If you believe

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„If you believe …

Religion in Rock- und Popmusik“

Renardo Schlegelmilch

„If you believe …

Religion in Rock- und Popmusik“

Renardo Schlegelmilch

echter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2017

© 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de

(Foto: Don Arnold, Bruce Springsteen And The E Street Band Summer ’17 Tour – Sydney © gettyimages.)

Satz und Innengestaltung: Crossmediabureau – xmediabureau.de

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim – www.brocom.de

ISBN

978-3-429-04372-8 (Print)

978-3-429-04928-7 (PDF)

978-3-429-06348-1 (ePub)

Inhalt

Einleitung: I still believe in Rock n Roll

Vom Sklavenlied zur Rock-Hymne

Wenn Musiker bei der Bibel klauen

Ein buddhistischer Jude und sein „schräges“ Lied über Jesus

Ein Liebeslied für Vietnam

Mit dem Teufel muss man Mitleid haben

Die Band, die populärer ist als Jesus und trotzdem zu Maria betet

Ein Gebet für alle Religionen

Hymne für den Weltfrieden oder kommunistisches Manifest?

Das Kirchenlied eines islamischen Glaubenskämpfers

Vom Western-Hit zur Glaubens-Hymne

Ein unbewusstes Lied über Gott

Staub und Asche

Gott und Glaube oder Koks und Heroin?

Ist der wahre Himmel vielleicht doch die Hölle?

Freiheit, Erlösung, und eine späte Taufe

Sex, Gott und Verzweiflung

Ein Pop-Gebet

Der Himmel auf Erden, nicht nur sprichwörtlich

Eine „erweiterte katholische Metapher“

Was ist die Sünde?

Ein Liebeslied an einen Menschen, die Schöpfung und Gott

Madonna, Pepsi und der Vatikan

Von Jesus und Elvis, von Glaube und Zweifel

(K)ein Lied über Atheismus?

Das Geschäft mit dem Glauben

Musik und Schicksalsschläge

„Musik ist meine Religion“

Kronen von Scheiße oder Dornen?

Was wäre, wenn

„Ich habe Gott nicht gefunden, aber sie mich“

Vom T-Shirt-Spruch zum Glaubensbekenntnis

Liebe, Sex und Gott

Der Weg von schwangeren Nonnen zum Gebet, das Halt gibt

Der Papst in der Popmusik

Rock n Roll wird uns alle retten

Die inneren Dämonen

Ein „wundervolles Zeichen der Respektlosigkeit“

Himmel und Hip Hop

Der Tod in der Popmusik

Weitere / Diverse:

Liedverzeichnis

Einleitung:

I still believe in Rock n Roll

Die Schwäbische Alb vor ungefähr 35.000 Jahren. Eine Gruppe von Frühmenschen sitzt gemeinsam am Lagerfeuer. Im Hintergrund zwitschern die Vögel. Einer der frühen Schwaben nimmt sich ein Gerät zur Hand, das er gerade geschnitzt hat. Ein hohler Tierknochen. Wenn man vorne hineinbläst, kommt hinten ein Ton raus, der sich fast so anhört, wie das Zwitschern der Vögel. Die anderen Männer um das Feuer schlagen sich einem simplen Rhythmus folgend auf die Brust. Eines der ersten Lieder der Geschichte entsteht, und es berührt die erste Musik-Gruppe der Welt. Es verbindet sie auf eine Art, die man nicht in Worte fassen kann. Es passiert irgendwas, das ihren Wissenshorizont überschreitet.

Zeitsprung. Wir sind im Wembley Stadion in London im Sommer 2016. Bruce Springsteen steht mit seiner E Street Band auf der Bühne. Die Rock-Hymne „Born to Run“ wird angestimmt. Die knapp 50.000 Menschen in der Arena fühlen sich als Gemeinschaft verbunden, für ein paar Minuten werden sie ein Leib, der das Gleiche denkt und fühlt. Einige von ihnen weinen. In Worte fassen können sie dieses Gefühl aber kaum, es übersteigt ihren Wissenshorizont.

