Die Geschichte einer wunderbaren Wandlung oder wie wir auf den Hund kamen

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Die Geschichte einer wunderbaren Wandlung oder wie wir auf den Hund kamen
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Renate Kazempour, Jahrgang 1944, geboren und aufgewachsen in Regensburg, Mutter eines Sohnes, lebt mit ihrem Mann, einem iranischen Arzt, in einer südhessischen Kleinstadt. Seit Jahren schreibt sie für eine Zeitung Reiseberichte und die Kolumne »Tipps vom Fips«, in der sich der Vierbeiner sozusagen von Mensch zu Mensch unterhält.

Renate Kazempour

DIE GESCHICHTE EINER WUNDERBAREN WANDLUNG

oder

wie wir auf den Hund kamen

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Dieses Büchlein widme ich als kleine Wiedergutmachung in erster Linie unserem Sohn, dem wir, solange er bei uns wohnte, einen sehnlich gewünschten Vierbeiner verweigerten.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Teil I - Allerhand Tierisches

Teil II - Auf den Hund gekommen

Vorwort

Es ist eine altbekannte Tatsache, dass das Leben, entgegen jeglicher noch so blühender Fantasie und Kreativität des Menschen, immer noch die schönsten, aufregendsten und traurigsten Geschichten schreibt. Im Nachhinein gesehen, bewirken sie oft Erstaunliches. Dabei müssen es noch nicht einmal sonderlich spektakuläre Fälle sein welche die Welt bewegen, denn gerade solche geraten mitunter schnell wieder in Vergessenheit.

Nein, ich denke dabei vielmehr an kleine, eher alltägliche Dinge, die im Verborgenen ihren Ursprung haben, mit der Zeit langsam vor sich hin reifen und dann nachhaltige Veränderungen für den einzelnen bewirken. Mit solchen Beispielen könnte man natürlich endlose Seiten füllen und jede Menge eindrucksvoller Bücher schreiben. Dazu fühle ich mich aber weder berufen, noch habe ich vermutlich die nötige Geduld entsprechend zu recherchieren. Deshalb möchte ich lieber über die wunderbare Wandlung von einer Hunde Ignorantin zu deren wahrem Fan erzählen – nämlich von mir.

Teil I
Allerhand Tierisches

Tatsache ist, dass ich schlicht und ergreifend von jeher Angst vor diesen Geschöpfen hatte, auch wenn von den jeweiligen Besitzern vehement beteuert wurde: »Der tut wirklich nichts!« Dieser Satz und sei er noch so nachdrücklich beschworen, beruhigt nämlich keinesfalls den von einer echten Phobie Geplagten. Im Gegenteil, er verstärkt unter Umständen sogar noch die Vorsicht der betreffenden Person. Sei es nun, weil diese bereits einmal eine unliebsame Erfahrung machte oder generell beschwichtigenden Äußerungen gegenüber misstrauisch ist.

Schon die Aussage: »Der tut nichts«, lässt nämlich auf der Stelle sämtliche Alarmglocken klingen. »Aha«, schießt es einem da spontan durch den Kopf, »der Kerl gehört bestimmt einer mit Vorsicht zu genießenden Rasse an, nur dieser Spezielle hier, so sagt man, täte halt nichts. Ergo ist es trotzdem ratsam auf der Hut zu sein.« Da hilft auch das beste Schönreden nichts.

Egal wie man es nun dreht oder wendet, ich gehörte zweifelsohne zu jenen Bedauernswerten, die einen Vierbeiner lieber von hinten als von vorne sahen, am liebsten aber überhaupt nicht. Deshalb scheute ich auch nicht im Geringsten davor zurück, bei einem Besuch meinerseits, ungeniert um die Entfernung eines Bellos oder Rex’, soweit vorhanden, zu bitten. Dem wurde natürlich stets verständnisvoll entsprochen. Heute kann ich darüber nur lachen und schäme mich sogar für diese Hysterie. Aber es hat eben gedauert, bis meine wundersame Umkehr von Saulus zu Paulus langsam aber konstant einsetzte.

