen Geschmack?«

«Ellis, bitte hör auf mich, wenn ich dir sage, dass du jetzt gehen musst. Sofort.«

«'N Scheiß muss ich! Du musst hier weg und nach Hause kommen, bevor du deine Dummheiten noch auf die Spitze treibst.«

Ein Teil von Ben wusste, dass sein Freund recht hatte. Das änderte jedoch nichts an seinem Entschluss, einen anderen Kurs einzuschlagen. Er schulterte deshalb sein Gepäck, hob das Jagdgewehr auf und warf es Ellis zu.

«Du willst reden, Ellis? Dann sag ihr, dass ich sie liebe.«

«Sag's ihr doch selbst!«Ellis drehte sich um und verließ die Lichtung in Richtung des Stroms, wo sein Skiff angebunden war.

Blackshaw warf einen letzten Blick auf die Lichtung und sah zu, wie stromabwärts die Steuerbordwand des Hausboots knisterte und in einer Wolke aus Rauch und Funken zusammenfiel. Dann machte er sich in die entgegengesetzte Richtung auf den Weg, wo sein altes Deadrise Miss Dotsy lag.

Kapitel 2

Timon Pardue schoss gerade sein vorletztes Pferd nieder. Er war ganz kurz davor, so etwas wie Bedauern zu empfinden. Das führte dazu, dass sein Abzugsfinger eine Picosekunde zögerte, bevor der Hahn seines Henry-Gewehrs auf das Zündhütchen der geladenen Patrone prallte und Bucky zu Boden ging. Der Schecke war lahm, zum Reiten oder als Packtier nicht mehr zu gebrauchen, aber Pardue hatte trotzdem leichte Gewissensbisse. Das war mehr, als der frühere Sheriff von Cochise County, Arizona, für die meisten menschlichen Wesen empfand. Bucky hatte immerhin stets seine Pflicht erfüllt und das wollte etwas heißen.

Pardue schlachtete Bucky unter dem gelassenen Blick seines letzten Pferdes, Popper. Nach einer kurzen Katzenwäsche in dem kleinen Bach, der sich durch den Arroyo nahe seines Camps schlängelte, hauchte er der Glut seines Lagerfeuers neues Leben ein und bereitete sich auf eine Nacht vor, die genauso wie die letzten ungefähr sechzig Nächte verlaufen sollte (er hatte beschlossen, dass es ihm beim Vergessen half, die Tage nicht mehr zu zählen), seit er aus Frust seine Dienstmarke abgegeben hatte und aus seinem Büro in Bisbee marschiert war. Nach acht Jahren treuen Dienstes war er in einer Abstimmung der Liberalen in Bisbee und dieser angeblich legal eingewanderter Latinos in Douglas abberufen worden, aber er war davon überzeugt, dass es einige Ungehörigkeiten in manchen der Wahllokale gegeben hatte. Die Jungs in Fort Huachuca waren daran gehindert worden, für ihn zu stimmen, da sie wegen eines ungelegenen Terrorismus-Alarms ihre Basis nicht hatten verlassen dürfen. Pardue hätte dahingehend nachgeforscht, wenn es ihm nicht scheißegal gewesen wäre. Und er hatte sich selbst geschworen, dass dies der Fall war.

Seit dieser furchtbaren Nacht stapfte er zwischen den Ausläufern der Chiricahua-Berge umher, begleitet von Bucky, Popper und einem Muli namens Arschloch, welches Pardue zuerst erschossen und gegessen hatte, hauptsächlich, um sich des faulen Gemüts des Tieres zu entledigen, da es sich stur geweigert hatte, sein Gepäck zu tragen. Er hatte das Maultier demokratischer Neigungen verdächtigt oder vielleicht hatte es dem Symbol dieser politischen Partei für Pardues Geschmack einfach zu ähnlich gesehen. In einem Akt posthumer Rache hatte das alte Tier noch dazu fürchterlich geschmeckt, selbst nach der Zugabe großzügiger Mengen getrockneter Chilischoten aus seinen Vorräten. Pardue war beinahe eine Woche schlecht gewesen, nach nur zwei Portionen des zähen Fleisches.