Noch ein Zeitsprung: Wir sind in Harlem, New York City. Eine kleine Kirche, voll mit tiefgläubigen Afro-Amerikanern. Wenn die Gospelhymne „Oh Happy Day“ angestimmt wird, wird die Gemeinde zu einer Einheit. „When Jesus walks“. In religiöser Ekstase vergessen die Menschen Raum und Zeit, in Worte fassen kann das Gefühl keiner. Es übersteigt ihren Wissenshorizont.

Drei Geschichten, drei Situationen, die sich ziemlich ähnlich sind, obwohl sie Raum und Zeit weit voneinander trennt. Religion und Musik sind archaisch. Sie gehören zu den frühesten Erfahrungen der Menschheitsgeschichte. Einige Experten vermuten sogar, dass das musikalische Erlebnis, mit seiner unbeschreiblichen Emotionalität, erst zur Entwicklung der Religion geführt hat. Da ist etwas, das wir nicht erklären können, also muss es von einer höheren Macht kommen.

In der Geschichte des Christentums spielt die Musik auch eine große Rolle. Luther hat sie nach der Theologie zum zweitwichtigsten Aspekt des Glaubens erhoben. Angefangen mit den gregorianischen Chorälen der Klöster des Mittelalters bis hin zum Neuen Geistlichen Liedgut oder Sacro-Pop ist die Musik eines der wichtigsten Gestaltungselemente des Gottesdienstes und des Gemeindelebens. Ohne Musik fehlt einfach etwas. Eine Möglichkeit, das was man empfindet, auch auszudrücken, mit mehr als nur simplen Worten. Ob es um den Lobpreis im Halleluja geht, um die Bitte um Gottes Erbarmen im Kyrie, die Musik schafft eine Dimension im Gottesdienst, die dem Ausdruck der religiösen Gefühle ein neues Mittel geben kann.

Das beginnt vielleicht im Gottesdienst, aber es hört dort nicht auf. „Hallelujah“ ist auch ein Song von Leonard Cohen, „Kyrie“ ist ein 80er-Jahre-Hit der schottischen Band „Danny Wilson“. Im 20. Jahrhundert haben sich schier endlose Variationen der modernen Popmusik entwickelt. Rock, Pop, Hip-Hop oder Jazz können ganz genau so eine religiöse Dimension haben. Das kann ganz offensichtlich sein. Joan Osborne fragt in „One of us“ von 1995: Was wäre, wenn Gott einer von uns wäre? Nur ein Fremder im Bus, der genau so wie wir versucht nach Feierabend nach Hause zu kommen. Keiner wird ihn anrufen heute Abend, nur vielleicht der Papst in Rom. – Die Art-Rock Band Barclay James Harvest spricht auch ganz offen über ihren Glauben, im Lied „Hymn“ (kann man auch mit „Hymnus“ übersetzen), geht es um das Leben Jesu Christi, seine Leiden und die Auferstehung: „Für seine Werke haben wir ihn ans Kreuz genagelt. Er ist wieder auferstanden, als ob er uns fragen will: warum?“

Es kann aber auch ganz anders gehen. Popmusik kann religiöse Dimensionen entwickeln, ohne dass der Künstler es überhaupt beabsichtigt. Wenn Queen im Konzert „We Will Rock You“ anstimmen, weiß jeder im Publikum was zu tun ist: Stampf – Stampf – Klatsch! Stampf – Stampf – Klatsch! Auch hier wird ein Gefühl von Einheit beschworen, das über den Einzelnen hinausgeht. US-Rockstar Bruce Springsteen hat dieses Gefühl mal so beschrieben: „Wir kommen in eine Halle, und da ist nichts. Wir kommen zusammen mit den Menschen, die unsere Musik hören wollen. Und gemeinsam mit ihnen erschaffen wir etwas reales, etwas greifbares. Da liegt etwas in der Luft, das man nicht in Worte fassen kann.“

Die Popmusik bedient sich dabei auch sehr gerne der Symbolik des Christentums und der anderen Weltreligionen. Ohne die biblischen Texte über Verdammnis und Hölle würde es kein „Highway to Hell“ von AC/DC und kein „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones geben. Musik und Religion hängen also enger zusammen, als man vielleicht denken mag. Auf vielerlei Ebenen.