*

Bereits als Kind machte ich stets einen hohen Bogen um alles was auch nur annähernd einem Hund glich. Einmal durfte ich während der langen Sommerferien ein paar Wochen auf einem großen Gutshof, dessen Verwalter ein guter Bekannter unserer Familie war, verbringen So wunderbar alles auch war, schlich ich stets mit angehaltenem Atem an einem riesigen Schäferhund vorbei, der tagsüber friedlich vor dem Eingang des imposanten Wohnhauses lag und vor sich hin döste. Obwohl er keiner Seele etwas zu Leide tat, vergällte Leo ein Stück weit meine höchst abenteuerlichen Wochen auf dem Lande. Er war eben, so schien es mir, als Kuscheltier etwas zu wuchtig für meine damaligen Ausmaße. Wahrscheinlich hatten auch die Gebrüder Grimm mit ihren einschlägigen Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein oder Rotkäppchen ihre Spuren hinterlassen. Jedenfalls konnte ich mich nie dazu überwinden Freundschaft mit ihm zu schließen, was mir heute noch leidtut.

*

Selbst, als ich dann erwachsen war und mit Vernunft an dieses prekäre Thema gehen wollte, wurde dieses Vorhaben sogleich in seinen zarten Anfängen wiederum durch einen stattlichen Schäferhund zum Erliegen gebracht.

Ich lebte damals in Berlin. Es war Winter und ich spazierte mit Freunden durch einen weitläufigen Park. Unweit des Einganges befand sich ein hübsches Holzhaus mit einer Veranda, auf der ich sofort mit Argusaugen ein großes, dunkles Etwas erblickte, das sich rastlos hin und her bewegte. Mir brach auf der Stelle der Angstschweiß aus, und mit starrem Blick sah ich dann entsetzt dieses Ding auf uns zu stürmen. Alle außer mir blieben absolut locker, nur ich reagierte völlig kopflos, drehte mich panisch um und spürte im selben Moment ein heftiges Knappen auf meiner Kehrseite. Das Ganze spielte sich wohl im Bruchteil von Sekunden ab und bevor ich überhaupt einen Laut von mir geben konnte, war der Spuk vorbei. Ob nun das Ungetüm von jemandem zurück gepfiffen wurde oder meine Bekannten es verjagten, weiß ich bis heute nicht. Ich verharrte minutenlang in absoluter Unbeweglichkeit. Zum Glück trug ich, der Kälte wegen einen gut gefütterten Mantel, sodass ich außer einem gehörigen Schrecken, keine weiteren Blessuren erlitt. Besagten Park aber mied ich lange Zeit. Dass dieses Vorkommnis natürlich keinen positiven Effekt ausübte, liegt logischerweise auf der Hand. Noch zwei weitere Male starb ich bei ähnlichen Zwischenfällen schier den Heldentod, aber davon später.

*

Den Vogel schoss aber dann, nachdem ich geheiratet hatte, mein Mann ab. Der nämlich hielt von Hunden noch weitaus weniger als ich. Nicht, dass er ihnen jemals etwas zu leide getan hätte, aber allein von Berufs wegen, er ist Mediziner, war er auf die Kameraden alles andere als gut zu sprechen, musste er doch, als er noch im Krankenhaus arbeitete, des Öfteren Patienten mit schlimmen Bisswunden versorgen. Der erste Gedanke in solchen Fällen ist dann wohl immer, dass ein derart gefährliches Individuum eingeschläfert werden sollte. Heute wissen wir beide, dass die Schuld für solche Unfälle einzig und allein bei den jeweiligen Bezugspersonen zu suchen ist. Kein Tier ist von Haus aus bösartig, es sei denn es wird zur Aggressivität erzogen oder hat schlimme Erfahrungen mit Menschen gemacht.

Nachdem mein Gatte den Hospitälern nach aufopferndem Dienst am Nächsten »Lebewohl« gesagt hatte, übernahm er die große Praxis eines Kollegen, was auch diverse Hausbesuche bei Kranken bedeutete. Wenn er jedoch guter Hoffnung war das Thema Hunde würde fortan der Vergangenheit angehören, so hatte er sich gewaltig getäuscht. Jetzt nämlich wurde er selbst zum Opfer. Mehr als einmal kam er mit leicht zerfledderten Hosenbeinen nach Hause, wenn Frauchen oder Herrchen ihren Vierbeiner nicht rechtzeitig in Griff bekamen, nachdem der Besucher aus medizinischen Gründen Hand an sie legen musste. Aber ernsthaft ist natürlich nie etwas passiert.

