Der Bund roter Löwe (2). Fulcanelli II

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Der Bund roter Löwe (2). Fulcanelli II
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Richard Kölldorfer

DER BUND ROTER LÖWE

Fulcanelli II

Für Andrea, Artus und Tristan

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Richard Kölldorfer

Geb. 1973 in Tulln an der Donau. Heute lebt er mit seiner Familie in

Neulengbach/Niederösterreich.

Nach seiner elektro- und chemotechnischen Ausbildung sowie

verschiedenen Erwerbsjobs ist er bei

den Österreichischen Bundesbahnen im technischen Wagendienst tätig.

Berufsbegleitend absolvierte

er ein Studium der Geschichte mit Schwerpunkt auf

Wirtschaftsgeschichte sowie der Germanistik.

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Titelgrafik © kuzzie - Fotolia

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Das Elixier

Quid pro quo

Eherne Ketten

Illuminationen 3.0

Eine Stecknadel im Heuhaufen

Das abgerungene Wunder

Eine Zeit in der Hölle

Die Flucht nach Vorne

Die Rückkehr

Der Ansturm der Bestie

Personen

Das Elixier

Lieber Hilaire, Paris, 27. März 1922

die letzten Jahre waren für uns alles andere als unbeschwert. Lilith fiel einem heimtückischen Anschlag der Rotkreuzer zum Opfer, Louis Pasteur ist von uns gegangen, das Firmenvermögen deiner Familie ging verloren. Gerade darum ist es wichtig, nicht zurückzuweichen, sondern entschlossen den Weg weiter zu beschreiten, selbst wenn er voller Gefahren ist und der Ausgang ungewiss bleibt. Wie Du weißt, wurde mir die Ehre zu Teil, nach dem Ableben von Lois Pasteur in seine Fußstapfen treten zu dürfen. Als Meister des Weißen Feuers obliegt es mir, Ziele vorzugeben, Kurs aufzunehmen und diesen nicht aus den Augen zu lassen. Lass es mich so formulieren: Ich bin ein Kapitän, der über den aufgewühlten Ozean segelt, Felsen und Sandbänken trotzend, um „Terra Incoqunita“, das unbekannte Land, zu erreichen. Nun, was braucht ein Kapitän, um die Tücken des Meeres meistern zu können? Er benötigt ein gutes Schiff, Wind in den Segeln, aber vor allem eine fähige Besatzung, die ihn tatkräftig unterstützt.

Darf ich mir erlauben, Dir einen Rat zu geben, Hilaire? Vergiss deinen Groll, den du gegen das Weiße Feuer hegst. Dein alter Freund Gustave hat sich für die dunkle Seite entschieden. Ist es nicht ein Grund mehr, die Grundwerte unserer Organisation zu verteidigen? Ja, es existieren im Weißen Feuer Strömungen, die dich vom Kurs abgebracht haben. Bist du daran nicht gereift? Kannst du heute nicht besser die Tücken des Lebens umschiffen? Es wäre doch eine Verschwendung, wenn Du mit Deiner Begabung, deiner Erfahrung die Zeit in einem verwunschenen Schloss fristest. An Deinen Briefen erkenne ich, dass Du immer noch begierig danach lechzt, die Fortschritte unserer Arbeit peinlich genau mitzuverfolgen. Augenblicklich könntest Du wieder mittendrin sein, nicht nur aus zweiter Hand Geschichten von vorgestern erfahren. Seit jeher war es Dein Traum, den Menschen ihr Leben zu erleichtern, möglicherweise sogar verlängern zu können.

Ich möchte Dir eine Frage stellen, Hilaire: Bist du gewillt, mit mir diese Entdeckungsreise zu wagen? Das Weiße Feuer bittet Dich um Hilfe und ich benötige Deine Unterstützung. Du wärst sozusagen meine rechte Hand und natürlich ist für Lilith ebenfalls ein Platz in der Gruppe. Meine besten Grüße, ich hoffe, es geht ihr gut.

Ferner würden eine viel versprechende Chemikerin und ein mit asiatischen Heilpraktiken vertrauter Arzt unsere Runde komplettieren. Du wärest in der glücklichen Situation dich mit Menschen auszutauschen, die dir neue Sichtweisen eröffnen könnten. So wie ich das sehe, überwiegen die positiven Argumente für eine Zusammenarbeit. Auf eine angemessene Antwort Deinerseits harre ich aus.