Mich hat dieses Thema schon immer fasziniert. Als Moderator im katholischen Kölner Radiosender domradio habe ich mit beidem, Musik und Religion, täglich zu tun. Wie oft es da zu Zusammenhängen und Überschneidungen kommt, ist erstaunlich. Jede Radiostunde beenden wir im Programm mit einem „Himmlischen Hit“; ein Popsong, der etwas ruhiger ist als der Rest des Programms. Eine Möglichkeit runter zu kommen, zu sinnieren und auch zuzuhören, denn in diesen Liedern von Cat Stevens, Ed Sheeran, Katie Melua oder Udo Lindenberg finden sich fast jedes Mal auch Fragen zu Religion oder Spiritualität. Antworten werden übrigens eher selten geliefert, da müssen wir uns schon selber drum kümmern. Im Radioalltag finden sich viele solcher Geschichten, die zum Nachdenken über Gott und die Welt anregen. Ein paar davon habe ich im vorliegenden Buch gesammelt. Einige Geschichten befassen sich mit den schweren Fragen des Lebens, wenn zum Beispiel Eric Clapton in „Tears in Heaven“ Gott fragt, weshalb er seinen vier Jahre alten Sohn hat sterben lassen. Andere kratzen eher schmunzelnd an der Oberfläche. Belinda Carlisle findet in einem Disco-Klassiker heraus, dass der Himmel sowieso ein Platz auf Erden ist, wenn wir nur ordentlich tanzen gehen. Und mit welchen Worten beginnen wir unsere erleuchtete Reise durch die Popmusik? Ich wähle die Worte des britischen Singer-Songwriters Frank Turner (Atheist). In dem Lied„I still believe“ antwortet er auf die Frage nach seinem Glauben: „Ich glaube daran, dass jeder von uns ein Lied für sich finden kann. Ein Lied für jeden Moment, an dem wir gewonnen oder verloren haben. Wir retten hier keine Leben, wir retten Seelen. Und wir haben Spaß dabei.“ In diesem Sinne!

Vom Sklavenlied zur Rock-Hymne

TITEL:God’s gonna cut you down (Traditional vor 1900)

