Avallon

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Vorwort

Nachdem ich die Geschichte von Avallon – Tir na mBan in Segmenten im Freundeskreis sicher mehrere Dutzend Male erzählt habe, jedoch nie als Ganzes, fand ich es an der Zeit, sie einmal in ihrer Gänze zu erzählen.

Natürlich sind häufige Parallelen zur Artus-Sage nahezu zwangsläufig, da ein großer Teil der Geschichte zu seiner Zeit spielt. Jedoch sind die Hauptakteure der Artus-Sage Merlin (Myrddin in Gälisch), Artus, Guinivera (Gwenhwyfar in Gälisch) und Morgan le Fay (Mhorgaine in Gälisch) hier nur Randfiguren. Historisch steht diese Erzählung im krassen Widerspruch zu den berühmten Artuserzählungen des Mönches Geoffrey of Monmouth, Thomas Malory, Robert de Boron und erst recht der in der Bretagne angesiedelten Version des Chrétien de Troyes. Ich habe versucht, mich an allen bekannten und durch Historiker verifizierten Fakten auszurichten und die Geschichte so zu erzählen, dass sie die Zeit der Unterdrückung der „Alten Religion“ durch das aufstrebende Christentum möglichst wirklichkeitsnah wiedergibt. Die Glorifizierung der Figuren durch christliche Mönche (zum Beispiel Geoffrey of Monmouth) zu nivellieren ist gewünscht! Sollte bei diesem Versuch das Pendel zu sehr in die entgegengesetzte Richtung geschwungen sein, wird hierfür um Verständnis gebeten. Fünfzehnhundert Jahre Christentum, Repression, Gewalt, Pogrome, Hexxenverfolgung und Ausrottung heimischer Religion und Tradition, sind auch am Erzähler nicht spurlos vorüber gegangen.

Als Landschafts- und Ortsbezeichnungen wurden die heute üblichen Bezeichnungen gewählt, um dem Leser eine räumliche Zuordnung zu ermöglichen. Avallon – Tir na mBan erstreckt sich über den heutigen Ort Glastonbury in Südwestengland und die ihn umgebenden Hügel „Tor“, „Wearyall“ und „Chalice-Hill“.

Als Königssitz des Artus wurde die Hügelfestung Cadbury-Castle angenommen, die in Sichtweite des Glastonbury Tor liegt und nach neueren archäologischen Erkenntnissen sehr wahrscheinlich deckungsgleich mit dem Camelot der Artus-Sage ist.

Ynys Môn ist das alte druidische Heiligtum auf der heutigen Insel Anglesey in Nordwales.

Der Leser mag sich besonders vor Augen führen, dass die zunächst beschriebene Zeit nicht die Zeit der großen steinernen Burgen, der glänzenden edlen Ritter in Rüstungen und der großen prunkvollen Festgelage und Ritterspiele ist. Große Burgen bestanden aus Erdwällen mit Holzpalisaden, und selbst Königshöfe waren nach heutigen Maßstäben nur gut ausgerüstete Holzhäuser. Jegliche romantische Vorstellung ist hier fehl am Platz, es war eine Zeit, in der die Menschen in stetiger Sorge um ihren Fortbestand, die Nahrungsbeschaffung und die Unbilden der Natur lebten. Auch eine Verklärung der „edlen Heiden“ ist unangebracht. Grausame Opferrituale und Kopfjagd waren zwar nicht alltäglich, galten aber gemeinhin nicht als verwerflich. Im Gegenteil, ein Krieger konnte zu hohem Ansehen gelangen, wenn er Köpfe der erschlagenen Feinde neben seiner Haustüre befestigte.

Dennoch - vieles ist den Menschen in den vergangenen eintausendfünfhundert Jahren geraubt worden und es ist unser Recht, unser Erbe einzufordern.

Unruhe an den Pforten

Am flackernden Kaminfeuer sah Rabon, dass ihr Sohn nicht mehr das Kind war, das sie einst in ihren Armen gewiegt hatte. Tiefe Furchen hatte das Leben in Conns Stirn gegraben. Es war offensichtlich, dass er sich große Sorgen machte, und er starrte gedankenverloren in das Feuer. Er trat langsam hinter den Sessel von Rabon. Seit sie Hohepriesterin in Avallon war, war ein Bruch in ihrer Beziehung eingetreten. Den unbefangene Umgang zwischen Mutter und Sohn gab es nicht mehr. Es spielte auch ihre Rolle, die sie in diesem Leben übernommen hatte, in das Netz der Liebe zwischen den beiden hinein. Sanft legte Conn seine Hand auf ihre Schulter: „Rabon, Mutter, du musst etwas unternehmen. Die Übergriffe von Colleen und seiner Bagage werden zunehmend unerträglicher.“