Argumentum ex Silentium

Albert Mercure

Der Brief von Albert Mercure führte mich geradewegs in einen Gewissenskonflikt. Natürlich wusste Albert, dass er mich nur herumkriegen würde, wenn er moralisch motivierte Integrität, gepaart mit meiner Neugier, einforderte. Letztlich hatte ich mit dem Weißen Feuer abgeschlossen und nachdem Lilith durch einen heimtückischen Angriff der Rotkreuzer, zurückziehen. Damals, als wir noch in Paris wohnten und arbeiteten, fügten einige Rotkreuter, die sich als Nachfolger der Inquisitoren sahen, Lilith lebensbedrohliche Brandwunden zu. Andererseits hatten die Rotkreuzer genau erreicht, worauf sie abzielten. Nicht nur, dass sie unsere Arbeitsgruppe zerschlugen, als sie an meiner Frau ein Exempel statuierten, das beeinflussbare Mitglieder des Weißen Feuers abschrecken sollte. Tagelang grübelte ich, was Lilith nicht verborgen blieb.

„Du wirkst recht abwesend in letzter Zeit, etwas angespannt“, meinte Lilith. „Du weißt doch, dass ich dich zu gut kenne, als dass du etwas vor mir verheimlichen könntest.“

„Entschuldigung. Ich wollte dich nicht beunruhigen.“

„Hilaire, ich bin deine Frau. Du kannst über alles mit mir reden. Es war der Brief von Albert, nicht?“

„Du hast Recht“, seufzte ich.

Lilith setzte sich neben mich und griff nach meiner Hand.

„Ohne Umschweife: Albert bot mir an, die rechte Hand in seiner Arbeitsgruppe zu werden. Du wurdest ebenfalls bedacht.“

„So, so, wurde ich das“, sagte Lilith. „Wir wollten mit den zwielichtigen Machenschaften des Ordens nichts mehr zu tun haben, das weiß er doch.“

„Natürlich, aber er hat einen Köder an der Leine, dem ich kaum widerstehen kann.“

„Wie meinst du das?“, wollte Lilith wissen.

„Albert wurde damit betraut, dass Geheimnis um Aurum Potabile zu entschlüsseln.“

„Ich verstehe. Daher weht der Wind.“

„Dann verstehst du, dass ich sein Angebot kaum ablehnen kann, nicht?“, seufzte ich.

„Stell dir vor, du würdest gleich morgen packen, um dich nach Paris zu begeben. Wie würdest du dich fühlen?“, sagte Lilith.

„Hm, um ehrlich zu sein, ich denke, es wäre ein erhebendes Gefühl. Aurum Potabile. Weißt du, was das bedeutet?“

„Es ist mir klar, dass ich dich nicht aufhalten darf. Mach, was dein Herz dir sagt“, sagte Lilith. „Insgeheim hast du deine Entscheidung längst getroffen. Ich werde dich begleiten. Irgendjemand muss doch auf dich aufpassen.“

Erleichtert umarmte ich Lilith. Ich hatte erwartet, von ihr hundert Gründe aufgezählt zu bekommen, warum es besser wäre, hier zu bleiben, hinter dicken Mauern verschanzt, fernab des Epizentrums des Weißen Feuers. Beide wussten wir, dass es keine plausiblen Gründe gab, nicht mit Albert zusammen zu arbeiten, jedenfalls keine Gründe, die nicht auf Angst begründet wären.

Seit dem heimtückischen Angriff der Rotkreuzer hatte sich Lilith verändert. Ihre Unerschrockenheit war Angst gewichen, ihre Zielstrebigkeit durch Zaudern abgelöst worden und ihre Jovialität von Misstrauen überlagert. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es. Auf Liliths Haut waren die Brandnarben zwar immer noch zu sehen, jedoch viel schlimmer waren die psychischen Verletzungen und die damit verbundenen Einschränkungen. Nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, begaben wir uns sofort zu unserem Landsitz in den Alpen und Lilith wurde sozusagen ein ruheloser Geist, der die meiste Zeit des Tages im Bett blieb und des Nächtens, wenn sie Schlaflosigkeit quälte, durch die Korridore wandelte. Weil es nach mehreren Monaten immer noch nicht aufwärts ging, entschlossen wir uns, einen Arzt zu konsultieren, der sich auf psychische Leiden spezialisiert hatte. In langen Gesprächen unter Mithilfe bestimmter Heilkräuter besserte sich die Verfassung Liliths allmählich.

