Lateinischer Faschismus

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Lateinischer Faschismus
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Richard Faber





Lateinischer Faschismus



Über Carl Schmitt den Römer und Katholiken





E-Book (ePub)



© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021



Alle Rechte vorbehalten.



Covergestaltung: nach Entwürfen von MetaDesign



Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)



ePub:



ISBN 978-3-86393-571-9



Auch als gedrucktes Buch erhältlich:



Neuausgabe © CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021



Print: ISBN 978-3-86393-112-4



Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter

www.europaeische-verlagsanstalt.de




Inhalt





I. Carl Schmitt, der Römer







1. Fundamentale Parallele zum Zeitalter der römischen Bürgerkriege und des Cäsarismus







2. Römische Völkerrechts-Mythologie







3. Römischer Cäsarismus, Etatismus und Faschismus







4. Romano-Katholizismus







II. Carl Schmitt, der Katholik







1. Konstantinismus im Zeichen eines Christus Pantokrators







2. Hierokratie oder Infallibilität bzw. Souveränität







3. Cäsaropapismus







4. Thomas Hobbes – Eusebius britannicus







5. Katholischer Traditionalismus







6. Katholischer, positivistischer und faschistischer Cäsarismus







III. Lateinischer Faschismus







1. »Katholischer« Nationalsozialismus oder: Politische Kirche







2. Faschistischer Katholizismus







3. Die vatikanische Konkordatspolitik: Condominium mit dem antichristlichen Cäsar







4. Totalitärer Katholizismus







Exkurs über Schmitts Reichsmythologie: seine »völkerrechtliche Großraumordnung«







Nachwort zur 2. Auflage









I.







I. Carl Schmitt, der Römer

*





In memoriam Friedrich Heer 1916-1983





Ein guter Kenner des Weimarer Rechtskatholizismus könnte auf den – ihn vielleicht befremdenden – Gedanken kommen, die Überschrift meines I. Kapitels sei entstanden in Analogie zu einem Titel des den Kardinälen Faulhaber und Pacelli nahestehenden Publizisten Georg Moenius, des Herausgebers der in München erschienenen »Allgemeinen Rundschau«:

»Sankt Benedikt,

 der Römer«.

1

 Dem ist aber nicht so, obwohl es in der Weimarer Zeit fromme Katholiken gab, die Schmitt in die Nähe heiligmäßiger Menschen

rückten.

 Sein enger Freund Konrad Weiß widmete ihm noch am 1.

Juni

 1933 das Gedicht »Justitia«, mit den Worten: »Carl Schmitt im Gedenken an

Friedrich von Spee«.

2

 Und Moenius selbst, ein Verehrer von Charles Maurras (und Benito Mussolini), war jemand, der das Römische im Katholischen (über-)betonte, fast so sehr wie Schmitt, der zeitweise sogar Anhänger eines römischen Neopaganismus gewesen sein dürfte, wie Maurras. Doch Moenius, der lebenslang den römischen Kragen des katholischen Priesters trug, war das letztlich nicht. Noch bedeutsamer: Moenius war zwar kein Antifaschist der ersten Stunde, aber völlig im Unterschied zu Schmitt ein lebenslanger Antinationalsozialist, der deswegen sogar ins US-amerikanische Exil gehen mußte.



Moenius ist ab 1933, wie ihr gemeinsamer Bekannter Theodor Haecker, für den nationalsozialistisch gewordenen Schmitt nur noch eine – allerdings fortdauernde – Vergangenheit gewesen. Bin ich dann vielleicht bei meiner Titelwahl von Armin Mohler ‘inspiriert’ worden, der Schmitts Christentum kaum gelten lassen will und seinen Katholizismus fast nur als Spielform eines diesen

übergreifenden

 Römertums ansieht? Mohler, der Schmitt schon in seiner 1950 zum ersten Mal erschienenen Dissertation über »Die konservative Revolution« zu einem von deren ‘Evangelisten’ proklamiert hat

3

,

spricht

 neuerdings vom »‘Römer’ Carl Schmitt«

4

, doch das dürfte nicht zuletzt auf mich selbst zurückgehen, der Möhlers These von der »Prussozentrik« der »Konservativen Revolution«

5

 – partiell erfolgreich

6

 – die von ihrer »Romanozentrik« entgegengestellt und dabei gerade auch Schmitt ins Feld geführt hat.