Nun runzelte auch Rabon die Stirn: „Ach Conn, begreife doch, die Zeiten von Joseph und Padraigh sind vorbei. Die Christen zählen Hunderttausend, und wir sind nur wenige. Die Fürsten nehmen die neue Religion des Gekreuzigten an. Selbst der Hochkönig ist Christ geworden. Wir müssen uns irgendwie mit ihnen arrangieren. Krieg würde zu unserem Untergang führen. Was klagst du, Conn? Ist etwas geschehen?“ Conn setzte sich auf den kleinen Absatz vor dem Herdfeuer. Für Rabon war er nunmehr nur noch eine schwarze Silhouette.

„Colleen hat heute Morgen einen Fährmann bestochen, ihn nach Avallon überzusetzen Er hatte einen jungen Novizen und ein langes Seil bei sich. Als ich bei den Fährleuten meine Kräuter abliefern wollte, erzählte man mir, dass Colleen und ein Novize auf der Insel seien. Nachdem ich dann hörte, dass sie ein Seil mitgebracht hatten, begab ich mich zur heiligen Quelle. Und tatsächlich, an der Quelle fand ich dann Colleen mit dem Seil in der Hand und seinen Novizen tauchend in der Quelle. Ich fragte Colleen, was er dort mache und er sagte mir, er wolle endlich den Abendmahlskelch von Joseph von Arimathea aus dieser Schweinekuhle bergen und dahin bringen, wohin er gehöre: auf den Altar einer Kirche. Daraufhin habe ich ihn mit dem Grabstock zur Fähre zurückgetrieben, und die beiden haben wieder übergesetzt aufs Festland. Ich glaube aber nicht, dass es bei diesem einen Versuch bleiben wird.“

Schwerfällig erhob sich Rabon aus ihrem Sessel, leise schleifte ihr dunkelblaues Priesterinnengewand über den Boden und ihr Halbmond auf der Stirn leuchtete im Herdfeuer. „Ach Conn, das weiß ich doch alles längst, Branwnn hat mir die Geschichte bereits erzählt. Das Gezeter des Priesters war über die ganze Insel zu hören und du hast ihn keineswegs so friedfertig zur Fähre gebracht, wie du das hier schilderst. Der arme Mann wird wahrscheinlich in den nächsten Tagen nur gebückt gehen können, Branwnn erzählte mir, du habest den Grabstock auf ihm zerschlagen.“

Langsam ließ sich Rabon neben Conn auf dem Feuersims nieder. So sehr sich Conn auch bemühte, ein kleines Lächeln konnte er nicht verbergen. „Ja, Hohepriesterin von Avallon, mögen deine Beine auch schwer geworden sein, deine Augen nicht mehr den Blick eines Falken haben und deine Ohren nicht mehr so gut sein wie in deiner Jugend - nichts von dem, was auf der Insel geschieht, kann dir verborgen bleiben. Trotzdem, wir müssen dieser Christenbande auf unserer Insel Einhalt gebieten, sie entweihen unsere Tempel, sie besudeln unsere heiligen Orte und sie schmähen die Anhänger der alten Religion.“

Sich eine Strähne ihres ergrauten Haares aus der Stirn streichend, sagte Rabon: „Du hast Recht, Sohn. Wir müssen eine neue Art des Umgangs mit den Christen finden. Ich werde mich mit Math besprechen, dann werden wir die anderen Priester und Priesterinnen hören und nach einem Kompromiss suchen. Geh jetzt, es ist bereits spät.“

Sanft nahm Conn seine Mutter in den Arm, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ wortlos das Haus der Priesterin. Als er hinaustrat in die warme Sommernacht, schob sich gerade eine dunkle Wolke vor den Vollmond. „Göttin, du verbirgst dein Angesicht vor dieser Welt und ziehst dich hinter einer Wolke zurück“, dachte er, „willst du nicht mit ansehen, was die Christen aus deiner Erde machen?“

Am nächsten Morgen wurde Conn durch die Seherin Righru geweckt. Mit einem strahlenden Lächeln sagte sie: „Du sollst zur großen Halle kommen. Rabon und Math bitten alle Priester und Priesterinnen zu einer Zusammenkunft. Es soll über den weiteren Umgang mit den Christen beraten werden.“ Righru war eine der jüngeren Novizinnen in Avallon. Kaum achtzehn Sommer hatte sie bisher erlebt. Sie trug ein schlichtes braunes, grob gewebtes Gewand, wie alle Novizinnen, und keinerlei Schmuck; aber an ihrem Gürtel blitzte bereits das Priesterinnenmesser, das alle Priesterinnen in Avallon trugen. Wie sie so in der Tür des Priesterhauses stand und von hinten durch die Morgensonne angestrahlt wurde, erschien sie Conn fast göttlich. „Ach Righru, weißt du, statt mit diesen Alten über ein so unerfreuliches Thema zu reden, wüsste ich einen wesentlichen besseren Zeitvertreib für diesen Morgen“, meinte Conn anzüglich.