In unserem gemeinsamen Garten, dessen Betreuung uns große Freude bereitete, sprossen Blumen und Kräuter aller Art. Eines Tages, nachdem wir die angrenzenden Wälder auf der Suche nach Heilkräutern erschlossen hatten, schlug Lilith vor, das nahe gelegene Dorf zu besuchen. Ihren Arm bei meinem eingehakt hatten wir uns durch die Straßen vorgetastet. Es fiel mir auf, dass sich der Druck auf meinen Oberarm unmerklich verstärkte. Die Angst stand Lilith ins Gesicht geschrieben, während ihr Atem sich beschleunigte. Sie war immer eine willensstarke Frau gewesen.

 

„Bist du sicher, dass du so weit bist“, fragte ich Lilith.

„Nicht voll und ganz. Aber lass es uns einfach versuchen“, war die Antwort. Und so bezogen wir in Paris unweit der Sorbonne eine Wohnung, die uns Albert Mercure organisierte. Aufgeregt schlichen wir durch die Straßen, verwundert darüber, wie viel sich in den letzten Jahren geändert hatte.

„Hat dir Albert mitgeteilt, wer seiner Arbeitsgruppe noch angehört“, wollte Lilith wissen.

„Ja. Da wären Irene Lucia, eine Chemikerin aus Spanien, die bereits seit einiger Zeit an der Sorbonne gastiert und Abdul Adziz, ein muslimischer Arzt, der ursprünglich aus dem Iran stammt.“

„Aus dem Iran? Ein Moslem also. Wie hat es ihn denn nach Paris verschlagen?“

„Hat mir Albert nicht gesagt. Am besten wir fragen Abdul einfach selbst.“

Es stellte sich heraus, dass Abduls Eltern nach Spanien emigriert waren, um in Sevilla ein neues Leben zu beginnen. Im ehemaligen Schmelztiegel westlicher und östlicher Traditionen erwarteten sie, sich zwangloser entwickeln zu können. Die Erosion der straffen christlichen Verhaltensweisen ebnete ihnen im Gegenzug den Weg, medizinische Forschung uneingeschränkt voranzutreiben, dachten sie. Die Realität offenbarte sich nicht wertfrei, das heißt, die Probleme ihrer Heimat konnten sie hinter sich lassen, jedoch wurden sie durch andere ausgetauscht, auf die sie nicht vorbereitet waren. Muslimen kam man nicht selten mit Misstrauen entgegen, bei einigen reichte es bis zur Ablehnung.

Abdul hatte bereits früh sein Interesse für Medizin erkannt. Sein größter Vorteil gegenüber anderen angehenden Medizinern war, sowohl mit westlichen wie mit östlichen Verhaltensweisen vertraut zu sein und für ihn war es selbstverständlich, sich den Umständen entsprechend zu verhalten. Sein Repertoire an medizinischem Wissen ergänzte sich sozusagen gegenseitig. Trotzdem war für ihn die Karriereleiter enden wollend. Er sei zu jung, hätte abstruse Ideen und außerdem würde seine Religion immer wieder zu Problemen führen, wurde hinter vorbehaltender Hand gemauschelt. Zu seinem Glück fand er an der Universität Verbündete, die ihn in das Weiße Feuer einführten, um ihm nach seiner Initiation Albert Mercure vorzustellen, der restlos begeistert war, weil Abdul recht unkonventionell desgleichen einfallsreich an heikle Fragenstellungen heranging.