7

 Gleichzeitig habe ich – Mohlers Separierung der »Konservativen Revolution« vom Faschismus widersprechend – auch letzteren romanozentrisch interpretiert und nicht nur den Faschismus, den kürzlich noch Umberto Eco als spezifisch »lateinischen« ausgemacht hat.

8

 Gerade auch Adolf Hitler hing einem »kulturpolitischen Romglauben« an, wie Friedrich Heer relativ früh bemerkt hat.

9

 Das »Schwarze Korps« der SS verfuhr gar sehr nach der »Palmström«-Logik, als es 1936 zum Anlaß seiner Kampagne gegen Schmitt einen Aufsatz von dessen Schüler Günther Krauss nahm, in dem dieser Schmitt und Hitler in einem Atemzug genannt hatte: als solche, die nicht zuletzt aufgrund ihres Katholizismus Nationalsozialisten geworden wären.

10



Krauss‘ Aufsatz war natürlich auch apologetisch intendiert

11

, doch der Nichtkatholik Emst Niekisch hat in einem Buch, dessen Manuskript ihn ins NS

-Zuchthaus

 brachte, gleichfalls formuliert: »Er (Schmitt) bemerkte, daß dem Dritten Reich die Tendenz innewohne, sich als weltliche Kirche zu organisieren und fühlte, wie sehr er dafür der rechte Mann sei. Rom lebt auch im laizistischen Katholizismus. Es läßt sich eine römische Kirche ebenso auf dem Grunde eines völkischen wie eines christlichen Dogmas errichten, ohne daß sich der Unterschied in den Grundlinien und Umrissen des Baues zu zeigen braucht. Rom war das große Vorbild, in dessen Anschauung und Ehrfurcht Schmitt groß geworden war; ein römischlateinisches Kirchengebilde sollte das Reich werden, dem er seinen juristischen Verstand zur Verfügung stellte. Er wußte, was das Dogma für eine Kirche bedeutet; ihm bereitete kein völkischer Wahnwitz Pein, da er zu sehr Katholik war, um es nicht für alle Zeiten in sich zu haben, daß es nicht darauf ankommt, was man glaubt, sondern darauf, daß man glaubt.«

12



Ich lasse den Katholizismus bei Niekisch bzw.

Schmitt

 vorerst auf sich beruhen. Nehme ich dessen

spezifisch

 Katholisches auch ernster als Mohler, so bin ich von der Prädominanz eines vor- und nachchristlich

Römischen

 bei ihm gleichfalls überzeugt. Jedenfalls möchte ich mit der Präsentation seines

außerc

hristlich Römischen beginnen und dabei ausgehen von dem Satz, mit dem sich Schmitt schon in den Weimarer Jahren eben Niekisch annonciert hat – bewußt provokatorisch: »Ich bin Römer nach Herkunft, Tradition und Recht.«

13



Daß dieses von Niekisch überlieferte Zitat seine wenigstens anekdotische Richtigkeit hat, scheint mir unwiderlegbar zu sein. Nicht nur Hugo Balls frühe, von Schmitt noch 1970 authentisierte

14

 Charakteristik Schmitts als »Lateiner«

15

 sprach immer schon für die

inhaltliche

 Richtigkeit des Niekischeschen Zeugnisses, sondern bereits das thematische Buch »Römischer Katholizismus und politische Form« hatte Schmitts Selbstdefinition als »Römer« mehr denn nahegelegt. – Sein ausdrückliches Bekenntnis: »Ich bin Römer …« war deshalb so provokativ, wie ich behauptet habe, weil Schmitt bei seinem Gegenüber von jenem »antirömischen Affekt« ausgehen

mußte

, mit dessen Konstatierung er seinen Traktat über den »Römischen Katholizismus« begonnen hatte: »Es gibt einen antirömischen Affekt.«

16

 Wer, wie Schmitt zeitlebens nichts Schlimmeres kannte als diesen Affekt

17

, mußte selbst einen ungemein prorömischen besitzen und – deswegen – voller Ressentiment sein gegen all die Personen, Gedanken, Institutionen und

Nationen

, die er als »antirömische« glaubte ausmachen zu können.