Nur einmal war er ziemlich sauer. Eine, an einem hoch fieberhaften Infekt erkrankte Patientin bat um einen Hausbesuch. Als er sich ihrem Bett näherte, um sie zwecks Ausschluss einer Lungenentzündung abzuhören, schoss aus einer Ecke ein keifendes Bündel und biss ihn tatsächlich in die Wade. Der giftige Rehpinscher suchte nach seiner Untat zwar sofort das Weite, aber das Malheur war eben passiert. Zum Glück war die Verletzung nicht allzu schlimm und in Anbetracht dessen, dass er halt nur sein Frauchen verteidigen wollte, war der Frieden bald wieder hergestellt. Allerdings verschwand der Höllenhund künftig stets in der Besenkammer, sobald der Doktor auftauchte.

*

An unserem freien Nachmittag, in der Regel ein Mittwoch, fuhren wir des Öfteren in den nahe gelegenen Odenwald um zu entspannen. So auch an jenem herrlichen Frühlingstag. Wir genossen in luftiger Höhe die wunderbare, laue Luft und den himmlischen Frieden inmitten von blühenden Wiesen. Kein Mensch weit und breit, in einiger Entfernung nur eine große Scheune. Ich hochschwanger, trottete etwas schwerfällig vor mich hin, als sich urplötzlich ein Schatten von diesem Gebäude löste und mit erschreckender Geschwindigkeit auf uns zu raste. Augenblicklich erstarrte ich zur Salzsäule. Die wirrsten Gedanken schossen mir mit Lichtgeschwindigkeit durch den Kopf. Ich sah mich bereits blutüberströmt zusammen mit meinem ungeborenen Kind am Boden liegen und mit dem Tode ringen. Auch mein Mann war vor Panik nahezu gelähmt. Dann ertönte, dem Himmel sei Dank, von Weitem ein durchdringender Pfiff. Der große Schäferhund hielt ruckartig inne, fixierte uns, drehte und rannte im selben Tempo, in dem er angeschossen kam, wieder zurück. Wir waren beide mit den Nerven fertig und beschlossen unisono: »Uns kommt nie ein Hund ins Haus.«

 

Dies war das zweite Mal, bei dem ich einem Herzinfarkt nahe war. Aber auch das blieb ohne Folgen, abgesehen vom gehörigen Schrecken, der mir verständlicherweise noch lange in den Knochen saß.

*

Die Zeit verging. Unser Sohn hatte mittlerweile das Kindergartenalter erreicht. Eines schönen Tages kam es dann wie es eben kommen musste: »Ich möchte bitte auch einen Hund!«

Der Gau, also größte anzunehmende Unfall, vor dem wir uns immer gefürchtet hatten, war unvorbereitet eingetroffen. Mit Engelsgeduld erklärten wir dem Kleinen, dass dies, weil wir natürlich unsere Feigheit nicht eingestehen wollten, wegen der Praxis im Hause einfach nicht realisierbar sei. Logisch stießen wir dabei auf absolutes Unverständnis. Nach heftigen Gefühlsausbrüchen und einem Meer von Tränen seinerseits, einigten wir uns schließlich und endlich auf ein Häschen.

Unser Hilfsgärtner schleppte kurzerhand einen ziemlichen Brocken aus seiner privaten Züchtung an, bastelte einen entsprechenden Stall und grenzte ein Stück des Rasens ein, damit Meister Lampe sich gefahrlos darin tummeln konnte ohne gleich abhanden zu kommen. Sohnemann war begeistert. Friede, Freude, Eierkuchen, die Arbeit mit dem Teil blieb selbstverständlich an mir hängen.

Nun haben wir einen wirklich sehr netten Nachbarn, der zu jener Zeit stolzer Besitzer eines stattlichen Schäferhundes war. Gerard trieb sich auf seinem, nur durch einen Drahtzaun von unserem getrennten Grundstück herum, was uns jedoch nicht weiter tangierte. Das Gitter war stabil. Dachten wir.