„Da wirst du dich wohl noch einige Tage gedulden müssen, Conn. Meine Priesterinnenweihe ist erst in zwei Tagen“, lachte Righru und lief davon, um weitere Priester zu wecken.

Ächzend erhob sich Conn von seinem Felllager. Immer zur Zeit des vollen Mondes schmerzte ihn sein linkes Bein, das er sich bei einem Sturz vor Jahren mehrfach gebrochen hatte, besonders. Er humpelte, nackt wie er war, hinüber zur Quelle und wusch sich. Das kalte Wasser der Quelle weckte in vollends auf. Bibbernd vor Kälte rannte er zum Priesterhaus zurück und warf sich seinen aus schwarzer Schafwolle gewebten Umhang über. Im Vorbeigehen griff er sich einen Kanten Brot, der vom Vortag liegen geblieben war und verspeiste ihn auf dem Weg zum Versammlungshaus.

Das Versammlungshaus war das größte Haus in Avallon. Es war ein großer Rundbau, in dem leicht alle zwanzig Priester und Priesterinnen Platz finden konnten. Es bestand aus einem massiven Tragegestell aus naturbelassenen Holzbalken, deren Zwischenflächen mit einem Geflecht aus Weiden geschlossen waren. In monatelanger Arbeit hatte Oengus mit seinen Helfern die äußere Seite des Hauses mit Lehm verputzt und das Dach fast zwei Fuß dick mit Reetgras gedeckt. Schon von weitem sah Conn, dass aus der Mitte des Daches hellgrauer Rauch in den strahlend blauen Morgenhimmel aufstieg. „Ah, wenigstens gibt es etwas zu Essen“, dachte Conn, als er den Rauch sah. Inzwischen war er beim Eingang des Versammlungshauses angekommen. Neben dem Eingang der Tür standen Mhorgaine, die stellvertretende Hohepriesterin und Segda, ein uralter Priester, der in seiner Jugend für die römischen Legionen gekämpft hatte und keinen Tag verstreichen ließ, ohne die alten Geschichten aus dieser Zeit jedem, der es nicht hören wollte, zu erzählen. Sowohl Mhorgaine als auch Segda trugen einen Spieß in der Hand. Lachend wandte sich Conn an Mhorgaine: „Nun, Mhorgaine, so schwer bewaffnet? Glaubst du, die christlichen Mönche wollen unsere Versammlung überfallen?“

 

Mhorgaine war offensichtlich nicht zu Scherzen aufgelegt an diesem Morgen. „Tritt ein, Conn! Segda und ich werden der Versammlung von der Tür aus folgen. Die Mönche versuchen immer wieder, Gefolgsleute unter den Fährleuten zu finden und könnten auf die Idee kommen, einen der Fährleute als Spion hierher zu schicken. Das werden wir zu verhindern wissen.“

Conn trat in das Halbdunkel des Versammlungshauses ein und sah, dass er wohl der letzte gewesen war, der noch zur Vollständigkeit der Versammlung fehlte. Für Conn war es immer wieder überraschend, obwohl er sich im Laufe der Jahre daran hätte gewöhnen können, seine Mutter in ihrer Funktion als Hohepriesterin zu sehen. Rabon saß auf einem leicht erhöhten Podest in einem mit Schaffellen ausgepolsterten Holzsessel. Sie war in ihrem Amt alt geworden. Ihr vormals leuchtend rotes Haar war nunmehr ergraut. Tiefe Falten durchzogen ihre Wangen. Ernst und blass saß sie in ihrem Sessel, und als Conn eintrat, ruhten ihre nachtschwarzen Augen kurz auf ihm. Sie erhob sich und sprach mit ihrer dunklen, kräftigen Stimme: „Nun, da wir alle vollzählig sind, kann unsere Versammlung beginnen. Wie ihr alle wisst, ist es in der Vergangenheit immer häufiger zu Übergriffen durch die Mönche von jenseits des Sees gekommen. Math und ich sind der Ansicht, dass wir dies nicht weiter eskalieren lassen können. Es sieht so aus, als wollten sie ihre bisher liberale Haltung uns gegenüber aufgeben. Die Zeiten von Joseph von Arimathea, in denen zwei Religionen gleichberechtigt nebeneinander bestehen konnten, scheinen zu Ende zu sein. Da auch die sanfte Art der Missionierung, wie der Mönch Padraigh sie anstrebte, nicht zu unserem Verschwinden geführt hat, suchen sie nun nach neuen Wegen, um die Macht Avallons zu erschüttern. Der neue Abt Colleen ist ein hirnloser Hitzkopf, der nun versucht, mit Gewalt zu vollenden, was Joseph und Padraigh mit Milde nicht geschafft haben.