Zu streng im Umgang mit illegalen Einwanderern, das war es, was ihm vorgeworfen wurde. Profiling hatten sie es genannt. Timon Pardue sah sich selbst und die loyalen Mitglieder seiner Abteilung als die letzte Verteidigungslinie der Vereinigten Staaten gegen eine Invasion von Kriminellen, die von Sonora, Mexiko, nach Norden rollte. Erweiterte Grenzpatrouillen wie in San Diego und El Paso waren in Cochise County noch nicht veranlasst worden, beziehungsweise waren sie nicht sehr erfolgreich gewesen, obwohl die Zoll- und Grenzschutzbehörde, Customs and Border Protection, der größte Arbeitgeber in der Stadt Naco war. Pardue glaubte, dass das CBP mehr zur Zufriedenheit des Kongresses in Washington als zur Effektivität an der Grenze ausgelegt war.

Als Sheriff hatte Timon Pardue also alle seine Männer mit der Aufgabe betraut, sämtliche verdächtigen Personen anzuhalten, mit besonderem Augenmerk auf Dokumentations- und Einwanderungsstatus der fraglichen Personen. Das Problem mit den illegalen Einwanderern war nicht neu, die Anschuldigungen der Voreingenommenheit hingegen schon. Die ganze Geschichte wurde schließlich in den Medien wieder aufgekocht, als die neu ernannte Vorsitzende des Bezirksgerichts bei einer Routinekontrolle festgenommen worden war und ein langes Wochenende im Gefängnis von Bisbee verbracht hatte, bevor irgendjemand begriffen hatte, wer sie war, abgesehen von sauer und hispanisch.

Die ehrenwerte Richterin war vom diensthabenden Polizisten nämlich für eine Prostituierte gehalten worden, trotz der Tatsache, dass er sie nahe einer einsamen Landstraße aufgegabelt hatte, fern von jeglicher potenzieller Kundschaft. Sie schwor dem Polizisten, dass ihr Teleskop, welches sie für ihr Hobby der Amateur-Astronomie verwendete, gleich hinter dem nächsten Hügel stand. Ihre Jacke, in der sich ihr Ausweis befand, lag gleich daneben. Sie hatte sich nur kurz vom Teleskop entfernt, um sich zu erleichtern. Es war diese kompromittierende Position, in der der Polizist sie schließlich entdeckte, nachdem er von dem Rancher, der das Grundstück besaß, auf einen Herumtreiber aufmerksam gemacht worden war.

Ebenso wie das Teleskop und ihre Jacke mit dem Ausweis war auch ihr Lexus LX zum Zeitpunkt ihrer Festnahme nicht zu sehen gewesen. Trotz der empörten Proteste der Richterin hatte der Beamte es abgelehnt, auf der zweifellos vergeblichen Suche nach diesen Gegenständen im Dunkeln herumzutappen. Vasquez‘ Behauptung, eine Richterin zu sein und keine Prostituierte, wurden letzten Endes bestätigt, als ihr Lexus am folgenden Montagmorgen auf dem Abschlepphof des Bezirks eintraf und der Fahrzeugschein von einem Mitarbeiter überprüft wurde, der manchmal Telemundo schaute.

Zu Pardues Bestürzung hatte Richterin Vasquez viele gute Freunde bei der örtlichen Niederlassung des spanischen Fernsehsenders. Sie war außerdem gut befreundet mit dem obersten Staatsrichter des Gerichtshofs von Arizona, der sie damals ins Amt erhoben hatte. Ihre Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den Medien, sogar bei Fox News, die Sheriff Pardue daraufhin förmlich unter den Zug warfen und ihn diffamierten, um selbst weniger als Sprachrohr der Koch-Brüder und Rupert Murdoch zu erscheinen. Pardue wurde daraufhin an den Pranger gestellt. Das war acht Monate her. Die daraus resultierende Abstimmung verlief nicht gut für ihn. Oh, man, sie würden Timon Pardue noch vermissen. Er hatte nur noch keine Ahnung, wie sehr.