Die Kunst, verantwortlich zu erziehen

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Die Kunst, verantwortlich zu erziehen
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Reinhold Ruthe

Die Kunst, verantwortlich

zu erziehen

Warum starke Kinder

starke Eltern brauchen


Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

2., überarbeitete und ergänzte Auflage des Titels „Autorität neu entdeckt“

(Brendow Verlag 2002)

ISBN 9783865065766

© 2011 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers

Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers

Titelfoto: shutterstock

Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013

www.brendow-verlag.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Kapitel 1 Die Familie ist der erste und wichtigste Bildungsort

Kernfamilie oder Eltern-Kind-Gemeinschaften

Wertvorstellungen werden vor allem in der Familie weitergegeben

Die Familie ist eine Solidargemeinschaft

Kinder brauchen die Orientierung im Elternhaus

Kapitel 2 Was verantwortliche Elternschaft bedeutet

Verantwortliches Erziehen beinhaltet Glaubwürdigkeit

Verantwortliches Erziehen beinhaltet Gerechtigkeit

Verantwortliche Eltern erziehen zur Verantwortung

Weshalb handeln Menschen verantwortungslos?

Verantwortliches Erziehen beinhaltet Vertrauen

Verantwortliches Erziehen beinhaltet eine Gewissensprüfung

Kapitel 3 Verantwortung und Autorität

Der vielfach missverstandene Begriff der Autorität

Wie heißt das Eigenschaftswort von Autorität? Nicht autoritär, sondern autoritativ!

Die Autorität der Alten

Das positive Konzept von Autorität

Autorität - eine Kategorisierung

Wissens-Autorität und Vorgesetzten-Autorität

Begründete und angemaßte Autorität

„Der autoritäre Charakter“ - das Milgram-Experiment

Anarchismus und Totalitarismus

Was beinhaltet autoritäres Verhalten?

Was beinhaltet Autorität?

Verantwortungsbewusstes und autoritäres Verhalten - Ein Selbsterforschungsfragebogen

Familienharmonie - Ein Selbsterforschungsfragebogen

Kapitel 4 Die Entwicklung der antiautoritären Bewegung

Die Geburtsstunde der antiautoritären Bewegung

Erziehung zur Revolution

Die Antihaltung der Kommunen war destruktiv

Der antiautoritäre Kindergarten und was darauf folgte

Autokratisches und autoritäres Verhalten in der Erziehung

Kapitel 5 Verantwortung und die Autorität Gottes

Die Autorität der Wahrheit

Die Stimme der Autorität Gottes

Wer bestimmt in der Kirche?

Autorität und die Vollmacht Gottes

Die Maßstäbe der Schrift und nicht unsere Maßstäbe sind entscheidend

Zweifelhafte Autoritäten

Biblische Maßstäbe als Vorbild

Autorität und Freiheit

Kapitel 6 Die Sucht, für andere verantwortlich zu sein

Was ist Codependence?

Wie sich Mitabhängigkeit in Ehe und Familie auswirkt

Die Sucht, für andere verantwortlich zu sein - Ein Selbsterforschungsfragebogen

Einsicht in die problematischen Rollenmuster gewinnen

Problematische Rollen in der Ursprungsfamilie

Machtverzicht heißt Kontrollverzicht

Kapitel 7 Menschen mit Autorität - 12 E instellungsmuster

Einstellungsmuster 1: Menschen mit Autorität überzeugen, sie überreden nicht

Einstellungsmuster 2: Menschen mit Autorität fördern, aber verführen nicht

Einstellungsmuster 3: Menschen mit Autorität geben Orientierung

Einstellungsmuster 4: Menschen mit Autorität stärken den Selbstwert

Einstellungsmuster 5: Menschen mit Autorität sind ausgeglichen

Einstellungsmuster 6: Menschen mit Autorität schalten ihr Gewissen ein

Einstellungsmuster 7: Menschen mit Autorität haben Authentizität

Einstellungsmuster 8: Menschen mit Autorität können loben

Einstellungsmuster 9: Menschen mit Autorität sind verbindlich

Einstellungsmuster 10: Menschen mit Autorität tragen Verantwortung

Einstellungsmuster 11: Menschen mit Autorität besitzen Nächstenliebe

Einstellungsmuster 12: Menschen mit Autorität sind Vorbilder

Praktiziere ich Machtmethoden? - Ein Selbsterforschungsfragebogen

Kapitel 8 Verantwortung und Partnerschaftlichkeit in der Familie

Partnerschaft setzt Diskussionen voraus

 