Eines Tages, ich befand mich gerade im Wohnzimmer, als ohrenbetäubendes Bellen aus dem Garten zu hören war. Alarmiert stürzte ich zum Balkon und traute meinen Augen kaum. Da hing dieser Riese von Vierbeiner an unserem Hasenstall, rüttelte wie besessen daran und kläffte, dass einem Hören und Sehen verging. Bevor ich überhaupt reagieren konnte, kam der Besitzer völlig aufgelöst angerannt, schnappte sein rasendes Ungetüm und zerrte dieses unter wüsten Beschimpfungen und tausend Entschuldigungen hinter sich her.

Nachdem meine spontane Lähmung abgeklungen war, rannte ich, so schnell mich die Beine trugen, zu unserem armen »Schnuckel«, um ihn nach diesem grausamen Überfall mit in die Wohnung zu nehmen, was wir mitunter durchaus taten. Doch kaum dass ich einen Blick in den nunmehr leicht lädierten Stall geworfen hatte, weiteten sich meine Augen in maßlosem Entsetzen. Schnuckel hatte vor Schrecken das Zeitliche gesegnet. Das arme Hasenherz hatte einfach aufgehört zu schlagen. Die Trauer war groß, der Nachbar geknickt, versprach umgehend Ersatz, aber der Bub wollte kein Karnickel mehr.

*

Eine Zeitlang herrschte Ruhe. Die Diskussion um ein »Haustier« wurde permanent gemieden, kehrte jedoch nach einer Weile wieder, und zwar mit Nachdruck. Das Thema Hase war, wie wir wissen, erledigt und so bekamen wir nach langem Für und Wider einen Vogel. Einen Wellensittich genauer definiert. Da ich mit diesen entzückenden Wesen schon seit meiner Kindheit vertraut bin, war die Anschaffung kein Problem. Wir kauften derer zwei, denn einer allein so hieß es, würde sich oft zu Tode langweilen.

Mucki und Pucki waren ein Glücksgriff, fühlten sich sehr bald schon heimisch in unseren vier Wänden und entpuppten sich als echte Bereicherung, abgesehen vom mitunter recht durchdringenden Gekreische, das unter Umständen Tote erwecken konnte, und dem Dreck während der Mauser. Die Arbeit mit ihnen hatte natürlich, wer denn sonst, ich. Es waren im Übrigen zwei Weibchen, um so etwaigem, das heißt sogar sicherem Nachwuchs zu entgehen.

Eine geraume Weile lief alles wie am Schnürchen. Dann fing Mucki plötzlich an, permanent Eier zu legen, natürlich unbefruchtete, die sie dann auch ausbrüten wollte. Schweren Herzens mussten wir sie ihr deshalb ständig wegnehmen. Mit der Zeit bildete sich an ihrem Hinterteil selbst so etwas wie ein Ei. Wir brachten sie zum Tierarzt, der uns nahe legte sie mit einer Spritze zu erlösen bevor die Schmerzen anfangen würden, weil dieses seltsame Gebilde eine bösartige Geschwulst sei.

Und wieder einmal herrschte Trauer, das Kind war untröstlich. Aber immerhin hatten wir dann noch Pucki, die ab sofort noch mehr verwöhnt wurde, weil auch sie durch den jähen Verlust ihrer Genossin in eine Depression verfiel. Also zogen wir erneut los und holten für das stumpfsinnige Federvieh eine Freundin. Diese riss sie erstaunlicherweise abrupt aus ihrer Lethargie. Pucki schimpfte, keifte und hackte den lieben langen Tag auf den armen Zuwachs ein, der ihr anscheinend zuwider war. Und just in dem Moment, als wir ernsthaft daran dachten die beiden zu trennen, zog himmlischer Friede ein und sie lebten noch lange in trauter Zweisamkeit.

*

Eines Tages begleiteten Sohnemann und ich Vater zu einem Ärztekongress nach Davos. Während unser Ernährer sich Wissen aneignete, versuchten wir beide uns die Zeit so gut wie möglich zu vertreiben. Dabei stieß ich auf eine in großen Plakaten angekündigte Ausstellung über Spinnen, Schlangen, Skorpione und ähnlich exotischem Getier. Unser Sprössling beäugte interessiert die Bilder und beschied mir umgehend: »Da gehen wir hin.« Was soll’s, dachte ich und so machten wir uns auf die berühmten Socken zu diesem Event.