Auf Schmitts spezifisch antijüdische Ressentiments bin ich an anderer Stelle ausführlich eingegangen, unter der nietzscheanischen Überschrift »Rom gegen Judäa«.

18

 Hier möchte ich unmittelbar eine Passage aus Schmitts Brief vom 23.05.1948 an Helmut Rumpf folgen lassen: »Ich bin Katholik nicht nur dem Bekenntnis, sondern auch der geschichtlichen Herkunft, wenn ich so sagen darf, der Rasse nach. Ich hätte noch hinzufügen können: deshalb ist es auch so leicht, gegen mich wie gegen alles, was ich sage, den antirömischen Affekt zu mobilisieren.«

19

 Diese erst seit wenigen Jahren bekannte Briefstelle bestätigt meine Deduktion von Schmitts Antiantirömischem aus seinem Prorömischen ungemein, wenn die Stelle auch, wie schon das frühe »Katholizismus«-Buch, römisch scheinbar mit katholisch identifiziert. Doch davon abgesehen, daß Schmitt bereits am 23. 01. desselben Jahres die von Rudolf Smend herrührende

20

 Charakteristik als »‘antiker’ Mensch« übernommen hat

21

 und sich am 18.03. bzw. 17.07.1949 überzeugt zeigt von der »moralischen Überlegenheit der Römer« gegenüber Juden

und

 Griechen

22

: Schmitt steigert im zitierten Brief seine römische »Herkunft« ins Rassische – noch übers limesländisch Autochthone

23

 hinaus.

 



Für das unmittelbar Anschließende ist entscheidend, daß er sich am 30. 09. 1950 zum (alleinigen) Platzhalter Roms aufzuschwingen berechtigt glaubt, weil »meine Rechtswissenschaft … im Exil« ist. »Doch«, so fährt Schmitt fort, »gibt es gewisse

Traditionscompagnien.

 Rome n’est plus dans Rome, elle est toute ou je suis.«

24

 Diese Stilisierung zu einem letzten Römer fügt »Tradition« und »Recht« zur schon zitierten »Herkunft« und bestätigt so – schwarz auf weiß –, was Schmitt Niekisch bereits gegen 1930 gesagt haben soll: »Ich bin Römer nach Herkunft, Tradition und Recht.«





1. Fundamentale Parallele zum Zeitalter der römischen Bürgerkriege und des Cäsarismus



Was das Recht angeht, hat Schmitt im »Glossarium« auch notiert: »Die deutsche Sprache ist keine juristische Sprache«, dafür aber die Römer »das

Volk

 des Rechts« genannt und, nur konsequent, behauptet: »Zur Pax Romana gehört die

Lingua

 Latina d. h., eine Sprache, deren Worte und Sätze ein Simul der Dinge und der rechten Ordnung sind. Die angelsächsische Sprache dagegen ist maritim-schwebend.«

25



Mit dem letzten, von Schmitt nicht willkürlich assoziierten Satz sind wir ins Zentrum seiner späten, nicht mehr staats-, sondern völkerrechtlichen Überlegungen gestoßen. »Die schwebend-maritime Sprache ist keiner Weltherrschaft fähig«, wie Schmitt fortfährt. »Es gibt keine Pax, sondern nur Beseitigung des Staatenkrieges und seine Verwandlung in den Weltbürgerkrieg«

26

 – der für Schmitt die absolute Katastrophe war. – Mehr denn je ließ sie ihn, im Gefolge Tertullians, nach einem »römischen« Katechon suchen, einer »das Ende«

aufhaltenden

 Macht.

27



Schmitt war, wie schon der augusteische Dichter Vergil, die (prä-)konstantinschen (Reichs-)Theologen der Antike und des Mittelalters, wie Schmitts entscheidende Lehrer Thomas Hobbes und Donoso Cortés, Antiapokalyptiker, doch auch deswegen besessen von dem, was er »die fundamentale Parallele« bezeichnet: die »große historische Parallele zum 19./20. Jahrhundert, das 1. Jahrhundert«

28

, um sie – mit Schmitt – zunächst rein chronologisch zu benennen.