Partnerschaft beinhaltet, dass ich zum Partner rückhaltlos ja sage

Partnerschaft beinhaltet: Die Familie bewährt sich als geistliche Zelle

Partnerschaft in der Familie verzichtet auf Moralpredigten

Unpartnerschaftliche Eltern

Kapitel 9 Verantwortung und Führung in der Wirtschaft

Der Mensch mit Verantwortung besitzt Führungsqualitäten

Ist man zum Führen geboren?

Führen und managen

Sind autoritäre Personen wirklich groß?

Wie der Chef, so die Mannschaft

Angewandte Macht und ihre Folgen

Wenn Führungskräfte sich mit schüchternen Menschen umgeben

Was macht Schüchternheit bedenklich?

Management mit Glaube, Vision und Moral

Führungskräfte können motivieren

Verantwortungslosigkeit und Manipulation

360-Grad-Feedback

Menschen mit Führungsqualität realisieren Werte

Menschen mit Verantwortung vermeiden Mobbing

Die „Jeder-gewinnt-Methode“

Liebe ist die wichtigste Führungsfähigkeit

Effektives Führen meint Dienen

Dienende Leiterschaft

Machtmissbrauch durch die Leiterschaft

Kapitel 10 Verantwortung und Vertrauen in der Erziehungspraxis

Erziehung und die Macht der Gene

Verantwortung und Misstrauen

Erziehung im Wertewandel

Laufen-lassen ist ein falsches Erziehungskonzept

Wenn Kinder um Überlegenheit kämpfen

Verantwortliche Erzieher besitzen Glaubwürdigkeit

Verantwortliche Erzieher praktizieren Gerechtigkeit

Verantwortliche Erzieher verfügen über Selbstbeherrschung

Selbstbeherrschung in der Erziehung

Drei Erziehungsstile heute

Verantwortliche Erzieher manipulieren nicht

Widersprüchliche Erziehungsmethoden können psychotische Störungen bei Kindern hervorrufen

Wie gehen wir mit Unterwürfigkeit um?

Verantwortliche Erzieher überbeschützen nicht

Folgen einer autoritären Erziehung

Was beinhaltet Erwachsensein?

Wann der Mensch heute erwachsen wird

Kinder sollen ihren Eltern gehorchen

Menschen, die verantwortungsbewusst leben, realisieren Werte

Menschen mit Verantwortungsbewusstsein leben von der Autorität Gottes

„Mut zur Erziehung“ heißt . . . - Ein Selbsterforschungsfragebogen

Kapitel 11 Verantwortliche Menschen können ermutigen

Was löst Ermutigung in uns aus?

Warum Menschen einen Hang zum Ermahnen haben

Ermutigung ist eine Haltung, keine Technik

Wie kann man Ermutigung im Alltag praktizieren?

Eltern haben eine Vorbildfunktion

Literaturhinweise

Vorwort

Wenn Kinder zu starken Persönlichkeiten heranwachsen sollen, brauchen sie verantwortliche Eltern, die sie antriebs- und durchsetzungsstark erziehen. Verantwortliche Erziehung ist eine Kunst. Kunst aber hängt mit Können zusammen. Dieses Können fällt weder Eltern noch Kindern in den Schoß. Es muss trainiert und eingeübt werden.

Verantwortliche Erziehung meint:

 Kinder erfahren einen stabilen Selbstwert;

 Kinder werden befähigt, das Leben zu bewältigen;

 Kinder sind in der Lage, Selbstdisziplin zu praktizieren;

 Kinder werden ermutigt, Wertmaßstäbe zu realisieren;

 Kinder lernen, gewissenhaft, zuverlässig und moralisch ihr Leben zu gestalten;

 Kinder lernen, glaubwürdig und identisch Leben und Reden zu handhaben.