Wenn ich mit allem gerechnet hätte, aber nie und nimmer mit der Tatsache, dass der Knirps offensichtlich Gefallen an dem für normal Sterbliche ziemlich widerlichen Viehzeug fand. Ja, er schien geradezu fasziniert von den fetten, handtellergroßen Vogelspinnen, den giftgrünen Schlangen die sich um dünne Äste wanden und einer weiteren Vielzahl makabrer, bisher nie gesehener Exemplare. Mir kräuselten sich insgeheim vor Ekel Kopfhaut und Fußnägel, überwand aber nichtsdestotrotz den inneren Schweinehund und erklärte ihm anhand der jeweils angebrachten Schilder, was genau sich da hinter den sicheren Glasscheiben tummelte. Er hörte genau zu und stellte zu meiner überaus großen Verwunderung sogar gezielte Fragen. Immer wieder zog es ihn zurück an bereits ausgiebig betrachtete Terrarien, sodass sich unser Besuch beängstigend in die Länge zog. Irgendwann hatte er dann wohl doch genug gesehen und wir verließen die dunkle Höhle. Seinem Vater erzählte er mit Begeisterung von dem Erlebten.

Ich war froh, dass wir diese »Sehenswürdigkeit« abhaken konnten. Leider hatte ich aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Von nun an marschierten wir nämlich Tag für Tag in diesen Laden, ich mit Grausen, er mit wachsender Vorfreude.

»Ich glaube das Kind ist nicht ganz normal«, äußerte ich mich eines Abends besorgt über die seltsamen Vorlieben unseres Sohnes. Diese sollten sich dann auch kurioserweise noch über einen beachtlichen Zeitraum hinziehen.

Kaum zu Hause angekommen, wollte er nämlich Lektüre über Spinnen und Schlangen. Es gab damals sehr verständlich verfasste und toll bebilderte Bücher unter dem Namen: »Meine erste Bibliothek.« Er stürzte sich mit Elan in die Materie und erzählte jedem der es nun hören wollte oder auch nicht, sein Hobby wären Spinnen und Schlangen. Die Leute guckten dann leicht bekümmert und antworteten mit einem kaum hörbaren: »Aha, wie interessant.«

Allmählich begann ich mir ein bisschen Sorgen zu machen ob dieser etwas ungewöhnlichen Faszination. Dann, eines schönen Tages, wollte er sein Fahrrad aus dem Geräteschuppen neben der Garage holen. Kaum drinnen, erschien er wieder und bat mich, seinen fahrbaren Untersatz heraus zu schieben. »Wieso das denn« wollte ich wissen. In der Annahme, dass dieser ungünstig stehen würde betrat ich den Raum, erblickte auf Anhieb das Vehikel und – zwischen den beiden Griffen der Lenkstange ein zart gewobenes Netz, in dem ein Koloss von einem Spider saß. »Ach nee, ich denke, Spinnen sind dein Hobby«, konnte ich mir nicht verkneifen zu äußern und überlegte krampfhaft, wie ich dieses Ding, ohne mir eine Blöße zu geben, los werden konnte. Schließlich nahm ich einen Besen und bugsierte den grauenhaften Koloss auf den Boden, von dem aus er mit einem Affenzahn in der nächstbesten Ecke verschwand. Sohnemann kreischend in der anderen. Ab diesem Moment gehörten Spinnen und Schlangen nebst Skorpionen und anderen Ungeheuern der Vergangenheit an. Die einschlägigen Bücher aber wurden in die hinterste Ecke seines Bücherschrankes verbannt. »Also doch normal«, erklärte ich meinem Mann abends erleichtert.

*

Und warum sich die meisten Menschen derart vor diesen, im Grunde eigentlich doch sehr faszinierenden Tieren ekeln und ängstigen, bleibt wohl für immer ein Rätsel. Nur wenige der über 40 000 Arten können für uns überhaupt gefährlich werden und die finden sich in erster Linie in Übersee, beispielsweise Australien. Der Biss einer sogenannten Trichterspinne, die sogar in und rund um Sydney zu finden ist, kann ohne Hilfe tatsächlich tödlich verlaufen. Zur selben Kategorie zählt auch der »Redback Spider« im Outback, also im riesigen, roten Niemandsland des Kontinents.