Gleich in der ersten Eintragung des die ganze Zeit über apostrophierten Tagebuchs zeigt sich Schmitt »ergriffen« vom »Anfang der Historien des Tacitus … Ist das nur noch Rhetorik, wie Ortega mir sagte?« So fragt Schmitt und weiter: »Ist es nicht die Identität der Situation, also existenzielle Teilhabe, participatio an ein und derselben Ur- und Kernsituation unseres Aeons?« Am rhetorischen Charakter dieser Fragen keinen Zweifel lassend, heißt es etwas später: »Jedes Wort dieses Tacitus-Kapitels ist erschöpfend aktuell«, vor allem die »Verbindung von Außenkrieg und Bürgerkrieg, das ist nicht Rhetorik«, wie Schmitt sicher zu sein glaubt, »sondern die schauderhafte Wirklichkeit erkannt und ausgesprochen, die Ununterscheidbarkeit von Krieg und Frieden.«

29



Auch in Schmitts erster Buchveröffentlichung nach seinem Publikationsverbot, dem 1950 erschienenen »Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation« wird die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß die »umfassende … fundamentale Parallele, die für unseren Äon im ganzen zentral ist und so lange es bleiben wird, wie dieser Äon besteht«, »die Beziehung unserer Gegenwart auf die Zeitwende« ist, »mit der unser Äon einsetzt, die Zeit der römischen Bürgerkriege und des Cäsarismus.« Allerdings wird an dieser Stelle hinzugesetzt, in Konsequenz des Wortgebrauchs »Zeitwende«: »Hier handelt es sich um mehr als eine bloße Parallele … Hier wird die Frage gestellt, ob der

christliche

 Äon zu Ende ist oder nicht.«

30



So formuliert Schmitt, wie gesagt, erst nach 1945; schon vor 1933 war es »die Zeit der römischen Bürgerkriege und des Cäsarismus« als solche, die ihn tremendierte, aber auch – aus der Hoffnung auf eine neoaugusteische Ordnung heraus – faszinierte. Damals akzentuierte er (in Übernahme von Proudhons »ère actiaque«

31

) diese Zeit nicht zuletzt als »das Zeitalter der Schlacht bei Aktium«

32

 und schloß 1932 »Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen«, welcher Text im unmittelbaren Zusammenhang mit dem grundlegenden Aufsatz »Der Begriff des Politischen« steht, mit den Worten: »…aus der Kraft eines integren Wissens entsteht die Ordnung der menschlichen Dinge. ‘Ab integro nascitur ordo’.«

33

 Mit Bezug auf das Ermächtigungsgesetz des neuen ‘Augustus’ Hitler hieß es 1934, als wenn sich die

vergilsche

 Prophetie vom »novus ordo« erfüllt hätte: »Jetzt öffnete sich ein Weg um … das revolutionäre Werk einer deutschen Staatsordnung in Angriff zu nehmen.«

34

 Und am hohen Mittag des »Neuen Reichs«, 1939/ 40, schrieb Schmitt: »Die Tat des Führers hat dem Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen. – ‘Ab integro nascitur ordo’.«

35



Wie der Nazi-Philosoph Christoph Steding in seinem »Reichs«-Buch von 1938 glaubt Schmitt den »Reichsbegriff als Überwindung eines Zeitalters der Neutralisierungen« erkennen zu können.

36

 Wie er bereits 1934 schrieb, sei der »höchste … und deutscheste … Ordnungsbegriff« das »‘Reich’ als eine … konkret-geschichtliche, Freund und Feind von sich aus unterscheidende … politische … Einheit.«

37





2. Römische Völkerrechts-Mythologie



»Deutschest« soll der Reichsbegriff sein, weil per translationem imperii römisch, allerdings auf deutsche und nicht angelsächsische Art und Weise »römisch«. Wie schon angedeutet, beanspruchte Schmitt für das Deutsche Reich – im Unterschied zum Empire und zu den USA (in deren Staatswappen sich bis heute das vergilsche Motto vom »Novus ordo seclorum« findet) – einen nicht-universalistischen Charakter; es sollte nur ein »Großraum« neben anderen sein. Ich werde in einem Exkurs ausführlich zeigen, wie sehr Schmitts »Völkerrechtliche Großraumordnung« eine Velleität, wenn nicht Camouflage war.