Nur solche Menschen, die eine verantwortliche Erziehung erfahren haben, sind der Lage, später selbst verantwortlich zu handeln.

Wer verantwortlich erziehen und handeln will, braucht ein Gegenüber, dem er verantwortlich ist. Denn Verantwortung bedeutet: Ein Wort trifft mich und ruft mich zur Antwort. Der Höhergestellte zieht den Untergebenen zur Verantwortung. Das ist ein personhafter Vorgang, der sein Urbild darin hat, dass der lebendige Gott als Herr den Menschen ruft:

„Kain, wo ist dein Bruder Abel?“ (1. Mose 4,9).

Kain lehnte die Verantwortung ab. Er wollte nicht gefordert und haftbar gemacht werden. Die Konsequenz dieser Verantwortungslosigkeit kennen Sie. Das heißt für uns alle: Wir können nur von Verantwortung reden, wenn klar ist, vor wem der Mensch Verantwortung übernimmt. Menschen, die keinen Herrn über sich anerkennen, die keine klaren Maßstäbe bejahen, legen sich Antworten nach eigenem Gutdünken zurecht.

Verantwortung wirkt und lebt zwischen Personen. Sie ist die Antwort auf alle Herausforderungen des Lebens. Wir drücken uns als Eltern und Erzieher nicht. Und Kinder, die gelernt haben, Verantwortung zu tragen, machen nicht was sie wollen und überlassen diese Pflicht leichtfertig anderen Menschen oder Institutionen.

Kinder und Jugendliche brauchen ein funktionierendes Gewissen. Ein Gewissen, das nicht schläft, das nicht träge und dickfellig auf Moral und Maßstäbe reagiert. Wie gut, wenn es Eltern und Erziehern gelingt, dass der Geist Gottes der Lenker und Wächter unseres Gewissens wird!

Wie wollen Frauen und Männer in der Wirtschaft, in der Kirche und in der Gesellschaft verantwortlich handeln, wie wollen sie allgemein gültige Maßstäbe realisieren, wie wollen sie vorbildhaft leben, wenn alle Regeln, Gebote und Leitbilder fragwürdig geworden sind? Der Tagesthemen-Moderator Tom Buhrow hat es kürzlich in der katholischen Akademie in Hamburg unmissverständlich formuliert:

„Ich habe das Gefühl, was Eltern, Kinder, die Gesellschaft im Moment zutiefst bewegt und verunsichert, ist: Du weißt nicht mehr, wie die Regeln sind, weil wir alle Regeln infrage gestellt haben.“1

Kinder, Erwachsene, Eheleute und Führungspersonen, die Verantwortung tragen, sind kooperationsbereit. Zugehörigkeit, Gleichwertigkeit und Zusammenarbeit sind lebensnotwendig, und zwar in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, in der Gesellschaft und unter Völkern. Fehlt eine dieser Komponenten, gibt es Reibung, Machtkämpfe, Auseinandersetzungen und Krieg. Keiner trägt Verantwortung. Jeder will sich durchsetzen, keiner gibt nach, keiner will teilen, keiner fühlt sich für das Wohl des anderen zuständig.

Dieser Titel ist die Neubearbeitung meines Buches „Autorität neu entdeckt“. Offensichtlich ist Autorität ein Begriff, der immer noch in weiten Kreisen unserer Bevölkerung falsch verstanden wird. Viele vermuten in ihm einen autoritären Anspruch. Verantwortliches Handeln aber hat mit Machtanspruch, mit Kommandoton, mit blindem Gehorsam, mit Manipulation und Gewalt nichts zu tun.

Verantwortliches Handeln

 will nicht entmündigen, sondern mündig machen,

 will nicht demütigen, sondern stärken,

 will nicht unterwerfen, sondern Selbstwert aufbauen,

 will nicht überreden, sondern überzeugen.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass sie für Erziehung, Bildung und für das Wahrnehmen von Verantwortung auf allen Ebenen und vor Gott brauchbare Anregungen finden.