Hinzu kommt, dass unsere Lage in ganz Britannien nicht die Beste ist. Seit dem Tod des Großkönigs Uther Pendragon vor siebzehn Sommern und der Thronbesteigung durch den Römer Riotamus, der sich jetzt Artus nennt, ist das Christentum auf der ganzen Insel im Vormarsch.

Die Römer haben genug mit sich selbst zu tun und kümmern sich nicht mehr um die Geschehnisse in Britannien. Artus, der auch bei seiner Thronbesteigung nach alter Sitte die Ehe mit dem Land einging und sich den Thron mit dem Vorwand erschlichen hat, zwischen den Stämmen als Vermittler zu wirken, folgt nunmehr seiner ihm christlich anvermählten Ginevra in die Tempel der Christen. Obwohl er die Macht dazu hätte, hebt er nicht den alten römischen Erlass zur Verfolgung der Druidenschaft auf. Wie für die Druiden ist es für uns inzwischen ein gefährliches Unterfangen, uns in der Öffentlichkeit als Kinder der alten Religion zu erkennen zu geben. Hat jemand von euch Vorschläge, wie wir weiter verfahren sollen?“

Langsam setzte sich Rabon wieder auf ihren Stuhl. Es war ihr deutlich anzusehen, dass ihr selbst diese kurze Rede erhebliche Mühe bereitet hatte und ihre Beine sie nicht mehr viel länger getragen hätten. Mhorgaine, die noch immer mit ihrem Spieß neben der Tür stand, rief laut in die Versammlung hinein: „Last uns einen Zauber wirken, der die Christen auf ewig aus unserem Land vertreibt!“

Nun redeten alle Anwesenden wild durcheinander, bis Rabon mit einer Ruhe gebietenden Handbewegung die Versammelten zum Schweigen aufforderte. Erst als vollkommene Stille eingekehrt war, sagte Rabon: „Gut, einen Vorschlag haben wir gehört. Math, was sagst du zu der Situation?“

Der alte Math, der nunmehr schon über sechzig Winter erlebt hatte und dennoch in seinen Bewegungen keinem alten Mann glich, erhob sich geschmeidig und musterte die Anwesenden. Dann sagte er mit seiner rauen, voluminösen Stimme: „Ihr Lieben! Ich war schon Hohepriester in Avallon, als im Jahr der Christen 440 unser noch von den Römern eingesetzter Hochkönig Aurelius Ambrosius starb und als zwei Jahre später Uther Pendragon den Thron bestieg. Wie ihr alle wisst, war meine Mutter eine Römerin und die Tochter von Aurelius Ambrosius. Nicht aus diesem Grund möchte ich nun Klage erheben. Die Römer haben viel Leid über unser Land gebracht, aber ihnen war letztlich gleichgültig, welcher Religion wir anhängen. In ihrem eigenen römischen Reich wurden zu allen Zeiten viele Religionen ausgeübt und viele Götter verehrt. Für sie war Christus nur ein weiterer Gott im großen Pantheon. Dies war auch die Einstellung meines Großvaters Aurelius Ambrosius. Solange die Stämme ihren Tribut an das römische Reich zahlten, keine Aufstände organisierten, die Handelswege nicht störten und nicht gegen das römische Reich aufbegehrten, war es ihm egal, welcher Religion die Briten anhängen. Sein Nachfolger Uther Pendragon war ein Mann der Stämme, rein britischen Geblütes und aus alter Familie. Er bestieg den Thron unter dem Banner des roten Drachens und verkündete, dass er keiner Religion angehören wolle, außer der seiner Art. Dies war die Zeit, in der die Briten die alten Tempel wieder aufbauten, die Druiden wieder von Ort zu Ort zogen, den Göttern und Göttinnen der Stämme wieder gehuldigt wurde und das Land in Frieden und Wohlstand lebte. Leider hinterließ Uther Pendragon keinen Erben, und so gelang es dem Emporkömmling Riotamus, der einst ein kleiner Feldherr gewesen war, sich zum Hochkönig aufzuschwingen. Er nannte sich fortan Artus, Großkönig von ganz Britannien. Nach seiner Thronbesteigung im Jahr vierhundertneunundfünfzig der Christen bereiste er das ganze Land. Überall tat er kund, dass er der König aller Briten sein wolle: der König der Anhänger der alten Religion und der König der Christen. So kam er auch nach Avallon und wurde durch die damalige Hohepriesterin Viviane freundlich empfangen. Auch ihr gegenüber bekräftigte er, dass der König und sein gesamtes Heer stets Avallon schützen wolle. Was ist nun aus diesem Schutz geworden? Nicht Heere, nicht Soldaten, nicht bewaffnete Söldner greifen uns an, es ist eine fremde Kultur, eine fremde Religion, die versucht, die Vormacht zu erreichen. Selbst wenn Artus zu seinem Wort stünde und uns mit seinem Heer schützen würde, was ich nicht glaube, so könnte er doch hiergegen nichts ausrichten. Wir müssen die Lösung für unser Problem selbst finden. Mhorgaine schlug nun vor, einen Zauber über das Land zu werfen, der die Christen besiegt. Wollen wir das wirklich? Wollen wir, dass die Menschen in Britannien sich zur alten Religion bekennen müssen? Wollen wir, dass die Menschen Britanniens keine Wahl mehr haben? Dann sind wir genauso geworden wie die Christen. Nein, das kann unser Weg nicht sein! Ich schlage vor, wir treffen uns in Frieden mit den christlichen Mönchen und legen mit ihnen gemeinsam Grenzen fest, jenseits derer sie nicht tätig werden dürfen.“