38

 Entscheidend in unserem Zusammenhang ist, daß für Schmitt Raum und Rom bereits dasselbe

Wort

 sind: »Raum ist dasselbe Wort wie Rom. Daher also der Haß gegen das Wort Raum, dieser Haß ist nur ein umgelagerter antirömischer Affekt.«

39



So heißt es mit aller ‘wünschenswerten’ Deutlichkeit am 6. 07. 1951 im »Glossarium«. Die kurze Notiz bezeugt unter anderem die Möglichkeit einer Konnotation des (Anti-)Römischen bei Schmitt, ganz unabhängig von »christlich« und selbst »katholisch«. Doch entwickeln wir an dieser Stelle die ausdrücklich

mythologische

 Begründung des Schmittschen (Groß-)Raum-Konzepts, das das seines antiangelsächsischen und damit deutschen bzw. (kontinental-)europäischen Völkerrechts ist, auch noch nach 1945: Schmitt gedenkt – gleich im Vorwort seines »Nomos der Erde« – Johann Jacob Bachofens, wenn er »die Verbindung« seines »rechtswissenschaftlichen Grundgedankens« mit »mythischen Quellen rechtsgeschichtlichen Wissens« eingesteht

40

 – wobei Eingestehen ein zu defensives Wort ist. – Schmitt

propagiert

 ein ursprungsmythisches Rechtsdenken und zwar als römisches; gerade auch das wird durch die – initiative – Beschwörung Bachofens signalisiert.



Schmitts »rechtswissenschaftlicher

Grundgedanke«,

 sein Prinzip – gerade auch im historischen Sinn des Wortes – ist dieses: »Am Anfang der Geschichte jedes seßhaft gewordenen Volkes, jedes Gemeinwesens und jedes Reiches steht … in irgendeiner Form der konstitutive Vorgang einer Landnahme. … Sie enthält die

raumhafte

 Anfangsordnung, den Ursprung aller weiteren konkreten Ordnung und allen weiteren Rechts. … Aus diesem ‘radical title’ leiten sich alle weiteren Besitz- und Eigentumsverhältnisse ab … Aus diesem Ursprung

nährt

 sich … alles folgende Recht und alles, was dann später noch an Setzungen und Befehlen ergeht und erlassen wird.«

41



Auch wenn man nicht wüßte, daß Schmitt, wie Bachofen, ein erbitterter Feind des Matriarchats ist, die Landnahme dementierte die Weiblichkeit der Quell- und Nährmetapher sofort und umso mehr, als Schmitt die Landnahme mit dem »Nehmen« der Frau analogisiert

42

: Schmitts Rechtsursprung ist ein männlicher, ja heroischer und damit – um zu entmythologisieren – ein gewaltsamer:

»Herakles

 ist der mythische Ordnungsstifter. Indem er die Rinder des dreileibigen Riesen ‘nimmt’, schafft er Recht; die Nahme (der Nomos) verwandelt Gewalt in Recht. Das ist der Sinn des … Pindar-Fragments vom Nomos-Basileus«, das »vom Raub der Rinder des Geryon« spricht .

43



Schmitt leugnet Raub und Gewalt nicht, läßt diese sich aber in Recht verwandeln, indem er den Raub »Nahme« und das heißt »Nomos« nennt. Aufgrund welcher »Etymologie« Schmitt das möglich erscheint, kann auf sich beruhen bleiben.

44

 Entscheidend ist, daß Herakles’ »rechtssetzende Gewalt«

45

 mit dem »Ur-Akt«

46

 der Landnahme ineinsgeht. Nach Vergils »Aeneis« tötet er das »chaotische« Untier Cacus, so daß Euander Ur-Rom bauen kann – so wie dann Aeneas selbst, dessen Prototyp Herkules ist, (Cacus-)Turnus tötet und damit die Landnahme Latiums beendet.