„Diese Irene Lucia stammt ebenfalls aus Spanien“, meinte Lilith. „ Und ihre Lebensgeschichte ist nicht weniger ungewöhnlich.“

„Tatsächlich?“

Wie Lilith war Irene Halbjüdin, was den Alltag nicht unbedingt erleichterte, denn sie fühlte sich weder voll und ganz der jüdischen noch der christlichen Gemeinschaft zugehörig, geschweige denn akzeptiert. Im Gegenzug dazu entwickelte Irene einen beachtlichen Willen, der sie umso zielstrebiger werden ließ, je härter die Schicksalsschläge sich auftaten. Ihre Mutter starb früh und als ältere von zwei Schwestern war es nun an ihr, darauf zu achten, dass zu Hause alles weiterhin seinen gewohnten Gang ging. Selbst als sie an einer Blutvergiftung fast gestorben wäre, weil sie sich auf dem Landgut des Vaters beim Weinlesen verletzt hatte, gab sie nicht klein bei. Nach dem anfänglichen Wunsch, Tierärztin zu werden. entschloss sie sich, an der Universität von Sevilla Chemie zu inskribieren, wenngleich ihre Beweggründe seltsam anmuten. Irene wollte Funktion und Beschaffenheit des Blutes vollkommen verstehen, um eines Tages ein Substrat kreieren zu können, das bei Blutverlust menschlichem Blut beigemengt werden könne.

Sie war eine der ersten weiblichen Assistenzprofessorinnen an der Universität von Barcelona. Während ihres Vortrages in Frankreich, der von einigen Kollegen nicht ganz ernst genommen wurde, trat Albert Mercure an sie heran.

„Morgen früh um acht Uhr hat Albert die erste Zusammenkunft angesetzt“, erklärte ich.

„Es ist lange her, seit ich die Sorbonne von innen gesehen habe“, sinnierte Lilith „Ich fühle mich kribbelig wie eine Studentin, die zum ersten Mal die Schwelle der Universität betritt.“ Einige Wochen später hatten sich innerhalb der Arbeitsgruppe Freundschaften entwickelt, wobei nicht nur die Zeit im Labor miteinander verbracht wurde. Albert Mercure hatte bereits eine Menge Vorarbeit geleistet, wobei ihm Abdul Adziz behilflich war. Sie hatten alles an Literatur zusammengetragen, was über Aurum Potabile zu finden bzw. alles, was damit in Zusammenhang zu bringen war. Tagelang durchstöberten sie die Schriften und mussten sich bald Hilfe von außerhalb holen, denn keiner von ihnen war des Sanskrits, des Deutschen oder des Mandarins mächtig. Schließlich hatte sich der entscheidende erste Schritt heraus kristallisiert. Welches pH-neutrale Lösungsmittel ist dazu im Stande, edle Metalle zu lösen?

„Ich schätze mal, dieses Alkahest, wie es Paracelsus nannte, existiert nicht“, argwöhnte Irene.

„Jedenfalls nicht, wie wir uns das vorstellen“, meinte Albert. „Entweder sein Goldwasser enthielt gelöstes Gold, dann müsste er ein extrem saures bzw. oxidierendes Lösungsmittel wie Königswasser beigemengt haben, oder es enthält kein gelöstes Gold und er löste irgendetwas anderes in seinem Elixier, das keinen hohen pH-Wert erforderte.

„Könnte es nicht sein, dass es noch eine Möglichkeit gibt?“, mutmaßte Lilith. „Was, wenn er sozusagen über einen Umweg oder eine Zwischenstufe Gold in gelöster Form fabrizierte, wie Goldchlorid, und dann irgendwie mit einer anderen Substanz wieder umwandelte, sodass er dieses Elixier verabreichen konnte?“

„Na ja, interessante These“, sagte ich. „Aber die starke Säure verdrängt immer die schwache, das heißt, eine schwache Säure, etwa Essigsäure, könnte niemals Goldchlorid zu Goldcarbonat umwandeln.“

„Muss es auch nicht“, wandte Abdul ein. „Im Magen herrscht doch sowieso ein stark saures Milieu. Es würde demnach wieder Goldchlorid entstehen.“

„Dem stimme ich zu“, erwiderte ich. „Dessen ungeachtet: Was sollte dem Magen anderes übrig bleiben, als das Goldchlorid wieder auszuscheiden? Er kann es doch nicht verwerten.“

„Woher wissen wir das?“, entgegnete Lilith. „Wir haben es doch nie probiert und die medizinische Literatur diesbezüglich lässt zu wünschen übrig.“

„Da ist was dran“, pflichtete ihr Albert bei. „Ich schlage vor, als nächsten Schritt, probieren wir die plausibelsten Rezepte aus und verabreichen sie Versuchstieren. Wie wär´s mit Heuschrecken? Die leben etwas mehr als ein halbes Jahr, sind einfach zu handhaben und leicht verfügbar.“

Dem hatte niemand etwas entgegen zu setzten.