„Nur mit dem Schwert in der Hand, wirst du das erreichen können“, rief Segda von der Tür her. Beschwichtigend hob Math die Hände und sagte: „Segda, alter Kämpfer, nicht im Schwert liegt die Lösung. Mit dem Schwert sind die Christen uns überlegen. Unser Verstand und die Hilfe der Göttin sollen unsere Waffen sein.

Oengus meldete sich zu Wort: „Wir werden es nicht erreichen, dass Colleen mit seinen Mönchen zu uns kommt und ich weigere mich, einen Fuß in diese christliche Siedlung jenseits des Sees zu setzen.“

Math sah lange auf Oengus hinab und meinte dann: „Nun gut, du hast recht Oengus, wir wollen diese Mönche auf unserem heiligen Berg auch nicht sehen. Ich schlage ein Treffen auf Wearyall Hill vor, am dritten Tage nach dem Vollmond, der auf das Lughnasadh-Fest folgt, also in ungefähr einem Mond.

Math setzte sich wieder zu Füßen von Rabon nieder und sein Vorschlag fand allgemeine Zustimmung. Wenn auch viele der Priesterinnen und Priester der Meinung waren, dass dies keine Lösung auf lange Sicht bringen würde, so verschaffte es ihnen doch zumindest eine Verschnaufpause. Es wurde beschlossen, dass eine Botschaft an Colleen abgefasst und durch Mharha, die Herrin der Fährleute, an Colleen überbracht werden sollte.