47



Schmitt erwähnt weder die Episode des Cacus tötenden Herkules, noch nennt er Euander oder Aeneas, aber Schmitts »bodenhafte(r) Urgrund, in dem alles Recht wurzelt und Raum und Recht, Ordnung und Ortung Zusammentreffen« sollen

48

, ist ein römischer. Schmitt schreibt: »Alle Völker aller Zeiten, die in neue Räume aufbrachen und auf ihren Wanderungen seßhaft wurden, griechische, italische, germanische, slawische, magyarische und andere Sippen, Stämme und Gefolgschaften haben Landnahmen vollzogen, und die gesamte Kolonialgeschichte ist ebenfalls nur eine Geschichte raumhaft bestimmter Gründungsvorgänge, in denen Ordnung und Ortung sich verbinden.« Ja, Schmitt hält fest: »Der seltene Fall, daß in der völkerrechtlichen Erörterung mit rechtswissenschaftlichem Bewußtsein von ‘Landnahme’ gesprochen wird, ereignete sich in den Verhandlungen des deutschen Kolonialkongresses 1905 (Berlin, 1906, S. 410).«

49



Schmitt gibt damit nochmals den Gewalt-Charakter der Landnahme zu erkennen, vor allem aber seine gerade auch moderne Perspektive. Dennoch ist historisch alias ursprungsmythisch entscheidend, daß die Nennung der »Völker aller Zeiten« die prinzipielle Bedeutung Roms (in den Augen Schmitts) nicht schwächen kann. Die von ihm apostrophierte

»raumhafte

 Anfangsordnung« ist in jedem Fall römisch, da Schmitt sicher ist, »daß ,Raum’ und ‘Rom’ dasselbe Wort«.

50

 So sehr ist seine Ursprungsmythologie eine römische – da die Mythologie sich wie bei Heidegger

etymologisch

 geriert: »‘Raum’ ist ein … Urwort der Ursprache. Nach dem

Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm

 ist Raum ein allen germanischen Sprachen gemeinsames Wort, mit einer altnordischen Wurzel

rum

, die in slawischen Wörtern wie

ruvati

 und im lateinischen

eruere

 wiederkehrt. Inhaltlich soll rum, als Gegensatz zu rauh, eine ausgerodete, urbar gemachte Stätte bedeuten.

Raum

 ist demnach in germanischer Sprache ein uralter Ausdruck, der einen durch Urbarmachen einer Wildnis geschaffenen Bereich menschlichen Daseins benennen soll. Ich bin sicher, daß

Raum

 und

Rom

 dasselbe Wort ist.«

51



Dennoch soll allein »das deutsche Wort ‘Raum’ … unzerstörbar« sein und gerade »ein Vergleich mit dem lateinischen Wort ‘spatium’ (espace im Französichen, spazio im Italienischen, espacio im Spanischen) … die

numinose

 Kraft des deutschen Urwortes … erkennbar« machen.

52

 Schmitt behauptet: »Die Schwierigkeit einer Übersetzung von ‘Raum’ in romanische Sprachen ist … außerordentlich, sobald es sich nicht mehr um den leeren, mathematisch-abstrakten Raum handelt. Eine Formulierung wie

Großraum

 im Sinne einer Großraumordnung, die in deutscher Sprache ohne weiteres verständlich ist, läßt sich in romanischer Sprache nur durch Umschreibungen, nicht durch einfache Übersetzung richtig wiedergeben. Julius Evola hat das deutsche Wort ,Großraum’ im Italienischen mit

spazio imperiale

 auf eine andere Ebene überführt.«

53

 



Schmitt bestreitet den universalistischen und imperialistischen Charakter seiner Großraum-Konzeption und beansprucht dementsprechend für DAS REICH – wie für den deutschen »Raum« – eine unübersetzbare »Eigenart und Hoheit«

54

, doch dies ist Camouflage. Auch sein Reichs-Gesetz ist das dem Aeneas von Vater Anchises auferlegte: »Du aber Römer, gedenke mit Macht der Völker zu walten, / Dies sei deine Berufung – des Friedens Gesetze, zu achten, / Schon den, der sich gefügt, doch brich den Trotz der-Rebellen!«

55



Gerade auch in diesem vergilschen Sinne gilt, »daß ‘Raum’ und Rom’ dasselbe Wort ist« (so wie – für Hitler – Raum und Reich dieselbe Sache

56

). Um noch einmal den unmittelbar vorangehenden Satz zu zitieren: »Raum ist … ein uralter Ausdruck, der einen durch Urbarmachen einer Wildnis geschaffenen Bereich menschlichen Daseins benennen soll.«