Reinhold Ruthe

Januar 2011

Kapitel 1

Die Familie ist der erste und wichtigste Bildungsort

Die Wurzeln der Familie reichen zurück bis in die Frühzeit der Menschheit. Sie ist die kleinste, aber auch die intensivste Lebensgemeinschaft, die Keimzelle der Gesellschaft. Hier lernen Kinder und Jugendliche, sich auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Ehe und Familie werden darum im Grundgesetz (Artikel 6, Absatz 1) unter den besonderen Schutz des Staates gestellt. Etwa 40 % der Bevölkerung leben als Familie in Deutschland, das heißt: Ein oder zwei Elternteile mit mindestens einem minderjährigen Kind wohnen in einem gemeinsamen Haushalt.

Die Überschrift dieses Kapitels stammt von dem idea-Redaktionsleiter Wolfgang Polzer. Die EKD-Synode der evangelischen Kirche in Deutschland, die 2010 tagte, hat ein Papier veröffentlicht, in dem die Sätze stehen:

„Bildungsgerechtigkeit entscheidet sich am Anfang - deshalb sind Eltern in ihrer Erziehungs- und Bildungsaufgabe zu stärken, denn die Familie ist der erste und wichtigste Bildungsort.“

Polzer kommentiert kritisch:

„Dem wäre nichts hinzuzufügen, spräche nicht die Realität eine andere Sprache. Da wird die Lösung aller Bildungsprobleme vor allem im Ausbau von Kindertagesstätten und institutionalisierter Erziehung vom Babyalter an gesehen. Das ist aber ein Irrweg, wenn nicht gleichzeitig die Familie gefördert wird. Denn Mutter und Vater bleiben für Kinder die wichtigsten Personen für ihre Entwicklung. Noch so gut ausgebildete Erzieherinnen und noch so gut ausgestattete Einrichtungen können Mutterliebe auch nur annähernd ersetzen. Freilich: Die gesellschaftliche Realität steht diesem Ideal auf vielfache Weise entgegen. Wenn es in vielen Fällen aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht mehr möglich ist, dass eine Mutter in den ersten sechs Jahren sich nur ihren Kindern widmen kann, dann ist das ein Skandal.“1

 

Kernfamilie oder Eltern-Kind-Gemeinschaften

Etwas mehr als 300 000 Familien, die aus sechs bis sieben Mitgliedern bestehen, gibt es in Deutschland. Etwa 2 Millionen Menschen, die als Großfamilien in einem schrumpfenden Kleinfamilienparadies aufwachsen. Immer mehr Eltern verzichten aufs Heiraten. Knapp 60 % aller Geburten des Jahres 2007 in Ostdeutschland waren nichtehelich. In Westdeutschland betrug der Anteil etwa 24 %. Diese Wandlung in der Familienstruktur hat die Bundesreagierung veranlasst, den Familienbegriff umzuformulieren. Das neue Lebensformenkonzept spricht von Eltern-Kind-Gemeinschaften. Die Kinder können leibliche Kinder, Stief-, Pflege- oder Adoptionskinder von beiden oder von einem Elternteil sein.

Wertvorstellungen werden vor allem in der Familie weitergegeben

Wenn allerdings in Deutschland jede dritte Ehe wieder geschieden wird, in einigen Großstädten jede zweite, dann erfahren Kinder oft Konflikte, Zerrissenheit, Angst und keine Bejahung positiver Werte. Wichtig ist, dass nicht die Scheidung als solche entscheidend ist, sondern die Auseinandersetzungen, die der Scheidung vorausgehen.

Was geschieht:

 Kinder geben sich oft selbst die Schuld, weil sie glauben, für die Auseinandersetzungen der Eltern mit verantwortlich zu sein;

 Kinder geraten in Loyalitätskonflikte, wenn sie sich für den einen oder anderen Elternteil entscheiden müssen;

 Kinder reagieren zunehmend depressiv, weil sie hin- und hergerissen werden;

 Kinder sind verwirrt, was Werte wie Liebe, Ehe, Treue und Zuverlässigkeit angeht. Die Eltern haben viele Werte infrage gestellt.