Es dauerte weitere Wochen bis wir brauchbare Arbeitsvorschriften aufweisen konnten, denn sie waren oft von alchemistischer Symbolik durchzogen. Viele waren in fremden Sprachen verfasst, wobei die Übersetzer an ihre Grenze stießen, etwa weil sie die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge nicht begriffen und dies wiederum in Rücksprache mit den Mitgliedern der Arbeitsgruppe leicht zu Missverständnissen führen konnte.

Als wir endlich halbwegs brauchbare Rezepturen in unseren Händen hielten, arbeiteten wir in zwei Gruppen weiter. Hier taten sich weitere Probleme auf. Die Synthesen zogen sich über Wochen und inkludierten abstruse Ideen: Etwa den Mondzyklus. Abdul unterstützte die Übersetzer so gut es ging und organisierte beziehungsweise betreute die Heuschrecken.

Es wurde uns bald klar, dass die Arbeitsabläufe nicht stringent verfasst wurden, denn es kam kein annähernd zufriedenstellendes Ergebnis zu Stande. Also gingen wir daran, alles noch einmal zu überarbeiten, worauf sich wieder kein Erfolg einstellte.

„Ganz schön frustrierend, nicht?“, warf Albert in die Runde. „Wir können noch nicht mal ansatzweise ein positives Ergebnis vorweisen.“

„Kann man wohl sagen“, antworte Irene.

„Ich schlage vor, Lilith und Hilaire, ihr nehmt euch die restlichen Rezepturen, eine nach der anderen, vor. Abdul wird euch unterstützen. Irene und ich werden uns noch einmal über die fehlgeschlagenen Experimente den Kopf zerbrechen. Einverstanden?“

„Es gibt keine Alternative, jedenfalls fällt mir im Moment keine ein und aufgeben werden wir klarerweise nicht“, antwortete ich etwas zu enthusiastisch, obgleich ich an den Minen meiner Kollegen erkennen konnte, dass sie dem Ausgang unserer Bemühungen nicht unbedingt positiv entgegenblickten.

Nach weiteren Fehlschlägen war unsere Stimmung erst mal auf einem Tiefpunkt angelangt. Wir hatten mehr als eineinhalb Jahre fast täglich mindestens 10 Stunden in einem Labor verbracht und konnten nicht das geringste Ergebnis vorweisen. Etwas das nicht existiert, kann nicht generiert werden, dachte ich und weil ich die angeschlagene Moral meiner Freunde nicht weiter aushöhlen wollte, bat ich Albert um ein Vier-Augen-Gespräch.

„Wenn ich mich nicht täusche, willst du deinen Unmut kund tun“, erriet Albert.

„Richtig. Wir haben uns mit medizinischer Literatur aus jedem Kontinent beschäftigt und das Ergebnis war jedes Mal das Gleiche, nämlich kein Ergebnis.“

„Ich verstehe deine Frustration“, betonte Albert. „Andererseits: Unser kleines Projekt ist nicht auf zwei oder drei Jahre anberaumt, sondern Jahrzehnte. Meinst du, wir sind die ersten, die das Mysterium bezüglich Aurum Potabile erkunden wollen?“

„Wenn du schon fragst, nein“, antwortete ich kleinlaut.

„Wir sind Pioniere einer neuen Zeit, die in Richtung Wissenschaftlichkeit abzielt. Wer weiß, wozu Medizin und die Naturwissenschaften eines Tages fähig sein werden. Dazu bedarf es vor allem Beharrlichkeit.“

„Moment mal“, unterbrach ich Albert. „Es war nicht meine Absicht aufzugeben, sondern …“

„Sondern?“

„Vielleicht sollten wir unsere Methoden ändern.“

„Was schlägst du vor?“, wollte Albert wissen.

„Na ja, warum unternehmen wir nicht Reisen nach Indien, China oder sonst wohin, um uns vor Ort über die überlieferten Heilpraktiken kundig zu machen?“

„Die Idee gefällt mir!“, entgegnete Albert, „Ich wollte ohnehin mit dir über etwas Wichtiges reden.“

„Worüber denn?“, antwortete ich neugierig.