Am nächsten Morgen bereitete Mharha sich sorgfältig auf ihr Treffen mit Colleen vor. Ihr war bewusst, dass sie als Botin der Hohepriesterin von Avallon dem Abt nicht in ihrer Alltagskleidung gegenüber treten sollte. So streifte sie nicht ihr grob gewebtes braunes Gewand über, in dem sie normalerweise ihren Verrichtungen nachging. Über ein fein gewebtes weißes Flachskleid legte sie sich sie sich ihren nachtblauen Priesterinnenmantel um die Schultern. Sie gürtete sich mit einem schwarzen Ledergürtel, der mit wunderschönen silbernen Schmiedeornamenten verziert war. An diesem Gürtel, der das Geschenk einer Fürstin war, deren Tochter sie vor Jahren erzogen hatte, befestigte sie ihr Priesterinnenmesser. Zum Schluss schob sie den Haarreif, den alle Avallon-Priesterinnen besaßen, und der im Wesentlichen aus einer dünnen Silberspange bestand, in ihre Haare. Somit prangte nunmehr auch der Halbmond als Zeichen der Priesterschaft von Avallon auf ihrer Stirn. Von einem ihrer Bootsleute ließ sie sich zur Christensiedlung hinüberrudern. Wie alle Priesterinnen von Avallon verließ sie selten die heiligen Inseln, und so sah sie zum ersten Mal die Christensiedlung, obwohl diese in nicht allzu großer Entfernung vor den heiligen Inseln lag. Armselig und schmutzig kam ihr die Siedlung vor. Im Wesentlichen bestand sie nur aus fünf kleineren Steinhütten, die mit Reetgras gedeckt waren; weder Türen noch Fenster verschlossen die Hütten. In der Mitte stand eine größere Holzbaracke, aus der leise Gesänge zu hören waren. Neben dieser größeren Hütte stand ein Holzgestell, einem Galgen nicht unähnlich, an dem eine kleine Glocke befestigt war. Nachdem sie in die kleineren Hütten hineingeschaut hatte und in keiner einen der Mönche angetroffen hatte, begab sie sich zur zentralen größeren Hütte und spähte durch den recht großen Eingang hinein. In dieser Hütte knieten die Mönche der Siedlung, und an der ihr gegenüber liegenden Stirnseite stand der Mönch Colleen unter einem großen hölzernen Kreuz aus Balken, an dem ein Abbild des christlichen Gottes befestigt war. Colleen breitete gerade die Hände aus und richtete Worte in der Sprache der Römer, die Mharha nicht verstand, an das Abbild seines Gottes. Die Mönche nahmen keine Notiz von Mharha. So hatte sie Gelegenheit, das Abbild des Gottes näher zu betrachten. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, der Körper offensichtlich von vielen Strapazen ausgemergelt. Um die Lenden trug der Gott ein Tuch, das seine Männlichkeit vollkommen verdeckte. Wäre nicht der Bart in seinem Gesicht gewesen, man hätte zweifeln müssen, ob es sich überhaupt um einen Mann handelte. Seine Hände und Füße waren von Nägeln durchbohrt, und in seiner Brust klaffte ein großes blutendes Loch. Mharha war fasziniert von diesem Anblick. Welch ein Unterschied zu den Göttern, die in Avallon verehrt wurden. Dieser christliche Gott strahlte Tod, Angst und Verzweiflung aus. Wie lebensfroh waren im Gegensatz hierzu doch die Götter in Avallon. Sie dachte an Cernnunos, den muskulösen Herrn der Wälder. Sein Haupt gekrönt von einem Geweih, und der Phallus in Erregung dem Betrachter entgegen gestreckt. Sein Gesicht drückte Kraft, Leben und Stolz aus. Männlich bis in die letzte Faser trat er seinen Anhängern gegenüber. Aus ihren Gedanken wurde sie aufgeschreckt durch den Ruf eines jungen Mönches: „Brüder seht, eine Teufelspriesterin!“

Die Mönche unterbrachen ihren Singsang, und Colleen rief Mhara durch den Raum zu: „Verlasse diesen heiligen Raum, Teufelspriesterin, und warte, bis wir mit unserer Andacht fertig sind!“

Mharhas erster Impuls war es, sich auf Colleen zu stürzen und ihm die Kraft und die Gewandtheit einer Avallonpriesterin zu demonstrieren. Rabon hatte ihr jedoch eingeschärft, sich nicht provozieren zu lassen, und so ließ sie sich vor dem Haus auf einem Stein nieder. Von drinnen hörte sie weiterhin den monotonen Singsang der Mönche, den diese inzwischen wieder aufgenommen hatten. Nach einer Weile verstummte der Gesang, die Mönche verließen das Haus und begaben sich in die umliegenden Hütten. Keiner von ihnen schaute Mharha im Vorübergehen an, alle hielten den Blick zu Boden gewandt. Als Letzter verließ Colleen den Raum. Als er auf Mharha zutrat, erhob sie sich und erwartete den Mönch. Als sie sich gegenüber standen, stellte Mharha fest, dass sie Colleen fast um Haupteslänge überragte. So nah war sie ihm bisher noch nie gekommen. Ihre dunklen Augen musterten den Mönch und sie stellte eine gewisse Ähnlichkeit zu seinem Gott fest. Auch Colleen hatte einen ausgezehrten Körper, sein Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, und er machte auf sie keineswegs den Eindruck eines freien, offenen, ehrbaren Mannes. Mit einer krächzenden und lauten Stimme sprach er Mharha an: „Was willst du hier, Sklavin des Teufels?“

 

Mharhas Hand suchte unwillkürlich den Griff ihres Priesterinnenmessers. Eingedenk der Worte, die ihr Rabon mit auf den Weg gegeben hatte, blieb sie jedoch äußerlich vollkommen ruhig und antwortete mit fester Stimme: „Mein Name ist Mharha und ich bin Priesterin der Göttin in Avallon. Zügle deine Worte, Priester, denn ich bin hier als Gesandte der Hohepriesterin von Avallon, Rabon. Im Namen der Herrin soll ich dir eine Botschaft überbringen. Diese Botschaft ist aber nicht für jedermanns Ohr bestimmt. Lass uns in deine Hütte gehen.“

Colleens Hände zeichneten abwehrend das Zeichen des Kreuzes in die Luft, und mit sich überschlagender Stimme rief er: „Niemals wird ein Geschöpf des Teufels meine Hütte betreten!“ Etwas ruhiger fügte er hinzu: „Dennoch bin ich bereit, die Botschaft deiner Herrin entgegenzunehmen. Komm mit, dort hinüber, unter den großen Lindenbaum.“