Kanadische Psychologen haben untersucht, wie und durch wen Werte in der Familie weitergegeben werden. Sie befragten 32 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 20 Jahren. Fast alle Jugendlichen konnten berichten, dass Eltern und Großeltern ihnen Geschichten über Werte erzählt hatten. Häufig seien es Themen gewesen, die sich mit Hilfe, Mitleid und Unterstützung für andere beschäftigt hätten. Als diese Jugendlichen später im Alter von 24 Jahren noch einmal befragt wurden, gaben sie an, dass besonders Eltern und Großeltern ihnen Vorbild gewesen seien. Sie hätten ihnen in erster Linie Werte vermittelt.

Die Familie ist eine Solidargemeinschaft

Das Wort Solidarität meint Zusammengehörigkeitsgefühl, Gemeinsinn, Übereinstimmung. Für das Zusammenleben von Menschen auf dieser Erde sind diese Einstellungsmuster lebensnotwendig. In der Bibel sprechen wir von Nächstenliebe. Und in der Familie realisieren verantwortliche Eltern und Erzieher diese Umgangsmuster.

Hier lernen junge Menschen, dass wir

 füreinander einstehen,

 füreinander sorgen,

 füreinander Hilfen bereitstellen.

Eltern und Kinder sind sich nicht gleichgültig. Entscheidend ist ein vertrauensvolles Verhältnis. Jeder achtet jeden. Jeder kümmert sich um jeden. Jeder fühlt sich für den anderen verantwortlich. Wenn das von klein auf nicht gelebt und vorgelebt wird, werden Egoismus und Selbstsucht uns ruinieren.

Kinder brauchen die Orientierung im Elternhaus

Leider ist es heute so, dass die Orientierung des jungen Menschen immer mehr von Umwelt und Außenwelt gesteuert wird. Die gesellschaftlichen Einflüsse spielen eine immer größere Rolle. Es fällt ihnen zunehmend schwerer, in den pluralistischen Angeboten den richtigen Weg zu finden. Alle Werte werden zerpflückt und infrage gestellt. Betont werden:

 Selbstverwirklichung,

 Auflehnung und Prostest gegen die Eltern,

 Wendung nach innen,

 Infragestellen von Idealen und Ordnungen,

 Isolationsbestrebungen und

 Suche nach eigenen Werten und Standpunkten.

Die Geborgenheit geht verloren. Das Elternhaus kann den Zwiespalt der Kinder und Jugendlichen oft nicht verhindern. Sie werden von Fragen erdrückt: Wer bin ich? Was bin ich? Warum bin ich? Was soll ich hier in dieser Welt?

Viele fühlen sich hin- und her gerissen und empfinden das Leben als fragwürdig. Etliche werden völlig verunsichert und geraten in eine Identitätskrise.

Die Folgen sind: Nicht wenige fallen in kindliche Verhaltensweisen und Abhängigkeiten zurück. Sie geben sich schwach und hilflos und wollen weiterhin betreut und bemuttert werden. Heute spielt das sprichwörtliche „Hotel Mama“ eine große Rolle. Jugendliche und junge Erwachsene passen sich an und warten auf die Entscheidungen der Eltern.

Andere brechen aus. Sie geben die Geborgenheit im Elternhaus auf und wagen den Sprung ins kalte Wasser. Sie gehen Risiken ein, verschätzen sich gewaltig und landen bei Drogen oder in der Kriminalität. Wieder andere geraten an Sektierer und treten extremen Gruppen oder Sekten bei.

In diesem Selbstfindungsprozess benötigen Kinder und Jugendliche Eltern, die Vertrauen schenken, die Orientierung geben, die Vorbilder sind, die ermutigen können und die -ohne Gewalt und ohne Druck und Manipulation - den Kindern beistehen.

Kapitel 2

Was verantwortliche Elternschaft bedeutet

Neben den Einflüssen, die durch Vererbung und Konstitution, durch Familie, Erziehung, Sozialisation und Umwelt charakterisiert sind, hängt es vom Kind ab, wie es diese Einflüsse interpretiert und bewertet. Das Kind reagiert nicht nur, sondern nimmt an seinen Erlebnissen aktiv Anteil. Es ist darum nicht wichtig, was ein Kind mit auf die Welt bringt, sondern was es damit anfängt.