57

 Schmitt expliziert an späterer Stelle: »Die ausgerodete Lichtung im Urwald ist der von Menschen bewohnte und gestaltete, von einem unendlichen Nicht- oder Noch-Nicht-Gestalteten umwogte Raum. Der umgebende Urwald entspricht hier dem unabsehbaren Ozean, der die von Menschen bewohnte Erde umfließt, wie im antiken Weltbild«

58

, nach dem die »‘Erde’… als ein Kreis« erschien, »als ein orbis, wobei zu beachten ist, daß mit dem mehrdeutigen Wort ‘orbis’ sowohl eine Scheibe, also eine Kreisfläche, wie auch die Kugel gemeint sein konnte. Ihre Grenze wurde durch mythische Vorstellungen wie den Ozean, die Mitgardschlange oder die Säulen des Herkules bestimmt. Ihre politische Sicherung lag in exkludierenden Verteidigungsanlagen wie Grenzwällen, einer ‘großen Mauer’, einem Limes …, außerhalb dessen Krieg ist. Solche Grenzen hatten den Sinn, eine befriedete Ordnung von einer friedlosen Unordnung, einen Kosmos von einem Chaos, ein Haus von einem Nicht-Haus, eine Hegung von einer Wildnis zu trennen.«

59



Schmitt nimmt mit diesen Sätzen auf, womit sein Buch (eigentlich) beginnt: »Die

Erde

 wird in mythischer Sprache die Mutter des Rechts genannt. Das deutet auf eine dreifache Wurzel von Recht und Gerechtigkeit.« Die Erde birgt das Recht »in sich, als Lohn der Arbeit; sie zeigt es an sich, als feste Grenze; und sie trägt es auf sich, als öffentliches Mal der Ordnung. Das Recht ist erdhaft und auf die Erde bezogen. Das meint der Dichter (Vergil), wenn er von der allgerechten Erde spricht und sagt: ‘justissima tellus’. – Das

Meer

 kennt keine solche sinnfällige Einheit von Raum und Recht, von Ordnung und Ortung. Zwar werden auch die Reichtümer des Meeres, Fische, Perlen und andere Dinge, von Menschen in harter Arbeit gewonnen, aber nicht, wie die Früchte des Erdbodens, nach einem inneren Maß von Saat und Ernte. In das Meer lassen sich auch keine Felder einsäen und keine festen Linien eingraben. Die Schiffe, die das Meer durchfahren, hinterlassen keine Spur. ‘Auf allen Wellen ist alles Welle’. Das Meer hat keinen Charakter in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Charakter, das von dem griechischen Wort ‘charassein’, eingraben, einritzen, einprägen kommt … Vergil prophezeit in der 4. Ekloge, daß es im kommenden glücklichen Zeitalter keine Seefahrt mehr geben wird.«

60



Wer die »iustissima tellus« mater beschwor, mußte antimaritim eingestellt sein, wie Schmitt nahlegt. Ich bin sicher, zu Unrecht

61

; entscheidend ist aber: Nicht die Erde ist die »Mutter des Rechts«, sondern dieses ist nur insofern »erdhaft und auf die Erde bezogen«, als die Heroen, die das Land nehmen und ihm die »festen Linien eingraben«, von Vergil Söhne dieser Erde genannt werden: »Heil dir, große Mutter der Früchte, saturnische Erde, / Große Mutter der Helden !«

62



Und auch Schmitt verleugnet das ius terrae als »Mutterrecht«, d.h. den »mütterlichen

Naturalismus

, der alle Unterschiede zwischen den Kindern einer Mutter, der Erde, verwirft«.

63

 In Bachofens »Mutterrecht« heißt es: »Aphrodite ist jedes Sondereigentum verhaßt. Daher wird das gleiche Recht aller an dem Meere, den Ufern, der Luft, überhaupt die ‘communis omnium possessio’ auf das ‘ius naturale’ zurückgeführt«

64

, jenes »ius naturale«, das eben den »tiefsten Sphären tellurischen Daseins« angehört – wie auch Schmitt weiß, freilich nur um »das neue Paradies« – Max Stirners und seines matriarchalen Schülers Otto Gross