ALBUM:„American V: A Hundred Highways“ von Johnny Cash

Ich war ein wenig überrascht, als ich gesehen habe, dass eines meiner Lieblingslieder von Country-Legende Johnny Cash schon weit über 100 Jahre alt ist. Ein Spiritual, eine Tradition der schwarzen Sklavenarbeiter in den amerikanischen Südstaaten. Um ihren eintönigen und schweren Arbeitsalltag zu überstehen, hatten sie immer eine Melodie auf den Lippen. Viele dieser Lieder sind die Vorläufer unserer heutigen Pop- und Rockmusik. Spirituals kamen in die Kirchen als Gospel, die Gospel-Musik verließ um 1900 die Kirchen und wurde zum Blues, der Blues wurde zum Jazz, und beides zusammen legte den Grundstein für den Rock n Roll. Der Kreis schließt sich bei diesem Lied wieder perfekt mit Johnny Cash. Die Rock-Version eines Spirituals. Cash lässt sich schwer in eine Schublade einordnen. Man könnte natürlich sagen Country-Musiker, sein Lebenslauf sieht aber eher nach Rockstar aus. Seine ersten Aufnahmen hat er in den Sun-Studios in Memphis gemacht, zur gleichen Zeit als dort ein junger Elvis Presley angefangen hat schwarze Musik zu machen, die auch Weiße hören wollten. Cash ging auf Tour mit Presley und Jerry Lee Lewis und brachte diese neue Art der Musik hinaus in die Welt. Immer wieder geriet er dabei aber ins Straucheln. Die erste Ehe scheiterte, und immer wieder hatte er Probleme mit Drogen. Dieser Unzulänglichkeiten war er sich sehr bewusst. „Ich müsste schon 100-mal tot sein“, sagte er mal. Und trotzdem hat er sich immer wieder aufgerafft. Hat angefangen Musik für die zu machen, die es schwerer hatten als er. In den Gefängnissen in Folsom und San Quentin spielte er hinter Gittern für die Gefangenen und sang auch für sie von Hoffnung und Erlösung. Um die Leiden der Menschen nicht zu vergessen, begann er in dieser Zeit nur noch in schwarz gekleidet aufzutreten. Den „Man in Black“ nannten sie ihn. Warum hat er im gleichnamigen Lied erklärt. „Ich trage schwarz für die, die nie die Worte Jesu hörten. Worte vom Weg zur Erlösung durch Liebe und Selbstlosigkeit. Das betrifft uns alle.“ Nach ein paar Jahrzehnten mäßigen Erfolges, kam Mitte der 90er-Jahre das große Comeback. Hip-Hop Produzent Rick Rubin hat sich Cash angenommen. Johnny brachte die Stimme, die der Gesellschaft gefehlt hat. Die Stimme des Mannes, der viel erlebt hat, gutes wie schlechtes, und der Generation nach ihm ein paar Ratschläge mitgeben kann. Gegen Ende seines Lebens hat die Country-Legende sich da noch mal richtig aufgerafft und hunderte (!) von Liedern aufgenommen, mit seinem ganz eigenen Dreh (Aus dieser Zeit kommt übrigens auch Johnny Cash’s eindringliche Version von „Hurt“, siehe das entsprechende Kapitel). Cover-Versionen von Liedern von Tom Petty, Neil Diamond, Sheryl Crow und anderen hat er aufgenommen, aber auch alte Spirituals. Im Jahr 2005 erschien dann „God’s gonna cut you down“ auf Cash’s posthum veröffentlichtem „A Hundred Highways“-Album. Die Neuinterpretation dieses alten Sklavenliedes bekommt bei ihm noch mal eine ganz andere Bedeutung. Mit stampfendem Rhythmus und monotonem Klatschen klingt seine Version anders als alle anderen Inkarnationen des Liedes. Treibender, drängender. Kurz vor seinem Tod scheint ihm ganz klar, dass Gott ihn irgendwann einholt. Zeit zur Umkehr nach einem sündigen Leben könnte man sagen. „Renne so lang du willst, Gott holt dich ein.“ Im Text gibt es aber auch ganz konkrete biblische Verweise: „Ich kniete mich nieder und sprach zu dem Mann aus Galiläa. Seine Stimme so zart wie die Fußschritte der Engel. Er rief meinen Namen. Mein Herz blieb stehen, als er sagte: John, folge meinen Worten!“ Das Schicksal der Sklaven, die dieses Protestlied geschrieben haben, wird aber auch mehr als deutlich. Mit diesem Lied haben sie ihre Hoffnung ausgedrückt, dass die Ungerechtigkeit ihrer Lebenssituation irgendwann ein Ende findet, auch wenn es erst im Himmel sein mag. „Schmeißt nur mit euren Steinen, beutet eure Mitmenschen aus. Aber so sicher wie Gott Schwarz und Weiß geschaffen hat, werden eure Taten aus dem Dunkel ans Licht gebracht.“ Johnny Cash ist übrigens bei weitem nicht der einzige Künstler, der diesem Lied seine ganz eigene Stimme gegeben hat. Von Elvis Presley über den Techno-DJ Moby hin zur Death-Metal-Band „Panzerfaust“ funktioniert die Botschaft der Unterdrückung und Hoffnung auf Gerechtigkeit in vielen Musikrichtungen. Die wohl wichtigste Version stammt übrigens von der schwarzen Bürgerrechtlerin Odetta Holmes aus dem Jahr 1960. Für Protest-Musiker wie Bob Dylan und Joan Baez war sie ein großes Vorbild. Martin Luther King Jr. hat sie als Königin der Folkmusik bezeichnet. Mit ihrer Musik, auch mit diesem Lied, hat sie also auch politisch einiges bewegt.