Gemeinsam gingen sie zu der hoch gewachsenen alten Linde, die etwas abseits der Hütten der Priester stand. Unter dem Baum hatten die Priester eine Bank aus grob behauenen Holzstämmen gezimmert. Colleen ließ sich auf dieser Bank nieder. Er tat dies in einer Art und Weise, dass weder rechts noch links von ihm so viel freier Platz übrig geblieben wäre, dass auch Mhara sich hätte setzen können. Offensichtlich wollte er, dass sie ihm die Botschaft stehend überbrachte. Mharha schoss, angesichts dieser so offen zur Schau getragenen Unhöflichkeit, die Zornesröte ins Gesicht und sie dachte: „Jetzt ist wohl der Moment gekommen, diesem widerlichen Wurm eine kleine Kostprobe der Macht der Göttin zukommen zu lassen.“ In den Falten ihres Gewandes zeichnete sie mit dem Finger eine Spirale in die Luft, als Zeichen für den tödlichen zerstörerischen Aspekt der Göttin. Sie konzentrierte alle ihre Energien auf die Bank, auf der Colleen saß. Mit einem lauten Krachen brach diese in der Mitte entzwei und Colleen fand sich unversehens höchst unmajestätisch zwischen den Trümmern der Bank im Gras sitzend wieder. Noch ehe der Verdutzte hierzu noch irgend etwas sagen konnte, ließ sich Mharha langsam ihm gegenüber im Gras nieder und sprach: „So, nun ist es an der Zeit, dass du die Botschaft meiner Herrin hörst, jetzt, da wir uns Auge in Auge gegenüber sitzen. Rabon, die Hohepriesterin von Avallon lässt dir folgendes ausrichten: Mit Sorge beobachten wir deine Missionsbemühungen auf der alten geheiligten Insel der Göttin, die Schändung unserer heiligen Quelle durch dich und deine Anhänger oder deiner Priester wiederholtes Eindringen in unsere geheiligten Bezirke. Wir befürchten, dass erboste Anhänger der Göttin in naher Zukunft die Geduld verlieren und den Frevlern aus deiner Gemeinde Leid antun werden. Wir möchten aber nicht, dass auf unserem heiligen Boden dein Blut oder das Blut deiner Untertanen vergossen wird; und so schlägt dir die Herrin ein Treffen am dritten Tage nach dem Vollmond, der auf Lughnasadh folgt, also in ungefähr einem Mond, auf dem Wearyall Hill unter dem Baum von Joseph von Arimathea vor, um dort Regelungen zu finden, die ein friedliches Nebeneinander der Menschen in diesem Gebiet ermöglichen.“

Während ihrer gesamten Rede hatte Mhara die Augen geschlossen gehalten, um sich voll und ganz auf die ihr von Rabon übergebenen Worte konzentrieren zu können. Als sie nun die Augen öffnete, blickte sie Colleens wutverzerrtes Gesicht. Mit gepresster Stimme erwiderte er: „Sage deiner Herrin, dass es mir auf das Äußerste widerstrebt, sie zu treffen, und dass ich auch keinerlei Angst vor ihr oder ihren Untertanen habe, da ich unter dem Schutz meines Gottes absolut unverwundbar bin. Da aber nicht alle mir anvertrauten Schäfchen den gleichen unerschütterlichen Glauben haben und ich eine Verantwortung für sie trage, werde ich mich mit meinen Ordensbrüdern beraten und dir eine Nachricht für deine Herrin mit auf den Weg geben. Warte hier.“ Ächzend erhob sich Colleen. Offensichtlich hatte er sich bei dem Zusammenbruch der Bank oder dem gestrigen Treffen mit Conn eine Verletzung zugezogen. Er hinkte ungelenk zu einer der Mönchshütten hinüber. Mhara griff nach einem Beutel, der an ihrem Gürtel befestigt war, und öffnete ihn. Sie hatte sich etwas Käse und Brot eingesteckt und verzehrte beides mit Genuss. Hierbei betrachtete sie das Treiben zwischen den einzelnen Hütten und stellte fest, dass die Gerüchte, die in Avalon umgingen, offensichtlich stimmten: es gab hier keine Frauen. Auf keinen der Männer, die sie hier zu Gesicht bekam, wäre ihre Wahl bei der Suche nach einem Partner für die Beltane-Nacht gefallen. Die Männer machten einen eigenartig kraftlosen, willenlosen und gedrückten Eindruck, und ihren Gesichtern war nicht zu entnehmen, dass ihr Dienst an ihrem toten Gott sie in irgendeiner Art mit Freude erfüllte.