Während unserer beiden Australien Rundreisen waren wir deshalb stets penibel darauf bedacht, jeden Morgen sorgfältig unsere Schuhe zu inspizieren um nicht aus Versehen unliebsame, fatale Bekanntschaften zu machen.

Aber wir leben hier schließlich nicht in »Down Under.« Allerdings hätte ich einmal bei einem Besuch des »Gran Canyons« in den USA, meinen unfassbaren Leichtsinn teuer bezahlen müssen. Wir standen zusammen mit einer Herde Touristen auf einer Plattform am Rande des Naturwunders und staunten hingerissen über dessen einzigartige Schönheit. Plötzlich tippte jemand von hinten auf meine Schulter. Es war ein Ranger, der wortlos auf meine, lediglich in Sandalen steckenden nackten Füße zeigte. Dann deutete er auf ein sich in unmittelbarer Nähe befindendes Grasbüschel, auf dem ich mit vor Schreck geweiteten Augen eine »schwarze Witwe« hängen sah. Mich traf schier der Schlag und so schnell mich die Beine trugen, rannte ich zum Auto, zog meine Knöchel hohen Boots an, ohne die ich ab sofort keinen Schritt mehr ging. Der freundliche Parkwächter klärte uns dann noch eindringlich über eventuell lauernde Gefahren auf. Hätte mich die Spinne tatsächlich gebissen und ich nicht umgehend ärztliche Hilfe erhalten können, wäre dies unter Umständen womöglich richtig dumm gelaufen.

Aber wie gesagt, wir leben ja weder da noch dort und unsere heimischen Exemplare sind durchwegs harmlose Genossen, es sei denn, mit den importierten Bananenkisten wird schon mal ein blinder Passagier eingeschleust. Die so genannte Bananenspinne gilt als eine der giftigsten und aggressivsten und hat mitunter schon höchste Alarmstufe in diversen Supermärkten ausgelöst.

Und trotzdem, viele Spinnen Neurotiker wissen, dass es bei dieser seltsamen Angst nicht um giftig oder ungiftig geht, um harmlos oder gefährlich oder gar um anspringen. Es ist eine irreale Furcht, die eher etwas mit Ekel und Abscheu zu tun hat, in jedem Falle höchst unangenehm. Ich hatte da ebenfalls massive Probleme, weshalb ich der zeitweise unerklärlichen Faszination unseres Nachwuchses für diese Spezies absolut nichts abgewinnen konnte. Tapfer heuchelte ich aber Interesse, obwohl es mich innerlich vor Grauen schüttelte. Ich dachte sogar wieder einmal ernsthaft daran eine gezielte Therapie zu machen. Doch allein die Vorstellung, eine überdimensionale, schwarz behaarte Vogelspinne würde mir von der Hand auf den Arm krabbeln, brachte mich schier um den Verstand. Also vergaß ich diesen Vorsatz ebenso schnell wie er aufgetaucht war und beförderte deshalb weiterhin ohne die geringsten Gewissensbisse diese kriechenden Teile um die Ecke, allerdings nicht lebendig.

*

Und dann geschah eines Tages etwas Merkwürdiges. Ich wollte abends von der im Erdgeschoss liegenden Praxis ein Stockwerk höher in die Wohnung, als ich einen wahren Albtraum von Spinnenvieh über der Eingangstüre hocken sah. Augenblicklich bewaffnete ich mich mit einem Besen, hielt dann jedoch mitten in der Bewegung inne, weil mir der fatale Gedanke kam, ich könnte das Exemplar verfehlen und mir dieses kurzer Hand auf den Kopf purzeln und sich in den Haaren verfangen. Ein Horrorszenario sondergleichen. Kehrgerät in die Ecke und stattdessen Sprühdose gegen Insekten her. Dann nebelte ich mit aller Kraft den ungebetenen Besucher ein, der gegen diese massive Gewalt nicht die geringste Chance hatte. Binnen Sekunden schrumpfte seine erschreckende Größe zu einem feuchten kleinen Klumpen. Ich stand wie vom Donner gerührt und mit einem Male kam ich mir verwerflich, regelrecht grausam einem hilflosen Tier gegenüber vor. In diesem Augenblick schwor ich mir hoch und heilig, nie mehr eine Spinne zu töten. Welch hehrer Vorsatz, aber ich habe ihn erstaunlicherweise bis heute gehalten. Sobald ich eine entdecke, zumindest auf dem Boden, nehme ich Papier und Glas, stülpe letzteres über sie, schiebe sorgsam das Papier unter und bringe sie ins Freie. Dabei fühle ich mich tatsächlich gut, allerdings so richtig mag ich diese Achtbeiner immer noch nicht. Doch genug von diesem Genre, über das hoch interessante, wissenschaftliche Abhandlungen existieren, die für manche sicherlich faszinierend sind.