 

Wenn Musiker bei der Bibel klauen …

TITEL:Turn! Turn! Turn! (To everything there is a season) – Pete Seeger

ALBUM:Turn! Turn! Turn! (The Byrds, 1965)

Ein Lied, das in die Geschichte eingegangen ist. Als es 1965 auf Platz 1 der US-Charts stand, war es das Lied mit dem ältesten Text der Popgeschichte. Das wird es wohl auf absehbare Zeit auch bleiben. Der Text von „Turn! Turn! Turn!“ wurde fast komplett dem Alten Testament entnommen. Genauer gesagt dem Buch Kohelet. Bibelwissenschaftler vermuten, dass das Buch irgendwann zwischen dem zehnten und dritten Jahrhundert vor Christus verfasst wurde. Der Text zum Lied ist also mindestens 2300 und vielleicht auch 3000 Jahre alt. Das Buch Prediger zählt zu den eher schwierigen Texten der Bibel. Es enthält eine Sammlung von allgemeinen Richtlinien und Lebensweisheiten. Der Text des Liedes stammt aus dem dritten Kapitel des Buches (Pre 3,1–8). Die Zeilen waren damals genau so aktuell, wie sie heute noch sind. In den 50er-Jahren hat das den Liedermacher und Protestmusiker Pete Seeger (bekannt unter anderem durch „Where have all the Flowers gone?“) dazu bewegt eine Melodie zu den alten Worten zu verfassen. Ein Protestlied sollte es werden, das vor allem den Frieden in den Mittelpunkt stellt. „Eine Zeit für den Frieden“ erhofft er sich, „ich schwöre, es ist noch nicht zu spät“. Der biblische Text stellt die verschiedenen Aspekte des Lebens, positiv wie negativ, gegenüber. Für alles gibt es eine Zeit: Zum Leben und Sterben, zum Lachen und Weinen, zum Bauen und Abreißen, zum Lieben und Hassen. Das Lied kam zu einer Zeit auf dem Markt, als die Hippie- und Friedensbewegung ihren Höhepunkt hatte. Der Vietnamkrieg war in vollem Gange und auch der Konflikt Amerikas mit der Sowjetunion war allgegenwärtig. Immer mehr junge Leute in den USA wünschten sich eine Zeit des Friedens und sind auf die Straße gegangen. Musikalisch wurden sie von einer großen Garde der Protestmusiker unterstützt. Bob Dylan ist der bekannteste davon, Pete Seeger, der dieses Lied verfasst hat, wahrscheinlich der einflussreichste. Viele große Hits dieser Zeit stammen aus seiner Feder. Für Pazifismus, Umweltschutz und Arbeiterrechte ist er auf die Straße gegangen. Übrigens noch bis ins hohe Alter. Kurz vor seinem Tod 2014 (mit 94 Jahren) stand er noch gemeinsam mit US-Präsident Barack Obama auf der Bühne und hat für die Benachteiligten der Gesellschaft gekämpft. Das übrigens nicht nur auf den großen Bühnen. Es hält sich hartnäckig die Legende, dass er mal im hohen Alter einsam am Straßenrand stand, mit einem Schild mit dem Wort „Frieden“ in Händen.

Obwohl „Turn! Turn! Turn!“ aus seiner Feder stammt, waren es die Byrds, die das Lied zum Welthit gemacht haben, der heute noch gespielt wird. Der Text kommt aus der Bibel – trotzdem wird Pete Seeger als Autor angegeben. Das Einzige, was er aber textlich beigesteuert hat, ist der „Turn! Turn! Turn!“-Ausruf im Refrain, den man frei mit „Kehrt um!“ übersetzen kann, sowie die letzte Zeile: „Eine Zeit für den Frieden, ich schwöre, es ist nicht zu spät.“ Sein Lebtag hat er aber trotzdem für den Text Tantiemen kassiert. Ein großer Teil davon ging an eine jüdische Friedensorganisation, die sich gegen den Siedlungsbau in den Palästinensergebieten und für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt. „Sechs Worte habe ich für das Lied schließlich geschrieben, und dafür gibt’s auch Geld“. Übrigens war Pete Seeger nicht der einzige, der diesen Bibel-Text zur Inspiration genommen hat. Die DDR-Rockband „Die Puhdys“ hat 1973 für den Soundtrack zum DEFA-Film „Die Legende von Paul und Paula“ das Lied „Wenn ein Mensch lebt“ aufgenommen. Im sozialistischen Arbeiterstaat hat keiner groß über die Bedeutung des Textes gesprochen, die Ähnlichkeiten zum Bibeltext aus dem Buch Prediger sind aber wahrscheinlich kein Zufall: „Jegliches hat seine Zeit, Steine sammeln – Steine zerstreu’n. Bäume pflanzen – Bäume abhau’n, Leben und Sterben und Frieden und Streit.“