65

 – zu ironisieren; es handelt sich nach Schmitt »um die Natur und das Natur

recht,

 die Aufhebung der Selbstentfremdung und der Selbstentäußerung in einer problemlosen Leibhaftigkeit. Das adamitische Glück des Gartens der Lüste, den Hieronymus Bosch in weißer Nacktheit auf eine Tafel geworfen hat … Die ganz natürliche Natur und das Naturrecht der tiefsten Sphären tellurischen Daseins.«

66



Gerade auch wenn (mit Karl Marx) Stirner nicht für der Weisheit letzter Schluß gilt, kann darauf verwiesen werden, daß der entwickelte und kritische – der »dialektische« – Sozialismus nicht die »natürliche Natur« der »Tellus mater« projektiert, sondern eben »das neue Paradies« einer

»technisierten

 Erde«. Aber auch gegen sie hat Schmitt seine – sarkastischen – Einwände und nicht einfach unberechtigte: »Wahrscheinlich wird die Bekleidungsindustrie (in Zukunft) einen solchen Aufschwung nehmen und solche Produktivkräfte entfesseln, daß ‘Wir’ uns täglich neue phantastische Kostüme leisten können. Charles Fourier mag sich das im einzelnen ausmalen. Die Prophezeiung der vierten Ekloge Vergils, daß die Wolle der Lämmer von selbst in schönstem Purpur wachse, wirkt dann altmodisch und geradezu reaktionär.«

67



Gerade auch der Schmitt-Kritiker

68

, Matriarchats-Utopiker und Fourier-Verehrer

69

 Walter Benjamin hat auf die

»Dialektik

 der Warenproduktion« aufmerksam gemacht: »Die Neuheit des Produkts bekommt (als Stimulus der Nachfrage) eine bisher unbekannte Bedeutung; das Immerwiedergleiche erscheint sinnfällig in der Massenproduktion zum erstenmal.« Apodiktisch: »Die Mode ist die ewige Wiederkehr des Neuen.«

70

 Aber was Benjamin kritisiert, ist die »Dialektik der Warenproduktion«; Schmitt dagegen kritisiert die ins »Unendliche gesteigerte Konsumkraft« als solche.

71

 Benjamins Frage: »Gibt es in der Mode Motive der Rettung?« ist ihm fremd. Gegen das, was an Vergil möglicherweise progressiv war und bleibt

72

, hält er es mit dem, was objektiv schon immer reaktionär gewesen ist.



»Politisch theologisch«, alias mythologisch

73

 formuliert: Schmitts wie Vergils alma Venus ist die Venus

Genetrix

 und

Victrix

 der Aeneas und Augustus

74

, d.h.

ihre

 Venus. Vergil und Schmitt sind darüber hinaus homophil gesteuert.

75

 Schmitt schreibt: »In der Landnahme, in der Gründung einer Stadt oder einer Kolonie wird der Nomos sichtbar, mit dem ein Stamm oder eine Gefolgschaft oder ein Volk seßhaft wird, d. h. sich geschichtlich verortet und ein Stück Erde zum Kraftfeld einer Ordnung erhebt.«

76



Ich interpretiere: Der

Landnehmer und

 Stadt

gründer,

 der der

Führer

 einer »Gefolgschaft« ist, stiftet den Nomos, der der seine ist: ein »heroischer«. – Schmitt schreibt weiter: »Insbesondere kann der Nomos als eine Mauer bezeichnet werden«; denn: »Jeder Nomos ist, was er ist, innerhalb seines Zaunes«

77

. Und: »Am Anfang steht der Zaun. Tief und begriffsbestimmend durchwirken Zaun, Hegung, Grenze die von Menschen geformte Welt. Die Hegung ist es, die das Heiligtum hervorbringt, indem sie es dem Gewöhnlichen entnimmt, eigenem Gesetz unterstellt, dem Göttlichen anheimgibt.«

78



So zitiert Schmitt den Wort- und Volkskundler Jost Trier, um eben anzuschließen: »Der hegende Ring, der von Männern gebildete Zaun, der

Mannring

, ist eine Urform kultischen, rechtlichen und politischen Zusammenlebens.«

79

 – Der »Männerbund«

80

 und sein neuer »Dux« lassen grüßen.

81

 Ist dieser auch nur in Italien als alter Aeneas vorgestellt

82

, so doch in Italien wie Deutschland als alter Augustus.

83

 Beding