 

Nachdem also Spinnen und Schlangen ad acta gelegt wurden, herrschte wieder einmal eine Zeitlang Ruhe, obwohl das Thema »Hund« in regelrechten Abständen auftauchte. Stattdessen teilten wir unser Dasein weiterhin mit Wellensittich und Co.

*

Die Zeit verging, der Sprössling wurde älter und schleppte irgendwann seine erste Freundin an, eine Klassenkameradin. Eines schönen Tages besuchten beide Bekannte in Holland und zwar per Zug. Ich sollte unseren Filius dann am Sonntagabend vom Bahnhof abholen. Gerade als ich mich auf den Weg machen wollte, schrillte das Telefon.

»Mama, wir haben doch noch einen großen Vogelkäfig auf dem Speicher. Kannst du den mitbringen?«

»Wieso um alles in der Welt das denn?«, wollte ich wissen.

»Ich habe zwei Ratten, eine für mich, die andere für Susanne. Die darf nämlich ihre nicht mit nach Hause schleppen, weshalb ich selbstverständlich beide nehme.« Mir fiel wirklich nichts mehr ein.

Am Bahnsteig angekommen, das Drahtgehäuse neben mir, betete ich insgeheim nur, dass mich keine Bekannten sehen würden. Mit quietschenden Bremsen kam der Zug zum Stehen. Die zwei Teenager stiegen aus, meiner hatte beide Hände in den großen Taschen seines langen Mantels vergraben. Strahlend kamen sie auf mich zu.

»Und wo hast du die Viecher?«, fragte ich, in der vagen Hoffnung, sie wären in der Zwischenzeit irgendwie abhanden oder gar unter die Räder gekommen.

»Na hier drin«, feixte er und nickte demonstrativ in Richtung der Beulen an seiner Bekleidung. In diesem Moment kam eine Patientin und teilte mir mit, dass sie soeben eine großartige Unterhaltung während der Fahrt mit unserem Sohn hatte. Sie wüsste jetzt eine Menge über Ratten und hätte nie gedacht, dass sie so intelligente Tierchen wären.

»Viel Spaß mit ihrem neuen Mitbewohner!«, rief sie dann noch, bevor sie verschwand.

»Wir werden zum Ortsgespräch«, war mein erster Gedanke. Vor meinem geistigen Auge sah ich uns schon am Hungertuch nagen, da es künftig wohl kein normaler Mensch mehr wagen würde, einen Fuß über unsere Türschwelle zu setzen. Der Slogan: »Bei unserem Doktor gibt es Ratten«, würde wohl in Windeseile die Runde machen. Und das nur, weil wir partout keinen Hund wollen, kasteite ich mich innerlich.

Meinen Mann traf schier der Schlag, als er die Bescherung sah. Dann fingen wir beide an unseren Sohn dahin gehend zu bearbeiten, dass diese Geschöpfe, wenn sie auch recht niedlich aussähen, doch gefährliche Bakterienüberträger wären. Wir einigten uns nach langer Diskussion auf einen Deal. Er würde, versprach er, anderntags beim Gesundheitsamt oder einer anderen zuständigen Stelle anrufen und sich allein unseretwegen nochmals genau erkundigen, wobei er genau wüsste, dass in dieser Hinsicht überhaupt kein Grund zur Besorgnis bestünde. Falls er Recht haben sollte, müsste ich, nicht etwa mein Mann, nein ich, nach Erhalt einer positiven Auskunft, sofort dieses »Teil« in die Hand nehmen.

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