Obwohl das Lied den ältesten Text der Popgeschichte hat, ist es bei weitem nicht der einzige Song, der sich in den Versen der Bibel bedient. Allseits bekannt ist zum Beispiel der Disco-Hit „Rivers of Babylon“ von Boney M., der Zeilen aus den Psalmen 19 und 137 zitiert. Es geht um das Exil der Israeliten, nachdem die Babylonier das Heilige Land eingenommen hatten. Das Ereignis, das die 12 Stämme Israels in verschiedene Himmelsrichtungen verstreut hat. „An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten.“ (Ps 137,1). Auch hier kommt übrigens das Original nicht von Boney M., sondern von der jamaikanischen Raggae-Band „The Melodians“. Der Hintergrund des Liedes ist hier aber ein vollkommen anderer. The Melodians sind eine Rastafari-Band. Kurzer Exkurs: Der Rastafarianismus ist eine in den 1930er-Jahren in Jamaika entstandene Religion. Sie basiert auf dem Christentum, besonders auf den Schriften des Alten Testaments. Die Rastafaris sehen im ehemaligen äthiopischen Regenten Haile Selassie I. (1892–1975) die Wiederkunft des Messias. Er wird auch in diesem Lied berufen. Zur Anbetung des Messias gehört für die Rastafaris ebenfalls der Konsum von Marihuana, was zu Konflikten mit der Regierung und Polizei Jamaikas führt. Hier kommt das Lied „Rivers of Babylon“ ins Spiel. Als Babylon bezeichnen die Rastafaris die Regierung und die Behörden auf Jamaika, die sie, ihrer Meinung nach, genauso unterdrücken, wie die Babylonier die Israeliten. Deshalb werden im Lied die Psalmen über die Vertreibung des Volkes Israel zitiert.

Auch die irische Rockband U2 bedient sich bei der Bibel, im Lied „40“ (1983, Album „War“) werden die Zeilen von Psalm 40 zitiert: „Ich bin arm und gebeugt; der Herr aber sorgt für mich. Meine Hilfe und mein Retter bist du.“ Große Botschaften verbindet U2 damit aber weniger, das Lied ist aus Zeitnot entstanden, sagt Sänger Bono. „Wir haben zehn Minuten geschrieben, zehn Minuten geprobt, zehn Minuten aufgenommen und zehn Minuten produziert. Das hat aber nichts mit dem Titel 40 zu tun.“ Bei den Live-Auftritten der Band ist das Lied zum Standard-Abschlusslied geworden. Bevor die Band zur Zugabe zurück auf die Bühne kommt, singen die Fans den Text des Liedes immer weiter und weiter. Führt dazu, dass bei U2-Konzerten regelmäßig zehntausende Menschen in Ekstase biblische Verse zitieren. Wenn Bands wie U2 oder Boney M. Psalmen zu Liedern machen, sind sie übrigens relativ nah beim eigentlichen Sinn dieser Texte. Obwohl die Melodien über die Jahrtausende verloren gingen, geht man davon aus, dass viele Psalmen im Ursprung oftmals in Liedform vorgetragen wurden.

Auch das „Vater Unser“ hat es einmal in die Charts geschafft, allerdings nur in Großbritannien. 1999 hat Sir Cliff Richard sein „Millenium Prayer“, das Jahrtausendgebet als Charity-Single veröffentlicht. Den englischen Text des Gebetes legt er dabei auf die Melodie des alten englischen Volksliedes „Auld Lang Syne“. Den Engländern hat das gefallen, das Lied blieb mehrere Wochen auf Platz eins der Charts. Neben Cliff Richard haben auch andere das „Vater Unser“ musikalisch überarbeitet, unter anderem Frank Sinatra oder die australische „Rock-Nonne“ Sister Janet Mead.

Ob nun also als tiefgreifende Wahrheit über Glaube und Leben oder aus Zeitnot: Die Bibel bietet vielen Künstlern Inspiration für ihre Musik.