„Die Kontakte des Weißen Feuers fallen dann und wann auf fruchtbaren Boden. In Lothringen existiert ein kaum bekannter Orden. Ich wurde darüber informiert, dass dort ein vielversprechendes Originaldokument von Johann Agricula gehortet wird. Es gibt nur eine Kopie, soviel ich weiß, und der Vatikan ist nicht unbedingt ein Territorium, in das uns Einlass gewährt wird. Es handelt sich um eine lateinische Arbeitsanleitung, die die Herstellung von Aurum Potabile zum Inhalt hat.“

„Tatsächlich! Dann holen wir uns das alte Kochbuch.“

„Würde ich gerne“, antwortete Albert. „Das Problem dabei ist nur, dass sie das Dokument nicht herausrücken wollen. Mein Vorschlag ist, dass du und Abdul ins Départemet Loiret reist und eine Abschrift davon anfertigt.“

„Nach Loiret?“, staunte ich. „Das würden wir in zwei Tagesreisen erreichen. Wo genau soll sich das Original befinden?“

„Der Ort heißt Boigny-sur-Bionne. 1154 wurde dem Lazarusorden von Ludwig VII. das Schloss Boigny übereignet.“

„Na gut, das sollten wir finden. Aber wie kommst du auf Abdul“, stutzte ich. „Hältst du das für eine gute Idee? Er ist doch Moslem. Könnte es nicht sein, dass sie uns die Tür vor der Nase zuschlagen?“

„Nein. Lilith oder Irene würden sie nicht über die Schwelle ihres Klosters treten lassen und ich bin anderwärtig beschäftigt. Außerdem hat Abdul etwas, dass der Orden begehrt. Es handelt sich um ein sagenumwobenes Buch arabischer Medizin genannt Zad al-Ma´ad. Verfasser ist ein gewisser Ibn Qayyim.“

„Und es ist so wichtig, dass dieser Lazarusorden im Gegenzug eine seiner wertvollsten Schriften teilen wird?“, zweifelte ich.

„Soweit ich meiner Korrespondenz mit dem Leiter des Ordens glauben kann, ist es das.“

„Worum geht es in dem Buch?“, wollte ich wissen.

„Um natürliche Heilmethoden, Heilpflanzen und mehr. Wie du weißt, war die arabische Medizin bereits gut entwickelt, als man bei uns noch nichts anderes als einen Aderlass anzubieten wusste. Das Beste an der Sache ist, dass Abdul unter Mithilfe eine französische Transkription angefertigt hat.“

„Tatsächlich?“

„Nun, was hältst du von der Sache?“, sagte Albert.

„Ehrlich gesagt, ich würde nichts lieber tun, als nach Loiret zu reisen, wenngleich ich daran zweifle, dass uns dieses Dokument weiterbringt.“

 

„Jedenfalls werden uns deine Zweifel auch nicht von Nutzen sein. Ich würde vorschlagen, dass ihr am Montag abreist.“

„Gut. Ich muss es nur noch Lilith schonend beibringen. Die letzten Jahre waren wir unzertrennlich. Es ist sicher ein eigenartiges Gefühl, sie für einige Tage nicht um mich zu haben.“

„Das kann ich gut verstehen“, antwortete Albert.

„Dann werde ich gleich mal nachsehen, wo sich Abdul aufhält. Ich mag den Kerl, wenngleich er ein Ungläubiger ist“, scherzte ich.

Es fiel mir nicht leicht, Lilith zu überzeugen. Freilich sicherte mir Irene ihre Hilfe zu, die für unsere Situation vollstes Verständnis aufbrachte. Sie versicherte mir, meine Frau nicht aus den Augen zu lassen und sich durchaus vorstellen zu können, ein paar Tage in unserer gemeinsamen Wohnung zu übernachten. Der Abschied fiel uns dessen ungeachtet genauso schwer, wie ich es vermutet hatte.

„Dass du mir gesund und munter wieder zurückkommst“, flüsterte mir Lilith, mich umarmend, ins Ohr.

„Nichts könnte mich je davon abhalten, dich wieder in meine Arme zu schließen“, antworte ich.