Seit Colleen sie verließ, hatte die Sonne hatte mehr als ein Viertel ihrer Tagesbahn zurückgelegt und noch immer war er nicht aus der Hütte herausgetreten, in der er verschwunden war. Mharhas Geduld war nahezu am Ende und sie wollte sich gerade erheben, um den Rückweg anzutreten, als Colleen aus dem Eingang der Hütte ins Tageslicht trat und den Platz hinkend überquerte. Als er bei ihr angelangt war, erhob sich Mharha, wischte einige Grashalme weg, die an ihrem Umhang haften geblieben waren und sah dem Mönch in die Augen. Colleen senkte sofort den Blick zu Boden und sprach: „Die Führung der Brüdergemeinde hat beschlossen, den Vorschlag deiner Herrin widerwillig zu akzeptieren; zusammen mit zweien meiner Brüder werde ich am vorgeschlagenen Tag dort sein, wenn die Sonne die ersten Zweige von Joseph von Arimathea´s Strauch berührt. Sage deiner Herrin, dass auch sie höchstens zwei Begleiter oder Begleiterinnen mitbringen darf, und so wie wir ohne Waffen dort erscheinen soll. Wenn sie sich nicht an diese Absprache hält, werden wir nicht mit ihr reden.“

Mharha erwiderte: „Gut, ich werde deine Worte meiner Herrin übermitteln, und wenn sie mit den Regularien einverstanden ist, werde ich dir als Boten einen meiner Fährleute übersenden. Der Segen der Göttin sei mit dir, Colleen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich ab und ging hinunter zum Seeufer, wo ihr Boot auf sie wartete. Als der Fährmann sie kommen sah, stakte er das Boot noch näher ans Ufer, damit sie trockenen Fußes einsteigen konnte. Die Überfahrt nach Avallon dauerte nicht lange, trotzdem ließ sich Mharha auf der Sitzbank nieder und grübelte über Colleens Bedingungen nach. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Rabon diese Maßgaben annahm. Nur selten geschah es, dass die Priesterinnen ihre Hütte ohne das Priesterinnenmesser am Gürtel verließen. Dann jedoch musste Mharha innerlich grinsen. Selbst wenn Rabon auf diese Bedingungen eingehen würde, wäre es ihr wahrscheinlich vollkommen unmöglich, waffenlos vor Colleen hinzutreten. Die stärkste Waffe der Priesterinnen war nicht das Messer, sondern ihr Verstand, die Magie und der Beistand der Göttin.

Diese Waffen würde Rabon wohl kaum ablegen können. Allerdings würde Colleen auch nicht feststellen können, dass sie diese dauernd bei sich trug, sie täglich schärfte und auch durchaus bereit war, sie einzusetzen. Inzwischen war das Boot am Strand der Insel angekommen. Mharha bedankte sich beim Fährmann für seine Dienste und machte sich auf den Weg zu den Priesterinnenhäusern, die auf einer kleinen flachen Fläche zwischen dem heiligen Berg und der Kelchquelle lagen, etwas oberhalb der weißen Quelle. Auch hier musste Mharha, wie so oft, im Innern schmunzeln. Diesen Weg war sie gewiss schon tausendmal gegangen und als junge Priesterin hatte sie ihn oft genug im Laufschritt zurückgelegt. Jetzt ging sie gemessenen Schrittes. Die Fährleute mochten denken, dass dies eben der gravitätische Schritt der Avallonpriesterinnen sei. Mharha wusste aber, dass sie in ihrem Alter diesen Weg nicht anders zurücklegen konnte, ohne nach wenigen Schritten völlig außer Atem zu sein. Die letzten Strahlen der Abendsonne wärmten ihren gebeugten Rücken, und was sie unter anderen Umständen vielleicht als Wohltat empfunden hätte, trieb ihr nun den Schweiß aus jeder Pore. Bei den Priesterinnenhütten angekommen, hielt sie eine junge Anwärterin am Ärmel fest, die gerade lachend an ihr vorbeilaufen wollte und mit anderen Novizinnen ein Fangspiel spielte. „Sag mir“, fragte Mharha, „ist Rabon in ihrer Hütte?“ Das Mädchen verneigte sich vor Mharha und sagte: „Verzeih, Herrin, ich hatte dich nicht kommen sehen, ich war so in das Spiel vertieft. Nein, Rabon ist mit Math, Mhorgaine, Maeva und Conn zum Gipfel des Tor aufgestiegen, um einen Blick in die Zukunft zu tun. Righru ist schon sein den frühen Morgenstunden dort oben. Von den Priesterinnen ist im Moment nur Branwnn da, sie bereitet in der Küche das Abendmahl zu.“